83 Juni 2016
Informationsdienst Tourismus und Entwicklung
„Fairwärts“-Gewinner 15
Sicherheit im Tourismus Nicht mit zweierlei Maß – Sicherheit auch für die Beschäftigten im Tourismus
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Von Frauen für Frauen – Sicherheit auf Reisen und am Arbeitsplatz
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Literatur und Materialien
Tourismus in Ost-Jerusalem – Drei Fragen an Raed Saadeh vom Jerusalem Tourism Cluster 7 Risiken für Kinder durch neue Reisetrends Reisende Täter – Globale Studie zur sexuellen Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus Geraubte Würde – Kindheitserfahrungen in einem kenianischen Waisenhaus Voluntourismus verantwortlicher gestalten – Neue Kriterien für Freiwilligenprojekte im südlichen Afrika
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„Gute Reise: Indien entdecken – fair und umweltfreundlich“ 15 „Leben in der Dominikanischen Republik – Gringostorys aus der Karibik II“
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„Gebrauchsanweisung für Peru“
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DVD „Fernweh – Tourismus im Spannungsfeld von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft“
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Dokumentarfilm „Dirty Games“
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Dossier „Voluntourismus“
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„Kommunikation von CSR im Tourismus“
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Unter der Oberfläche – Kreuzfahrttourismus 19 12
Kurzinformationen und Hinweise Reiserisiken weltweit
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„Sicher reisen“-App
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Oft schneller mit der Bahn
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Freiwilligeneinsätze in Katastrophenregionen in Nepal
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Ausschreibung TO DO! und TOURA D’OR 2017
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Veranstaltungen und Termine „Katar: Sport als Beschleuniger der Menschenrechte?“
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Tourismus auf dem Asia-Europe People’s Forum 2016
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Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, Sicherheit ist mehr als die Abwesenheit von Terror, auch wenn die Diskussionen rund um die Fußball-Europameisterschaft und vor den bevorstehenden Sommerferien einen anderen Eindruck erwecken. Reiseveranstalter sprechen in diesen Tagen von einem „subjektiven Unsicherheitsgefühl“ und wollen damit deutlich machen, dass die Angst vermutlich größer sei als die reale Gefahr. Politiker und Sicherheitsexperten werden nicht müde zu wiederholen, dass es absolute Sicherheit nicht geben könne – nirgendwo. Neben unvorhersehbaren und unvermeidlichen Gefahren existieren im Tourismus aber auch systemische, strukturelle Risiken, die vermeidbar wären. Von ihnen ist selten die Rede. Wohl auch weil diese Risiken nicht die Reisenden tragen, sondern die Menschen, die in beliebten Reiseländern leben, in Hotels arbeiten oder Ausflugsprogramme anbieten. Wir möchten in dieser Ausgabe zeigen, wo im Tourismus strukturelle Sicherheitsdefizite liegen. Dazu zählen mangelnde soziale Sicherheit und fehlender Arbeitsschutz, aber auch Risiken die entstehen, weil Einheimische versuchen, den Gästen alle Wünsche zu erfüllen – auch illegale, wie die Beschaffung von Drogen oder das Betreten von Sperrgebieten. Hohe Opferzahlen sind darüber hinaus auf den Großbaustellen der Welt zu verzeichnen, wo für den Bau von Luxushotels und Sportstätten jedes Jahr Hunderte von Arbeitsmigranten ihr Leben lassen. Frauen und Kinder sind im Tourismus besonders häufig schutzlos dem Risiko sexueller Übergriffe ausgesetzt. Die globale Studie von ECPAT International zur sexuellen Ausbeutung von Kindern im Tourismus gibt leider keine Entwarnung, sondern zeigt, wo im Umfeld des Tourismus neue Risiken entstanden sind. Und der sehr persönliche Bericht eines ehemaligen Waisenjungen in Kenia macht deutlich, wie Kinder in Waisenhäusern für touristische Besuchs- und Freiwilligenprogramme ihrer Würde beraubt werden. Wie weiter mit diesen Erkenntnissen? Reiseveranstalter sind gefragt, die Sicherheit ihrer Kunden, ihrer Mitarbeiter und der Menschen vor Ort auf eine Stufe zu stellen und endlich gleichen Schutz für alle zu verwirklichen. Als Reisende müssen wir vorsichtiger werden, um unsere Gastgeber nicht unbeabsichtigt in Gefahr zu bringen. Und was ist mit den Risiken, die vor Ort entstehen, weil Urlaubsländer plötzlich wegen Sicherheits bedenken seltener bereist werden? Der Aufschrei in Deutschland war groß, als die kanadische Regierung vor einigen Monaten vor Reisen nach Ostdeutschland warnte. Die Menschen fühlten sich bloßgestellt und in Sippenhaft genommen mit unverbesserlichen Rassisten. Gleiches gilt für alle Menschen weltweit, deren Länder als Hort der Gefahr für Reisende dargestellt werden – ohne dass von den friedlichen Gegenbewegungen und sicheren Orten die Rede ist. Je mehr „Unsicherheits“-Informationen wir erhalten, umso genauer müssen wir hinhören, Informationen sammeln und diese besonnen einordnen. In eigener Sache begrüßen wir in dieser Ausgabe Laura Jäger, die die Arbeitsstelle Tourism Watch als Projektbearbeiterin für Tourismus und Entwicklung komplettiert und bedanken uns bei ihrer Vorgängerin Corinna Rach für ihre langjährige Mitarbeit und ihr Engagement. Ihnen wünschen wir eine interessante Lektüre und einen schönen Sommer – wo auch immer Sie ihn verbringen. Mit freundlichen Grüßen
Antje Monshausen & Christina Kamp 3
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Sicherheit im Tourismus
Nicht mit zweierlei Maß Sicherheit auch für die Beschäftigten im Tourismus Von Kundri Böhmer-Bauer
Am Kilimandscharo bricht ein Träger beim Wasserholen zusammen. Während einer Fußsafari in Simbabwe wird der Wildhüter von einem Löwen getötet. In etlichen Reiseländern stellt in solchen Fällen die Großfamilie das Versicherungsnetz dar. Denn in Gesellschaften, in denen das Überleben in einer wirtschaftlich und politisch labilen Gegenwart gemeistert werden muss, ist es Luxus, über eine noch unsicherere Zukunft nachzudenken. Zudem kosten Versicherungen Geld, viel Geld. Die Sicherheit der Reisegäste wird bei deutschen Veranstaltern groß geschrieben. Versicherungspolicen greifen bei Gepäckschaden und Krankheit, ermöglichen die Rückholung ins Heimatland und garantieren die Versorgung der Angehörigen im Todesfall. Doch wie steht es um die Sicherheit der Arbeitskräfte in den touristischen Zielgebieten – der Hotelangestellten, Busfahrer, Begleitmannschaften und all derer, die mit Touristen zu tun haben?
mit Unwägbarkeiten verbunden ist. Zu den ver meidbaren oder zumindest stark reduzierbaren Sicherheitsrisiken zählen der Zustand der gestellten Ausrüstung und der Fahrzeuge, aber auch eine gewissenhafte Routenauswahl (vor allem in Regionen mit politischen Unruhen oder in Erdrutschgebieten) und Sicherheitschecks im Hotelbereich.
Sicherheit – was ist das?
Auch wenn viele Agenturen vor Ort auf Druck deutscher Veranstalter inzwischen Versicherungen für ihre Angestellten abgeschlossen haben, muss die Frage erlaubt sein, ob die Beträge ausreichend sind, wenn der im Tourismus tätige Hauptverdiener oder die Hauptverdienerin durch ihre Tätigkeit arbeitsunfähig wird oder im schlimmsten Fall das Leben verliert. Durch ihren Arbeitskampf für mehr finanzielle Sicherheit nach dem Lawinenunglück 2014 am Everest zwangen die Sherpas die nepalesische Regierung, statt der angebotenen 295 Euro für die Hinterbliebenen jedes Toten 7000 Euro zur zahlen. Nicht die Summe ist entscheidend, sondern ob sie die Wahrung des Lebensstandards im Ernstfall ermöglicht – und das nicht nur für eine Kleinfamilie nach europäischem Muster, sondern für die weitverzweigte Großfamilie. Das Argument „die haben sich die Jobs doch freiwillig gesucht“, greift nicht, da in vielen Reiseländern Arbeitsplätze fehlen, weshalb auch gefährliche Jobs angenommen werden müssen. Etliche Bergführer und Träger gefährden ihre Gesundheit, z.B. am Kilimandscharo, wenn sie öfter in großen Höhen unterwegs sind, als für Lunge und Gehirn zuträglich ist, oder wenn sie Touristen, die nicht fit sind, gegen extra Bezahlung auf den Gipfel „schleppen“, um ihr karges Gehalt aufzubessern.
Das Wort Sicherheit geht auf das lateinische ‘securitas’ zurück, abgeleitet von ‘securus’ – „sorglos, unbekümmert“. Es meint die Abwesenheit von Gefahr und damit den Erhalt der psychischen und physischen Unversehrtheit. Dass Sicherheit ein kulturelles Konstrukt ist, zeigt der Blick auf die englische Sprache. Anders als im Deutschen wird hier zwischen ‘certainty’ „Gewissheit“ (beispielsweise pünktliches Gehalt), ‘safety’ für „Betriebssicherheit“ (zum Beispiel eine gute Ausrüstung) und ‘security’ in Bezug auf von außen kommende Gefahren unterschieden. Und in Ländern, in denen Fatalismus weit verbreitet ist, ist der Sicherheitsgedanke eng mit den Religionen verknüpft. So sind in Nepal religiöse Zeremonien vor Expeditionen für die Sherpas ebenso selbstverständlich wie Gebete der Frauen für eine gesunde Rückkehr der Männer. Sicherheitsrisiken reduzieren Sicherheit hängt im Tourismus nicht zuletzt von der Reiseart ab. Abenteuerreisen bergen für die lokalen Mitarbeiter mehr Verletzungsrisiken als ein Cluburlaub. Doch zeigen terroristische Anschläge auf Touristenresorts, dass jede Art von Tourismus 4
Almosen versus Verlustausgleich
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Arbeitswege, Medikamente, Straftaten Im Tourismus arbeitende Frauen wie Hotelangestellte oder Reiseleiterinnen sind beispielsweise in Indien körperlichen Gefährdungen durch Unfälle und sexuelle Übergriffe ausgesetzt, wenn sie am frühen Morgen oder späten Abend in Gebieten ohne ausreichende Straßenbeleuchtung zu Fuß oder in völlig überfüllten und schlecht gewarteten Verkehrsmitteln nach Hause müssen. Zu den körperlichen Risiken für die lokale Bevölkerung zählt auch die gut gemeinte – aber oft wenig durchdachte – Verteilung von Medikamenten durch Touristen, da viele Beschenkte die Beipackzettel nicht lesen können. Manche lokale Mitarbeiter lassen sich für Trinkgelder womöglich zu illegalen Handlungen hinreißen, zum Beispiel in einem streng muslimischen Land heimlich Alkohol für Touristen zu besorgen oder in gesperrte Wüstenregionen vorzudringen, was zu ihrer Verhaftung führen kann. Bespitzelung inbegriffen Touristen aus demokratischen Ländern sind es gewohnt, ihre Meinung jederzeit und überall zu verkünden, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Wenigen ist bewusst, dass unbedachte Äußerungen
Sicherheit im Tourismus
oder lautstarke politische Diskussionen z.B. eine Reiseleiterin in einem autokratischen Land mit umfangreichen geheimdienstlichen Strukturen und Überwachung in ernste Schwierigkeiten bringen können. Auch vertrauliche Äußerungen der Reisebegleiter, die im Internet unbedacht wieder gegeben werden, können Menschen vor Ort gefährden. Ein Maßstab reicht Sozialverantwortliche Reiseveranstalter verpflichten sich, beispielsweise im Kriterienkatalog des Veranstalterverbandes Forum anders reisen, auf die Einhaltung lokaler Sicherheitsstandards zu achten. Doch was „lokaler Standard“ sein mag, greift oft zu kurz. Zwar gibt es keine absolute Sicherheit und wird es nie geben, aber es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Wo es um Menschenleben geht, kann und darf es nicht sein, dass diese unterschiedlich bewertet werden. Dr. Kundri Böhmer-Bauer ist Ethnologin und Dozentin an der Universität der Bundeswehr. Zudem hat sie sich als interkulturelle Trainerin auf Sicherheitsseminare spezialisiert. (5.882 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Von Frauen für Frauen Sicherheit auf Reisen und am Arbeitsplatz Von Julia Bühler
Immer mehr Frauen reisen und dies immer häufiger auch alleine. Ob geschäftlich oder privat, die Sorge um die eigene Sicherheit beim Reisen bleibt. Ihre individuelle Freiheit ist im Vergleich zu der der Männer erheblich eingeschränkt. Abends auszugehen oder nachts alleine wieder ins Hotel zu kommen ist vielerorts nicht gefahrlos möglich. Und auch dort, wo Frauen eigentlich sicher alleine reisen können, bedeutet dies nicht immer, dass sie vor unangenehmen Situationen geschützt sind. Die Tourismusbranche hat das Potenzial alleinreisender Frauen erkannt und spezialisiert sich zunehmend auf deren Bedürfnisse und Ansprüche. So gewinnen Frauenunterkünfte und Hotels mit ausgewiesenen Frauen-Etagen an Beliebtheit. Auch Reiseveranstalter richten ihr Angebot immer mehr auf individuell reisende Frauen aus. Die
Angebotsvielfalt reicht von Bildungs- und Kulturreisen über Aktiv- und Kreativangebote bis hin zu Entspannungsurlaub. Wachsende Nachfrage verzeichnen auch die Veranstalter nachhaltiger Frauenreisen. Dem Anspruch, einen Urlaub von Frauen für Frauen anzubieten, werden sie dabei nicht nur durch weibliche Reiseleitungen und frauenge5
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Sicherheit im Tourismus
führte Unterkünfte gerecht. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf die Begegnung mit Frauen in den jeweiligen Ländern gelegt, indem beispielsweise Frauenselbsthilfeprojekte besucht oder lokale Frauenunternehmen in das Reiseprogramm eingebunden werden. Für Frauen, die sich individuell auf Reisen begeben, bleiben sichere Angebote rar. So liegt es vorwiegend in ihrer eigenen Hand, Risiken abzuwägen und vorausschauend zu agieren. Einsame Orte zu meiden, im Dunkeln nicht mehr alleine auf die Straße zu gehen, auf lizenzierte Taxis zurückzugreifen oder auf die Wahl der Kleidung zu achten sind wesentliche Punkte, mit denen sich Frauen auch schon vor ihrer Reise beschäftigen sollten. Dabei hilft ein breites Angebot an Reiseführern für Frauen und Online-Portalen erfahrener alleinreisender Frauen, die auch länderspezifische Tipps anbieten. Mehr Sicherheit auf beiden Seiten Doch sollte es auch in den Destinationen ein Anliegen sein, sicherere Angebote für reisende und einheimische Frauen auszubauen. Vielerorts bewähren sich touristische Dienstleistungen „von Frauen für Frauen“. Zum gegenseitigen Vorteil, denn so erhöht sich das Sicherheitsempfinden auf beiden Seiten – beim Reisen wie auch am Arbeitsplatz. Ob Taxiunternehmen, Unterkünfte oder Reiseveranstalter, das Angebot bleibt bisher meist auf westliche Länder beschränkt. Nach wie vor wird Frauen in vielen Ländern der Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten mit höherem Qualifizierungsbedarf im Tourismus verwehrt. Doch auch in einigen Entwicklungs- und Schwellenländern gibt es (Frauen-) initiativen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit, Ausbildungsmöglichkeiten und weibliches Unternehmertum im Tourismus stark machen. „3 Sisters Adventure Trekking“ in Nepal Das von drei nepalesischen Schwestern im Jahr 1998 gegründete Frauenunternehmen „3 Sisters Adventure Trekking“ in Pokhara bietet Trekkingund Wanderangebote für Touristinnen an, die von nepalesischen Reiseleiterinnen und weiblichen Sherpas durchgeführt werden. Mit der Schwesterorganisation „Empowering Women of Nepal“ werden zudem Frauen und Mädchen ab 16 Jahren als Berg- und Wanderführerinnen ausgebildet. Durch diese lokale Fraueninitiative konnten bereits über 2.000 Nepalesinnen im Berg- und Wandertourismus einen Einstieg finden. 6
She-Taxis in Indien In Indien hat das Sozialunternehmen „Kabani Community Tourism & Services“ in Kozhikode, Kerala, ein neues Reiseprogramm von Frauen für Frauen ins Leben gerufen. Um eine nachhaltige, partizipative Dorfentwicklung durch Tourismus zu fördern, unterstützt Kabani von Frauen geführte Homestays und bildet Frauen aus den beteiligten Dörfern als Fremdenführerinnen aus. Eine Besonderheit im Reiseprogramm ist eine Tagestour mit Jifriya, einer der ersten Rikscha-Fahrerinnen Indiens. Nachdem die Massenvergewaltigung einer Studentin in Delhi 2012 auch international Schlagzeilen gemacht hat, gewinnen Frauentaxis und -rikschas in Indien immer mehr an Bedeutung. Dem 2013 erfolgreich etablierten Konzept der She-Taxis in Kerala, die mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen für Reisende und Fahrerinnen ausgestattet sind, folgen mittlerweile auch weitere Städte und Regionen in Indien, darunter Delhi und Mumbai. „Chobe Angels“ in Botswana Ihre vorsichtigere Fahrweise war einer der Gründe, das Guide Team der „Chobe Game Lodge“ in Botswana seit 2005 ausschließlich mit Frauen zu besetzen. Es ist eine Ausnahme im weitgehend männlich dominierten Safari-Tourismus, doch die Initiative macht Schule. Mit Hilfe der Botswana Tourism Organisation und des Wildlife Training Institutes steigt die Zahl weiblicher Wildführer von Jahr zu Jahr. Stärkung der Gleichstellung von Frauen im Tourismus Obwohl die Tourismusbranche sich immer mehr auf alleinreisende Frauen als Zielgruppe einstellt, bleibt noch viel Spielraum für Angebote, um das Reisen für Frauen sicherer zu gestalten. Auch in den Zielgebieten besteht noch reichlich Handlungsbedarf im Ausbau von Sicherheitskonzepten, die sowohl den Touristinnen dienen als auch Arbeitsplätze im Tourismus für einheimische Frauen sicherer oder überhaupt erst möglich machen. Julia Bühler arbeitet für die Frauenrechtsorganisation FEMNET e.V. und engagiert sich bei verschiedenen Organisationen im Bereich nachhaltigen Tourismus. Sie ist aktives Mitglied bei GATE Netzwerk Tourismus Kultur e.V. (5.503 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Sicherheit im Tourismus
Unter widrigen Umständen gemeinsam Handeln Drei Fragen an Raed Saadeh, Jerusalem Tourism Cluster Von Christina Kamp
Wer sich entschließt, ins „Heilige Land“ zu reisen, tut dies meist erst nach reiflicher Überlegung. Zu groß sind oft die Bedenken, eine Region zu bereisen, die sich immer wieder als Pulverfass erweist. Doch in der geteilten Stadt Jerusalem liegen wichtige heilige Stätten des Judentums, des Christentums und des Islam. Zur Bedeutung von Sicherheit für die Einwohner, die Tourismuswirtschaft und die Besucher der Stadt befragten wir Raed Saadeh. Er ist Hotelier im arabischen Teil Jerusalems und hat dort Zusammenschlüsse lokaler Tourismusakteure, wie das „Jerusalem Tourism Cluster“ (JTC), initiiert. TW: Welchen Einfluss hat die Sicherheitslage auf den Tourismus in Ost-Jerusalem? Raed Saadeh: Die Mauer, die die israelische Regierung um die Stadt gebaut hat, hat die Stadt von ihrem lokalen Markt und ihrem Hinterland abgeschnitten. Damit wurde das Potenzial der Stadt für den inländischen Tourismus erstickt, denn die Einwohner sind dadurch gezwungen, die Stadt zu verlassen, um ihre Freunde und Familien in Ramallah, Bethlehem, etc. zu besuchen. Ausländische Reisende sind von Fernsehbildern von Gewalt oft verunsichert. Es entsteht – entgegen der Realität – der Eindruck, Jerusalem sei eine gefährliche Stadt. Touristen sind kein Angriffsziel im israelisch-palästinensischen Konflikt. Diese Tatsache wird oft missverstanden, doch Jerusalem ist dadurch ein sehr sicheres Reiseziel. Die Israelis haben in Bezug auf die palästinensischen Einwohner in der Stadt eine dreigliedrige Strategie entwickelt, angefangen mit einer Phase der Rückentwicklung, in der der palästinensische Stadtteil marginalisiert wird und nicht mehr in der Lage ist, als existenzfähiger und lebendiger Stadtteil zu bestehen. Dies schadet auch der palästinensischen Tourismuswirtschaft. Von 43 Hotels in OstJerusalem im Jahr 2000 sind heute nur noch 28 übrig geblieben. In ähnlicher Weise gilt das auch für Souvenirläden, Kunsthandwerker, etc. Die zweite Phase ist die Integration, in der das marginalisierte Viertel ganzheitlich und vollstän-
dig in das israelische System eingegliedert wird. Sie führt zu einer starken Verfälschung des Kulturerbes und der kulturellen Identität. In der dritten Phase folgt dann die Gentrifizierung. Eine weitere Herausforderung ist die Saisonalität des Tourismus. Der palästinensische Tourismus in Jerusalem ist stark vom christlichen Pilgermarkt abhängig. Dieser Markt beschränkt sich auf etwa vier Monate im Jahr. Diese Art von Tourismus ist zudem sehr empfindlich gegenüber Änderungen der politischen Lage oder der Sicherheitslage. TW: Und umgekehrt: Beeinflusst der Tourismus die Sicherheitslage in Jerusalem? Raed Saadeh: Wenn der Tourismus gut läuft, verändert sich zweifellos die Stimmung in der ganzen Stadt, es scheint Hoffnung am Horizont und die Menschen freuen sich auf positive Veränderungen. Auch die Interaktion mit Touristen wird als positive gestaltende Kraft wahrgenommen, denn sie gibt den Menschen Hoffnung und im direkten Kontakt erfahren Gastgeber und Gäste etwas übereinander. Der Tourismus ist der wichtigste Motor der Wirtschaft in der Stadt. Seine Wertschöpfungskette ist lang und vielschichtig. Dieser Sektor ist von zentraler Bedeutung für die Belastbarkeit der palästinensischen Gesellschaft in Jerusalem, nicht nur wirtschaftlich, sondern besonders als Entwicklungsinstrument. Der Tourismus kann positive Auswirkungen auf viele Bereiche haben: auf Bildung, den Schutz des kulturellen Erbes, den gesell7
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Risiken für Kinder durch neue Reisetrends
schaftlichen Zusammenhalt, den interkulturellen Austausch, die Herstellung und Förderung von Kunsthandwerk und auf viele weitere Bereiche menschlicher Entwicklung und Qualifikation.
ter ist, Jerusalems Chancen als Reiseziel zu verbessern. In Abwesenheit der palästinensischen Regierung agieren und wirken wir gemeinsam quasi als Destinationsmanagement-Organisation.
Wenn der Tourismus gut gemanagt wird und die diffusen Ängste bezüglich eines Besuchs der Stadt Jerusalem überwunden werden, im Wissen, dass Jerusalem eine Stadt für alle ist und jede(n) willkommen heißt, kann der Tourismus eine wichtige positive Rolle spielen.
Das JTC hat die Webseite www.enjoyjerusalem.com als Marke und als Marketinginstrument entwickelt. Es hat 2015 die erste wissenschaftliche Konferenz zum Tourismus in der Stadt organisiert und hat einige neue Reiserouten entwickelt und Bücher und Materialien veröffentlicht, um diese zu bewerben. Eine Reihe von Fortbildungsmaßnahmen wurden entwickelt und viel Lobbyarbeit betrieben, um auf Grundlage von Prinzipien, Konzepten und Methoden gemeindebasierter Entwicklung die Vernetzung und Partnerschaften zwischen verschiedenen Bereichen zu fördern und den Tourismus vielfältiger zu gestalten.
TW: Worum geht es dem „Jerusalem Tourism Cluster“ und wie arbeitet es? Raed Saadeh: Die Cluster-Methode ist einfach ein Versuch, in einem geografisch definierten Gebiet kollektives Handeln im Zusammenhang mit einem bestimmten im Wettbewerb stehenden Wirtschaftssektor zu erreichen. Das Jerusalem Tourism Cluster (JTC) ist eine gemeindebasierte Initiative, die alle Sektoren bündelt, die direkt oder indirekt mit dem Tourismus zu tun haben. Die Idee dahin-
Weitere Informationen: www.jerusalemtc.org, www.jerusalemtourismconference.com (5.294 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Reisende Täter Globale Studie zur sexuellen Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus Von Dorothy Rozga
Die Zahl der Kinder, die auf Reisen und im Tourismus sexuell ausgebeutet werden, hat im Laufe der Jahre stark zugenommen und auch die Strategien der Täter haben sich verändert. Mit einer zweijährigen „Globalen Studie zur sexuellen Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus“ hat das Kinderhilfsnetzwerk ECPAT nun die bislang größte Datengrundlage in diesem Bereich geschaffen. Die Studie beschreibt die globale Dimension der sexuellen Ausbeutung, Hintergründe sowie aktuelle Entwicklungen und beinhaltet konkrete Handlungsempfehlungen. Die „Global Study“ bestätigt, dass es den typischen reisenden Sexualstraftäter nicht gibt und dass das stereotype Profil des internationalen Touristen – als westlicher, reicher, pädophiler Mann mittleren Alters – ausgedient hat. Die Mehrzahl der Täter stammt nicht aus fernen Ländern, sondern für gewöhnlich aus demselben Land oder derselben Region. In der Vergangenheit wurde zu wenig Augenmerk auf andere Tätertypen gelegt – wie z.B. Geschäftsreisende, Migranten oder Gelegenheits8
arbeiter. Darüber hinaus wurde bisher auch die internationale Gruppe der Freiwilligen sowie der Mitglieder von Friedensmissionen und der Mitarbeiter im Bereich humanitäre Hilfe unterschätzt, die aus unterschiedlichen Gründen reisen, aber nicht im klassischen Sinne Touristen sind. Die meisten Täter sind keine Pädophilen, die ausschließlich Kinder bevorzugen, sondern „Gelegenheitstäter“, die erst daran denken, ein Kind zu
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missbrauchen, wenn sie in einem risikoarmen, anonymen Umfeld eine Gelegenheit dazu haben. Zu den einheimischen Tätern zählen auch diejenigen, die zur Begehung von Straftaten touristische Einrichtungen wie Hotels oder Pensionen nutzen. Die „Global Study“ umreist die Problematik neu und fasst sie weiter als der bisher noch gebräuchliche Terminus des Kindersextourismus. Es handele sich stattdessen um „sexuelle Ausbeutung von Kindern, eingebettet in den Kontext von Reisen und/ oder Tourismus“. Tourismus erhöht die Verletzlichkeit von Kindern Die „Global Study“ stellt fest, dass es auch keine typischen Opfer gibt. Mädchen wie Jungen können Opfer sexueller Ausbeutung werden. Heute sind sie oft jünger als früher, gehören Minderheiten oder indigenen Gruppen an und/oder leben in Armut. Die Studie zeigt, dass besonders gefährdete Kinder oft familiären Problemen, Armut und Diskriminierung ausgesetzt sind, dass sie arbeiten müssen oder auf der Straße leben. Besonders gefährdet sind auch homo-, bi- oder transsexuelle Minderjährige und Kinder, die bereits Opfer anderer Formen kommerzieller sexueller Ausbeutung geworden sind. Der Tourismus setzt Kinder besonderen Gefahren sexueller Ausbeutung aus. In den vergangenen 20 Jahren haben sich die internationalen Touristenankünfte bis 2014 auf 1,1 Milliarden verdoppelt. Durch neue Formen des Reisens und der Vermittlung touristischer Dienstleistungen sind zusätzliche Risiken entstanden, z.B. im Voluntourismus, Waisenhaustourismus, Slumtourismus oder Ökotourismus. Neue Internetplattformen und die ‘share economy’ bergen auch neue Gelegenheiten und Gefahren, Straftaten zu begehen, z.B. wenn Unterkünfte fast anonym vermittelt werden. Diese neuen Tourismusformen sind derzeit noch nicht ausreichend reguliert, so dass Kinder dadurch zusätzlichen Risiken ausgesetzt sind.
Risiken für Kinder durch neue Reisetrends
Herausforderungen für die Tourismusbranche Die Studie zeigt, dass das Engagement der Tourismuswirtschaft weiterhin sehr notwendig ist. ECPAT hat Vorschläge entwickelt, wie die Branche helfen kann, solche Straftaten an Kindern zu verhindern. Die Erkenntnis, dass viele reisende Sexualstraftäter Geschäftsreisende sind, gibt der Tourismuswirtschaft zum Beispiel die Möglichkeit, das Problem durch eine Verstärkung des Dialogs mit Arbeitgebern anzugehen. Die Tourismuswirtschaft könnte Arbeitgebern Reiseoptionen anbieten, bei denen die Sicherheit von Kindern gewährleistet ist. Doch als erstes sollte die Tourismuswirtschaft sicherstellen, dass die sexuelle Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus in den eigenen Reihen umfassend angegangen wird – durch Handlungskonzepte zum Kinderschutz, in ihren Betriebsabläufen, im Berichtswesen und durch Verhaltenskodizes, Mitarbeiterfortbildungen, bewusstseinsbildende Maßnahmen und, wo angemessen, durch Überprüfung der polizeilichen Führungszeugnisse der Mitarbeiter. Nicht nur die etablierte Tourismuswirtschaft sollte eingebunden werden. Die „Global Study“ zeigt einen Trend, dass ausländische Täter etablierte Touristenorte meiden, in entlegenere Gebiete gehen, in kleinere Pensionen oder Hotels, oder völlig vom Radar verschwinden. Sie organisieren ihre Straftaten direkt über Mittelsmänner oder sogar mit ihren Opfern selbst, sehr häufig im Internet. Das bedeutet, dass mehr Bewusstseinsarbeit im informellen Tourismussektor und in der Bevölkerung nötig ist. Weitere Informationen: www.globalstudysectt.org Dorothy Rozga ist Geschäftsführerin von ECPAT International. Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp (5.041 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Risiken für Kinder durch neue Reisetrends
Geraubte Würde Kindheitserfahrungen in einem Waisenhaus Von Stephen Ucembe
Nach Schätzungen leben 30 bis 45 Prozent der 2,4 Millionen Waisen und anderen besonders verletzlichen Kinder in Kenia in Kinderheimen oder Waisenhäusern. Die meisten dieser Institutionen werden von Ausländern unterstützt, oft in bester Absicht. Die Unterstützung solcher Institutionen zerstört jedoch die wichtigen Kinderschutzsysteme in den Familien und Gemeinschaften. Diese Systeme sind von grundlegender Bedeutung, um Kindern ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln und sicherzustellen, dass sie die Liebe bekommen, die sie für ihre Entwicklung brauchen. Unsere Anstrengungen sollten deshalb darauf ausgerichtet sein, Familien zusammenzuhalten und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Wir müssen Vorsicht walten lassen, damit das, was wir tun, die Kinder nicht ihrer Würde beraubt. Ich selbst bin in einem „Waisenhaus“ in Kenia aufgewachsen und möchte von meinen Kindheitserinnerungen an unsere Besucher und Freiwilligen berichten. Gekleidet in Uniformen aus kurzen blauen Hosen und blau-gelben T-Shirts, auf denen wie bei einem Markenartikel der Name des Waisenhauses stand, versammelte man uns im Schatten eines Baumes, wo wir auf die Besucher warteten. Wir nannten sie damals nicht Freiwillige, sondern Besucher. Das einzige, was wir nie hatten, waren Schuhe. Meine Füße hatten sich an die rauen Steine gewöhnt. Dass wir keine Schuhe trugen, diente dazu, zu zeigen, wie verarmt wir waren, damit die Spender mehr geben würden. Die Angestellten der Institution hatten uns eine Routine beigebracht. Sie ließen uns aufmarschieren und sobald die Besucher in Reisebussen ankamen, mussten wir Freude ausstrahlen. Wir hüpften auf und ab und gaben unisono begeistert Lieder und Tänze zum Besten, mit denen wir sie willkommen hießen. Betreten und beschämt Wir wussten, sie würden nur wiederkommen und die Institution unterstützen, wenn unser Unterhaltungsprogramm sie zum lächeln brachte oder wenn sie aus Mitleid oder Traurigkeit über die Nachricht, dass wir „Waisen“ seien, weinten. Ich erinnere mich, wie jemand von den dienstälteren Angestellten in einem Kreis von Freiwilligen stand und erklärte, dass einige von uns von ihren Eltern 10
verlassen wurden, andere von der Straße aufgesammelt wurden und wieder andere von ihren Familien verstoßen wurden. Die meisten von uns blickten während dieser Einführungen beschämt und betreten zu Boden. Auch wenn der Begriff „Waise“ manchmal in guter Absicht verwendet wird, war er für uns zu einem gleichmacherischen und pathologischen Label geworden. Er nahm uns unsere Individualität und unsere Würde. Ich war traurig und fühlte mich elend, wenn die Leute mich angafften und mit Kameras unsere Gesichter ablichteten. Die meisten Freiwilligen wurden in der Institution herumgeführt, man zeigte ihnen, wo wir schliefen und wo unser Essen zubereitet wurde und sie erfuhren von bevorstehenden Projekten. Einige versprachen zu helfen, andere spendeten einen einmaligen Betrag. Manche dieser Begegnungen waren kurz. Die Besucher nahmen ihre Sonnenbrillen ab, gingen zurück zu den Bussen und winkten uns zum Abschied zu. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich einige von uns an ihr Kommen und Gehen gewöhnt, andere aber nicht – insbesondere die Jüngeren nicht: Tränen standen ihnen in den Augen. Sie versuchten nicht zu weinen, in einem Umfeld, wo Weinen fast ein Tabu war. Dieser Umgang mit den Besuchern war zu einer Routine geworden, die unsere Gefühle von Entfremdung,
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Isolation, Stigmatisierung, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Schwäche noch weiter verstärkte. Süß – oder weniger süß Hin und wieder gab es Freiwillige, die länger blieben. Jeden Morgen kamen sie, um mit einigen von uns Kindern zu spielen. Viele von uns hatten das Gefühl, dass diese Erwachsenen uns näher standen, als die Angestellten, die durch Abwesenheit glänzten. Wir hingen an ihrer Anwesenheit, als ob sie niemals wieder gehen würden. Doch sie mussten gehen. Das einzige, was wir machen konnten, war so zu tun, als sei nichts geschehen. Doch tief in unserem Inneren hatten sie unser Vertrauen erschüttert. Viele hatten ihre Lieblingskinder – insbesondere unter den Jüngeren, die quasi im Vorbeigehen Umarmungen und Küsse bekamen und „süß“ und „hinreißend“ genannt wurden. Auf der anderen Seite blieben diejenigen allein, die nicht so „hinreißend“ waren. Das war traurig, denn dadurch gärten Neid und Missgunst unter den älteren Kindern. Viele behinderte Kinder sah man überhaupt nur aus der Ferne, sie blieben unbeachtet. Es gab Fälle, wo Freiwillige eine besondere Nähe zu bestimmten Kindern entwickelten und anboten, ihre Ausbildung zu finanzieren und sie anderweitig zu unterstützen. Auch das verstärkte den Neid. Einige Kinder hatten durchaus Eltern und Verwandte, doch da den Freiwilligen gesagt worden war, sie seien Waisenkinder, konnten sie ihre Eltern nie besuchen. Die Lüge musste aufrecht erhalten werden.
Risiken für Kinder durch neue Reisetrends
Wie ein Tier im Käfig Leute, die es gut mit uns meinten, finanzierten hin und wieder einen Ausflug für uns und wir besuchten eines der Tierheime vor Ort. Das waren oft die einzigen Momente, in denen wir einen Blick über die Mauern unserer Institution erhaschen konnten. Nach jedem Ausflug dachte ich darüber nach, wie auch ich auf das Niveau eines gefangenen Tieres reduziert worden war. Mir gefiel, dass die Freiwilligen kamen und Süßigkeiten und Spielzeug, Kleidung und Essen mitbrachten. Doch der ständige Gedanke und das Gefühl, auf ein Zootier im Käfig reduziert zu sein, gefielen mir nicht. Doch war genau das 14 Jahre meiner Kindheit ständige Realität. Stephen Ucembe gründete 2009 die Kenya Society of Care Leavers und arbeitet nun mit Hope and Homes for Children als Regional Advocacy Manager. Eine längere Fassung dieses Beitrags war Teil einer BloggingKampagne gegen internationale Freiwilligeneinsätze in Waisenhäusern, koordiniert von „Better Volunteering Better Care”. Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp Weitere Informationen: Better Volunteering Better Care: www.bettervolunteeringbettercare.org Avaaz-Petition an Reiseveranstalter, die Vermittlung von Freiwilligen in Waisenhäuser einzustellen: https://secure.avaaz.org /en/petition/Volunteer_ travel_organisations_Stop_Orphanage_Volunteer ing/?cwdzskb, #StopOrphanTrips (6.235 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Risiken für Kinder durch neue Reisetrends
Voluntourismus verantwortlicher gestalten Neue Kriterien für internationale Freiwilligenprojekte im südlichen Afrika Von Manuel Bollmann
Freiwilligeneinsätze und Voluntourismus werden immer beliebter. Zugleich hat auch die öffentliche Kritik daran zugenommen. Mit ihren neu über arbeiteten Voluntourismus-Kriterien setzt sich die Zertifizierungsorganisation Fair Trade Tourism im südlichen Afrika für mehr Transparenz in Bezug auf den wirklichen sozialen und ökologischen Wert von Freiwilligenprojekten ein. Das Zertifizierungssystem von Fair Trade Tourism ist eines von wenigen, die im globalen Süden entwickelt wurden. Daher geht es darin in erster Linie um die Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen, die im Tourismus arbeiten oder deren Leben unmittelbar von touristischen Aktivitäten beeinflusst wird. Doch der Standard bezieht auch lokale und globale Umweltwirkungen des Tourismus, wie Ressourcenschutz oder Klimawirkungen, in die Betrachtung mit ein. Im vergangenen halben Jahr hat Fair Trade Tourism in einem Konsultationsprozess die 2009 erstmals speziell für den Voluntourismus entwickelten Kriterien und Richtlinien überarbeitet. Kontrollmechanismen für die qualifizierte Arbeit mit Kindern Fair Trade Tourism zertifiziert keine Projekte, die auf unqualifizierter Vollzeitarbeit Freiwilliger in Pflegeeinrichtungen für hilfsbedürftige Menschen wie Kinderheimen und Waisenhäusern beruhen. Junge Leute ohne pädagogische Ausbildung in verantwortungsvolle und nicht fachmännisch überwachte Tätigkeiten in der Arbeit mit afrikanischen Kindern zu vermitteln, wirft Fragen auf. In Deutschland wäre es keineswegs akzeptabel, wenn junge Schulabgänger aus Afrika deutsche Kindergartengruppen beaufsichtigen würden. Wo Freiwillige mit Kindern arbeiten, muss dies zu jedem Zeitpunkt unter voller Aufsicht durch pädagogisch qualifizierte Erwachsene geschehen. Es muss nachgewiesen sein, dass die hauptverantwortlichen Betreuerinnen und Betreuer eine adäquate Ausbildung absolviert haben. Soziale Einrichtungen, die eine Fair Trade Tourism-Zertifizierung für ihre Freiwilligendienstangebote erhalten wollen, müssen künftig nachweisen, dass sie über
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Kontrollmechanismen und Verantwortliche verfügen, die die Arbeit der Freiwilligen begleiten. Löwen für die Freiwilligen? Darüber hinaus schließen die neuen Kriterien die Zertifizierung von Freiwilligendienstprojekten oder Tourismusangeboten aus, bei denen Freiwillige oder andere Touristen mit Wildtieren physisch interagieren. Erlaubt ist nur die professionelle Veterinärversorgung. Viele Tierarten, mit denen Freiwillige im Bereich Tierschutz arbeiten, sind in der Regel nicht gefährdet und werden sogar gezielt für touristische Aktivitäten gezüchtet. Der aktuelle Dokumentarfilm „Blood Lions“ von Pippa Hankinson zeigt, dass in manchen Fällen ein und derselbe Löwe in seinem kurzen Leben hintereinander für die Aufzucht durch Voluntouristen, für touristische Wanderangebote mit zahmen Löwen und abschließend für die Trophäenjagd genutzt wird. Bei Touristen und Freiwilligen sind auch andere Angebote beliebt, bei denen es zur direkten Interaktion mit Wildtieren kommt, z.B. Elefantenritte oder Krokodilfütterungen. Die Aufzucht von Raubkatzen und anderen charismatischen, aber nicht gefährdeten Tierarten in Gefangenschaft hat nichts mit Naturschutz zu tun. Ganz im Gegenteil: Die massenhafte Züchtung dieser Tiere führt zu einer Degenerierung des Genpools. Selbst wenn eine Auswilderung der von Hand aufgezogenen Tiere möglich wäre, was viele dieser Angebote suggerieren, hätte dies negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Wildparke, die eine Fair Trade TourismZertifizierung für ihre Projekte mit Freiwilligen erhalten wollen, müssen künftig darlegen, dass diese Projekte tatsächlich dem Naturschutz dienen.
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Voluntourismus schafft Arbeitsplätze Nicht nur klassische Fotosafaris, sondern auch die voluntouristischen Geschäftsmodelle in privaten Wildgehegen, wie man sie etwa rings um den Krüger-Nationalpark findet, schaffen Arbeitsplätze, die dort dringend benötigt werden. Der Nationalpark selbst sichert nach eigenen Angaben etwa 40.000 Arbeitsplätze und andere Formen von Einkommen. Im direkten Einzugsgebiet des Krügerparks leben allein auf südafrikanischer Seite allerdings 3,2 Millionen Menschen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt je nach Region zwischen 30 und 40 Prozent. Der stark wachsende Voluntourismus hilft bei der kommerziellen Inwertsetzung von Schutzgebieten. Er mag zwar für den Naturschutz sinnlos sein, kann aber für lokale Arbeitskräfte trotzdem einträglich sein und die Armut mindern. Afrika als Disney-Bühne? Ökologische Wirkungen und (erhoffte) wirtschaftliche Wirkungen gegeneinander aufzurechnen, verschleiert jedoch möglicherweise weitere Probleme. Sicher wirken sich diese Erlebnisangebote für junge Menschen auch auf das Afrikabild in Deutschland und anderen Voluntourismus-Märk-
Kurzinformationen und Hinweise
ten aus. Die Löwenaufzucht von Hand in angeblichen Schutzstationen in einer von der Außenwelt und Bevölkerung abgeriegelten Naturlandschaft kann ein romantisiertes oder „disneyfiziertes“ Afrikabild jenseits afrikanischer Natur- und Lebensrealitäten verstärken. Auch Stereotype des „bedürftigen Afrika(ners)“ werden durch die Projekterfahrungen von Freiwilligen (und ihr soziales Umfeld nach der Rückkehr) gegebenenfalls eher verstärkt als aufgelöst, reale oder empfundene Abhängigkeitsverhältnisse eher bestätigt als verringert. Weitere Informationen: www.fairtrade.travel/con tent/page/certification-standards1 Die neuen Voluntourismus-Kriterien sind neben allen anderen Kriterien in die vier Kategorien „Geschäftspraktiken und Personalwesen“, „Gemeinschaftsressourcen“, „Kulturerbe“ und „Umweltpraktiken“ integriert. Manuel Bollmann ist Integrierte Fachkraft der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ-CIM) und arbeitet als Manager für Programm entwicklung bei Fair Trade Tourism in Südafrika. (5.881 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Reiserisiken weltweit Erstmals haben die Sicherheitsdienstleister International SOS und Control Risks eine gemeinsame „Travel Risk Map“ veröffentlicht, die Hinweise sowohl auf gesundheitliche Risiken als auch auf Sicherheitsrisiken in einzelnen Staaten zusammenfasst. Mit den Daten und Bewertungen anhand von fünf Risikostufen sollen sich insbesondere Geschäftsreisende besser auf ihren Auslandsaufenthalt vorbereiten können. Doch auch Touristen erhalten eine grobe Orientierung, um medizinischen und Sicherheitsaspekten in ihrer Reiseplanung besser Rechnung tragen zu können. Zu den gesundheitlichen Risiken zählen nicht nur Krankheiten, sondern auch Umweltrisiken und die medizinische Versorgungslage. Bei den Sicherheitsrisiken fließt die Gefahr von Terroranschlägen ein. Aber auch Kriminalität, Entführungen, soziale Unruhen und politische Gefahren, die Ver-
kehrsinfrastruktur und die Verfügbarkeit von Notdiensten spielen eine Rolle. Da die erfassten Daten eine „Momentaufnahme“ sind und sich Gefährdungslagen rasch ändern können, stellen die Daten vor allem eine Anregung dar, sich bei Bedarf eingehender und aktuell zu informieren. Auch ist zu berücksichtigen, dass es innerhalb einzelner Länder in verschiedenen Regionen sehr unterschiedliche Risikolagen geben kann. Als Daumenregel zur Vorbereitung geben die Risikoexperten an, die Vorbeugung solle im Verhältnis zu den möglichen Gefahren stehen. Weitere Informationen: www.internationalsos.com/travelriskmap2016 -ck(1.470 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Kurzinformationen und Hinweise
„Sicher reisen“-App mit Hinweisen zum Kinderschutz In einer für Smartphones entwickelten „Sicher reisen“-App stellt das Auswärtige Amt Informationen für eine sichere Auslandsreise bereit. Neu ist, dass diese App im Menü unter „Was tun im Notfall?“ nun auch Hinweise zum Kinderschutz und Meldemöglichkeiten bei Verdachtsfällen enthält. Ferner beinhaltet die App Tipps für die Reisevorbereitung und für Notfälle, zu jedem Land ausführliche und fortlaufend aktualisierte Reise- und Sicherheitshinweise sowie einen Überblick mit geographischen, politischen und wirtschaftlichen
Daten des Landes. Die App hat eine Ortungsfunktion („Wo bin ich?“) und einen „Ich bin OK“-Button, mit dem man Freunden oder Verwandten ein Lebenszeichen senden kann. Weitere Informationen: www.auswaertiges-amt. de/DE/Laenderinformationen/02-Hinweise/App_ Text.html/ -ck(836 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Oft schneller mit der Bahn Das Unternehmen GoEuro hat für Europa eine Smartphone-App entwickelt, die Reisepreise und Zeitaufwand für verschiedene Verkehrsmittel im Vergleich ermittelt. Die Anwendung zeigt, dass man auf wichtigen europäischen Reiserouten mit der Bahn oft schneller ist als mit dem Flugzeug, wenn man die Wartezeit und den Flughafentransfer mit berücksichtigt. Dass Bahn fahren in der Regel auch deutlich umweltfreundlicher ist als fliegen, wird in der App leider nicht sichtbar gemacht. Sie erlaubt auf der Suche nach der „besten“ Verbindung nur jeweils Zeit gegen Geld abzuwägen, unter
Berücksichtigung von An- und Abreisezeiten. Damit bietet sie zwar eine gewisse Hilfestellung, doch hinzu kommen bei einer Reiseentscheidung neben der Umweltfreundlichkeit natürlich weitere sehr individuelle Aspekte, wie der Erlebniswert der Reise, zum Beispiel durch die Möglichkeit, interessante Zwischenstopps einzulegen. Weitere Informationen: www.goeuro.de/reisen/ zug-schneller-als-flugzeug -ck(995 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Freiwilligeneinsätze in Katastrophenregionen in Nepal Von Jana Hake Nach den starken Erdbeben in Nepal 2015 war die Bereitschaft von Ehrenamtlichen groß, Unterstützung beim Wiederaufbau zu leisten. Die Organisation Next Generation Nepal hat Anfang 2016 eine Recherche zur Rolle ausländischer Freiwilliger in der Folgezeit der Erdbeben durchgeführt. In einer Umfrage wurden die Wahrnehmungen darüber erfasst, welche Formen der Unterstützung förderlich waren und welche nicht. Unterschieden wurde zwischen der „Emergency Phase“ ein bis drei Monate nach den Erdbeben und der „Early Recovery Phase“ vier bis sechs Monate danach. Die Ergebnisse zeigen, dass Freiwillige, die eine spezifische Qualifikation mitbrachten, als weitaus hilfreicher angesehen wurden als unqualifizierte Freiwillige. Ehrenamtliche Helfer, die zum Zeitpunkt der Erdbeben bereits im Land waren, waren 14
hilfreicher als die, die nach dem Erdbeben zur Unterstützung des Wiederaufbaus angereist waren, da sie ein tieferes Verständnis für die Situation und das Leben vor Ort hatten. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich auf andere Szenarien übertragen. Damit ist die Recherche ein erster Schritt zur Identifizierung der Rollen ausländischer Freiwilliger nach Katastrophen und zeigt mögliche positive und negative Wirkungen auf. Perceptions of Post-Earthquake Volunteering by Foreigners in Nepal. Von Next Generation Nepal (Hg.), 2016. Download: www.nextgeneration nepal.org/File/NGN-Perceptions-of-Post-Earth quake-Volunteering-by-Foreigners_April-2016.pdf (1.521 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Literatur und Materialien
TO DO! und TOURA D’OR 2017 ausgeschrieben Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung hat seine beiden Wettbewerbe neu ausgeschrieben. Mit dem TO DO!-Preis werden jedes Jahr sozialverantwortliche Tourismusprojekte prämiert, die vor allem die Interessen der lokalen Bevölkerung durch aktive Partizipation berücksichtigen. Für den TOURA D’OR-Filmwettbewerb können Filme eingereicht werden, die für einen sozialverantwortlichen und umweltverträglicheren Tourismus sensibilisieren. Zugelassen sind auch Produktionen, die nur im Internet verfügbar sind. Die Preisträger bei-
der Wettbewerbe werden auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) im März 2017 in Berlin ausgezeichnet. Anmeldeschluss für den TO DO!-Wettbewerb ist der 31. August, für den TOURA D’OR der 30. September 2016. Weitere Informationen: www.todo-contest.org, www.tourador-contest.org -ck(881 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
„Fairwärts“-Gewinner prämiert Auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) im März haben Kate Stuttgart und TourCert die drei Gewinner des „Fairwärts“-Ideenwettbewerbs für nachhaltigen Tourismus prämiert. Der erste Preis ging an Amitabha Reisen mit ihrer „Müll-Beseitigungs-Kampagne 2015“, einem Selbsthilfeprojekt in Ladakh, Indien. Den zweiten Preis gewann „Janbecks FAIRhaus“ mit dem Projekt „Urlaub mit gutem Gefühl“ auf einem Hof in der Nähe der Geltinger Bucht. Mit dem dritten Preis wurde die Tourismus GmbH Nördlicher Schwarzwald für das
Projekte „E-Mobil fahren und einfahren: Das E-Mobil-Paket“ ausgezeichnet. In diesem Projekt können sich Gäste und Einheimische ein E-Mobil ausleihen und sich mit dem klimaneutralen Fahren vertraut machen. Die Preisträger-Ideen sollen zur Nachahmung anregen. Weitere Informationen: www.fairwaerts.de/gewinner -ck(852 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Mit touristischem Handabdruck „Gute Reise: Indien entdecken – fair und umweltfreundlich“ „Gut ist manchmal sehr relativ“ – ganz besonders in Indien. Diese zentrale Erkenntnis hat „GuteReise-Pilgerin“ Dorit Behrens jedoch nicht aus dem Konzept gebracht. Vom Süden bis in den Himalaya hat sie sich auf touristische Pfade begeben und genau hingeschaut, was man als Gast in Indien gut und vielleicht noch besser machen kann. 100 Tage ist sie durch das Land voller Widersprüche gereist, war bei Einheimischen zu Gast und hat auch die negativen Folgen des Tourismus zu spüren bekommen. Entstanden ist daraus ein Buch, das auf sympathische und persönliche Weise Anregungen gibt, verantwortungsvoll zu reisen. „Gute Reise“ ist eine gelungene Kombination aus
amüsant beschriebenen und liebevoll illustrierten Reiseerfahrungen, Landeskunde, konkreten Tipps und hilfreichen Adressen. Es regt an, sich mit den vielfältigen Herausforderungen des Landes auseinanderzusetzen und mit dem eigenen Verhalten nicht nur einen möglichst kleinen touristischen Fußabdruck zu hinterlassen, sondern auch einen positiven „Handabdruck“. Gute Reise: Indien entdecken – fair und umweltfreundlich. Von Dorit Behrens. Jaja Verlag, 2016, 280 Seiten. ISBN-13: 978-3943417869 -ck(1239 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Literatur und Materialien
Neue Gringostorys „Leben in der Dominikanischen Republik – Gringostorys aus der Karibik II“ Von Jana Hake Anknüpfend an seinen ersten Erzählband „Gringolyrik aus der Karibik I“ (s. TW 63, Juni 2011) nimmt Christian Hugo seine Leserinnen und Leser erneut mit in die beliebte Wahlheimat glücksuchender Aussteiger aus aller Welt. In sechs neuen „Gringo storys“ setzt er sich mit den Umständen des dominikanischen Lebens oder des Lebens von Neubürgern auseinander. Die Perspektiven der Geschichten wechseln, mal werden sie aus der Sicht von Zugereisten, mal aus der Sicht von Dominikanern erzählt. Doch Gringos sind immer dabei. So dringen die Geschichten tief in die gesellschaftspolitische Landschaft ein. Ironisch, locker und klar schildert Hugo alltägliche Geschichten, in denen die Grenzen zwischen Wahrheit und literarischen Gedanken fließend sind. Vieles hat sich wie beschrieben zugetragen oder hätte sich so zugetragen haben können. Das Buch bietet somit einen Blick hinter die Kulissen und bringt durch genaue Beobachtung eine scheinbar fremde Welt näher. Zugereiste oder solche, die bereits Zeit auf der Karibikinsel Hispaniola verbracht haben, erkennen sich vielleicht mit einem Schmunzeln, vielleicht mit Besorgnis in den Geschichten wieder.
Trotz viel Ironie und Witz gelingt es Hugo, auch auf die problematischen Verhältnisse der Mischgesellschaft aufmerksam zu machen. Ob in einer Erzählung über den beliebtesten Staatspräsidenten seit Jahrzehnten, in der Geschichte einer emanzipierten TV-Moderatorin oder in Erzählungen von älteren Gringos auf der Suche nach jungen Dominikanerinnen sowie jungen Dominikanern auf der Suche nach älteren Gringas: Armut, Korruption und Bildungschancen sind Themen, die in verschiedenen Facetten behandelt werden. Thematisiert wird zudem immer wieder das Gefälle zwischen Einheimischen und Zugereisten, welches von Ersteren auch gerne mal auf unterschiedliche Weise im eigenen Interesse ausgenutzt wird. Leben in der Dominikanischen Republik. Gringostorys aus der Karibik II. Von Christian Hugo. Books on Demand GmbH, Norderstedt 2015, 186 Seiten, ISBN 9783738618860 (2.104 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Ein Land im Aufbruch „Gebrauchsanweisung für Peru“ Als faszinierendes Land mit einem „großen Hunger auf Moderne“ beschreibt Ulrike Fokken den Andenstaat Peru. In ihrer „Gebrauchsanweisung für Peru“ geht sie kenntnisreich auf vielfältige Facetten des Lebens und Reisens im Land ein, zum Beispiel auf das zwiespältige Verhältnis der Peruaner zu ihrem kulturellen Erbe. Die Mehrheit der Bevölkerung hat indigene Wurzeln, 74 Prozent der Peruaner bezeichnen sich jedoch lieber als Mestizen. Während Machu Picchu und die 4.000 Kilometer langen Inka-Straßen von Qhapaq Ñan zum Weltkulturerbe gehören, scheinen die Lebensweise, Traditionen und Sprache der Indígena in Peru wenig zu gelten. Die „Gebrauchsanweisung für Peru“ bietet spannende Hintergrundinformationen. Streckenweise 16
wirken diese allerdings eher wie „Hinweise zum Nicht-Gebrauch“. Denn einige Teile des riesigen Landes sind alles andere als ideale Reiseziele. Die Autorin beschreibt Gräueltaten der Terrororganisation „Leuchtender Pfad“, Drogenanbau und illegalen Goldabbau – in Gegenden, aus denen man sich als Tourist besser fernhält. Auch die angestammten Gebiete so genannter „unkontaktierter“ indigener Bevölkerungsgruppen gehören dazu. Diese sollten zu deren Schutz nicht besucht werden, denn die Indigéna, die im Regenwald praktisch ohne Kontakt zur Außenwelt leben, sind sehr anfällig für eingeschleppte Krankheiten. „Go“ oder „no-go“ ist aber auch auf Touristenrouten ein Thema. So zum Beispiel entlang einer beliebten Busroute, wo Wegelagerer sich darauf
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spezialisiert haben, Reisende auszurauben, oder in der Hauptstadt Lima, deren Altstadt aufgrund hoher Kriminalität als gefährlich gilt und die man nach 16 Uhr besser meiden sollte. So regt das Buch nicht nur zum Kennenlernen der Schönheit und Vielfalt Perus an, sondern sensibilisiert auch für die Probleme, mit denen der Andenstaat zu kämpfen hat, und mit denen auch seine
Literatur und Materialien
Besucherinnen und Besucher sich auseinandersetzen sollten. Gebrauchsanweisung für Peru. Von Ulrike Fokken. Piper Verlag, München/Berlin, 2. Auflage 2015. 224 Seiten, ISBN-13: 978-3492276580. -ck(2.081 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Aktuelle Tourismusthemen im Film DVD „Fernweh – Tourismus im Spannungsfeld von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft“ Von Jana Hake Das Privileg Tourist zu sein, negative Auswirkungen des Massentourismus gegenüber dem positiven Potenzial von ökologisch und sozial verantwortungsvollem Tourismus oder der immer beliebtere Voluntourismus – diese und weitere gehören zu den aktuellen Themen, die im Rahmen verschiedener Kurz- und Dokumentarfilme kritisch beleuchtet werden. Die DVD „Fernweh – Tourismus im Spannungsfeld von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft“ umfasst acht Filme mit einer Gesamtlänge von 160 Minuten. Ob Massentourismus in Costa Rica, Slumtourismus in Jakarta oder Menschenrechte der indigenen Völker in der tansanischen Serengeti – die Filme regen dazu an, sich verstärkt mit sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten des Tourismus auseinanderzusetzen und touristische Entwicklungen zu diskutieren und kritisch zu hinterfragen. Da die DVD zu jedem Film
zusätzlich Unterrichtsmaterialien und Arbeitsblätter im PDF-Format bietet, eignet sie sich unter anderem für den Einsatz in Bildungsinstitutionen. Insbesondere für Berufs- und weiterführende Schulen bieten die Filme und Begleitmaterialien eine gute Möglichkeit, Tourismus als Thema in den Unterricht einzubauen. Fernweh. Tourismus im Spannungsfeld von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. DVD-Video mit Kurz- und Dokumentarfilmen (160 Minuten) mit Begleitmaterial und Arbeitsblättern. Hg. éducation21, Filme für eine Welt, BAOBAB – Globales Lernen, Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF). 2015. Vertrieb in Deutschland: www.ezef.de (1.716 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Die Schattenseiten des Profisports Dokumentarfilm „Dirty Games“ Von Laura Jäger Ausbeutung, Korruption und Manipulation: In seinem Dokumentarfilm „Dirty Games“ zeigt Benjamin Best die Schattenseiten des Profisports und lässt sowohl Opfer als auch Täter zu Wort kommen. Die erste Szene zeigt einen nepalesischen Vater, der einen Sarg vom Flughafen abholt. Darin sein 28-jähriger Sohn, der nach offizieller Erklärung der Behörden in Katar im Schlaf gestorben sei. Er war einer
von derzeit 400.000 nepalesischen Gastarbeitern in Katar, deren Arbeits- und Menschenrechte massiv verletzt werden. Nach Prognosen von Menschenrechtsorganisationen werden bis zum Beginn der Weltmeisterschaft 2022 etwa 4.000 Arbeiter in Folge der prekären Arbeitsbedingungen gestorben sein. Der Film zeigt, wie die Gastgeberländer der Fußball-Weltmeisterschaft durch illegale und intrans17
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Literatur und Materialien
parente Nebenabreden sowie Bestechungen zwischen ihren Funktionären bestimmt werden. Dass die Austragungsorte solcher Großveranstaltungen offensichtlich nicht danach vergeben werden, wo Menschenrechte geachtet und die einheimische Bevölkerung tatsächlich davon profitiert, zeigt Best am Beispiel Brasiliens. Hier fand 2014 die FIFAWeltmeisterschaft statt und im August 2016 werden hier die Olympischen Sommerspiele ausgetragen. Ein Einheimischer berichtet, dass viele FavelaBewohner zwangsenteignet wurden und Infrastrukturmaßnahmen für diese Events weichen mussten.
Basketball-Vereinigung (NBA), wie sie hunderte von Wettkämpfen manipulierten. Eindrucksvoll schildern sie, dass Profisport kaum noch etwas mit Fairplay zu tun hat und stattdessen von mafia-ähnlichen, korrupten Strukturen und Geldgier regiert wird. Best versteht diesen Film nicht zuletzt als einen Appell an die Zuschauer und Fans, nicht weiter tatenlos zuzusehen.
Außerdem enthüllen ein ehemaliger Boxmanager und ein Schiedsrichter der US-amerikanischen
(2.112 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
„Dirty Games“. Dokumentarfilm von Benjamin Best (Regie), 90 Minuten, Deutschland 2015. www.wfilm.de/dirty-games
Transparenz und Kinderschutz ECPAT-Dossier „Voluntourismus“ Voluntourismus – die Verbindung von Reisen mit freiwilligem Engagement – ist ein neuer Trend in der Reisebranche. Ein Problem dabei ist, dass solche Einsätze oft den Umgang mit Kindern beinhalten, es jedoch keine Vorkehrungen zum Schutz der Kinder gibt und die Freiwilligen nicht immer ausreichend auf ihren Einsatz vorbereitet werden. Die Kinderschutzorganisation ECPAT setzt sich für einen verantwortungsvollen Voluntourismus ein, der nur durch Transparenz und effektive Kinderschutzmaßnahmen erreicht werden könne. Ein seriöser Anbieter von Voluntourismus müsse sowohl
über das touristische Handwerkszeug als auch über Know-How zur Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Umweltprojekten verfügen. Voluntourismus. Dossier von ECPAT Deutschland e.V. (Hg.), Freiburg 2016, 8 Seiten. Download: www.ecpat.de/fileadmin/user_upload/ Materialien/Dossier_Volontourismus.pdf -ck(923 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Gutes tun und darüber reden Dossier „Kommunikation von CSR im Tourismus“ Wie Tourismusunternehmen – vom Beherbergungsbetrieb bis zum Reiseveranstalter – Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit ehrlich und erfolgreich kommunizieren können, vermittelt das Dossier „Kommunikation von CSR im Tourismus“, herausgegeben von der Naturfreunde Internationale – respect in Kooperation mit TourCert. Anhand von Beispielen aus der Praxis wird gezeigt, wie sich zum Beispiel sperrige Begriffe wie „Corporate Social Responsibility“ oder „Nachhaltigkeit“ auf einfach verständliche Informationen herunter brechen und mit Leben füllen lassen.
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Kommunikation von CSR im Tourismus. Tue Gutes und rede darüber – aber wie? Von Naturfreunde Internationale – respect (Hg) in Kooperation TourCert, Wien, März 2016. 6 Seiten. Download: www.naturfreunde.de/dossier-kommu nikation-von-csr-im-tourismus -ck(929 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
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Veranstaltungen und Termine
Unter der Oberfläche Tourism Concern-Dossier „Cruise tourism – what’s below the surface?“ In einem „Cruise tourism“-Dossier hat die britische Organisation Tourism Concern Studienergebnisse über die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus und die schwierigen Arbeitsbedingungen auf den Schiffen zusammengetragen. Darin wird gezeigt, dass es den Einheimischen oft wenig bringt, wenn bei ihnen Tausende von Kreuzfahrtpassagieren an Land gehen. Die Zeit, die diese Touristen auf festem Boden verbringen, ist meist sehr knapp bemessen. Mehr als 50 Prozent der touristischen Aktivitäten an Land werden an Bord von den Kreuzfahrtgesellschaften direkt verkauft, heißt es in dem Dossier. Auch Souvenirs können die Kreuzfahrer an Bord erstehen. Die Kreuzfahrtgesellschaften können beim Einkauf ihre Marktmacht ausnutzen und die Preise drücken. Viele Schiffe fahren unter „Billigflaggen“ von Ländern wie Liberia. Sie umgehen damit nicht nur erhebliche Steuerzahlungen, sondern orientieren
sich auch an den niedrigen Arbeits- und Sicherheitsstandards dieser Länder. Gleichzeitig verursachen sie durch die Verschmutzung von Luft und Wasser erhebliche Umweltschäden. Ein großer Teil dieser negativen Auswirkungen ließe sich vermeiden. Zum Beispiel gebe es entsprechende Technologien zum Umweltschutz, doch Selbstregulierung werde die Branche nicht dazu bringen, diese auch einzusetzen. Tourism Concern spricht sich daher für mehr Transparenz und mehr Druck von Seiten der Verbraucher aus sowie für strengere Regulierung, international vor allem im Rahmen internationaler Übereinkommen. Cruise tourism – what’s below the surface? Research briefing von Helen Jennings & Kai Ulrik. Hg. Tourism Concern. London, 2016. 6 Seiten. -ck(1.900 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
„Katar: Sport als Beschleuniger der Menschenrechte?“ Welchen Einfluss haben Unternehmen auf die Einhaltung der Menschenrechte und die Umsetzung von Arbeits- und Sozialstandards? Wie kann unternehmerische Verantwortung auf die Entwicklungsprozesse nahöstlicher Staaten und Gesellschaften einwirken? Mit diesen und weiteren Fragen zu den Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der geplanten Fußball-Weltmeisterschaft in Katar 2022 will sich eine Abendveranstaltung am 28. Juni in Berlin befassen. Sie wird organisiert vom Governance
Center Middle East North Africa, dem Center on Governance through Human Rights und dem Deutschen Global Compact Netzwerk. Weitere Informationen: www.globalcompact.de/ de/aktivitaeten/termine/28.-Juni-2016-Veranstal tung-Katar-Sport-als-Beschleuniger-der-Menschen rechte.php -ck(821 Zeichen, Juni 2016, TW 83)
Tourismus auf dem Asia-Europe People’s Forum 2016 „Transforming Tourism“ – wie die Tourismuswende gestaltet werden kann, diskutieren zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen aus Europa und Asien auf dem 11. Asia-Europe People’s Forum AEPF, dass vom 4. bis 6. Juli in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator stattfindet. Wie bereits auf dem Asia-Europe People‘s Forum (AEPF) in Laos 2012 und in Mailand 2014 wird es in einem Workshop um zivilgesellschaftliche Strategien für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus gehen. Alle zwei
Jahre und abwechselnd in Asien und Europa bietet das AEPF im Vorfeld des ASEM-Gipfels eine Plattform für die Zivilgesellschaft. Die AEPF-Abschlussdeklaration wird den Staats- und Regierungschefs des ASEM-Raumes übergeben. Weitere Informationen: www.aepf.info -ck(910 Zeichen, Juni 2016, TW 83) 19
Der Informationsdienst TourismWatch erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden. Herausgeber Brot für die Welt ‒ Evangelischer Entwick lungsdienst, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. Caroline-Michaelis-Straße 1 10115 Berlin Tel +49 30 65211 1806 Fax +49 30 65211 3333 Mail
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