Im Sog der virtuellen Welten

Psychosoziale BeratungsBeratungs- und ambulante Behandlungsstelle Waiblingen & Schorndorf Im Sog der virtuellen Welten Die eigenwillige Mediennutzung...
Author: Christel Maus
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Psychosoziale BeratungsBeratungs- und ambulante Behandlungsstelle Waiblingen & Schorndorf

Im Sog der virtuellen Welten Die eigenwillige Mediennutzung von Jugendlichen & Erwachsenen

Referenten: Tom Scheppat & Achim Schäfer

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Kurzer Überblick Standortbestimmung Auswirkungen der Mediennutzung Hintergründe und Mechanismen der Abhängigkeit Definition und Diagnostik Folgen der Abhängigkeit Coabhängigkeit Lösungsmöglichkeiten und Behandlung Hilfsangebote im Netz und Literatur

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Menschen auf der Suche nach Halt Durch zunehmende Komplexität unserer Lebenswelt fehlen leicht überschaubare Erklärungsmodelle und Bewältigungsmuster zur Problemlösung Bindungen an religiöse oder weltanschauliche Wertegemeinschaften und sozial motivierte Gruppen schwinden. Kompetenz zum selbstreflexiven, planungsvollen und verantwortlichen Umgang mit sich selber und mit anderen nimmt ab. Die allgemein-gesellschaftliche Entwicklung tendiert zur Entsolidarisierung. Dadurch entsteht Desorientierung und Unfähigkeit zur befriedigenden Planung des eigenen Lebens.

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Menschen auf der Suche nach Halt Diffuse gesellschaftliche Trends werden eher widerspruchslos angenommen. Familie ist mit ihrer verantwortungsgebundenen Beständigkeit nicht mit dem Leitbild der globalisierten Wirtschaftsordnung zu vereinbaren Der Zerfall haltbietender Strukturen und sicherer Bindungen verursachen vor allem bei jungen Menschen Sehnsucht nach Heimat, Zugehörigkeit und Verlässlichkeit und erwachsener Autorität. In Umfragen unter Jugendlichen rangieren Treue und Freundschaft ganz weit oben.

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Auswirkungen der Mediennutzung Kontakte und Kommunikationsformen, in denen die Identitäten beliebig gewechselt werden können, werden neu entdeckt und entwickelt. Es werden Spiele gespielt in denen die Spieler als unbesiegbare und unsterbliche Heroen erscheinen. Gefüttert durch eindrucksvolle Grafik und ansprechende Sounduntermalung. Das Körperempfinden bleibt weitgehend zurück. Spieler reduzieren ihre Sinneserfahrungen auf Sehen und Hören. Die deutliche Dominanz dieser Sinne läßt die Körperlichkeit der Spielenden in den Hintergrund treten. Spieler erreichen einen Zustand der (Über-) Konzentration und vergessen ihren Körper Da das Zeit- und Raumgefühl unsicher wird, setzt eine Verstörung der Sinne ein. An diese Verstörung gewöhnt sich der Spieler.

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Die Hintergründe und die Mechanismen der Computerabhängigkeit Was vermissen eine wachsende Zahl von Menschen in der von uns gestalteten Lebenswelt? Werden Bedürfnisse dieser Menschen gestillt?

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Die Hintergründe und die Mechanismen der Computerabhängigkeit Was bieten die Spiele: Verlässliche Strukturen, Regeln, die man einhalten muss, wenn man ans Ziel kommen will. Die Möglichkeit selbstständige Entscheidungen zu treffen. Fallen sie negativ aus, muss man selbst die Verantwortung tragen. Aufregende Entdeckungen, spannende Abenteuer. Gefahren, Ängste, Bedrohungen, die man überwinden kann. Ziele, die man erreichen kann. Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man erwerben kann. Fehler, aus denen man lernt. Bestätigung und positive Rückmeldung durch Erfolg im Spiel. Direkte Rückmeldung auch durch Mitspieler (Teamspeak).

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Die Hintergründe und die Mechanismen der Computerabhängigkeit Vorbilder, denen man nacheifern kann. Geschicklichkeit, die es zu üben und erlernen gilt. Leistungen, auf die man stolz sein kann. Alles was man Kindern und Jugendlichen abspricht, zeigen sie in den Spielen: Unbefangenheit, Neugierigkeit, Lernfreudigkeit, Begeisterung, Ausdauer und Kompetenz. In Chats oder sozialen Netzen kann jeder : – sich völlig losgelöst von der physischen Realität präsentieren – aus der Distanz vermeintlich Nähe und Beziehung erleben

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Die Hintergründe und die Mechanismen der Computerabhängigkeit Es werden diejenigen abhängig, die all das, was virtuelle Welten bieten, im realen Leben am wenigsten finden können. Kein Mensch kommt mit einer Anlage zur Computersucht auf die Welt. Exzessive Mediennutzung ist erlerntes Verhalten, das während der späteren Kindheit oder der Pubertät erworben wird. Häufig wird dadurch ein Defizit der frühen Kindheit ausgeglichen. Häufig entsteht Medienabhängigkeit zusätzlich bzw. parallel zu einer stoffgebundenen Abhängigkeit

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Pathologischer PC- & Internetgebrauch folgende Symptome müssen vorliegen: – Internet- oder PC-Aktivitäten (auch offline) als Hauptbeschäftigung – Entzugssymptome, die sich in Missstimmung, Ängstlichkeit, Irritierbarkeit und Langeweile nach einigen Tagen ohne entsprechende Tätigkeit manifestieren wenigstens eines (oder mehrere) der folgenden Symptome: – Toleranzbildung – anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche der Reduzierung oder Beendigung – Fortgesetzter Gebrauch trotz Wissen über ein andauerndes oder wiederholt auftretendes körperliches oder psychisches Problem – Verlust an Interessen, früheren Hobbys als direktes Resultat des Gebrauchs – Nutzung des Rechners, um eine Missstimmung zu lindern

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Pathologischer PC- & Internetgebrauch Ausschlusskriterium: – Der exzessive PC-Gebrauch ist nicht besser durch eine psychotische oder Bipolar-IStörung zu erklären Klinische Bedeutsamkeit: – Funktionelle Beeinträchtigung (reduzierte soziale, akademische und Arbeitsfähigkeiten), dazu: Verlust einer bedeutsamen Beziehung, eines Arbeitsplatzes oder von Karrierechancen Verlaufskriterium: – Die Dauer des pathologischen Gebrauchs muss wenigstens drei Monate betragen, mit wenigstens 6 Stunden täglicher nicht akademischer oder beruflicher Nutzung

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Die Folgen der Abhängigkeit Entstehung eines Stellvertreter-Ich verkörpert durch den Avatar. Spieler geht komplett auf in Funktion, Taktik, Gruppendynamik. Dadurch kommt es zum zeitweiliger Verlust des eigenen Ich. Identifikation mit wehrhaften Fantasiegestalten. 40-60 Stundenwochen sind nicht unüblich. Das empfundene Ich wird bedeutsamer als das Reale. Reale Depressionen, Trägheiten und Versagensängste werden erkannt. Dadurch wird das Spiel-Ich weiter aufgewertet.

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Die Folgen Häufige Enttäuschungen und Kränkungen in der Realität führen dazu, dass die Spieler sich in der Spiel-Welt wohler fühlt. Die Virtualität wird als Erlösung empfunden. Die reale Welt ist im Vergleich langweilig und/oder bedrohlich Kontaktarmut und Isolation in der realen Welt führen zu Flucht in fiktive Gemeinschaften. Das Gefühl der Unerfülltheit treibt die Abhängige immer wieder in ihre spezifische Onlinewelt. Frühere Freundschaften und Interessen werden erst vernachlässigt, dann komplett aufgelöst. Der eigene Körper stört. Hunger, Durst oder Schlaf stören das Fortkommen im Spiel, den Chats oder die Suche nach immer neuen Inputs.

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Coabhängigkeit Jedes Verhalten von Personen im Umfeld von Betroffenen, das die Abhängigkeit mittelbar oder unmittelbar unterstützt – Verleugnen oder Entschuldigen bei Außenstehenden – Sicherstellen einer stressfreien Umgebung – Finanzielle Unterstützung – Wegschauen – Verleugnen der eigenen emotionalen Befindlichkeit – Generell jegliche Art der Konfliktvermeidung

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Auswege? Lösungsmöglichkeiten? Wer einmal in virtuellen Welten einen Teil dessen wiedergefunden hat, was er so dringend für sein Leben braucht, der ist nicht so leicht wieder in die Realität zurückzubringen. Gelingen kann es, wenn dem Spieler in dieser realen Welt genau das wieder geboten wird, was dort bisher nicht zu finden war. – Klare durchschaubare Regeln und Strukturen, die man anerkennen muss, um sich zurechtzufinden. – Entscheidungen, die man selbstständig treffen und verantworten muss, um selbstbewusst zu werden. – Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man erwerben muss, um eigene Ziele zu erreichen.

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Auswege? Lösungsmöglichkeiten? – Abenteuer, unerwartete Ereignisse und überraschende Situationen, die man erleben, auch Gefahren, die man bestehen kann um daran zu wachsen. – Ziele, die man vor Augen hat und die erreichbar sind, damit das „normale“ Leben Sinn macht.

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Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten Stationäre Rehabilitation in einer entsprechenden Fachklinik Spielerambulanzen (im süddeutschen Raum) in Mainz und Tübingen Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstellen Selbsthilfegruppen Erste Hilfe im Internet

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Internetseiten zum Themenbereich www.suchtfraqen.de Landesstelle für Suchtfragen, Beratungsstelleliste für Baden - Württemberg www.verhaltenssucht.de Ambulanz Uni Mainz www.klicksafe.de EU-Initiative, gute Seiten für Eltern www.suchtvorbeugung-bw.de Regierungspräsidium Stuttgart, Information für Lehrer www.ajs-bw.de Aktion Jugendschutz Baden - Württemberg www.spass-statt-sucht.de Landesgesundheitsamt www.onlinesucht.de Selbsthilfeportal www.rollenspielsucht.de Elterninitiative

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Beratung Angebot der BzgA (www.bzga.de) Anonyme und kostenlose Beratung von Betroffenen und Angehörigen Fr von 12:00 – 17:00 Uhr, 0800 1529 529 (kostenlos) Universität Tübingen, Sprechstunde Internetsucht, Tel. 07 07 I / 29 -86140 Psychosoziale Beratungsstellen des Kreisdiakonieverbandes Rems-Murr-Kreis Waiblingen: 07151 / 9519-12 Schorndorf: 07181 / 929831 EVA Stuttgart, Spielerberatung und Fachstelle für Medien- und Internetabhängigkeit, Kontakt: 0711 / 2054-209 Der Badische-Württembergische Landesverband für Prävention und Rehabilitation bietet an 4 Standorten ein ,,Kompetenzzentrum Mediensucht" an : – Karlsruhe / Bruchsal, Kontakt: 07251 / 9323 48 -0 (Mo 14 - 17 Uhr) – Calw, Kontakt: 07051 / 93616 – Villingen-Schwenningen, Kontakt: 07721 B7B-646-0 – Ortenau, Kontakt: 07851-994779-0 (Kehl) oder 0781-948788-0 (Offenburg) © 2012 bei Kreisdiakonieverband Rems-Murr-Kreis

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Literatur „Computerkids“ – Wolfgang Bergmann, Stuttgart 1996. „Spielplatz Computer“ – Konrad Lischka, Hannover 2002. „Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde.....“ – Eckhart Schiffer, Weinheim 1999. Bergmann, W . & Hüther , G. (2006) . computersüchtig. Kinder im Sog der modernen Medien. Düsseldorf Wal ter Verlag. Farke, G. (2003). OnlineSucht. Wenn Mailen und Chatten zum Zwang werden. Stuttgart: Kreuz-Verlag. Fröhlich, Grundewald, Taplik ( Hrsg. ) (2007) : Computerspiele – Faszination und Irritation Frankfurt a.M. : Brandes & Apsel Füchtenschnieder-Petry, I. , Petry, J. (2010). Game over, Ratgeber für Glücksspielsüchtige und ihre Angehörigen. Freiburg i. Br. : Lambertus Ver lag Gieselmann, H. (2004) . Der virtuelle Krieg – zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel. Hannover: Offizin Verlag.

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Literatur Gross, w. (2002). Sucht ohne Drogen. Arbeiten, spielen, Essen, Lieben. Frankfurt: Fischer Verlag. Grüsser ,S .M. & Thalemann, R. (2006) . Computerspielsüchtig? Ra t und Hilfe. Bern: Verlag Hans Huber. Hänsel ,R . & Hänsel ,R . (2004) . Da spiel ich nicht mit! Donauwörth: Auer Verlag. Kratzer, S. (2006). Pathologische Internetnutzung - eine Pilotstudie zum Störungsbild. Le ngerich: Pabst Science Publishers. Poppelreuter, S. & Gross, W . (xxxx). Nicht nur Drogen machen süchtig. Beltz PVU. Spitzer ,M . (2006) . Vorsicht Bildschirm! München: dtv. Wlachojiannis, J. (2008) , Computerspiel- und Internetsucht in der BRD. Eine Bestandsaufnahme und die Rolle der sozialen Arbeit. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.

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