IN ABRAHAMS HAUS. Palästina Projekt 2009 bis Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Fachbereich Bildende Kunst Fachgebiet Malerei

IN ABRAHAMS HAUS Palästina Projekt 2009 bis 2011 Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Fachbereich Bildende Kunst | Fachgebiet Malerei OPEN ...
Author: Dörte Scholz
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IN ABRAHAMS HAUS Palästina Projekt 2009 bis 2011

Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Fachbereich Bildende Kunst | Fachgebiet Malerei

OPEN SPACES

Kunstprojekte im sozialen Brennpunkt in Palästina 2009 bis 2011

Kunst ist eine transnationale Sprache, die im zweckfreien Raum Grenzen überschreiten und Impulse für die Selbst- und Sozialgestaltung geben kann. Der Boden in Palästina ist besetzt, auf Schritt und Tritt: mit Geschichte, Konflikten, Vorurteilen. Auf diesem Boden hat in den Jahren 2009 bis 2011 jeweils ein zweiwöchiges, interdisziplinäres und partizipatorisches Kunstprojekt als friedensbildende und interkulturelle Intervention im gesellschaftlichen Kontext stattgefunden. Es ging darum, mit den Mitteln der Kunst einen zwischenmenschlichen Dialog herzustellen und jenseits von politischen Absichten mit Kunst ein Zeichen zu setzen, Bewegung anzustoßen und Bewusstsein zu schaffen. Benachteiligte Kinder und Jugendliche sollten durch künstlerische Aktivität gefördert werden und ihren eigenen Lebensraum umgestalten. Studierende verschiedener deutscher Hochschulen und unterschiedlicher Sparten reisten unter der Leitung von Ulrika Eller-Rüter, Professorin für Malerei und Kunst im gesellschaftlichen Kontext an der

Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft bei Bonn und ihrem seit 2008 existierenden „Institut für Kunst im sozialen Brennpunkt“ nach Palästina, um dort Kunstworkshops durchzuführen. Neben Malereistudenten der Alanus Hochschule waren Studierende der Musikhochschule Detmold, der BauhausUniversität Weimar, sowie Kunststudenten der Universität Freiburg dabei. Außerdem begleiteten der Musiker Friedemann Geisler, sowie die Schauspielerin Eveline Mürlebach und der Regisseur Bernd Dressen das Projekt.

SCHAUPLATZ Israel und Palästina

Kunstaktionen in einem Land zu starten, in dem häufig die Waffen sprechen, ist auf den ersten Blick ein Abenteuer. Meldungen über Selbstmordattentate, militärische Auseinandersetzungen, aussichtslose Verhandlungen zwischen den israelischen und palästinensischen Konfliktparteien und der Bau der Mauer mit unzähligen Checkpoints prägen das Bild, das man in Europa von Israel und Palästina hat. Wir waren in einer palästinensischen Zone im Westjordanland, die durch Checkpoints und acht bis neun Meter hohe Mauern von israelischen Siedlungen getrennt ist. Bei der Grenzüberschreitung macht das mit offenen MGs bewaffnete israelische Militär regelmäßig Passkontrollen. Für uns war das kein Problem. Ein Palästinenser kann hingegen nicht ohne Genehmigung in israelisches Gebiet einreisen. Zugleich waren wir einen Steinwurf von Bethlehem und eine halbe Stunde Busfahrt von Jerusalem entfernt. Viele Parallelwelten: Die Wirklichkeit des Nahostkonflikts, die Realität der islamischen, jüdischen und christlichen Religion.

Die Exkursionen nach Bethlehem und Jerusalem ließen uns tief in die anderen Kulturen, in das bunte Ineinander von Christentum, Judentum sowie Islam eintauchen. Jerusalem ist wie ein Maulwurfhügel: Die engen Gassen der Basare verbinden das arabische, armenische, jüdische und christliche Viertel miteinander. Muslime, orthodoxe und ultraorthodoxe Juden, Israelis, Touristen und Christen aus aller Welt, Nonnen und Mönchen prägen das Stadtbild. Dazwischen befinden sich an besonderen Knotenpunkten immer wieder bewaffnete Soldaten. Die „Via dolorosa“ führt direkt durch den arabischen Souk mit seinen herrlichen Gewürzen, Stoffen, Souvenirs, Teppichen, Schmuck und Accessoires. Vom Basar gelangt man direkt in die baufällige, wenig imposante Grabeskirche mit ihren orthodoxen und katholischen Raumabschnitten verschiedener christlicher Couleur. Nur ein paar Schritte weiter geht es zur Klagemauer, dem wichtigsten Heiligtum der Juden und das letzte Überbleibsel des salomonischen Tempels. Darüber prangt auf dem Tempelberg, in unmittelbarer Nachbarschaft der großen Al-Aqsa-Moschee, der weithin sichtbare Felsendom mit seiner wunderschönen Goldkuppel.

Beide Seiten: Szenen in Jerusalem Vorherige Seite: Blick auf Alt-Jerusalem

IN ABRAHAMS HERBERGE Beit Jala: Abrahams Herberge // 2009 und 2010

In Beit Jala, nahe Bethlehem, gab es ein Jungenheim, in dem 35 Jungen aus schwierigsten sozialen Verhältnissen im Alter von sechs bis achtzehn Jahren lebten. Dieses Haus für Sozialwaisen gehörte zur Abrahams Herberge, die 2003 als Friedensprojekt mit der Idee gegründet wurde, eine Begegnungsplattform für Christen, Muslime und Juden zu schaffen und die Versöhnung zwischen den verfeindeten Religionsund Volksgruppen in Israel und Palästina zu fördern. Kern der Philosophie der Abrahams Herberge ist es, Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Palästina, Israel, aus den arabischen Nachbarländern und aus aller Welt, also Menschen verschiedener Herkunft, Religion und Einstellung aufeinandertreffen zu lassen. Ein geeigneter Ort, um mit Kunst Zeichen zu setzen. Das Jungenheim war zwei Mal Schauplatz eines interdisziplinären und partizipatorischen Kunstprojekts. Nachdem 2009 eine Basis für künstlerische Aktivität geschaffen werden konnte, ging es im Jahr 2010 thematisch um Abraham, dem Stammvater der drei monotheistischen Religionen und Namensgeber der Institution. Der Fokus lag dabei weniger auf den re-

ligiösen als vielmehr auf den interkulturellen Aspekten des Themas und dem Bezug zum Ort. Es sollte diesmal die künstlerische und musikalische Arbeit mit intensiveren Übungsphasen und raumgreifenden Interventionen im Vordergrund stehen. Die Arbeit fand in den Bereichen Bildende und Darstellende Kunst statt. Wir wollten das Gesicht der Räumlichkeiten des Jungenheims tatsächlich verändern und die Geschichte Abrahams als Musical darstellen. Die Ergebnisse aus den diversen Workshops sollten schließlich in einer großen Abschlussausstellung mit öffentlicher Performance präsentiert werden. Regelmäßig gab es Chorproben und rhythmisches Arbeiten mit Friedemann Geisler, um die Songs des Musicals einzustudieren, das er für dieses Projekt komponiert hatte. Nach dem Chor war Zeit für die Gruppenarbeit in den Workshops. Die Jungen wurden eingeteilt in Schauspieler und Musiker. Die Schauspieler, zu denen vor allem die jüngeren Kinder zählten, befassten sich mit den Rollen und zentralen Szenen der Geschichte Abrahams und stellten diese solo oder im Ensemble dar. Parallel gab es Instrumentalmusikunterricht

durch die drei Musikstudenten aus Detmold. Damit die Räumlichkeiten des Jungenheims die Anonymität einer Jugendherberge verlieren, wurden sie aufwendig umgestaltet. Das geschah auf zwei Ebenen: Während die Jungen in der Schule waren bzw. nicht ihre Schlafräume benutzen, gingen die Bildenden Künstler mit Unterstützung der Musiker zu Werk. Sie planten und realisierten für alle zehn Schlafräume ein individuell auf das Alter und die jeweils in dem Zimmern lebenden Jungen zugeschnittenes Raumkonzept. Die Workshops mit den Jungen waren so ausgerichtet, dass die Arbeiten der Jungen in die Raumprogramme bzw. das Musical integriert wurden. Alle Jungen nahmen im Laufe unseres zweiwöchigen Projekts das gesamte Programm mit Glasmalerei, Linolschnitt und Illustration sowie Bühnenbild wahr. Im Workshop Druckgrafik ging es um das Ornament aus Orient und Okzident, eine Zeichensprache, welche die Kulturen und Religionen verbindet. Die Drucke wurden als Friese für die Wände in den Schlafräumen verwendet. Im Workshop Glasmalerei konnten die Jungen die Leuchtkraft der Farben erleben und bunte Farbkompositionen auf kleine Plexiglasflächen für die Fenster der Schlafräu-

me malen, um die Lichtsituation dort zu verändern. Im Bühnenbild-Workshop sollten die Ausdrucksgesten und Rollen aus der Geschichte Abrahams als Schattenriss auf dem Prospekt dargestellt werden. Begeistert posten die Jungen und malten mit Ausdauer ihre Silhouette. Das Bild diente für das Musical als Bühnenbild. An dem gesamten Projekt fiel auf, dass wir als Künstlerteam nach einem Jahr Pause unmittelbar an unsere Arbeit aus dem Vorjahr anknüpfen, diese vertiefen und so Fähigkeiten ausbilden konnten. Die Kunst hat trotz der kurzen Arbeitsphasen offensichtlich nachhaltig gewirkt. Die Jungen brachten in einer Abschlussrunde selbst am treffendsten zum Ausdruck, was das Projekt mit ihnen gemacht hat. Sie bedankten sich nicht nur für ihre gestalteten Schlafräume, sondern dafür, dass die Künstler aus ihnen hervorgelockt hätten, was in ihnen steckt.

Beide Seiten: Erarbeitung des Musicals „In Abrahams House“ mit Chor, Schauspiel und rythmischem Arbeiten Vorherige Seite: Ausschnitt vom Bühnenbild zum Musical

Diese Seite: Druckwerkstatt und Wandfriese im Jungenheim

Diese Seite: Workshop Glasmalerei und Fenstergestaltung im Jungenheim

Diese Seite: Zeichnung von Ausdrucksgesten aus der Geschichte Abrahams

Diese Seite: Gestaltung des Bühnenbildes zum Musical „In Abrahams House“

Beide Seiten: Schlafräume im Jungenheim

IN ABRAHAMS ZELT Al Ubiedyeh: Abrahams Zelt // 2011

In der „Abrahams Herberge“ hatte sich 2011 viel verändert: Das Jungenheim, der Schauplatz der Kunstprojekte in den Jahren zuvor, war wegen finanzieller Engpässe der palästinensischen Kirche geschlossen worden. Ein Drama für die Kinder, die ihren Zufluchtsort und für viele Mitarbeiter, die dadurch ihre Arbeit verloren hatten. Dennoch wurde Ulrika Eller-Rüter mit dem Künstlerteam eingeladen, um diesmal im sogenannten Abrahams Zelt zu arbeiten. Das Zelt wird als soziale Einrichtung jährlich neu an verschiedenen Standorten in Palästina aufgestellt, um Menschen in Regionen mit miserabler Wirtschaftslage zu unterstützen. Kinder und Jugendliche erhalten dort eine warme Mittagsmahlzeit, es gibt eine Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe in Mathematik, Arabisch und Englisch. Seit 2010 steht das Abrahams Zelt in Al Ubiedyeh, in der Wüste zwischen Bethlehem und Totem Meer. Es handelt sich um eine der ältesten Ortschaften Palästinas, heute mit hoher Arbeitslosigkeit und prekären Lebensverhältnissen. Hier wohnen vor allem ehemalige Schafhirten, die streng nach dem Islam leben.

Als Räumlichkeiten für die künstlerischen Workshops gab es ein mehr oder weniger zerrissenes Zelt und drei angrenzende, frisch restaurierte kleine Steinbauten mit gewölbeartigen Zimmern. Das 13-köpfige Künstlerteam stellte für fünf Tage ein vielfältiges Angebot mit Musik, Schauspiel, Malerei und Druckgrafik auf die Beine. Die Ergebnisse wurden schließlich vor der Dorfgemeinschaft und den Eltern, die im Publikum streng nach Männern und Frauen getrennt saßen, präsentiert. Es gab eine Vorführung mit Musik, Tanz und Schauspiel sowie eine Ausstellung mit den Bildern, die in den Workshops entstanden waren. Während der fünf Tage machten die Musiker mit den jüngeren Kindern Rhythmus- und Volkstänze, Gesangsübungen und studierten einen Kanon ein. Im Schauspiel-Workshop lernten die Kinder interaktive Geschicklichkeits- und Wahrnehmungsübungen und setzten sich im szenischen Spiel mit Rollenmustern auseinander, die Verhaltensweisen von Palästinensern und Israelis thematisierten und reflektierten. Im Bereich Bildende Kunst wurde für die älteren Jungen eine Druckwerkstatt zum Thema Ornament eingerichtet. Die kleineren Kinder beschäftigten sich mit der

Farblicht-, Transparent- und Glasmalerei. Die älteren Mädchen malten Stimmungslandschaften auf unterschiedlichen Bildträgern vom Miniaturformat bis zur gemeinsam ausgestalteten XXL-Leinwand. Der Ort wurde von den Künstlern gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen sowie deren Betreuern sicht- und hörbar verändert. Damit war ein wesentliches Ziel trotz schwieriger Ausgangslage - das Projekt musste vor Ort spontan auf die Beine gestellt werden und eine intensive Vorplanung war nicht möglich - erreicht. Was ist mit der Nachhaltigkeit bei einem so improvisierten Projekt? Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Künstlern vor Ort zeichnet sich ab: Ein internationaler Austausch von Künstler zu Künstler, Kunststudent zu Kunststudent, der durch die Kooperation mit einer palästinensischen Kunsthochschule in Zukunft hoffentlich möglich wird.