Inhalt 1. Grundlegende Begriffe und Abgrenzungen

Björn Wiemer WS 2005/2005 Vorlesung: Einführung in die Linguistik Teil III: Semantik – Pragmatik Inhalt 1. Grundlegende Begriffe und Abgrenzungen 2. P...
Author: Kasimir Wetzel
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Björn Wiemer WS 2005/2005 Vorlesung: Einführung in die Linguistik Teil III: Semantik – Pragmatik Inhalt 1. Grundlegende Begriffe und Abgrenzungen 2. Proposition, Satz, Äußerung 3. Referenzsemantik: Quantoren, Skopus, Negation 4. Logische Beziehungen zwischen Lexemen 5. Merkmalsanalyse und semantische Dekomposition (Argumentstruktur etc.) 6. Relationen zwischen Bedeutungen: Polysemie, Homonymie; Vagheit, Diffusität; Metonymie, Metapher 7. Aktionale Bedeutungskomponenten und (nochmals) semantische Dekomposition 8. Modalität 9. Deixis; Koreferenz, Anapher; Definitheit 10. Sprechakte: Illokution, Perlokution 11. Konversationsmaximen und deren Folgen für die Pragmatik

1. Grundlegende Begriffe und Abgrenzungen 1.1. Semantik befasst sich mit der konventionellen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (Wörter, Wortgruppen, Sätze etc.), Pragmatik dagegen mit aus der Sprechsituation und/oder konventionellen Bedeutungen ableitbaren Bedeutungen (Inferenzen). Insofern als es der Sprecher ist, der die Aussage formuliert, kann man Pragmatik als die Disziplin bezeichnen, die sich mit der vom Sprecher intendierten Bedeutung beschäftigt. Dieser Abgrenzungsversuch zwischen Semantik und Pragmatik (vgl. auch Levinson 1983) ist nicht ganz gleichzusetzen mit der Morris’schen Definition von ‘Pragmatik’ (vs. ‘Semantik’ und ‘Syntax’). Nach ihr beschreibt die Pragmatik sprachliche Äußerungen (Zeichen) im Verhältnis zum Sprecher und zum Adressaten (vs. Semantik ≈ Lehre von der Bedeutung von Zeichen, Syntax ≈ Lehre von der Kombinatorik der Zeichen). Morris’ semiotisches Dreieck (Morris 1971:19ff.) Syntax (Beziehung von Zeichen untereinander)

Semantik (Beziehung von Zeichen zu Objekten, die sie bezeichnen)

Pragmatik (Beziehung von Zeichen zu den Kommunikationsteilnehmern)

Auch in das Bühler’sche Dreieck fällt diese Abgrenzung nicht ganz genau hinein.

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Bühler (1982 [1934]: 28)

1.2. Man kann von einer graduellen Stufung zwischen lexikalischen und grammatischen Einheiten ausgehen (vgl. Sapir 1921: 88f., 101f.): (I) Basic (Concrete) Concepts; de facto alle lexikalischen Wurzeln. (II) Derivational Concepts; vgl. Derivationsaffixe mit relativ gut verallgemeinerbaren Funktionen wie etwa die Suffixe dt. {er}, russ. {tel’}, die nomina agentis, instrumenti, loci etc. bilden (Lehr-er, russ. uči-tel’ ‘ds.’; Steck-er, russ. vključa-tel’ ,Schalter’). Diese Affixe sind für die Satzstruktur irrelevant, modifizieren aber Konzepte vom Typ (I). (III) Concrete Relational Concepts; als Übergangsklasse zwischen (II) und (IV) gehören hierzu solche Affixe, die sich zwar aus konkreteren Funktionen motivieren lassen, aber daneben eine Spannweite anderer, semantischer weniger motivierter Funktionen haben. So etwa, wenn aus einem Iterativ- oder Frequentativsuffix sich ein Suffix zur Ableitung imperfektiver Verben entwickelt. (IV) Pure Relational Concepts; typische Beispiele sind Flexionsendungen, die primär Beziehungen auf der Ebene des einfachen oder zusammengesetzten Satzes anzeigen, z.B. Kongruenzmarker (Genus, Numerus, Kasus am Adjektiv, Kasus am Substantiv, Numerus am Verb u.ä.). Dieses Kontinuum stellt ein „allgemeinstes Ordnungsschema grammatischer Kategorien“ dar (Plank 1981:17). Es fällt auf, dass einige Teile der Semantik (als linguistischer Teildisziplin) sich relativ klar dem oberen bzw. unteren Bereich dieses Kontinuums zuordnen lassen. Die logische (formale) Semantik beschäftigt sich vorwiegend mit (Eigenschaften von) Einheiten, die zum „(eher) grammatischen“ Bereich der Skala gehören: Quantorenausdrücke und Negatoren, Pronomina etc. und die mit ihnen verbundenen Skopus-Phänomene (s. Abschnitt 3). Ihr Gegenstand ist in erster Linie die Darstellung rein referenzieller Eigenschaften, ohne Rücksicht auf die lexikalische Semantik. Die traditionelle Lexikographie und die lexikalische Semantik befassen sich dagegen mehr mit autosemantischen Ausdrücken, also solchen, die zum „(eher) lexikalischen“ Bereich der Skala gehören. Auf sie sind auch – zumindest auf einer wortsemantischen (lexikalischen) Ebene – am besten Relations-Begriffe wie Synonymie, Antonymie u.ä. und Polysemie (vs. Homonymie) anwendbar. Freilich werden neuerdings immer mehr auch Funktionswörter mit strikten metasprachlichen Verfahren beschrieben, welche aus der Beschreibung autosemantischer Wörter stammen.

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1.3. Wortsemantik vs. Satzsemantik Der Bereich der Semantik, welcher sich mit der Beschreibung syntagmatisch unverbundener Einheiten befaßt, nennt sich ‛lexikalische Semantik’. In ihr werden Lexikoneinheiten beschrieben, und zwar idealiter unter Einschluß ihres syntaktischen und pragmatischen Potentials (zum Lexikon s. 1.6). Sprachliche Ausdrücke im syntaktischen Zusammenhang des Satzes werden in der ‛Satzsemantik’ untersucht. Hierbei geht es nicht zuletzt um die Erfassung von Interaktionen zwischen der lexikalischen Semantik (d.i. der Systembedeutung der lexikalischen Einheiten einer Sprache) und dem Satzkontext. Letzterer kann z.B. das aktionale Verhalten von Verben beeinflussen (s. Abschnitt 7). Man kann im Prinzip noch den Bereich ausgrenzen, welcher sich mit dem Zusammenwirken von Sätzen als eines Textganzen und mit der Herstellung von Kohärenz über Satzgrenzen hinaus (innerhalb eines Textes) beschäftigt. Hier sind die Grenzen der „Kompetenzen“ von Syntax und Semantik besonders fließend; man spricht zwar eher von ‛Diskurssyntax’, könnte aber mit einigem Recht auch von ‛Diskurssemantik’ oder ‛satzübergreifender Semantik’ sprechen. Zu diesem Bereich gehört vor allem die Analyse von Anaphern (s. Abschnitt 9). Bei der konkreten Realisierung und dem Verständnis von Äußerungen in der Kommunikation spielen natürlich noch andere Faktoren eine Rolle als solche, die man in semantische Regeln fassen könnte. Insbesondere fragt man sich als Kommunikationsteilnehmer immer nach den eigenen Zielen und den Intentionen anderer, deren Äußerungen man vernimmt. Hierbei kann man auch gewisse Regeln entdecken. Diese sind jedoch Gegenstand der Pragmatik. Wir sollten mit Löbner (und anderen) unterscheiden zwischen • ‛Ausdrucksbedeutung’ (engl. ‛expression meaning’), d.i. der Systembedeutung einer Einheit im Lexikon, • ‛Äußerungsbedeutung’ (engl. ‛utterance meaning’): “the context of utterance … is the sum of circumstances that bear on reference and truth” (Löbner 2002:8), • ‛kommunikativer Sinn’ (engl. ‛communicative meaning’), welcher Bestandteil u.a. der Sprechakttheorie ist. Vgl. dazu die Tabelle in Löbner (2002:11). Beschreibungsebene

Definition

Ausdrucksbedeutung

Bedeutung eines einfachen oder zusammengesetzten Ausdrucks (Lexems) in Isolation

Äußerungsbedeutung

Bedeutung eines Ausdrucks im gegebenen Kontext der Äußerung, mit durch diesen Kontext etablierter Referenz und Wahrheitswerten

kommunikativer Sinn

Bedeutung einer Äußerung als kommunikativer Handlung in dieser oder jener sozialen Situation

Hilfreich ist ferner die Auflistung der Bereiche der Semantik (ibd.:15); hier die deutsche Version:

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1.4. Denotation vs. Referenz Man unterscheidet zwischen Extension und Intension. Ganz kurz formuliert versteht man unter der Extension eines sprachlichen Ausdrucks die Menge aller Referenten (Gegenstände oder Situationen), auf die dieser Ausdruck zutrifft bzw. zutreffen kann. Die Intension desselben Ausdrucks ist dagegen in erster Annäherung als dessen inhaltliche lexikalische Bestimmung anzusehen. So können sich Lexeme mit identischen Referenten hinsichtlich ihrer Intension unterscheiden; vgl. (1a) Abendstern (1b) Morgenstern. Substantive mit abstrakten Referenten (Abstrakta) etwa lassen sich gar nicht extensional bestimmen, sondern nur intensional, da man mit ihnen nicht auf Gegenstände in der umgebenden Welt verweisen kann und sich keine Mengen bilden lassen, aus denen bestimmte Referenten (Tokens) ausgewählt werden könnten. (Das erkennt man auch morphologisch an dem Fehlen eines Plurals bzw. dem Umstand, dass, wenn ein Plural gebildet werden kann, dieser bestimmte Bedeutungsverschiebungen gegenüber dem Singular aufweist; vgl. etwa Mut Æ ∅, Interesse Æ Interessen, Freundschaft Æ Freundschaften.) Die Klasse der Substantive, auf welche sich eine extensionale Betrachtung gut anwenden lässt, sind die Appellativa; sie haben sowohl eine spezifische wie eine generische Verwendung (s.u.). Hinsichtlich der Referenz und der Möglichkeit der extensionalen vs. intensionalen Bestimmung ist es sinnvoll zu unterscheiden zwischen (a) autosemantischen Ausdrücken, die auf konkrete Gegenstände referieren (Appellativa). Diese lassen sich gut sowohl extensional als auch intensional bestimmen (in Form von Explikationen). Extensional geschieht dies in der Formalen Semantik (und Logik) durch die Zuschreibung von Wahrheitswerten (s. **), intensional in Form von Merkmalslisten und Explikationen (s. **) und einigen anderen Verfahren.

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(b) autosemantischen Ausdrücken, die auf abstrakte Zusammenhänge (Zustände, Beziehungen, Ereignisse etc.) referieren. Sie sind eigentlich nur intensional beschreibbar. (c) typisch deiktischen Ausdrücken. Sie haben keine Intension, ihre Extension wird allein durch die Sprecher-Origo bestimmt (z.B. ostensiv durch Bezug auf den zeigenden Sprecher). (d) Ausdrücken, die zur syntaktischen oder semantischen Variablenbindung dienen; dazu gehören vor allem Quantoren und Pronomina. Von daher haben diese Ausdrücke keine Intension. Ihre Referenzleistung (= Extension) lässt sich nicht durch die Sprecher-Origo bestimmen, sondern durch den kontextuellen Bezug auf Nominalgruppen (und die durch diese etablierten Referenten); s. Abschnitt 9. Pronomina können – abhängig von der Verwendung – zu Typ (c) oder (d) gehören. Mehr zur Unterscheidung von Extension vs. Intension noch im weiteren Verlauf. Sprachliche Ausdrücke denotieren etwas (Gegenstände, abstrakte Zustände, Situationen u.ä.) als Einheiten des Lexikons oder in einem syntagmatischen Zusammenhang (im Satz). (2) (3) (4) (5)

Haus, Katze, Stadt; Ausdauer, Mut, Entmutigung; Zeit, Land grün, schön, dauerhaft, mutig, städtisch, mürrisch, wollig regnen, laufen, aussehen, lesen, fühlen, verstehen, senden dennoch, immerhin, schließlich, doch, schon.

Die Denotation ist ihnen als Systemeinheiten der Sprache eigen, sie geht als wesentlicher Teil in die lexikalische Beschreibung von Lexemen (s. **) ein. Die Denotation ist damit äußerungsunabhängig. Statt ‘Denotation’ kann man auch von ‘deskriptiver Bedeutung’ reden. Hinter der deskriptiven Bedeutung eines autosemantischen Worts steht das Konzept für dessen potentiellen Referenten, hinter derjenigen eines synsemantischen Worts (Funktionsworts) der Bezug auf Situationen (welche in der Regel durch solche Wörter in eine Sinnbeziehung gesetzt werden).

Fig. 2.1, Löbner (2002:25), deutsche Version Der deskriptiven Bedeutung eines S a t z e s entspricht dessen ‘Proposition’ (s. Abschnitt 2). Referieren können sprachliche Ausdrücke dagegen nur, indem man sie in einer Äußerung benutzt. Die Referenz ist damit äußerungsabhängig. (6a) (6b) (6c) (6d)

Die schöne, wollige Katze läuft, sieht aber mürrisch aus. Städtische Häuser sind nicht so dauerhaft wie Häuser auf dem Land. Man fühlt Entmutigung, wenn es die ganze Zeit nur regnet. Das ganze Land hat das mutige Buch meines Bekannten, des Journalisten XY, gelesen. 5

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Referieren können nicht nur autosemantische Wörter (Lexeme), sondern auch bestimmte Funktionswörter wie z.B. Pronomina (meines) und grammatische Formative (z.B. des Tempus). In (6d) referieren die NPs das ganze Land und das mutige Buch meines Bekannten auf je einen bestimmten Referenten; die erste dieser NPs ist durch einen Quantor (ganze) spezifiziert, die zweite durch ein Genitiv-Attribut (meines Bekannten), welches in Form des Possessivpronomens (meines) auf den Sprecher der Äußerung (5d) selbst zurückverweist. Auf die Sprechzeit (die temporale Sprecherorigo) verweist das Tempus (Perfekt, hat ... gelesen), aufbauend mit der Annahme, dass diese Äußerung im deiktischen Register gehalten ist. Diese Annahme ist allerdings nicht aus der Semantik der beteiligten Formen an sich ableitbar, sondern pragmatisch bedingt. Welches Land mit das ganze Land gemeint ist, ergibt sich durch den Äußerungskontext oder das sonstige Vorwissen der Diskursteilnehmer und wird damit eigentlich pragmatisch erschlossen. Welches Buch mit das mutige Buch gemeint ist, wird zum einen durch das Genitiv-Attribut und die appositive Ergänzung des Journalisten XY eingegrenzt, zum anderen aber auch durch das vom Sprecher vorausgesetzte (präsupponierte) Wissen, welches er mit seinen Zuhörern zu teilen meint. Insofern spielt auch hier wieder eine pragmatische Komponente für die Erschließung der Referenz (und der Wahrheitsbedingungen) der gesamten Äußerung eine wichtige Rolle. Man beachte, dass es auch autosemantische Wortklassen gibt, die in aller Regel in Äußerungen keine Referenzfunktionen erfüllen. Das trifft vor allem auf Adjektive zu. Vgl. die obigen Sätze (6): Adjektive schreiben typischerweise Eigenschaften zu, sei es attributiv (schöne, wollige, städtische, mutige) oder prädikativ (mürrisch, dauerhaft). Sie referieren dabei aber nicht selbst auf Gegenstände oder Situationen. Lexeme können in verschiedenen Referenzfunktionen verwendet werden. Die wichtigsten Funktionen sind die folgenden. • spezifische Referenz: Der Sprecher stellt einen Referenten Ra durch das Lexem L als eindeutig identifizierbar (d.i. aus der Menge aller Referenten R1-n ausgrenzbar) dar. Im typischen Fall muß der Referent also Mitglied einer (endlichen oder unendlichen) Menge sein können, d.i. zählbar sein. Zur Darstellung einer solchen Beziehung eignen sich praktisch nur Substantive, und auch unter ihnen nur sog. Appellativa; vgl. (7a) Das Haus (an der Ecke / von Hans-Friedrich / welches wir gestern während des Spaziergangs bestaunt haben) ist leider diese Nacht abgebrannt. (7b) Ein gewisses / bestimmtes Haus ist diese Nacht leider abgebrannt. (7c) Ein (gewisses) Haus [sc. eines von vielen möglichen, aber ich meine ein bereits von mir, dem Sprecher, identifiziertes, jedoch Dir, dem Hörer, noch nicht bekanntes und noch zu identifizierendes] ist diese Nacht abgebrannt. Nominalgruppen (NPs) mit spezifischer Referenz weisen in „Artikelsprachen“ einen Artikel auf (und werden damit zu DPs), in anderen Sprachen werden sie oft durch andere Determinatoren spezifiziert (z.B. Demonstrativpronomina). Eigennamen (nomina propria) haben eine Extension, die per definitionem aus g e n a u e i n e m Referenten besteht. Sie sind deshalb immer spezifisch (und definit, s. Abschnitt 9). •

unspezifische Referenz:

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Der betreffende Referent ist auch für den Sprecher nicht eindeutig identifizierbar und noch nicht (aus einem Pool möglicher Referenten) festgelegt. Es kann sich um einen x-beliebigen Referenten handeln, auf den die deskriptive Bedeutung der NP zutrifft; vgl. (8a) Es ist heiß. Wollen wir uns (irgend)einen schattigen Platz suchen? (8b) Ich hätte Lust auf ein (Glas) Bier. • generische Referenz: Im Gegensatz zur spezifischen Referenz wird bei generischen Aussagen nicht über einen einzelnen Referenten (ein Token aus einer Menge) prädiziert, sondern über den gesamten Referenten-Typen (einen Type). Wie auch bei der spezifischen Referenz ist eine Voraussetzung für diesen Referenztyp, dass es eine Menge von gleichartigen Referenten gibt, die durch das Substantiv denotiert werden. Vgl. (9a) (9b) (9c) (9d)

Der Hund ist das bekannte deutsche Haustier. Ein Ball ist definiert dadurch, dass er rund ist. Bellende Hunde beißen nicht. Den letzten beißen die Hunde.

Zum Verhältnis zwischen Artikel und Quantoren sowie zur Beziehung zwischen Definitheit und referenziellem Status s. Abschnitt 9. • prädikative Verwendung: NPs können auch die Funktion des Satzprädikats übernehmen. Dazu werden sie mit einer Kopula verbunden; vgl. (10a) Hans ist (ein) Lehrer. (10b) Hunde sind gute Helfer beim Aufspüren von Straftätern. • autonyme Verwendung: In diesem Fall verweist ein Wort auf sich selbst als einer Einheit der jeweiligen Sprache. Es tritt damit als objektsprachlicher Ausdruck in einem metasprachlichen Kontext (Satz) auf (zu dieser Unterscheidung s. gleich unten); vgl. (11a) „Linguistik“ und „Sprachwissenschaft“ bedeuten im Grunde dasselbe. (11b) Das Mädchen dort drüben heißt Laura. (11c) „Meilė“ bedeutet im Litauischen so viel wie „Liebe“ im Deutschen. Beachte, dass in einem Satz-Zusammenhang wie z.B. (12a) (12b)

Sage nie zu einem anderen Menschen „Idiot“. Vielleicht bist du selbst einer (= ein Idiot).

Idiot in (12a) autonym verwendet wird, während dieses Substantiv bzw. seine Pro-Form einer in (12b) prädikativ auftritt. (Zur Anapher und verwandten Erscheinungen s. Abschnitt 9.)

1.5. Objektsprache vs. Metasprache Objektsprachliche Ausdrücke sind diejenigen, welche Grundlage der linguistischen Beschreibung sind, d.i. ü b e r d i e Aussagen getroffen werden. Graphisch kennzeichnet man sie durch Kursivdruck (ich bin ein objektsprachlicher Ausdruck). 7

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Metasprachliche Ausdrücke sind dagegen solche, welche z u r B e s c h r e i b u n g objektsprachlicher Ausdrücke dienen. Im engen Sinne sind dies Termini, im allgemeineren Sinne handelt es sich dabei schlichtweg um Ausdrücke der Sprache, i n w e l c h e r (bzw. m i t h i l f e welcher) man etwas beschreibt. Zur Kennzeichnung (vor allem, wenn man Begriffe einführt) dienen in der Regel einfache Anführungsstriche (‘ich bin ein metasprachlicher Ausdruck’). Die Unterscheidung zwischen (und graphisch unterschiedliche Kennzeichnung von) metaund objektsprachlichen Ausdrücken wird besonders wichtig dann, wenn die Metasprache aus derselben natürlichen Sprache entwickelt worden ist wie die Objektsprache (z.B. wenn man in Deutsch über Ausdrücke des Deutschen schreibt).

1.6. Ausdrücke, Wörter, Lexeme, Lexikon Für jede Sprache (bzw. Sprachvarietät) darf man postulieren, dass es ein Inventar an Einheiten gibt, welches als stabil gespeicherter und als solcher oft auch kodifizierter Bestand an Bedeutungen den Mitgliedern einer Sprechergemeinschaft zur Verfügung steht. Dieses Inventar bezeichnet man als ‘Lexikon’. Aus der Sicht seiner Speicherung und Verarbeitung ist das Lexikon Gegenstand u.a. der psycholinguistischen Forschung; aus der Sicht der Kodifizierung manifestiert sich ein Lexikon in Form von Wörterbüchern. Es ist nun wichtig, zwischen ‘Ausdrücken’, ‘Wörtern’, ‘Wortformen’ und ‘Lexemen’ zu unterscheiden. Alle vier Begriffe gehören in der einen oder anderen Weise in ein ausführliches und systematisches Lexikon (sowohl ein virtuelles wie ein „handfestes“, gedrucktes) und wären in ihm zu differenzieren. ‘Wortformen’ heben sich jedoch von den übrigen drei Begriffen (bzw. Betrachtungsweisen lexikalischer Einheiten) dadurch ab, dass sie bereits grammatische Informationen liefern, z.B. in Form von Flexionsendungen oder anderen morphologischen Markierungen. Mit anderen Worten: Wortformen sind Wörter (oder allgemeiner: lexikalische Einheiten) der Sprache Lx, an denen Unterscheidungen der für Wörter in dieser Sprache relevanten grammatischen Kategorien sichtbar werden; die Grammeme dieser Kategorien werden verändert, ohne dass damit die Einheit des Worts bzw. des Lexems (s.u.) gestört wird. Das bedeutet umgekehrt, daß Wortformen mehr oder minder klar abgegrenzte Paradigmen bilden, innerhalb derer die lexikalische Bedeutung nicht variiert; vgl. etwa (12) der Student-∅ des Student-s dem Student-en den Student-en (13) ich geb-e du gib-st sie gib-t

die Student-en der Student-en den Student-en die Student-en

wir geb-en ihr geb-t sie geb-en

ich gab-∅ du gab-st er gab-∅

wir gab-en ihr gab-t sie gab-en

‛Wörter’ sind dadurch bestimmt, dass sie morphologisch eine Einheit bilden (z.B. Wurzel— Stammbildungs-Morpheme—Flexionsaffix), ‘Ausdrücke’ können demgegenüber durch mehr als eine Worteinheit gebildet werden (z.B. sog. Idiome, phraseologisierte MehrwortEinheiten); in diesem Sinne inkludieren sie ‘Wörter’. Sowohl ‘Wörter’ wie ‘Ausdrücke’ haben aber mindestens eine lexikalische Bedeutung. Ein ‘Lexem’ ist nun ein Wort (bzw.

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Ausdruck) in genau einer seiner Bedeutungen. Ist ein Wort (oder Ausdruck) mehrdeutig, d.i. polysem (s. Abschnitt 6), weist es so viele Lexeme auf, wie es Bedeutungen hat1. Wie Bedeutungen genau beschrieben und gegeneinander abgegrenzt werden, ist bis heute ein ungelöstes Problem und Gegenstand von zum Teil heftigen Debatten nicht nur in der angewandten Lexikographie (der Erstellung von Wörterbüchern). Allgemein darf man aber sagen, dass pro Bedeutung g e n a u e i n e metasprachliche Bedeutungsbeschreibung vorliegen muß. Diese kann man als ‘Explikationen’ bezeichnen. Dazu im weiteren Verlauf mehr.

1.7. Assertion, Präsupposition, Implikation Bedeutungen von lexikalischen Einheiten und Sätzen kann man dahingehend zerlegen, daß man zwischen semantisch und kommunikativ (pragmatisch) zentralen und peripheren Komponenten unterscheidet. Verkürzt formuliert: einige Komponenten gehören zum Kernbereich (zum semantischen oder lexikalischen Fokus), andere hingegen zu Randbereichen, welche in gewisser Weise bei der Verwendung der betreffenden Einheiten mit evoziert werden. Die letzteren Komponenten stellen Inferenzen dar, welche „das Gemeinte“ mit ausdrücken, ohne dass man aber behaupten könnte, der Sprecher habe „es“ gesagt. Eines der Kriterien, nach denen die folgenden Unterscheidungen vorgenommen werden, besteht darin, ob die betreffende Komponente relevant für die Bestimmung von Wahrheitswerten ist oder nicht. Dabei spielen Tests mit der Negation (inkl. Tests mit adversativer Gegenüberstellung u.ä.; näher dazu in Abschnitt 11) eine zentrale diagnostische Rolle (s.u.)2. Zur Klassifikation von Inferenzen benötigen wir noch folgende Begriffe: 1. annullierbar (engl. ‘cancellable’ oder auch ‘defeasible’): Die betreffende Inferenz kann aufgelöst werden, z.B. indem man sie durch einen Folgesatz explizit negiert (etwa von der Art: damit wollte ich jetzt nicht sagen, dass...). 2. ablösbar (engl. ‘detachable’): Die Inferenz hängt an der Form des sprachlichen Ausdrucks und gilt nicht mehr unbedingt bei dessen Reformulierung (Ersetzung durch einen vordergründig synonymen Ausdruck). Man kann verallgemeinern, dass Inferenzen, die ablösbar, aber nicht annullierbar sind, einen konventionalisierten Bestandteil des entsprechenden Ausdrucks ausmachen. Insbesondere gilt dies für Lexeme, aus denen man Inferenzen nicht in einer verallgemeinerten Art und Weise ableiten kann. Sie werden in der lexikalischen Semantik beschrieben. Eine konventionalisierte Opposition von Inferenzen kann man z.B. in HöflichkeitsPronomina (bzw. anderen Honorifikativ-Formen) entdecken; vgl. 1

Diese Bestimmung des Terminus ‘Lexem’ ist nicht unbedingt die von allen (wenn auch von einer ganzen Reihe von) Forschern akzeptierte und angewendete. Ich verwende sie hier ihrer Klarheit wegen und weil sie Bestandteil solcher Ansätze darstellt, wie des sog. „integralen Wörterbuchs“ (z.B. in der Moskauer Lexikologischen Schule). 2 Die Frage, ob Inferenzen eine Angelegenheit der Semantik oder der Pragmatik seien, wird von Spezialisten dahingehend beantwortet, dass dann, wenn die Art der Inferenz losgelöst von Wahrheitswerten beschrieben werden kann (oder soll) und man weiterhin mit einer zweiwertigen Logik (1 vs. 0) auskommt, es sich eigentlich nicht um ein semantisches, sondern ein pragmatisches Phänomen handelt (vgl. Horn 1996:305; Levinson 1983: Kap. 4). Infolge dieser Überlegung erweisen sich Präsuppositionen letztlich immer als pragmatisches Phänomen (s. dazu noch in den letzten Abschnitten). Hier wird zunächst einmal nur der systematische Ort von Präsuppositionen innerhalb anderer Arten von Inferenzen (semantischen wie pragmatischen) aufgezeigt.

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(14a) Du bist hier der Boss. (14b) Sie sind hier der Boss. Man kann aber auch viele Belege dafür unter quasi-synonymen Verben aufspüren, wie etwa in der folgenden Gegenüberstellung: (15a) Ich habe dir das Buch geschickt, aber du hast es offenbar nicht bekommen. (15b) Ich habe dir das Buch übermittelt, ?aber du hast es offenbar nicht bekommen. Im Gegensatz zu schicken scheint übermitteln zu implizieren, dass der betreffende Gegenstand den Adressaten (Empfänger) erreicht hat (und von ihm angenommen wurde). Diese Implikatur ist bei schicken annullierbar, so dass schicken nicht als wirkliches Synonym zu übermitteln anzusehen wäre. Nicht-konventionelle Inferenzen müssen aus dem Kontext der Äußerung heraus erschlossen werden, wobei oft auch das Gesprächsziel und das vom Sprecher und Hörer geteilte Weltwissen eine entscheidende Rolle spielen. Zu solchen Inferenzen gehören ‘konversationelle Implikaturen’ und eine Reihe von Präsuppositionen (zu Beispielen s. Abschnitt 11). Sie werden in der Pragmatik beschrieben. • Unter Assertion versteht man den oder die Teil(e) der Bedeutung eines Lexems oder einer syntaktisch komplexeren Einheit (Syntagmas, Satzes), welcher/welche zu den notwendigen und hinreichenden Komponenten der Bedeutung dieses Ausdrucks gehört/gehören und die zugleich nicht negierbar sind (s. Abschnitte 5-7). • Präsuppositionen stellen den Teil von sprachlichen Ausdrücken (einfachen wie komplexen) dar, welcher nicht der Negation unterliegt. Wenn es z.B. heißt (16a) Peter wusste, dass am 19.12. die Weihnachtsfeier stattgefunden hatte , dann wird das Faktum, dass am 19.12. die Weihnachtsfeier stattgefunden hatte, nicht in Frage gestellt, auch wenn diese Aussage negiert wird: (16b) Peter wusste nicht, dass am 19.12. die Weihnachtsfeier stattgefunden hatte. Wenn, wie im oft zitierten Satz (17) Der König von Frankreich hat eine Glatze , über einen Gegenstand (Topic) der Rede, hier: der König von Frankreich, etwas ausgesagt (prädiziert) wird, nämlich dass er eine Glatze habe, so wird damit präsupponiert, dass es überhaupt (im gegebenen Zeitraum) einen König von Frankreich gab. Dies wird als existenzielle Präsupposition (praesuppositio existentialis) bezeichnet. Die existenzielle Präsupposition ist nicht konventionell, da sie notwendig auf jeden sprachlichen Ausdruck zutrifft. Trifft eine Präsupposition nicht zu, ist der Satz weder wahr noch falsch, da die Wahrheitswerte gar nicht auf ihn angewendet werden können. Die Präsupposition unterscheidet sich genau darin vom Entailment. Die Relation des ‘Entailment’ trifft dann zu, wenn aus einer Aussage A notwendig eine Aussage B folgt (A → B); s. 3.5-3.6. Somit kann 10

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über den Wahrheitswert des Entailments nichts ausgesagt werden, wenn der Ausgangssatz falsch ist: das Entailment kann unabhängig vom Ausgangssatz wahr oder falsch sein. Umgekehrt aber wird der Wahrheitswert einer Präsupposition nicht davon berührt, ob der Ausgangssatz wahr oder falsch ist (was nur eine andere Formulierung für die Tatsache ist, daß die Präsupposition nicht der Negation unterliegt). Ferner m u ß eine Präsupposition auch dann wahr sein (zutreffen), wenn der Ausgangssatz falsch ist; denn der Umstand, daß diesem Satz überhaupt ein Wahrheitswert zugeschrieben werden kann, bedingt sich dadurch, daß ihm (mindestens) eine Präsupposition unterliegt. Die Präsupposition ist quasi die Basis dafür, daß der betreffende Satz als wahr oder falsch beurteilt werden kann. Vgl. dazu (18a) Lieselotte und ihre Kinder sind mit dem Auto in Oberwiesel eingetroffen. (18b) Lieselotte hat Kinder. (18c) Lieselotte fährt zum Zeitpunkt der Äußerung das Auto nicht. Für (18a) gilt die Präsupposition in (18b); (18c) dagegen stellt zu (18a) ein Entailment dar (vorausgesetzt allerdings, daß (18a) temporaldeiktisch interpretiert wird und nicht als Teil eines narrativen Zusammenhangs). Wenn (18a) negiert wird (ist nicht ... eingetroffen), bleibt (18b) trotzdem wahr, und zwar notwendigerweise kraft der Tatsache, daß (18a) überhaupt ein Wahrheitswert zukommt. Der Wahrheitswert von (18c) bleibt dagegen offen: es kann entweder sein, daß Lieselotte zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Auto nicht fährt (etwa weil sie in letzter Zeit auf das Autofahren sowieso verzichtet), oder sie fährt genau in diesem Augenblick das Auto (aber nicht unbedingt mit ihren Kindern auf dem Rücksitz und/oder nicht nach X). Wenn andererseits Lieselotte gar keine Kinder hat (= Negation von Bsp. 18b), kann für (18a) gar kein Wahrheitswert vergeben werden (ebensowenig natürlich auch für (18c)). Wenn S1 der Ausgangssatz ist und S2 der inferierte Satz (Proposition), dann lassen sich die beiden oben genannten Unterschiede zwischen Präsupposition und Entailment wie folgt anhand von Wahrheitswert-Tafeln verdeutlichen (der Pfeil → symbolisiert allgemein eine Inferenz): Entailment S1 1 → 0 ← 0 →

S2 1 0 1∨0*

* D.i. keine Folgerungen sind möglich über den Wahrheitswert von S2, wenn S1 falsch ist.

Präsupposition S1 S2 1 → 1 − (1 ∨ 0)** ← 0 0 → 1 ** Standardschreibweise für ‘weder wahr noch falsch’.

(vgl. Kempson 1977:142f.)3

− Kontexte, die für Präsuppositionen „durchlässig“ sind (transparent sind, „Löcher“ bilden):

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Der Unterschied zwischen Präsupposition einerseits, Implikation und Entailment andererseits lässt sich in aller Kürze auch an der Anwendbarkeit zweier Regeln verdeutlichen, welche in der Aussagenlogik seit langer Zeit als ‘Modus ponens’ und ‘Modus tollens’ (oder auch als ‘Abtrennungs- vs. Widerlegungsregel’) bekannt sind. Vgl. (⎥− bedeutet ‘daraus folgt’): Modus ponens: p, p → q ⎥− q Modus tollens : ¬ q, p → q ⎥− ¬ p Für die Implikation (Entailment) gelten beide Regeln, für die Präsupposition nur der Modus ponens.

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1. einfache Satznegation (s.o.) 2. faktitive Prädikate; vgl. (19a) Hannelore bedauert, dass Peter nicht mit zum Essen kommen kann. (19b) Hannelore bedauert nicht, dass Peter nicht mit zum Essen kommen kann. Andere faktitive Prädikate: gewahr werden, sich freuen, sich wundern, sich ärgern, gutheißen, missbilligen, erahnen, sich bewusst sein / werden, sich erinnern, (sich) ins Gedächtnis zurückrufen, vergessen, berücksichtigen u.a. mit einem propositionalen Aktanten (dass P) (vs. meinen, glauben, (sich) denken, der Meinung sein, annehmen, vermuten, zweifeln, überzeugt sein, sicher sein, sich vorstellen, den Eindruck gewinnen, hoffen, befürchten u.a. mit einem propositionalen Aktanten dass / ob P). Wie man sieht, handelt es sich hierbei durchweg um Verben und Adjektive, mit denen mentale Zustände oder Ereignisse zum Ausdruck gebracht werden. 3. modale Kontexte (= Einbettung in den Skopus modaler Prädikate); vgl. (20a) Dozent XY hält heute seine erste Vorlesung. (20b) Dozent XY dürfte heute seine erste Vorlesung halten. (20c) Dozent XY soll heute seine erste Vorlesung halten. (20c) Es gibt einen Dozenten XY. Nicht nur (20a), sondern auch (20b-c) präsupponieren (20d). • Implikaturen sind genauso wie Präsuppositionen nicht relevant für die Wahrheitsbedingungen sprachlicher Ausdrücke (Lexeme oder Sätze). Sie sind annullierbar und lassen sich deshalb auch nicht als Entailments darstellen. Entailments stellen eine spezielle Art von Implikation dar. Implikationen (darunter Entailments) unterscheiden sich von Implikaturen darin, dass sie im Gegensatz zu letzteren nicht annullierbar sind.

2. Proposition, Satz, Äußerung 2.1. Unter der ‘Proposition’ versteht man die deskriptive Bedeutung eines Satzes. Analog zur deskriptiven Bedeutung eines Worts (s. **) liefert damit die Proposition eine mental verankerte Deskription für den Typ der Situation(en), auf welche diese Deskription potentiell zutrifft (d.i. entsprechende Wahrheitswerte zugewiesen bekommen kann). Schauen wir zurück auf Sätze wie (6d) Das ganze Land hat das mutige Buch meines Bekannten, des Journalisten XY, gelesen , so kann man sagen, dass die deskriptive Bedeutung eines Worts, aber auch eines grammatischen Formativs in dessen Beitrag zur deskriptiven Satzbedeutung besteht.

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Fig. 2.2, Löbner (2002:26), deutsche Version − Wichtig ist folgende Unterscheidung: Eine wesentliche Eigenschaft von Sätzen (natürlicher Sprachen) ist es, dass sie ‘Bedeutung haben’ (oder eben auch ‘keine Bedeutung haben’). Diese Eigenschaft bezieht sich auf deren Intension. Referenz und Wahrheitswerte sind dagegen Eigenschaften von Urteilen, zu deren Äußerung Sätze dienen und die extensional zu bestimmen sind. Daher ist ein Satz wie der berühmte folgende (vgl. Russell und Strawson) (21) Der König von Frankreich hat eine Glatze (= ist glatzköpfig) (geäußert in Zeiten, wo Frankreich eine Republik war) nicht bedeutungslos. Er hat aber keinen Wahrheitswert, da eine wesentliche Präsupposition nicht zutrifft: wenn es keinen König von Frankreich (d.i. keinen Referenten x = ‘König von Frankreich’) gibt, kann man über ihn auch nichts aussagen (urteilen). Formalisiert ergibt sich: (21a)

¬ ∃x (König von Frankreich (x)) .

Aus dieser Sicht wäre es nicht korrekt zu sagen, die praesuppositio existentialis besäße einen weiten Skopus über den Satz: syntaktisch betrachtet, negiert sie das grammatische Subjekt, und nur dieses; Aussagen über das, was mit diesem Subjekt sein könnte, werden damit hinfällig (vgl. in der Wahrheitswert-Tafeln oben die Zeile, in der S2 den Wert ‛0’ erhält). Einer gewöhnlichen Negation entspräche dagegen eine logische Struktur, in der in den Skopus der Negation die K o n j u n k t i o n zwischen dem präsupponierten Subjekt und der Eigenschaft, welche ihm zugeschrieben wird, eingeht: (21b)

¬ [∃x (König von Frankreich (x) & glatzköpfig (x))] .

Eine vergleichbare Situation ergibt sich im Prinzip auch mit Fabelwesen (welche ja im Märchen nicht umsonst explizit etabliert werden; vgl. dt. Es war einmal ..., russ. žil-byl ‘dito’ etc.) sowie in demagogischen Texten, in welchen Präsuppositionen „untergejubelt“ werden, um die Adressaten zu Annahmen zu nötigen, die nicht (bzw. nicht ohne weiteres) zutreffen. Ferner stellt sich das Problem der Verifizierbarkeit von Urteilen (ausgedrückt durch Sätze natürlicher Sprachen) in Aussagen über zukünftige Vorgänge (z.B. Morgen werden wir uns im Grünen erholen), in Aussagen über vergangene Sachverhalte, die aber in keinem Fall mehr überprüft werden können („past unknowables“, z.B. Letztes Jahr zu Himmelfahrt bestand der Rasen vor dem Haupteingang der Universität aus einer ungeraden Anzahl von Grashalmen – modifiziert nach Quine) und, analog dazu, in Aussagen über allgemeine Sachverhalte, die 13

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nicht wirklich überprüft werden können (z.B. Die Anzahl der Sterne ist gerade – aus der mittelalterlichen Scholastik); vgl. Horn (1996:305). 2.2. Kompositionalitäts-Prinzip (Frege 1848-1925) Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks bestimmt sich durch die lexikalische Bedeutung seiner Komponenten, deren grammatische Bedeutung und die syntaktische Struktur als Ganzes (vgl. graphische Darstellung in 1.3). Wohlgemerkt: Dies gilt nicht für die Äußerungs-Bedeutung, bei welcher Wissen über den nicht-linguistischen Kontext hinzukommen muß! 2.3. Analytische vs. synthetische Aussagen (Urteile) Analytische Aussagen sind solche, die logisch immer wahr oder immer falsch sind. Sie beschreiben in der Regel Gesetzmäßigkeiten, Definitionen, taxonomische Beziehungen u.ä. oder geben metasprachliche Auskunft (z.B. über die Bedeutung von Ausdrücken einer Sprache La, formuliert in eben dieser Sprache). Vgl. z.B. (22) (23) (24) (25)

Der / ein Ball ist rund. Der Hund ist ein Säugetier. 2 + 2 ist / gleicht / gibt 4. poln. Kaczki należą do ptaków. (,Enten gehören zu den Vögeln.’)

Zu analytischen Aussagen sind auch Tautologien zu zählen (zumindest in der wörtlichen Lesart), z.B. Arbeit ist Arbeit, und Freizeit ist Freizeit. Synthetische Aussagen sind solche, deren Wahrheitswert nicht einfach aus den einzelsprachlich definierten (festgelegten) Bedeutungen der Einzelausdrücke abgeleitet werden kann, sondern nur durch einen (zeitlich und räumlich möglicherweise wechselnden) Bezug auf die jeweilige Referenzwelt. Man muß sich sozusagen die Lage in einer der möglichen Welten (nämlich der gerade aktualisierten Welt) anschauen, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob die betreffende Aussage wahr oder falsch ist. Vgl. z.B. (26) Das Bier im Kühlschrank ist immer noch warm. (27) Martin ist wieder gesund. Synthetische Aussagen zeichnen sich durch Kontingenz (engl. contingency) aus: eine Aussage ist (in einer gegebenen Lesart) kontingent, wenn sie weder notwendig falsch noch notwendig wahr ist. Anders gesagt: der Wahrheitswert kontingenter Aussagen ist nicht allein durch deren logische Form bestimmt, sondern dadurch, dass die jeweiligen Aussagen eine (Satz)Bedeutung vermitteln.

2.4. Wahrheitsbedingungen und logische Form (28a) (28b)

Gustav grinst

(28c)

Prädikation:

grinst | Prädikat

(Gustav) | Argument

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Aus der Sicht der Wahrheitswert-Semantik tritt das Prädikat als eine Funktion (im mathematischen Sinne) auf, der Argumente unterstellt sind: wenn man ein bestimmtes Argument einsetzt, wird der ganzen Prädikationsstruktur ein Wahrheitswert zugeordnet; vgl.: f(x) = y grinst (Gustav) = 1 (sofern extensional diese Aussage wahr ist; s.u.). − Der Wahrheitswert (= Extension; s.u.) einer Äußerung bestimmt sich dadurch, dass die Bedingungen überprüft werden, unter denen die zugrundeliegende Proposition falsch oder wahr ist in bezug auf die Situation (den Sachverhalt), die sie zu beschreiben vorgibt. 2.5. Extension vs. Intension (nochmals) Aus logischer (formalsemantischer) Sicht gehört zu den wesentlichen Aspekten der Bedeutung eines Prädikats die Menge der Individuen, die die Prädikation wahr machen. Wie wir schon wissen, entspricht diese Menge der Extension des Prädikats. Ein Beispiel: (29) Gustav grinst. grinst (Gustav) ist wahr genau dann, wenn Gustav ein Element aus der Extension von grinst ist. Formal (in Mengenschreibweise): grinst (Gustav) ist wahr genau dann, wenn Gustav ∈ || grinst || . (Die senkrechten Doppelstriche symbolisieren die Extension des Prädikats.) In einer extensionalen Beschreibung von Prädikaten muß man, wenn man bestimmen will, ob eine Prädikation wahr oder falsch ist, sich ansehen, wie die Welt beschaffen ist. Zur Interpretation der Ausdrücke dient ein Modell. Dieses enthält die Individuen und die Extensionen der Prädikate. Wichtig ist es zu beachten, dass es einen Unterschied zwischen den Individuen selbst und deren Namen gibt. Ein Prädikat trifft in einem extensionalen Modell auf wirkliche Individuen zu, nicht auf Namen. Graphisch wird diese Unterscheidung in der Art markiert, dass Namen (= objektsprachliche Ausdrücke) kursiv gesetzt, deren extensionale Äquivalente (d.i. die Individuen) dagegen unterstrichen werden. Also: || Gustav || = Gustav (= Extension des Ausdrucks Gustav). Dasselbe gilt für die Prädikate. Wir müssen zwischen der Erwähnung des Prädikats grinst und dem semantischen Gegenstand, welchen es bezeichnet, unterscheiden. Auch hierzu dient die Schreibweise mit den Doppelstrichen: || grinst || ist der Extension des Ausdrucks grinst zuzuordnen. Diese kann der Menge entsprechen, welche z.B. aus Gustav, Daniel und Otto besteht: || grinst || = {Gustav, Daniel, Otto}. Beachte: auch Substantive oder Adjektive können als Prädikate fungieren. Daniel ist Ingenieur. Ingenieur (Daniel) || Ingenieur || = {Daniel} Daniel ist hochgewachsen. hochgewachsen (Daniel) || hochgewachsen || = {Daniel} Die Unterscheidung zwischen einem Ausdruck und seiner semantischen Deutung bezieht sich auch auf ganze Prädikationen. Der Wahrheitswert einer Prädikation ist ja das, was man bei der logischen Deutung eines Ausdrucks erhält. Genauer könnte man somit schreiben: || grinst (Gustav) || = 1 genau dann, wenn || Gustav || ∈ || grinst || d.i. genau dann, wenn Gustav ∈ || grinst || 15

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d.i. genau dann, wenn

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Gustav ∈ {Gustav, Daniel}.

Auf diese Weise kann man Prädikate als Funktionen in eine Aussage über Beziehungen zwischen Elementen und Mengen übersetzen. Aus dem Obigen ergibt sich: Die Extension eines Satzes entspricht seinem Wahrheitswert. Der Wahrheitswert ist die relevante semantische Eigenschaft eines Satzes, die für die logische Weiterverarbeitung gebraucht wird. Die Extension kann dann umgedeutet werden als der semantische Wert eines Ausdrucks, mit dem man rechnet. Für Namen sind das Individuen, für Prädikate Mengen und für Sätze Wahrheitswerte. Quantoren können somit als Mengenbeziehungen gedeutet werden (s.u.). − intensionale (de dicto) vs. extensionale (de re) Lesart; vgl. : (28a) Er hoffte, die erste Premierministerin Großbritanniens treffen zu können. (28b) Er hoffte, Margaret Thatcher treffen zu können. Unter einer intensionalen Lesart weisen (28a) und (28b) nicht Wahrheitsbedingungen auf (und sie sind in diesem Sinne auch nicht synonym).

dieselben

− Ein Widerstreit zwischen extensionaler und intensionaler Lesart ist auch dann zu beobachten, wenn bestimmte Prädikate propositionale Aktanten haben, in denen eine indefinite NP entweder als spezifisch oder als unspezifisch verstanden werden kann. Dadurch kommt es zu ambigen Äußerungen; vgl. etwa (29) Sie hoffte, einen gut aussehenden Scheich heiraten zu können. − Die intensionale Bestimmung eines Ausdrucks weist oft zurück auf dessen innere Form; vgl. z.B. Abendstern : Morgenstern. Auch Konversen (s. Abschnitt 4) sind einander logisch äquivalent, da sie auf dieselbe Situation verweisen; sie sind aber nicht deskriptiv äquivalent, da diese Situation verschieden akzentuiert wird.

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