Ingrid Laurien

Kenia

Ingrid Laurien

Kenia Ostafrika für Neugierige

Ch. Links Verlag, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage, September 2010 © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0 www.christoph-links-verlag.de; [email protected] Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, Foto vorn: Strand bei Mombasa (plainpicture / AWL-images / Nigel Pavitt) Foto hinten: Blick über Nairobi (Christa Loose) Karte: Christopher Volle, Freiburg Lektorat: Günther Wessel, Berlin Satz: Agentur Siegemund, Berlin Druck und Bindung: Druckerei F. Pustet, Regensburg ISBN 978-3-86153-601-7

Inhalt

Vorwort

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Auf dem Weg zu einer modernen Gesellschaft in Afrika

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Ein Traum von Afrika Kolonie wider Willen Viele Völker – eine Nation? Eine afrikanische Erfolgsgeschichte?

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Erste Begegnungen mit Kenianern Auf der Straße Einladung zum Essen

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»Ich hatte eine Farm in Afrika …« Die Kolonialzeit Ein Stück vom Paradies – das koloniale Kenia »Land and Freedom!« Kampf um die Unabhängigkeit Uhuru – Freiheit! Das Erbe der Kolonialzeit Der lange Weg zur Demokratisierung. Kenias Geschichte seit der Unabhängigkeit Der Big Man und seine Klientel – Präsident Jomo Kenyatta Rivalen

26 31

34 34 37 41 42

46 46 49

Ein Diktator in Kenyattas Fußspuren – Daniel arap Moi Ein zweites Mal Uhuru – der Kampf für ein Mehrparteiensystem Eine neue Ära?

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Nairobi: Kenia im Brennspiegel Taxi nach Nairobi Hawkers am Uhuru-Park Hochhäuser und Café Latte – der Central Business District Koloniale Nostalgie – der grüne Nordwesten Märkte und Dukas – das alte Zentrum Sheng und Manambas – östlich der Tom Mboya Street Mama Mbogas, Volksredner und Kiondos – der Osten Nairobis Handy im Slum

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Landschaften und Umwelt Kenias Beach Boys und Moscheen – Kenias Küste Löwen und Minibusse – Kenias Naturparks Das landwirtschaftliche Herzland Kenias Gewollte Unterentwicklung? Leben am zweitgrößten Binnensee der Welt Die Wüsten schreiten voran – der faszinierende, unwirtliche Norden

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Kenias Gesellschaft Der sogenannte Tribalismus Stadt und Land Heiraten und Sterben Eine Jua-Kali-Nation? Harambees und Chai kidogo – Kenias »Zivilgesellschaft«

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79 85 91 98 109

117 117 122 127 135 140

Religion und Kultur Nyama Choma – Stammtisch-Politik und die Macht der Medien Jeder sein eigener Prophet Geister und Nightrunner – vom sogenannten Aberglauben »Who can bwogo me?« Literatur, Musik und populäre Kultur

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Nachwort: Vorsichtiger Optimismus

176

Anhang Literaturempfehlungen Basisdaten Kenia

181

150 155 162 169

182 189

SUDAN Lokichogio

Turkanasee

Turkwel

Lodwar

MarsabitNationalpark

TurkanaNationalpark

UGANDA

Rift Valley

KENIA

Kitale

Western Kampala

Butasi

Kakamega

Isiolo Nyahururu

Mount Kenia

Nakuru

Kisumu

Nyanza

Nanyuki

Kericho

Nyeri

Embu

Central Narok

Viktoriasee Masai Mara

Thika

Nairobi Magadi AmboseliNationalpark

Kilimandscharo

TANSANIA

ÄTHIOPIEN Da wa

Ramu Moyale

Marsabit

SOMALIA ba Ju

Wajir

Eastern NorthEastern Mado Gashi MeruNationalpark

Ta n

Garissa

a

Garsen TsavoNationalpark

Voi

Coast

Lamu

Indischer Ozean

Galana

Mombasa

Pemba 0

50

100

150

200 km

»Die Menschen Kenias [...] mögen einfach und ungebildet erscheinen, sie können sich vielleicht nicht gut artikulieren, aber sie sind Menschen und nicht Steine. Sie haben einen natürlichen Stolz und eine Sehnsucht nach einem besseren Leben und nach der Erfüllung ihrer Träume. Das ist eine ungeheure Macht, die man nur um den Preis von Frustration und Explosionen ignoriert. Wir haben Kenia bereits erfahren. Aber es gibt eine positive Seite der Macht. Das ist die Annahme der Herausforderung, die darin liegt, zu einer Nation zusammenzuwachsen.« Tom Mboya 1962

Vorwort

Zum ersten Mal kam ich in den 1980er Jahren nach Kenia. Ich hatte einen Vertrag abgeschlossen, um an der Universität von Nairobi Deutsch zu unterrichten. Als ich nach der Ankunft in Nairobi einen ersten kleinen Spaziergang machte, war ich enttäuscht. Ich war schon in Afrika gewesen, hatte eine lange Reise durch Westafrika gemacht. Mein Kopf war voller Bilder, aber auch voller Klischees. Afrika, das waren für mich gut gelaunte Menschen in bunten Gewändern, kleine Marktstände an roten staubigen Straßen, nachts von Kerosinlampen beleuchtet wie von kleinen gelben Leuchtkäfern. Interessant aussehende Speisen, die Luft roch nach Holzkohle und Röstfleisch, und überall dröhnte Youssou N’dour oder der »Zaire-Beat« von Franco aus den Transistorradios. Das war »Afrika« für mich, aber dies hier …? Nairobi schien eine ganz normale westliche Stadt zu sein, mit einer HochhausSkyline. Wo ich Marktstände erwartet hätte, sah ich nur die leicht verschmierte Schaufensterscheibe eines Fish-and-ChipsImbisses, hinter der ein paar offensichtlich schon etwas ältere Brathähnchen im Elektrogrill rotierten. Später luden mich einige höfliche Inder in Turbanen zu einer Autotour durch die Stadt ein. Sie endete damit, dass wir ein Eis in einem Drive-In-Restaurant aßen. Der nette junge Mann, der seine Lieblingskassette mitbrachte, um sie in meiner Stereoanlage für mich zu spielen, brachte keine Benga-Beats, sondern – Nana Mouskouri. An der Universität trugen die männlichen Kollegen dunkle Anzüge mit Schlips und die weiblichen modische Kleider, vorzugsweise aus glänzender Imitat-Seide. Die meisten Deutschen, die ich kennenlernte, wohnten ganz neokolonial in Villen, die sich in großen Gärten hinter hohen Gittern versteckten, mit einem von rot blühenden Bougainvilleas 11

umrankten Tor, das von einem Wachmann auf Zuruf geöffnet wurde. Sie kauften in ganz normalen Supermärkten statt auf einem bunten wuseligen Markt und hatten außer dem Wachmann auch noch einen Gärtner und ein Hausmädchen in weißer Schürze und mit Häubchen. Kenianische Freunde hatten sie nicht. Am Wochenende fuhr man mit dem Allradauto auf Safari in die Nationalparks und beobachtete Löwen aus der Distanz. Erst etwas später ging ich in Nairobi die River Road hinunter bis zum Tal des Nairobi-Flusses, vom dem damals nur noch eine Kloake übrig war, und sah mir auch die Stadt östlich der Tom-Mboya-Straße an, und da war es dann auch, das »Afrika«, das ich suchte: ein buntes Gewühl, kleine Marktstände und laute Musik aus Transistorradios. Da waren die Kinder, die mir »How are you, Muzungu (Weiße)?« zuriefen. Aber da gab es auch Raubüberfälle und Messerstechereien, da waren Armut und Elend der Slums, die sich nicht versteckten. Jeden Tag wanderte ich damals in der reichlich bemessenen Mittagspause, in der an der Universität nichts zu tun war, durch die Straßen von Nairobi, auf und ab, bis ich jeden Winkel zu kennen glaubte. Die Stadt hatte angefangen, mich zu faszinieren. Nairobi ist so etwas wie Kenia in einem Brennglas: die ganze Gesellschaft mit allen ihren Widersprüchen zusammengezogen in einer Stadt. Das war dann schon die Zeit, als mich in Kenia und seine Menschen in ihren Bann gezogen hatten. Was ich erlebte, war ein afrikanisches Land in einem widersprüchlichen Modernisierungsprozess, halb westlich, halb von Traditionen geprägt, die gar keine Traditionen mehr waren. Irgendwie, so empfand ich es, hing Kenia in einem Dazwischen, in einem Niemandsland, in dem sich ungehindert von jeder westlichen oder »afrikanischen« Werteordnung purer Machthunger, Gier und Rücksichtslosigkeit breitmachen konnten. Aber gleichzeitig war diese Gesellschaft auch viel mehr. Kenia war ein Land, das sich nicht damit abfand, als ein marginales Land auf einem Kontinent zu gelten, der damals, in den späten 1980er Jahren, vom Rest der Welt allmählich abgeschrieben wurde. Die Kenianer wollten und wollen mehr. Sie wollen ihr Land modernisieren, sie wollen mit­ reden im internationalen Dialog. Development (Entwicklung) und Education (Bildung) sind die Schlüsselwerte, an die Kenia12

ner nicht aufgeben zu glauben, so schwer es ihnen oft auch gemacht wird – und so schwer sie es sich auch oft selbst machen. 1986, als ich nach Kenia kam, war der Diktator Daniel arap Moi auf dem Höhepunkt seiner Machtfülle. Für mich war es eine völlig neue Erfahrung, in einer Diktatur zu leben. Ich spürte, dass auf den Meetings in der Universität doppelzüngig kom­ muniziert wurde, und ich entwickelte ein Gespür für die Zwischentöne. Ich fühlte mich miserabel, als ich eines Tages morgens alle Ausgaben der Zeitschrift Beyond in der Badewanne verbrannte, weil in den Nachrichten um sieben Uhr verkündet worden war, dass sämtliche Nummern des Blattes verboten worden seien und ihr Besitz ab sofort strafbar sei. Unter dem Balkon unserer Wohnung auf dem Campus wurden protestierende Studenten von der General Service Unit, einer Spezialeinheit der Polizei, die direkt dem Präsidenten untersteht, zusammengeschlagen. Und die bedrückende Atmosphäre in der Stadt nach der Ermordung des Außenministers Robert Ouko durch das Regime Anfang 1990 werde ich nie vergessen. Aber es gab nicht nur bedrückende Erfahrungen, es gab auch andere, und die beeindruckten mich letztlich stärker. Mit der Zeit lernte ich immer mehr Kenianer näher kennen und bekam Zugang zu einem Kreis junger Journalisten. Wir saßen abends in der lauen Luft bei Bier und geröstetem Ziegenfleisch, dem berühmten Nyama Choma, und diskutierten. Hier verstellte sich keiner, hier wurde kein Blatt vor den Mund genommen. Bald war ich infiziert von der allgemeinen Begeisterung für die Demokratisierungsbewegung und verschlang die neuesten Ausgaben der politischen Magazine, die frei an den Straßenecken verkauft werden konnten. Man musste allerdings schnell lesen, da sie meist sofort verboten wurden. Als ich nach Ablauf meines Vertrages Ende 1991 Kenia verließ, war ich eine glühende Anhängerin der Opposition. Ich war damals überzeugt, dass sie sich in naher Zukunft durchsetzen würde. Auch in Europa gab es damals ja einen Stimmungsumschwung, was Afrika betraf. Der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus hatte überall auf dem Kontinent zu einem Aufleben von Demokratisierungsbewegungen geführt. Diktatoren, die sich bequem damit etabliert hatten, dass sie West und Ost 13

gegeneinander ausspielten, konnten sich nun nicht mehr halten. »Mehrparteienstaaten müssen her!«, war die Forderung der Stunde. Allerdings schwand das Interesse der nun übrig gebliebenen westlichen Welt für Afrika schnell und wandte sich Osteuropa zu. Auch in Kenia kam nach der Euphorie bald die Ernüchterung. Es war zwar gelungen, unter ungeheurem Einsatz und mit vielen Opfern, ein Mehrparteiensystem durchzusetzen, aber es gelang trotzdem zunächst nicht, den Diktator Moi loszuwerden. Der alte Fuchs fand immer neue Finten, um an der Macht zu bleiben, und auch die Opposition bestand nicht aus politischen Engeln, sondern war von den kenianischen Grundübeln schwer infiziert: von Korruption und Gewalt als Mittel der Politik. In Europa wandte man sich wieder von Afrika ab. Eine Parteiendemokratie, so war oft zu hören, sei eben doch nicht das Richtige für diesen Kontinent. Ich fuhr jedes Jahr zurück nach Kenia und versuchte, soli­ darisch zu bleiben. Inzwischen hatte ich feste Bindungen an das Land, ich hatte einen Kenianer aus Kisumu geheiratet. Jetzt war nicht mehr Nairobi mein Bezugspunkt, sondern die Provinzhauptstadt am Viktoriasee mit ihrer ländlichen Umgebung. In den 1990er Jahren war das keine sehr erfreuliche Region, fand ich. Kisumu versank in gelbem Lehm, wenn es regnete, und in der übrigen Zeit im Staub. Es gab kaum noch mehrstöckige Gebäude, und die wenigen, die es gab, sahen irgendwie vernachlässigt und verfallen aus. Ausgemergelte Menschen strampelten auf ihren überladenen Fahrrädern hin und her und versuchten, alle möglichen Dinge von zweifelhaftem Wert zu verkaufen. Der See selbst hatte keine glitzernde Wasseroberfläche mehr, sondern war von den giftgrünen Blättern der Wasserhyazinthe völlig überwuchert. Die Fischer konnten nicht mehr zum Fang hinausfahren. Überall Aids, Straßenkinder, unvorstellbare Verarmung – Kenia schien am Ende. Als dann Ende 2002 die Diktatur endlich fiel, war ich längst mit anderen Dingen beschäftigt und blickte sozusagen nur kurz auf. Kenianische Freunde brachten Videos von der Ver­ eidigung des neuen Präsidenten, der frei gewählt worden war. Es kamen nun auch wieder positive Nachrichten aus Kenia. Das Bruttosozialprodukt stieg rasant. Die Mittelschicht erholte sich rapide. In Kenia gab es eine ungeheure Aufbruchsstimmung, die 14