Ich sag nicht mehr, dass ich vom Hof komme

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Author: Lukas Franke
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„Ich sag’ nicht mehr, dass ich vom Hof komme …“ An den weiterführenden Schulen geraten Bauernkinder nicht selten in die Schusslinie von Mitschülern und auch von Lehrern. Wir berichten über Gründe und Hintergründe.

Ende des Heimspiels: Kinder vom Hof werden in den Schulzentren der Städte zur Minderheit oder gar zu Außenseitern. Und das macht manchen Kindern Probleme. Fotos: Heil (2), Dorsch (1), Neumann (1), Schiffer (1)

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m Kindergarten und in der Grundschule waren sie die Kings. An den weiterführenden Schulen heißt es dann nur noch „du Bauer!“ So fasst eine 49-jährige Bäuerin aus dem Münsterland die Schulerfahrungen ihrer drei Söhne zusammen. Ihr Jüngster hält heute an der Realschule denn auch lieber mit seiner Herkunft hinterm Berg. „Ich sage nicht mehr, dass ich vom Hof komme, dann werde ich nur angemacht…“

„Stinkebauer“ und „BSE-Sau“ Wenn der bäuerliche Nachwuchs die dörfliche Grundschule verlässt und in der nächstgrößeren Stadt die weiterführende Schule antritt, ist erstmal Ende des Heimspiels. Können die Jungen und Mädchen in der Dorfschule noch mit dem Hof und ihrer Herkunft buhlen, so werden sie in den Schulzentren der Städte zur Minderheit oder gar zu Außenseitern. Und das macht manchen Kindern Probleme. Dass Bauernkinder an der weiterführenden Schule aufgrund ihrer Herkunft in die Schusslinie der Mitschüler geraten, scheint weit verbreitet. Zwar geht es dabei vornehmlich um spontane Frotzeleien wie „du Bauerntölpel“ oder „geh doch Kühe melken“, die die meisten Bauernkinder schnell und unbeschadet wegstecken. Je nach Naturell und sozialem Umfeld können die Verletzungen aber auch tiefer gehen. „Mich haben die Hänseleien eines Mitschülers damals sehr mitgenommen“, erinnert sich eine heute 18-jährige Gymnasiastin an ihren Schulwechsel. „Alles war fremd für mich und ich war auf der Suche nach neuen Freunden.“ Vereinzelt werden die Bauernkinder aber auch durch verbale Attacken und Ausgrenzungen regelrecht „gemobbt“. Ein 14-jähriger Gymnasiast wurde von einer eingeschworenen Clique in der Klasse massiv beschimpft und sogar mit anonymen Anrufen drangsaliert. „Ich habe mich gefühlt wie David gegen Goliath – nur ohne Schleuder.“ Hilflos war auch ein 12-jähriger Hauptschüler einigen Mitschülern gegenüber ausgesetzt, die ihn als „Dorftrottel“ förmlich niedermachten. „Er hat sich geschämt, dass er vom Hof kommt und uns

Landwirtschaft in Schulbüchern Musterbeispiel: „Bauer Boge und Brüssel“

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erklärt, unsachlich und realitätsfern – so wird Landwirtschaft nicht selten in den Schulbüchern dargestellt. Doch es gibt auch positive Beispiele: So wurde auf der Bildungsmesse in Hannover kürzlich das Schulbuch „BIOS“ aus dem Diesterweg Verlag für den Biologieunterricht der fünften und sechsten Gymnasialklasse mit dem diesjährigen „Agrar-Schulbuchpreis“ der IMA ausgezeichnet. Mit der jährlichen Preisvergabe will die IMA die Verlage für eine sachgerechte und realistische Darstellung der

Landwirtschaft in Schulbüchern sensibilisieren. Ein Meisterstück dieser Art ist dem Klett Verlag mit dem Erdkundebuch „Terra“ der neunten Gymnasialklassen gelungen. Darin wird seit mehr als 15 Jahren die Entwicklung des Veredlungsbetriebes Boge aus dem Münsterland dargestellt. Alle vier bis fünf Jahre besucht der Geograph, Gymnasiallehrer und Lehrerausbilder Klaus-Peter Hackenberg, zuständig für den Part Landwirtschaft in den Erdkundebüchern des Verlages, den Betrieb Boge, um sich die betriebliche Weiterentwicklung und Zukunftsplanung schildern zu lassen. Nach der Darstellung „Bauer Boge baut aus“ folgt im jetzigen Band das Kapitel „Bauer Boge und Brüssel“, in dem Heidi und Christoph Boge ihre Reaktionen auf die geänderte Agrarpolitik auch in einem Interview verdeutlichen. Wie wirkungsvoll das „Fallbeispiel“ Boge ist, beweist auch die Tatsache, dass Schulklassen des öfteren den direkten Draht zu „Bauer Boge“ suchen, um entweder den Betrieb zu besichtigen oder aber ergänzende Fragen zu stellen. Bleibt zu hoffen, dass es auch in anderen Bundesländern einen „Bauer Boge“ in den Schulbüchern gibt. Denn jedes Bundesland druckt eigene Schulbücher. Gute Gründe für die Lehrbuchteams der Verlage, sich kurzzuschließen … -ufhSeit vielen Jahren im Erdkundebuch: Der Veredelungsbetrieb von Christoph und Heidi Boge.

dies zum Vorwurf gemacht“, berichtet die Mutter von einem süddeutschen Ackerbaubetrieb.

Der Bauernhof wird zum Aufhänger Keine Frage: Am häufigsten bekommen die Bauernkinder in städtisch geprägten Regionen aufgrund ihrer Herkunft Probleme. In ländlichen Gebieten ist auch auf den weiterführenden Schulen die Welt für die Bauernsöhne und -töchter noch weitgehend in Ordnung, wird uns berichtet. Zwar fallen auch hier immer wieder mal „dumme Sprüche“. Bei schlagfertigen und selbstbewussten Antworten ist das Thema aber schnell wieder vergessen. Anders in städtischen Einflussbereichen sowie in sozial schwächeren Gebieten. Hier geraten die Bauernkinder nicht selten in eine echte Außenseiterposition.

Auffällig dabei: Es triff keinesfalls vermeintliche „Hinterwäldler“ von den Höfen. „Unser Sohn ist ein ganz modernes Kind mit Computerleidenschaft wie andere auch“, erzählt eine Bäuerin, deren Betrieb am Rande einer süddeutschen Großstadt liegt. „Selbst die Lehrer waren ratlos, warum es gerade ihn traf.“ Ähnlich hat es ein norddeutscher Bauernsohn in der Unterstufe auf dem Gymnasium erlebt: „Ich bin hier in einer sehr asozialen Klasse. Es waren die Looser in der Stufe, die versucht haben, sich so zu profilieren.“ Bemerkenswert außerdem: Vor allem Bauernsöhne geraten in die Schusslinie ihrer Mitschüler. Dahinter stecken die unterschiedlichen Geschlechterrollen. Bei den typischen Machtkämpfen der 12- bis 14-jährigen wird jede Andersartigkeit auf die Hörner genommen. Ein ehemals Betroffener beschreibt das so: „Jungen in diesem Alter rotten sich zusammen und

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top Familie suchen den Streit, und dann ist der Bauernhof ein Aufhänger.“ Bei den Mädchen ist Landwirtschaft dagegen in der Regel kein Thema. Mehr noch: Mädchen in dieser Altersgruppe interessieren sich oftmals für Tiere und schätzen daher die „Begleitumstände“ des Bauernhofes. Und selbst wenn Anlass zum Ärgern besteht, gibt es in der Regel keine direkten Angriffe. „In unserer Klasse ist eine Mitschülerin, die regelmäßig nach Silage riecht“, erzählt eine 11-jährige Gymnasiastin. „Darüber wird aber nur hinter ihrem Rücken gelästert…“

„Wer sich bückt, der wird getreten“ Am ehesten werden naturgemäß die Bauernsöhne an die Wand gespielt, die

sensibel und wenig schlagfertig sind. „Wer sich bückt, der wird getreten“, so bringt eine Mutter die Gruppenregeln der 10- bis 14-jährigen auf den Punkt. Ihr ältester Sohn hat sich die Herabsetzungen aufgrund seiner Herkunft sehr zu Herzen genommen. „Sein Bruder ist selbstbewusster. Ihm traue ich es zu, dass er sich dagegen behaupten kann.“

Dunkel und voller Fliegen… Dass Bauernkinder aufgrund ihrer Herkunft ins Abseits gedrängt werden, hat tiefere Gründe: Bauern sind in unserer Gesellschaft zu einer verschwindenden Minderheit geworden. Weniger als 3 % der Beschäftigten arbeiten heute noch in der Land- und Forstwirtschaft. So wundert es denn auch nicht, dass an den

Und die Lehrer?

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ie Stellung der Bauernkinder im Klassenverband ist ein Thema. Auf einem anderen Blatt steht die Einstellung der Lehrer zur Landwirtschaft. Besonders wenn Landwirtschaft und Ökologie in den höheren Klassen Unterrichtsthemen werden, geraten die Jugendlichen vom Hof nicht selten erneut in Bedrängnis. Wie Landwirtschaft im Unterricht diskutiert wird, hängt entscheidend von der Einstellung des einzelnen Lehrers ab, wird uns berichtet. „Lehrer haben ihre Meinung, und davon gehen sie nicht ab“, ist die Erfahrung einer niedersächsischen Bäuerin.

„Für mich nicht einfach…“ „Unsere Lehrer sind sehr grün und sehr öko“, berichtet eine ostwestfälische Gymnasiastin. „Und das ist für mich nicht ganz einfach.“ Die Tochter eines in der Öffentlichkeit stark engagierten Landwirtes „fühlt sich ziemDen besten Zugang für Hofbesichtigungen findet man bei den unteren Jahrgängen.

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lich schnell angesprochen“, wenn Zusammenhänge falsch oder unsachlich dargestellt werden. Wobei ihre Wortbeiträge dann oftmals nicht den Stellenwert bekommen wie die der Mitschüler, hat sie festgestellt. Lehrermeinung und ihre Stellungnahme bleiben oft einfach im Raum stehen. „Meine Klassenkameraden können sich dann aussuchen, was sie glauben.“ „Lehrer können ihre Meinung verbal einfach besser überbringen“, gibt eine

weiterführenden Schulen oft nur noch ein Bauernkind in der Klasse oder gar im Jahrgang ist. Dementsprechend vage Bilder von der Landwirtschaft stecken heute in den Hinterköpfen. Schlimmer noch: Jeder „Tatort“ und „Report“ festigt heute die Klischees von „Almwirtschaft“ oder „Agrarindustrie“. Und: Wie sich die Gesellschaft einen Bauernhof vorstellt, so glauben es natürlich auch deren Kinder: „Ich dachte, bei Euch sei alles dunkel und voller Fliegen!“, wundert sich denn auch eine Mitschülerin aus der Großstadt über den zivilisierten Haushalt eines Ackerbau- und Schweinemastbetriebes in Schleswig-Holstein. Verschärft werden die Vorurteile durch die Tatsache, dass das Berufsbild des Bauern in unserer heutigen Compu-

ter- und Mediengesellschaft kein sonderliches Ansehen mehr genießt. „Wir sind Praktiker, arbeiten oft direkt am Tier und haben es somit auch mit Schmutz und Gerüchen zu tun“, stellt ein Vater nüchtern fest. „Damit rutscht man im Ansehen der Computerkids erstmal nach unten.“

Bäuerin aus Schleswig-Holstein zu bedenken. Ihre Tochter in der Oberstufe wägt denn auch vorsorglich ab, ob sie im Unterricht kontert oder nicht, um sich nicht unnötig Sympathien zu verspielen… Viele Gesprächspartner bemängeln die Unwissenheit über Landwirtschaft gerade bei den sehr kritischen Lehrern. Selbst im Fachunterricht sind manche Pädagogen nicht auf dem neuesten Stand. „Düngeverordnung oder Randbegrünung sind im Fach Ökologie überhaupt nicht bekannt“, ärgert sich eine Bäuerin. „Da herrscht die Meinung vor, jeder fummelt so vor sich hin.“

ten für die Schule ihrer Kinder standardmäßig eine Hofbesichtigung an. Meist werden dann die 6. Klassen durch den Betrieb geschleust. Eine Bäuerin aus dem Münsterland geht noch einen Schritt weiter. Sie findet es ganz wichtig, zusätzlich die Pädagogen gezielt zu informieren. „Ich habe deshalb auch schon Lehrer mit ihren Familien hierher eingeladen.“

Pädagogen gezielt informieren Keine Frage: Die Darstellung von Landwirtschaft im Unterricht hängt entscheidend davon ab, wie gut die Lehrer informiert sind und auch bereit sind, sich neu zu informieren. Die meisten Gesprächspartner sind überzeugt, dass es sich dafür lohnt, die Klasse auf den Hof zu holen. Den besten Zugang findet man ganz klar in den unteren Jahrgängen, weil dann das Interesse an der Landwirtschaft seitens der Schüler am größten ist. „Die Jungen nehmen eine Hofbesichtigung schon positiv auf. Ein Zwölferkurs sieht die Landwirtschaft dann unter einem ganz anderen Aspekt“, gibt eine 18-jährige Gymnasiastin zu bedenken. Oft schwindet das Interesse an der Landwirtschaft aber auch mit zunehmendem Alter. „Die älteren Schüler schauen dann nur auf die Uhr und gähnen oder freuen sich über die schulfreie Zeit“, hat ein Landwirt beobachtet. Einige Familien nutzen deshalb ganz gezielt Interesse und Unvoreingenommenheit der unteren Jahrgänge und bie-

Ackern ist uncool Keine Frage, Dreck oder gar Handarbeit sind bei den heutigen Kids ziemlich verpönt. Aber auch das Verhältnis zur Natur ist vielen dieser Altersgruppe verloren gegangen. „Wenn jemand mit dem Trecker den Acker umpflügt und anschließend Körner in die Erde steckt, dann ist das völlig uncool“, erklärt ein 16jähriger Bauernsohn die Gesinnung vieler Altersgenossen.

Den direkten Draht suchen Der „direkte Draht“ zu den Lehrern ist vielen Gesprächspartnern ganz wichtig. „Wenn man die Lehrer gut kennt, beugt das vielen Vorurteilen vor“, meint ein süddeutsches Betriebsleiterpaar. Die regelmäßige Teilnahme zum Beispiel auch an den Elternabenden sei deshalb sehr wichtig. Und mit der Herkunft sollte man dann nicht hinterm Berg halten. Im Gegenteil: „Ich habe gleich gesagt, dass wir einen Hof haben und gern Unterrichtsmaterialien oder Platz für Aktivitäten zur Verfügung stellen“, hat eine süddeutsche Gesprächspartnerin ihre Unterstützung dokumentiert. So viel wird klar: Eltern sollten im Interesse ihrer Kinder nicht nur in der Schule präsent sein, sondern auch den Hof für den Unterricht öffnen. Die Vorstellungen von Landwirtschaft werden heute durch Negativbilder in den Medien geprägt. Über den persönlichen Auftritt können wir den Schülern und vor allem auch Lehrern am glaubwürdigsten zeigen, was Landwirtschaft heute wirklich beinhaltet. „Wir werden sie zwar nicht überzeugen können, von der Landwirtschaft begeistert zu sein“, gibt eine engagierte Bäuerin zu bedenken. „Wir können aber erreichen, dass sie ein realistischeres Verhältnis dazu bekommen.“

Franziska Schmidt aus Kraftsbuch in Mittelfranken ist einziges Bauernkind in ihrer Jahrgangstufe auf dem Gymnasium. „Vorurteilen gegenüber der Landwirtschaft sollte man offen begegnen“, stimmt die 14-jährige mit ihren Eltern überein. Die Familie vertritt den Hof selbstbewusst und hält guten Kontakt zu Mitschülern und Lehrern. Hinzu kommt: In unserer Überflussgesellschaft, in der mittlerweile nur noch 12 % des Einkommens für die Ernährung ausgegeben werden und jeder zu jeder Zeit alles kaufen kann, haben Nahrungsmittelproduzenten kaum noch einen Stellenwert. „Heute zählen doch nur noch die materiellen Dinge. Lebensmittel und Ernährung werden doch überhaupt nicht mehr geachtet“, beschreibt eine Bäuerin den allgemeinen Wertewandel. Aber auch noch andere Gründe können Bauernkinder zu Außenseitern unter den Altersgenossen machen: In vielen Landfamilien herrscht nach wie vor ein eher wertkonservativer Erziehungsstil, bei dem das Familienleben und auch ein geregelter Tagesablauf im Vordergrund stehen. Manche Bauernkinder können dann mit den ungezügelten Freiheiten einiger Altersgenossen nicht mithalten. Und dies gilt oft auch in materieller Hinsicht: „Ich bin einfach gegen Handy mit 10 oder einen eigenen Fernseher auf dem Zimmer“, beschreibt eine süddeutsche Gesprächspartnerin die familiäre Grundeinstellung. An den „materiellen Machtkämpfen“ mit Hightech-Ausrüstungen und Taschengeld wollte sie ihren Sohn aus erzieherischer Überzeugung nicht teilhaben lassen. Und das kostete ihn das Ansehen in seinem Umfeld. „Das Verhältnis von Landkindern zu Stadtkindern ist krasser geworden“, fasst denn auch eine Mutter die Schulerfahrung ihrer drei Kinder zusammen. Und ein 16jähriger Gymnasiast bringt die Außenseiterrolle mancher Bauernkinder so auf den Punkt: „Wir sind eine Minderheit, und der Trend ist es nun mal, sich auf Minderheiten zu stürzen...“

Was können Eltern tun? So viel vorweg: Kinder, die selbstbewusst auftreten, bieten in dieser kritischen Altersphase weniger Angriffsfläche für persönliche Attacken. Die wichtigste Aufgabe der Eltern ist es deshalb, die Persönlichkeit ihrer Kinder zu stärken. Prägend für den Nachwuchs ist hier zunächst das eigene Vorbild: Wie stehe ich zu meinem Beruf? Und wie gebe ich mich in der Öffentlichkeit? Darüber hinaus haben Eltern eine wichtige Mittlerfunktion. Zum einen zwischen den Kindern, aber auch zu Eltern der Mitschüler und nicht zuletzt zu den Lehrern (vgl. Kasten links). Für alle persönlichen Auftritte gilt: Ein entsprechendes äußeres Erscheinungsbild macht unserem Berufsstand zweifellos manches leichter. Zumal in vielen Köpfen immer noch das Bild der Bäuerin mit „Kopftuch und Melkschemel“ schwirrt. „Bei der Vorstellungsrunde am Elternabend hat meine Person so manchen erstaunt“, erläutert denn auch eine norddeutsche Gesprächspartnerin die weit verbreitete Vorstellung von einer Landwirtsfamilie. Innerhalb der Familie ist Aufmerksamkeit gefragt, nicht nur für Zensuren, sondern auch für die Klassenbeziehungen des Nachwuchses. „Eltern sollten frühzeitig nicht nur bei den Kindern nachfragen, sondern sich auch bei Freunden oder den Lehrern erkundigen“, rät eine schulisch engagierte Bäuerin. „Denn manches haben die Kinder oft schon vorher weggesteckt.“ Klassenvorfälle gehören dann an den Familientisch. „Und im Gespräch mit den Kindern sollte man sich nicht scheuen, mit

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top Familie „Dürfen wir mal mit zu Dir nach Hause?“

Kinder gerade in Zeiten wie die Futterernte auch eine gewisse Arbeitserleichterung. Gleichzeitig sind die Kinder aber auch froh über die Verantwortung und das Zugehörigkeitsgefühl. „Die Kinder genießen es, dass sie hier immer in Gesellschaft sind. Für Kinder aus Haushalten, in denen beide Eltern berufstätig sind, kann das heute schon etwas Besonders sein“, weiß die Landwirtin. So haben die befreudeten Mädchen über Jahre die interessanten Seiten, aber auch manchmal die Sorgen und Nöte der Landwirtschaft kennengelernt.

„Die Gastkinder müssen erwünscht sein“

Mit Begeisterung zwischen den Kühen: v.l.n.r. Rieke Alpers, Katharina Bremer, Reika Sahr und Anne-Kathrin Alpers. Im Hintergrund der Azubi.

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ie Freundinnen von unserer Tochter Anne-Kathrin gehören schon fast zur Familie“, meint Anke Alpers, Landwirtin aus Fredenbeck in Niedersachsen, die zusammen mit ihrem Mann Johann einen Milchviehbetrieb mit 140 Kühen bewirtschaftet. Denn Reika Sahr (13), Franziska Inauen (12) und Katharina Bremer (12) kommen seit dem Kindergartenalter regelmäßig auf den Hof. Anziehungspunkt waren vor allem das

große Haus, tolle Spielmöglichkeiten wie der Heuboden und die Tiere. Mit zunehmendem Alter wollten die Mädchen aber auch bei der täglichen Arbeit mithelfen. Daran änderte nicht, dass sie heute nicht mehr alle gemeinsam eine Schule besuchen. „Ich finde es toll, nach den Hausaufgaben mal eben rüber zu Alpers zu gehen und beim Melken oder Kühe-Nachtreiben zu helfen“, findet Reika. Für die Eltern ist das Engagement der

dem eigenen Pfund auch zu wuchern, um dem Nachwuchs den Rücken zu stärken“, betont ein Vater. Er hat in der Argumentation mit dem 12-jährigen Junior auch Einkommensvergleiche gezogen, das Vermögen benannt und den Wohnwert beschrieben. „Diesen Hintergrund muss er doch haben, wenn der Klassenkamerad aus der Stadtwohnung ihn aufgrund seiner Herkunft diffamiert.“ Hilfreich für die Stellung der Bauernkinder ist es in jedem Fall, wenn Eltern in der Schule präsent sind. Das Engagement in der Klassen- oder Schulpflegschaft oder die Teilnahme an den Fachkonferenzen baut Barrieren ab und fördert den Respekt für die Person und somit auch für deren Beruf. Ein Landwirt: „Vorbehalte herrschen doch vor allem gegenüber dem Fremden. Wenn ich als Landwirt vor Eltern und Lehrern auftrete steht dort ein Mensch für einen für viele anonymen Beruf.“ Und davon profitieren auf jeden Fall auch die eigenen Kinder.

Um Vorurteile abzubauen, raten viele Gesprächspartner, die Mitschüler auf den Hof zu holen. Eine süddeutsche Bäuerin hat ihren ausgegrenzten Sohn ermutigt: „Lad’ doch mal die Klasse und den Lehrer ein.“ Die Besichtigung des modernen Milchviehbetriebes war ein voller Erfolg und der Junior im Klassenverband von heute auf morgen anerkannt. „Wichtig war nicht nur, das die Klasse moderne Landwirtschaft sieht. Die Mitschüler haben außerdem erfahren, dass wir in einem schönen Heim leben, wie andere auch“, fasst die Bäuerin zusammen.

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„Ich stehe heute über den Dingen“ Keine Frage: Die weiterführenden Schulen können für Bauernkinder zu einem Scheuersack werden. In einem Alter, in dem bei den Kids vor allem die Gruppe zählt und Andersartigkeiten attackiert

Als wichtige Voraussetzung dafür, dass sie auch weiterhin noch gern zu Besuch kommen, sieht sie vor allem darin: „Die Kinder müssen das Gefühl bekommen, sie seien erwünscht. Wenn es hier immer hektisch und unpersönlich zugehen würde, hätten wir bestimmt bald keine fremden Kinder mehr auf dem Hof!“ Daher halten sie und ihr Mann es für ganz wichtig, nicht nur ihren eigenen Kindern, sondern auch dem Besuch zu zeigen, dass ihr Beruf Spaß macht und sie beide voll dahinter stehen. Dementsprechend gut ist AnneKathrins Ansehen auch in ihrer Klasse. Wenn sie und ihre Freundinnen Katharina und Franziska in ihrer Clique von interessanten Erlebnissen auf dem Hof berichten, macht das auch andere Klassenkameradinnen neugierig. Sie fragen dann auch von sich aus, ob sie „mal mitkommen dürfen“. -neu-

werden, bieten Kinder vom Hof in unserer heutigen Gesellschaft genügend Angriffsfläche. Eltern sollten dies im Hinterkopf haben. Klar ist aber auch, dass diese Zeit vorüber geht. Mit zunehmendem Alter wächst nun mal in der Regel der Weitblick. Und: Bei den Heranwachsenden ist dann sogar Individualität besonders gefragt. So hart die Zeit für einige Gesprächspartner auch war: Alle Jugendliche betonen, dass sie dadurch stärker und selbstbewusster geworden sind. „Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt und stehe heute über den Dingen“, sagt ein 18-jähriger. Ein heute erfolgreicher Junglandwirt mit ähnlicher Vergangenheit geht sogar noch einen Schritt weiter: „Man entwickelt in dieser Rolle eine Sensibilität für Lebenssituationen, die einen betrieblich und persönlich weiterbringt.“ Hinrich Neumann/ Ute Frieling-Huchzermeyer

Fast wie im richtigen Leben ... Mit viel Liebe zum Detail hat Hobbybastler Sönke Vock einen naturgetreuen Bauernhof nachgestellt. Alles ist voll bespielbar.

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ast wie im richtigen Leben, so präsentiert sich der Milchviehbetrieb mit 60 Kühen im Boxenlaufstall von Sönke Vock aus Itzehoe. Der 37-jährige Bauernsohn „bewirtschaftet“ ein Betriebsgelände von 2 mal 4 Metern mit Stallgebäuden, Fischgrätmelkstand, Fahrsilos und Güllebehältern in Miniaturformat. Alles ist maßstabsgetreu und passend zu den zahlreichen Modellmaschinen und Tieren (Maßstab 1:32), die der Hobbybastler seit seiner Kindheit gesammelt hat. Der Clou:

Türen, Tore und sonstige bewegliche Anlagen sind auch im Modell beweglich. Natürlich mit der entsprechenden Vorsicht ist der Hof dadurch voll bespielbar. In jahrelanger Kleinarbeit ist das Modell entstanden. „Man braucht schon etwas Bastelerfahrung und auch Geduld“, gibt Sönke Vock zu bedenken. Immerhin sollten die landwirtschaftlichen Szenen besonders

Passend zu den gängigen Modellmaschinen hat Sönke Vock gebastelt.

Einblick in den Laufstall mit 60 Kühen. Fotos: Heil

Das Betriebsgelände mit Bauernhofleben steht auf vier Holztüren, die zu einer Einheit zusammengeschoben werden.

realistisch wirken. Der Hobbybastler schwört denn auch auf leichtes Balsaholz, weil sich dies mit dem Messer besonders fein bearbeiten lässt. Und auch sonst hat er oftmals lange getüftelt, bis er das passende Material gefunden hat; zum Beispiel grünen Dämmstoff für Silagehaufen oder gelben Dämmstoff für Strohschwaden. Montageschaum ist ideal zum Herstellen von Misthaufen und Knicks. „Die Bäume können dann später einfach in den harten Schaum gesteckt werden.“ Natürlich müssen die Materialien noch entsprechend nachbehandelt werden … Weil der Kellerplatz erschöpft ist, möchte Sönke Vock betrieblich nicht weiter expandieren. Ein neuer Stellplatz für den Betrieb ist möglicherweise in Aussicht. In der neuen gemeinsamen Geschäftsstelle der Bauernverbände Kreis Steinburg und Pinneberg soll der Boxenlaufstallbetrieb einer fachkundigen Zuschauerschaft präsentiert werden. -ufh-

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