Innovative Produktpolitik durch virtuelle Communities? Empirische Ergebnisse aus einem Forschungsprojekt Tagung der Kommission Umweltwirtschaft im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft „Innovationen für Nachhaltige Entwicklung“ PD Dr. Martin Müller Prof. Dr. Achim Spiller
Oldenburg, 22. September 2005
Gliederung Grundlagen zur interaktiven Innovationsforschung Die virtuelle Community von Naturkost.de Design und Ergebnisse der Befragung Chancen und Grenzen einer innovativen ökologischen Produktentwicklung im Lebensmittelbereich
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Zielstellung Im Mittelpunkt unseres Beitrages steht die Frage, inwieweit sich virtuelle Communities für eine innovative ökologische Produktentwicklung, -vermarktung und -nutzung im Lebensmittelbereich einsetzen lassen Dies soll anhand einer empirischen Untersuchung bei Naturkost.de diskutiert werden
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Modelle interaktiver Innovationsforschung
Hersteller-Nutzer-Modelle
Der Lead User Ansatz
Innovation Communities
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Hersteller-Nutzer Modelle
Customer-active-Paradigm (Hippel 1988) Innovationsaktivitäten werden weitgehend von den Kunden geleistet Bedarfserkennung, die Erfindung, der Bau und Test eines Prototypen, Verbreitung von Informationen über die Funktionsfähigkeit der Innovation Investitionsgüterbereich
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Ansatz „fortschrittlicher Kunden“
Kunde als „Innovationsberater“ (Lüthje 2000 ) „functional fixedness“ Kundenmerkmale: „neue Bedürfnisse“, „Unzufriedenheit“ ,„Verwendungswissen“, „Objektwissen“ Voraussetzungen für die Branche Kundenanforderungen entwickeln sich mit hoher Geschwindigkeit weiter „High-Involvement-Güter“: Verbraucher versprechen sich von Verbesserungen einen hohen Nutzen Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Das Lead User Modell Identifizierung und Einbindung engagierter Kunden in den Innovationsprozess Rollen: Bedürfnis- und Problemformulierer, Erfinder und Ideengeber Lead User Ansatz wird seit den 90er Jahren erfolgreich im Konsumgüterbereich angewendet (Franke/Shah 2002; Ernst/Soll/Spann 2004) Lead User verspüren Bedürfnisse wesentlich früher als die Masse der Kunden profitieren in starkem Maße von Innovationen sind mit existierenden Angeboten unzufrieden. Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Innovation Communities „Eine Gemeinschaft von gleich gesinnten Akteuren, oft aus mehreren Unternehmen und verschiedenen Institutionen, die sich aufgabenbezogen zusammenfinden und ein bestimmtes Innovationsvorhaben vorantreiben.“ (Gerybadze 2003) Drei Gruppen:
Forschungsbasierte Innovation Communities Anwenderinduzierte Innovation Communities Innovation Communities im Bereich Fertigungsund Prozesstechnik
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Naturkost.de Da die einzelnen Bio-Händler und -Hersteller für eine eigenständige Online-Community zu klein sind, wurde Naturkost.de als Branchenlösung implementiert Durchschnittlich 180.000 Besuchern pro Monat Module: Chat, Forum, Mailservice, Rezept-Gruß, Newsletter, Tauschbörse, Jobbörse, Linkempfehlungen Forum zeigt mit 251 Themen (23.07.04) eine außergewöhnlich hohe Interaktion im Vergleich zu anderen Foren im Lebensmittelbereich
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Naturkost.de
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Zielgruppen für Bio Zielgruppen für Bio-Lebensmittel im Einzelhandel
NichtKäufer
Selten- und Gelegenheitskäufer im LEH
Intensivkäufer im LEH
Ca. 35 % des Bio-Umsatzes = 1-2 % des LEH-Umsatzes
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Kunden des Naturkostfachhandels
Ca. 35 % des Bio-Umsatzes
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Zielgruppen im LEH Zielgruppen für Bio-Lebensmittel im Einzelhandel
NichtKäufer
Selten- und Gelegenheitskäufer im LEH
Intensivkäufer im LEH
Ca. 35 % des Bio-Umsatzes = 1-2 % des LEH-Umsatzes
Ca. 30 Prozent der Bevölkerung Genießen und Gesundheit (20 %) Fittnes, Convenience + Functional (10 %) Wenig Wissen Persönliche Kaufmotive dominieren Tierschutz als zentrales altruistisches Motiv Kaufverunsicherung und geringe Preisbereitschaft Bildung und Einkommen etwas höher
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Kunden des Naturkostfachhandels
Ca. 35 % des Bio-Umsatzes
Ca. 4-5 Prozent der Bevölkerung Kritisch-bewusst Umfassendes Ernährungsinteresse Höheres Wissen, geringe Markenbindung Lebensbrüche und –krisen als Impulse Altruistische Kaufmotive gewinnen Geringere Discountorientierung Einkommen und Bildung sehr hoch
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Zielgruppen des Fachhandels Zielgruppen für Bio-Lebensmittel im Einzelhandel
NichtKäufer
Selten- und Gelegenheitskäufer im LEH
Intensivkäufer im LEH
Ca. 35 % des Bio-Umsatzes = 1-2 % des LEH-Umsatzes
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Kunden des Naturkostfachhandels
Ca. 35 % des Bio-Umsatzes
Ca. 4-5 % der Bevölkerung Hohe Einkaufsintensität Hohes Wissen Milieubindung nimmt ab Umweltschutzmotive sind wichtig Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Ausgangsfrage Lebensmittel typischer Low-Involvement-Produkt Bio-Lebensmittel = High-Involvement?
Ernährungsbedingte Krankheiten Kleinkinder Preislage Hohes wahrgenommenes Kaufrisiko
Reicht das Involvement zur Integration der Käufer in den Innovationsprozess aus? Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Nutzerdaten und Nutzungsverhalten Die folgende Untersuchung wurde in Form einer Online-Befragung von 393 Nutzern der Seite www.naturkost.de im März 2003 durchgeführt Die Website Naturkost.de wird von vielen Nutzern (24 %) etwa einmal pro Woche genutzt. Jeweils etwa 20 % nutzen die Seite 23 Mal pro Woche bzw. 2-3 Mal pro Monat. Täglich nutzt die Website kaum einer der Befragten Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Kundenanforderungen und Kundenzufriedenheit bei Naturkost.de 1 Allg. Informationen Naturkost
2
3
4
5
6
zu
Naturkost Nachrichten Rezepte (Auswahl) Rezepte (Qualität) Forum Adressen (Läden/Anbieter) Adressen (Urlaub/Seminare) Mittelwerte der Wichtigkeit Mittelwerte der Beurteilung Quelle: Eigene Erhebung, n=393 Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Faktorenanalyse der Nutzeranforderungen Beschreibung des Faktors Faktor 1 NUTZEN Unmittelbar nutzbare Informationen im Bereich Naturkost Faktor 2 INFORMATIONEN Generelle Hintergrundinformationen zu Naturkost
Faktorbestimmende Variablen •Rezepte •Einkaufsadressen •Adressen von Urlaubs- und Seminaranbietern •Allgemeine Informationen über Naturkost •Naturkost-Nachrichten •Serviceangebot
Faktor 3 INTERAKTION UND UNTERHALTUNG •Schrot und Korn (Online Version) Unterhaltung und Interaktivität rund um •Forum/Austausch mit anderen Nutzern Naturkost Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Typologie der Online-Nutzung Clusteranalyse auf Basis der Faktoren Ziel: Nutzerprofile und Identifikation der High-Involvement-User
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Gruppe 1: Nachrichten- und Informationsorientierte (42 %) Größte Gruppe Hoher Wert auf Informationen sowie auf „Service“. Bedeutung anderen Angebote niedriger Insgesamt ist die Zufriedenheit mit den Elementen durchschnittlich. Nicht geeignet für einen Lead-User Ansatz
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Gruppe 2: Nutzenorientierte (8 %) Kleine Gruppe Bewertet nur diejenigen Funktionen als wichtig, die ihnen einen unmittelbaren Nutzen liefern (Rezepte, Adressen von Läden/Anbietern). Gruppe ist insgesamt unzufrieden mit der Qualität des Angebotes. Orientiert auf passive Informationen Nicht geeignet als Lead User
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Gruppe 3: Hoch-Involvierte (34 %) Große Gruppe Zeichnet sich durch überdurchschnittliches Interesse aus Jede Kategorie wird wichtiger eingestuft als von den übrigen Befragten Zufriedenheit ist deutlich höher als bei den anderen Gruppen Bringt wesentliche Voraussetzungen wie eine hohe Bedürfnisorientierung sowie ein umfassendes Verwendungs- und Objektwissen mit Diese Gruppe könnte als Lead User fungieren Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Gruppe 4: Interaktions- und Unterhaltungsorientierte (16 %) Diese Gruppe legt weniger Wert auf den Informationsgehalt der Seite. Diese Probanden möchten selber aktiv werden und sich mit anderen Nutzern austauschen. Diese Nutzergruppe weist zwar auch ein hohes Potenzial für einen interaktiven Austausch auf, allerdings steht inhaltlich die Unterhaltung im Vordergrund und eben nicht das Produktinvolvement. Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Aktionsforschung zur Überprüfung der Dialogintensität Ziel: Nutzungsintensität erhöhen Maßnahmen zur Erhöhung des Involvements: initiierten Beiträge, externe Fachleute, Benefits, provokante Thesen Kommunikation erfolgte stets sehr einseitig und dauerte nur kurz an Von den Nutzern werden eher Antworten auf fachliche Fragen gesucht, dann aber kein weiterer Bedarf zur Kommunikation Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Schlussbetrachtung Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Virtuelle Communities über ein beachtliches Verbreitungspotenzial verfügen. Die Ansprache der hochinvolvierten Nutzer gelingt bisher jedoch nur begrenzt Erklärung für diese Diskrepanz: Bio-Kunden teilen sich in einzelne Gruppen mit sehr unterschiedlichen Lebensweisen, Interessen, Bedürfnissen und Ansichten. Dies ist einerseits Chance, um individuell auf die ausdifferenzierten Kundenwünsche einzugehen und frühzeitig Trends zu erkennen, andererseits muss darauf bei der Gestaltung der Foren eingegangen werden. Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Ernährungsstile im Modell der sozialen Milieus Oberschicht / Obere Mittelschicht
Sinus B1
1
Etablierte 10%
Sinus A12
Sinus B12
Konservative 5%
Mittlere Mittelschicht
Postmaterielle 10%
Moderne Performer 8%
Sinus B2
2
Trad Sinus A23 Traditionsverwurzelte 15%
Untere Mittelschicht / Unterschicht
Sinus C12
Bürgerliche Mitte 16%
Sinus AB2
ition
DDRNostalgische 6%
al
Foo
Sinus C2 Experimentalisten 7%
d Sinus BC3
3
Sinus B3 Konsum-Materialisten 11%
Hedonisten 11%
© Sinus Sociovision 2002
Soziale Lage Grundorientierung
A
B
C
Traditionelle Werte
Modernisierung I
Modernisierung II
Pflichterfüllung, Ordnung
Konsum-Hedonismus und Postmaterialismus
Patchworking, Virtualisierung
Quelle: 3SC Trend- und Milieuforschung 2001, Basis = 2.047 Fälle Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte
Kontakt PD Dr. Martin Müller Universität Oldenburg Uhlhornsweg 49 – 55 D-26111 Oldenburg Telefon: +49 441 798 4187 E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Achim Spiller Georg-August-Universität Göttingen Platz der Göttinger Sieben 5 37073 Göttingen Tel.: 0551 / 39-2399/9897 (Sekr.) E-Mail:
[email protected]
Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg Institut für Betriebswirtschaftslehre Fachgebiet Produktion und Umwelt
Georg-August-Universität, Göttingen Institut für Agrarökonomie Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte