Innovative Wundversorgung alamedics GmbH & Co. KG Dornstadt I Kategorie Gesundheit alamedics erforscht in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover die regenerativen Eigenschaften des Enzyms Ambloxe für den Einsatz in der Wundversorgung – und macht sich gleichzeitig für Arterhaltung stark.

Das Potenzial Wer den Stuttgarter Flughafen besucht, entdeckt dort Strukturen, die an Bäume erinnern und das Dach der Schalterhalle tragen. Und wir wissen: Es ist kein Zufall, dass sich Flugzeuge und Vögel derart ähneln. Aber ist uns auch bewusst, wie selbstverständlich wir uns von der Natur inspirieren lassen, welche Fortschritte sie uns für ein besseres Leben mit auf den Weg gibt? Eine bedeutende Inspirationsquelle für die medizinische Forschung liegt in diesem Fall ca. 9.700 Kilometer weit entfernt. In einem Feuchtgebiet nahe Mexiko-Stadt lebt der Axolotl, ein Molch mit außergewöhnlichen Eigenschaften. Das kleine Tier verbringt sein gesamtes Leben im Larvenstadium und ist somit nie richtig ausgewachsen. Noch interessanter für die deutschen Wissenschaftler sind jedoch die regenerativen Fähigkeiten des Axolotls. Denn das Tier ist in der Lage, Gliedmaßen oder auch Organe vollständig und funktionstüchtig wieder nachwachsen zu lassen. Eine wichtige Rolle spielt dabei Ambloxe, ein Enzym, das der Axolotl bildet. Ambloxe kann inzwischen synthetisch hergestellt werden. Gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Hannover forscht das Dornstadter Unternehmen alamedics nach Einsatzmöglichkeiten in der modernen Wundversorgung. Ziel des Forschungsprojekts um den kleinen Molch ist die Herstellung von Biomaterialien zur Anwendung am und im menschlichen Körper. Durch sie sollen chronische Wunden, die z. B. als Folge von Diabetes entstehen können, in Zukunft besser behandelbar sein.

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Das Projekt kommt auch dem Axolotl zugute, denn er gerät in seinem natürlichen Lebensraum zunehmend in Bedrängnis. Die Wissenschaftler möchten ihren Teil dazu beitragen, die Art dieses faszinierenden Tiers zu erhalten, und richten in Dornstadt eine neue Heimat für zunächst vier Axolotl ein. So entsteht ein besonderer „Kreislauf des Lebens“, der um den halben Erdball reicht.

Die Personen Christian Lingenfelder (Geschäftsführer) und Nadine Hagedorn (Leiterin Forschung) von alamedics entwickeln Produkte zur Wundversorgung. Ein mexikanischer Lurch könnte dabei für eine kleine Revolution sorgen. Dr. Christian Lingenfelder und Nadine Hagedorn, es gibt so viele nette Tiere: Hunde, Katzen, Hamster oder Zwergkaninchen. Sie holen sich trotzdem vier Axolotl, mexikanische Lurche, ins Haus. Warum? Dr. Christian Lingenfelder: Weil diese einzigartigen Lebewesen in freier Wildbahn vom Aussterben bedroht sind und wir helfen wollen, das zu verhindern. Was macht den Axolotl so einzigartig? Nadine Hagedorn: Er besitzt ein ganz spezielles Enzym, durch das er Gliedmaße und Organe wiederherstellen kann. Sogar Teile seines Gehirns. Was hat das für Sie für eine Bedeutung? N. H.: Die Hochschule Hannover hat einen Weg gefunden, dieses Enzym synthetisch herzustellen. Das wollen wir in ein Gel einbetten, in dem die Substanz dann kontrolliert freigesetzt wird. Das würde die Wunde trocken und sauber halten – sowie gleichzeitig die Wundheilung sehr gut unterstützen. Warum ist bisher noch niemand auf die Idee gekommen? N. H.: Weil es leider nicht so einfach ist, wie es klingt. Dr. C. L.: Die Hochschule Hannover hat über zehn Jahre daran gearbeitet, die DNA-Sequenz des Axolotls zu entschlüsseln. Das war enorm kompliziert und herausfordernd. Sie haben das also verfolgt – und als das geschafft war, das Gespräch mit der Hochschule Hannover gesucht. Dr. C. L.: Nein, das war Zufall. Zufall? Dr. C. L.: Wir waren im vergangenen Jahr auf einem Kongress, bei dem unter anderem die Ergebnisse aus Hannover vorgestellt wurden. Das haben wir gehört und gedacht: Wow, das könnte doch passen „wie die Faust aufs Auge“.

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Und dann? Dr. C. L.: Haben wir das Gespräch gesucht und schnell festgestellt, dass wir uns gut ergänzen. Die Forscher der Hochschule haben die theoretischen Grundlagen geschaffen – nun wollen sie sehen, ob das Ganze auch in der Praxis funktioniert. Gibt es schon eine Tendenz? N. H.: Erste Versuche, unter anderem an Zellen, haben sehr gute Ergebnisse gezeigt. Klingt doch vielversprechend. N. H.: Das ist es auch. Es gibt bisher nichts Vergleichbares. Dr. C. L.: Das wäre eine kleine Revolution. Und das alles wegen eines Zufalls. Passiert Ihnen so etwas eigentlich öfter? Dr. C. L.: (Lacht.) Ab und zu schon. Im vergangenen Jahr kam ein anderes Projekt von uns in einem Zug zustande, als ich auf der Fahrt einen Kooperationspartner kennenlernte. Hört sich aber fast so an, als sei der Zufall bei Ihnen eine Regel. Dr. C. L.: Das nicht gerade. Aber wir halten unsere Augen und Ohren immer sehr weit offen, das unterscheidet uns vielleicht ein wenig von anderen. Wissen Sie: Wir sind ein junges Unternehmen mit derzeit zwölf Mitarbeitern. Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir innovativ und offen für Neues sind. Eine ziemliche Herausforderung. Dr. C. L.: Das können Sie laut sagen. Was ist denn das größte Problem? Dr. C. L.: Ein Problem ist, dass wir auf Fördergelder angewiesen sind. Wir können nicht einfach mal so 300.000 Euro für ein neues Projekt in die Hand nehmen. Wenn das dann schiefgeht, können wir die Lichter ausknipsen. N. H.: Von der Entwicklung bis zur Markteinführung können einige Jahre vergehen. Und die Hürden sind so hoch, dass es sein kann, dass es am Ende trotzdem nichts wird. Kommt das oft vor? N. H.: Es gibt Untersuchungen aus der Pharmaindustrie. Darin heißt es, dass gerade einmal fünf Prozent der Entwicklungen nach zehn, elf Jahren tatsächlich auch auf den Markt kommen. Warum haben Sie trotzdem diese Branche gewählt? Dr. C. L.: Weil sie wahnsinnig spannend ist. Es gibt so viele Probleme, für die noch keine Lösung gefunden wurde. Und wenn Ihnen das dann mal gelingt – das ist, als würde man als erster Mensch auf den Mond fliegen. Und Sie dürfen den emotionalen Faktor nicht unterschätzen: die Faszination, Menschen helfen zu können.

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Mit dem Axolotl können Sie das? N. H.: Davon sind wir überzeugt. Und im Gegenzug helfen Sie dem Lurch. Dr. C. L.: Das ist unser Ziel. Der Axolotl ist massiv vom Aussterben bedroht. Es gibt derzeit in ihrem natürlichen Lebensraum nur noch zwischen 800 und 1.200 Exemplare. Warum eigentlich? N. H.: Sie kommen nur in zwei Seen in Mexiko-City vor. Die Wasserverschmutzung dort ist das größte Problem. Deshalb ist es wichtig, die Axolotl außerhalb ihres natürlichen Umfelds zu erhalten. Was können Sie tun? N. H.: Wir werden hier bei uns vier Axolotl aufnehmen. Dornstadt ist nicht Mexiko-City. N. H.: (Lacht.) Aber ein Aquarium bekommen wir hier schon hin. Dr. C. L.: Wir haben uns genau über die Lebensbedingungen erkundigt und sind alle schon Feuer und Flamme. So ein Axolotl sieht ja auch wirklich richtig knuffig aus. Das eröffnet ungeahnte Merchandising-Perspektiven. Schlüsselanhänger, Stofftiere … Dr. C. L.: Das steht nicht auf dem Plan. Wir waren jetzt sowieso erst mal mit der Namenssuche beschäftigt. Schwierig? Dr. C. L.: Sehr. Meine 14-jährige Tochter hatte schon eine Liste angelegt. Aber die Hochschule Hannover riet uns, erst mal zu warten. Warum denn? Dr. C. L.: Wir sollten uns die Tiere erst ansehen – nur dann könnte man einen passenden Namen finden. N. H.: Axolotl haben einen sehr eigenwilligen Charakter. Sie suchen sich auch spezielle Bezugspersonen aus. Es kann so weit gehen, dass sie das Futter verweigern, wenn sie es von jemand anderem bekommen. Sie wollen auch Schulklassen einladen, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. N. H.: Wenn wir schon so einzigartige Tiere bei uns haben, wäre es geradezu sträflich, das nicht zu tun. Dr. C. L.: Wir wollen den Kindern zeigen, dass man auch in unserer Region etwas bewegen kann, was eine Wirkung darüber hinaus hat. Manchmal wird vielleicht vergessen, was hier alles passiert. Zum Beispiel? Dr. C. L.: Es gibt hier viele Firmen, die man öffentlich vielleicht nicht so kennt – die in ihrem Bereich aber Weltmarktführer sind. Wir leben in einer Unternehmerregion, in der es ein sehr spezielles Tüftlertum gibt. Darauf können wir stolz sein. Homepage: www.alamedics.de

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Der Experte Prof. Dr. Reinhard Marre beobachtet das Projekt rund um den Axolotl mit großem Interesse – und erhofft sich Erkenntnisse für die Wundheilung. Prof. Dr. Reinhard Marre, was wissen Sie denn alles über den Axolotl? (Pause.) Puuuhhh. Da muss ich erst mal tief Luft holen. Lassen Sie sich ruhig Zeit. Es geht bei dem Projekt ja um die Frage der Wundversorgung ‒ und was wir diesbezüglich vielleicht von der Tierwelt lernen könnten. Aber ich gebe zu: Die Verbindung zwischen dem Axolotl und der Medizin war mir bisher entgangen. Obwohl sie sehr interessant ist. Aber Sie kannten den mexikanischen Lurch schon vor dem Projekt? Ich habe natürlich von ihm und seinen unglaublichen Fähigkeiten der Regeneration gehört. Aber wenn Sie mich gebeten hätten, einen Axolotl zu zeichnen – dann weiß ich nicht, ob ich etwas aufs Papier bekommen hätte, was als mexikanischer Lurch erkannt worden wäre. Dabei sieht er ganz putzig aus. Da muss ich Ihnen recht geben. Waren Sie überrascht, als Sie von den Überlegungen der alamedics erfuhren? Das war ich in der Tat. Aber ich finde sie sehr interessant. Ist es denn ungewöhnlich, dass man versucht, sich in der Tierwelt etwas für die Medizin abzuschauen? Nein, überhaupt nicht. Wir versuchen ja ständig, von der Natur zu lernen und zu analysieren, was man davon vielleicht auf den Menschen übertragen könnte. Dazu gehört auch, die Regeneration von Amphibien zu untersuchen. Wie funktioniert das? Lässt sich davon etwas in der Medizin anwenden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns intensiv. Und? Sind die Erkenntnisse über den Axolotl relevant? Um das abschließend beurteilen zu können, ist es noch zu früh. Aber die ersten Forschungs-ergebnisse finde ich wirklich spannend, es lohnt sich auf jeden Fall, die Sache weiterzuverfolgen. Aber gerade bei der Entwicklung von medizinischen Produkten benötigt man einen sehr langen Atem – und Beharrlichkeit, um auch Rückschläge wegzustecken. Wie nötig hat die Medizin denn Fortschritt beim Thema Wundheilung? Prinzipiell ist der Entwicklungsstand in diesem Bereich auf einem guten Niveau. Aber ein Problem bekommen wir in diesem Bereich bisher noch nicht so richtig in den Griff.

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Welches? Die chronischen Wunden. Sie entstehen vor allem bei Durchblutungsstörungen, die den Heilungsprozess der Wunden einschränken. Durch die Hautzerstörung kommt es dann dazu, dass sich die Wunde immer wieder infiziert. Dadurch wiederum wird die Regeneration erneut erschwert. Kurzum: Sie geraten unter Umständen in einen Teufelskreis. Können Sie nichts dagegen tun? Es gibt schon Möglichkeiten. Wir können das zerstörte Gewebe entfernen, um die Wunde aufzufrischen. Bei größeren Wunden führt man Hauttransplantationen durch. Sind die Ärzte im Alltag häufig damit konfrontiert? Wesentlich häufiger als früher. Woran liegt das? Schlicht und ergreifend an der Demografie. Durchblutungsstörungen kommen vor allem bei älteren Menschen vor – und unsere Gesellschaft wird immer älter. Und der Axolotl kann helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen? Das ist zum derzeitigen Zeitpunkt schon sehr optimistisch gedacht. Aber seine Fähigkeiten zur kompletten Regeneration aller Gliedmaßen und Organe sind faszinierend – wenn wir daraus etwas für den Menschen ableiten könnten, wäre das eine großartige Entwicklung. Ist es nicht verblüffend, dass ausgerechnet eine Firma aus Dornstadt auf die Idee mit einem mexikanischen Lurch gekommen ist? Auf den ersten Blick vielleicht schon. Auf den zweiten nicht mehr? Eigentlich nicht. Wir leben und arbeiten hier in einer Innovationsregion, in der es sehr viele kluge Köpfe gibt. Und gerade in der Medizinentwicklung sind wir sehr gut aufgestellt. Das wird Sie als Leitenden Ärztlichen Direktor der Universitätsklinik Ulm bestimmt freuen. Das tut es in der Tat. Wir sind stark in der klinischen Forschung engagiert, dabei ist die Medikamentenentwicklung ein Schwerpunkt. Da ist es natürlich praktisch, wenn Ihre Kooperationspartner quasi vor der Haustür sind. Das erleichtert viele Dinge ungemein. Dementsprechend interessiert werden Sie auch das Axolotl-Projekt verfolgen. Ganz sicher sogar. Zum einen, weil ich sehr gespannt auf die Entwicklung bin. Und zum zweiten hat dieser Lurch in den letzten Wochen durchaus meine Sympathien gewonnen (lacht).

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Zur Person: Prof. Dr. Reinhard Marre ist Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Ulm. Er war Gründungsmitglied des bundesweiten medizinischen Kompetenznetzwerkes „Pneumonie“ (CAPNETZ). Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer und des Herausgebergremiums des International Journal of Medical Microbiology. Außerdem ist Prof. Dr. Marre noch Mitglied im Beirat des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) und des Aufsichtsrates der Oberschwabenklinik, Ravensburg.

alamedics GmbH & Co. KG Dr. Christian Lingenfelder Hauffstraße 21 89160 Dornstadt [email protected] http://www.alamedics.de/

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