Im Rausch, im Wahn Michael Krieger

Im Rausch, im Wahn 01.12.2011 – Michael Krieger Man steht vor der Tür. Es wummert. Man wippt von einem Bein auf das andere über. Nicht zu offensichtli...
Author: Ella Frei
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Im Rausch, im Wahn 01.12.2011 – Michael Krieger Man steht vor der Tür. Es wummert. Man wippt von einem Bein auf das andere über. Nicht zu offensichtlich. Die Gewissheit einzutreten hat man nicht. Es hängt nicht von einem selbst ab. Den Freunden gibt man Anweisungen. Sie sollen still halten. Leise wird sich unterhalten. Man prahlt nicht damit. Diejenigen, die prahlen, werden nicht eingelassen. Sie diskutieren. Debattieren. Verfluchen. Betteln. Schleimen. Drohen. Feixen. Stacheln. Doch es nützt nicht. Ist es einmal so gesprochen, dann ist es Fakt. Kein Einlass. Dieser Gefahr will man sich entziehen. Unauffälligkeit gleich Harmlosigkeit gleich Einlasschance gleich groß. Man wippt. Nicht mehr. Die Hände bleiben still am Körper. Zu trinken braucht man auch nichts, das wäre mit dem sofortigen Aus verbunden. Wir dringen ein. Werden eingelassen. Dürfen die Magie des Moments spüren, die hinter der Kasse beginnt. Drinnen sein. Dazu gehören. Dabei sein. Mit sein. Eins sein. Sein. Die Kleider werden an der Garderobe von sich gestoßen wie Müll. Verächtlich benutzt. Eine Haut, die zum Draußen gehört. Sie hat es nicht verdient drinnen zu sein. Die Welt von draußen bleibt draußen und deswegen auch die Garderobe. Nackt wie man es will. Man geht weiter. Durch die Tür. Es wummert lauter. Immer lauter. Immer kräftiger. Es dringt an Ohren. Wie ein zarter Nebel schlingt sich der Basston um das Trommelfell und umarmt es wie eine liebende Mutter ihr Kind. Warm wird einem ums Herz. Zum drin kommt das dabei. Die Melodie zuckt nach oben, bricht augenblicklich weg um von neuem wiederzukehren. Es ist eine Phantasie, eine Vorstellung, eine Ahnung von etwas anderem. Von etwas anderem, das man kaum fassen kann. Man steigt die Stufen empor. Die erste Gelegenheit seinen Durst mit Flüssigkeit zu überwinden wird links liegen gelassen. Es ist tatsächlich links. Mit jeder Stufe ermattet der Geist. Das Ratio tritt in den Hintergrund. Es verliert sich in seiner Unbrauchbarkeit. Der Moment lebt vom Instinkt, vom Handeln ohne Denken, von der Einheit aus Wollen und Können. Man dringt durch die Masse aus Körper. Eine nasse Haut reibt sich an der anderen. Ekel und Abscheu verschwinden. Jeder ist Mensch. Geschlecht, Aussehen, Größe, Religion, Neigungen spielen keine Rolle. Nur das Emotio bleibt. Alles Aufmüpfige tritt hinter den Nebel zurück, der einen durch den Raum wirft. Willenlos ergibt man sich der Bewegung. Dem Drang der Musik. Sie hüllt einen in Schweigen. Worte sind unnütz, wo das Gesicht und der Körper spricht. Blicke, Finger, Lippen, Wimpern, Becken. Alles spricht und jeder versteht eine Sprache, die uns im Alltag an die Grenze führen würde. Hier gibt es keine Grenzen. Grenzenloses Wohlgefühl. Alle tanzen. Keiner widersetzt sich. Ein Fluss entsteht. Ein Gewässer in dem wir alle treiben, tauchen, schwimmen. Aber auch dagegen halten. Nichts und alles wird hingenommen. Man nimmt es auf, wie es kommt. Die alleinige Macht dem Treiben ein Ende zu bereiten hat der Mensch am Mischpult. Seine Finger können von einer Sekunde zur anderen das Ratio in den Raum holen. Es in die Köpfe jagen. Es springt hinein und reißt hinnieder. Kopfschmerzen. Lustgefühle sterben. Gefühle gehen. Doch er wagt es nicht. Er behält die Finger an den richtigen Knöpfen. Auch er weiß, dass eine falsche Tat die Tür zum Draußen öffnet. Niemand möchte das. Am wenigsten er. Der Bass geht und kommt von einem Augenblick zum nächsten. Die Arme werden in die Höhe gerissen. Man schreit. Man schreit vor Glück. Man schreit vor Freude. Man schreit vor Ehrfurcht. Das Schreien löst das letzte Draußen vom Drinnen. Nach dem ersten Schrei ist man endgültig angekommen. Die um einen stehenden honorieren es mit Beifallsschreien. Sie werden mitgerissen. Der Schrei löst die letzten Grenzen zwischen Ego und Alter-Ego. Ich und du, das gibt es ab diesem Moment nicht mehr. Das Eins wird wahr. Wahrhaftig. Anwesend. Berührbar. Meine Hände sind deine Hände. Körper sind Oberflächen, die man anfassen darf, anfassen soll, anfassen muss. Sie bilden nur eine Hülle vor dem Selbst. Vor dem Inneren. Drinnen und im Inneren. Je heftiger man zupackt, desto größer wird die Masse, die das Drinnen und Innen vereinigen. Wiederkehr. Wiederholung. Wieder. Alles muss sich wiederholen. Nur so vergessen wir das Draußen. Das Draußen ist kalt, dunkel, lieblos, tot. Hier ist es warm, hell, liebend und lebendig. Es darf nicht enden. Das Leben muss so sein, wie es hier ist. Es muss eine Verschmelzung zwischen Drinnen und Draußen geben. So wie das Innere im Drinnen verschmilzt, so muss es weiter gedacht werden. Kehrt der Gedanke zurück, ist es an der Zeit zu gehen. Gedanken haben keine Berechtigung. Sie entbehren jeder Vernunft. Nur der Unvernünftige denkt. Der Vernünftige erliegt dem Rausch des Drinnen. Nur wer es je gespürt hat, weiß, wann die Zeit für das Draußen wieder kommt. Ohne Worte löst man sich vom anderen, vom Drinnen, vom Wahn.

Wenn sich Blicke treffen 02.12.2011 – Michael Krieger Ich diskutiere mit den beiden Podiumsteilnehmern. Gleich geht es los. Noch sind wir alleine. In zehn Minuten kommen die Gäste. Sie wollen hören, was wir zu erzählen haben. Ich moderiere. Habe ich bisher nicht gemacht. Ich bin aufgeregt. So richtig weiß ich nicht, was ich mit den beiden sprechen soll. Wir wollen keine Vorabsprachen machen. Ich werde sie vorstellen und dann ist alles planlos. Es soll sich selbst entwickeln. Laufen lassen. Das passt der Organisation zwar nicht, nun habe sie mich aber schon als Moderator. Man kann nicht mehr aus. Es gibt keine Alternative. Ich bin alternativlos. So wie Angela Merkel. Jawohl. Tolle Sache. Wir versuchen leichten Stoff. Wer was macht, wie es geht und überhaupt und sowieso. Erkenntnisgewinn gleich null. Darauf kommt es aber gar nicht an. Immer wieder sehen wir sehnsuchtsvoll auf den Flur. Wann kommen denn nun endlich Gäste? Wir wollen Anfangen. Dann biegen zwei junge Männer um die Ecke. Sie steuern geradewegs auf uns zu. Gehören sie zu uns? Wir fragen uns, sehen uns gegenseitig an. Sie lassen von ihrer Richtung nicht ab. Als sie sehen, dass wir sie beobachten lächeln sie uns entgegen. Sie gehören zu uns. Muss wohl so sein. Man lächelt doch nicht und geht dreist an jemandem vorbei. Da sieht man doch in den Boden und macht ein paar schnellere Schritte. Man möchte keine Hoffnung wecken. Man möchte keine Hoffnung geweckt bekommen. Nein, sie halten voll drauf zu. Erstaunlich. Gesehen habe ich die beiden noch nie hier. Ich sehe meine Diskutanten an. Sie wirken genauso ratlos wie ich. Na, vielleicht haben sie sich doch geirrt. Ich gehe ihnen zwei Schritte entgegen und sage den Veranstalter ziemlich laut. Sie nicken. Gehören also doch zu uns. Sie stellen sich vor. G und J. J ist so ein schlaksiger hochgeschossener junger Mann. Haare schwarz. Lockig und schulterlang. Hemd schluderig. Hose weit. Schuhe irrelevant. Typischer Student, schießt es mir durch den Kopf. Macht wohl was mit Technik oder Informatik. Sollte ich recht behalten, schreibe ich ein Buch über Stereotypen und Kleidung. Wäre total. Erkenntnisgewinn null. Juristen sehen aus wie Juristen. Wirtschafter wie Wirtschafter. Und die Kreativen haben sowieso alle Dread-Locks. Er schüttelt mir die Hand. Feucht, aber fester Druck. Zwischen Sympathie und Abscheu bin ich hin und her geworfen. Ich entscheide mich für neutral und gehe eine Winzigkeit zurück. Ein unverkennbares Zeichen, dass die Aufgabe erledigt sei und nun der nächste an der Reihe ist. Er merkt, was ich vorhabe und macht zwei Schritte vor. Er schüttelt dem nächsten Podiumsteilnehmer die Hand. Wohl wieder feucht. Ich nehme es an. Außer ich habe die ganze Feuchtigkeit in meiner Hand absorbiert. Wie ein Schwamm. Wie Reiskörner im Salzfass. Dann kommt G an die Reihe. Er stellt sich vor. Ich stelle mich vor. Er reicht mir die Hand. Sie ist warm und mit festem Druck. Vielleicht einen Zacken zu lang halten wir sie. Sein Gesicht ist glatt. Bartschatten. Dunkle Haare. Ordentlich gekämmt zu einer Tolle. Die Ohren werden zum Teil bedeckt. Das rechte mehr als das linke. Seine Augen sind braun. Seine Augenbrauen wie eine Dünenlandschaft leicht matt. Seine Lippen fest und zart rosa. Die Zähne weiß wie ein jungfräuliches Blatt Papier, dass nur darauf wartet mit dem Stift vergewaltigt zu werden. Wieder lächelt er. Der Händedruck löst sich. Aus seinem Hemd blinzeln ein paar Brusthaare. Nur wenige. Nicht wie Pelz. Ich kann mir ein einen Blick von unten her nicht verkneifen. Er steht noch einen Augenblick vor mir. Er wartet auf die Geste. Ich muss ein Stück nach hinten rücken, damit ich angebe, dass das Ritual vollzogen ist. Fertig, der nächste bitte. Ich rücke nicht. Ich halte die Stellung. Zwanghaft befehle ich meinen Beinen still zu halten. Sie zucken. Ich muss mich zusammen reißen. Der Blick darf nicht gelöst werden. Seine Augen sind tief. Dunkel. Geheimnisvoll. Was für eine Persönlichkeit steckt dahinter. Er ist mit sympathisch. Ziemlich weit oben in der Rangliste. Eins oder zwei. Alles tritt in den Hintergrund. Fokus: Er. Er stützt seine Arme in die Hüften und lehnt sich leger zurück. Jetzt das richtige Wort und ich schmelze in seinen Händen. Zack bum und heiraten. Sofort. Hier an Ort und Stelle. Seine Augen faszinieren mich. Seine Haare riechen. Sein Bartschatten erzählt Geschichten. Ach, könnte, wollte, würde, müsste. Gedanken schießen durch den Kopf. Bilder werden gemalt, dass die Leinwand dabei zerreißt. Weiter Gäste kommen. Ich sehe sie in seinem Hintergrund. Ich muss die Tat vollbringen. Ich rücke. Lasse gewähren. Er geht vorbei. Er riecht süßlich. Er durftet süß. Ich mag süß. Für einen Moment verliere ich mich. Dann wird mir eine Hand gereicht. Ich schüttele sie. Sie ist kalt und kraftlos.

Sexualpenetration III 03.12.2011 – Michael Krieger Ich steige in den Aufzug. Wir treffen uns im siebten Stock eines Hochhauses. Besser gesagt eines Hotels in Mitte. Berlin-Mitte. Ich steige ein. Der Kasten ist innen golden. Luxushotel. An der Rezeption musste ich ein Passwort sagen. Dann würde mir mitgeteilt, dass ich im siebten Stock das Zimmer dreiundzwanzig aussuchen müsse. Die Türen schließen sich. Der Puls steigt. Nicht des Treffens wegen, sondern weil ich Angst vor geschlossenen Räumen habe. Bevor sie ganz zu ist, schiebt jemand seine Hand dazwischen. Mit Gepolter geht sie wieder auf. Ein junger Herr steigt ein. Vielleicht achtzehn. Fast noch ein Kind. Er entschuldigt sich. Sein Blick fällt auf die Lichtanzeige, in welchen Stock ich möchte. Er lächelt mich an und drückt das Symbol, damit sich die Türen schneller schließen. Wir fahren hoch. Beide fallen wir in den siebten Stock. Eine Tafel an der Wand, sie ist so golden wie der Innenraum des Aufzugs, verweist auf Richtung links. Ich marschiere los. Der junge Herr mir hinterher. An Zimmernummer dreiundzwanzig bleibe ich stehe, zupfe mein Hemd nochmal zu recht und klopfe. Der Typ steht immer noch hinter mir. Er glättet seine Haare. Die Tür geht auf. Ein Mann mit Vollbart, kahlem Schädel, freiem Oberkörper und lediglich einem Handtuch um die Hüften öffnet mir. Ich begrüße ihn mit dem Passwort. Er nickt. Ich trete ein. Der Jüngling hinterher. Ich drehe mich um. Was macht der hier? Er gehört dazu, sagt der Glatzkopf mit dem Handtuch und nimmt es dabei von sich. Das Zimmer ist hell erleuchtet. Weihnachten steht vor der Tür. Das merkt man am Zimmerschmuck. In einer Schale direkt am Entree sind goldene und silberne Weihnachtskugeln drapiert. Immer wieder finden sich Dekorationselemente. Kitschig, aber doch irgendwie geschmackvoll. Sonst ist der Salon relativ leer. Neben einer Kommode stehen bereits ein Haufen Schuhe. Wird werden gebeten abzulegen. Was so viel heißt wie alles. Ich entkleide mich und packe meine Sachen in einen mir dafür gereichten Stoffbeutel. Es passt gerade so. Ich binde ihn zu und gebe ihn dem nackten Glatzkopf zurück. Er nickt freundlich und klemmt eine Nummer daran, die ich mir merken soll. Immerhin sind auch meine Wertsachen darin, es wäre also gut die Nummer nicht zu vergessen. Selbiges macht der blonde Jüngling. Ich bin elf, er zwölf. Jeder bindet sich ein Handtuch um die Hüfte. Dann werden wir in den Nebenraum gebracht. In der Mitte steht ein großes Bett. Vier Pfosten spannen einen Himmel darüber. Gegenüber des Bettes hängt ein Flachbildschirm an der Wand. Kerzen stehen am Fenster. Es riecht nach Räucherstäbchen, die auf dem Schreibtisch, direkt vor dem Fester, niederbrennen. Der Geruch mischt sich mit etwas Säuerlichem. Es sticht in der Nase. Man kennt den Geruch. Körperflüssigkeiten. Schweiß, Urin, Blut und Sperma. Auf der Kommode neben dem Bett steht ein größeres Gefäß mit einer Art Paste darin. Der Deckel liegt lieblos davon geworfen auf dem wuscheligen Teppich. Auf dem Bett sind vier Männer. Ziemlich kräftige Typen. Sie haben keine Handtücher mehr um die Hüften geschlungen. Ihre Penisse sind steif. Sie streicheln sich gegenseitig. Der Jüngling neben mir schluckt. Sie gieren ihn an. Mit ihren Augen reißen sie ihm das Handtuch von den Hüften. Sie winken den junge Herrn zu sich. Er schluckt. Zögert. Geht dann aber doch die paar Schritte zum Bett. Er steigt zwischen die viere. Sie packen seine Hände und binden sie an einer Stange fest, die ich jetzt erst erkennen kann. Sie ist mit dem Pfosten des Himmels verbunden. Er hängt an den Händen. Die Füße knien auf dem Bett. Sie streicheln über seinen Körper und drehen ihn dabei. Er grinst mich an. Darauf hat er nur gewartet. Einer von den vier Burschen taucht seine Hand in die Paste auf der Kommode und gleitet dann unter das Handtuch des Jünglings. Der wirft seinen Kopf in den Nacken und stöhnt einmal auf. Der Kerl zieht seine Hand wieder hervor. Der nächste taucht die Hand in Paste und tut es ihm gleich. Das Handtuch des Jünglings hebt sich. Der dritte und vierte tun es ihren Vorgängern gleich. Dann drehen sie den jungen Mann wieder und jeder schiebt die Hand unter das Tuch. Nach drei Runde öffnen sie sein Handtuch. Sie streicheln ihm am ganzen Körper. Dann lassen sie ihre bepasteten Hände wieder zwischen seine Arschbacken gleiten. Tief hinein. Den Kopf hat er nun dauerhaft in den Nacken gelegt. Sie winken mich dazu. Ich werfe mein Handtuch von mir und tauche meine Hand in die Paste.

Garderobengeschichten 04.12.2011 – Michael Krieger Ich arbeite in einem Klub. An der Garderobe. Dort trifft sich zwischen zehn Uhr abends und sieben Uhr morgens alles, was die Gesellschaft aufzubieten hat. Natürlich hängt es von der Feier ab, welches Gedöns vor einem auftaucht. Ey, ich habe meine Marke verloren! Zehn Minuten nachdem er vor mir stand ist der angetrunkene junge Herr schon wieder da. Ich kann mich noch an ihn erinnern. War er doch derjenige, der aus einer drei Meter Schlange eine dreißig Meter Schlange gemacht hat. Er musste erst mal alle seine Taschen auf den Tresen auskippen, weil er partout keinen einen Euro finden konnte. Wirklich schlimm. Zum Glück arbeitete ich mit einer Kollegin zusammen. So war es kein vollkommener Stau. Ich hatte so eine schwarze Jacke. Mit Taschen. Sechshundert Jacken im Nacken und ich soll jetzt suchen? Ganz bestimmt nicht. Nein, tut mir leid, ich suche jetzt nicht. Kannst du dich denn noch einigermaßen an die Nummer erinnern, die du hattest? Nein, überhaupt gar nicht. Tja, dann kann ich nichts für dich tun. Ja, soll ich jetzt etwa ohne Jacke nach Hause gehen? Du kannst auch warten, bis wir zu machen, dann bleibt ja wohl eine schwarze Jacke mit Taschen übrig. Davon muss ja eine deine sein. Und wann macht ihr zu? In fünf Stunden. Du willst also, dass ich nun fünf Stunden warte? Musst du, von wollen kann gar keine Rede sein. Das ist voll Scheiße. Voll der Scheiß-Klub hier. Ich beschwere mich. Mach das. Ja, das mache ich. Kann ja wohl nicht wahr sein. Doch, kann es. Ich drücke den Knopf für den Türsteher und die junge Dame wird hinaus komplementiert. Eine Jacke bleibt am Ende des Abends nicht übrig. So, so. Fünf Minuten vor Schluss. Nur noch vier Jacken und eine Tasche übrig. Mir schmerzen die Füße und möchte mich eigentlich nur noch hinsetzen. Dann kommt wieder jemand, wirft mir seine zerknüllte Marke entgegen und verlangt Herausgabe. Langsam schäle ich mich von meinem Stuhl und nehme das Stück Papier an mich. Die Nummer ist verblasst, die Farbe zudem rot, wir haben heute aber grüne Marken. Ich gebe sie ihm zurück und sage, dass das nicht von hier sei. Er sieht mich verdutzt an. Das sei aber die Marke von hier. Ist sie eben nicht. Wir hatten heute grüne und das hier ist rot. Er sieht mich wieder verdutzt an. Er hatte eine schwarze Jacke mit Taschen. Ach, echt? Auf unserem Tresen steht eine Dose. Sie ist schwarz verklebt und ein rotes Isolierband mit der Aufschrift Tip ist zu sehen. Tip steht, für alle, die kein Englisch können, für Trinkgeld. Wie oft aber schon Halodries um die Ecke kamen und fragten: Haha, was ist das fürn Tipp? Was kann man da gewinnen? Und dann antworte ich immer: Hirn. Du kannst Hirn gewinnen. Wie oft wir da dann schon die Türsteher holen mussten, weil die Faust über den Tresen schwang und mich bisher zum Glück verfehlt hat. Das kann man schon nicht mehr zählen. Es ist aussichtslos darüber zu beschweren. Und wenn man sagt, dass Tip Trinkgeld heißt, dann sehen sie einen an, als hätte man gesagt, dass man gerne tote Kinderleichen ficke. Genauso sehen sie einen an. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Aber keiner kommt dann auf die Idee zu sagen: Ja, cool. Wusste ich nicht. Hier habt ihr zwanzig Euro. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend. Warum eigentlich nicht? Besonders schön sind die Abende, an denen man zu zweit arbeiten kann. Dann erzählt man sich Geschichten, auf so einer neun Stunden dauernden Schicht. Was ich da schon alles über die lieben Kollegen erfahren habe. Das geht auf keine Kuhhaut. Eine Kollegin von mir, die übrigens sehr heiß ist, wurde von einem Typen schwach von der Seite angemacht. Auch er hatte seine Marke nicht. Warum drehen nur immer die ohne Marke durch? Die haben ein Aggressivitätspotenzial. Da ist die Garderobe an sich schon Provokation. Und wenn man dann nicht gleich so spürt, wie sie sich das vor stellen, Gott helfe uns. Na auf jeden Fall, er hatte seine Marke nicht und beschimpfte sie sofort als Schlampe. Das geht nun wirklich nicht. Sie ruft den Türsteher über den Sender, den wir aus Sicherheitsgründen haben müssen. Es kommt keiner. Es eskaliert schon fast, da kommt dann doch noch unser Türsteher. Zuerst spricht er noch ganz ruhig mit ihm. Fast gelassen. Er beschwichtigt. Sagt ihm, dass er es eben verstehen müsse, dass hier alle gleich behandelt werden. So auch er. Er kommt runter. Setzt sich neben die Garderobe auf einen Sessel. Der Türsteher weicht ihm nicht von der Seite. Dann steht er auf, geht wieder auf den Tresen zu und sagt: Hol jetzt meine Jacke, sonst wird’s dir gleich feucht zwischen den Beinen. Der Türsteher packt ihn und donnert sein Gesicht gegen die Wand.

Die unvorbereitete Radiosendung 05.12.2011 Gestern saß ich mit A und L bei einem freien Radio in Berlin. Reboot.fm. Wem das was sagt. Wir durften eine halbe Stunde Show machen zu unserer Publikation. Steht hier übrigens oben links was zu. berlin.stadt.religion. Wem das was sagt. Wem nicht, der kann mal drauf klicken. Lohnt sich auf jeden Fall und in den nächsten Wochen werden dort auch noch mehr Informationen zu finden sein. Ist so eine Publikation. Ihr wisst schon. Ja. Also auf jeden Fall haben wir uns um vier Uhr getroffen, weil ich bei der Vorbesprechung nicht dabei sein konnte. Ich komme also dort an und A ist schon hier. Wir begrüßen uns wie üblich. Ich entschuldige ich für meinen Tonfall in den E-Mails der letzten Zeit. Wie üblich. Dann warten wir noch auf L, die schon Bescheid sagte, dass sie etwas später kommen wird. Es hatte geregnet und wenn es regnet, dann bricht der Öffentliche Personennahverkehr immer ein wenig ein. Dann kommen die Busse später und so weiter und so fort. A und L begrüßten sich. L und ich begrüßten uns und ich entschuldigte mich für meinen Tonfall in den E-Mails der letzten Zeit. Wie üblich. Alle mussten auf Toilette. Wir gingen ins Untergeschoß und entleerten unsere Blasen. Der Mund war schon leicht trocken, weswegen wir auch schon wieder zu trinken begannen. Das sollte sich später noch rächen. Gut. Fertig. Wieder nach oben. Wir suchten das Radio auf. Ach ja, wir waren im Haus der Kulturen der Welt. Schöner Bau. Ziemlich modern, wenn er auch schon was älter ist. Gut. Beim Radio angekommen. Die Glasscheiben erlaubten einen Blick in das kleine aber feine Studio. Wir pressten uns gegen die Scheibe, da es drinnen noch dunkel war. Wir sollten spätestens eine halbe Stunde vor Sendungsbeginn hier sein. Wir waren eine Stunde eher hier. Hier war aber niemand. Leicht nervös tippelten wir von einem Bein auf das andere. Dann setzten wir uns ins Foyer, um nochmal zu besprechen, was wir in dieser einen halben Stunde machen wollten. Ich selbst konnte nämlich nicht beim Vorbereitungstreffen dabei sein. Das war dann aber nicht weiter dramatisch, da ja irgendwie klar war, worum es gehen muss. Ja, so dies und das und gut. Wir stellen uns auf ein Interview ein. Noch zwanzig Minuten bis zur Sendung. Wieder stromerten wir um den Glaskasten. Doch irgendwie war hier niemand. L frug am Tresen nach. Nein, eine Nummer haben wir nicht, wo wir jemanden anrufen könnten. Verdammt. Uns wurde empfohlen am Eingang rechts zu fragen. Also einmal raus, um ein Viertel des Gebäudes herum und wieder rein. Hier war niemand. Der Pförtner war gerade unterwegs. Der Herr, der mit uns wartete, rief die Nummer an und fragte, wie lange es noch dauern wird. L fiel auf, dass wir hier schonmal waren. Der Drucker in der Ecke kam uns bekannt vor. Tatsächlich. In diesem Flur waren wir vorhin. Der Pförtner kam und L und ich beschlossen wieder zurück zu gehen. A wartete darauf, dass der Herr fertig war, bevor sie nachfragen konnte. Wir gingen erneut um eine Kurve und die Tür zum Studio stand nun offen und es leuchtete Licht heraus. Wir machten ein paar schnellere Schritte. Da stand die Technikerin vor uns, die wir zu diesem Augenblick noch für die Moderatorin hielten. Ja, hallo. Wir sind hier die für die halbe Stunde Livesendung. Ich ging zurück um A zu holen, die mir aber am Flur schon entgegen kam und meinte, dass auch der Pförtner keine Ahnung habe. Dies war aber nun hinfällig. Die Leute vom Radio waren ja inzwischen hier. Also wie läuft das hier? Sie stellen uns die Fragen? Fragen? Was für Fragen? Ich bin hier nur am Mischpult. O-Kay. Ich glaube, ich glaube wir besprechen uns dann nochmal kurz und kommen dann wieder. Ja, fünf Minuten vor Beginn wäre gut, dann können wir alles eintakten. Hektisch versammelten wir uns wieder im Foyer. Das ganze Konzept musste über Bord geworfen werden. Nichts mehr mit Frage und Antwort spielen. Wir mussten jetzt alleine eine Sendung von dreißig Minuten bewerkstelligen. O Gott, O Gott. O hilf! Gut, du machst das, du machst das und ich mach das. Ja, so sollte es laufen. Wird schon eine halbe Stunde werden. Von wegen! Nach fünfzehn Minuten waren wir mit unserem Konzept durch und mussten nochmal so lange vor uns hin sabbeln. Ging aber. Da wir es irgendwie geschafft hatten genug aus den Fingern zu saugen. Wir zogen auch ordentlich an. Aber eine Punktlandung war es nicht. Nach achtundzwanzig Minuten war die Luft raus und zwei Minuten Jingle mussten zu Überblenden einspringen. Als wir später das Ergebnis, also die Aufnahme, hörten, konnten wir uns vor Lachen kaum auf den Stühlen halten. Ach ja, das findet ihr auch in Kürze hier. Oben links. Wie üblich.

Geschenke verpacken 06.12.2011 – Michael Krieger Heute ist Nikolaustag. Die Geschichte des heiligen Nikolaus, der auf seinem Ross irgendwo in der Türkei herum ritt und Kindern Gaben brachte. Die ist mir aber relativ egal. Heute habe ich den Vormittag frei und was macht man an diesem Tag? Genau. Ich überlege mir, was meine Liebsten so alles zu Weihnachten bekommen könnten. Erstaunlich finde ich ja, dass mir für nur Bekannte schneller eine gute Idee kommt als für weit entfernte Verwandtschaftsgrade. Also so was wie Geschwister. Ich schmeiße mich erst einmal unter die Dusche, um mir dort dann das Gehirn weiter zu zermartern. Also gut. Für Mama und Papa habe ich schon was. Oma und Opa (beiderseits) waren auch schnell erledigt. Bei Tanten und Onkel bin ich immer am Überlegen, ob die auch was bekommen sollen. Da mir dieses Jahr etwas gutes einfiel, bekommen auch sie etwas. Da werden sie aber Gesichter machen. Bin schon gespannt. Gut, die Hälfte ist erledigt. Manche Freunde wünschten sich direkt etwas. So zum Beispiel eine etwas andere Weihnachtsgeschichte. Das wird aber nicht die, sein, die hier am Weihnachtsabend kommen wird. Vielleicht am ersten Weihnachtsfeiertag. Besucht einfach meine Seite, dann wisst ihr es. Ganz einfach. Gut, die Geschichte fange ich diese Woche noch an, bis zum Wochenende sollte ich sie wohl fertig bekommen können, wenn ich mich ins Zeug lege. Muss ich heute Abend gleich mal los schreiben. Ein paar Ideen habe ich dafür schon gesammelt. Gut. Häkchen dahinter. So, wer bleibt noch übrig. Ach ja. Geschwister. Meine Fresse. Wenn das mal was wird dieses Jahr. Zur Not schreibe ich eben noch in das kleine Kärtchen auf dem Geschenk für die Eltern den Namen dazu. Punkt. Aus. Fertig. Wird ihn zwar nie erreichen, aber das ist mir egal. Es geht um die Geste, nicht um das Produkt. Wow, bin ich antimaterialistisch. Und das, obwohl alle etwas Handfestes in selbige gedrückt bekommen. Na gut. In zwei Stunden muss ich auf Arbeit sein, im Büro. Dann habe ich ja noch etwas Zeit. Ich setze mich auf das Sofa und blättere die Zeitung von gestern durch. Ich lese sie immer erst einen Tag später. Keine Ahnung warum, es ist einfach so und jetzt Fresse! Gut. Ich blättere und lese nicht einmal die Überschriften, aber die Bilder sehe ich mir an. Ist eine Wochenzeitung. Also sind die Bilder bunt. Toll. So farbig alles. Da reichen doch auch die Bilder, wer braucht schon Text. Gerade ich muss das denken, der seit dem dreizehnten Oktober jeden Tag einen Text schreibt. Haha. Hihi. Bin ich lustig. Gell! Toll. Die Bilder sollen mich inspirieren. Aber die Fotos von Neonazis inspirieren nicht so, wie sich das vielleicht könnten. Ein bisschen gruselig wäre es schon, wenn sie inspirierend auf mich wirkten. Dreimal das gleiche Wort in nur drei Sätzen. Krass. Bin ich uninspiriert. Zeitung werfe ich davon. In hohem Bogen. Sie landet erstaunlich kompakt auf dem Boden und wirbelt Staub auf, dass ich husten muss. Vielleicht bringt mich ja das Staubsaugen auf einen guten Gedanken für ein Geschenk ans Geschwisterlein. Staubsauger raus, rinn inne Dose und wisch wasch wusch. Weg ist der Staub. Ich huste wieder. Vielleicht ist es auch die trockene Luft und nicht so sehr der Staub gewesen. Oder beides. Oder keines. Immer noch keine Idee. Himmelherrgott, das kann doch nicht so weiter gehen. Ich brauche einen Einfall, schreie ich durchs Zimmer und hämmere mit mit der Stehlampe auf die Schläfen, bis Hautfetzen und Blut am Aluminium haften und ich trunken zu Boden sinke und für zwei Stunden ohnmächtig dort liege. Verdammt. Ich hätte vor eineinhalb Stunden im Büro sein müssen. Ich rufe an. Sie hätten auch schon versucht mich zu erreichen. Ich entschuldige mich. Im Bad tupfe ich das Blut auf der Stirn weg. Sieht natürlich voll scheiße aus. Egal. Hilft nichts. Ich muss los. Auf dem Weg zur Bahn fällt mir dann ein Geschenk ein. Richtig großartig. Ich biege vor der Bahn ab und steuere schnurstracks auf ein Geschäft zu. Ja, genau das ist es. Sage ich und halte es in der Hand. Bravo. Haste wieder was gefunden. Biste wirklich der beste. Ich lasse es gleich vor Ort verpacken. Sieht nicht so kompliziert aus. Ich trage es nach Hause und freudestrahlend stelle ich es auf den Tisch. Da kommt mir ein Blitz durch die Synapsen. War da nicht etwas? Ich überlege und schreite mit den Straßenschuhen über den gerade vorhin noch gesaugten Teppich. Irgendwas. Ach ja. Scheiße. Ich wollte doch eigentlich ins Büro. Ich rufe nochmal an und lüge, dass meine Bahn Verspätung hat. Inzwischen ist es fast vier Uhr. Verdammt, verdammt, verdammt. Ich lege das Geschenk zur Seite, schlüpfe wieder in die Jacke und ab ins Büro. Hoffentlich habe ich meinen Job noch.

Kamele im Einmachglas 07.12.2011 – Michael Krieger Halsschmerzen beim Aufstehen. Ich kann gar nicht Räuspern, so brennt es. Ein Glas Zitronenwasser stürze ich hinunter. Es soll desinfizieren. Wie Feuer. War keine gute Idee. Ich schäle mich aus dem Bett und gehe ins Badezimmer. Unter dem Hahn süffele ich Bäche von Wasser weg. Nicht zu kalt und nicht zu warm. In der Küche blubbert der Wasserkocher vor sich hin. Teezeit. Es wird und wird nicht besser. Ich dusche heiß, atme den Wasserdampf ein und wieder aus. Keine Besserung. Den Tee trinke ich heiß. Kamille. Soll helfen. Tut er aber nicht. Ich lecke einen Löffel Honig, esse ein Stück trockenes Brot, selbst in eine Zwiebel habe ich gebissen. Entnervt wickele ich mir einen Schal um den Hals. Wenn alle Stricke reißen, Wärme war schon immer das beste Rezept. Ich habe wohl einfach zu lange geschlafen und mit offenem Mund. Die Heizung hat die ganze Nacht durchgearbeitet. Das war wohl keine so gute Idee. Aber nun ist es zu spät. Ich reiße die Balkontür auf und kalte, nasse Luft umfängt mich. Das erste Mal kann ich atmen ohne Röcheln. Vielleicht ist das die Lösung. Ich nehme den Schal ab und stelle mich, immer noch nur in Unterhose, auf den Balkon. Die Fußgänger gucken etwas verwirrt zu mir hoch, gehen dann aber doch weiter. Einatmen. Ausatmen. Es wird besser. Aber endgültig geht es nicht weg. Balkontür wieder zu. Ich ziehe etwas Warmes an. Pulli mit hohem Kragen, dickem Stoff und bunten Farben (für die psychische Aufmunterung). Auf geht es in den Tag. Ich habe heute nämlich gar nichts zu erledigen und das ist ganz großartig. Die Couch lächelt mich schon an. Ich lächele zurück und werfe mich schnurstracks auf sie. Wumbum. Und dann zerbricht das Ding unter meinem Aufprall. Die Seiten fallen runter, die Rückwand bricht weg und mit einem ziemlich hässlichen Knacken landet mein Hintern unsanft auf einer Feder, die sich gerade durch den versifften Stoff gebohrt hat. Na bravo. Ich stehe auf, fahr mir über den Poppes. Zum Glück blutet er nicht. Wäre ja noch toller, wenn ich nun zum Arzt müsste und dem sagen würde, er müsse mein Arschloch wieder zunähen. Der würde sich weiß Gott was dabei denken. Nein, nein, nein, darauf habe ich keine Lust und mein Arsch blutet auch gar nicht, weswegen es auch nicht zu dieser Szene kommen würde. Ich muss lachen, weil ich sie selbst lustig finde. In mein Schreibheft wird eine Notiz gemacht. Na, was mache ich nun mit diesem Scherbenhaufen hier. Ich habe kein Auto, das ich mal eben damit befüllen könnte, um alles zum Sperrmüll zu bringen. Nein, nein, nein. So eine Sauerei. Nach zehn Minuten doof rumstehen türme ich alle Stücke aufeinander zu einem äußerst wackeligen Turm. Im Internet recherchiere ich, dass ich die Müllabfuhr für so was auch kommen lassen kann. Super Idee. Das kostet mich zwar eine Stange Geld, da aber gerade Anfang des Monats ist, sollte das auch drin sein. Ich stöbere nach meinem Portemonnaie. Fünfzig Euronen sind drin und ich bestelle die orangenen Männer. Drei Stunden später sind sie dann hier und holen das Zeug ab. Ich bedanke mich und lasse ein üppiges Trinkgeld springen. So, was mache ich nun. Am Schreibtisch kann man nicht Faulenzen. Also muss was anderes her. Bett sieht zwar gemütlich aus, da schlafe ich aber bestimmt gleich wieder ein. Ist also keine so ganz gute Idee, wenn man ein Buch weiter lesen möchte. Oder will ich doch gar nicht weiter lesen? Ist natürlich klar, dass ich mir nun diese Frage stellen muss. Das wäre doch nur natürlich. Ich habe immer noch kein Auto, die orangenen Männer sind auch wieder weg und ich muss irgendwie ein neues Sitzmöbel auftreiben. Der erste Weg führt zurück an den Schreibtisch. Der Rechner rumpelt immer noch vor sich hin. So gesund hört sich der auch nicht mehr an. Ich muss die Musik schon ordentlich laut machen, damit ich das zitternde Gebläse nicht hören muss. Aber mit Musik geht sowieso alles besser, also auch das. Ich suche bei einem sehr bekannten, aber ich möchte es an dieser Stelle nicht nennen, Internetkaufhaus nach Sitzmöbeln. Ja, sind schon einige schicke Sachen dabei. Aber die Maße sind alle falsch. Ich habe nicht Platz für ein Ecksofa und schon gar nicht für eine Sitzgruppe. Ich brauche so einen Zweisitzer, maximal einen Dreisitzer. Einen Dreisitzer für sehr schmale Zeitgenossen. Also doch eher einen Zweisitzer. Gut, da lässt sich schon was finden, aber es sagt mir nicht wirklich zu. Was tun? Schwedische Möbelhäuser gibt es drei an der Zahl, alle aber eher unpraktisch zu erreichen. Ich schlafe erst einmal eine Runde. Was das ganze jetzt eigentlich mit Kamelen in Einmachgläsern zu tun haben soll, ist mir wohl ebenso schleierhaft wie Ihnen, aber ich wollte es mal gesagt haben. Eben. Voll. Toll.

Der orangene Utan 08.12.2011 – Michael Krieger Wir befinden uns, besser gesagt Sie befinden sich, weil ich bin ja gerade ganz wo anders und bestimmt nicht bei Ihnen, auf einer einsamen Insel im Südpazifik. Nennen wir sie – ach ja – Indonesien. Dschungel. Ganz heftig Dschungel. Dunkel. Grün. Dunkelgrün. Mit vielem Gekreuch und Gefleuch. Dingens. Ähm. Schlangen und so Ratten. Hauptsache mit gelben Zähnen, böse, ganz böse und boshaft. Alles schlimm. Und auch ein bisschen fotzig. So feucht-fotzig. Wissen Sie schon. Stellen Sie sich nicht so an. Aber mal wirklich. Also im Dschungel von, wie nannte ich es noch gleich, ach ja, Indonesien gibt es natürlich, so will ich auch nicht sein, nebst Schlangen und so Ratten auch Utans. Orangene Utans. Das sind so Affen, so. Menschenaffen um es genauer zu sagen. Die haben Fell. Augen und Ohren auch. Vielleicht auch Hände. Wir wollen die Phantasie aber nicht gleich überanstrengen, also eben auch ohne Hände. Vielleicht. Muss aber nicht. Kann. Muss aber nicht. Wirklich nicht. Ne, ne, ne. Gut. Indonesien. Weißte noch? Ja? Gut. Die orangenen Utans hüpfen da von Baum zu Baum. Also nicht so Fichten und so Tannenzeugs sondern so Blätterbäume. Bananen und Kiwis. Glaube ich. Kiwi bin ich mir nicht sicher. Kann auch Busch. Banane ist aber Baum. Kein Busch. Der Utan hüpft munter seines Lebens fröhlich von Banane zu Banane und vielleicht auch zu Kiwi. Aber nicht sicher Kiwi. Weißte noch? Ist vielleicht nicht Baum, sondern Busch. Ab und an kommt der orangene Utan auf Indonesien auch an einem See vorbei. An diesem See, nennen wir ihn See, fischt er Fische und frisst sie mit Haut und Haar. Haar bei Fisch. Voll lustig. Hat voll keine Haare der Fisch. Ist voll nackt. Und wenn der orangene Utan dann den nackten Fisch gefressen hat, dann gibt es den Fisch nicht mehr, aber, und jetzt kommt es, den orangenen Utan noch. Krasse Sache, ne? Aber wirklich echt real. Irgendwann hat der orangene Utan aber keinen Bock auf Indonesien-See und macht sich deswegen wieder auf in die Bäume. Oder auch Büsche, damit der Kiwi auch mal eine Schangse hat. Kommt mir gerade: Hat Indonesien überhaupt Kiwi? Oder haben die nur Bananen? Voll keine Ahnung. Tut jetzt aber auch nichts zur Sache, wie gesagt, nur Sie sind da und ich bin ja ganz wo anders. Also eben nicht bei Ihnen, wenn Sie sich an den Anfang dieses intellektuellen Abrisses erinnern können. Alter! Der orangene Utan erfreut sich seines stupiden Daseins und rings um ihn herum wird der Regenwald immer mehr abgeholzt. Weil die bösen, bösen Holzfirmen das Holz der Bananenund Kiwibäume oder -büsche super für Export brauchen können. Weil sich Lieschen Müller gerne im Holz- und Eisenwarenhandel ihres Vertrauens eine neue Essgruppe für die überdachte Terrasse sucht. Und was gäbe es da besseres als Bananen- oder Kiwibaum oder -büscheholz. Das duftet immer so wunderbar, sagt die Lieschen Müller zu ihrem Mann Horst Günther-Kevin. Aber weil sich die Lieschen Müller so furchtbar, grässlich fühlt, wenn sie dem orangenem Utan den Lebensraum so voll wegnimmt, deswegen spendet sie auch fünf Euro an eine Naturschutzorganisation mit den Namen: Do it orange, save Utan e.V. GmbH AG KGB OHG n.e.V. Eingetragen beim Amtsgericht Südhinterdupfing. Mitgliederzahl: acht. Jährliches Umsatzvolumen: Vierzig Milliarden Euro. Davon an Projekte in Indonesien: Null. Null ist auch eine Wert. Zwar kein großer, aber verkennen sollte man das nicht. Auf der Kiwibuschbaumholzterrasse der Müllers sehen sie sich dann durch das Fenster hindurch eine Reportage über den orangenen Utan auf Indonesien an, wie er so von Baum zu Baum und Busch zu Busch hüpft, vermutlich Kiwis und Bananen, und sich seines Lebens freut. Ja so richtig freut. Und dann kommt die Kettensäge von der Seite und schnalzt den Baum unterm orangenen Utan weg. Der Dann samt Baum auf den Boden kracht und gleich noch ein paar Kiwibüsche unter sich begräbt. Nein, das kann ja wohl nicht wahr sein, schimpft und poltert Lieschen Müller mit ihrem Mann Horst Günther-Kevin Ademola Mgagbo, die armen, armen Kiwibüsche. Solche Unmenschen! Sie stellt ihren Seltene-Arten-Tee weg und holt sich aus der Küche eine krass-fette Schwarzwälderkirschtorte. Möchtest du auch was, fragt sie Schnurzelchen. Indonesien und der orangene Utan sind weit weg.

Volkskrankheit Tod. Können wir ihm entkommen? 09.12.2011 – Michael Krieger Der Verfassungsschutz bittet um ihre Mithilfe. Wer kennt diesen Mann, dessen Name nicht genannt werden darf? Schon einmal in eine Ecke im Büro geschissen und gewartet, bis die Kollegen merken, was das ist und herum fragen wer das war? Nicht? Sollte man unbedingt mal probieren. Steht auf meinem Zettel für die Vorsätze für das kommende Jahr. Des Weiteren möchte ich gerne mal im Edeka alle Regale umwerfen. Im Schwimmbad Lebensmittelfarbe in die Hose packen und dann schwimmen gehen. Vorzugsweise gelb. Geht aber auch rot. Besonders gut kommt aber lila. Im Zoo so heftig an die Scheiben der Terrarien klopfen, bis sich die Spinne doch endlich mal bewegt. Die olle Ziege. Nackt ins Kino gehen. Überhaupt viel mehr Sachen nackt machen. Endlich mal wieder im Bett ficken. Ja, ficken wäre grundsätzlich auch mal wieder was. Wieder einen guten Text schreiben. Das wünscht du dir doch auch. Du Leser. Du. Mit einem Edding die Fingernägel lakieren. An einem Edding schnüffeln. Einen Edding in den Anus einführen, bis nur noch die Kappe raus schaut. Und dann versuchen ihn raus zu ziehen und zu merken, dass nur die Kappe abgeht. Mit dem Edding im Arsch einen Text schreiben. Für teuer Geld an einen Kunstsammler verkaufen. Die Musik so weit aufdrehen, bis die Wand zum Nachbarn durchbricht. Sich dann über den Nachbarn erbrechen. Die Polizei rufen, weil da dann ein Penner in so einem Durchbruch steht. Die Polizei auf kleine Kinder hetzen. Auf einem Spielplatz herum stehen und sich in der Hose die ganze Zeit kratzen. Die Mütter dabei lüstern ansehen. Die Kinder dabei lüstern ansehen. Die Polizei dann lüstern ansehen. Dem Polizisten Oralverkehr anbieten, wenn er von einer Anzeige absieht. Pornos anschauen, mit Freunden und Verwandten. Pornos drehen, mit Freunden und Verwandten. Pornos anschauen, die man mit Freunden und Verwandten gedreht hat. Sich in aller Öffentlichkeit beschweren. Einen Schwarzen an eine Leine binden und mit ihm Einkaufen gehen. Beim Einkaufen ständig einen fahren lassen und sagen, dass es der Schwarze war. Den Schwarzen auf Kinder hetzen. Einen Pittbull im Spieleparadies bei Ikea aussetzen. Sich in der U-Bahn mit Rinderblut einreiben. Ein Kilo Hack nageln. An der Uni vor den Professor auf das Pult pissen und sagen, dass das Kunst ist und nicht weg kann. Den Kommilitonen in den Mund pissen und sagen, dass das Kunst ist und nicht weg kann. Die Aktion filmen. Den Film zu Weihnachten den Freunden und Verwandten vorspielen.

Kamele im Einweckglas 10.12.2011 – Michael Krieger In meiner Küche stehen noch ein paar Einweckgläser von Großmutter. Als ich sie das letzte Mal besucht hatte gab sie mir dutzende Gläser voll mit Kirschen und anderen Früchten, die sie eingeweckt hatte mit. Damit ich den Winter auch wirklich überstehe. Es gibt ja in der großen Stadt nichts zu Essen zu kaufen und da kann man dann schon mal vierzig Tage am Stück eingeweckte Kirschen essen. Da bekommt man auch sicherlich keinen Flotten, wenn man vierzig Tage nichts weiter als Kirschen und Einwecksaft in sich hinein schüttet. Bestimmt nicht! Ich habe jetzt aber auch keine größere Lust diese harte Behauptung zu beweisen. Ich stehe auch immer noch in der Küche und gucke auf den Haufen von Gläsern. Die Einweckgummis liegen auf einem Haufen lieblos im staubigen Regal und porösen vor sich hin. Ich komme mir vor wie in einem Roman von Kafka oder Poe. Ist mir gerade auch völlig egal, welcher von beiden, Hauptsache einer. Suche es dir aus und geh mir damit nicht länger auf den Geist. Ich überlege, was ich nun mit diesen Gläsern machen könne. Erst einmal nehme ich alle raus und befördere in einen Korb. Den Korb voll Einweckgläser trage ich ins Wohnzimmer und lasse den Inhalt vorsichtig heraus purzeln. Natürlich zerbricht dennoch ein Glas nach dem anderen. Aber es hat alles was Gutes: Damit muss ich weniger Gläser mit irgendetwas füllen. Ich türme sie zu Bergen zusammen. Baue Türme. Lasse diese wieder einstürzen. Dabei gehen, ist verständlich, noch ein paar Gläser drauf. So reduziere ich die Zahl der Gläser um gut die Hälfte und habe damit nur noch zirka eine halbe Million davon. Der Teppich eignet sich hervorragend zum Curlen und ich schubse die Gläser eines nach dem anderen über den Boden. Es werden aber weniger zerstört als ich vermutet hätte. Um mein Gehirn etwas zu lüften und mir nicht ständig selbiges zermartern zu müssen, was ich nun mit dieser Vielzahl an Gläsern mache gehe ich eine Runde spazieren. Dabei komme ich zufällig am Zoo vorbei. Gott, wie weit bin ich eigentlich marschiert? Später am Abend werde ich noch herausfinden, dass der Zoo fast siebzehn Kilometer von meiner bescheidenen Behausung entfernt ist. Und ich das ganze auch wieder zurück gegangen bin. Ich kann mich nämlich nicht mehr daran erinnern ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt zu haben. Na auf jeden Fall ist es inzwischen dunkel draußen geworden und ich stehe mit einem Kamel vor der Haustür. Das war so lieb und hat mir im Streichelparadies aus der Hand gefressen. Gut, ich musste erst die kleinen Kinder vergraulen, die dort mit ihren Eltern die Ziegen streicheln wollten, aber das war ein leichtes. Einfach mal kurz das Glied raus holen, schon ist man alleine. Das Kamel kam dann einfach so auf mich zu. Hat mich gesehen und dachte sich mit seinen zwei Höckern, dass es sich mal zu diesem netten jungen Mann mit seinem schwingenden Glied auf den Weg macht. Ich wurde es auch gar nicht mehr los. Als ich wieder gehen wollte, wie gesagt, es wurde dunkel, hat es geschrieben, sich auf den Boden geworfen und gejammert, dass ich noch nicht gehen dürfe. Ich habe dem Kamel gut zugesprochen, aber es war wie ein kleines Kind, dass unbedingt die Süßigkeiten haben will, die an der Ladentheke zum Quängeln angeboten werden. Die Wärter wussten auch nicht weiter und meinten, ich solle mit ihm mal eine Runde um den Block drehen. Aber das hatte ich irgendwie vergessen und ging nach Hause, mit Kamel an der Leine. Es hüpfte und sprang und freute sich, weil es so weit Auslauf bekam. Erst als ich vor der Haustür stand, wo ich mich eben gerade befand, bevor der Einschub kam, habe ich bemerkt, dass ich nicht um den Block gelaufen bin sondern eben schnurstracks nach Hause. Ich schloss auf, das Kamel zischte an mir vorbei und roch jede Ecke ab, ob hier ein Rivale wäre. Ist aber nicht. Ist immerhin mein erstes Kamel. Es sieht die Gläser, die immer noch im Curling befindlich auf dem Boden herum liegen. Mit seinem Huf schubst es eines an und es flattert über den Boden bis es in der Ecke zu Bruch geht. Das Kamel schreckt auf und springt wie im Wahn umher. Das Geräusch hat es wohl durcheinander gebracht. Ich beruhige es und streichle es am Halfter. Es kommt wieder runter und leckt mir über die Hände. Was mache ich aber nun mit dem Kamel. Hier ist es einfach zu klein. Ich habe nur eine Einzimmerwohnung. Da passen wir zwei unmöglich rein. Und ich kann auch nicht jeden Tag so weit Auslauf machen. Also lasse ich das Kamel auf dem Sofa Platz nehmen, dort kann es sich ausruhen. Aus dem Keller hole ich meine Motorsäge. Warum auch immer ich eine Motorsäge mitten in der Stadt habe. Ich zerlege das Kamel. Wecke es ein. Für vierzig Tage sollte es reichen.

Wehleidig oder krank 11.12.2011 – Michael Krieger Ich wache auf. Ich schlucke. Es schmerzt. Verdammt. Ich drehe mich zur Seite. Hustenreiz. Ich greife nach dem Wasserglas neben dem Bett. Trinke davon. Stelle es wieder zurück. Lasse mich ins Kissen sinken. Wieder Hustenreiz. Röcheln. Ich atme tief ein und muss abhusten. Liegen geht nicht mehr. Ich richte mich auf. Huste in die Hand. Es ist feucht. Ich verreibe die Tröpfchen in die Bettdecke. Die muss bald gewechselt werden. Wäre sowieso bald fällig. Ich atme flach. Keine Überanstrengung. Ich gehe ins Badezimmer. Zuerst die Blase entleeren. Vorm Spiegel muss ich mich auf das Waschbecken stützen. Ich bin schwach. Sehr schwach. Heute ist nicht wirklich mein Tag. Ich sehe mir selbst in die Augen. Sie sehen müde aus. Die Tränensäcke hängen tief. Ich lehne mich gegen das Becken und wische mir die Tränensäcke aus dem Gesicht. Der Schatten kehrt aber immer wieder zurück. Ich strecke meine Zunge heraus. Sie ist mit etwas Weißem belegt. Ich streiche darüber, keine Änderung. Dann mit dem Fingernagel und kann dabei etwas entfernen. Ich schlucke. Es wird besser, aber es tut immer noch weh. Ich schlage mir Wasser ins Gesicht und ziehe die Schlafkleider aus. Nackt steige ich unter die Dusche. Sofort Zittern. Ich lasse heißes Wasser über meinen Körper strömen. Ich habe das Gefühl wacher zu werden. Dann schalte ich auf kalt und bin auch endlich wach. Wieder im Schlafzimmer kleide ich mich an. Zwei paar Socken, die warme Unterwäsche. Ich überlege kurz, ob ich auch noch die lange Unterhose anziehen soll, lass es dann aber doch. Es soll heute nicht zu kalt werden und ich habe auch nicht vor die warme Wohnung zu verlassen. Also ohne lange Unterhose. Aber der dicke Pullover muss es sein. Ich richte mich ein. In der Küche kocht das Wasser bereits und ich kann den Tee aufgießen. Der erste von vermutlich um die hundert pro Tag. Wenn ich es hasse, dann krank zu sein. Später werde ich mir aus dem Supermarkt um die Ecke auch noch einen Erkältungstee, Kamillenblütentee, Hustentee und was weiß Gott noch für Tees holen. Man sollte nur keine Pause machen. Immer trinken. Viel trinken. Dabei geht zwar der Hustenreiz nicht weg, aber der neu gebildete Schleim wird immer hinunter gespült und das ist schon einmal was. Ich möchte nicht die ganze Zeit Bröckchen in die Handfläche schleudern. Schnupfen stellt sich nun auch noch ein. Na bravo. Wenn schon richtig, dann aber ordentlich. Die Ohren machen auch bald zu. Hühnersuppe ohne Huhn wird es geben. Dafür mit ein paar Suppennudeln. Die hilft immer. Sollte sie zumindest. Obwohl es eben nicht am Huhn, sondern am Suppengemüse liegt. Also Suppengemüse, eine schöne Brühe und ich bin fast glücklich. Ich koche wie ein Weltmeister, aber als alles fertig ist habe ich keinen Hunger mehr und stelle es in den Kühlschrank. Der Appetit ist mir vergangen. Das ist kein gutes Zeichen. Mir ist heiß. Ich öffne die Fenster. Frische, kühle Luft mäandert mein Gesicht. Es kühlt. Ich finde es gut. Nach zwei Minuten ist es mir aber schon zu viel. Ich schließe die Fenster und schalte die Heizung hoch. Auf Anschlag. Sie bollert, was möglich ist. Ich zittere wieder. Fieber? Ich weiß es nicht. Der Wechsel aus heiß und kalt mit der Appetitlosigkeit zusammen sind auf jeden Fall Anzeichen. Ich koche wieder Wasser. Den heißen Topf mit der brodelnden Flüssigkeit gehe ich ins Wohnzimmer und stelle ihn auf ein Brettchen. Ich schütte etwas Minzöl hinein und lege meinen Kopf darüber. Über mir ein Handtuch. Inhalieren. Es ist zu heiß, ich muss wieder öffnen. Bekomme kaum Luft. Ich warte fünf Minuten, dann wieder mit Handtuch darüber. Es ist zu kalt. Ich gehe wieder in die Küche und koche es nochmal kurz auf. Wieder zurück schütte ich nochmal Minzöl hinzu. Es ist zu viel. Ich halte es aber aus. Mein Rachen beruhigt sich. Die Nase fängt zu tropfen an und fließt ins Minzölwasser. Ich atme tief ein. Bekomme wieder keine Luft. Ich dachte ich wäre weiter. Es wird und wird nicht besser. Ich schütte den Sud weg und lege mich auf das Sofa. Ruhe ist immer gut. Ein Stück Schokolade lasse ich im Mund zerfließen und schlucke es langsam und in mehreren Einheiten hinunter. Es legt sich sanft auf den Rachen. Ich schlafe auf dem Sofa ein. Eine Stunde später bin ich wieder wach. Es ist bereits später Nachmittag und ich habe noch nichts geschafft. Ich muss aber heute noch was arbeiten. Zum Glück hatte ich frei und konnte zu Hause bleiben. Aber auf einen solchen Tag kann ich gut und gerne verzichten. Am späten Abend kommt eine Freundin zu mir. Wir waren verabredet um noch wegzugehen. Ich muss ihr aber absagen. Sie sagt, ich sei wehleidig und solle mich nicht so anstellen. Pft.

Versteckspiel 12.12.2011 – Michael Krieger Es ist Montag. Ich muss ins Büro. Geld verdienen. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Es ist heiß in der Bude. Ich habe die Heizung über Nacht voll laufen lassen. Sie ballert neben mir. Mein Bett steht an der Heizung. Meine Kehle ist ganz trocken. Das Schlucken fällt mir schwer. Der Brand kommt noch hinzu. Ich schütte literweise Zitronensaft in Wasser in meinen Rachen. Es wird nur langsam besser. Ich streiche mir durch die Haare. Einige wenige fallen dabei aufs Kopfkissen. Heute sammle ich sie nicht auf. Ich muss das Bett sowieso neu beziehen. Ich schäle mich heraus, lasse die warme Bettdecke zurück und schleiche durch das gut fünfundzwanzig Grad warme Haus ins Badezimmer. Der erste Blick auf die Uhr. O Gott. Ist es wirklich? Nein, das kann doch nicht! O Gott, nein wirklich? Es ist bereits kurz vor zwölf Uhr. Seit mehr als eineinhalb Stunden sollte ich im Büro sein. Verdammte Scheiße. Ich springe zurück ins Schlafzimmer und sehe auf mein Telefon: dreizehn Anrufe in Abwesenheit. Alle von Nummern aus dem Büro. Verdammt, verdammt, verdammt. Die denken nun, dass mir was passiert ist. Ich wohne immerhin alleine. Da kann schonmal ein Unfall zu Hause passieren. Hoffentlich kommt nicht gleich einer vorbei. Klingeling, klingelt die Klingel. Und wer steht vor der Tür. Der Postbote. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Auch wenn er mich etwas irritiert ansieht, weil ich so ganz nackt vor ihm stehe und das Paket in Empfang nehme. Das ist schon eine Show für ihn. Ich hätte mir ja noch schnell eine Unterhose überziehen können, aber warum? Unter der Kleidung sind wir alle nackt. Also sei es drum. Ich packe das Paket auch gleich noch an Ort und Stelle und mit offener Tür auf. Es ist eine Technoplatte, die ich mir bestellt hatte. Großartig. Ich packe sie auf den Plattenspieler und lasse ihn seine Kreise drehen. Der Bass ballert ins Zimmer. Wieder klingelt es. Wieder gehe ich zur Tür ohne Kleidung zu tragen. Wieder steigt die Nervosität. Es ist der Nachbar. Ich möchte doch die Musik etwas leiser machen. Es hat keine drei Minuten gedauert und schon fühlte er sich belästigt? Na, wo sind wir denn hier? In München etwa? Oder in Steglitz? Nein, nein, nein. Das kann doch nicht wahr sein. Gut, ich drehe ein ganz kleines bisschen runter und schlage die Tür zu. Ich hüpfe ins Badezimmer und unter die Dusche. Ich darf nicht mehr Zeit verschwenden. Trotzdem wippe ich zum Bass vom linken auf das rechte Bein. Was eigentlich schon heißen muss, dass die Musik immer noch ordentlich laut ist, denn wann hört man schon Musik im Badezimmer unter der Dusche, wenn die Anlage doch im Wohnzimmer, also hinter einer Tür und durch den Flur hindurch steht? Genau, eigentlich gar nicht. Ich kann sie hören. Wipp-wipp. Als ich mich bereits abtrockne klingelt es wieder an der Tür. Klingeling, klingeling. Na, ich brauche jetzt wohl nicht mehr zu erwähnen, ob ich mir das Handtuch wirklich um die Hüften geschlungen habe. Auf jeden Fall steht dieses Mal mein Arbeitskollege vor der Tür. Zuerst raunst er mich an, warum ich nicht ins Büro gekommen bin, dann, warum ich nicht an mein Telefon gegangen bin, dann, warum ich nicht habe anrufen können, schließlich kann es jedem einmal passieren zu verschlafen und letztlich, warum ich eigentlich hier nackt stehe? Ich bitte ihn herein und schließe die Tür. Na ja, ich versuche erst gar nicht irgendwie zu lüge und packe alles auf dem Tisch. Er sitzt auf dem Sofa, ich gehe nackt vor ihm auf und ab. Irgendwann biete ich ihm auch noch ein Bier an, das lehnt er aber ab. Wir sollten ja schließlich arbeiten um diese Uhrzeit. Also gut, ich war gestern Feiern und eigentlich fühle ich mich heute nicht so und überhaupt und sowieso. Er nickt. Ich weiß nicht aus Verständnis oder aus Resignation. Auf jeden Fall bin ich nach gut zwanzig Minuten fertig und die letzten Schaumklümpchen in den Haaren haben sich inzwischen auch aufgelöst. Er bittet mich die Musik auszumachen, mich anzuziehen, dann könnten wir sofort ins Büro fahren. Die Chefin sei schon sehr erbost. Er hat inzwischen auch eine Nachricht von ihr bekommen, warum das so lange dauern würde. Ich wollte ihm schon fast vorschlagen, er könne doch antworten, dass wir noch mit einander gevögelt hätten, aber ich lasse es dann doch stecken. Ich kleide mich an. Ganz schlicht. Nicht besonders schick, nicht besonders unschick. Wir fahren ins Büro. Er ist mit einem Firmenauto hier und so müssen wir nicht einmal den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Auf der Fahrt ins Büro beschließen wir noch eine gemeinsame Geschichte, die wir präsentieren wollen, warum ich denn nicht erschienen sei und warum ich auch die Anrufe nicht beantworten hätte können. So genau weiß ich das aber nicht mehr, was wir uns haben einfallen lassen. Deswegen belasse ich es mit einem Klingeling an dieser Stelle. Klingeling.

Das Rätsel von den drei magischen Toren 13.12.2011 – Michael Krieger Tor eins. Du steigst in Moskau, einer von den drei Flughäfen, mir ist völlig egal welcher, in ein Flugzeug Richtung Norden und fliegst vierundzwanzig Stunden stur gerade aus. Dann steigst du aus, wartest eine halbe Stunde am Flughafen und stellst fest, dass dein Reisepass immer noch im Flugzeug liegt. Du gehst zum Flugzeug, steigst ein und fliegst dieses mal nach Süden und zwar auch vierundzwanzig Stunden. Dann stellst du fest, dass dein Reisepass gar nicht im Flugzeug liegt und du steigst aus gehst zum Busbahnhof und setzt sich in deinen Bus zum Kursker Bahnhof. Der Bus fährt dich zum Kursker Bahnhof. Dort angekommen isst du ein Stück Salami und riechst am Fahrradsattel eines Fahrrades, von dem gerade ein Junge gestiegen ist, der, sagen wir, fünf Jahre alt ist. Im Kursker Bahnhof bestellst du ein Bier und trinkst es auf einen Zug leer und haust das Glas so auf den Tresen, das dich alle, wirklich alle Augen ansehen. Du prellst die Zeche und verschwindest ins Moskauer Treiben. Auf irgend einem anderen Bahnhof setzt du dich in die Transsibirische Eisenbahn und fährst bis Peking. Dort befreist du Ai Weiwei aus seinem goldenen Gefängnis und setzt ihn auf dem Yangste-Fluss aus. Bis er ins gelbe Meer getrieben ist winkst du ihm hinterher. Anschließend isst du den letzten Yangste-Delfin. Anschließend fährst du per Anhalter über Tibet nach Indien und triffst den Dalai Lama, dessen Kopf du abbeißt und bei einem Rockkonzert auf die Bühne spuckst. Später wirst du behaupten, dass du dachtest, es sei ein Spielzeug gewesen. Auf deiner Reise zurück nach Moskau nimmst du den Bus und bist vierzehn Wochen unterwegs. Die Frage, die dir das allmächtige Rätsel nun stellt ist folgende: Um Himmels Willen, warum nur das alles? Tor zwei. Deine Mutter ist deine Tochter und dein Stammbaum ist ein Kreis. Gehe nicht über Los, kassiere keine fünftausend Mark, sondern gehe sofort ins Gefängnis und dort bleibst du für immer bis du verrottet und vertrocknet bist und dich kein Arsch mehr mit seinem Gesicht ansieht. Und wenn dich die anderen viermilliarden Gefängnisinsassen so ordentlich durchgeknattert haben und ihre Gedärme auf deinem Kopf geleert haben darfst du wieder aus dem Gefängnis heraus. Und wenn du dann draußen bist, dann vermisst du es durchgeknattert zu werden und das Gedärme auf die entleert werden, so dass du einen Fetischklub eröffnen willst und wo machst du das? Natürlich in der Provinz. Weil wo wäre die Kombination aus Lamettaweihnachtsbaum und pinkem Rockterror besser zu kombinieren als unter Menschen, die neben ihren Frauen auch noch gerne Schafe ran nehmen als wüssten sie kein Morgen mehr. Der Fetischklub läuft und du beschließt auch in den Nachbarorten einen zu eröffnen. Die Leute strömen in Massen zu dir und du machst so viel Geld, dass du den Staatsanwalt über Jahre hinweg bestechen kannst, dass er dich nicht anzeigt, weil du Kleinkinder aus Indien Teppiche knüpfen lässt, die du dann auf polnischen Wochenmärkten für wenige Euro an geizige FDPMitglieder verkaufst. Aber irgendwann ist der Staatsanwalt weg und der neue lässt sich nicht bestechen, weil der direkt von der Universität kommt und der noch einen heeren Anspruch an seine Arbeit hat und deswegen keine Schmiergelder entgegen nimmt. Er zeigt dich dann auch noch an, als du Schafe in deinen Fetischklubs live auf der Bühne scherst, weil das sei ja nun wirklich echt pervers. Vor allem wenn sich Männer mit Bäuchen wie Fässer von Jünglingen dazu unten rum, so die Wortwahl des Staatsanwaltes, der stets bis oben hin zugeknöpft ist, betatschen ließen und dabei eine gewisse sexuelle Reaktion hervorgerufen wird. Du wanderst also wieder ins Gefängnis und darfst nicht über Los gehen und keine fünftausend Mark kassieren. Das Leben ist eben keine Ponyhof. Das denkst du dir und wieder scheißen viermilliarden Mithäftlinge auf deinen Kopf und du weißt nun, was du über all die Jahre vermisst hast. Die Frage, die nun gestellt wird, lautet wie folgt: Habe Schwarze längere Pimmel als du? Tor drei. Wie hieß der Busfahrer? Das Rätsel von den drei Toren ist: Zonk.

Die Spielregel – sträwkcür tieZ 14.11.2011 – Michael Krieger Ich bekomme eine Nachricht auf mein Telefon. Eine Bitte. Könnte es nicht möglich sein, dass ich dich heute doch noch sehe. Ich lächle. Schreite den Flur weiter entlang, zurück ins Büro. Ich komme von der Toilette. Zu viel Kaffee in mir führt zu vielen Gängen den Flur hinunter. Nach einer Tasse fängt es bereits an zu wirken. Nach fünf wird es unerträglich. Ich komme einfach nicht weiter. Man fordert mich dieses und jenes fertig zu machen, kann es aber nicht. Teilweise schreibe ich nicht einmal einen Absatz und schon wieder drückt es im Inneren. Ich stelle die Tasse Kaffee zur Spüle. Heute fasse ich sie nicht mehr an. Ein Kollege wird nachher so freundlich sein und sie mit abwaschen. Getilgt ist mein Exzess des Koffeins. Ich vergesse die Nachricht und versuche mich auf den Text zu konzentrieren. Heute will es einfach nicht rutschen. Sonst gibt es immer diesen Moment, an dem sich das Schreiben verselbstständigt. Irgendwann tippt man langsamer als man denkt und die Seiten füllen sich in einer Art und Weise, die mich fast schon anmacht. Bei der ich entschwinde in eine Welt der Buchstaben. Die Geschichte beginnt echt zu werden. Sie umspinnt meine Gedanken. Ein dichtes Geflecht aus Worten webt sich vor meinen Augen. Ich bin in der Geschichte. So wie im Kino, wenn man die Stuhllehne zerkratzt, weil die Spannung fast unerträglich ist. Aber der kleinste Funke reicht aus, um mich heraus zu reißen. Die Kollegen lassen mich in Ruhe. Sie sehen, dass ich in Rage schreibe. Und der Text wird gut. Ich habe es im Gespür. Er wird gut. Er wird brillant. Ich klopfe mir schon selbst auf die Schulter. Wieder rattert das Telefon. Ich habe es stumm gestellt aber eben nicht unbeweglich. Es zittert vor sich hin. Meine Gedanken verpuffen wie eine Seifenblase an einem Finger. Und weg. Ich atme ein und schwer, geräuschvoll wieder aus. Ich schiele auf den Bildschirm des Gerätes, ohne meinen Kopf vom Text weg zu bewegen. Gleicher Absender. Wieder atme ich ein und schwer, geräuschvoll aus. Meine Hände ziehen sich von der Tastatur zurück. Ich rufe die Nachricht auf. Ich würde wirklich gerne heute noch zu dir kommen. Ich antworte, dass ich nicht so genau wüsste, ob das wirklich eine gute Idee ist. Ich stecke das Telefon im Anschluss in meine Tasche und setze meine Finger wieder auf die Tasten. Es dauert einen kleinen Augenblick, ich muss den vorherigen Absatz nochmal lesen. Wieder verlieren sich meine Gedanken und dann flitzen meine Finger wieder über die weißen Plastikquadrate und es erscheint Wort für Wort auf dem Bildschirm. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell die Datenverarbeitung sein muss um diese Leistung zu erbringen. Ich weiß aber ebenso, dass es keine große Anstrengung für den Rechner ist diese Leistung zu erbringen. Wäre ja auch schlimm, wenn er beim Schreiben schon an seine Grenzen käme. Meine Nase fängt an zu laufen. Ich schniefe es ein paar Mal hoch, aber irgendwann läuft die Suppe schon über die Lippe und ich kann mich nicht länger konzentrieren. Ich wische den Schnodder in meinen Ärmel. Dann schreibe ich weiter. Es hält nicht lange an und schon wieder kommt die Rotze aus der linken Nasenhöhle. Ich versuche es zwanghaft zu ignorieren. Meine Blase meldet sich auch schon wieder zu Wort. Jetzt vibriert auch noch die ganze Tasche. Ich werde angerufen. Ich kann mir schon denken, wer es ist. Ich fische das Telefon aus der Tasche, gehe damit auf den Flur. Was ist? Ja, du antwortest nicht auf meine Nachrichten. Habe ich doch sehr wohl. Ich weiß eben noch nicht, ob es heute Abend bei mir geht. Was machst du denn schon wieder? Warte kurz. Ich niese so heftig, dass es Rotze aus der Nase auf den Teppich am Flur pfeffert. Gesundheit. Danke. Ja, ich weiß noch nicht, ob der Termin heute Abend ist. Welcher Termin? Ich wollte doch mit Freunden ins Kino gehen. Ich dachte das wäre erst morgen. Nein, das ist heute. Du hast aber gesagt, dass es morgen ist. Nein, es ist aber heute. Ach so. Ja, so ist es. Dann kann ich also nicht kommen? Das muss ich erst nochmal nachfragen. Ich weiß eben nicht, ob das Kino jetzt sicher ist. Und wann fragst du nach? Später. Wann später? Hör mal, ich muss arbeiten, ich kann jetzt nicht mit dir telefonieren. Du bist auf Arbeit? Ja, bin ich. Und jetzt ist es auch gut damit. Ich rufe dich später an. Wann später? Ich atme ein und schwer, geräuschvoll wieder aus. Später einfach. Tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Ja, tut es mir auch. Tschüs. Tschüs. Ich lege auf, eile zur Toilette, entleere meine Blase und schnäuze mir die Nase ordentlich durch. So wirklich leer wird sie nicht. Ich kehre zurück und schreibe weiter.

Vier Jahreszeiten in fünf Strophen 15.12.2011 – Michael Krieger Frühling. Krokusse sprießen. Die ersten Maiglöckchen recken ihre Hälse der wärmenden Sonne entgegen. Sie brechen durch die Decke aus weißem, hartem Wasser. Verdrängen es. Lassen es ergrünen. Die Bäume leuchten in hellstem Grün. Die Blätter sind noch zusammen gerollt. Bald werden sie sich in ihrer vollen Pracht zeigen. Sie werden die Bäume wieder atmen lassen. Monate lang haben sie die Luft angehalten. Wie tot standen sie in Reih und Glied. Nun erwachen sie aus dem dunklen Monat. Die Sonne ist noch schwach, sie wärmt aber schon ein kleines bisschen. Die Vögel singen. Sie singen die Sonne an. Sie wollen die Sonne begrüßen und beten sie an, dass sie sie nie wieder verlassen möge und immer bei ihnen bleibe. Ein Eichhörnchen gräbt im weicher werdenden Morast nach Nüssen. Es sieht abgemagert aus. Es muss zu Kräften kommen. Eine Nuss wird gefunden und gierig schiebt sie sich das Stück in die Kiefer und verschwindet in einem Nadelbaum. Auch auf der Lärche kommen die Nadeln wieder zurück. Ganz alleine stand sie nackt den ganzen Winter über zwischen den Tannen und Kiefern. Nun behauptet sie sich wieder zurück und reckt sich der Sonne entgegen. Das kleine Bächlein murmelt schon wieder freudig vor sich hin. Sommer. Der Weizen wiegt sich im lauen Fön, der über die Landschaft streichelt. Die Käfer zwischen den Ähren fliegen hoch und wieder nieder. Sie zeigen sich ihre schimmernden Panzer. Grün und blau leuchten sie um die Wette. Sie setzen sich wieder nieder und begatten ein bräunliches Weibchen. Die Sonnenblumen haben die Hälse ganz weit nach oben gereckt. Die Sonne steht senkrecht über ihnen. Eine Feldmaus hüpft zwischen den Stängeln umher und trägt ein paar Maiskörner, die zu Boden gefallen sind, zu ihrem Bau. Die Mäusejungen strampeln um die Wette. Ihre Augen werden sich in wenigen Tagen öffnen und die nackte Haut ist schon von wenigen grauen und braunen Härchen bedeckt. Die Mäusemutter kommt herein und zerkleinert die Maiskörner bevor sie sie frisst, dann säugt sie ihre Jungen und legt sich einen Moment nieder. Dann stürmt sie wieder los in die Nachmittagssonne um erneut Futter zu beschaffen. Ihr Herzlein schlägt putzmunter. Herbst. Regentropfen prasseln auf das Sonnenblumenfeld nieder. Ihre Köpfe sind schwer geworden. Sie hängen nieder. Die Kerne sind voll ausgebildet und einige Fallen schon aus den Gesichtern auf den Boden. Die Erde ist feucht geworden. Man kann kaum auf ihr laufen. Die Mäusefamilie hat Mühe voran zu kommen. Sie klauben die Kerne auf und speichern sie in ihren Backentaschen. Mit einem Hamster laufen die Jungen um die Wette. Ein Hase springt an ihnen vorbei. Seine Jungen sind riesig im Gegensatz zu den Mäusen. Ein Rotmilan kreist über dem Feld. An einer freien Stelle stürzt er in die Tiefe und packt sich einen jungen Hasen. Er trägt ihn davon. Bald werden die Sonnenblumen geerntet werden. Eine große Landmaschine schiebt die dann trockenen Pflanzen in den gierigen Schlot und löst die Kerne heraus. Winter. Die ersten Flocken fallen nieder. Die Tage sind schon ziemlich kurz geworden. Die Mäusefamilie hat sich einen Bau gemacht und dort Heu und anderes weiches Material gesammelt. In der Ecke liegt ein Knopf von einer Menschenjacke. Die Kinder liegen auf einem Haufen zusammen und schlafen. Die Mäusemutter steht daneben und sieht ihren Kindern beim Schlummern zu. Sie ist glücklich, dass alle das erste Jahr überlebt haben. Sie schiebt den Knopf vor den Ausgang und legt sich dann schützen vor ihre Kinder. So werden sie die nächsten Monate verbringen, bis sie wieder von neuem erwachen werden. Das Sonnenblumen- und Weizenfeld ist inzwischen angeerntet. Die Körner liegen im Lager und die Halme werden von den Kühen des Bauern gefressen. Bald wandern die ersten Tannen- und Fichtenbäume in die Wohnstuben. Nur die Lärche bleibt nackt zurück und ist ganz froh darüber. Die Kinder der Bauern schmücken die Bäume mit bunten Lichtern, glitzernden Kugeln und Weihnachtsgebäck. Ganz oben an der Spitze hängen sie einen Weihnachtsengel hin und sitzen dann mit leuchtenden Augen vor dem Gesamtkunstwerk. In den Stuben ist es warm, das Feuer lodert im Brennofen. Draußen ist es kalt. Die Flocken verdichten sich zu einem dichten Gestöber. Alles ist zuckerweiß bedeckt. Die Mäusefamilie schläft und die Hasen haben sich einen trockenen Unterschlupf bei den Menschen gesucht. In wenigen Monaten geht das Spiel wieder von vorne los.

Domifare S 16.12.2011 – Michael Krieger Wie kommen meine Texte eigentlich an? Vor allem, wenn ich einen schreibe, der wirklich zum Vortragen gedacht ist. Also nicht sowas wie Pornos mit Verwandten drehen oder ähnlich schlimmes. Nein, ich meine so süße Texte (oder vielleicht doch auch die mit den VerwandtenPornos). Über die man sich freut und die einem ein romantisches Lächeln ins Gesicht zaubern. Ja, das ist wirklich eine Frage, die mich interessieren würde. Natürlich sind schon einige Texte dabei, die geeignet wären sowas mit ihnen zu machen, aber wirklich viele sind es nicht. Auf jeden Fall habe ich einen Text geschrieben, den ich auch vortragen muss, weil ich den Vortrag angekündigt habe. Am 23. Dezember und 24. Dezember diesen Jahres wird es so weit sein und die entsprechenden Texte werden dann auch hier erscheinen. Versprochen. Ob ich sie dann auch so vortragen werde, wie ich sie geschrieben habe, das ist eine ganz andere Frage, die auf einem Blatt steht, das mir leider leider abhanden gekommen ist. Zufälle gibt es eben, die können gar nicht so ein Zufall sein, dass sie zufällig sind. So Sachen wie der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen glaubt einem ja auch kein Schwein. Damit seien aber nicht die Schweine beleidigt, sondern eher die Menschen, die sich wie Schweine benehmen. Benehmt euch! Fordert der lustige Hans und strickt weiter an seinem Präservativ für die kalten Tage. Ein Wollkondom. Für einen Wollporno. Mit viel Wollewolle. Schafsfick. Nimm eins und zahl zwei. Der neue Leitgedanke einer Gesellschaft, die sowieso nichts besseres zu tun hat als Pornos zu drehen, denn man hat ja alles, was das Leben so benötigt. Vom Tausendzollfernseher über jedes nur erdenkliche Apple-Produkt bis hin zum Kühlschrank, der sich selbst auffüllt. Vor allem mit Schimmelpilzen. Ja, ja. Aber ich schweife ab. Und keiner hat mich daran gehindert. Also hört mal. Also Texte die zum Vortragen sind, sind anderen, als Texte die nicht zum Vortragen sind, weil die sind ja auch zum Lesen. Verstehste, verstehste. Damit wollte ich eigentlich auch nur sagen, dass es sowas gibt, wie Text. Text gibt’s eigentlich auch ganz schön viel. Viel zu viel. Man kommt mit dem Lesen dem Angebot nicht mehr hinterher. Keine Frage, warum die Verlage immer weniger Gewinn machen. Das ist schon klar, wenn die mehr Bücher pro Jahr auf den Markt spucken als selbst ein übermäßig lesebegeisterter Mensch in sich aufnehmen kann. Und ich spreche an dieser Stelle von keinem Leseporno, also einem Buch, dass man sich so mir nichts dir nichts unter einer Gruppe verklemmter katholischer Touristen aus den Vereinigten Staaten an einem öffentlichen Platz in den Anus einführt. Vielleicht hat man vorher auch noch ein Wollkondom darüber gezogen. Ich weiß es nicht. Nein, von so einem Lesevergnügen möchte ich entschieden Abstand nehmen. Diese perversen Spielchen kann jeder in seiner Freizeit machen und ich bin sicherlich auch gewillt eine Kamera hin zu halten, aber jetzt muss das doch nicht sein. Und denkt einer auch nur einmal an die Kinder. An die Kinder wird sowieso viel zu wenig gedacht. Und überhaupt! Die Kinder sollten wieder mehr in den Fokus geraten. Mit kindgerechter Lektüre. Sowas wie Wollkondome im Lalaland oder Wollkondome im Freizeitpark des Gruselns. Gruseln. Auch so ein tolles Wort, dass man in Zeiten des Wollkondompornos viel zu selten benutzt. Man sollte wieder öfters Gruseln sagen. Bei den drei Fragezeichen hat man sich ja auch nicht gefürchtet oder vor lauter Angst feucht in die Unterbuchse geschissen, nein, da hat man sich gegruselt und die Bettdecke noch ein Stück weiter nach oben gezogen. Aber an die Kinder denkt ja wieder keiner, und damit meine ich euch, ihr Flachpfeifen von Leser. Ja, ja, jetzt denkt ihr wieder, was sich dieser Autor nur wieder hat einfallen lassen, der muss doch einen an der Waffel haben. Jetzt sage ich euch mal was, ich habe nichts an der Waffel, weil ich gar keine Waffel habe. Waffeln sind zum Essen da und nicht, dass man da was dran hat. Einen Tassenschrank, das sei vorweg genommen, habe ich noch nie besessen. Bei mir liegt das Trinkassessoire einfach so zuhause herum. Und wer es mir nicht glaubt, der kann gerne vorbei kommen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es vorkommen könnte, dass ich gerade ein Wollkondom über habe und Schaf für einen Verwandtenporno richtig übel ran nehme. Damit muss man schon einmal rechnen. Aber wem das nichts ausmacht, der hat sowieso einen an der Waffel. Und Tassen fehlen ihm alle, so dass er aus seinen Handflächen trinken muss wie ein räudiger Drogensüchtiger im Klub. Genau! Aber ich glaube doch, dass meine Texte vom 23. und 24. Dezember gut ankommen werden. Das Publikum wir es mir danken. Alle fragen sich, wann er den nächsten schreiben wird und ihr werdet es sicherlich bald erfahren, wie die Zuhörer auf das Gesprochene abgegangen sind. Gute Nacht.

Das Beliebigkeitsspiel 17.12.2011 – Michael Krieger Zum Schweigen verdammt. Die Oberfläche ist glatt, sie glänzt leicht. Ganz plan. Wenn man mit den Finger darüber fährt, so fühlt es sich nicht warm und nicht kalt an. Es ist fest. Starr aber doch irgendwie beweglich. Die Ecken sind rau, abgenutzt. Man kann sich daran nicht mehr verletzen. Die Ecken sind in einem anderen Material. Sie wirken organisch. Veränderbar. Es ist schwarz. Leder. Die Ecken sind mit Leder überspannt. Dennoch schimmert der Karton hindurch. Das Leder ist brüchig. Die Elastizität hat im Laufe der Jahre nachgelassen. Der Rücken ist auch aus Leder. Es wirkt ähnlich porös wie das Leder der Ecken. Der Deckel ist matt geworden. Nur noch an wenigen Stellen schimmert er. Die Farbe verläuft, der Aufdruck ist nicht mehr zu lesen. Am Buchrücken sind Buchstaben. Wenn das Buch liegt kann man sie nicht lesen, wenn es steht jedoch schon. Ein roter Punkt zwischen dem Titel und dem Bandverzeichnis kennzeichnet die Sperre, dieses Buch auch mitnehmen zu können. Es muss an Ort und Stelle bleiben. Seine Registriernummer überklebt den Ledereinband. Die Seiten sind vergilbt. Das Papier wellt sich auf jeder Seite. Eine Flüssigkeit musste darüber geschüttet worden sein. Wenn man es aufschlägt modert es etwas. Es steigt in die Nase und lässt den typischen Geruch von etwas Altem erahnen. Je weiter man in die Mitte des Blattes sieht, desto weißer wird es. An dieser Stelle ist es noch heil. Nur die Kanten geben bereits ihren Geist auf. Das Material verschwindet und mit ihm die Informationen, die sich darauf befunden haben. Die Seitenzahlen, sonst immer am oberen Eck, verschwimmen bereits mit der Materialverlust. Einige sind nicht mehr zu erkennen. Sie Entziehen sich dem Leser. Man muss aus dem Kontext der anderen Seiten ermitteln, wo man sich gerade befindet. Die Schrift ist nicht altertümlich. Das Buch kann also noch nicht so alt sein. Es ist ein Werk aus dem Jahrhundert, in dem der Buchdruck so weit expandieren wird, dass er sich selbst den Ruin bedeuten kann. Die Buchstaben sind in Spalten geordnet. Jeweils zwei Spalten pro Seite. Die Schrift ist klein, aber man kann sich noch nicht erschöpfend darin verlesen. Ein Strich trennt beide Spalten von einander. Es ist eine Welt, die nicht existiert, bis man beginnt den Kode zu entschlüsseln. Ein Buch kann aufgeschlagen vor einem liegen und das wochenlang ohne zu leben. Es ist tot. Totes Material. Der Baum ist schon gestorben, bevor die erste Zeile ihn schmückte. Erst durch den Akt des Lesens werden die Buchstaben, wird das Buch, zum Leben erweckt. Die Seiten sind rau. Wenn man darüber streicht spürt man Hügel und Täler. Sie bilden eine Landschaft. Die Finger kribbeln, es knistert zwischen Blatt und Haut. Beim Umblättern entspannt sich das Papier. Es stellt sich senkrecht, bevor es wieder versucht in eine angenehme Lage zurück zu fallen. Die nächste Seite erscheint vor den Augen. Die Bindung ist aus rotem Gewebe. Der Klebstoff hat sich inzwischen weit in die Seiten gezogen. Das Innerste der Seite ist starr. Es wird den Bruch der Seite an der Schwelle zwischen Deckel und Blatt ermöglichen. In Jahren werden die Risse an dieser Stelle entstehen. Mit jedem Öffnen, mit jedem Umblättern wird der Zahn der Zeit einmal mehr an diesem Buch nagen und es wieder einen Schritt näher an den Untergang rücken. Nichts ist zugleich so unendlich und endlich wie das Leben eines Buches. Seine Geschichte, die es erzählen möchte, wird ewig existieren und doch löst das Material diese Geschichte auch auf. Mit jedem Tag mit jedem Atemzug den ein Mensch in eine Seite bläst wird es wieder ein paar Augenblicke verloren haben. Die Nässe des Atems setzt sich auf den trockenen Seiten nieder und wird wie ein Schwamm in das Holz gezogen. Dort breitet es sich aus, vermischt sich mit den Organismen, die zum Untergang des Buches beitragen werden. Schimmel und andere zeigen ihr können. Der Kleber in der Mitte wird aseptisch. Er treibt sie zurück, je weiter er sie ausbreitet. Aber mit jedem Öffnen des Buches wird der Kleber an seine Grenzen gebracht. Die Seiten wollen links und rechts herunter rutschen, doch sie können nicht. Sie zerren und schieben am Kleber, aber er hält noch fest. Die Bindung wölbt sich nach oben. Der Rücken wird nach unten gedrückt. So wie es vor einem ruht, so kämpft es doch zugleich mit sich selbst. Ein Buch ist ein Prozess, eine Maschine. Sie will nicht in Ruhe sein, sie kann es auch nicht. Der Deckel reicht über die Kante des Tisches hinaus und die Seiten streben nach unten. Sie können sich nicht halten. Der Kleber muss nachgeben und schließlich wird er den Kampf verlieren. Die Seiten rutschen davon, sie prasseln auf den Boden. Der Kampf ist verloren, das Buch hat sich selbst vernichtet. Die guten Dienste sind vorüber. Es ist gestorben. Tot.

Aus der alten Zeit 18.12.2011 – Michael Krieger Ich sitze im indischen Buffetrestaurant in den Arcaden. Gerade war ich noch beim Friseur und wie immer wurde nicht das gemacht, was ich machen lassen wollte. Locken? Sie wollen wirklich Locken? Also Dauerwelle? Nein, ich möchte keine Dauerwelle. Ich habe Naturlocken und die sollen nun etwas wachsen. Deswegen nur auf der Seite schneiden und nicht auch noch oben. Aber oben ausdünnen? Ja, oben ausdünnen. Zwanzig Euro ärmer marschierte ich dann erst einmal zum Drogeriemarkt um ein Lockenspray zu kaufen. Natürlich habe ich keines gefunden, deswegen sehe ich auch immer noch geleckt aus. Aus Frust ging es dann erst einmal zum Essen. Asia oder India oder doch Amerikanisch. Nein, nicht asiatisch und auch nicht amerikanisch. Also indisch. Riecht also ziemlich lecker. Nur etwas viel Hühnchen für meinen Geschmack. Aber es gibt auch vegetarisches und Fisch. Ich bin gut gelaunt und zahle, typisch deutsch, erst einmal das Buffet. Die Dame, asiatischer und bestimmt nicht indischer Herkunft, fragt mich etwas verdutzt, ob ich schon gegessen hätte. Nein, aber ich wollte doch bezahlen. Man kann auch erst nachher bezahlen. Wusste ich nicht und ich wollte mir auch nicht wie ein Dieb vorkommen. Also habe ich bezahlt und eine amerikanische Brause kam dann auch noch dazu. Also nicht alles typisch indisch. Das Pitabrot habe ich zwar nach dreißig Minuten immer noch nicht gefunden, aber der vierte Teller in mir war dann auch wirklich genug, so dass ich gut und gerne auch auf das Brot verzichten konnte. Aber es schmeckt doch so gut. Also gehe ich doch noch einmal auf die Pirsch. Und finde es wieder nicht. Da ich noch Brause im Plastikbecher habe, das finde ich schon etwas seltsam, dass man ganz normale Porzellanteller hat, aber dann Plastikbecher zum raus Trinken. Aber gut. Mir soll es egal sein. Ich bringe meinen Teller weg. Das Besteck lecke ich nochmal ab, bevor ich es in die Rückgabe lege. Die Suppe war ziemlich geil, wenn auch sehr scharf. Aber das tat der Grippe, die ich mit mir herum schleppe, auch ziemlich gut. Die Nase war mal für fünf Minuten frei und ich musste nicht nervtötend schniefen. Ich kann es selbst schon nicht mehr hören. Ich setze mich also wieder. Am Nachbartisch hat ein Pärchen Platz genommen. Er vielleicht Anfang vierzig. Das Haar dünnt sich schon arg aus. Er legt die Jacke ab und steht wieder auf. Sie ist definitiv aus Vietnam. Oder Thailand. Ich weiß nicht, aber man merkt, dass sie nicht Chinesin oder Japanerin sein kann. Und für was südlicheres wie etwa Indonesien oder Philippinen, dafür ist sie dann doch etwas zu hellhäutig. Also ich entscheide mich für das vietnamesische Bergdorf. Sie spricht sehr leise. Er geht los und holt erst einmal für beide Besteck. Finde ich ja ziemlich süß. Sie wirkt streng. Sieht gerade aus, auch wenn sie dabei nur auf die Wand blicken kann. Er setzt sich für einen kurzen Moment wieder. Sie sagt was, kann es aber trotz des Abstandes von weniger als zwei Meter nicht verstehen. Er nickt und steht wieder auf. Er geht zu der Bar mit den Getränken und holt ebenfalls eine amerikanische Brause. Ich schütte den Rest in mich hinein. Er stellt sie auf den Tisch und setzt sich wieder. Schon langsam würde mir das Hü und Hott irgendwann doch zu blöd werden. Er schraubt sie auf und trinkt die Hälfte raus. Dann dreht er sie wieder zu. Sie hält immer noch die Arme verschränkt. Dann sagt er, dass er sich Essen holen geht. Sie sagt wieder was, ich verstehe es erneut nicht. Er kommt zurück. Ein riesiger Teller. Reis, Nudeln und Pitabrot. Ordentlich sättigen dürfte es. Über alles hat er dann noch eine Mischung aus Soßen geschüttet, so dass die Gesamtfarbe dunkelbraun ist. Eine Suppe hat er auch noch dabei. Zuerst denke ich, dass er es ihr hinstellt. Es würde in die Szene passen. Aber nein, er stellt es auf seinen Platz, setzt sich und trinkt den Rest der Brause leer. Dann steht er wieder auf und jetzt bin ich so weit, dass ich mit den Augen rollen muss. Mir geht er direkt auf die Nerven. Er holt eine Neue und setzt sich wieder. Dann sieht er seiner Frau, Freundin, Katalogschubse in die Augen. Lächelnd und schaufelt mit einem Löffel gigantische Mengen in die Futterlucke. Sie sieht immer strenger. Isst sie denn nichts? Er ist fast fertig, als er mit vollem Mund fragt, ob sie schon Hunger habe? Sie rührt sich nicht, dreht das Messer im Kreis und sieht wieder an die weiße Wand. Er isst weiter und spricht dabei mit ihr. Immer wieder fliegt ein Reiskorn in hohem Bogen über den Tisch und landet entweder vor ihr auf der roten Platte, dann schiebt sie es mit der Serviette weg und zumeist unter den Tisch; landet es hingegen in ihrem Gesicht, dann sieht sie ihn angewidert an. Ich frage mich zu diesem Augenblick, ob die beiden sich wirklich lieben, oder ob es nur um das Geld ging für sie und um den Sex für ihn. Als er fertig ist reicht er den Teller hinüber. Sie steht auf und holt sich nun etwas zu essen. Wäh!

Akrostichon-Wortspiel für Sopran und Ensemble 19.12.2011 – Michael Krieger Stellen Sie sich die folgenden Zeilen gesungen vor. Im Ensemble spielen: Violine, Bratsche, Cello, Oboe, Schlagwerk und spanische Gitarre. Immer abwechselnd und in Zwölftonmusik. Wuff, wuff. Mir ist schlecht. Schlecht im Kopf. Ich muss kotzen. Ganz heftig kotzen. Kotzen bis das Porzellan zerbricht. Die Schüssel wird feucht. Der Magen stülpt sich nach außen. Die Spagetti sind schlecht verdaut. Der Joghurt hat sich um sie gewunden. Mir ist schlecht. Schlecht im Kopf. Ich muss kotzen. Ganz heftig kotzen. Plötzlich ziehst im Arsch. Zwei Ausgänge sind besser als einer. Ich habe aber nur eine Toilette. Verdammt, verdammt, verdammt. Was tun? Ich setze mich auf die Badewanne. Hose bei den Knien. Die Eier auf der Kante. Das Arschloch in die Wanne gerichtet. Ich kotze. Ich scheiße. Es spritzt. Es spritzt. Es spritzt. Mir ist schlecht. Schlecht im Kopf. Ich muss kotzen. Ganz heftig kotzen. Ich scheiße Blut. Ich schwitze Blut. Ich kotze Blut. Ich werde leer. Kein Mageninhalt mehr. Keine Blut mehr. Ich bin leer. Trotzdem kein Ende in Sicht. Wann kommt das Ende? Mir ist schlecht. Schlecht im Kopf. Meine Schläfen pulsieren. Ich ziehe die Hose hoch. Wische die Kotze vom Mund. Ich falle auf den Badteppich. Ich liege auf dem Badteppich. Ich schlafe auf dem Badteppich. Mir ist schlecht. Schlecht im Kopf. Mir wird kalt. Ich bin geschafft. Tot!

Unsuk Chin 20.12.2011 – Michael Krieger Sinnwörter sind Unsinn! Das sagte die Lehrerin und schlug ihre Zähne gegen das Pult mit einer Wucht, dass den Strebern in der ersten Reihe die Ponys nach hinten gerissen wurden und ihre Augenlider schlackerten wie die Vulva einer alten, sehr alten ausgeleierten Prostituierten. Nein, sowas darf man natürlich nicht sagen, wenn man über eine moderne Komponistin spricht. Wirklich nicht. Also was habe ich mir dabei nur gedacht? Ich weiß es nicht. Mich überkam so ein Gefühl und das musste dann einfach raus. So wie ein Würgereiz. Wenn es kommt, dann kommt es. Eben, eben. Na, flach war das nun nicht, oder wie. Ach ja, wem es bisher nicht aufgefallen sein sollte. Das Akrostichon-Wortspiel für Sopran und Ensemble war übrigens von Unsuk Chin. Und die täglichen Texte der letzten Woche (Versteckspiel, Das Rätsel von den drei magischen Toren, Die Spielregel – sträwkcür tieZ, Vier Jahreszeiten in fünf Strophen, Domifare S, Das Beliebigkeitsspiel und Aus der alten Zeit) gehören eigentlich alle zum Akrostichon-Wortspiel. Aber ich habe mich mal hinreißen lassen und eine eigene Interpretation gemacht. Die Titel wurden sozusagen von mir missbraucht. So wie die katholischen Priester ihre Mini... Ich glaube ich brauche das nicht weiter an dieser Stelle ausführen. Auf jeden Fall ist Frau Chin oder Frau Unsuk, keine Ahnung was hier Vor- und Zunahme ist, eine gefeierte Komponistin unserer Zeit. Sie ist auch noch relativ jung, man kann also noch einiges erwarten. Aber wenn ich sage, dass sie bei Herrn Ligeti studiert hat, dann ist bei vielen eh schon wieder die Schotte dicht. Moderne oder Neue Musik geht ja gar nicht. Diese atonale Herumgestreife. Da hört man doch sowieso nicht, wenn sich da einer in einer Note verspielt. Das stimmt, aber ich glaube man hört es auch nicht bei Mahlers Sechster, wenn sich das vierte Cello um einen Halbton irrt. Also das würde ich jetzt einfach mal so unterstellen. Der da anderer Meinung ist, der kann sich ja bei mir melden, dann werde ich diesen Text aber noch lange nicht anpassen. Das wollte ich mal gesagt haben. Ihr habt doch alle keine Ahnung! Die Idee der Berliner Philharmoniker ein Spätkonzert um halb elf abends zu machen finde ich ja richtig großartig. Nur leider gehen so wenig Leute hin. Liegt aber wohl auch am Programm. Es ist immer Moderne oder Neue Musik. Die gefällt dem Sir Simon Rattle eben so gut, dass er sich dachte, dafür ein extra Format zu machen. Und schwuppdiwupp war da ein Spätkonzert geboren worden. Aber es ist auch immer was zu lachen. Moderne und Neue Musik sollte man vielleicht eher als Brücke zwischen U und E sehen. Diese Kategorien gehen mir sowieso auf den Wecker. Warum soll U-Musik nur zum Sitzen sein und E-Musik nur zum Tanzen. Kann mir mal jemand den Unterschied so einprägend erklären, dass ich sagen muss, ja, da haste Recht Horst. Ich entschuldige mich und verneige mich vor deinem Wissen. Oder vielleicht auch nicht! Auf jeden Fall kann man sich Frau Unsuk Chin mal merken. Die Musik ist wirklich witzig und man wartet sowieso nur auf den Einsatz des Schlagwerks oder der Sänger, die sich auch gerne mal mit schauspielerischem Können ins Zeug legen dürfen. Ganz großartig ist es auch, wenn Gläser kaputt gemacht werden. Jüngst passiert. Ja, wer jetzt natürlich Bock hat da hinzugehen, also es ist nur noch einmal in dieser Spielzeit! Also ran an die Karten, sonst kaufe ich alle auf. Da fällt mir ein, dass ich noch gar keine gekauft habe. So ein Mist aber auch. Verdammter Dreck. Gleich mal eine E-Mail schicken. An den Kartenservice. Ich hoffe die können mir so lange eine zurück legen. Wäre wirklich schade drum. Aber wenn es eben nicht sein soll, dann soll es eben nicht sein. Das sagte schon, ach ja, sagen wir mal Nietzsche. Es hat auch was für sich, wenn man einfach mal schlechte Zitate großen Philosophen in den Mund legt. Sowas wie: Wer jede Woche arbeitet bekommt Urlaubsgeld und Lohn (Immanuel Kant). Hat doch was. Anders herum ist es natürlich auch ganz großartig philosophische Zitate in den Mund von so richtigen Vollpfosten zu legen. Auch hier ein kleines Beispiel: Freiheit ist auch immer die Freiheit des Andersdenkenden (Kim Jong Il). Toll. Aber die Idee ist auch gar nicht von mir sondern von einem anderen Komiker, dessen Name ist mir aber leider just im Moment entfallen. Vielleicht fällt er mir später wieder ein, da habe ich aber keine Lust mehr den Text zu ändern. Vielleicht hieß er auch Unsuk Chin, oder so ähnlich.

Für die Jubilarin 21.12.2011 – Michael Krieger Der siebzehnte Dezember ist der 351. Tag des gregorianischen Kalenders und es bleiben noch vierzehn Tage bis zum Jahresende. Heute feierst du deinen neunzigsten Geburtstag. Zeit um einen kleinen Rückblick in ein bewegtes Leben zu werfen. Am 17. Dezember des Jahres 1921 feierte jede Jolanta ihren Namenstag und du deinen Geburtstag. Zu deinem ersten Geburtstag verließen die letzten britischen Truppen den freien Teil Irlands. An deinem 14. Geburtstag ist der 32. Jahrestag des Pionierfluges der Gebrüder Wright und die Douglas DC-3 hält ihren Jungfernflug. Die Maschine wird später als „Rosinenbomber“ während der Luftbrücke in die Geschichte eingehen. Ein Jahr vor deinem 18. Geburtstag veröffentlicht der US-amerikanische Schriftsteller Eric Knight seine Kurzgeschichte Lassie. Die zwei Jahre später als Buch herausgebrachte Erzählung wird sofort zum Bestseller. An deinem achtzehnten Geburtstag, zu Beginn des zweiten Weltkrieges versenkte die Mannschaft des Panzerschiffs Admiral Graf Spee aufgrund der britischen Übermacht ihr Schiff vor Montevideo. Vier Jahre später wurde der rassistische Chinese Exclusion Act vom 6. Mai 1882 wieder aufgehoben und chinesische Staatsbürger konnten wieder in die Vereinigten Staaten einreisen. An deinem dreiundzwanzigsten Geburtstag wurden bei einem Luftangriff auf Ulm 81 Prozent der Innenstadt auf einen Schlag zerstört, das Ulmer Münster blieb jedoch unversehrt. Am gleichen Tag ermordeten deutsche SS-Soldaten etwa achtzig amerikanische Kriegsgefangene im Malmedy-Massaker. Zu deinem 30. Geburtstag wird in Schweden der Film „Sie tanzte nur einen Sommer“ erstmals gezeigt. Eine Nacktbadeszene darin sorgt für weltweiten Gesprächsstoff. Am 17. Dezember 1959, du wirst gerade 38 ergibt sich aus den Bundesratswahlen der Schweiz die „Zauberformel“ zur Zusammensetzung des Schweizer Bundesrates, die bis zum Jahr 2003, deinem 82. Geburtstag Bestand haben wird. Am 17. Dezember 1961 findet am Nationaltheater Mannheim die Uraufführung der Oper „Das lange Weihnachtsmahl“ von Paul Hindemith statt. An deinem 42. Geburtstag schließen die Bun-

desrepublik Deutschland und die Deutsch-Demokratische Republik das erste Passierscheinabkommen, damit können erstmals seit dem Mauerbau Westberliner Ost-Berlin besuchen. Am 17. Dezember 1965 geht der Westdeutsche Rundfunk WDR das erste Mal auf Sendung. Zwei Jahre später verschwindet am 17. Dezember 1967 der australische Premieminister Harold Holt spurlos beim Schwimmen südlich von Melbourn. An deinem 49. Geburtstag erhält der Oman seine offizielle Flagge. Zu deinem 50. Geburtstag unterzeichnen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR im Rahmen der deutschen Ostpolitik das Transitabkommen, mit dem Reiseerleichterungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin geschaffen werden. Am selben Tag wird nach dem endgültigen Waffenstillstand zwischen Indien und Westpakistan der Bangladesch-Krieg beendet und Ostpakistan wird unter dem Namen Bangladesch endgültig unabhängig von Pakistan. Durch eine umstrittene Vertrauensfrage erreicht der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl am 17. Dezember 1982, nur zwei Monate nach seinem Amtsantritt, Neuwahlen. Ein Jahr später sterben beim dritten Bombenanschlag der terroristischen IRA (Irish Republican Army) auf das Londoner Kaufhaus Harrods sechs Menschen. Am 17. Dezember 1989 geht in die USA die erste eigenständige Folge der erfolgreichsten Zeichentrickserie aller Zeiten auf Sendung: Die Simpsons. Zu deinem 74. Geburtstag ziehen fünf Parteien in den Nationalrat ein, nachdem die Nationalratswahlen in Österreich stattfanden. Die SPÖ unter Bundeskanzler Franz Vranitzky wird stimmenstärkste Partei. An deinem 75. Geburtstag überfallen linksgerichtete Rebellen der Movimiento Revolucionario Túpac Amaru die Residenz des japanischen Botschafters in Lima und nehmen 483 Personen als Geiseln, von denen etwa 200 am gleichen Tag wieder freigelassen werden. Die Geiselnahme dauert bis zum 22. April 1997. Zwei Jahre nach deinem 80. Geburtstag durchbricht die SpaceShipOne als erstes privatfinanziertes Flugzeug die Schallmauer. Zu deinem 83. Geburtstag verbietet Bhutan als erstes Land der Welt den Verkauf von Tabakwaren aus religiösen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gründen. Am 17. Dezember 2011 wirst du auf ein bewegtes Leben zurückblicken können.

Stimmt so 22.12.2011 – Michael Krieger Ich sitze beim Friseur. Seit mehr als einer halben Stunde warte ich schon endlich an der Reihe zu sein. Im Laden sind zwar vier Frauen, die wohl angestellt sind, aber nur eine schneidet Haare. Die anderen waschen selbige nur. Sie kommt einfach nicht hinterher. Es ist kurz vor Weihnachten und nun so ein Stress. Sie tut mir leid. Als ich dann doch irgendwann an der Reihe bin, merke ich so richtig, wie sehr sie im Stress steht. Sie fragt, was ich haben möchte und ich erkläre, dass die Seiten und der Nacken kurz sein sollen und das Deckhaar länger. Ich möchte es noch etwas wachsen lassen, damit sich meine Naturlocken aus der Versenkung trauen. Sie rätselt kurz. Ich wollte schon wieder ansetzen um von neuem zu erklären, ich spreche immerhin sehr schnell, dann fragt sie, ob ich eine Dauerwelle haben möchte. Ich verneine und meine, dass das zu viel Zeit kosten würde und ich ihr nicht unnötig zu Last fallen wolle, was tatsächlich der Grund ist. Sie atmet ein und wieder aus. Sie wirkt nun ruhiger. Ich habe ihr wohl etwas gutes getan. Sie spricht weiter davon, dass man das nun so und so schneiden könnte und dann würde das so und so aussehen und das Deckhaar würde sie nur ausdünnen und die Spitzen nicht zurück schneiden, da ich es ja noch etwas wachsen lassen wolle. Ich bedanke mich für den Ratschlag und sie legt los. Die Gedanken schießen mir nur so durch den Kopf während deutsche Weihnachtslieder durch den Raum schallen und die nächsten Fratzen zu quängeln anfangen und von ihren Müttern kaum im Zaum gehalten werden können. Die drei anderen, sie haben übrigens alle schwarze Haare und tragen ein schwarzes Top, waschen fleißig weiter Haare. Eine von ihnen geht immer wieder zum Tresen um neue Kundschaft an Ort und Stelle zu weisen und meiner Haarzauberin zu sagen, wie sich die Reihenfolge weiterentwickelt hat. Wie viel werden die wohl pro Stunde verdienen? Ich finde keine Antwort auf die Frage und da es kurz vor Weihnachten ist und nun alle irgendwie neue Frisuren und neue Farben im Haar brauchen, tun sie mir schon etwas leid, die Angestellten im Friseurladen im Einkaufszentrum. Ich glaube aber nicht, dass es zu viel sein dürfte. Zwischendurch erwähnt meine Haarkünsterlin, dass Waschen, Schneiden, Föhnen und Stylen achtzehn Euro kosten würde. Ich nicke nur etwas, dann schneidet sie weiter. Wäre sowieso schon zu spät gewesen noch etwas dagegen zu unternehmen und auf gut zwanzig Euro hatte ich mich eingestellt. Die ganze Prozedur dauert zirka eine viertel Stunde und auf das Föhnen und Stylen verzichte ich, weil ich die Frisur so ganz gut finde und da meine Haare noch nass sind wellen sie sich auch. Für Schnörkel sind sie aber noch zu kurz. Sie pustet mir den Schnitt aus dem Nacken, wischt mit der Bürste darüber und zeigt mir die Rückseite über den Gegenspiegel. Ich finde alles ganz toll und bedanke mich nochmals bei ihr. Die Kinder quängeln schon wieder lauthals los und die Mütter wippen und reden auf ihre Kinder ein, als gäbe es keinen morgen. Sie würde natürlich viel lieber Spielzeug kaufen gehen und nicht hier beim blöden Friseur darauf warten endlich an der Reihe zu sein. Und dann ist die Einrichtung auch noch ziemlich steril und farbig schon gleich gar nicht. Zudem gibt es keine Spielsachen. Die Mütter nippen am Kaffee. Ich ziehe meine Jacke wieder über, streiche mir vorm Spiegel noch ein, zwei Mal durchs Haar und wuschel sie auf. Wirkt ganz sportlich jugendlich und super toll. Na dann mal zur Kasse. Sie verlangt nur fünfzehn Euro von mir, weil das Föhnen und Stylen ja weggefallen sei. Was im Unterton ihr auch nicht so ganz passt. Die Missstimmung schwingt mit. Ich merke es, weiß auch das passende Gegenrezept. Ach, tatsächlich? sage ich nur und schiebe eine zwanziger über den Ladentisch. Sie nimmt ihn entgegen und zählt fünf Euro in Münzen aus der Kasse. Ich stecke das Portemonnaie aber schon weg. Der Reißverschluss flitscht über die Tasche. Sie streckt mir die fünf Euro entgegen. Ich lehne ab. Sage noch Stimmt so und verlasse den Laden. Sie lächelt.

Über Mütter, diese seltsamen Lebewesen 23.12.2011 – Michael Krieger Ja, ja. Jeder hat eine. Oder zumindest hatte. Eine Mutter. Eine Mutter, dieses seltsame Lebewesen, ohne das es uns nicht gäbe. Sie kämpfte sich gut neun Monate zwischen Brechreiz, Schmerzen und Hormonschüben durch ihr Leben, um uns dann im brachialen, stundenlangen Akt der Geburt, in Selbstaufgabe das Leben zu schenken. Und dann? Dann sah sie uns, dieses zerquetschte, blau angelaufene, wie am Spieß schreiende Knäuel blutigen Fleisches von rund drei Kilo an und sie war glücklich. Ihr glücklichster Moment. Sie drückte uns an sich und schenkte Wärme, Geborgenheit, Zuversicht und Licht, in der grausamen, kalten, ungemütlichen und dunklen Welt zu überleben. Danke, Mama, für das Leben! Mütter entscheiden über das wichtigste Merkmal in unserem Leben, dass aus dem Es das Ich macht: einen Namen. Ganz egal, wie man nun heißt, der Name verbindet uns für immer mit ihr. Und für sie wird dieser Name immer ein Gesicht haben. Ganz unabhängig ob man Gott sei mit uns (Manuela), der Kühne (Franz), der Beschützer (Alexander) oder Wer ist wie Gott? (Michael) genannt wird. Nur eine Mutter verbindet mit dem Namen mehr als die Wortbedeutung. Für sie ist es eine Bild, ein Buch, ein Kunstwerk. Eine Form, die man niemals verwerfen oder verlegen kann. Die aber immer auch Veränderungen unterworfen ist. Danke, Mama, für den Namen, den du uns gegeben hast! Sie begleitet uns vom ersten Wachwerden in der Nacht; hilft uns bei unseren ersten Schritten; tröstet uns, wenn wir dann nach drei Schritten das erste Mal wieder hinfallen; streichelt und pflegt uns, wenn wir krank sind; unterstützt uns bei den Hausaufgaben in der Schule; schimpft uns, wenn wir das erste Mal betrunken nach Hause kommen. Danke, Mama, für dein Da-Sein! Sie lacht mir uns, sie scherzt mit uns, sie lernt mit uns, sie weint mit uns, sie trauert mit uns. Und das ihr ganzes Leben lang. Ihre Aufgabe ist es, für ihre Kinder da zu sein. Sie zu anständigen Menschen zu erziehen und auf das Leben da draußen vorzubereiten. Mit Güte, Verständnis und Moral, aber ebenso mit einer strengen aber ehrlichen Hand, die Grenzen aufzeigt. Danke, Mama, für deine Erziehung! Mütter können stolz auf ihre Kinder sein. Wenn sie die erste Eins schreiben; wenn sie den Abschluss schaffen; wenn sie eine Lehre beginnen; wenn sie ein Instrument erlernen oder sich für etwas anderes ereifern können; wenn sie selbstständig werden; wenn sie ausziehen, um sich ein eigenes Leben aufzubauen. Danke, Mama, dass du stolz auf uns bist! Kinder können stolz auf ihre Mütter sein. Sie haben aus ihnen gute Menschen gemacht und eigentlich hören sie damit nie auf. An einem Diamanten muss geschliffen werden, damit er hell erleuchten kann und bis zur Perfektion können viele, viele Arbeitsstunden ins Land ziehen. Wir sind die wertvollsten Edelsteine für unsere Mütter. Und das dürfen wir nie vergessen, auch wenn es einmal schwere Momente gibt. Danke, Mama, dass du uns geschliffen hast! Mütter sind glücklich. Sie haben ihr Glück gefunden. Es erstrahlt über jeden dunklen Tag, über jede finstere Stunde hinweg. Und das mit einer Kraft und Ausdauer, wie es nicht der beste Marathonläufer leisten könnte. Wir suchen unser Glück. Der Sinn des Lebens ist die Suche nach dem Glück. Wir wollen es finden, ergreifen und nie wieder los lassen. Jahre unserer Jugend haben wir damit verbracht im Rausch, im Tanz, im Leben unser Glück aufzuspüren. Es aus dem Versteck zu treiben und einzufangen. Dabei haben wir unser Glück schon bei uns, wir müssen es nur umarmen: unsere Mütter (und auch Väter). Sie geben uns in jedem Gespräch, in jedem Beieinander sein, in jedem Gedanken etwas von ihrem Glück an uns Kinder ab. Wir müssen das Glück nicht suchen, das Glück findet uns und hat uns gefunden in dem Moment, als wir den ersten Atemzug taten. Danke, Mama, dass du unser Glück bist! Und damit sind Mütter vor allem eines für uns. Sie sind die beste. Danke, Mama!

Die etwas andere Weihnachtsgeschichte 24.12.2011 – Michael Krieger 13:12 Uhr, noch 5:48 Stunden bis zur Bescherung. Vater zersägt mit der Kettensäge den Weihnachtsbaum im knietiefen Schnee. Die beiden Söhne weinen und flüchten in ihre Zimmer. Das brachiale Schauspiel wollen sie nicht länger sehen. Vater senkt die Säge in den Baum, der im festen Schnee ruht. Es spritzt Holz und Schnee in hohem Bogen hinter der Säge. Der Hund ist begeistert und schnappt nach den Flocken in der Luft. 13:18 Uhr, noch 5:42 Stunden bis zur Bescherung. Mutter versucht die Söhne zu beruhigen. Gibt aber nach 8 Minuten und 12 Sekunden auf. „Dann gibt es dieses Jahr eben kein Weihnachten, wenn ihr euch nicht zusammen nehmen könnt.“, schreit sie und macht die Wäsche fertig. 13:31 Uhr, noch 5:29 Stunden bis zur Bescherung. Vater ist fertig und steckt den Baum wieder zusammen. Er wollte nur die blanken nicht ganz so schönen Stellen entsorgen. Der Baum ist nun füllig wie ein Katalogmodell und wandert ins Wohnzimmer. Dort hilft ihm Mutter in den Ständer. Sie gießt Wasser dazu. 13:38 Uhr, noch 5:22 Stunden bis zur Bescherung. Die Söhne müssen anrücken um den Baum zu schmücken. Ab und zu schluchzen sie noch. 14:45 Uhr, noch 4:15 Stunden bis zur Bescherung. Der Baum ist fertig. Großmutter väterlicherseits wird herbei telefoniert, sie wohnt gegenüber, um das Werk zu begutachten und weil sie eben eine gnädige Großmutter ist gefällt ihr das scheußliche Ding selbstverständlich. Die Enkelkinder strahlen wie Honigkuchenpferde. Kein Gedanke mehr an das Kettensägenmassaker des Vaters. 15:04 Uhr, noch 3:56 Stunden bis zur Bescherung. Die Söhne werden in Wintermäntel gesteckt und ins Auto verfrachtet. Besuch bei der Großmutter mütterlicherseits steht an.

15:30 Uhr, noch 3:30 Stunden bis zur Bescherung. Oma präsentiert die aktuellste Kollektion von Bären, die sie bis heute genäht hat. Die Enkelkinder verdrehen die Augen und spielen lieber mit den Hunden, die sie so lange ärgern, bis diese bellen. Oma reißt der Geduldsfaden und sie müssen wieder nach Hause. Mutter schüttet den Kaffee runter. 16:27 Uhr, noch 2:33 Stunden bis zur Bescherung. Das Weihnachtsessen wird vorbereitet. Teig, Salami, Schinken, Tunfisch, Tomaten, Zwiebeln et cetera et cetera. Wie seit Jahren gibt es Pizza. Die elendige Cousine der beiden Söhne hat sie sich gewünscht und weil sie das jüngste Kind ist, wurde der Wunsch prompt erfüllt. Und dabei ist noch gar nicht Bescherung. Unmöglich. Mal wieder werden Augen gerollt. Der Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, hässlich wie die Nacht, lässt die ersten Nadeln fallen. Die Fußbodenheizung bekommt ihm nicht so. 16:49 Uhr, noch 2:11 Stunden bis zur Bescherung. Die Verwandtschaft trifft ein. Darunter die Cousine. Die Söhne sehen sie böse an. Sie hätten lieber was anderes gegessen, dafür ist es aber nun schon zu spät. Auf dem Tisch, der bereits mit Lebensmitteln überfrachtet ist, stellt Tante noch ein paar Utensilien, auf die man weiß Gott verzichten könnte. Aber jetzt hat sie die schon dabei, also müssen sie auch benutzt werden. Kommt eben noch Mais auf die Salami-Schinken-Tunfisch-Pizza. Der Magen ist schon verdorben, bevor etwas gegessen wurde. 16:55 Uhr, noch 2:05 Stunden bis zur Bescherung. Die Geschenke werden von den Kindern unter den Baum gelegt. Da alle schon alt genug sind und sowieso kein Lurch mehr an das Christkind glaubt, ist das schneller zu erledigen als wenn Mutter nochmal ran müsste, die gerade total teigige Finger hat. Der Tannenbaum nadelt fröhlich vor sich hin. 17:11 Uhr, noch 1:49 Stunden bis zur Bescherung. Die Nichtsnutze, bezeichnet als Opa, Papa und Onkel stromern nun auch noch in der Küche umher. Ihre Aufgabe ist es im Weg zu stehen. Der Hund tobt auch noch durch die Menge und ist ganz glücklich, weil so viel los ist.

17:12 Uhr, eine Minute später als zuvor und noch 1:48 Stunden bis zur Bescherung. Oma bekommt den ersten Ausraster und wirft allen Belag von der Pizza. Das gehe alles so gar nicht, sagt sie und isst erst einmal ein Plätzchen um die Nerven zu beruhigen. 17:14 Uhr, noch 1:46 Stunden bis zur Bescherung. Der Mais landet im Müll, worüber sich zumindest ein Enkelkind freut, der das Zeug nämlich nicht abhaben kann. Der Rest ist zu Tode betrübt und isst erst einmal ein Plätzchen, für Oma schon das zweite. Heute lässt sie es aber wieder ordentlich krachen. 17:14 Uhr, gleicher Augenblick. Oma nimmt sich etwas vor: Ab morgen, ab morgen wird alles anders. 17:23 Uhr, noch 1:37 Stunden bis zur Bescherung. Die Pizza landet im Ofen und der surrt munter vor sich hin. Der Tisch wird abgeräumt und die Teller nehmen Platz. Die Cousine, die bisher nichts gemacht hat außer einem Vanillekipferl nach dem anderen in ihren Schlund zu schieben und dabei fetter und fetter zu werden, nimmt schon Platz. Der ältere der Söhne flippt daraufhin total aus und vermiest allen die Stimmung. Zur Strafe wird er kurz auf den Hof gelassen. Dort ist es kalt und dunkel. Er hetzt den Hund, der mit sollte, weil er allen auf die Nerven ging, von einem Schneehaufen zum nächsten. 17:40 Uhr, noch 1:20 Stunden bis zur Bescherung. Die Pizza wird nur auf einer Seite durch. Der Ofen macht schlapp. Das Blech kommt raus, alle überlegen kurz, dann nimmt Vater das Blech und marschiert damit zum nächsten Haus, man wohnt ja dicht beisammen, dort wird das halbfertige Produkt in die Röhre geschoben und munter geht es weiter. Der ältere Sohn durfte wieder ins Haus, er hatte sich beruhigt. 17:48 Uhr, noch 1:12 Stunden bis zur Bescherung. Die Pizza ist fertig. Das große Fressen beginnt. Es gibt kein Halten mehr, jeder kämpft für sich alleine.

17:40 Uhr, zwei Minuten später als zuvor. Die Pizza ist weg. Alles ist auf die Teller verteilt und weil jeder die Futterluke voll hat, wird auch nicht gesprochen. Der Baum nadelt fröhlich weiter. O Tannenbaum, O Tannenbaum, wie nadelst du schon heute. Wirst immer nackter wenn der Opa schreit. O Tannenbaum, O Tannenbaum, wie nadelst du schon heute. 18:15 Uhr, noch 45 Minuten bis zur Bescherung. Man ist mit dem Essen fertig und räumt den Tisch ab, was wieder Aufgabe der Frauen ist. Davon ausgenommen ist die Cousine, die schon wieder ihre Finger in den Vanillekipferln hat. Dieses gottlose Geschöpf kann es einfach nicht lassen. Der ältere Sohn holt mit einer Gabel aus und sticht sie ihr mit vollem Karacho in die Hand. Sie schreit wie am Spieß. 18:15 Uhr und 20 Sekunden, zwanzig Sekunden später als zuvor. Alle schreien am Spieß. 18:16 Uhr, noch 44 Minuten bis zur Bescherung. Der Onkel holt die Gabel mit einem Ruck aus der Hand und sagt, dass sie sich nicht so anstellen solle. Es sei schließlich Weihnachten und die Notärzte würden sowieso keine Zeit haben, die müssen ihre fette Gans fressen. 18:30 Uhr, noch eine halbe Stunde bis zur Bescherung. Die Hand der Cousine ist notdürftig versorgt und da die letzte Tetanusimpfung noch nicht so weit zurück liegt, reicht es, wenn man morgen zum Arzt fährt. Sie wischt sich eine Träne aus den Augen und der ältere Sohn muss sich für sein untadeliges Verhalten entschuldigen, was er auch tut. 18:34 Uhr, noch sechsundzwanzig Minuten bis zur Bescherung. Um die Wogen etwas zu glätten, da nun doch alle aufgekratzt sind holt Opa seine Nachtischwaffe aus dem Eisfach: Vanilleeis. Jeder greift beherzt zu und die fünf Liter Schachtel ist schneller leer, als man „Ja Wahnsinn!“ sagen kann.

18:36 Uhr, noch vierundzwanzig Minuten bis zur Bescherung. Mutter muss sich übergeben. Sie hat zu viel gegessen und das Eis schlug ihr ordentlich auf den Magen. Vater hat ihr die Haare zurück gehalten. Tante reicht ein Handtuch und Oma schimpft Opa, warum er denn unbedingt noch das Eis auspacken habe müssen. Ach übrigens, der Weihnachtsbaum ist schon fast so nackt wie vor der Motorsägenaktion des Vaters. Inzwischen sind die Nadeln am Boden so dicht, dass sich ein grüner Teppich über die Geschenke gelegt hat. Nadel, Nadel. 18:50 Uhr, noch zehn Minuten bis zur Bescherung. Bräsig liegen alle am Tisch herum. Man schaut sich nicht weiter an. Man verdaut das viele Essen. Mutter hat sich wieder beruhigt und sitzt bleich zwischen den anderen Gestalten. 18:51 Uhr, noch neun Minuten bis zur Bescherung. Oma fragt, ob man nicht schon das Christkind gehört habe, schließlich wäre es doch jetzt witzlos noch neun Minuten zu warten. 18:52 Uhr, noch acht Minuten bis zur Bescherung. Nein, wir warten. 18:53 Uhr, noch sieben Minuten. 18:54 Uhr, noch sechs Minuten. 18:55 Uhr, noch fünf Minuten. 18:56 Uhr, noch vier Minuten. 18:57 Uhr, keine spannenden Ereignisse zu melden. Doch was ist das, ich glaube ich habe eine Hasen gesehen. Ach, nein, war doch nur die Bratpfanne im Spülbecken. 'tschuldigung. 18:58 Uhr, noch zwei Minuten.

18:59 Uhr, noch eine Minute bis zur Bescherung. Opa steht auf und verschwindet im Flur. Obwohl keiner von den Lurchen an das Christkind glaubt, die Glocke ist obligatorisch. Jeder wartet, dass es endlich los geht und Cousine Vanillekipferl steht startklar vor der Tür, hinter der der Baum, natürlich nadelnd wie ein Weltmeister, auf seinen großen Auftritt wartet. 18:59 Uhr und 50 Sekunden. Noch zehn Sekunden bis zur Bescherung. Das Glöckchen erklingt. Alle warten, bis Opa wieder aus dem Flur zurück ist. 18:59 Uhr und 59 Sekunden. Noch eine Sekunde bis zur Bescherung. Cousine Vanillekipferl reißt die Tür auf und alle machen Ah! und Oh! bei bei diesem grässlich-schönen, halbnackten Weihnachtsbaum und erfreuen sich an den neuen Socken und Krawatten. 19 Uhr, Bescherung. Frohe Weihnachten.

Landschaften genießen bei dreihundert Stundenkilometern 25.12.2011 – Michael Krieger Im Schnellzug von Berlin nach München. Fahrzeit zirka sechseinhalb Stunden für rund siebenhundert Kilometer. Zwischenhalte unter anderem in Halle (Saale), Jena Paradies, Bamberg und Nürnberg. Erste Klasse. Sitzplatz Nummer einundsechzig. Fenster. Keiner sitzt gegenüber. Auch sonst ist die erste Klasse eher spärlich besetzt. Eine Familie steigt in Erlangen zu. Sie wollen bis nach Nürnberg. Für diese Strecke von weniger als dreißig Kilometern benutzt man doch nicht den Schnellzug. Das dachte sich wohl auch die Familie bestehend aus Mutter, Vater und Sohnemann. Sie kaufe nur ein Ticket für die Stadtbahn. Die Zugbegleiterin fragte irritiert nach, dass das hier nur ein Billett für die Stadtbahn sei, sie aber nun in einem Schnellzug säße und zu allem Überfluss auch noch in der ersten Klasse Platz genommen haben. Vater, vielleicht Mitte vierzig, Oberlippenbart und Halbglatze antwortet: Na und? Die restlichen Platzwärmer der ersten Klasse fangen an sich ins Fäustchen zu lachen. Ziemlich dreiste Antwort, denkt sich der Herr mit dem Pilotenkoffer und blättert in der Süddeutschen weiter. Auch immer wieder eine erstaunliche Feststellung, dass die Reisenden von Berlin nach München gerne die Süddeutsche lesen, während die entgegengesetzt Reisenden eher zur Frankfurter Allgemeinen griffen. Das sollte mal jemand soziologisch untersuchen. Alleine schon deswegen interessant, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass jemand, der zuerst von Berlin nach München fuhr auch wieder von München nach Berlin unterwegs sein wird. Außer Umziehende vielleicht, aber das macht auch nicht den Großteil der Zugfahrer aus. Sei es drum. Vielleicht bemüht sich einer um eine Studie, der Autor dieser wenigen Zeilen würde sich bestimmt darüber freuen selbige zu lesen. Ein Zustellung eines kostenlosen Abzuges wird gebeten. Die Zugbegleiterin steht immer noch bei der Familie und sieht etwas perplex auf das Stadtbahnscheinchen. Sie weiß nun auch nicht so recht, was sie mit dieser grandiosen Antwort anfangen soll. Der Süddeutscheleser (und vermutliche Frankfurterleser, wenn er denn in die andere Richtung unterwegs wäre) blättert weiter und grinst hämisch in die Seiten hinein. Die Familie lässt sich auch keineswegs abbringen, von ihrem Recht in einem Schnellzug zu sitzen und führt als Argument ins Feld, dass das ganz schön viel Geld gekostet habe und sie deswegen annahmen, auch einen Schnellzug damit benutzen zu können. Dem widerspricht die Zugbegleiterin zwar und die Mutter stimmt ihr diplomatisch zu, aber eine Lösung kann sie nun auch nicht anbieten. Der Unterschiedsbetrag von Stadtbahnticket und der Berechtigung in der ersten Klasse des Schnellzugs zu fahren, für die Strecke von Erlangen nach Nürnberg, beträgt pro Person einundzwanzig Euro und für das Kind nichts, weil er noch unter zwölf ist. Der Sohn schiebt sich seine Mütze zurecht. Mutter beobachtet es argwöhnisch, verkneift sich aber einen Kommentar. Sie müssten also zweiundvierzig Euro nachzahlen, was sie natürlich nicht wollen. Woher auch, sie haben ja einen durchaus gültigen Fahrschein bei sich, sie sitzen nur im falschen Verkehrsmittel. Der Süddeutscheleser legt nun die Zeitung auf dem Tischchen vor ihm ab und folgt der Szenerie mit einer gewissen Freude und auch Neugierde. In fünf Minuten wird der Zug wohl in Nürnberg einrollen und dann will die Familie sowieso aussteigen. Es bleibt also nicht mehr zu viel Zeit um das Problem des falschen Fahrscheins zu lösen und man kann sich schon irgendwie denken, dass die Familie genau mit diesen fünf Minuten pokert und so lange auf die Zugbegleiterin einredet, bis es irgendwann sowieso zu spät ist noch irgendwie einen Geldbetrag zahlen zu müssen, weil der Zug ja abgefertigt werden müsste. Die komplette erste Klasse ist nun bei der Sache und das trotz der frühen Morgenstunden, es ist kurz nach neun Uhr und die meisten Reisenden sitzen seit viertel vor fünf auf ihren Plätzen und pupsen selbige ordentlich voll, weil sie am vorigen Tag noch eine köstliche französische Zwiebelsuppe verspeisten, die ihnen die Blähungen nur so aus den Pobacken bläst. Aber natürlich spannen sie alle zusammen die Muskeln an, dass es nicht auch noch ein bisschen Feuchtes mit hinaus weht und in der nicht mehr ganz so weißen Unterhose landet. Und natürlich auch, damit der Klang der Flatulenz den anderen, im selben Wagen Sitzenden, nicht ans Ohr dringt und darauf aufmerksam macht, dass man am gestrigen Tag noch französische Zwiebelsuppe literweise in sich hinein schaufelte. Nein, nun wirklich nicht. Nachdem aber alle nochmal einen sausen ließen erreichte der Schnellzug schon den Nürnberger Bahnhof und die Familie stand auf und verließ den Wagen, ohne etwas nachzuzahlen.

Sexualpenetration IV 26.12.2011 – Michael Krieger Es gibt Freunde, normale Freunde, männliche Freunde, die würden ganz gerne mal mit einem Mann schlafen. Aber sie trauen sich nicht. Die Neugierde ist riesig, die Angst gigantisch. Für manche ist es schon eine Herausforderung in die Sauna zu gehen und alles so zu zeigen wir es ist. Für andere eher nicht, die wollen es zumeist aber nicht probieren. Einer ist sich auch nicht sicher, ob er nicht sogar auf Männer steht. Er weiß es nicht und nun soll es meine Aufgabe sein, diese Unsicherheit in Gewissheit in beiderlei Richtungen herauszufinden. Er hat eine Freundin. Die ist von seinem Hin und Her genervt und nicht wirklich begeistert. Immer wieder spricht er davon und weil ich es auch schon nicht mehr hören kann, habe ich ihm einen Dreier vorgeschlagen. Kurz bleibt ihm die Spucke weg. Dann lächelt er mich an an. Sein Lächeln wandert zu seiner Freundin, die winkt aber ab. Darauf habe sie so gar keine Lust. Sie wolle ihn eben nicht teilen. Und schon gar nicht mit einem anderen Mann. Daraufhin dann er, dass er sie doch mit einem anderen Mann teilen müsse. Sie winkt erneut ab und schreit ihn an, dass er doch hier rumprobieren wolle, dann solle er doch machen. Sie geht davon. Er steht bedröppelt da und weiß nun nicht, was er machen soll. Ich schlage ihm vor, er solle es einfach sein lassen. Aber das Phantom ist nun im Leben und er kann nicht mehr davon ablassen. Wochenlang spricht er auf sie ein, irgendwann gibt sie dann auf. Er ruft mich an, eine halbe Stunde später bin ich in seiner Wohnung. Es sind Kerzen aufgestellt. Klein künstliches Licht brennt. Seine Freundin liegt auf seinem Bett und trägt lediglich ein Negligé. Ihre Scham ist nicht bedeckt. Die Haar sprießen schon wieder etwas. Er hat nur ein Handtuch um die Hüften geschwungen. Er ist nervös. Seine Brustwarzen sind hart. Er streicht sich die Haare glatt. Er bittet mich in den Raum und ich setze mich in den Sessel. Auf das Bett gesellt sich er zu seiner Freundin, die mit ihren Locken spielt. So genau weiß er nicht, was er nun tun soll. Er wartet wohl darauf, dass ich loslege. Im Hintergrund schwappt leichte elektronische Musik in den Raum. Die Kerzenflammen tanzen im Luftzug. Ich trinke von meinem Weißwein, den er mit hingestellt hat. Dann ziehe ich mein Oberteil aus. Seine Freundin sieht mir zu. Er lächelt verlegen und sieht nicht so wirklich hin. Als ich nur noch eine Unterhose trage gehe ich zu den Beiden aufs Bett. Ich lache, als ich mich zischen die Beiden setze. Seine Freundin lacht mir. Er versteht nicht, warum wir lachen. Die Situation ist einfach zu surreal. Ich lehne mich zurück und fordere sie zwei auf anzufangen, ich würde dann einfach irgendwann hinzustoßen. Im besten Sinne. Sie legt ihre Hand auf seinen Oberschenkel. Sie küssen sich. Sie schiebt ihre Hand unter sein Handtuch und öffnet es von innen. Sein Penis ist schlaff und liegt in seinem Stoß. Er ist nicht rasiert. Sie legt ihre Hand auf sein Glied und streichelt mit den Fingern darüber. Langsam pumpt das Blut hinein. Meiner ist schon hart. Die Unterhose wird wie ein Zelt angehoben. Ich streichele über ihren Rücken. Sie lässt es sich gefallen. Dann über seine Schulter, er zuckt zunächst, lässt mich dann aber doch gewähren. Ich ziehe mir die Unterhose selbst aus und Knie mich hin. Sie sitzen direkt vor mir. Ich fasse über seinen Rücken und lasse die Hand über seinen Hintern gleiten. Meine Finger erreichen seinen Oberschenkel, er nimmt ihn auseinander. Sein Penis steht steif nach oben. Ich berühre die Eichel und er stöhnt leicht. Seine Freundin legt sich zurück und spreizt die Beine. Ihre Schamlippen sind angeschwollen. Sie presst sie mit zwei Fingern auseinander und penetriert sich mit der anderen. Ihr Freund sieht ihr dabei zu. Ich hole ihm einen runter. In Hündchenstellung hocke ich vor ihm. Er setzt an und schiebt seinen Penis in meinen Anus. Seine Freundin sitzt vor mir und ich fingere in ihrer Vagina. Sie ist feucht. Bis auf Anschlag ist er drin und er fickt mir. Er stöhnt und ist bis zum Exzess. Sie mir ihm. Ich mit den beiden. Das Pärchen sitzt vor mir. Sie küssen sich. Ich lutsche seinen Penis, dann lecke ich ihre Vulva. Abwechselnd. Dann richtet er sich aus und ich blase ihn so lange, bis er kommt. Dann bin ich doch etwas überrascht, als er sich zwischen meine Beine legt und auch mich französisch befriedigt. Sie packt seine Penis und beginnt von Neuem ihn steif zu bekommen. Beide sind höchst erregt. Ich komme und spritze auf seine Brust ab. Er verreibt es und sie kostet davon. So weit würde ich nie gehen, aber so lange es ihnen gefällt. Wir treiben es mehrmals an diesem Abend.

Alles nicht so der Hit hier 27.12.2011 - Michael Krieger Zäh ziehen die Tage ins Land. Es ist keine Veränderung feststellbar. Alles verhaftet in Starre. Keine Bewegung. Dumpf. Die Provinz klebt. Man gewöhnt sich nicht an die Stille. Nur alle paar Stunden fährt ein Automobil am Haus vorbei. Ich starre aus dem Fenster und verhafte in der Leere. Meine Augen fokussieren nichts. Ich bin geistig nicht anwesend. Mein Körper schaukelt sich selbst, weil er nichts mit sich anzufangen weiß. Die Auswahl ist begrenzt. Man ist gezwungen zum Nichts. Ich kann mich nicht aufraffen und ein Buch lesen. Dazu fehlt mir die Kraft. Die Provinz raubt mir meine Lebenskräfte. Am liebsten schläft man oder man sieht fern. Das sind die Beschäftigungen, die mich umtreiben. Ich hasse es fern zu sehen. Es läuft so viel Schrott. Zu viel Schrott. Eigentlich nur Schrott. In den letzten vier Tagen habe ich bestimmt vierzig Wohnungen von Messie-Menschen gesehen. Die haben wenigstens was zu tun, also die Aufräumer. Ich würde ja glatt helfen, weil ich nichts mit mir zu tun weiß. Ich lege das Buch nach wenigen Seiten weg. Ich weiß schon gar nicht mehr, wo ich in der Geschichte bin. Ich massiere mir die Schläfen, dann die Augen und schließlich das ganze Gesicht. Ich könnte schon wieder schlafen. Schlaf ist inzwischen meine Hauptbeschäftigung. Und wenn ich nicht schlafe, dann esse ich. Irgendetwas muss man ja machen können. Wenn es Abend wird, dann kommen die Geister zum Vorschein, die es gar nicht geben kann. Man könnte ja auch noch weggehen. Man schreibt ein paar Freunden aus alten Tagen. Schließlich ist man nur zu Besuch und zu viel kann man da eben nicht machen, außer sich mit alten Freunden zu treffen. Die sind aber nur noch Bekannte. Mit ihren Lebensstilen kann ich nichts anfangen. Sie sind austauschbar. Wir verabreden uns auf einen Cocktail in der nächsten Stadt. Eine Stunde später bin ich da, als erster. Wie immer. Daran hat sich noch nie was geändert. Ich setze mich aber noch nicht rein, sondern warte noch auf die anderen. Sie kommen im Pulk. Wie immer. Daran hat sich noch nie was geändert. Wir begrüßen uns höflich und treten durch die Tür in die Bar, das Café oder das Restaurant. Vermutlich ist es alles in einem. Die Plätze sind gut belegt. Wir finden einen freien Tisch. Das Ambiente gefällt mir nicht. Ich mag es etwas finsterer, kaputter, gebrochener. Nicht so ohne Fehler, ohne Makel. Nur kein Aufsehen erregen. Was in der Stadt nicht funktioniert, wird in der Provinz erwartet. Der Erwartungsdruck existiert eigentlich in der Stadt nicht, in der Provinz ist es das Non-PlusUltra. Wir bestellen. Alle das gleiche. Nur die Autofahrer trinken etwas Nicht-Alkoholisches. Daran hat sich auch noch nie was geändert. Wir stoßen an, auf die gute alte Zeit, die mir nur noch wie ein schlechter Witz meiner selbst vorkommt. Wie eine Ahnung von etwas, das in mir verloren ging. Sie unterhalten sich über Kinder, Häuser bauen und die ewig gleichen Leute, von denen ich in den letzten Jahren noch weniger gehört hatte als von denen, die mit mir nun einen Cocktail schlürfen. Ich beteilige mich nicht am Gespräch. Immer wieder werden mir zwar Fragen gestellt, da es sich aber ausschließlich um Höflichkeitsbekundungen handelt, habe ich nicht sehr große Lust mich ausgiebig mit der Beantwortung abzumühen. Ich starre wieder ins Leere. Zu Essen bestelle nur ich etwas. Ich dachte das wäre aber so Sitte, dass man sich zum Trinken verabredet, dann aber auch was isst. Gut, dann eben nicht. Die Suppe ist nicht besonders toll. Ich werde mich später nicht mehr daran erinnern können, wie sie nun genau schmeckte. Ich übertreibe und um meine Abscheu noch besser zum Ausdruck zu bringen esse ich ganz vornehm und gestochen. Die Serviette auf den Oberschenkeln, den Löffel zum Mund führen und nicht den Mund zum Löffel und wenn man den letzten Rest hat, dann kippt man das Teller zur Mitte des Tisches hin leicht an. Zu guter Letzt lege ich den Löffel verkehrt herum in den Teller. Damit möchte ich dem Kellner eigentlich sagen, dass ich es nicht besonders gut fand. Er fragt aber trotzdem, ob es mir geschmeckt habe. Ich winke nur ab. Er geht davon. Ein Trinkgeld wird es von mir nicht geben. Auf die Frage, ob man denn nicht noch Tanzen gehen möchte folgt, was folgen musste: Wir wissen nicht wohin und was überhaupt gut wäre. Die Auswahl ist beschränkt und alles ist eher schlecht als gut. Alles nicht so der Hit hier.

Verwandtschaft erledigt 28.12.2011 - Michael Krieger Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Und die liebe Verwandtschaft auch. Und dann sitzen wir wieder um Tische und Stühle herum, die sonst in Kellern vermodern und verstauben und tun einen auf gute Laune und Hoffnungsmut. Da sitzt die Tante aus Frankfurt, dort der Onkel vom Nachbardorf und so genau auseinanderhalten kann man sowieso keinen von diesen Gestalten. Schon gar nicht als das Enkelkind, dass die Geschwister der Großeltern nicht einmal anhand der Zahl weiß. Man schätzt, dass dieser dorthin, derjenige woandershin gehört. Es geht auch gar nicht darum fragen zu können, ob nun dieses oder jenes irgendwie erfolgreich abgeschlossen wurde, was man einem am letzten Weihnachtsfest so erzählte. Zudem wissen das die anderen auch von einem selbst gar nicht mehr. Sondern vielmehr muss jeder selbst die Geschichten des Jahres auspacken. Weil man aber eben sich auch unterhalb des Jahres nicht wirklich sehe, sondern immer nur am Jahresende, wird das schon ziemlich schwierig. Man verzichtet also auch auf den Jahresrückblick. Den macht schon Günther Jauch und zig andere im Fernsehen, da muss man keinen persönlichen mehr hinten an schieben. Also verstrickt man sich in Erzählungen, die man auch schon letztes Jahr gehört hat, aber weil man sonst nichts zu sprechen habe, muss man eben diese wieder auspacken und auffrischen. Aber schön, dass es allen jedes Jahr so gut gefällt, dass man sich auf dem Weg nach Hause schon auf die gleiche Feier mit den gleichen Gesichtern am gleichen Ort in genau einem Jahr erfreut. Noch ist es aber nicht so weit. Noch sitzt man auf dem Bauerlandhausstilstuhl um den entsprechend zum Programm des Kaufhauses gehörenden Tisch und bestaunt sich gegenseitig mit einer gewissen angewiderten Zuneigung. Alle sollen Sekt trinken, keiner will, alle müssen. Der Gastgeber schenkt kräftig den ostdeutschen Premium-Perlwein ein und munter geht das Saufen los. Die Uhr schlägt gerade einmal drei Uhr nachmittags. Die Gastgeberin räumt das Kaffeegeschirr weg, die erste Runde an Plätzchen und dickmachenden Kuchen und Torten ist in den Mündern verschwunden. Sie will sich partout nicht helfen lassen. Auch das hat inzwischen Tradition. Mit ihrer kaputten Hüfte müht sie sich ab, wird aber auch fuchsteufelswild, wenn man ihr zur Hand gehen möchte. Gut, dann mache es doch alleine. Als sich die Mägen vom Zuckerschock erholt haben, folgt der Fettschock. Gepellte Würste, geräuchertes Fleisch, besonders fettiger, aber leckerer Käse sind auf blechern schimmernden Platten aufgebaut wie ein Kunstwerk und werden in die Mitte der Tische gestellt. Schneller als erwartet tauchen Messer, Gabeln und Teller auf. Brot wird herum gereicht und auch wenn man eigentlich noch nicht möchte, kommt man nicht umhin beherzt zuzugreifen. Selbst den anwesenden Pseudovegetariern wird das Maul wässerig und sie stecken sich nur dann eine Wurst in den Schlund, wenn gerade alle wegsehen. Als die Platten immer noch gefühlt randvoll gefüllt sind legen sich die ersten zurück und müssen ihre Hosen etwas entspannen. Der Magen hat sich wie eine Kugel aufgebläht und ist bis zum Anschlag mit Nascherei und Tierwaren gefüllt. Man möchte sich übergeben, der Anstand gebietet aber ein anderes verhalten. Auf die Frage hin, ob man nicht noch etwas Nachschlag wollen und gerne zugreifen könne hebt man nur die Hand und schüttelt den Kopf, was aber nichts anderes zur Folge hat, dass erneut eine Scheibe Brot auf dem Teller lande und weil nun diese schon mit Meerrettich, Senf und Butter bekleckert ist kann man sie nicht mehr zurück legen und muss sie essen. Komme was wollen, irgendwohin gedrückt bekommt man es doch immer. Man hat auch noch nie bei einem Nachweihnachtsessen jemanden kotzen sehen, wenn es nicht unbedingt sein musste, oder? So auch hier nicht. Die Scheibe Brot ist weg und aus Angst, dass nochmal eine vor einem lande legt man die Serviette auf den Teller. Ist zwar unhöflich, dafür aber effektiv. Als dann alles verzehrt ist und der Gastgeberin wieder nicht geholfen werden durfte den Tisch abzuräumen kommen die Plätzchen vom Anfang wieder zurück. Es gibt doch tatsächlich einige, die jetzt noch etwas essen können. Wie nur, wie nur machen sie das? Im Auto sitzend ist man aber doch ganz froh, dass die Verwandtschaft erledigt ist.

Regencapes und Schokosoßen 29.12.2011 – Michael Krieger Du, genau du, Leser, Leser dieses Textes, dich meine ich. Jetzt nicht weglesen, schön hier bleiben. Entkommen kannst du doch sowieso nicht. Du hast mit dem Text schon angefangen, jetzt musst du auch dabei bleiben. Du gehst heute noch aus dem Haus. O, ja. Du gehst heute noch aus dem Haus und zu einem Geschäft, wo du dir einen Regenmantel kaufen kannst. Oder noch besser ein Regencape. Also einen Umhang ohne Ärmel. Einen schönen festen, nicht so ein wischiwaschi Teil, das beim geringsten Windstoß flattert als gäbe es keinen morgen. Du kaust also ein festes Regencape. Wenn du wieder zu Hause bist, dann rufst du diesen Text hier wieder auf, um die nächsten Instruktionen entgegen zu nehmen. Also los. Husch! Husch! Auf geht’s, ein Zehner wird schon noch im Portemonnaie sein. Viel Spaß. Und wenn du schon unterwegs bist, dann nimm vorsichtshalber Schokosoße mit, wenn du keine haben solltest. Obwohl auch Trinkschokolade ginge oder Kaukau. Irgendetwas Schokoladiges eben. Also los. Geh einkaufen. Was liest du denn noch, geh endlich einkaufen! Ah. Hallo. Hier bist du also wieder. Und du hast wirklich ein Regencape gefunden? Wo? Ich habe nämlich keines finden können, war aber auch nicht viel suchen. In zwei Geschäften und dann habe ich es aufgegeben. Also, wo hast du deines her? Interessant. Du darfst schon mit mir sprechen, oder kommst du dir dabei etwa blöd vor, wenn du mir einem Text sprichst? Jetzt stell dich nicht so an, du darfst auch Text zu mir sagen. Ich mag das. Da stehe ich total drauf. Text. Cool. Also, geil, dass du ein Regencape gefunden hast. Und Schokosoße auch dabei? Sehr gut. Kann stolz auf dich sein, aber ich wusste ja, dass ich mich auf dich verlassen kann. Gut. Dann darfst du jetzt auch weiter lesen. Beziehungsweise, du darfst den Instruktionen nun folgen. Und an alle, die das bis hierher gelesen haben und aber noch kein Regencape haben und schon gar keine Schokosoße, die können gerne raus in den Garten gehen und eine Runde im Dreck spielen, denn da gehört ihr hin. Dreck zu Dreck. Tschüs. Nur die Coolen dürfen dabei bleiben, denn die haben es drauf. Also, die Spreu ist vom Weizen getrennt, weiter geht es. Zieh nun das Regencape an, achte aber darauf, dass du darunter komplett nackt bist. Das ist total wichtig, weil ich möchte dich nicht nochmal losschicken müssen, weil deine Klamotten voll im Arsch sind, also besser ausziehen und dann Regencape drüber. Fühlt sich auch geil auf der Haut an. Musst du mal ausprobieren. Also los, dann hier weiter. Gut, du bist also nackt unter dem Regencape. Jetzt hol die Schokosoße. Ach, entschuldige, sie steht schon da. Hatte sie nicht gesehen. Ist auch total genial, dass du Schokosoße gekauft hast und eben nicht einen Kaukau, oder noch besser, Kaba, gemacht hast. Also gut. Hör auf die im Schritt zu spielen, wir machen hier ja auch nichts Perverses. Wenn du glaubst, dass das hier was Perverses ist, dann bist du bei mir aber an der falschen Stelle. Der Text steht nicht auf pervers. Aber versaut darf es sein. Versaut ist total gut. Richtig gut. Woa, da werde ich ganz wuschig, wenn ich das Wort nur lese: versaut. Geile Scheiße. Richtig geil. Woa, geil. Sag meinen Namen! Sag meinen Namen! Sag ihn! Ja, Text. Nenne mich Text. Text! Geil! Text! Textgeil! Ja, Alter, ich bin es, der Text und ich bin geil. Wuhu, ich muss mich wieder fangen. Entschuldige bitte, dass ich kurz abgeglitten bin, normalerweise passiert mir das nur, wenn ich römische Buchstaben im Titel habe. Ich sollte mal einen Text einfach nur Sex nennen, das wäre bestimmt der Hit. Ach, entschuldige, du hältst ja immer noch die Schokosoße in der Hand. Also gut. Mach die Schokosoße auf. Gut, dass du sie schon so lange in der Hand hältst, da ist sie nicht ganz so kalt. Also nimm die Schokosoße und mache den Deckel ab. Gut. Du bist echt total cool. Nicht so wie die Pfeifen, die draußen im Garten im Dreck spielen. Dieser Dreck. Total die Verlierer. Total die Lehrer. Lehramtsstudenten sind sowieso so langweilig. Außer sie haben jetzt ein Regencape auf der nackten Haut an und lesen gerade weiter und halten die warme Schokosoße in der Hand, dann bist du cool, wenn du Lehramtsstudent bist. Ansonsten nicht! Dann bist du ein Penner, weil du weiter gelesen hast, ohne das zu machen, was ich, deine Herrscherin, dir befohlen habe. Ich schweife schon wieder ab. Also nimm die Schokosoße und mit der anderen Hand schiebst du den Kragen etwas vor. Du musst es wirklich machen, sonst spreche ich nie wieder mit dir. Also nimm die Schokosoße und gieße sie komplett rein. Geil, was?!

Mutprobe 30.12.2011 – Michael Krieger Worin könnte eine richtig gute Mutprobe bestehen, wenn man Ferienkinder im Ferienprogramm eine Nachtwanderung anbietet? Wir wandern durch den Wald, soviel steht auf jeden Fall fest. Für die Kinder ist es bestimmt spannend und auch beängstigend und für mich ist ein soziologisches Experiment, ob sie sich bei Dunkelheit anders verhalten als bei Tageslicht. Was erwarte ich zu beobachten? Bei Tageslicht werden die Kinder aufmüpfig sein, vielleicht auch etwas gelangweilt, weil wir so eine weite Strecke laufen werden und je dunkler es wird, desto mehr werden sie zusammenrücken, Haufen bilden und das Meckern wird komplett verschwinden. Es ist faktisch egal, wie lange wir noch gehen werden, sie wollen nur, dass es irgendwann vorüber ist. Ich schreibe mir ein paar Notizen auf, lege Stift und Blatt beiseite und reibe mir die Schläfen. Ich kann die Nachtwanderung nicht nur als soziologisches Beobachtungsfeld nutzen, immerhin verlange ich pro teilnehmendem Kind einen Euro. Na gut, eine Mutprobe muss auch noch her. Den Weg weiß ich schon. Wir werden durch den Wald zu einer Senke marschieren und durch diese Senke muss oder darf dann jedes Kind alleine oder in einer kleinen Gruppe laufen. Experimente sind immer gut, die gehören schließlich auch zur Soziologie. Wie verhalten sich die Kinder, wenn sie aufgefordert werden alleine zu gehen, sofern meine erste Hypothese auch zutreffen wird. Vermutlich werden sich die Jungs eher bereit erklären alleine zu gehen, während die Mädchen in Gruppen von zwei oder drei Personen laufen wollen. Für einen Gleichberechtigungsverfechter wäre meine Annahme wohl unter aller Sau, wir sprechen hier aber nicht von theoretischen Modellen, sondern von einer Vorannahme und ich gehe davon aus, dass meine richtiger sein wird als seiner Genderblah. Na gut. Mutprobe gebongt. Am nächsten Tag soll es losgehen. Bis zum Wald läuft auch alles soweit so gut. Ich werde mehrmals von den Kindern gefragt, ob es noch weit wäre und wie lange wir überhaupt laufen wollen. Als wir den Wald betreten wird es stiller und zunehmend dichter. Vorher war es ein Graus die Gruppe zusammen zu halten und es sind nur zwanzig Kinder. Die Bäume stehen dicht, die Kinder stehen dicht. Beobachtung und Häkchen dahinter. Wir marschieren weiter und es wird immer dunkler. Tags zuvor hatte ich an einer Lichtung Süßigkeiten in Plastikbeuteln versteckt. Genau zwanzig Stück und weil es noch nicht so schrecklich finster war, wurden auch alle gefunden. Sie futterten fleißig und waren dabei still. Es bildeten sich zwei Gruppen heraus. Die eine ging mit mir vorne weg und die zweite ballte sich um einen Freund, der mir bei der ganzen Sachen seine Unterstützung anbot und auch, weil er sehen wollte, wie ich so in der Realität forsche. Bestimmt ganz fürchterlich spannend. Die Kinder löchern mit Fragen und wollen wissen, wie lange wir noch gehen werden. Die Entfernung spielt keine Rolle mehr. Ich verrate aber nicht, dass wir noch zwei Stunden marschieren werden. Wir kommen an der Senke an. Nebel streift über die Wipfel und an den Nadeln der Bäume verfängt sich Tau. Die Luft ist feucht, die Laute sind dumpf. Ein Uhu schreit und fliegt davon. Mein Puls geht kurz hoch, ein paar Kinder haben sich sehr erschrocken. Man mag gar nicht glauben, wie groß diese Vögel sind. Wirkliche Giganten und das in unseren Wäldern. Die Senke ist finster. Es ist Neumond und kein Licht dringt durch das Blattwerk. Ich leuchte mit meiner Feuerwehrlampe in die Senke. Wenn da jetzt ein Wolf stünde, ich wäre geflüchtet und zwar als erster und hätte die Kinder zum Fraß da gelassen. Meine Angst vor Wölfen und großen Hunden ist tief verwurzelt. Das glaube ich gibt es sogar als Krankheit: Lupusphobie, oder so ähnlich. Ich sage den Kindern, wie die Mutprobe aussieht und damit sie den Weg wissen, gehe ich als erster durch die Senke und strahle auf der anderen Seite einen Baum an, damit ist das Ziel markiert. Um noch eins drauf zu setzen, rate ich ihnen das Licht auch noch auszuschalten. Wer will kann es aber anlassen. Ich gehe los und mache nach ein paar Metern meine Lampe aus. Es ist stockfinsterste Nacht um mich herum. Nach einigen weiteren Metern höre ich die Gruppe hinter mir kaum mehr, die Augen versuchen sich verzweifelt an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich strecke die Arme aus, um nicht gegen einen Baum zu laufen. Es knacken dünne Äste unter meinen Sohlen. Mein Pulsschlag ist bei dreihundert, gefühlt. Plötzlich schießt die Angst in mir hoch. Angst vor dem Wald. Ich fürchte mich und mache die Lampe wieder an. Als ich sehe, dass ich noch ein paar weitere Meter gehen muss, fange ich an zu rennen und schreie über die Senke hinweg, dass es losgehen kann. Ich hoffe, dass die ersten Kinder bald da sind und kein Wolf um die Ecke lugt.

Alles auf Anfang 31.12.2011 – Michael Krieger Capture A Du sitzt im Bus. Gerade eben, dass heißt vor einer viertel Stunde, standest du noch am Potsdamer Platz in Berlin-Mitte. Über zwanzig Minuten hast du auf den Nachtbus gewartet. Mit Freunden warst du trinken und weil ihr euch alle zusammen noch nicht so in der Stadt auskennt, habt ihr euch gedacht, dass am Potsdamer Platz bestimmt der Punk ab geht. Zwar habt ihr nach gut einer halben Stunde schon gemerkt, dass sich dort nur Tou risten tummeln und von den Einheimischen nicht mal der Hauch einer Ahnung existiert, aber da ihr nun schon hier ward, sei es drum gewesen und ihr habt euch in einer Bar voll laufen lassen. War nicht ganz billig und ihr habt auch anderes von Berlin gehört, was auch stimmt, aber eben nicht am Potsdamer Platz, aber wie gesagt, ihr ward schon da und überhaupt und sowieso. Du hast dir den Hintern abgefroren. Der Nachtbus ließ auf sich warten und der Wind pfiff mit aller Kraft durch die Häuserschluchten. Die Hochhäuser waren illuminiert, wirkten trotzdem kalt. Kaum Menschen unterwegs. Du hast alleine gewartet. Deswegen warst du auch verunsichert, ob hier wirklich der Bus hält, ob er wirklich hier vorbei kommt. Man kann nicht mehr genau sagen, wie oft du auf den Stadtplan an der Bushaltestelle gesehen hast. Es waren dutzende Kontrollblicke. Und als der Bus endlich um die Ecke bog und dich aufnahm warst du heilfroh und freutest dich schon auf dein Bett. Noch eine Station bis zum Hermannplatz in Neukölln. Deine Wohnung liegt in Rixdorf. Du willst am Hermannplatz umsteigen. Deine Behausung gefällt dir zwar, aber an den Stadtteil hast du dich noch nicht gewöhnen können. Noch immer fürchtest du dich vor den dunkel gekleideten Jungmännergruppen, die den ganzen Tag, und wirklich den ganzen Tag, durch die Straßen ziehen. Immer bist du auf Flucht eingestellt. Den Schlüssel fest mit der rechten Hand umschlossen. Der Schlag würde sitzen. Die Muskeln sind wie Federn gespannt. Jederzeit bereit. Du schlägst nicht gerne, aber Angriff ist die beste Verteidigung. Noch ist es aber nicht so weit. Du bist immer noch im Bus. Seit dem Potsdamer Platz sind noch ein paar mehr Menschen eingestiegen. Eine Frau in einem beigen und dunkel-beigen Mantel. Gibt es dunkel-beige eigentlich als Farbe, oder ist das ein anderer Ton? Es ist aber eindeutig dunkel-beige. Der Mantel ist beige und dun kel-beige. Du denkst noch ein paar Augenblicke darüber nach, dann schweifen deine Ge danken schon wieder davon. Die Frau im Mantel hat krause blonde Haare. Sie wirken stumpf. Die Spitzen sind zersplittert. Sie hat eine schwarze Handtasche aus Leder bei sich. Sie spricht mit niemanden und sitzt alleine. Ihr Gesicht spiegelt sich in der Scheibe

des Busses. Ihr Gesicht ist ausdruckslos. Sie denkt an nichts. Die Welt rast an ihr vorbei, sie nimmt nicht daran teil. Auf der anderen Seite des Gefährts sitzen zwei Jungs mit Bomberjacken. Der Typ von Mensch, vor dem du dich ängstigst. Sie spielen auf ihren Telefonen. Dabei kauen sie mit weit geöffneten Mündern, so dass das Kauobjekt weiß schimmert und mit jedem Zerdrücken zwischen den Backenzahnreihen zischt, weil es den Speichel aus den Mulden und Lücken drückt und in die Mundhöhle flitscht. Ihre Haare sind gegelt. Nach hinten. Streng. Sie sehen wie Zwillinge aus und wenn es hochkommt sind die aber maximale Cousins. Um ihren Hälsen baumeln Ketten aus goldenem Messingschmuck. Turnschuhe in weiß. Jeans in jeansblau. Sie lachen miteinander. Der Rest interessiert sie nicht. Du solltest sie aber nicht zu lange ansehen, sonst könnte es doch noch gefährlich werden. Das glaubst du zumindest. Im Gelenkstück, es handelt sich um einen Gelenkbus, steht eine Frau mit Dread-Locks und Puffhose. Ihre Schuhe sind aus orangefarbenem Stoff. Ziemlich zerfleddert. In der Nase ein Piercing. Sie trinkt Club Mate. Vermutlich mit Wodka gemischt. Sie wirkt zumindest sehr angetrunken. Ihr Begleiter dürfte ein paar Jahre älter sein als sie und könnte die Ende zwanzig erreicht haben. Er trägt eine Brille, die für seine runde Kopfform unpassender nicht sein könnte. Seine Haare sind kurz geschoren. Er trägt einen Rucksack bei sich. Auf seinem Hemd steht FBI, was wohl Female Body Inspector heißen soll. Das liest du zumindest darunter. Du verdrehst die Augen. Solche Typen gibt es aber wirklich überall. Er wirkt arg provinziell und du weißt gar nicht, was die Frau von ihm will. Aber so fertig wie sie aussieht, wird das wohl ein Resteficken werden. Es dämmert am Horizont. Man fährt gen Osten, auch wenn wir immer noch im Westteil der Stadt sind. Capture B Und da siehst du noch eine Person. Einen jungen Mann. Er hat sich zu dir in einem Vie rerblock gesetzt. Außer euch beiden hat niemand mehr Platz genommen. Sein Gesicht ist kantig. Seine Haare unordentlich und aschblond. Eine Nerdbrille ziert seine Nase. Die Lippen sind scharf gezogen. Gut gekleidet. Schick aber nicht übertrieben schick. Seine Haut ist nicht glatt. Sie erzählt Geschichten. Du fixierst ihn. Er sieht aus dem Fenster und lässt die Stadt an sich vorbei fahren. Er atmet schwer. Wirkt schon etwas träge. Die Nacht war wohl schon lange. Die letzten Züge der Dunkelheit werden von den ersten Sonnenstrahlen vertrieben. Er sieht durch den Bus. Du kannst den Blick nicht von ihm lassen. Die Blicke treffen sich. Du lächelst ihn an, siehst dann aber verstohlen wieder weg. Ich lächle zurück. Wieder und wieder treffen sich unsere Blicke. Wie magisch angezogen. Ach jetzt nur etwas sagen, denkst du dir und beißt dir im gleichen Augenblick auf die Lip -

pen. Wenn man nur das tun könnte, was man sich jetzt in Gedanken vornimmt, aber die selben Gedanken hindern dich auch daran aktiv zu werden. Du weißt, dass es an dir hängt. Er richtet sich auf seinem Sitz ein, wendet die Beine in deine Richtung, die Schultern ebenso. Alles deutet auf Offenheit hin. Jede Bewegung zeigt Zuwendung. Nun bist du an der Reihe die Zeichen zu beantworten. Du denkst hin und her und hin und her und hin und her. Böser Engel oder braver Teufel oder anders herum. Entscheide dich. Du musst etwas unternehmen. Die Ansage ist schon erschallen, dass die nächste Station gleich erreicht sein wird. Du musst umsteigen. Kannst also nicht weiter daran arbeiten. Es kann nicht subtil bleiben. Ich sehe aus dem Fenster, dann wieder zu dir. Meine ganze Körpersprache habe ich zu dir hin ausgelegt. Ich warte auf deine Reaktion. Capture C Die Frau im beigen, dunkel-beigen Mantel steht schon auf. Sie geht auf die Tür zu. Die zwei Jungs mit dem Bomberjacken habe ihre Telefon weggesteckt und keilen sich. Der Bus bremst an. Die Frau mit den Dread-Locks und ihr Restfick werden noch vorne geworfen. Sie fallen fast, können sich aber noch fangen. Alles schaukelt. Du wippst mit. Ich fahre entgegen der Fahrtrichtung und werde in meinen Sitz gedrückt. Dein Kopf schwirrt. Das Faultier drückt den Knopf an der Tür, noch ist er nicht freigegeben. Die Affen keilen sich immer noch. Springen wie wild umher. Der Orang-Utan in der Puffhose klammert sich an eine gelbe Stangen-Liane und ihr Rhinozeros trampelt durch den Bus. Ich brumme wie ein Pandabär. Dir schwirrt der Kopf. Es ist ein Irrenhaus. Ein Affenhaus. Ein Dschungel. Ein Großstadtdschungel. Der Bus kommt zum Stehen und die ersten Tiere strömen in den Häuserwald an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Links Kreuzberg, rechts Neukölln. Der Kottbusser Damm teilt die zwei Hälften wie ein Fluss. Wie der Amazonas. Du musst aufstehen. Du hast den Bus nun zu verlassen! Ich bleibe sitzen. Sehe dich an. Sehnsucht liegt in unser beider Augen. Ja, fielen sie nur, fielen nur zwei Worte und der Morgen würde anders verlaufen. Die Anonymität wäre gebrochen. Vielleicht für immer. Aber zumindest für diesen Augenblick. Für die nächsten Minuten. Du gehst zur Tür. Die letzten stolpern in die Freiheit. Hinaus aus dem fahrbaren Kurzzeitgefängnis. Wir sind alle Insassen. Die Türen schließen sich wieder. Orang-Utan und Rhinozeros sind auch ausgestiegen. Man sieht sie schon nicht mehr. Die beiden Affen haben sich wieder beruhigt und liegen faul in den Stühlen. Das Faultier mit ihrem beigen und dunkel-beigen Fell lief schnurstracks auf die nächste Bäckerei zu. Du stehst vor der Tür. Ich sitze immer noch. Sehe aber nach draußen. Unsere Blicke treffen sich. Dann fährt der Bus an. Capture D Seit einigen Minuten ist der Bus schon davon. Du stehst immer noch da. Hängst dem Ur -

wald hinterher. Dem Gedanken, was hätte sein können. Was wäre nur geworden, wenn? Ja, was wäre wenn? Aber du hast nicht. Du hast die Chance verstreichen lassen mich anzusprechen. Ich hätte dich ansprechen können, habe ich aber nicht. Mein Körper war dein Zeichen. Ich habe es nur für dich gewählt. Doch du hast darauf nicht reagiert. Du bist ein fach ausgestiegen. Obwohl ich dich angesehen habe bist du von mir geschieden. Unsere Leben laufen weiter, aber ohne einander. Du siehst der Sonne entgegen. Sie blendet dich. Du kneifst die Augen zusammen. Vielleicht siehst du den Bus noch. Sollst du noch zur nächsten Haltestelle laufen, vielleicht bin ich dort ausgestiegen? Du weißt nicht, was du nun tun sollst. Einen Ruck gibst du dir und gehst um das noch geschlossene Kaufhaus herum zur UBahn. Mit der willst du bis zur Karl-Marx-Straße fahren. Von dort läufst du dann nach Hau se. Es sind nur wenige Schritte. Du setzt dich in die nächste Bahn und siehst ins Leere. Als sie losfährt schweift dein Blick. Eine Frau in einem Mantel, er ist schwarz, sitzt alleine. Zwei junge Typen feixen sich gegenseitig an. Sie haben Bärte und sind wohl Anfang zwan zig. Vermutlich Studenten nach einer Sauftour durch die Kneipen und Bars Neuköllns. Restficker sind keine mehr unterwegs. Nicht mehr um diese Uhrzeit. Nicht auf diesem Streckenabschnitt. Kurz kommen dir die beiden in den Sinn. Dann verlierst du sie wieder. Du sitzt alleine in einem Viererblock. An der nächsten Station steigt jemand ein und setzt sich dir gegenüber. Du musterst ihn von oben bis unten. Kantiges Gesicht. Unordentliche Haare. Aschblond. Gut gekleidet. Schick, aber nicht übertrieben schick. Scharf gezeichnete Lippen. Nerdbrille auf der Nase. Die Haut ist nicht glatt. Sie erzählt Geschichten. Die Blicke treffen sich. Du lächelst ihn an. Ich lächle zurück und sage: Alles auf Anfang.

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