INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG... S. 3

INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG.................................................................................................... S. 3 2. BIOGRAPHI...
Author: Elke Albert
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INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG.................................................................................................... S. 3 2. BIOGRAPHIE DES AUTORS......................................................................... S. 4

2.1 Kurzbiographie bis 1972....................................................................................S. 4 2.2 Politische Ereignisse und Hetzkampagnen gegen Böll..................................... S. 6 2.2.1. Skandal um die Erzählung „Nicht nur zur Weihnachtszeit“.........................S. 6 2.2.2. Hetzkampagnen gegen Böll im Zusammenhang mit der RAF

und andere Ereignisse der 70-er Jahre........................................................... S. 7

3. DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM............................... S. 11 3.1. Informationen zur Entstehung und Veröffentlichung der Novelle................... S. 11 3.2. Inhalt der Novelle............................................................................................. S.12

3.3. Das Motiv der Erzählung.................................................................................. S. 13 3.4. Literarische Vorbilder.......................................................................................S. 15

3.5. Charakterisierung der Hauptpersonen...............................................................S. 16 3.6. Struktur des Textes........................................................................................... S. 18 3.6.1. Titel, Untertitel, Motto...................................................................................S. 18

3.6.2. Der Text......................................................................................................... S. 19 3.7. Die Erzählerperspektive und Gattung...............................................................S. 20

3.8. Sprachlicher Aspekt des Werks........................................................................ S. 22 3.9. Persönlicher Kommentar.................................................................................. S. 26 3.10. Verfilmung, Theaterfassung und Oper........................................................... S. 30 3.11. Zur Rezeption Bölls Erzählung...................................................................... S. 31

4. FÜRSORGLICHE BELAGERUNG................................................................S. 34 4.1. Informationen zur Entstehung des Romans...................................................... S. 34

4.2. Inhalt des Romans.............................................................................................S. 34

4.3. Das Motiv des Romans..................................................................................... S. 36

4.4. Charakterisierung der Hauptpersonen...............................................................S. 37 4.4.1. Fritz Tolm...................................................................................................... S. 37 4.4.2. Bleibl..............................................................................................................S. 38

4.4.3. Tolms Familie und Bekannte......................................................................... S. 39 1

4.5. Struktur und Erzählerperspektive des Textes................................................... S. 40

4.6. Bölls Erzählstil..................................................................................................S. 41 4.7. Der umweltzerstörende Gesellschaftsfortschritt und die Entfremdung

des Menschen in „Fürsorgliche Belagerung“................................................... S. 42

4.8. Das Thema „Terrorismus“ in „Fürsorgliche Belagerung“................................S. 44

4.9. Persönlicher Kommentar.................................................................................. S. 45 4.10. Heinrich Böll selbst über „Fürsorgliche Belagerung“.................................... S. 47

5. DU FÄHRST ZU OFT NACH HEIDELBERG.............................................. S. 50

5.1. Das Problem des Textverständnisses................................................................ .S. 50 5.2. Historischer Hintergrund der Erzählung...........................................................S. 50

5.3. Inhalt der Erzählung und Charakterisierung der Hauptperson......................... S. 52

5.4. Interpretation.....................................................................................................S. 53 6. NACHWORT..................................................................................................... S. 55 7. LITERATURVERZEICHNIS..........................................................................S. 56 8. RESÜMEE..........................................................................................................S. 59

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1. EINLEITUNG Heinrich Böll ist nicht nur einer der meistgelesenen und meistkommentierten

Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, sondern auch einer der umstrittensten. Die Ursache dafür liegt in kontinuierlicher Einmischung Bölls in die politischen

Auseinandersetzungen seiner Zeit. Die politische Kultur der Bundesrepublik wurde

über viele Jahre hinweg auch geprägt durch die Böll-Debatten. Politische Hintergründe spielen eine große Rolle in Bölls Werken, die in sich immer die Aktualität der Zeit widerspiegeln.

Meiner Diplomarbeit habe ich die Bezeichnung Bölls bedeutendsten Werke nach

1972 gegeben. Der Grund dafür ist folgender: in das Jahr 1972 fällt ein großes Ereignis

in Bölls Leben – die Verleihung des Nobelpreises für die Literatur, genauer für das Werk Gruppenbild mit Dame. Danach folgten drei große erzählerische Werke: 1974 die

Novelle Die verlorene Ehre der Katharina Blum, und die Romane Fürsorgliche

Belagerung, 1979 und Frauen vor Flusslandschaft, 1985.

Der zuletzt genannte Roman, kurz vor Bölls Tod veröffentlicht, entwirft in einer

Folge von zwölf szenisch angelegten Kapiteln ein pessimistisch-resignativ gestimmtes Porträt der heutigen Bundesrepublik und ihrer Hauptstadt. Er weist eine ganz andere

Charakteristika auf als die zwei anderen genannten Werke und gilt als letzter Bilanzversuch Böllschen Denkens. Für die Zwecke meiner Arbeit habe ich mir die

Werke ausgewählt, die ähnliche Erzählstrategien haben und in denen man mehrere

Anknüpfungspunkte finden kann, in denen sich außerdem auch die Stimmung der Zeit und Bölls Erlebnisse äußert. Darum lasse ich Bölls letzten Roman beiseite.

Meiner Untersuchung unterstelle ich auch die kurze Erzählung Du fährst zu oft nach

Heidelberg, erschienen 1977, in der sich ein spezifisches politisches Ereignis der

siebziger Jahre verbirgt und die Interpretation von Die verlorene Ehre der Katharina Blum und Fürsorgliche Belagerung lässt uns diese verschlüsselte Situation enthüllen.

3

2 BIOGRAPHIE DES AUTORS 2.1. Kurzbiographie bis 1972 Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in Köln als Sohn eines katholischen

Schreiners und Bildhauers Viktor Böll geboren. Er stammte aus dessen zweiter Ehe.

Von 1924 bis 1928 besuchte er die katholische Volksschule in Köln und wechselte dann auf das staatlich humanistische Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Köln, wo er auch

sein Abitur ablegte. 1937 fing er eine Buchhändlerlehre in Bonn an, die er nach kurzer Zeit wieder abbrach. Er wurde nämlich 1938 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen.

Im Sommer 1939 immatrikulierte sich Böll für ein Studium der Germanistik und

Klassischen Philologie an der Universität zu Köln, wurde aber bereits im Herbst 1939

zur deutschen Wehrmacht einberufen. Bis 1945 kämpfte er, zuletzt als Obergefreiter, an mehreren Kriegsfronten – in Frankreich, Rumänien, Ungarn in der Sowjetunion und im

Rheinland. Er erkrankte an Typhus und wurde mehrfach verwundet. 1945 wurde er kurzzeitig in amerikanischen und britischen Lagern interniert.

Während eines Fronturlaubs im März 1942 heiratete er seine Jugendliebe Annemarie

Cech. Seine Söhne Raimund, René und Vincent wurden in den Jahren 1947, 1948 und

1955 geboren. Der erste Sohn Christoph starb in seinem Geburtsjahr 1945, der zweite Sohn Raimund starb 1982 an Krebs.

Seit 1946 setzte Böll das Studium der Germanistik in Köln fort. Zu dieser Zeit

begann

seine

intensive

schrifstellerische

Tätigkeit:

erste

Kurzgeschichten

veröffentlichte er im Jahre 1947: Aus der Vorzeit, Die Botschaft und Der Angriff in der

Zeitung Rheinischer Merkur und den avantgardistischen Zeitschriften Der Ruf und Karussel.

1949 veröffentlichte Böll sein erstes Buch mit der vom Kriegserleben geprägten

Erzählung Der Zug war pünktlich. Die Jahre nach 1950 bildeten die schöpferischste

Phase von Heinrich Böll. Dies beweisen die vielen Werke, die Böll hervorbrachte, z.B.: Wo warst du, Adam? 1951, Und sagte kein eiziges Wort 1953, Haus ohne Hüter 1954,

Irisches Tagebuch 1957, Doktor Murkes gesammeltes Schweigen und andere Satiren 4

1958, Billiard um halb zehn 1959, Ansichten eines Clowns 1963 und Ende einer

Dienstfahrt 1966.

In diese Zeit fällt aber auch eine Kontroverse, die als Böll und die schwarzen Schafe

im Münchner Merkur am 9. November 1953 Furore machte. Folgendes war geschehen:

Am 6. November 1953 fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe Münchener Gespräche (Initiator war der Buchhändler Ernst Ludwig) in der Scholastika ein Abend statt, an dem Böll zum Thema „Thesen zur jüngeren deutschen Literatur referierte“. Böll

attackierte dabei die ältere Generation der Literaten, vornehmlich Hermann Kesten. Unter den Anwesenden braute sich eine gewisse Gewitterstimmung zusammen, die

Heinrich Eduard Jacob durch bewusst bedachte und kluge Worte zu „verflüchtigen“ wusste. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 9. November 1953, dass „Ein müder

Dreißiger (Böll) und ein frischer Sechziger (Jacob)“1 aufeinander getroffen seien. In

seiner aufrechten und selbstkritischen Art freute sich Böll kurz vor seinem Tod über die

„Erinnerung an Jugendsünden“ und bemerkte: „Das war einer meiner ersten kläglichen

Auftritte!“2

Als Zentralthema für seine Bücher zu dieser Zeit nimmt sich Böll die Erfahrung des

Krieges und gesellschaftliche Fehlentwicklungen der Nachkriegszeit in Deutschland.

1967 wurde ihm der Georg Büchner Preis der Deutschen Akademie für Sprache und

Dichtung verliehen. 1969 folgte dann die Wahl zum Präsidenten des deutschen PENZentrums. Kurze Zeit danach wurde er auch zum internationalen Präsidenten des PENClubs gewählt. Das blieb es bis 1974.

1971 wurde sein Roman Guppenbild mit Dame veröffentlicht, der später verfilmt

wurde.

Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie: http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_BA 2 ebda. 1

5

2.2. Politische Ereignisse und Hetzkampagnen gegen Böll 2.2.1. Skandal um die Erzählung Nicht nur zur Weihnachtszeit 1972 sorgte Heinrich Böll für einen innenpolitischen Skandal. Diesem gingen noch

einige Ereignisse vor. Es hatte zu Weihnachten 1953 begonnen. Der Nordwestdeutsche Rundfunk hatte Bölls satirische Erzählung Nicht nur zur Weihnachtszeit gesendet und in der Ansage deutlich zu verstehen gegeben, dass mit dieser Geschichte von „Tante

Milla, die jahraus, jahrein nur noch unterm Christbaum und mit Weihnachtsgebäck zu

leben gewillt ist, der „Falschmünzcharakter einer restaurativen Epoche angeprangert werden sollte.“3 Böll verteidigte sich kurz und bündig: es ginge ihm „nicht darum, die

christliche Weihnachtsbotschaft zu diffamieren, ganz im Gegenteil: Es ging mir um den unerträglichen äußeren Betrieb, der darum gemacht wird, der jedem menschlichen

Gefühl widerspricht und der um des Geschäftes willen gemacht wird. Mit dem deutschen Gemüt lässt sich ein großartiges Geschäft machen ....“4

Böll berief sich zum Thema deutsches Gemüt auf die Verwandtschaft der

Sentimentalität und Brutalität und auf einen kinder- und tierlebenden, pflichtbewussten

KZ-Aufseher, den sein Gemüt am Morden nicht hinderte. Damit waren Fronten aufgerissen. Eigentlich war Böll in die Rolle gedrängt worden, wie die Hauptfigur einer zwanzig Jahre später geschriebenen Geschichte, Katharina Blum.

Dank seiner Prominenz konnte jedoch Böll die Hetzkampagnen durchstehen und hat

diese sogar zu mehreren Zielen eingesetzt: er trat für die revoltierenden Studenten ein, protestierte im Vietnam-Krieg gegen die brutale Kriegspolitik Richard Millhouse Nixons, äußerte seine Sympathie für tschechoslowakische Demokraten. Das alles waren

Aktionen, die durch Bölls Namen Gewicht erhielten. Die bedeutendste dieser öffentlichen Aktionen war Bölls Eintreten für die SPD und insbesondere für die Kandidatur Willy Brandts zum Bundeskanzler 1969.

3 4

Böll, Heinrich: Werke. Essayistische Schriften und Reden 1-3, S. 602. Ebda, S. 77.

6

2.2.2. Hetzkampagnen gegen Böll im Zusammenhang mit der RAF und andere

Ereignisse der 70-er Jahre

An dieser Stelle sollen nähere Informationen über die RAF gegeben werden, bevor

ich mich der konkreten Hetzkampagne gegen Böll widme. Diese Abkürzung RAF

bedeutet eigentlich DIE ROTE ARMEE FRAKTION und war die bekannteste dem Linksterrorismus

zugeordnete

Untergrundorganisation

in

der

Geschichte

der

Bundesrepublik Deutschland. Ursprünglich gründete sich die RAF 1970 um Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler, Ulrike Meinhof und andere. In ihrem Selbstverständnis betrachtete sich die Gruppe als kommunistische Guerilla. Die RAF

wollte nach dem Vorbild südamerikanischer Widerstandskämpfer den bewaffneten

Kampf als „Standguerilla“ gegen das „System“, den herrschenden kapitalistischen Staat und den US-Imperialismus aus dem Untergrund führen und damit den internationalen Befreiungskampf stärken. In den Medien, ausgehend von den Publikationen des Axel

Springer-Verlags wurde die RAF oft als „Baader-Meinhof-Gruppe“ oder als „BaaderMeinhof-Bande“ bezeichnet.

Kehren wir aber zurück zum Jahre 1972, als die Hetzkampagne gegen Böll ihren

Höhepunkt erreichte. Am 23. Dezember ist in der Bild die Schlagzeile zu einem Bericht

über einen Bankraub in Kaiserslautern unter dem Namen „Baader-Meinhof-Bande mordet weiter“ erschienen, obwohl eine Beteiligung von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Holger Meins oder Jan Carl Raspe nicht erwiesen war. Bölls Reaktion darauf erschien in einem Essay für den Spiegel unter dem Titel „Will Ulrike

Meinhof Gnade oder freies Geleit?“, wo er für einen menschlichen Umgang mit den Terroristen der RAF plädierte und

in diesem

Zusammenhang scharf

die

Berichterstattung der Springer-Presse angriff: „Ich kann nicht begreifen, dass irgendein Politiker einem solchen Blatt noch ein Interview gibt.“5

Er sprach die Befürchtung aus: „Ulrike Meinhof muss damit rechnen, sich einer totalen Gnadenlosigkeit ausgeliefert zu sehen.“6 Daraufhin antwortete Bild am 11. Januar 1972, indem sie Böll mit jenen Nazi- und SED-Chefideologen verglich.

5 6

Ebda, S. 545. Ebda, S. 547.

7

Am 1. Juni 1972 wurde Bölls Landhaus in der Eifel umstellt, Polizei fahndete nach

Terroristen, Hausgäste Bölls mussten sich ausweisen. Am 7. Juni debattierte der

Bundestag über innere Sicherheit, und der CDU-Abgeordnete Friedrich Vogel erklärte die Bölls zu „Helfershelfern der Terroristen“. Konservativen Kreisen galt er seitdem als

geistiger Sympathisant des Terrorismus. Die CDU/CSU bezeichnete ihn sogar als „Ziehvater des Terrorismus“. Sämtliche Sicherheitsmaßnahmen der Bundesrepublik wurden verstärkt. Trotz alle dem reiste er nach Griechenland und Israel. Im gleichen

Jahre, 1972, wurde ihm auch der Nobelpreis verliehen. An dieser Stelle zitiere ich etwas aus seiner Rede zu dieser festlichen Angelegenheit:

„Gestatten Sie mir, die Tatsache, dass ich hier stehe, für nicht so ganz wahr zu halten,

wenn ich zurückblicke auf den jungen Mann, der da nach langer Vertreibung und

langem Umhergetriebensein in eine vertriebene Heimatstadt zurückkehrte; nicht nur dem Tod, auch der Todessehnsucht entronnen. ....Danken möchte ich auch für viel

Ermutigung durch deutsche Freunde und deutsche Kritiker, danken auch für viele Versuche der Entmutigung, denn manches geschieht ohne Krieg, nichts aber, so scheint

mir, ohne Widerstand.“7

Böll unterstützte Kernkraftgegner und Friedensbewegungen. Heinrich Böll litt sehr

unter der Rufmordkampagne der konservativen Kräfte der Bundesrepublik. 1974

erschien sein wohl bekanntestes Werk, Die verlorene Ehre der Katharina Blum, welches ein Beitrag zur Gewaltdebatte der 70-er Jahre darstellt und sich insbesondere kritisch mit der Springer-Presse auseinandersetzt.

Böll setzte sich auch für die sozialen Ansprüche der Schriftsteller sowie für

verfolgte Kollegen ein. Obwohl ihm die Hetzkampagnen mangelnde Solidarität mit

dissidierenden Sowjet-Schriftstellern vorwarfen, sprach Bölls Freundschaft mit Alexander Solschenizyn und Lew Kopelew für sich.

Aus Heinrich Bölls Homepage: www.heinrich-boell.de/ 7

8

1973 erhielt Böll die Ehrendoktorwürde dreier Universitäten in Dublin, Birmingham

und Uxbridge. 1974 nahm er den aus der Sowjetunion ausgewiesenen Alexander Solschenitzyn in seinem Landhaus in der Eifel auf. Böll reiste viel in die Sowjetunion.

Im Jahre 1974, nach der Erschießung des Berliner Kammergerichtspräsidenten

Günther von Drenkmann durch Terroristen, erreichte die gegen Böll gerichtete Hetze neue Gipfel. Böll hätte nach der Äußerung von Matthias Walden im ARD-

Spätkommentar zu denen gehören, die den Ungeist der Sympathie mit den Gewalttätern gedüngt hätten. Daraufhin strengte Böll einen Prozeß an, der vom Kölner Landgericht durch zwei weitere Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht lief und nach achtjähriger

Dauer

zur

Persönlichkeitsverletzung führte.

Verurteilung

des

Kommentators

wegen

Eine andere verleumderische Äußerung, nur wenig Wochen später, stammte vom

Fraktionschef der Berliner CDU, Heinrich Jodokus Lummer. Es ging um die Ehren

Bölls und Helmut Gollwitzers, denen beiden von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl von Osietzky-Medaille verliehen worden war. Gegen diese konnte jedoch Böll nicht prozessieren, weil deren Initiator Immunität besaß.

Drei Jahre später drangen die Vorwürfe in Bundestagsdebatten über die innere

Sicherheit ein, was sich ganze deutlich in Bölls letztem Roman Fürsorgliche Belagerung, erschienen 1979, widerspiegelt. Darüber werde ich später noch mehr

Auskunft geben.

Bölls letzte Fahrt in die Sowjetunion war im Sommer 1979. Er besuchte noch einmal

Moskau,

Vladimir

und

Suzdal.

Der

Bundespräsident

wollte

ihm

das

Bundesverdienstkreuz verleihen, doch Böll lehnte es ab. Auf seiner Reise im Dezember

nach Ecuador musste er in Quito, wegen einer plötzlichen Gefäßerkrankung, am rechten Bein operiert werden, wobei er künstliche Adern eingesetzt bekam.

In den 70-er Jahren folgte noch ein wichtiges Ereignis: die Abwendung von der

Kirche. Ein Dorn im Auge war für Böll die Zahlung der Kirchensteuer. Er hielt es für

übertrieben, sogar für kriminell, dass die Leute in Deutschland der Kirche 10 Prozent

der Einkommensteuer oder der Lohnsteuer abzugeben haben, ganz automatisch. In 9

seiner Familie hat Böll früh erfahren, dass christlicher Glaube und die Amtskirche

nichts miteinander zu tun haben müssen. Kritik an einer Kirche, die an erster Stelle

Machtverlust fürchtet und sich bei den Mächtigen im Staat anbiedert, durchzieht das ganze Werk Bölls. Auch wird immer wieder Kritik an Menschen laut, die hinter einer

frommen Fassade Egoisten sind. An Gott selber hat jedoch Böll nie gezweifelt. Trotz seines Kirchenaustrittes im Jahre 1976 fühlte er sich der Gemeinschaft der Gläubigen

zugehörig, ganz ohne Kult und Dogmen. Es war ihm jedoch der nationale Unterschied, die deutsche Besonderheit des Katholizismus stets bewusst: „Wenn ich Schwede wäre,

Engländer, Italiener, Franzose, Pole, Ungar oder Norweger, katholisch hätte ich das nie getan; wär´s auch nicht nötig gewesen.“8

Koch, Werner: Heinrich Böll: Köln gibt´s schon, aber es ist ein Traum. In: Merian 12/32 (1979): Köln, S. 140. 8

10

3. DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM 3.1. Informationen zur Entstehung und Veröffentlichung der Novelle Dieser Erzählung setzte der Autor eigentlich die Form der Novelle ein. Sie ist 1974

zunächst im Wochenmagazin Der Spiegel, dann im Kiepenheuer & Witsch-Verlag erschienen. Die Erstauflage der Erzählung kam im Juli 1974 heraus. Seit Anfang Mai

häuften sich in der deutschen Presse Vorankündigungen und Mutmaßungen über die

„neue Erzählung von Böll.“ /Kölnische Rundschau, 4.5.1974/. Diese bereiteten den Markt gründlich vor. Auch die Veröffentlichung war durch ungewöhnliche

Begleitumstände gekennzeichnet: Zum ersten Mal seit seinem Bestehen veröffentlichte der SPIEGEL ein belletristisches Werk von Böll in vier Folgen. „Seine Erzählung ist

wieder skandalös. Darum drucken wir sie.“9/28.7.1974/

Außergewöhnlich war die publizistische Reaktion. Diese schien, mehr als der Text

selbst stärker zu sein. Die Kritiker glaubten sogar wegen ihrer Vorurteile, im Text Bombenleger und Terroristen zu entdecken,10 obwohl in dieser Erzählung gar nicht die

Rede von einem einzigen Terroristen ist. Sicher ist, dass der Ruf der Erzählung, ihr Image, für die Schlagzeilenpoetik der deutschsprachigen Presse bestimmend war. Nach

der Veröffentlichung wurden dem Autor viele Rezensionen zugeschickt, von denen die meisten in der Überschrift das Wort „Rache“ enthielten. Darunter wird die Rache an

der Affäre mit Baader-Meinhof-Artikel verstanden. Die Erlebnisse im Zusammenhang

mit dem „Baader-Meinhof-Artikel“ dienten zwar für einzelne Motive der Erzählung, aber Katharina Blum war nicht als „Rache an BILD“ konzipiert. Das sind ungewöhnliche Wirkungen des Textes.

In: Bernd, Balzer: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1997. S. 5. 10 Mehr dazu in: Die Welt, 16.8.1974. und Rhein-Neckar-Zeitung, 10./11.8.1974. 9

11

3.2. Inhalt der Novelle Heinrich Böll schildert diese Geschichte retrospektiv innerhalb von vier Tagen.

Formal gesehen geht es um eine Berichterstattung der Polizei. Die Zentralfigur des

Buches ist eine junge, hübsche Frau, Katharina Blum, geprüfte Hauswirtschafterin mit

Appartmentwohnung und Volkswagen, die durch Zufall zum Mittelpunkt der Sensationsgier einer Boulevardzeitung wird. Als sie am Abend vor Weiberfastnacht 1943 auf einer Karnevalparty den jungen Mann Ludwig Götten, einen von der Polizei

gesuchten Desserteur und Bankräuber, kennen lernt, verliebt sie sich auf den ersten Blick in ihn, ohne über seine Taten Bescheid zu wissen. Gemeinsam verbringen sie die Nacht in Katharinas Wohnung.

Am nächsten Tag stürmt die Polizei, die seit langem Götten gesucht hatte, in die

Wohnung. Katharina hatte jedoch in der Nacht Götten zur Flucht geholfen. Die

Polizisten finden im Gebäude also nur sie. Dies kommt ihnen verdächtig vor und deshalb wird Katharina verhaftet. Sie muss sich einer Reihe von willkürlich geführten,

unsachlich gehaltenen Verhören unterziehen und gerät in die Schlagzeilen der sensationshungrigen Boulevardpresse ZEITUNG.

Katharina wurde schon früher von ihrer Umgebung gelegentlich als „Nonne“

bezeichnet, weil sie sich männlichen Zudringlichkeiten grundsätzlich erwehrt hat. Sie war auch früher einmal unglücklich verheiratet und einer der Gründe, warum sie sich

von ihrem Mann getrennt habe, hänge damit zusammen, dass er eben nie zärtlich, sondern immer zudringlich gewesen sei. Diese Feindschaft gegen einige Männer wird

ihr auch bei den Verhören und von Menschen in ihrer Umgebung immer vorgeworfen. Um die Leser möglichst viel zu unterhalten, schreibt die ZEITUNG davon, dass Katharina ihren bescheidenen Ehemann Brettloh böswillig verließ, was in Wirklichkeit ein großer Unsinn ist.

Katharina erzählt beim Verhör alles bis ins Kleinste aus ihrem Leben. Es tauchen

merkwürdige Herrenbesuche auf. Merkwürdig deshalb, weil Katharina, wie oben genannt, allen unter dem Namen „Nonne“ bekannt war. Im nachhinein wird auch Else

W. und einige andere, die zufällig mit Götten an jenem besagten Samstagabend in

Kontakt getreten sind, verhört. Nichts von den vielen Aussagen kann jedoch erklären, 12

warum die fast fromme Katharina einen fremden Mann plötzlich mit nach Hause

nimmt. Die Vermutung der Polizei, Katharina gehöre einer anarchistischen Gruppe an, gibt der ZEITUNG die Möglichkeit, das Geschehen zu einer Story auszuweiten.

Außerdem wird jede Aussage Katharinas vollkommen verdreht, entstellt oder total

verfälscht. Das Verhör zieht sich bis zum Abend hin. Es wird von Kommissar Beizmenne durchgeführt. Nach dem abgeschlossenen Verhör darf Katharina wieder in

ihre Wohnung. Es erwarten sie in den folgenden Tagen anonyme Anrufe und

Drohbriefe. Auch von den Berichten der Zeitung bleibt sie nicht verschont. Der Schmutz-Kampagne der ZEITUNG schreckt nicht einmal vor Recherchen am Bett von

Katharinas schwerkranker Mutter zurück. Nachdem der skrupellose Reporter Tötges

Katharinas kranke Mutter im Krankenhaus aufgesucht und diese mit den Vorwürfen gegen ihre Tochte konfrontiert hat, stirbt noch diese Nacht.

In der gleichen Nacht wird auch Ludwig Götten im Landhaus von Alois Sträubleder,

zu dem Katharina einen Schlüssel hatte, verhaftet. Herr Sträubleder ist Mandant des

Herrn Blorna, bei dem Katharina angestellt wird. Sträubleder hatte Katharina einen Schlüssel zu seinem Zweithaus überlassen, wo Götten erreicht wurde.

Katharina, völlig verzweifelt, löst die Situation mit einer Gewalttat. Sie erschießt

den wegen eines Exklusiv-Interviews zu ihr gekommenen Tötges. Reue über ihre Tat kann Katharina nicht empfinden, ihr einziger Wunsch nach der Verhaftung ist, dort sein zu dürfen, wo auch ihr lieber Ludwig gefangen gehalten wird:

3.3. Das Motiv der Erzählung In Schreibweise und Motiv knüpft das Werk Die verlorene Ehre der Katharina

Blum an Bölls letzten Roman Gruppenbild mit Dame an. Es zeigt sich als deren

Fortsetzung. Heinrich Böll äußert sich dazu selbst:

„Ich empfinde jedes Buch als eine Erweiterung des Instrumentariums, der

Ausdrucksweise, der Komposition und auch einer gewissen Erfahrung, und insofern ist 13

dieses Buch (Gruppenbild), wie alles, was ich geschrieben habe – auch zwischendurch

kleinere Dinge, Aufsätze, Kritiken usw. – eine Fortschreibung. Der Prozess des Schreibens ist eine dauernde Fortschreibung.“11 Deutlich

wird

die

Ähnlichkeit

der

weiblichen

Hauptfiguren

in

ihren

Handlungsmotiven in Bölls weiteren Werken. Katharina (griechisch „die Reine“) wirkt auf den ersten Blick so sehr wie Leni Gruyten in Gruppenbild mit Dame. Die

Liebesgeschichte verbindet Katharina und Ludwig Götten mit einer langen Reihe verwandter Paare im Gesamtwerk des Autors, die in unterschiedlicher Weise mit

möglichst schwierigen Situationen konfrontiert sind. Die Nachkriegszeit macht die Situation schwierig für die Liebenden vieler Kurzgeschichten, mit denen Böll 1947

seine literarische Karriere begann. Liebe stellt Böll bewusst und geradezu demonstrativ anarchisch gegen die Herrschaftsstrukturen. Immer stehen Liebesgemeinschaften im

Kontrast zur gesellschaftlichen Konstitution der jeweiligen zeitgeschichtlichen Situation.

Natürlich müssen wir das Werk in seinem geschichtlichen Kontext betrachten. Böll

verarbeitet darin unter anderem seine Erfahrungen aus der Hetzkampagne der Bild-

Zeitung gegen ihn, nachdem er Anfang der 1970-er Jahre eine sachliche

Presseberichterstattung gegenüber der RAF gefordert hatte (siehe oben, Kap. 1b, 2). Die Erzählung ist ein Beitrag zur Gewalt-Debatte der 1970-er Jahre. Böll klagt in

diesem Werk die psychische Manipulation der Menschen durch die Gewalt von Worten und Schlagzeilen der Boulevardpresse an, die er am eigenen Leib erleben musste:

„Wir Autoren sind die geborenen Einmischer, wir mischen uns ein in die

Rechtsprechung und Kulturpolitik der Sowjetunion, der CSSR, Spaniens, Indonesiens, Brasiliens und Portugals, (...) Wir werden uns auch in die Volksrepublik China einmischen, in Kuba und Mexiko.“12

„Ich bitte um Einmischung in die Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland.“13 Böll schreibt in einem Interview im „Bücherjournal“ 19.10.1974:

Böll, Heinrich: Interviews. Bd. I. S. 120. Böll, Heinrich: Essayistische Schriften und Reden. Bd. III. S. 24. 13 Ebda, S. 25. 11 12

14

„Und was ich damit darstellen wollte, ist eigentlich das, was im Zusammenhang mit

der Baader-Meinhof-Auseinandersetzung die schreckliche Rolle des Professor Brückner war, eines Menschen, der in Berührung gekommen ist mit den Baader-

Meinhof-Leuten, der sie beherbergt hat, der eigentlich etwas ganz Selbstverständliches

getan hat und auf eine Weise zerstört worden ist in seiner psychischen Situation (...) da kommt der Einstieg in diese Problematik: Nicht direkt die Gruppe, sondern alle die Leute, die fast wie Aussätzige behandelt worden sind.“14/zitiert nach......./ Und im Oktober1976 schreibt er in: „Eine deutschen Erinnerung“:

„Katharina Blum ist mir sehr weit entrückt, weil diese Erzählung natürlich einen pamphletistischen Zug hatte, eine politische Aktualität, die nichts mit meiner

Autobiografie zu tun hat. Das war für mich ein Thema, das mich sehr lange beschäftigt hat. Die Denunzierung von Menschen durch Medien. Das ist ein altes Thema übrigens,

das ist ein uraltes Thema, im Grunde ein mythisches Thema, die Ehre eines Menschen, der sich nicht wehren kann, verletzt durch Klatsch, es ist ja im Grunde ein Klatschproblem.“15

3.4. Literarische Vorbilder Viele Kritiker unterstellen Böll die Ähnlichkeit mit Schillers Motiven im Werk: Der

Verbrecher aus verlorener Ehre. Von Schiller übernimmt er nach Rolf Michaelis, der Rezensent der ZEIT war, vier zentrale Motive:

„Den Handlungsantrieb verlorene Ehre wiederzugewinnen; die moralische Erkenntnis, der Verbrecher sei, wie Schiller sagt, ´ein Mensch ...wie wir´; die Verschiebung des

Akzents einer Kriminalgeschichte vom äußeren auf das innere Geschehen. (...) Derhistorische - Räuber Johann Friedrich Schwan, Sohn eines Gastwirts (...) wird, (...) was

auch Bölls Mörderin aus verlorener Ehre von Beruf ist: Hausknecht. Schließlich

Zit.nach: Balzer, Bernd: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1997. S. 16. 14

15

Ebda.

15

werden - bei Schiller und bei Böll – Gerichtsverhandlung und Urteilsspruch ausgespart.“16

Diese Hinweise auf Schiller wurden rasch aufgegriffen und verdichteten sich sogar zur Schlagzeile „Verbrecherin aus verlorener Ehre“17, obwohl das Böll selbst als ganz irrig betrachtet und sich als keinen Schillerianer bezeichnet.18

3.5. Charakterisierung der Hauptpersonen Die Hauptfigur in Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum wird von

verschiedenen Seiten unterschiedlich charakterisiert. Eine der ersten Einschätzungen der Roman-Heldin nimmt der Autor mit der Namensgebung vorneweg: Katharina kommt aus dem Griechischen und steht für „die Reine“, „die Geläuterte“. Blum verweist auf die „Blume“. Somit handelt es sich um eine „reine Blume“. Diese ist den

Gefahren der Umwelt ziemlich wehrlos ausgesetzt, was eine erste Interpretation ihrer späteren, blutigen Tat nahe legt, eine Handlung aus Hilflosigkeit und Verzweiflung. Zunächst einmal ist Katharina eine fleißige und strebsame Hausangestellte. Sie hat

ihren Mann nach nur einem halben Jahr Ehe verlassen, denn er sei eben nie zärtlich, sondern immer „zudringlich“ gewesen:

„Schon nach einem halben Jahr empfand ich unüberwindliche Abneigung gegen meinen Mann. Näheres möchte ich dazu nicht aussagen. Ich verließ meinen Mann und zog in die Stadt.“19

Ebda, S.18. In: Zürichsee Zeitung. 1.11.1974. 18 Mehr dazu: Gespräch Bölls mit M. Durzak. In: Bernd, Balzer: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1997. S. 18. 16 17

Heinrich Böll Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 24. 19

16

Im Verlauf der Erzählung erfährt Katharina weitere Charakterisierungen: positive

durch ihre Freunde (Woltersheim, Blornas), negative durch ihre Widersacher (Beizmenne, Tötges, Brettloh). Katharina wird distanziert beschrieben und hin und wieder als „Nonne“ bezeichnet. Ihre Tante sagt,

„sie sei immer ein fleissiges, ordentliches, ein bisschen schüchternes, oder besser gesagt: eingeschüchtertes Kind gewesen, als Kind sogar fromm und kirchtreu.“20

Ein nahezu konträres Bild von Katharina Blum zeichnet der ZEITUNGS-Reporter

Tötges: „Räuberliebchen“, „Mörderbraut“, „radikale Person“. Zudem stellt er

unzählige Behauptungen auf, die den ZEITUNGS-Leser dazu verleiten, sich ein

schlechtes Bild von Katharina zu machen: Sie sei „eiskalt“ und „berechnend“ und „eines Verbrechens fähig“. „Zärtlichkeiten eines Räubers und Mörders“ seien ihr

lieber als „Brettlohs unkomplizierte Zuneigung“. Sie habe „eine richtig nuttige Art“ und

sich „angesehenen Wissenschaftlern und Industriellen“ angeboten21

Katharina wird von der ZEITUNG ins Äußerste getrieben, deshalb wird sie sich ihrer blutigen Gewalttat zum Schluss nicht bewusst:

„Ich dachte natürlich auch an den Erschossenen da in meiner Wohnung. Ohne Reue, ohne Bedauern.“22

Tötges ist die Personifizierung der Skrupellosigkeit einer Boulevard-Zeitung. Für

eine reißerische Story „geht er über Leichen.“ Das wird deutlich, wenn er als

Anstreicher verkleidet und entgegen den Anweisungen des Spitalpersonals zum Krankenbett von Katharinas Mutter vordringt. Er schockiert die Kranke mit Aussagen über deren Tochter dermaßen, dass diese kurz darauf stirbt. Tötges schiebt die Schuld

„der kalten Tochter“ zu, die nach dem Ableben ihrer Mutter „nicht einmal geweint habe“23

Weitere publizistische Figuren werden in diesem Werk nur am Rande erwähnt. Es

wird nur von einem Lüding, der laut Sträubleder die Zeitung in der Hand hat, sowie Ebda, S. 86. Ebda, S. 55;155. 22 Ebda, S.188. 23 Ebda, S. 155. 20 21

17

dem Bildjournalisten Adolf Schönner kurz berichtet. Nicht erwähnt werden der

Chefredakteur und der Verleger der ZEITUNG. Dabei wäre interessant zu erfahren, inwiefern Tötges eigenmächtig oder gemäß den Anweisungen von Vorgesetzten und den Gesetzen herrschender Strukturen gehandelt hat.

3.6. Struktur des Textes 3.6.1. Titel, Untertitel, Motto Sollen wir die Struktur des Textes möglichst genau beschreiben, müssen wir beim

Titel, Untertitel und Motto beginnen.

Böll schreibt von der „Ehre der Katharina Blum“; er individualisiert und konkretisiert

den Ehrbegriff. Es ist ihre Ehre. Sie selbst muss ihre Ehre wiederherstellen. Im Unterschied zur spezifischen Ehre Katharinas wird „Gewalt“ im Untertitel allgemein

gefasst, mehr noch: Der Gewaltbegriff erscheint über das generelle Verständnis (der 70-er Jahre) hinaus erweitert. Der Begriff Gewalt meint ja nicht den Mord; der ist vielmehr das, „wohin sie führen kann.“ Gewalt sind die Artikel der ZEITUNG; wie sie

entstehen konnten, dafür gibt die Erzählung ein Exempel, ebenso für die möglichen Folgen. Über die Gewalt von Schlagzeilen ist noch zu wenig bekannt und wohin die Gewalt von Schlagzeilen führen kann, darüber wissen wir nur wenig. Böll zitiert am Anfang des Buchs vollständig dieses Motto:

„Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der

Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der BILD-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“24

Es handelt sich unverkennbar um die wenig, aber entscheidend veränderte Version

der für Kino- und Fernsehfilme üblichen Formel: Personen und Handlung dieses Films

24

Ebda, S. 11.

18

sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder Ereignissen sind unbeabsichtigt und rein zufällig.

Böll begreift seine Formel als Motto und macht deutlich, dass es ihm nicht nur um

den Lacheffekt der Parodie geht. Die Formel errichtet durch den zweifachen Verweis auf völlige Fiktion sozusagen eine Barriere vor der Wirklichkeit, um Ansprüche aus der Realität auf die Fiktionswelt abzuwehren. Böll

betont im

„unvermeidliche“ Verbindung von Fiktion und Wirklichkeit.

Gegensatz die

3.6.2. Der Text Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist eine fiktive Erzählung, die wie ein

nüchterner Tatsachenbericht angelegt ist. Gleich zu Beginn nennt der sachlich wirkende

Erzähler die Quellen, und im späteren Verlauf zitiert er seitenweise aus Vernehmungsprotokollen. Im dritten von insgesamt 58 Abschnitten fasst er die

Tatsachen über den Mord an dem Journalisten Werner Tötges kurz zusammen. Mehrmals erklärt er den Leserinnen und Lesern seine Vorgehensweise bei der

Abfassung des Berichts. Das wirkt sehr authentisch und verstärkt die ergreifende Wirkung der Erzählung.

Es gibt zahlreiche Sekundärliteratur zur Struktur des Werkes. Bei F. Kicherer finden

sich dazu die ausführlichsten Informationen. Die deutliche Gliederung des Textes in 58 Kapitel macht es zudem leicht, sich mit einem kurzen Blick den jeweiligen Inhalt des einzelnen Kapitels ins Gedächtnis zu rufen.

Der Text wird als dokumentarischer Bericht geschrieben. Be den Versuchen der

Darstellung der Struktur werden immer diese Faktoren in Betracht genommen: Kapitel,

Zeit, Quelle (das heißt von welcher Erzählperspektive es ausgedrückt wird), Erzählerbericht, Erzählerkommentar und Gosse. Die Architektur des Textes lässt sich

also durch die zweifache Perspektive der „Zusammenführung von Quellen“ und der „Niveau“- Bewertung deutlich machen.

19

3.7. Die Erzählerperspektive und Gattung Im Text geht es immer um einen „Bericht“ oder eine „Berichterstattung“. Auch

wenn ein als „Verfasser“ oder in anderer Form sich definierender Erzähler in Katharina Blum fehlt, sind die Korrespondenz von „Quellen“ und „Auskunftspersonen“, die

Fiktion der Berichterstattung, das Verfahren angeblicher Dokumentation etc. durchaus

überzeugende Argumente für eine Verwandtschaft mit dem Text Gruppenbild mit

Dame. Gruppenbild wurde von der Literaturwissenschaft - gegen den Widerspruch Bölls – zu einer Gruppe von Romanen der Gegenwart gerechnet, die sich als dokumentarische Berichte geben.

Was die Erzählerperspektive

betrifft, hat sie eine

längere Entwicklung

durchgemacht: bestimmte Wo warst du, Adam? noch ein auktorialer, ein allwissender

Erzähler, so wurde Und sagte kein einziges Wort abwechselnd aus der Perspektive des

Mannes und der Frau erzählt, sozusagen eine duale Erzählperspektive, die sich zu

polyperspektivischem Erzählen in Haus ohne Hüter und Billard um halb zehn ausweitete. Sehr viel später, in Fürsorglicher Belagerung, steigerte Böll dies noch,

indem er den jeweiligen Punkt des Perspektivenwechsels nicht mehr deutlich

bezeichnete. Die subjektive Perspektive des Ich-Romans wählte Böll für Ansichten

eines Clowns und Entfernung von der Truppe. Nur in Ende einer Dienstfahrt kam Böll

scheinbar auf die Perspektive des auktorialen Erzählers zurück, wobei der

Handlungsrahmen – ein Strafprozess - diese doch in die Nähe des dokumentarischen Berichts brachte.

Die radikalste Lösung des Problems zeigt sich in Bölls letztem Roman Frauen vor

Flusslandschaft (1985). Der Verzicht auf jegliche Erzählerfiktion in der dramatischen Form des O-Tons der einzelnen Figuren macht vor dem Hintergrund des bereits zitierten Mottos, wonach alles in diesem Roman fiktiv sei, deutlich, dass die Triebkraft der Suche die Überzeugung von der Wirklichkeit der Fiktion war, die auch formal

plausibel gemacht werden sollte. In Gruppenbild war das nicht gelungen, Katharina

Blum war trotz – oder neben – der pamphletistischen Intention ein neuer Anlass.

Manche Kritiker behaupteten sogar, es handle sich um eine Ironisierung der

Dokumentarliteratur im Falle der Katharina Blum. Böll jedoch antwortete selbst darauf, er finde die Dokumentarliteratur legitim:

20

„Ich finde die Dokumentarliteratur legitim. Nur entsteht da für mich das Problem, (...) dass ich wirklich nicht weiß, wo Fiktion anfängt und das andere beginnt, weil Sprache

für mich nach meinem Schreibgefühl, wollen wir sagen, per se etwas Fiktives hat. (...) dieses Problem, das jeden, nicht nur den Schriftsteller, sondern jeden Menschen, jeden,

der irgendwas macht, malt, schreibt, um Wirklichkeit zu vermitteln, betrifft, ist doch unlösbar.“25

Die Novelle wurde auch als „Traktat“, „poetische Dokumentation“ (Walter Jens),

„Humoreske“ (Marcel Reich Ranicki in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 24.8.1974), „Legende“ (Klaus Rainer Röhl in: das da, August 1974), „Melodram“ (Jürgen P.

Wallmann u.a. in: Schwäbische Zeitung, 10./11.8.1974) und mehrfach auch als „Moritat“ (z.B. Wolfgang Richter in: Aachener Volkszeitung, 7.9.1974) bezeichnet.

Die Tatsache, dass es zur Verwandlung von Ereignis in schreckliche Geschichte

zukommt, macht dieses Werk zu einer Novelle. „Novelle“ oder „Erzählung“ ist die

gattungsterminologische Entsprechung und die einzig adäquate Gattungsbezeichnung für Katharina Blum.

Der Erzähler ist in Katharina zwar überwiegend und doch nur dort „präsent“, wo es

um die „Zusammenführung“ von Quellen geht und um die Kommentierung der Handlung und der Erzählsituation. Dabei verwendet Böll die impersonale Perspektive des „es“ und „man“; nicht aus sprachlicher „Umständlichkeit“, sondern um sich vom „Ich“ der unmittelbaren Quellenzitate – Katharina (Kap. 15, 17 u.a.), Blorna (Kap. 23),

Hertha Scheumel (Kap. 29), Hach (Kap. 54) u.a. abzuheben. In diesen Fällen verzichtet der Erzähler darauf, einfachen Menschen Artikulationshilfe zu geben.

Das hat nichts zu tun mit der Gegenüberstellung von Faktum und Meinung, Bericht

und Kommentar. Der Erzähler steht eben nicht auf dem „Olymp“ der objektiven

Wahrheit, er polemisiert nicht gegen „Meinungsjournalismus“, ist doch der Erzählerkommentar durchaus parteilich und geradezu „meinungsgetränkt“.

Zit.nach: Balzer, Bernd: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1997. S. 42. 25

21

3.8. Sprachlicher Aspekt des Werks Was die Sprache dieses Buchs betrifft, zeigt sich hier eine Parallele zu Bölls Roman

Fürsorgliche Belagerung, und zwar in der bewohnbaren Sprache, in dem Versuch, sich ausdrücken zu können in einer fast „ausdruckslosen Welt“.

Böll lässt seine Heldin selbst das von ihm entwickelte Verfahren der „Überprüfung“

der Wirklichkeit durch „Kontrolle“ der Sprache praktizieren: Katharina kontrollierte mit erstaunlicher Pedanterie jede einzelne Formulierung des Protokolls. Es kommt zu

„Definitionskontroversen“ um „Zärtlichkeit“ und „Zudringlichkeit“26, um „gültig“,

„gutmütig“ und „nett“27 um „intim“ und „innig“.28

Die Sprache des „Politikers, des Chefs und ihrer jeweiligen Partner ist gewöhnlich

das Vokabular der Machtergreifung. Ebenso charakterisiert sich die Sprache Beizmennes und der anderen Verhörenden.

Ein wichtiger Bestandteil von Katharinas Charakter ist ihre Sprachsensibilität, die

im Kontrast zur derben Sprache der ZEITUNG steht:

„Die Dauer der Vernehmungen ließ sich daraus erklären, dass Katharina Blum mit

erstaunlicher Pedanterie jede einzelne Formulierung kontrollierte, sich jeden Satz, so wie er ins Protokoll aufgenommen wurde, vorlesen ließ.“29

Der Widerstand der Katharina Blum gegen ihre Umgebung ist immer auch ein

sprachlicher Widerstand; die verlorene Ehre ist zugleich auch die verlorene Sprache, in

der man es nur ficken nennen kann, in der ein Wort wie gütig nicht vorkommen darf, sondern behördlicherseits durch sehr nett oder gutmütig ersetzt werden soll. Dem

Verlust an Ehre für das Individuum entspricht der Verlust der Sprache für die Gesellschaft.

Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 39. 26

Ebda, S.40. Ebda, S.73. 29 Ebda, S.39. 27 28

22

Überhaupt ist das Zusammenkommen verschiedener Sprachstile in Bölls Erzählung

zentral: der kommentierende und dokumentierende des Autors, der Protokollstil der Polizei, die hin und wieder vulgäre Umgangssprache Beizmennes, die grobe Sprache

Blornas während seiner Wutanfälle sowie die herablassend vulgäre Sprache Tötges´ kurz vor seiner Ermordung. In dieser Hinsicht stellt Katharina mit ihrer wohlüberlegten

Ausdrucksweise einen Gegenpol dar. Böll selbst lässt es aber nicht an Ironie fehlen:

„Natürlich ist es betrüblich, wenn eine freiberuflich arbeitende Hausangestellte einen

Journalisten erschiesst.“ 30

Ein Reflex der Sex-Welle der späten 60-er Jahre äußert sich in den Paarwörtern, die

zueinander im Gegenteil stehen: „Zärtlichkeit“ und „innig“ stehen gegen „zudringlich“ und „intim“, das „ausschließlich“ gegen die von Beizmenne wie auch

von den anonymen Schreibern und Anrufern sowie von der ZEITUNG, also von der

Gesellschaft, unterstellte Promiskuität.

Solche sprachlichen Kontraste werden von Katharina und denen, die auch sprachlich

auf ihrer Seite stehen, fast zu einem alternativsprachlichen System verbunden. Ludwig

war „so lieb“31 /Katharina/, ein „liebenswürdiger junger Gentleman, von dessen

Zärtlichkeiten sie jetzt nur noch träumen darf“32 /Trude Blorna/, „liebesfähig, ernst“33

/Trude Blorna./. Dabei formuliert die Erzählung keineswegs über Banalität und

kitschigen Kontext dieses Vokabulars hinweg. Der Erzähler selbst ironisiert diese Sprache, indem er vom „lieben Ludwig“

34

distanzierend spricht – sogar im Bild-

Zeitungs-Stil distanzierender Anführungszeichen – u.a. durch satirische Wortbildungen wie „Zärtlichkeitsempfinder“35, deren Morphologie und doch wohl auch satirische

Tendenz vergleichbar ist mit dem Wort „Todesherbeiführer“36 /für Tötges/. Das zeigt,

dass Böll hier zwar „sprachliche Kontrapunktik“37 entwickelt, ohne jedoch

ausdrücklich im Sprachenstreit Partei zu ergreifen.

Ebda. S.131. Ebda, S.77. 32 Ebda, S.117. 33 Ebda, S.118. 34 Ebda, S.103. 35 Ebda, S.78. 36 Ebda, S.139. 37 Balzer, Bernd: Ausfall in der Sorglosigkeit? In: Materialien zur Interpretation von Heinrich Bölls „Fürsorgliche Belagerung“. Köln 1981. S. 77. 30 31

23

Dies geschieht erst, mit ähnlichem Vokabular, in Fürsorgliche Belagerung. Hier ist die

„Alternativsprache“ eher ein Hinweis auf die Sprachnot im „Sexualbereich“, wo sich,

von der inhumanen Wissenschaftlichkeit medizinischen Jargons abgesehen, nur die Wahl

stellt

zwischen

aggressivem

Karamellpudding und härtestem Porno“

und

38

kitschigem

Vokabular,

„zwischen

: „intim“ – „gefickt“ – „innig“ – der Text

von Katharina Blum stellt auch noch dort zur Diskussion, wo Böll, dem Liebesverhältnis zweier Menschen geradezu metaphysischen Rang verleiht. Katharina hat zwar von Bekannten und Freunden den Spitznamen „Nonne“39 erhalten, die

Religion, von Katharina jedoch nicht ernst genommen, ist eine Art Ausweichregion für die sprachliche Realisierung des anders für sie nicht Sagbaren.

Auch die Alltagssprache wird in diesem Werk zum Sprechen gebracht. Die

umgangssprachlichen und vulgärsprachlichen Redewendungen sind auf alle Personen verteilt.

Ganz offenbar wollte hier Böll den Zusammenhang von Wort und Gewalt im

Wortspiel zum Ausdruck bringen. In dieser Geschichte stellt Böll die Gewalt von

Worten und Schlagzeilen neben die physische Gewalt. Im Oktober 1974 erklärte Böll in

einem Interview: „Die Gewalt von Worten kann manchmal schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen.“40

Heinrich Böll Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 345. 39 Ebda, S.71. 40 Aus Heinrich Bölls Homepage: www.heinrich-boell.de/ 38

24

Der Kritiker Eberhard Scheiffele beschäftigte sich mit dem sprachlichen Aspekt der

ZEITUNG in Katharina:

„Schwerer zu durchschauen als solche ´Lügen´ und ´Verdrehungen´ sind die ´Verleumdungen´ der Zeitung (...). In ihrer genau ausgeklügelten Mischung von Wahrheit und Lüge sind sie im juristischen Sinn kaum eindeutig als ´Verleumdungen´

fassbar. In einer Schlagzeile wird Katharina als ´RÄUBERLIEBCHEN´ (...) tituliert – dass sie Götten liebt, ist eine Tatsache; nur hat ´Liebchen´ in diesem Wortzusammenhang, anders als das sachliche ´Geliebte´, einen Beigeschmack der

Bedeutung ´Dirne´, was das Bild, das sich der Leser von Katharina macht, von

vornherein auf ganz bestimmte Weise färbt. Auch wenn berichtet wird, Dr. Hiepertz

habe Katharina ´eine in jeder Beziehung radikale Person´ genannt, kann sich die ZEITUNG auf Tatsachen berufen. Der Studiendirektor hat das Wort ´radikal´

gebraucht, allerdings als Adverb. Katharina sei, so sagte er, ´radikal hilfsbereit, planvoll und intelligent´.“41

Weder Ludwig Götten noch die Handlung der Erzählung haben etwas mit

Terrorismus oder auch nur mit politisch motivierten Aktionen zu tun – allein die

ZEITUNG und ihre Entsprechungen in der bundesdeutschen Wirklichkeit konstruieren

einen solchen Zusammenhang. Die These, es handle sich also um einen TerroristenRoman, erweist sich als irreführend.

Die ZEITUNG benutzt offensichtlich die Vorurteile eines großen Teils der

deutschen

Bevölkerung,

die

unter

der

Oberfläche

demokratischen

Miteinanderauskommens nach wie vor vorhanden sind; darum verlangen sie auch einfache Lösungen, scharfes Durchgreifen der Behörden und Polizei.

Die Kooperation zwischen Polizei und ZEITUNG in umgekehrter Richtung wird

schon vorher sichtbar, als es Katharina unbegreiflich erscheint, „wie Einzelheiten aus der Vernehmung...hätten zur Kenntnis der ZEITUNG gelangen können“42

Zit.nach: Balzer, Bernd: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1997. S. 48. 42 Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 81. 41

25

Die Handlung wird in erster Linie durch die ZEITUNG vorangetrieben. Darin

schlägt sich die journalistische Praxis nieder, eine Story verkaufswirksam über mehrere Wochen hinweg zu entwickeln und häppchenweise zu servieren.

3.9. Persönlicher Kommentar In dieser Novelle geht es um ein Massenblatt, das skrupellos Informationen über

eine zu Unrecht als Mitglied einer linksradikalen Terroristengruppe verdächtige 27-

jährige Hausangestellte zusammenträgt und veröffentlicht, nicht vor Verdrehungen und hetzerischer Meinungsmache zurückschreckt und auf diese Weise die bürgerliche

Existenz des Opfers zerstört. Die Erzählung handelt auch von Polizeibeamten und

Staatsanwälten, die das Privatleben einer wehrlosen Verdächtigen respekt- und rücksichtslos durchleuchten. Auf die entwürdigende Behandlung und das übermächtige System reagiert das Opfer anfangs mit Fassungslosigkeit, am Ende mit verzweifelter Gegengewalt.

Vor dem Hintergrund der Hysterie über den Terrorismus der RAF protestiert

Heinrich Böll mit der Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum gegen den

Menschen verachtenden Sensationsjournalismus und nicht zuletzt gegen den Missbrauch der Staatsgewalt sowie die korrumpierenden Verflechtungen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Medien, Polizei und Rechtsprechung.

Die Namen der Figuren hat Heinrich Böll mit Bedacht gewählt: Tötges assoziiert

man mit töten, und Katharina mit Reinheit.

26

Wie Böll bereits im Vorspann erwähnt, sind Ähnlichkeiten zwischen der ZEITUNG

und der „Bild“-Zeitung „unumgänglich“. Tatsächlich sind ihre Ähnlichkeiten im

Vorgehen, im Schreibstil und in der Art der Berichterstattung frappierend. Sehr schön dargestellt werden Tötges´ Methoden der Informationsverfälschung. Böll zeigt auf, wie

nicht-repräsentative Zeugen befragt /Ex-Ehemann Brettloh/, und Aussagen umgedreht

werden. Ebenso führt er vor Augen, dass Übertreibung, Verleumdung, rhethorische und Suggestiv-Fragen, Schwarzweiss-Malerei, Unterschlagung und falsche Gewichtung von

Informationen zu einer fast vollständigen Umdrehung der Tatsachen führen können.

Dies löst bei den ZEITUNGS-Lesern zwei unterschiedliche Reaktionen aus: entweder Betroffenheit, Ablehnung und Entsetzen oder aber der Glaube an das Dargestellte und

die entsprechende Verachtung der gehetzten Person, zuerst von Katharina, später auch von Blorna.

Böll hat sicher für sein Buch ein aktuelles Thema gewählt. Was der Katharina

geschehen ist, kann jederzeit und jedem Menschen passieren. Die Medien können nämlich die öffentliche Meinung weitgehend beeinflussen. Das Buch zeigt, was dies bei

einem durchschnittlichen Menschen bewirken kann. Zusammengefasst kann man sich nur in sehr geringem Maße gegen die Medien verteidigen.

Als Nachteil der Geschichte ist anzuführen, dass sie viele scheinbar unwichtigen

Details ausführt. Der Leser muss genau aufpassen, um bei den Rückstauungen und Vorgriffen mithalten zu können. Dank der Sprachfinesse des Autors wirkt die Erzählung über weite Strecken realistisch, wobei aber auch der Humor nicht fehlt.

27

Auf Seiten der Protagonistin eröffnen sich verschiedene Erfahrungsdimensionen –

z.B. dass für den Staat die Pressefreiheit wichtiger ist als der Schutz des Individuums.

Katharina erkennt, wie schwierig es ist, etwas gegen die Lügen der Sensationspresse zu unternehmen. Sie glaubt, ihr Ansehen und ihre Ehre verloren zu haben. Schlimm für sie ist auch der soziale Druck ihrer Bekannten:

„Alle Leute, die ich kenne, lesen die Zeitung.“43

In Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist das Thema Presse zentral. Böll erhebt

hier den Anspruch, an einem fiktiven Fall die Praktiken der realen Bild-Zeitung zu entlarven.

Die Öffentlichkeit des menschlichen Sprechens und Umgehens miteinander, ist total

zerstört, genauer, sie wird zerstört durch die „veröffentlichte Meinung“ der ZEITUNG: „Eine freundliche Nachbarin“44 schiebt der Heldin und ihrer Freundin deren

Skandalberichte zu, ein „Hausbewohner“45, ein „Nachbar“46 übernimmt blindlings die

sexuellen Klischees ihrer Berichterstattung über Katharina – kurz, Katharinas Nachbarschaft und Wohnung, an der sie so hing erweist sich als (subjektiv jedenfalls)

zerstört. Dasselbe gilt für ihr Heimatdorf, wie sich spätestens bei Blornas Recherchen herausstellt.47

Eine Pressevielfalt gibt es nicht mehr; für Katharinas soziale Schicht hat die

ZEITUNG längst das Monopol und ist damit für diese Leser unkontrollierbar geworden. Während die Öffentlichkeit nur manipulierte Informationen erhält, werden die Hintermänner der ZEITUNG wie Lüding voll ins Bild gesetzt. Indem Böll solche

verborgenen Verflechtungen zeigt, steigert er die Pressekritik. Katharina Blum erreicht mit den Themen Bewachung und Überwachung eine neue Dimension. Nicht nur, dass Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 122. 43

Ebda, S.118. Ebda, S.131. 46 Ebda, S.133. 47 Ebda, S.161 f. 44 45

28

die Herren ZEITUNGS-Reporter jede Bewegung ihrer Opfer beobachten48 - vor allem

die Abhörmaßnahmen der Polizei sind es, die zwar alles „durchlässig“ machen, selbst aber nicht „durchlässig“ sind49: Während sie die Privat- und Intimsphäre der Be- und

Überwachten systematisch zerstören, haben sie selbst „nicht den geringsten Öffentlichkeitswert, dürfen in einem öffentlichen Verfahren ... nicht einmal erwähnt werden“.50 Wo die zufällig in ein Ermittlungsverfahren verstrickte Katharina sogleich

zur „Person der Zeigeschichte“ wird, zum „Gegenstand berechtigten öffentlichen

Interesses“51, bleiben wesentliche Teile des Ermittlungsverfahrens der Öffentlichkeit

verborgen und somit ohne öffentliche Kontrolle. Hier bereitet sich die Dialektik

zwischen Zerstörung der Privatsphäre einerseits und der ausbleibenden Öffentlichkeit

für wirkliche Gegenstände berechtigten öffentlichen Interesses vor, die in Fürsorgliche

Belagerung ein zentrales Thema sind.

Wo die Gruhls ihren Protest noch im Happening gestalten und anderen öffentlich

mitteilen konnten, bleibt den Opfern in Katharina Blum, der Titelheldin und dem

Ehepaar Blorna, nur die stumme, sich nicht mehr artikulierende Gewalttat: Katharina

erschießt Tötges, und Blorna will zunächst „Molotow-Cocktails auf die ZEITUNG werfen“ und „schlägt schließlich Sträubleder in die F...“52. Tötung wie Ohrfeige

werden von der ZEITUNG gebührend aufgegriffen und in ihrem Sinne manipuliert.

Auch entgegen Katharinas positiver Eigenschaften soll der Leser die Mordtat nicht

als richtige Handlungsart betrachten. Man muss trotz Sympathie für Katharina erkennen, dass sie den falschen Weg gewählt hat.

Ebda, S.144. Ebda, S.145 f. 50 Ebda, S.146 51 Ebda, S.121. 52 Ebda, S.460 f. 48 49

29

3.10. Verfilmung, Theaterfassung und Oper Wegen des großen Erfolgs dieses Buchs kam im Jahre 1975 der Regisseur Volker

Schlöndorff auf die Idee, es zu verfilmen. Der Verfilmung wurde eine Vielzahl von

Auszeichnungen verliehen. Es ist noch zu erwähnen, dass der Film ein anderes Ende als Bölls Roman hat. Während das Buch mit der Inhaftierung Katharina Blums endet, ist im Film schließlich die Beerdigung des erschossenen Journalisten zu sehen. Eine

besondere Ironie liegt darin, dass in der (von Heinrich Böll verfassten) Grabrede der Chef des Verlags, der die Zeitung veröffentlicht, die Tat Katharina Blums als „Angriff

auf die Pressefreiheit“ bezeichnet und erklärt, dass man derartigen Angriffen künftig stärker entgegenwirken müsse. Die Wirkung des Böll–Manuskripts wurde auf diese Weise noch verstärkt.

Außerdem wurde diese Erzählung für das Theater bearbeitet. Margarethe v. Trotta,

die am Drehbuch des Films mitgearbeitet hatte, schuf 1975 auch eine Bühnenfassung des Textes, die nach Werkstattaufführungen in Bonn (Mai 1976) erst am 11. September

1986 im Kölner Theater Der Keller in einer größeren Inszenierung herauskam.

Entsprechend knüpft das Stück eher an den Katharina Blum Film Volker Schlöndorffs an als an Bölls Prosa.

Neben der nicht viel erfolgreichen Schauspielversion gibt es seit nunmehr 15 Jahren

weitere Bemühungen, Katharina Blum auf die Bühne zu bringen: als Oper. Böll selbst unterstützte den Opernplan. Die Uraufführung erfolgte im April 1991 in Bielefeld.

30

3.11. Zur Rezeption Bölls Erzählung In den ersten Monaten nach dem Erscheinen des Buchs wurden zahlreiche

Rezensionen darüber geschrieben. Es ist nötig zu sagen, dass die Novelle vor allem eine negative Bewertungen hervorgerufen hat. Einige Rezensionen zur Erzählung sind im

Materialienteil der Textausgabe von 1984 enthalten. Ich habe mir die interessantesten ausgesucht, die ich im Folgenden zitiere: Weitere Rezensionen sind im Werk: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Von Bernd Balzer. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1977 zu lesen.

Die erste negative Rezeption betrachtet Bölls Werk als Rache an der Presse: Jürgen, P. Wallmann: Der Racheakt des Schriftstellers „Nun hat Heinrich Böll seinen „Racheakt“ vorgelegt ... Aber um es gleich

unmissverständlich zu sagen: Dieses Buch ist nicht, wenigstens nicht in erster Linie, Bölls Versuch, es einem mächtigen Presse-Caesaren heimzuzahlen; eine solche späte Abrechnung in einer Privatfehde wäre für den Leser nur von mäßigem Interesse. Die Erzählung ist vielmehr der Versuch des Schriftstellers Einsichten, die er gewonnen hat

und die sein Bild vom Menschen und von der Gesellschaft vervollständigen und differenzieren, künstlerisch zu gestalten: in einer fiktiven Geschichte, die zugleich

weniger und mehr zu leisten imstande ist als ein aktueller Report oder ein Leitartikel. ... Böll hat kein wutzitterndes Pamphlet gegen einen auf Menschenjagd spezialisierten

Boulevard-Journalismus verfasst. Ganz gewiss ist seine Erzählung von Emotion geprägt, von Mitmenschlichkeit und Sympathie für Verfolgte und für Opfer. Aber dieses

Gefühl hat die Erzählung nicht überwältigt, ist in sie integriert, strukturiert bis in die Sprache und den Tonfall hinein, der nicht von Aggressivität, eher von Freundlichkeit ist. In diesem Sinne kann man hier von „kalter Rache“ sprechen – wobei Rache jedoch

ein falsches Wort ist, eher müsste man sagen: Abrechnung -, ganz im Sinne des Wortes von Gottfried Benn, der vom Schriftsteller gefordert hatte, er müsse sein Material kalt

31

halten. Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist, in der Form der Erzählung, eine Abrechnung mit inhumanen Praktiken und, ganz wie der Untertitel verspricht, ein Exempel dafür, wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann.“ Aus: Mannheimer Morgen, 30.7.197453

In der Deutscher Zeitung ist am 9.8.1974 ein kurzer Artikel über Bölls Erzählung mit

negativem Titel erschienen: Schlecht „In

hölzerner

Sprache

und

mit

ermattender

Beobachtungsgabe

verteidigt

Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Das Thema „Gewalt“ wird nur unzureichend reflektiert.“54

In der letzten Rezension, die ich anführe, wird Bölls Werk sogar als Lesebuch für den öffentlichen Dienst empfohlen.

Dieter Lattmann: Böll und sein Buch des Anstoßes „Schärfer als Böll in diesem Buch ist kein Erzähler in der Bundesrepublik mit dem

militanten Verleumdungsjournalismus ins Gericht gegangen. Es ist eine so unmittelbar

politische Geschichte, dass es abwegig wäre, sie in erster Linie literarisch zu beurteilen. Dennoch: Als literarischer Text ist dies ein kleines Werk von scheinbar

größter Einfachheit – in der verhaltenen, jedermann zugänglichen Sprache

geschrieben, die Böll vor Jahren mit der Erzählung „Ende einer Dienstfahrt“ gefunden und seitdem völlig ungezwungen zur Verfügung hat.

Es ist eine Sprache mit dem Mut zur Direktheit, die dennoch eine genaue und

unüberhörbare Aufrichtigkeit in den Differenzierungen einbezieht. Ein Altersstil ohne Alter, in dem sich Wissen, Resignation und eine radikalmoralische Energie zu etwas

Zit.nach: Balzer, Bernd: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt am Main 1997. S. 56. 53

54

Ebda, S.58.

32

Unverwechselbarem verbinden. Dieser Schriftsteller besitzt unter den international namhaften Autoren der Bundesrepublik am meisten Kontinuität.

Vor allem hat Böll mit diesem Buch eine Grenze gesprengt: Mit literarischen Mitteln

ist es ihm gelungen, einem Wirtschaftsimperium zu Leibe zu rücken, das sich als

Meinungskartell für unangreifbar hält. (...) Ich meine: „Katharina Blum“ wird jener politischen Kriminalität, die so schwer fassbar ist, obwohl man sie schwarz auf weiß nach Hause tragen kann, zu schaffen machen als eine ungeheure Provokation. Sie gilt

nichts anderem als den Freiheitsrechten des Einzelnen und der Unantastbarkeit der Person.

Außerdem: Was in der Geschichte an Satire auf die Abhörpraktiken der „nationalen

Tonbandstreitkräfte“, auf Neonationalismus und politischen Opportunismus steckt,

reicht allein schon aus, um als allgemeines Lesebuch im öffentlichen Dienst empfohlen zu werden. Die Gestalt der Katharina Blum aber gehört, denke ich, in die Reihe der

großen Unschuldigen, die immer die Literatur bewegt haben mit den Geschichten von Verkettung und Schuld in den Niederungen einer Zeit.“55 Aus: Vorwärts, 15.8.1974

55

Ebda, S.60.

33

4. FÜRSORGLICHE BELAGERUNG 4.1. Informationen zur Entstehung des Romans Dieser Roman ist im Jahre 1979 erschienen. Und der Grund dafür, warum ich ihn

behandle ist klar: der deutliche Zusammenhang mit Bölls Erzählung Die verlorene Ehre

der Katharina Blum und mit Bölls politischen Reden und Essays aus den siebziger

Jahren.

„Ich wollte“, so der Autor, „die Übergange zwischen überwacht und bewacht

darstellen, weil ich das wirklich für eines der wichtigsten, aktuellsten Phänomene und Probleme unserer Gegenwart halte.“56

Über dieses im Titel ironisch angedeutete Thema hinaus ist auch der Anspruch

erkennbar, „ein bundesdeutsches Gesellschaftspanorama zu geben wie schon einmal mit dem ´Gruppenbild´, vor allem aber auch: die Veränderungen eines Jahrzehnts im System und der politischen Atmosphäre festzuhalten “57. (J. Vogt)

4.2. Inhalt des Romans Böll erzählt von 3 Tagen aus dem Leben des alten Zeitungsverlegers Fritz Tolm. Der

hätte eigentlich Museumsdirektor werden wollen, aber eine Erbschaft machte ihn zum

Verleger und schließlich zum Präsidenten eines mächtigen Interessenverbandes. Damit gerät er in höchster Gefahr. Seine Kinder, Enkel und weitere Verwandte sind entweder Mitglieder des wirtschaftlichen und politischen Establishments, oder sie sind in die Protest- und Terrorszene der siebziger Jahre verflochten.

56 57

Zit. nach:Kindlers Neues Literaturlexikon. Kindler. München 1996. S.849. Ebda, S.849-850.

34

Tolm und seine Familie werden von einer polizeilichen Sicherungsgruppe

fürsorglich belagert, d.h. in Sicherheit gehalten und zugleich in Gefangenschaft.

Ein Netz von Sicherheitsmaßnahmen wird nicht nur zu seinem Schutz gespannt,

sondern auch zur Be- und Überwachung seiner Familie. Seine Kinder legen aber wenig

Wert auf diesen staatlichen Schutz. Sie gehören zur gesellschaftlichen Opposition und

haben auch Kontakte zu einem jungen Mann und einer jungen Frau, die als Terroristen verdächtig werden.

Die fortschreitende Zerstörung privaten Lebens wird zum zentralen Erzählmotiv.

Der Autor zeichnet Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Gruppen - vom

Großindustriellen über den Pfarrer und Ökobauern bis zu den Satellitenkindern des Terrorismus – und führt ein umfassendes und radikal gegenwartskritisches Bild

denkbarer Liebes- und Sexualbeziehungen zwischen ihnen vor - Ehe, Ehebruch, Promiskuität, Zölibat, Homoerotik und Pornographisches. Sehr häufig treten Dreiecksbeziehungen auf. Die Akteure werden durchaus als Privatmenschen mit

Schwächen und Fehlern gezeichnet. So liefert zum Beispiel die zur Terrorszene gehörige Schwiegertochter ihr hochexplosives Fahrrad beim Bundesgrenzschutz ab, so findet der gewissenlose Karrierist Bleibl am Ende zurück zu seiner ersten Ehefrau.

Nach mehreren individuellen Lösungs- und Ausbruchsversuchen aus dem

Belagerungszustand wird schließlich das Tolmsche Schloss Opfer einer offenbar terroristischen Brandstiftung. Tolm zieht sich aus seinen öffentlichen Ämtern zurück und findet mit seiner Familie in einem verlassenen Pfarrhaus Zuflucht.

35

4.3. Das Motiv des Romans Fragen wir uns, warum sich Böll gerade diesen Stoff, die Sicherheitsthematik, zum

Zentralthema dieses Buchs genommen hat, müssen wir die Aufmerksamkeit auf Bölls eigenes Leben richten. Er selbst hat einen Teil der Beobachtungen, die er im Roman

komponiert, offen gelegt. Im Gespräch mit Robert Stauffer erwähnt er seine eigene Sicherheitserfahrung:

„Wenn Sie sich vorstellen, wie ich das verschiedentlich erlebt habe, wenn ich auf einer

bestimmten Botschaft in Bonn eingeladen war, dass ich wirklich zur Toilette begleitet wurde; bevor ich sie benutzte, musste die Rollade runtergemacht werden, weil aus

irgendeinem Nachbarhaus, was durchaus theoretisch möglich ist, auf jemand geschossen werden kann, der diese Toilette benutzt, dann weiß ich nicht, was Satire ist, literarisch noch Satire sein könnte. Denn das klingt ja nun wirklich, als wenn´s ein verrückter Literat erfunden hätte. Es geschieht aber täglich, und wenn Sie das ganze

Bewachungsritual beobachten, etwa die Bewachung eines Regierungsgebäudes oder eines prominenten Politikers privat, dann können Sie gar nicht mehr satirisch werden“58

In dieser eigenen Erfahrung und in einer Zeitungsmeldung, die Böll in einem offenen Brief an Dieter Fringeli mitteilt, liegt die Keimzelle der gesamten Sicherheitsthematik.

Eine weitere Beobachtung im offenen Brief fand ebenfalls Eingang in Fürsorgliche

Belagerung:

„Eine südamerikanische Studentin, die morgens mit dem Bus in eine kleine Ortschaft außerhalb Kölns fährt, hat nicht mehr den Mut, im Bus ihre Lektüre offen weiter zu betreiben. Sie las ein spanisch geschriebenes Buch über die Geschichte der Tupamaros,

eine soziologische Studie. Das junge Mädchen fürchtete den Volkszorn, möglicherweise unbegründet, aber sie fürchtet ihn angesichts der Stimmung.“59 Str. 42-43

In: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. München 1980. S.42. 58

59

Ebda, S. 42-43.

36

Diese Episode wird im Roman fast unverändert zum Erlebnis Hubert Schmergens im Bus von Köln nach Hubreichen.“60

4.4. Charakterisierung der Hauptpersonen 4.4.1. Fritz Tolm Die Hauptperson dieses Roman ist von Anfang an einer schweren Probe unterstellt,

und zwar, ist er zum Präsidenten eines großen und einflussreichen Verbandes gewählt worden. Diese anstrengende Aufgabe bringt zugleich viele neue Probleme mit sich:

„Heute steht er ganz oben, wo es keine Ruhe, keine Rast, keine Entspannung, kein Privatleben mehr für ihn geben sollte, da sollte er nun zu Tode gehetzt, zu Tode geschützt werden.“61

Natürlich werden seine Kollegen auf ihn neidisch, doch zugleich wünschen sie ihm

aber auf eine seltsame Art diesen Posten, denn sie wissen, was es in Wirklichkeit mit

sich bringt, zum Beispiel viele Sorgen und kein privates Leben mehr. Am deutlichsten äußert sich dies im Verhalten des Bleibls, eines Karrieristen.

Tolm wirkt als ein milder und weiser Kunsthistoriker, der gut in Bleibls Pläne passt.

Er soll einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz vortäuschen. In Wirklichkeit ist er selbst dem System hilflos ausgeliefert. Er hat nur wenig Einfluss auf die Vorgänge im

Konzern. Obwohl er eigentlich an der Spitze steht, kann er weder die

Pressekonzentration noch die mehrmalige Zerstörung seines Wohnsitzes durch den Braunkohleabbau verhindern:

„...wie wenig frei in einer freien Wirtschaft sogar die Freiesten der Freien sind...“62 Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 616. 60

61

S. 211.

37

„So sitzt er im Zentrum der Macht, machtlos, im Herzen des Kapitalismus...“63

Tolm weiß von seiner Rolle und trotzdem ist er bereit, sie zu spielen. Sein Konzern,

das zweitgrößte Zeitungsimperium, ist längst unter den Einfluss des größten, der Zummerling-Gruppe, geraten. Das Wort „Pressefreiheit“ kann im Roman nur noch zynisch-ironisch gebraucht werden.64

4.4.2. Bleibl Bleibl ist gewiss der Typ eines Karrieristen. Er wünschst böswillig Tolm die Zerstörung

des privaten Lebens:

„War Bleibls Gesicht etwas wie Neid? Überraschung in jedem Fall über die leichte Art, in der er sich dieser Pflichten entledigte, über diese unerwartete Heiterkeit, wo der

Bleibl ganz gewiß Deprimiertheit, Ängstlichkeit und Gestammel erwartet hatte,

nachdem es ihm gelungen war, ihn genau dorthin zu hieven, - so hatte er es offen genannt, wo er ihn haben wollte, an die am meisten gefährdete Stelle, die gefährlichste Position, von der niemand erwartet hatte, dass sie ihm liegen, eine Rolle, von der

niemand erwartet hatte, dass er sie so gut spielen würde, er, der rapide alternde,

ideologisch nicht sehr gefestigte Fritz Tolm, das schwankende Rohr, der Zärtling, der Weichling, der Sponti unter den Vorstandsmitgliedern, auf undurchsichtige Weise familiär irgendwie mit denen verstrickt - so angreifbar wie verletzlich.“65

Nicht zufällig nennt der Erzkapitalist Bleibl, „der Härteste der Harten“66 /FB 132/,

zu Tolm, er sei der richtige Mann für den Industrieverband. Tolm strahlt nämlich

Ebda, S.308. Ebda, S.268. 64 Ebda, S.547. 65 Ebda, S.210. 66 Ebda, S.339. 62 63

38

humanistische Gedanken und Selbstzweifel aus, deren Fernsehkostbarkeit Bleibl erkannt hatte.

4.4.3. Tolms Familie und Bekannte Die Sicherheitsmaßnahmen, getroffen wegen Tolms gefährlicher Position, scheinen

keinen Einfluss auf die Kinder zu haben. Denen ist es egal, ob und was die Presse von

ihnen schreiben wird. Sie bereiten Tolm eher mehr Probleme und Schwierigkeiten. Er hat vier Kinder: Herbert, Rolf, Katharina und Sabine. Schon kurz nachdem, als Fritz

Tolm zum Präsidenten gewählt wurde, erfährt er von Sabines Schwangerschaft, und zwar nicht von ihr selbst, sondern vom gehassten Kollegen Bleibl. Sabine soll das Kind von Fischer erwarten, der Tolm ein Dorn im Auge ist:

„Sabines heftige Frömmigkeit hatte ihn immer beunruhigt, auch Neid hatte er empfunden, und dieser Fischer, sein Schwiegersohn, auf dessen Jungendhaftigkeit sie alle hereingefallen waren - er nicht, und das gab auch Käthe zu: er nicht, war kein

Partner für sie. Die Cleverness, mit der er Sabine und das Kind verkaufte, hatte ihnen wohl allen die Augen geöffnet.“67

Der Kaufhauskonzernchef Fischer betreibt aktiv die Vermarktung der eigenen

Intimsphäre, feiert seine Ehe mit der Verlegertochter Sabine Tolm als Musterehe

zwischen dem Blättchen und dem Bienenkorb, seinem Konzern, lässt „seine kleine Tochter in Kleidern des Bienenkorb...ungerührt zum entzückendsten Kind des Monats Mai küren, das dann durch alle Blätter wandert“68, sorgt dafür, „dass die Frömmigkeit

67 68

Ebda, S.252. Ebda, S.326.

39

seiner Frau medienbekannt wird, während er zur Imagepflege an seinen erotischen und sexuellen Eskapaden die Illustrierten teilnehmen lässt“69.

Dringende Fragen der Reporter tauchen immer öfter auf, es handelt sich sogar um

die Fragen nach der politischen Orientierung:

„Die Frau, die jetzige Freundin Ihres Sohnes, Katharina, die ist doch Kommunistin, wie?“

Und sie (Käthe, Tolms Ehefrau) antwortet:

„Ja, ich denke schon, nur wäre es mir lieber, wen Sie sie selber fragten - ich definiere sehr ungern andere Leute politisch.“70

4.5. Struktur und Erzählperspektive des Textes Der Roman ist in 21 Kapitel gegliedert, wobei sie die Tendenz haben, immer kürzer

zu werden. Der Text wird zugleich auch aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Am Anfang fügt der Autor ein Motto hinzu, dem wir schon bei dem früheren Werk (Katharina Blum) begegnet sind, ein bisschen in veränderter Lautfolge:

„Personen, Situation, Handlungen, Probleme und Konflikte in diesem Roman sind freie Erfindungen des Autors. Sollten sie irgendwo mit der so genannten Wirklichkeit auch nur annähernd übereinstimmen, so ist der Autor daran – wie immer – unschuldig.“71

Im Mittelpunkt der Geschichte, wie wir schon erfahren haben, stehen Fritz Tolm und

dessen Kinder mit ihren Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen. Jedes der 21 Ebda, S.241. Ebda, S.421. 71 Ebda, S.207. 69 70

40

Kapitel wird aus der Sicht einer anderen Figur erzählt, wobei Erinnerungen und

Reflexionen die Gegenwartshandlung ergänzen. Tolms Reflexionen nehmen überhaupt den breitesten Raum ein.

4.6. Bölls Erzählstil Bölls vorletzter Roman Fürsorgliche Belagerung ist genauso aktuell wie alles, was

er bisher geschrieben hat. Die Aktualität ist allgemein ein wichtiges Zeichen für Bölls

Werke. Bernd Balzer hat in seiner Auseinandersetzung mit den Rezensionen von

diesem Roman deutlich gemacht, wie alt und verhärtet das Missverständnis zwischen Böll und seinen Kritikern ist:

„Böll gilt als der Chronist bundesrepublikanischen Gesellschaft: Mit jeder seiner Erzählungen hat er uns ein Kapitel der Nach-Hitler-Zeit nach dem andern

aufgeschrieben (...) Aus der Summe seiner Geschichten ist über die Jahre unsere Geschichte geworden, ist wohl die konziseste Formulierung dieses Klischees.“72

Als anderes wichtiges Kennzeichnen Böllschen Stils könnten wir sicher die

Sättigung der Romane mit Zeit- und Ortsdetails nennen. Häufig treten innere Monologe, erlebte Reden, direkte Erinnerungen auf. Die fiktive Gegenwart des Romans ist identisch mit der realen Schreibgegenwart seines Autors und liegt somit bei Erscheinen eines Romans höchstens ein bis zwei Jahre zurück. So erlaubt z. B. die Erwähnung der bevorstehenden Moskauer Olympiade von 1980, die Handlung von Fürsorgliche Belagerung exakt zu datieren.73

In: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. München 1980. S.38. 73 Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 226. 72

41

4.7. Der umweltzerstörende Gesellschaftsfortschritt und die Entfremdung des Menschen in Fürsorgliche Belagerung

Die Umweltzerstörung und die Unwirtlichkeit der Städte sind in diesem Roman ein

ganz wichtiges Thema: der Braunkohletagebau, der ganze Landschaften und

Siedlungen verschlingt, und die allgemeine Zerstörung der Gemeinschaft und Landschaft durch das Wachsen der Industrie sowie durch den Bau der Autobahn und der Straßen.

Die Umweltzerstörung im Dienste der Wachstumsideologie wird mit der

Pressekonzentration eng verbunden und hängt mit dem inneren Zerfall der deutschen Gesellschaft zusammen. Im Roman wird der Prozess der Entfremdung des Menschen durch die Profitgesellschaft deutlich dargestellt. Die herrschenden Klassen werden manipuliert und korrumpiert in der verdinglichten Welt. Zum Beispiel mehrt Sabines

Mann, Erwin Fischer, sein Vermögen durch die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte aus Osteuropa und den Entwicklungsländern. Die Gewerkschaften haben sich auf Gedeih

und Verderb mit den Arbeitgebern verbündet, genau wie die Kirche. In der kapitalistischen Gesellschaft herrschen also Chaos und Auflösung. Durch das

Wachstums- und Profitdenken sowie die Industrialisierung wird die Zerstörung der Menschen und der Umwelt ausgelöst:

„Riesige Bagger marschierten, Schaufeltiere fraßen gutmütig-erbarmungslos-harmlos-

unerbittlich den Wald weg, schluckten die Erde, spuckten sie weit entfernt wieder aus, exhumierten die Toten-pietätvoll, oh sehr pietätvoll.“74

Böll erweist sich als Autor, der mit großer Aufmerksamkeit die politische und

gesellschaftliche Entwicklung seiner Zeit verfolgt, gestaltet und der mit seinen Zeitromanen in seine Zeit hinein wirksam werden will.

74

Ebda, S. 313.

42

Schon früh griff Böll die umweltpolitische Problematik auf, etwa 1958 im Aufsatz

Im Ruhrgebiet:

„(...) was man jetzt an Natur noch sieht, wirkt wie eine Vortäuschung von Natur. (...) In manchen Brennpunkten stirbt sogar das Chlorophyll, tragen Bäume keine Früchte mehr. (...) Nur selten dringt die Sonne durch die Dunstglocke.“75

Diese Stellungsnahme zu einer aktuellen Problematik löste, wie auch seine Zeitkritik

in den Jahren danach, eine kontroverse Diskussion um die Rolle Bölls aus, an der sich

sowohl Politiker, Gewerkschafter und Kirchenvertreter als auch Literaturkritiker beteiligen sollten.

Als Böll über die Demonstrationen von 1976 in Brokdorf und Wyhl schrieb, betonte

er, wie wichtig es sei, den Begriff Erde von der Ideologie des Nazismus zu befreien. Er behauptete, dass heute die Menschheit zwei einander ausschließenden Werten gegenübersteht: Erde und Wachstum. Das ewige Streben nach Wirtschaftswachstum sei unverantwortlich.

Er

fügt

hinzu,

dass

Krebs

auch

wächst.

Das

Leistungsverweigerung hat er im Roman Gruppenbild mit Dame behandelt.

Thema

Böll fühlte sich in Köln immer fremder. Nachbarschaften und die Gemeinschaft des

Straßenlebens seien durch den Verkehr zerstört worden. Er schrieb, dass das Auto ein

Isolationsinstrument ist, und dass er sich durch die ganze Zivilisation fremder fühlte. Während er sich von der Stadt allmählich entfernte, interessierte er sich mehr für kleine Länder.

Sein Leben lang insistierte er auf einer Wachstumsbegrenzung und der

Verweigerung gegenüber der Leistungsgesellschaft. Böll wünschte sich eine religiös

geprägte humanistisch-sozialistische Welt, in der der Mensch und die Natur zusammenleben können.

75

Zit. nach: Reid, James H.: Heinrich Böll. Ein Zeuge seiner Zeit. München 1991. S.53.

43

4.8. Das Thema „Terrorismus“ in Fürsorgliche Belagerung Der wachsenden manipulierten Medienübermacht, wie sie Böll in seinem Werk

beschreibt, stehen verschiedene Flugblätter und Transparente des Jugendprotests gegenüber. Die sind jedoch ganz machtlos. Da ansonsten die öffentliche Diskussion

wirksam verhindert wird, gefährdet nur noch ein Phänomen das kapitalistische System – der Terrorismus. Einzige Alternative in einem für die wirklich wichtigen Fragen

schalltoten System ist der wortlose Aktivismus. Während die Terroristen selbst stumm bleiben, besorgen die Medien ihre Geschäfte und stellen sicher, dass ihre Morde medienwirksam und telegen sind.

Böll denunziert den Terrorismus als umgekehrten Kapitalismus: Beiden gemeinsam

ist die nüchterne Herrschaft des Rechnens und Planens. Als Vertreter des Terrorismus

tritt in diesem Werk Bewerloh auf, den Böll jedoch zugleich als früheren Doktor der Volkswirtschaft und Nachwuchsbankier schätzt. Terroristen und Kapitalisten trennen immer Gefühle von den Geschäftssachen. Das Geld, das die Terroristen benötigen, stammt aus den Ölrechnungen, die der Preis des Wachstums sind.76

Auf die perfekten Planungen der Terroristen antwortet das System mit noch

perfekterer Be- und Überwachung der Betroffenen und der Verdächtigen. So vollzieht sich im Terrorismus wie in seiner Bekämpfung die Zerstörung der letzten Reste von ursprünglicher Öffentlichkeit, die noch geblieben sind.

Die Bewachung dringt bis ins Allerintimste. Der Nachbar kann nicht mehr mit dem

Nachbarn, der Liebhaber nicht mehr mit dem Geliebten, der Ehemann nicht mit seiner

Frau sprechen, ohne abgehört zu werden. Beicht- und Briefgeheimnis gelten gar nicht mehr.

Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 338. 76

44

Im Buch gibt es eigentlich ein Teufelskreis: die Terroristen, die das System

vernichten wollen, die Sicherheitsbeamten, die es schützen, die Presse, die es durch

Publizierung des Intimen verschleiern hilft, vereinigen sich zu der totalen Belagerung, die dem Buch den Titel gegeben hat.

Die anonyme Selbstgesetzlichkeit des uneingeschränkten Wirtschaftswachstums hat

Landschaft und Heimat vernichtet, die Freiheit der Presse beseitigt, den Terrorismus

aus sich heraus erzeugt und sodann möglichst perfekte Methoden seiner Bekämpfung entwickelt, wobei es letztlich gleichgültig bleibt, ob man in der Sicherheit, an der Sicherheit stirbt, oder ob das Wachstum selbst alle Werte vernichtet, um derentwillen

es sich zu leben lohnt. Die alte Ordnung ist gleichermaßen an sich selbst, an ihrer Bekämpfung und an ihrer Verteidigung erstickt.

Am Ende kommt aufgrund des verwirrten kapitalistischen Systems Tolm auf den

Gedanken, dass „nun jetzt ein Sozialismus kommen muss, siegen muss...“77

4.9. Persönlicher Kommentar Bis in die Form hinein ist Fürsorgliche Belagerung der Roman der zerstörten

Öffentlichkeit: kein allwissender Erzähler, kein Verfasser, kein Berichterstatter stellt umfassender Öffentlichkeit her. Böll greift statt dessen auf die multiperspektivische

Form früherer Romane zurück: Gedankenberichte verschiedener personaler Medien machen den Rückzug des einzelnen in die Innerlichkeit deutlich, die Einsamkeit, das Aneinander-Vorbeileben selbst innerhalb der engsten Familie. Die gewählte Form wird zum adäquaten Ausdruck der im Roman dargestellten Gesellschaft, die zum Diskurs unfähig ist.

77

Ebda, S.621.

45

Die Dialektik zwischen der Zerstörung der Privatsphäre einerseits und der

ausbleibenden Öffentlichkeit für wirkliche Gegenstände berechtigten öffentlichen Interesses bereitete sich schon im Roman Die verlorene Ehre der Katharina Blum vor.

Die Hauptperson Fritz Tolm muss nach seiner Wahl bewacht werden, da seine

persönliche Sicherheit gefährdet erscheint. Es zeigt sich aber, dass diese Sicherheit, die

er benötigt, um leben zu können, auch seiner Lebensqualität schädigt. Er und seine Familie werden fürsorglich belagert, beobachtet und belauscht. Durch die Totalität der

Überwachungsstrategie, die bis ins Intimste vordringt, wird auch das private Leben

völlig zerstört. Dadurch geht auch das Vertrauen zwischen den Mitmenschen und der Nachbarschaft

verloren.

Schlagwort

für

diese

systembedingte

durchgängige

Vermarktung und Verdinglichen des Intimen ist bei Böll Porno. In diesem Sinn durchzieht das Wort refrainartig den Roman.

Böll verzichtet auf das Konzept, den Roman als Zeitzünderbombe gegen die

Gesellschaft zu benutzen, wie er es in Ende einer Dienstfahrt entwickelt hatte: das Sprengstoff-Bild wird in Fürsorgliche Belagerung direkt aufgenommen. Der Brief, den

Kortschede, einer der einflussreichsten Männer der deutschen Wirtschaft, als

Abschiedsbrief und Vermächtnis an seinen Freund Tolm schickt, enthält Dynamit...78

Kortschede

hat

Atomkraftwerke,

in

seinem

Lobbys,

Abschiedsbrief

Bestechungen,

alle

seine

Informationen

Zukunftsprognosen,

über

Wachstum

zusammengefasst. Offenbar verkündet er die Götterdämmerung des bürgerlichkapitalistischen Zeitalters. Deshalb darf der Brief nie an die Öffentlichkeit dringen:

„Der Brief, im Falle, dass ihn Tolm veröffentlicht, ... trifft uns alle, alle, die wir da sind, es wäre wenn nicht das ganze, dann das halbe Ende“79

78 79

Ebda, S. 578. Ebda, S. 602.

46

Deshalb wird er sogar dem Adressaten Tolm vorenthalten, und damit bleibt er

aufgrund des personalen Erzählverfahrens auch den Lesern des Romans unbekannt. Der Brief Kortschedes steht stellvertretend für das grundsätzliche Phänomen, dass selbst

grundlegende Entscheidungen von höchster Wichtigkeit nicht mehr öffentlich diskutiert werden.

4.10. Heinrich Böll selbst über Fürsorgliche Belagerung: Heinrich Böll selbst hat über die Benennung „Sicherheit“ Stellung genommen. Fritz

Tolms Familie ist in allen vier angegebenen Kategorien betroffen. Jedes Familienmitglied kann einer der vier Gruppen zugeordnet werden80. Die Bewachten:

Wirtschaftsführer oder Politiker in einer Position, die sie zu möglichen Opfern terroristischer Angriffe macht. Die Überwachten:

Personen, die als Terroristen aktenkundig, des Terrorismus verdächtig, oder mit den Aktenkundigen oder bloß Verdächtigten befreundet sind. Die Bewacher:

Polizeibeamte, die sowohl familiär wie dienstlich in Konflikt geraten.

Die Sicherheitsgeschädigten: Zit. nach: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. München 1980. S.74. 80

47

Personen, die mit irgendeinem aus den oben beschriebenen Gruppen befreundet oder bloß deren Nachbarn sind. Die durch Sicherheitsmaßnahmen umfangreicher und

ausgeklügelter Art belästigt und geschädigt werden, in ihrem Berufs-, Familien-, Privatund Intimleben. Sie werden Opfer der intensiven Beobachtungen, die gar nicht ihnen

gelten, sie geraten in ein Sicherheitsnetz. Vergehen sowohl privater wie beruflicher Art werden entdeckt, bringen Konflikte und Probleme, Vergehen, die mit Terrorismus nicht das geringste zu tun haben.

Die meisten Komplikationen, Konflikte, Probleme, und Irrtümer entstehen innerhalb

dieser vier Gruppen dadurch, dass etwa zur gleichen Familie sowohl Bewachte wie

Überwachte als auch Sicherheitsgechädigte gehören. Auch Freundeskreise und Nachbarschaften bestehen aus Gliedern dieser drei Kategorien. So ergibt sich das

Problem, ob durch diese Art Sicherheitsmassnahmen mehr Sicherheit oder mehr Unsicherheit entsteht und wie viele Sicherheitsgechädigte ins Netz geraten.

An dieser Stelle möchte ich noch zwei ausgewählte Zitate hinzufügen, die sich auf

Fürsorgliche Belagerung beziehen und zur Interpretation des Werks beitragen könnten. Beide sind auf Bölls Homepage im Internet zu finden.81

„Ich wollte die Gefangenschaft der Überwachten und der Bewachten, die Übergänge zwischen überwacht und bewacht darstellen.... Die Menschen werden ja auch durch die Bewachung zerstört.“ (Heinrich Böll)

Aus Heinrich Bölls Homepage: www.heinrich-boell.de/ 81

48

„Dieses am direktesten und umfassendsten in die gesellschaftliche Gesamtwirklichkeit verstoßende Buch Bölls ist zugleich sein menschlichstes.“

(Helmut Gollwitzer. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt.)

49

5. DU FÄHRST ZU OFT NACH HEIDELBERG 5.1. Das Problem des Textverständnisses Das nächste, sich mit dem aktuellen Thema der Zeit beschäftigende Werk ist die

Erzählung Du fährst zu oft nach Heidelberg, die im Jahre 1977 erschienen ist.

Viele Leser finden sie fast unerklärlich. Das Problem ist jedoch nicht die

Kompliziertheit und Schwierigkeit des Textes oder seine Abstraktheit, ganz im

Gegenteil: gerade in der Konkretheit des Textes liegt paradoxerweise seine Sperrigkeit. Denn Bölls Erzählung stellt eine spezifische politisch-soziale Situation dar, ohne sie

aber je direkt beim Namen zu nennen. Das Werk behandelt die Auswüchse einer

politischen Verfolgungsjagd, aber es kommen hier die Worte Terror, Baader-Meinhof, RAF, Berufsverbot und Radikalenerlass gar nicht zum Ausdruck.

5.2. Historischer Hintergrund der Erzählung Diese Erzählung lässt sich ohne den faktischen historischen Rahmen ihrer

Entstehung nicht erklären. Deshalb füge ich an dieser Stelle ein paar Informationen ein, die in meiner Arbeit noch nicht erwähnt wurden.

Der Text spielt in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, aber die Wurzeln der darin

beschriebenen Situation reichen etwas weiter zurück: eine im Frühjahr 1966

einsetzende, im Rückblick als ziemlich geringfügig zu bezeichnende wirtschaftliche Rezession hatte eine weitgehende Angst vor einer Wiederholung der Ereignisse der zwanziger und dreißiger Jahre hervorgerufen. In Regierungskreisen hielt man eine

Verfassungsänderung für notwendig, die es den Behörden leichter machen sollte, auf eventuelle öffentliche Unruhen zu reagieren. Nach dem Austritt der FDP aus der

Regierungskoalition im Oktober 1966 wurde die damalige Kleine Koalition /CDU/CSU/FDP/, die nicht über die dazu erforderliche Zweidrittelmehrheit im 50

Bundestag verfügte, durch eine Große Koalition /CDU/CSU/SPD/ unter Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger /CDU/ abgelöst. Die neue Regierung machte Gebrauch von ihrer

überwältigenden Mehrheit im Parlament, um die dann am 30. Mai 1968 in Kraft

getretenen Notstandsgesetze zu verabschieden, die mehrere im Grundgesetz verankerte Bürgerrechte bedeutend einschränkten.

Aber statt zur politischen Stabilität beizutragen, hat die Bildung der Großen

Koalition eher Zweifel, Protest und Uneinigkeit ausgelöst. Und in einer Situation, in der

eine wirksame Opposition im Bundestag rein zahlenmäßig nicht mehr möglich war,

verbreitete sich die Ansicht, der demokratische Prozess sei ausgehebelt worden und die Opposition müsse sich anderswo und anderswie organisieren. So wurde die

außerparlamentarische Opposition /APO/ gegründet, ein loser Zusammenschluss von

Individuen und Organisationen, die durch Aufrufe, Versammlungen, Demonstrationen

und Publikationen eine demokratische Debatte aufrechtzuerhalten versuchten. Gleichzeitig machte sich in den Universitäten eine weit- und tiefreichende Unzufriedenheit bemerkbar, die (im Anschluss an die Ereignisse vom Mai 1968 in Frankreich)

zu

Massendemonstrationen,

Besetzungen

von

Lehrsälen

Verwaltungsgebäuden und gewaltigen Auseinandersetzungen mit der Polizei führte.

und

Das Jahr 1968 markiert ebenfalls den Beginn einer terroristischen Kampagne extrem

links orientierter Gruppen, die durch Bombenanschlage und politischen Mord eine

repressive Reaktion seitens der Regierung provozieren wollten, die dann ihrerseits zur

Entfremdung der Bevölkerung und dem Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung

führen sollte. In dieser Situation würde die Umbildung der Gesellschaft auf sozialistischer Basis stattfinden. Etwa zehn Jahre lang versuchten Baader-Meinhof-

Gruppe und Rote-Armee-Fraktion die bestehende Ordnung in der Bundesrepublik durch Gewalt zu

destabilisieren. Erst mit dem Tode von Willy-Peter Stoll im

September 1978 nahm das Ausmaß dieser blutigen Phase politischer Aktion ab.

51

In gewissem Maße hat sich die Kalkulation der Terroristen bewährt. Zu repressiven

Gegenmaßnahmen ist es mit dem am 28. Januar 1972 in Kraft getretenen Radikalenerlass recht früh gekommen. Der gleichzeitig auf Bundes- und Landesebene verfügte Erlass sollte den Staat vor subversiven Bestrebungen schützen, indem er

vermeintliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst ausschloss. Nur wer

eindeutig beweisen konnte, dass er die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv unterstützte, durfte für den Staat arbeiten. Eine neutrale, innerlich distanzierte Haltung genügte nicht, und es lag an dem jeweiligen Beamten bzw. Bewerber, seine

Zuverlässigkeit zu zeigen, nicht an den Behörden zu beweisen, dass er unzuverlässig war. Eine Umkehrung der in einem Rechtsstaat üblichen Beweislast. Bis 1978, als der

Erlass auf Bundesebene aufgehoben wurde, wurden die Akten von etwa zwei Millionen

Staatsbeamten, bzw. -angestellten und Anwärtern auf Stellen im öffentlichen Dienst überprüft. In Schätzungsweise 4000 Fällen wurden Beamte entlassen bzw. dem Bewerber der Eintritt in den öffentlichen Dienst verweigert.

5.3. Inhalt der Erzählung und Charakterisierung der Hauptperson Die Erzählung spielt sich im Rahmen des oben beschriebenen historischen

Hintergrunds ab. Alles wird mit den Augen der Zentralfigur gesehen, eines nie mit

Namen benannten ehemaligen Elektrikers, der auf dem zweiten Bildungsweg die Reifeprüfung und ein Universitätsstudium (Deutsch und Spanisch) abgeschlossen hat.

Die Handlung beginnt am Sonntag nach der letzten Prüfung und spielt bis zum

Gespräch mit dem für die Vergabe von Stellen im Lehrdienst zuständigen Beamten aus dem Kultusministerium am folgenden Tage.

52

Sollten wir uns um eine Charakteristik der Zentralfigur bemühen, müssen wir

feststellen, dass es sich um einen konservativen, privaten und fast völlig unpolitischen

Charakter handelt. Den politischen Meldungen in den Nachrichten „hört er nur mit halbem Ohre zu“82

Seine Verlobte, die ja ihrerseits keineswegs als Revolutionärin zu bezeichnen wäre, wirft ihm wiederholt vor, zu korrekt, „zu bürgerlich gekleidet zu sein“.83

Als der Hauptheld von einem anderen Bewerber gefragt wird, ob er Kommunist sei, antwortet er: „Nein,... nein, nimm´s mir nicht übel“.84

Es ist ihm nämlich peinlich, sich in die politischen Unterhaltungen zu mischen und er ärgert sich über manches Gerede bei Studentendemonstrationen.

Was wir noch von der Hauptperson dieser Erzählung wissen, sind seine pädagogischen Fähigkeiten und sein akademisches Format.85

5.4. Interpretation „Du fährst zu oft nach Heidelberg“ – das sind die Vorwürfe der Eltern des

Studenten, die an mehreren Stellen auftreten. Aber welche Bedeutung haben sie eigentlich? Es handelt sich um die Freundschaft der Zentralfigur zu den in Heidelberg

lebenden chilenischen Flüchtlingen Diego und Teresa, denen er (als Spanischkundiger) hilft, mit den bürokratischen Problemen des täglichen Lebens fertig zu werden. Eine rein menschlich humanitäre Tätigkeit, mit keinerlei politischen Assoziationen.

Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Herausgegeben von Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989. S. 179. 82

Ebda, S.177. Ebda, S.179. 85 Ebda, S.177. 83 84

53

Mit anderen Worten: Als Flüchtling vor dem 1973 durch einen blutigen Staatsstreich

an die Macht gekommenen rechtsradikalen Regime von General Augusto Pinochet wird

Diego von den Behörden in der BRD fast automatisch als marxistischer Subversiver betrachtet. Und obwohl er als Asylant den Schutz des Asylrechts für sich in Anspruch

nehmen kann, wirkt sich dieser politische Verdacht auf seinen deutschen Freund – die Hauptfigur der Erzählung - aus. Da dieser nicht bereit ist, seine Freundschaft zu einem vermeintlichen Radikalen aufzugeben, darf er nicht Lehrer werden.

Der deutsche Student verfehlt also knapp seine Karrierechance im öffentlichen

Dienst, weil er Heidelberger Chilenen häufig beim Übersetzen von Anträgen, beim

Ausfüllen von Formularen und Fragebögen hilft, und damit – unzutreffenderweise - als

Kommunist in Verruf gerät. Die chilenischen Doktoranden jedoch waren keine politischen Flüchtlinge, alle hatten schon in Chile ein Examen abgelegt und wollten

hier promovieren. Neben Politologen zog es auch Mediziner, Volkswirte, Geologen und

Juristen an den Neckar, die sich nicht nur wissenschaftlich weiterbildeten, sondern auch ihren Horizont bei Jobs auf dem Bau oder bei der Rhein-Neckar-Zeitung erweiterten.

Auffallend erfolgreich verliefen die Biographien der ersten Generation der

Heidelberger Chilenen. Alle waren sie nach ihrer Rückkehr beim Aufbau der

Demokratie in ihrem Heimatland beteiligt: Dr. Carlos Huneus war der erste Botschafter der Regierung Aylwin in Bonn, sein Nachfolger ist Dr. Roberto Cifuentes. Otto Boye vertritt Chile als Botschafter in Venezuela. Sie sind, ebenso wie Dr. Mario Fernandez, der Staatssekretär im Verteidigungsministerium ist, Schüler von Prof. Nohlen.

Böll macht in dieser Erzählung deutlich, dass die Gesetzgebung so mangelhaft

formuliert und so hysterisch gehandhabt wurde, dass sie jemanden treffen kann und trifft, auf den sie nie hätte angewendet werden sollen. Der Staat, bzw. die staatlichen

Behörden, zeigt sich unfähig zwischen politischem Aktivismus und humanitärem Handeln zu unterscheiden.

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6. NACHWORT In meiner Diplomarbeit wollte ich, neben Allgemeinem wie dem Inhalt, dem Autor

und dem gesellschaftspolitischen Hintergrund, besonders auf einige spezifische Fragen

eingehen und versuchen, diese anhand von Zitaten und mit Hilfe der Sekundärliteratur ausreichend zu beantworten. Es ist dabei wichtig, anzumerken, dass es mehrere Interpretationen zu jedem der drei Werke gibt. Die meisten finden sich zu Der verlorenen Ehre der Katharina Blum, keine einzige jedoch beschäftigt sich mit allen

drei Werken auf einmal in einer Buchform, die sich auf den Zeitraum der siebziger Jahre beschränken und die Berührungspunkte suchen würde.

Den drei behandelten Werken ist gemeinsam, dass sie immer die Geschichte ihrer

Zeit widerspiegeln, ihr typisches Zeichen ist die Aktualität. Ohne einen historischen Kontext lassen sie sich fast nicht interpretieren. Eine gewisse Rolle spielen hier auch

Bölls Auseinandersetzungen mit dem Terrorismus und der gegen vermutete Sympathisanten terroristischer Gewalt gerichteten politischen Hetzkampagnen.

Bölls Werke haben viele positive, aber auch negative Reaktionen hervorgerufen. Sie

sind gar nicht leicht zu lesen. Die Abweichungen, die im Text häufig auftreten, machen die Lektüre kompliziert. An uns selbst bleibt jedoch die Wahl, ob wir die Schwierigkeit des Textes überwältigen wollen, um dadurch Zeugen Bölls Zeit zu werden.

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7. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur Böll, Heinrich: Werke. Romane und Erzählungen 4. 1974-1985. Hg. v. Bernd Balzer. Lamuv Verlag. Kiepenheuer u. Witsch. Köln 1989.

Sekundärliteratur Bibliographien: Koch, Werner: Heinrich Böll: Köln gibt´s schon, aber es ist ein Traum. In: Merian 12/32 (1979): Köln. Lengning, Werner: Der Schriftsteller Heinrich Böll. Ein biografisch-bibliografischer Abriss. München 1977. Nägele, Reiner: Heinrich Böll – Einführung in das Werk und die Forschung. Frankfurt a. M.1976.

Reid, James H.: Heinrich Böll. Ein Zeuge seiner Zeit. München 1991. Vogt, Jochen: Heinrich Böll. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen

Gegenwartsliteratur. Hg. v. H.L. Arnold. München 1978.

Werner, Martin: Heinrich Böll. Eine Bibliographie. Hildesheim 1975. Zu Leben, Werk und einzelnen Aspekten des Gesamtwerks Balzer, Bernd: Heinrich Böll 1917-1985. Bern 1992. Balzer, Bernd: Ausfall in die Sorglosigkeit? In: Materialien zur Interpretation von Heinrich Bölls „Fürsorgliche Belagerung“. Köln 1981.

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Lehnick, Ingo: Der Erzähler Heinrich Böll. Änderungen seiner narrativen Strategie und ihre Hintergründe. In: Beiträge zur neuen Epochenforschung. Band 15. Peter Lang Verlag. Frankfurt a. M. 1977.

Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold. München 1980. Vogt, Jochen: Heinrich Böll. München 1987.

Zu „Katharina Blum“ Balzer, Bernd: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Grundlagen und Gedanken. Verlag Moritz Diesterweg. Frankfurt a. M. 1997. Kicherer, Friedhelm: Heinrich Böll. Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Hollfeld 1981.

Zu „Fürsorgliche Belagerung“ Balzer, Bernd: Ausfall in die Sprachlosigkeit? In: Materialien zur Interpretation von Heinrich Bölls „Fürsorgliche Belagerung“. Köln 1981.

Vormweg, Heinrich: Entlarvende Belagerung. In: Merkur 34/1918.

Bölls sonstige Werke Böll, Heinrich: Werke, Romane und Erzählungen, hg. v. Bernd Balzer. Köln 1987. Böll, Heinrich: Werke, hg. v. Bernd Balzer. Köln 1978. Böll, Werke. Essayistische Schriften und Reden 1-3. Böll, Heinrich: Interviews. Bd. I. 57

Zum politischen und publizistischen Hintergrund Kindlers Neues Literaturlexikon. Kindler. München 1996. Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen. Bundesrepublik Deutschland seit 1945, hg. v. Dieter Lattmann. München 1980.

Schnell, Ralf: Literaturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1986.

Internet-Quellen Heinrich Böll Homepage: www.heinrich-boell.de/

Wikipedia, die freie Enzyklopädie: http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_BA

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8. RESÜMEE Meine Arbeit besteht aus vier großen Teilen. Der erste wird dem Autor und die

anderen drei immer dem jeweiligen Werk gewidmet. Weiter werden alle Teile noch

untergliedert. Der erste Textteil enthält die Einleitung und eine Kurzbiographie des Autors Heinrich Böll, die ich der Übersichtlichkeit halber in zwei Abschnitte gespalten habe: der erste Teil beschreibt das Leben Bölls, der zweite politische Ereignisse, die er im Laufe der 70-er Jahre erlebt hat.

Die anderen Texteile bestehen immer aus einer Inhaltsangabe zum Buch,

Charakterisierung

der

Hauptpersonen

und

einem

Einblick

in

den

gesellschaftspolitischen Hintergrund. Ich habe mich auf die wichtigsten Geschehnisse in den 70-er Jahren beschränkt, die mit dem Autor oder mit dem Werk in Verbindung

stehen. Danach analysierte ich die konkreten Themen und untersuche den Bezug des

Werks zur Aktualität. Anschließend folgt eine Art Resümee und persönliche Bewertung.

Der letzte Teil meiner Arbeit enthält die Bibliographie mit der Primärliteratur,

Sekundärliteratur und den Internet-Quellen.

Ich bin bei der Ausarbeitung dieser Arbeit systematisch vorgegangen: zuallererst

habe ich die Bücher gelesen, dann die Hintergrundinformationen zusammengetragen und direkt mit dem Schreiben begonnen, wobei ich den Hauptteil, also die Beantwortung der Fragen zur persönlichen Interpretation, zuletzt bearbeitet habe.

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