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1 Impressum: Unser besonderer Dank gilt Neale Donald Walsch und seinem Team für die freundlichen Worte vor der Veröffentlichung des Buches sowie dem...
Author: Martina Boer
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Impressum: Unser besonderer Dank gilt Neale Donald Walsch und seinem Team für die freundlichen Worte vor der Veröffentlichung des Buches sowie dem Café Riese in Köln, das uns gestattet hat, unsere fiktive Geschichte an einem realen Ort spielen zu lassen. Alle weiteren Personen und Handlungen des Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2015 – Herzsprung-Verlag Tostner Burgweg 21 c, A- 6800 Feldkirch Telefon: 05522/82151 [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Erstauflage 2015 Lektorat: Hedda Esselborn / www.papierfresserchen.de Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM / www.literaturredaktion.de Titelbild: Sabine Korte, Köflach – Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fotografin/ pixelio.de Druck: Booksfactory, Stettin Gedruckt in der EU ISBN: 978-3-99051-003-2 – Taschenbuch ISBN: 978-3-99051-004-9 – eBook

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Wunder gescheh’n Prinz herzlich willkommen Marion Leuschner

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Inhaltsverzeichnis Robert und das Gute Fühlen 7 Martin 10 Ich komme ins Fernsehen 12 Freiheit 20 Filmmusik 27 Zufall? 37 Gespräch um Mitternacht 40 Pläne und Träume 44 Glückskind der Liebe 47 Letzter Arbeitstag 50 Urlaub 52 Irrfahrt 59 Salsa 67 Lars Welt 72 Schwärmerei 79 Coaching 82 Stadtwaldgarten 89 Muse 93 Schreibauftrag 97 Glücksmaja 100 Lars’ Eltern 105 Dankesbrief 112 Zielfinderin 125 Keinen Sex! 131 Pforzheim 135 Berry Black 143 Dankbarkeit 149 Wünsch dir ... 155 Weihnachtsgedanken 161 Silvester 164 4

Das Jahr fängt gut an 172 Ich mache meine Welt? 182 Inspiration pur 185 Physik mit meinen Augen 193 Wolkenburg 196 Gregor 201 Danach 228 Das besondere Seminar 231 Karneval in Kölle 240 Wiedersehen 246 Herzlich willkommen! 250 Traumprinz 253 Der Dreh 255 Drehbuch des Lebens 258 Nachwort 265

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Robert und das Gute Fühlen Tränen füllen meine Augen. Ich drücke die Lider zu. Die Tränen kullern meine Wangen herunter. Jetzt kann ich weiterlesen. Jetzt hab ich wieder einen klaren Blick. Ich sitze auf einem Hocker in der Beckerschen Buchhandlung in meiner Lieblingsecke. Auf meinem Schoß liegt das schwere Buch Robert und das Gute Fühlen. Es ist ein dickes Buch, ein fest gebundenes Buch. Momentan fühlt sich das Buch noch schwerer an, als es eh schon ist. Das gibt es doch nicht. Da steht meine Geschichte schwarz auf weiß … Ich glaube das einfach nicht. Alles ist genau wie bei mir. Schon seit ich denken kann, träume ich von meinem Prinzen. Wie viele Märchen las Mutti mir vor und wie viele las ich selbst. Begegnet bin ich meinem Prinzen noch nicht wirklich. Der, von dem ich jeweils dachte, er wäre es, entpuppte sich doch nach einer Weile wieder als Frosch. Mutti sagt immer mal wieder: „Du hast aber auch schon Vögel gehabt.“ Das entlockt mir im Nachhinein oft ein breites Grinsen, wie das mit Sachen so ist, die einen betreffen. Ohne rosa Brillenblick sehe ich auch die Federn. Recht hat sie. Meine Augen trocknen gar nicht wieder. Weitere Tränen folgen der Spur auf meinen Wangen. Da spüre ich ein Tippen auf meiner Schulter. „Na, Bademeister!“ Mein bester Freund Francesco beliebt, immer zu scherzen. Bademeister. Das hat er sich ausgedacht, weil mir immer so warm ist. Ich sprühe immer vor lauter Energie und Lebensfreude. Aber manchmal ist mir auch heiß vor Angst. Wo die herkommt, erforsche ich noch. Auf jeden Fall campiere ich sogar im Winter leicht bekleidet, nur im trägerlosen T-Shirt in der Beckerschen Buchhandlung. Francesco nennt sie liebevoll unser zweites Wohnzimmer. Eigentlich erwarte ich Francesco immer sehnsüchtig. Doch heute bin ich so versunken in die wunderbare Geschichte von Robert und Juni, dass ich sein 7

Kommen nicht bemerke. Seit ungefähr vier Jahren gibt es keinen wichtigeren Menschen in meinem Leben. Wir treffen uns fast jeden Tag, außer am Sonntag, weil dann die Buchhandlung geschlossen hat. Außerdem hat sonntags auch Francescos Freundin Ricarda frei. Wir teilen Freud und Leid. Wir träumen unseren Traum. Denn wahr geworden ist davon noch nichts. „Na, was ist passiert?“, fragt Francesco, als er meine tränenerfüllten Augen sieht. „Ach, das Buch erzählt meine Geschichte, ich schwöre es“, seufze ich. Ein Blick in sein hübsches Gesicht, welches mich an den indischen, sanften, mädchengleichen Siddhartha erinnert, genügt und ich lache wieder. Dass ich darüber lachen kann, ist Francescos Verdienst. „Es ist sooooo schön“, seufze ich. „Bestimmt geht es gut aus. Schließlich heißt es Robert und das Gute Fühlen. Hört sich doch schon nach Happy End an, oder?“ „Ja, bestimmt, du Romantikerin“, lacht nun auch Francesco. „Selbst ...“, necke ich ihn. Mit dem Lesen hat es sich erst einmal erledigt. Francesco hat dieses Buch schon gelesen. Wir haben den gleichen Geschmack und lesen ohne Absprache oft die gleichen Bücher. Er nennt mir genau die Stellen des Buches, die ich auch am schönsten finde. Wir sind uns mal wieder einig: Das ist die tollste Geschichte, die wir in letzter Zeit gelesen haben. Er kennt das Ende, verrät es mir aber nicht. Ich bin sooo gespannt, wie es weitergeht mit Juni und Robert, dass ich nicht anders kann, als das Buch zu kaufen. Natürlich nehme ich genau dieses, welches ich gerade in meinen Händen halte, denn darin las Francesco auch. Ich glaube fest daran, dass seine Energie noch darin ist. Insgeheim liebe ich Francescos schöne Seele. Ich liebe die Unterhaltungen mit ihm. Ich liebe es, mit ihm zusammen zu sein. Doch Francesco hat sich für Richarda entschieden. Sie ist sehr eifersüchtig und verbietet uns den Kontakt. Obwohl ich vierzehn Jahre älter bin als er, sieht Richarda in mir eine Rivalin. Das schmeichelt mir. Na gut, es ist nicht ganz unbegründet, denn anfangs bildete ich mir ein, dass er mein Prinz sei. Jetzt habe ich akzeptiert, dass es eine wundervolle, tiefe Freundschaft zwischen uns ist. 8

Ich kann es kaum erwarten, mein Buch weiterzulesen. Schon während ich auf die Bahn warte, lese ich im Stehen und dann in der Bahn sowieso. Wo ich gehe und stehe, lese ich. Ich nehme nichts anderes mehr wahr, während mich Roberts und Junis Geschichte durch Höhen und Tiefen wandern lässt. Befreites Lachen löst Tränenströme ab. Ich ernte etliche verwunderte Blicke. Das ist mir völlig egal. Zu schön ist die Geschichte. Mein Herz schmerzt und hüpft abwechselnd. Ich sitze neben Robert und Juni in Hängematten, in denen sie stundenlang liegen und reden, reden, reden. Ich tanze mit ihnen und singe lauthals den Dirty Dancing-Song. Ich schwebe wie eine Feder neben ihnen über die sternenüberdachte Tanzfläche des Glückscamps, in dem sie sich kennenlernten. Und eine schöne Weile lebe ich Roberts und Junis Traum, genau so lange, wie ich brauche, um das Buch durchzulesen. Das dauert gerade mal eine Woche. „Ach ja … das ist zu schön, um wahr zu sein“, flüstert es in mir. Jetzt geht das richtige Leben weiter.

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Martin Schnell holt mich die Realität wieder ein. Ich habe einen Freund. Martin. Zumindest sage ich, dass er mein Freund ist. Was noch nicht heißt, dass er der gleichen Meinung ist. Der Zufall führte uns nach achtzehn Jahren wieder zusammen. Er hat mich gefunden. Das bedeutete schon einen größeren Aufwand, denn ich wohne immerhin 600 Kilometer von meinem ehemaligen Wohnort entfernt. Ich habe einen anderen Namen und von meiner direkten Familie lebt auch niemand mehr dort. Er wohnt noch immer in meiner alten Heimat in Sachsen-Anhalt. Dort befinden sich auch der Sitz seiner Firma, sein Haus, seine Kinder und seine zwei Exfrauen. Unsere Geschichte zieht sich mittlerweile schon wieder fast drei Jahre mit Unterbrechungen hin. Es kommt auch vor, dass er sich wochenlang gar nicht meldet. In letzter Zeit kommt er wieder öfter, denn er hat eine Baustelle in Köln und muss für zwanzig Arbeiter Wohnungen einrichten. Die Illusion, dass er der Traumprinz ist, habe ich schon fast begraben. Ich verstehe, warum wir uns wiedertrafen nach der langen Zeit. Es war nicht richtig beendet, nicht abgeschlossen. Ein alter Groll belastete mein Herz und ich verstand das bis vor Kurzem einfach nicht. Er hatte sich im Grunde genommen kaum geändert, obwohl es anfangs den Anschein machte. Damals brachte er mir schon nicht die gewünschte Aufmerksamkeit entgegen. Das ist heute noch genauso. Ich war und bin ihm nicht so wichtig, wie ich es gerne wäre. Langsam verstehe ich den Zusammenhang. Wenn ich mir selbst nicht so wichtig bin, bin ich es auch nicht für jemand anderen. Bringe ich mir selbst nicht genug Aufmerksamkeit entgegen, macht das auch niemand anderer. Wie innen, so außen. Er konnte sich schon damals nicht festlegen. Er konnte sich schon damals nicht entscheiden zwischen seiner Freundin und mir. 10

Er war nie offen für die große, wahre Liebe. Also bin ich wohl auch noch nicht offen für die große, wahre Liebe. Na toll … Das erinnert mich an Vati, den ich auch immer als unnahbar erlebte. Nie sah ich meine Eltern sich auch nur einmal küssen. Zumindest nicht, wenn wir Kinder dabei waren. Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie sich auch, wenn sie zu zweit waren, nicht küssten. Ja, und wen wundert’s? Martin küsst auch nicht gerne. Daran erinnerte er mich eines Abends, als er beim Küssen wieder so stark an meiner Zunge saugte, dass es sehr, sehr weh tat und mir die Lust am Küssen gewaltig verging. Vor meinem inneren Auge tauchte jäh die Erinnerung auf, wie er sie mir vor achtzehn Jahren mal beim Küssen fast herausgerissen hatte. Ich hoffte, dass er sich geändert hatte. Aber diese Hoffnung habe ich mittlerweile aufgegeben. Das Einzige, was mich dabei tröstet, ist, dass ich nun weiß, wieso er nicht gerne küsst. Eine seiner Freundinnen sagte einmal, er könne nicht küssen. Darunter soll ich jetzt leiden, oder wie? Ich jedenfalls fand schon immer, dass er toll küsst. Ganz anders als die anderen, unberechenbar, mal schnell, mal langsam. Gerade das turnt mich immer sehr an. Davon hab ich aber nur herzlich wenig, wenn er nicht küsst. Was kann ich da machen, wenn er selbst nicht an sein Kusstalent glaubt, vielleicht auch nicht glauben will? Jetzt, wo ich das Buch ausgelesen habe, fällt mir auf, dass er schon wieder zwei Wochen nicht bei mir war. Ich versuchte ein paar Mal, ihn zu erreichen. Er wimmelte mich immer ab. Die wichtigeren Dinge beanspruchen ihn. Er nimmt sich kaum Zeit, mit mir zu plaudern. Ich schickte ihm eine E-Mail. Auf diese antwortete er noch nicht. Ich bin schon ganz krank und habe keine Lust mehr, darüber nachzudenken. Meine Stimme geht immer weg, wenn ich davon erzähle. Irgendwas stimmt mit meinem Hals nicht, wenn ich mich mit dem Thema auseinandersetze. Die Aufmerksamkeit muss weg von den vielen Dingen, die mir nicht gefallen an ihm. Es gibt da auch ein paar Dinge, die ich sehr an ihm mag. Auf die müsste ich mich mehr konzentrieren. Ich weiß. Ist aber alles noch reine Theorie. Bei anderen Dingen gelingt mir das leichter, als in der Liebe.

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Ich komme ins Fernsehen Jubel, Trubel, Heiterkeit, Hektik … ein ganz normaler Samstag im Café Riese im Herzen Kölns. Ich habe Spätdienst und komme mitten ins Chaos. Vorbei ist es mit der Ruhe, mit meinen schönen Träumen. Dafür ist keine Zeit hier an der Hauptschlagader der Einkaufszone. Es ist zwölf Uhr und alle rennen wie die Irren. Die Leute auf der Straße erinnern mich an die sprichwörtlichen Sardinen in der Dose. Die Kellnerkumpels bahnen sich ihren Weg durch den schmalen Gang, der gleich dem Hals einer Frankenweinflasche vom Eingang des Café Riese schließlich in den dicken Bauch des geräumigen Inneren mündet, welches mindestens 200 Plätze birgt. Das Interessante ist, dass rechts und links von der schmalsten Stelle die schönsten Leckereien hinter hochglanzpolierten Scheiben liebevoll arrangiert zu sehen sind und sich dort die Menschen knubbeln. Es gibt einfach alles im Café Riese: Riesäppchen, eine Wortkreation unseres Chefs Herrn Liebe, welcher es liebt, mit Wörtern zu spielen. Dabei handelt es sich um Tapas – oder mit einem anderen Wort: Häppchen. Als kleine Schweinereien wurden sie auch schon betitelt. Dann gibt es die allerleckersten Eissorten, alle aus eigener Produktion, liebevoll dekoriert, belegte Brötchen und Kaffeesorten sowieso. Schließlich heißt es Café Riese. Ganz abgesehen von den vielen verschiedenen Kleingebäcksorten, den tollen Pralinchen und Torten, Torten, Torten … eine leckerer als die andere, sodass man mindestens drei Monate bräuchte, um alle zu probieren. Außerdem haben wir echt eine hübsche Mannschaft. Unsere Mädels sind einfach zuckersüß, wie die Sachen, die sie verkaufen. Ich komme ganz gut durch den vollgestopften Gang, mit einem Trick. Ich schaue allen mir entgegenkommenden Menschen in die 12

Augen und zack weichen sie mir automatisch aus. Das funktioniert weniger bei denen, die mir den Rücken zuwenden. Dann klingele ich: „Klingling, klingeling“, oder ich hupe: „Nööööp Nöööööp.“ Jeder Kellner hat einen anderen Weg gefunden, sich bemerkbar zu machen. Mandy sagt zum Beispiel energisch: „Vorsicht bitte!“ Das geht mit ihrer lauten Stimme. Oder: „Bitte durchtreten, keine Knoten bilden!“ „Bitte zügig durchtreten!“ Das sag ich manchmal, wenn ich nicht so gut drauf bin. Das hab ich von meiner Kollegin Margarete übernommen und fand es witzig. Aber in Verbindung mit schlechter Laune wird es auch oft missverstanden. „Heiß und Süß“, klappt auch ganz gut. „Heiß und fettig“, löst meist Unbehagen aus, denn darin sind gleich zwei Warnungen enthalten: die, sich zu verbrennen und die, dick zu werden. Und das nicht nur bei den Gästen, sondern auch bei mir. So, heute bin ich gut drauf. Frisch im Café Riese-Look und optimistisch mische ich mich unter die Kollegen. Alle sind bereits in Aktion. Das Café öffnet seine Pforte schon um halb acht Uhr morgens. Viel Zeit bis zwölf Uhr für die Gäste, den Laden mit Leben zu füllen. Die Köche tummeln sich in ihrem kleinen Küchenbereich, wie die Bienchen in ihrem Stock. Jeder weiß, was er zu tun hat. Café Riese bietet schließlich auch im kulinarischen Bereich seinen Gästen die vielfältigsten Gaumenfreuden, bei denen sich unser Küchenchef kreativ entfaltet. Es gibt einfach alles, was den Gaumen erfreuen kann, und das alles in einem Tempo, das Café Riese gerecht wird. Denn alle sind auf der Durchreise zum nächsten Shop, zum nächsten Termin, zum nächsten Museum, zum Hotel – weiß Gott, wohin die vielen Leute alle wollen. Ein Streben, ein Leben, ein Fluss, alles muss. Zumindest meinen alle, sie müssten wohin. Daher die Eile, die sich auf alle Mitarbeiter überträgt, die manchmal im Akkord kochen, Kuchen schneiden, Eisbecher gestalten. Sogar die Kaffeemaschinen kochen schneller als woanders. Und auf alles noch eine Portion Liebe drauf, dann zack auf den Tisch … Da bleiben manchmal Reibereien nicht aus. Wir haben natürlich gelernt, so was mit einem Grinsen wegzustecken, meistens zumindest. Und die alten Kellner-Köche-Reibereien sind so gut wie vor13

bei, denn wir haben festgestellt, das zieht nur Energie und macht schlechte Laune, im krassen Fall sogar krank und zeigt sich letztlich im Portemonnaie. Ein schlecht gelaunter Kellner bekommt erstens schlecht gelaunte Gäste – Gesetz der Resonanz: Gleiches zieht Gleiches an. Ein unfreundlicher Kellner bekommt zu allem Ärger auch kein Trinkgeld. Wenn’s ganz schlimm kommt, dann verrechnet man sich auch noch und gibt auf einen Zehner wie auf einen Fünfziger raus und darf sich dann am Ende des Tages wundern. Im Prinzip bin ich als Kellnerin die Schaltzentrale der Kuchenmädels, der Köche, der Barkumpels, der Gäste und nicht zuletzt der Chefs – Herrn Liebe und seiner Schwester, Frau Gleichersen. Die Aufgabe, Chef zu sein, ist auch meiner Meinung nach ganz speziell. Denn automatisch ist er oder sie in einer Rolle als Autoritätsperson und darf alle Probleme, die die Angestellten mit den früheren Autoritäten in ihrem Leben hatten, ausbaden. Da werden sie in die Rolle des strengen Vaters oder der peniblen Mutter gedrängt und wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Unser Chef Herr Liebe meistert das sehr gut. Er meint zwar öfters, dass er im Kindergarten sei, und hat ja damit nicht ganz unrecht, aber wie der Kindergärtner ist auch er nicht nachtragend und vergisst schnell. Worauf wir Kinder wieder das machen, was wir nicht sollen. Es sei denn, wir verstehen ganz tief im Inneren die Logik und finden es selbst angebracht. Unsere Chefin Frau Gleichersen hat die weibliche, verständnisvolle, einfühlsame Rolle im Café Riese, wenn es um Persönliches geht. Bei manchen Dingen, die die Arbeit betreffen, hat sie allerdings auch ihre klare Linie. Das braucht man wahrscheinlich in so einem großen Laden. Sonst wäre vielleicht Café Riese schon zum Cafè Zwerg geschrumpft. Deshalb ist sie auch Chefin und nicht ich. Wenn man da beginnt, jeden verstehen zu wollen, warum er jetzt gerade unpässlich ist, dann wird’s nichts mit dem Verkaufen, dann wird nur analysiert und geheilt und all so etwas. Chefs passen eben auf, dass der Laden läuft, und sagen den Angestellten, wie sie gerne hätten, dass der Laden läuft. Ich will nur eines – meine Ruhe, etwas Spaß und Unterhaltung, und dass die Zeit auf der Arbeit schön und schnell herumgeht. 14

Schließlich muss ich ja mit irgendetwas Geld verdienen, um die Miete zu zahlen und meine Träume zu finanzieren, seien es die Bücher oder die Geschenke für meinen Traumprinzen oder die Dessous, mit denen ich meinen Traumprinzen betören kann. Ich weiß, es ist nicht gerade die Traumarbeitseinstellung. Ich bin heute auf der Terrasse eingeteilt. Mandy und Lotti bedienen mit mir draußen. Herr Liebe steht im schmalen Eingang des Cafés. Oh Mann, wie soll ich unbemerkt zu meinen Gästen gelangen? Ein klitzekleines Autoritätsproblem habe ich auch noch. Ist aber schon viel besser geworden. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen Herr Liebe zur einen Tür hereinkam und ich durch die andere Tür möglichst unauffällig verschwand. Vogel-Strauß-Taktik. Siehst du mich nicht, seh ich dich auch nicht. Zu spät, er hat mich schon gesehen und … Oh Schreck, jetzt winkt er mir auch noch: „Maja, kannst du dich um das Filmteam kümmern?“ Maja? Hat er Maja gesagt? Dann will er was. Und du hat er auch gesagt. Und Filmteam, hä? Jetzt sehe ich auch den Mann neben Herrn Liebe. Auf einmal bin ich hellwach. Filmteam … Wow!!!! Mein Film, mein Drehbuch, meine Chance. Das gefällt mir eindeutig besser, als normal zu kellnern. Endlich mal was los, was Gescheites, etwas Wunderbares. Ich fühle ganz deutlich: Heute ist der Tag, an dem sich mein Leben ändert, an dem meine Träume in Erfüllung gehen. Der Filmchef zeigt zu zwei Leuten an einem Terrassentisch, den sie schon etwas ins Abseits gerückt haben. „Da sitzen die Protagonisten.“ Stolz erkläre ich Herrn Liebe: „Das sind die Helden, die Hauptdarsteller.“ Herr Liebe nickt nur, klopft mir auf die Schulter und kümmert sich wieder um seine Aufgabe als Chef. Macht sich doch bemerkbar, so ein Drehbuchkurs. Mit stolzgeschwellter Brust warte ich auf weitere Anweisungen. Ist das spannend! 15