Härtere Zeiten für notleidende Unternehmen? - Die neuen Kommissionsleitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen

Dr. Ulrich Soltész und Dr. Julia Marquier, Gleiss Lutz Brüssel* Dieser Artikel ist erschienen in: EWS 2005, Seite 241 Härtere Zeiten für notleidende ...
0 downloads 1 Views 323KB Size
Dr. Ulrich Soltész und Dr. Julia Marquier, Gleiss Lutz Brüssel* Dieser Artikel ist erschienen in: EWS 2005, Seite 241

Härtere Zeiten für notleidende Unternehmen? - Die neuen Kommissionsleitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen Am 10. Oktober 2004 sind die neuen Leitlinien der Gemeinschaft für Staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten in Kraft getreten. Die Kommission verfolgt hiermit einen gegenüber den früheren Leitlinien deutlich strengeren Ansatz. Staatliche Finanzspritzen an „ailing companies“ sollen nur unter engen Voraussetzungen möglich sein. Ob die Kommission in der Praxis tatsächlich durch strikte Anwendung der Leitlinien Unternehmen in die Insolvenz gehen lässt, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus bleiben auch nach der neuen Rechtslage gewisse Möglichkeiten, Kapitalzuführungen an krisengeschüttelte Unternehmen bedarfsgerecht zu modifizieren, um den strengen Vorgaben zu entgehen.

1. Die neuen Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen1 Aus Sicht der Kommission verzerren Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen an Unternehmen in Schwierigkeiten 2 die Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft ganz besonders. Der Vorstellung der Generaldirektion Wettbewerb zufolge verhindern derartige Beihilfen, dass notwendige Marktbereinigungen erfolgen. Ineffizient produzierende Unternehmen bleiben durch künstliche Maßnahmen auf Kosten wettbewerbsfähiger Unternehmen länger auf dem Markt; Überkapazitäten bleiben bestehen. Die Kommission verfolgt daher mit den neuen Leitlinien zu Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen – wie auch schon mit den alten Leitlinien zu Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen aus dem Jahre 1999 3 - den Ansatz, Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen an zunehmend strengere Voraussetzungen zu knüpfen.

*

Gleiss Lutz Rechtsanwälte, Brüssel. ABlEU Nr. C 244 vom 1.10.2004, S. 2, im Folgenden „neue Leitlinien“. Für einen Überblick vgl. Ehricke, EuZW 2005, 71ff.; Fehr, ZIP 2004, 2123ff.; Nicolaides/Kekelekis, ECLR 2004, 578ff.; dies., EStAL 2005, 17ff. 2 Zum Begriff des Unternehmens in Schwierigkeiten vgl. neue Leitlinien Nr. 9ff.; Ehricke, EuZW 2005, 71, 72f. (mit Kritik); Fehr, ZIP 2004, 2123, 2124; vgl. ebenda zur Zulässigkeit von Beihilfen an neugegründete Unternehmen sowie an Konzerne unter den neuen Leitlinien sowie Änderungen in diesem Bereich. 3 ABlEG 1999 Nr. C 288, S. 2, im Folgenden „alte Leitlinien“. 1

Die neuen Leitlinien legen im Einzelnen fest unter welchen Voraussetzungen die Kommission staatliche Finanzhilfen an Unternehmen in Schwierigkeiten genehmigen wird. Sie verschärfen insbesondere die Bedingungen für die Gewährung von Umstrukturierungsbeihilfen, und zwar in drei Punkten: strengere Ausgestaltung des “one time, last time”-Grundsatzes (II.), höhere Anforderungen an die Selbstbeteiligung der Unternehmen (III.) sowie ausgeweitete Kompensationsleistungen (IV.). Der folgende Beitrag konzentriert sich vor allem auf Umstrukturierungsbeihilfen, da hier der Schwerpunkt der Neuregelung liegt. Der Vollständigkeit halber sei jedoch auf einige Neuerungen bei Rettungsbeihilfen hingewiesen. So wurde auch für Rettungsbeihilfen der Einmaligkeitsgrundsatz verschärft und angeglichen (II.). Darüber hinaus ist der Begriff der Rettungsbeihilfen erweitert worden, um dem Betroffenen auch Sofortmaßnahmen wie die sofortige Schließung einer Niederlassung oder den sonstigen Rückzug aus defizitären Tätigkeitsbereichen zu ermöglichen. 4 Eine Rettungsbeihilfe darf neuerdings nicht länger als sechs Monate gewährt werden und nicht mehr (wie bisher) um weitere sechs Monate verlängert werden. 5 Für bestimmte Rettungsbeihilfen ist ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen; hier wird die Kommission nach Möglichkeit innerhalb eines Monats über die Beihilfe entscheiden. 6

2. One time, last time“ Der Grundsatz, dass Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen nur einmal zu gewähren sind, fand sich schon in den alten Leitlinien 7 sowie in den Leitlinien aus dem Jahre 1994 8. Nach den alten Leitlinien wurde eine zweite Umstrukturierungsbeihilfe innerhalb von (weniger als) zehn Jahren nach Abschluss der Umstrukturierungsphase grundsätzlich nur dann genehmigt, wenn außergewöhnliche und unvorhersehbare Umstände vorlagen, die das Unternehmen nicht zu vertreten hatte. Wiederholte Rettungsbeihilfen, die nur den status quo erhalten und das unvermeidbare Ende hinausschieben, konnten nicht genehmigt werden. In der Praxis stellte der “Einmaligkeitsgrundsatz” oft ein Genehmigungshindernis dar. Gerade bei krisengeschüttelte Unternehmen war es oft nicht absehbar, ob ein Sanierungspaket nachhaltigen Erfolg zeigt, so dass bei allzu optimistischen Umstrukturierungsplänen mit weiteren Beihilfen “nachgebessert” werden musste.

4

Neue Leitlinien, Nr. 6; vgl. auch Ehricke, EuZW 2005, 71, 72. Vgl. neue Leitlinien, Nr. 15; alte Leitlinien, Nr. 24, vgl. auch Nicolaides/ Kekelekis, ECLR 2004, 578, 582. Neue Leitlinien, Nr. 30. 7 Alte Leitlinien, Punkt 3.2.3., Nr. 48ff. hinsichtlich Umstrukturierungsbeihilfen; Punkt 3.1, Nr. 25 hinsichtlich Rettungsbeihilfen. 8 ABlEG 1994, Nr. C 368, S. 12, Punkt 3.2.2 i) hinsichtlich Umstrukturierungsbeihilfen; Punkt 3.1 hinsichtlich Rettungsbeihilfen. 5 6

2

2.1. Nicht übermäßig streng: Die frühere Anwendungspraxis unter den alten Leitlinien Die Kommission hat in ihrer Praxis jedoch immer wieder Ausnahmen von dem „one time, last time“-Grundsatz gemacht. Einige Entscheidungen betrafen erneute Beihilfen, die noch während des Notifizierungsverfahrens erfolgten, so etwa in den Beihilfenverfahren Air France9 und Philipp Holzmann AG10. In dem Verfahren GAN-Gruppe11 hatte die Kommission eine Änderung einer Umstrukturierungsbeihilfe nach bereits erfolgter Genehmigung als zusätzliche Beihilfe genehmigt. In dem Verfahren Herborn und Breitenbach GmbH12 waren Umstrukturierungsbeihilfen zugunsten der Muttergesellschaft des Rechtsvorgängers bereits in einem ersten Verfahren genehmigt worden; während des zweiten Beihilfeverfahrens, das sowohl die Mutter- als auch die Tochtergesellschaften betraf, wurde dann mehrere weitere Planänderungen notifiziert. Im Falle Crédit Lyonnais 13 wurden weitere Umstrukturierungsbeihilfen – unter strengen Verpflichtungen - gebilligt, nachdem die Kommission zuvor bereits je einmal Umstrukturierungs- und Rettungsbeihilfen genehmigt hatte. Hier war die Erbringung einschneidender und umfangreicher Gegenleistungen die Voraussetzung für die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt. 2.2. Nachträgliche Änderungen des Beihilfenpakets unter den neuen Leitlinien 2.2.1. Der verschärfte „one time, last time”-Grundsatz Durch die neuen Leitlinien soll der Einmaligkeitsgrundsatz konsequenter angewendet werden. 14 Nr. 72ff. der Leitlinien regeln Fälle von Rettungsund Umstrukturierungsbeihilfen, in denen das begünstigte Unternehmen bereits in der Vergangenheit eine Rettungs- oder Umstrukturierungsbeihilfe erhalten hat. Dies betrifft Fälle, in denen in den letzten zehn Jahren („Stillhalteperiode“) • • •

eine Rettungsbeihilfe gewährt worden ist, oder die Umstrukturierungsphase abgeschlossen oder die Durchführung des Umstrukturierungsplans eingestellt worden ist.

9

Kommission, Entscheidung v. 27.07.1994, ABlEG 1994 Nr. L 254, S. 73ff. Die Entscheidung wurde zwar später vom EuG aufgehoben. Dies betraf indes nicht die Bewertung der Änderung der Umstrukturierungspläne, EuG, verb. Rs. T-371/94 und T-394/94, Slg. 1998, II-2405ff., Randnr. 430ff., 433ff. – British Airways. Hier wurde der Umstrukturierungsplan insgesamt vier Mal geändert, vgl. EuG, aaO., Randnr. 437. 10 Kommission, Entscheidung v. 8.05. 2001, ABlEG 2001 Nr. L 248, S. 46ff., vgl. Randnr. 59ff. zur Änderung des Umstrukturierungsplans sowie Randnr. 33ff. zum ursprünglichen Umstrukturierungsplan. 11 Kommission, Entscheidung v. 30.07.1997, ABlEG 1998 Nr. L 78, S. 1ff., insbes. S. 9, 24. 12 Kommission, Entscheidung v. 27.03.1999, ABlEG 1999 Nr. L 83, S. 62ff., insbes. S. 64, 66. Die Pläne bezogen sich erst auf die Gruppe und waren nach der Unternehmensübertragung spezifischer auf Herborn & Breitenbach GmbH zugeschnitten. Insgesamt handelte es sich im Zeitraum von 1990/91–1997 um vier Beihilfen. 13 Kommission, Entscheidung v. 20.05.1998, ABl. 1998 Nr. L 221, S. 28ff., insbes. S. 34, 62, 65. 14 Vgl. Erwägungsgrund 5 der neuen Leitlinien. Vgl. auch Fehr, ZIP 2004, 2123, 2129.

3

In diesen Fällen ist die erneute Beihilfe in der Regel jedenfalls unter außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen, die das Unternehmen nicht zu vertreten hat, zu genehmigen, Nr. 73 lit. c. Insoweit entspricht die neue Rechtslage grundsätzlich den alten Leitlinien. Falls die vorhergehende Beihilfe eine Rettungsbeihilfe war, gilt nach den neuen Leitlinien erschwerend, dass weitere Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen nur dann genehmigungsfähig sind, wenn sie frühestens nach fünf Jahren auf Grund von außergewöhnlichen, nicht vorhersehbaren Umständen erforderlich werden, die das Unternehmen nicht zu vertreten hat und vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass das Unternehmen nach der Rettungsbeihilfe langfristig wirtschaftlich tragfähig ist, Nr. 73 lit. b. Alternativ kann sich die Umstrukturierungsbeihilfe an eine Rettungsbeihilfe als Teil eines einzigen Umstrukturierungsvorgangs anschließen, Nr. 73 lit. a. Darüber hinaus ist der Einmaligkeitsgrundsatz zum einen um spezielle Regelungen für Unternehmensgruppen erweitert 15, zum anderen um Ausnahmen (zugunsten bestimmter Sektoren und Unternehmen der ehemaligen DDR) bereinigt worden 16. Es ist zu erwarten, dass die Kommission die neuen Leitlinien zum Anlass nimmt, den Einmaligkeitsgrundsatz strenger anzuwenden.17 Angesichts des strengen Maßstabes der Kommission an die Merkmale der „Außergewöhnlichkeit“ und „Unvorhersehbarkeit“ in der neueren Praxis 18 erscheint es unwahrscheinlich, dass die Kommission hiernach die Zuführung weiterer Beihilfen regelmäßig als neue Umstrukturierungsbeihilfe genehmigen wird. Unter unvorhergesehenen Umständen wurde bereits nach den alten Leitlinien ein Ereignis verstanden, das zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Umstrukturierungsplans in keiner Weise vorhergesehen werden konnte 19, und das auf externe Faktoren zurückzuführen ist, für die das Unternehmen keinesfalls verantwortlich gemacht werden kann 20. Diese Definition wird auch im Rahmen der neuen Leitlinien weitergelten und angesichts der gesetzgeberischen Intention voraussichtlich auch restriktiver angewendet werden. Wie bereits angedeutet reicht die ursprünglich vorgesehene Beihilfe in der Praxis jedoch oft nicht zur Sanierung des Unternehmens aus. Doch auch nach Erlass der neuen Leitlinien sind für die beihilfengewährenden Stellen und krisengeschüttelten Unternehmen gewisse Handlungsmöglichkeiten gegeben, Umstrukturierungsbeihilfen nachträglich zu erhöhen oder anzupassen:

15

Neue Leitlinien, Nr. 75. Alte Leitlinien, Nr. 48 mit Fn. 24, 25. Vgl. Pressemitteilung der Kommission IP/04/856 vom 7. Juli 2004. 18 Vgl. etwa Kommission, Staatliche Beihilfe C 36/2000, ABlEG 2001 Nr. C 211, S. 27ff., Randnr. 112ff., 115ff - Graf von Henneberg Porzellan. 19 Nr. 48 a.E. der alten Leitlinien. Vgl. in den neuen Leitlinien Rn. 74 mit Fn. 2. 20 Kommission, Entscheidung v. 23.02.2000, ABlEG 2000 Nr. L 295, S. 21, Rn. 56 – Korn-Fahrzeuge und Technik. 16 17

4

2.2.2. Ausweg: Bloße „Änderung“ des Umstrukturierungsplans? Handelt es sich um eine Umstrukturierungsbeihilfe, ist eine erneute Zuwendung an den Beihilfeempfänger jedenfalls dann genehmigungsfähig, wenn sie (lediglich) eine Änderung des Umstrukturierungsplans nach Genehmigung durch die Kommission darstellt. Dies ist in Nr. 52ff. der Leitlinien geregelt. In diesem Fall kann der betreffende Mitgliedstaat während der Umstrukturierungsphase bei der Kommission beantragen, dass diese die Änderungen des Umstrukturierungsplanes und des Beihilfebetrages akzeptiert. Eine Definition des Andauerns der Umstrukturierungsphase lässt sich aus Fn. 23 zu Nr. 48 sowie Anhang I, Teil IV, sechster Gedankenstrich der alten Leitlinien ableiten. In ersten Fällen unter den neuen Leitlinien lässt die Kommission derzeit erkennen, dass sie erneute Umstrukturierungsbeihilfen zumindest dann nicht zu genehmigen bereit ist, wenn die Maßnahmen seitens des staatlichen Beihilfengebers bereits durchgeführt worden sind, die vollständige Umsetzung des Umstrukturierungsplanes aber noch andauert. Diese Lösung würde sich also nur anbieten, wenn noch vor oder während der Beihilfenimplementierung Änderungen angezeigt erscheinen, also ein enger zeitlicher Bezug zwischen ursprünglicher und erneuter Beihilfenvergabe besteht. Der Kommission kommt des Weiteren hinsichtlich der Entscheidung über eine Änderung des Umstrukturierungsplans Ermessen zu („kann genehmigen“). Eine Genehmigung setzt die Beachtung folgender Regeln voraus: (1) (2)

(3)

(4)

Auch der geänderte Plan muss die Wiederherstellung der langfristigen Rentabilität innerhalb einer angemessenen Frist erkennen lassen, Nr. 52 lit. a. Wird der Beihilfebetrag heraufgesetzt, so muss auch die verlangte Gegenleistung höher sein als ursprünglich festgelegt, Nr. 52 lit. b. Hier gelten wiederum die Nr. 35ff. der Leitlinien. Übernommene Kompensationsmaßnahmen sind ggf. zu erweitern. Verbot geringerer Gegenleistungen: Keinesfalls dürften die angebotenen Gegenleistungen geringer sein als ursprünglich vorgesehen, da ansonsten der Beihilfebetrag entsprechend verringert werden müsste, Nr. 52 lit. c der Leitlinien. Verzögerungen: Der neue Zeitplan für die Gegenleistung darf sich gegenüber dem ursprünglich beschlossenen Zeitrahmen nur aus Gründen verzögern, die das Unternehmen oder der Mitgliedstaat nicht zu vertreten haben; andernfalls ist der Beihilfebetrag entsprechend zu verringern.

5

Änderungen des Umstrukturierungsplans sind schon häufig wegen des Zeitablaufs zwischen Notifizierung und Abschluss der Umstrukturierung unvermeidbar. 21 So hat die Kommission unter den alten Leitlinien und zuvor bereits zahlreiche Änderungen des Umstrukturierungsplanes genehmigt. Einige Entscheidungen betrafen Änderungen des Umstrukturierungsplans, die noch während des Notifizierungsverfahrens erfolgten, so etwa in den bereits erwähnten Verfahren Air France22 und Philipp Holzmann AG23. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob die Änderung des Umstrukturierungsplans während des Notifizierungsverfahrens oder nach der Genehmigung vorgenommen wird. Denn es liegt nicht in der Hand des krisengeschüttelten Unternehmens, wie lange das Verfahren bei der Kommission dauert. Daher wäre es willkürlich, nur Änderungen des Umstrukturierungsplans vor Erlass der Genehmigung von den relevanten Bestimmungen der Leitlinien als erfasst zu sehen. So beziehen sich die Leitlinien auch ausdrücklich auf den Fall von Änderungen des Umstrukturierungsplanes nach Genehmigung der Umstrukturierungsbeihilfe, Nr. 52 Satz 1 der Leitlinien. Entsprechend hat die Kommission in dem Beihilfenverfahren GANGruppe24 eine Änderung einer Umstrukturierungsbeihilfe nach bereits erfolgter Genehmigung als zusätzliche Beihilfe genehmigt. Zwar war der „one time, last time“-Grundsatz zum damaligen Zeitpunkt in den Leitlinien von 1994 noch nicht ebenso streng wie unter den alten oder den neuen Leitlinien formuliert. 25 Ebenso wenig existierte zum damaligen Zeitpunkt die heutige Unterscheidung zwischen einer neuen Beihilfe und einer Änderung des Umstrukturierungsplans. Allerdings kam im Falle GAN-Gruppe erschwerend hinzu, dass für die GAN-Gruppe schon während des ersten Beihilfenverfahrens die weitere Verschlechterung ihrer Lage absehbar war und sie dies der Kommission nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte. 26 Auch dies stand einer erneuten Genehmigung einer Umstrukturierungsbeihilfe jedoch nicht im Wege. In weiteren Fällen hat die Kommission die Genehmigung weiterer Umstrukturierungsbeihilfen auch damit begründet, dass sie durch das Scheitern eigentlich vorgesehener Umstrukturierungsmaßnahmen (wie etwa Privatisierungen) notwendig geworden ist.27

21

Von Donat, in: Heidenhain, Handbuch des Europäischen Beihilfenrechts, 2003, § 17 Randnr. 111. Kommission, Entscheidung v. 27.07.1994, ABlEG 1994 Nr. L 254, S. 73ff. Kommission, Entscheidung v. 8.05. 2001, ABlEG 2001 Nr. L 248, S. 46ff., vgl. Randnr. 59ff. zur Änderung des Umstrukturierungsplans sowie Randnr. 33ff. zum ursprünglichen Umstrukturierungsplan. 24 Kommission, Entscheidung v. 30.07.1997, ABlEG 1998 Nr. L 78, S. 1ff., insbes. S. 9, 24. 25 ABlEG 1994 Nr. C 368, S. 12ff., vgl. 3.2.2 (i) a.E.: „Wie Rettungsbeihilfen sollten auch Umstrukturierungsbeihilfen deswegen normalerweise nur einmal gewährt werden müssen.“ Weitere Einschränkungen enthielten diese Leitlinien nicht, weshalb über das Kriterium „normalerweise“ eine Durchbrechung des „one time, last time“-Prinzips in größerem Umfang möglich war. 26 Kommission, Entscheidung v. 30.07.1997, ABlEG 1998 Nr. L 78, S. 1ff., S. 9. Aus diesem Grund hat die Kommission die Genehmigung bzgl. der ersten Beihilfe zurückgenommen und die Beihilfe im Verfahren bzgl. der zweiten Beihilfe erneut geprüft, vgl. S. 10 der Entscheidung. Wegen der zahlreichen erschwerenden Faktoren und erheblichen Mitschuld der GAN-Gruppe hat die Kommission die Beihilfe nur unter einschneidenden Zusagen und Bedingungen sowie im Umfang begrenzt g enehmigt. 27 Kommission, Entscheidung v. 8.05.2001, ABlEG 2001 Nr. L 248, S. 46ff., Randnr. 116 - Philip Holzmann AG; Kommission, Entscheidung v. 27.03.1999, ABlEG 1999 Nr. L 83, S. 62ff., S. 66 - Herborn & Breitenbach GmbH. 22 23

6

2.2.3. Relativ geringfügige Erhöhung der Beihilfe Oft wird eine Umstrukturierungsbeihilfe nur geringfügig aufgestockt. Dies kann eine nicht anmeldepflichtige geringfügige quantitative Änderung einer bestehenden Beihilfe darstellen, wenn die Erhöhung nicht mehr als 20 % des ursprünglichen Beihilfenbetrages beträgt. Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 vom 21. April 2004 28 wird eine Erhöhung der Ausgangsmittel für eine bestehende Beihilfe bis zu 20 % nicht als Änderung einer bestehenden Beihilfe angesehen. Diese Bestimmung scheint zwar in erster Linie systematisch nur Änderungen von Beihilfenregelungen zu umfassen.29 Andererseits ist der Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 nicht auf Beihilfenregelungen beschränk, da er generell von „bestehenden Beihilfen“ spricht. Hiermit sind sowohl Beihilferegelungen als auch Einzelbeihilfen gemeint, vgl. Art. 1 lit. b ii) der VO 659/1999. 30

3. Eigenbeitrag des Unternehmens Unternehmen, die Umstrukturierungsbeihilfen erhalten, mussten schon immer einen Eigenbeitrag zur Umstrukturierung leisten. Dies folgte aus dem Grundsatz der auf das Minimum begrenzten Beihilfe, wonach dem Unternehmen keine überschüssige Liquidität zugeführt werden darf. Die Kommission hat oftmals Eigenbeiträge von ca. 10% im Falle von KMU31, bei Großunternehmen aber auch in Einzelfällen bis zu 90 %32 als ausreichend angesehen. Die genaue Höhe war hierbei nicht vorhersehbar und schien sowohl von dem jeweiligen Angebot des Unternehmens und dem Ermessen der Kommission abzuhängen. Nunmehr werden diese Grundsätze durch die neuen Leitlinien in den Nrn. 43ff. konkretisiert. Es muss sich um einen konkreten, d.h. tatsächlichen Beitrag handeln ohne für die Zukunft erwartete Gewinne wie Cashflow. Er muss so hoch wie möglich sein. Während Nr. 40 der alten Leitlinien jedoch nur bestimmte, dass das Unternehmen einen “bedeutenden Beitrag” zu dem Umstrukturierungsplan leistet, stellt Nr. 44 der neuen Leitlinien konkrete Vorgaben auf: 33 Im Regelfall wird die Kommission bei kleineren Unternehmen einen Mindestbeitrag von 25%, bei mittleren Unternehmen von 40% und bei großen Unternehmen von 50% als ausreichend ansehen. In außergewöhnlichen Umständen und in Härtefällen, die der betreffende Staat nachzuweisen hat, kann die Kommission ausnahmsweise einen geringeren Beitrag akzeptieren. Diese Vorschriften in den neuen Leitlinien stellen also eine echte Verschärfung im Vergleich zur alten Rechtslage dar. 28

ABlEU Nr. L 140 v. 30.4.2004, S. 1ff. Art. 4 Abs. 2 sowie Erwägungsgrund 4 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004. ABlEG 1999 Nr. L 83, S. 1ff., geändert durch Akte zum Beitrittsvertrag, ABlEU Nr. L 236 v. 23.9.2003, S. 33ff. Dieser verfahrensrechtlichen Regelung hinsichtlich nicht relevanter Änderungen bestehender Beihilfen in einem geringeren Umfang als 20 % scheint ein allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde zu liegen. So ist etwa bereits in dem Schreiben der Kommission an die Mitgliedstaaten vom 22. Februar 1994 (Europäische Kommission, Wettbewerbsrecht in den Europäischen Gemei nschaften, Band IIA, Wettbewerbsregeln für staatliche Beihilfen, Stand 31. Dezember 1994, Seite 81) festgelegt, dass die Erhöhung der Jahresmittel einer genehmi gten Regelung nicht mehr angemeldet werden muss, wenn sie u.a. nicht mehr als 20 % des ursprünglichen Jahresbetrages b eträgt. 31 Kommission, Entscheidung v. 27.11. 2002, ABlEU 2003, L Nr. 103, S. 50, Rn. 73 m.w.N. in Fn. 34 - Ambau Stahl und Anlagen. 32 Kommission, Entscheidung v. 8.05. 2001, ABlEG 2001 Nr. L 248, S. 46ff., Rn. 104 – Philipp Holzmann. 33 Vgl. hierzu auch Fehr, ZIP 2004, 2123, 2128. 29 30

7

4. Schmerzhafte Einschnitte: Kompensationsleistungen Umstrukturierungsbehilfen mussten auch nach den alten Leitlinien von Maßnahmen begleitet werden, die die nachteiligen Auswirkungen der Beihilfe auf Konkurrenten nach Möglichkeit abmildern. 34 Die alten Leitlinien sahen - im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips - insbesondere die Begrenzung der Marktpräsenz vor. Auf einem Markt mit Überkapazitäten mussten Kapazitäten abgebaut werden. 35 So wurde etwa in der bisherigen Kommissionspraxis (Banco di Napoli36, Banco di Sicilia37, Crédit Lyonnais 38) zu Beihilfen im Bankensektor bisweilen eine Verkleinerung des Filialnetzes von beihilfebegünstigten Banken um 10-35 % als Reduzierung der Marktpräsenz eingefordert. Bei wesentlich kleineren Banken hat die Kommission hingegen keine Verkleinerung des Geschäftsstellennetzes für notwendig erachtet.39 In der Entscheidung zur Bankgesellschaft Berlin hat die Kommission die bisher umfangreichsten Verpflichtungszusagen entgegengenommen. Die Bankgesellschaft Berlin muss weite Teile der Bankengruppe sowie Tochterfirmen und Niederlassungen im Inund Ausland veräußern, ausgliedern oder schließen, so insbesondere den für die Krise verantwortlichen Geschäftsbereich.40 Die notwendigen Kompensationsmaßnahmen sind nunmehr in Nr. 38ff. der neuen Leitlinien ausgeweitet worden. 41 Möglich sind die Veräußerung von Vermögenswerten, ein Kapazitätsabbau, eine Beschränkung der Marktpräsenz oder eine Senkung der Zutrittsschranken auf den betreffenden Märkten. Dies wird regelmäßig durch die Trennung und Veräußerung von Geschäftsbereichen erfolgen. Hierbei bleiben die Schließungen von defizitären Geschäftsbereichen, die ohnehin zur Wiederherstellung der Rentabilität notwendig gewesen wären, außer Betracht. Der Kapazitätsabbau bzw. die Begrenzung der Marktpräsenz sind nun integraler Bestandteil des Umstrukturierungsplans. Auf Märkten, auf denen seit langem strukturelle Überkapazitäten bestehen, kann die Reduzierung der Kapazitäten und der Marktpräsenz bis zu 100% ausmachen. Die Beihilfen beschränken sich dann auf die Deckung der Sozialkosten der Umstrukturierung sowie Umweltschutzbeihilfen zur Reinigung verschmutzter Standorte, die andernfalls aufgegeben werden müssten. Daneben kann die Kommission nach Nr. 46 der neuen Leitlinien – wie bereits nach Nr. 42 der alten Leitlinien – weitere Bedingungen vorsehen, an die die Genehmigung der Beihilfe geknüpft wird. Es liegt im Interesse der Unternehmen, sowohl den Eigenbeitrag als auch die Kompensationsmaßnahme so gering wie möglichen zu halten. Dies könnte etwa geschehen durch Berufung auf

34

Nr. 35ff. der alten Leitlinien. EuG, Rs. T-110/97, Slg. 1999, II-2811ff., Randnr. 88ff – Kneissl Dachstein Sportartikel. Kommission, Entscheidung v. 29.07.1998, ABlEG 1999 L 116, S. 36, 53f. – Banco di Napoli. 37 Kommission, Entscheidung v. 10.11.1999, ABlEG 2000 L 256, S. 21, Randnr. 110 – Banco di Sicilia und Sicilcassa. 38 Kommission, Entscheidung v. 20.05.1998, ABlEG. 1998 Nr. L 221, S. 28ff.; Entscheidung v. 26.07.1995, ABlEG. 1995 Nr. L 308, S. 92ff. – Crédit Lyonnais. 39 Kommission, Entscheidung v. 14.10.1998, ABlEG. 1999 L 198, S. 1, 2 – Societé Marseillaise de Crédit (SMC); Kommission, Entscheidung v. 23.06.1999, ABlEG. 2001 L 34, S. 36 Randnr. 10 – Crédit Foncier de France. 40 Kommission, Entscheidung v. 18.02.2004, Staatliche Beihilfe C 28/2002, vgl. auch Pressemitteilung IP/04/234. 41 Vgl. hierzu auch Fehr, ZIP 2004, 2123, 2127f. 35 36

8



• •

den Status des Unternehmens als „kleines Unternehmen“. In diesem Fall gelten zwar die Regeln über den Eigenanteil, nicht aber die Grundsätze über Kompensationsmaßnahmen, Nr. 41, 82 der neuen Leitlinien. Auch insoweit stellen die neuen Leitlinien eine Verschärfung dar, da bisher an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) weniger strenge Maßstäbe angelegt worden sind, Nr. 55 der alten Leitlinien. die Lage in einem Fördergebiet, Nr. 56 der Leitlinien. Hiernach kann die Kommission in diesen Fördergebieten weniger strenge Anforderungen an die Ausgleichsmaßnahmen und Eigenleistungen stellen. die ausreichende Kompensationswirkung relativ geringer Gegenleistungen.

5. Ausblick Zwar hat die Kommission bekundet, dass sie unter den neuen Leitlinien an die Gewährung von Umstrukturierungsbeihilfen - und insbesondere an den Einmaligkeitsgrundsatz strengere Maßstäbe anlegen wird. Es bleibt aber abzuwarten, ob sie in bestimmten - insbesondere in politisch brisanten - Fällen wie bisher Ausnahmen zulässt. Die Erwartungshaltung, dass der Staat bei drohenden Insolvenzen großer Unternehmen einschreitet, ist sehr hoch. Dies hat sich in Deutschland an medienwirksamen Fällen wie Philipp Holzmann und Babcock Borsig42 sowie zuletzt in Frankreich anlässlich der Beihilfengewährung in Milliardenhöhe an Alstom 43 gezeigt.

42 43

Kommission, Entscheidung v. 19.03.2003, Staatliche Beihilfe N 703/B/2002, IP/03/401. Kommission, Entscheidung v. 7.07.2004, Staatliche Beihilfe C 58/2003.

9

Die Autoren Dr. Ulrich Soltész, LL.M. Rue Guimard 7 B-1040 Brüssel T +32 2 55110-20 F +32 2 5121568 [email protected]

Dr. Ulrich Soltész, LL.M., geboren 1967. Studium in Freiburg und Brüssel (LL.M. 1996). Promotion 1998. Seit 1997 Rechtsanwalt im Büro Brüssel. Mitglied der Studienvereinigung Kartellrecht, des Studienkreises Europäisches Beihilferecht und der International Bar Association (IBA). Schwerpunkte Europäisches Kartell- und Beihilferecht, allgemeines Europarecht Dr. Julia Marquier Rue Guimard 7 B-1040 Brüssel T +32 2 55110-20 F +32 2 5121568 [email protected]

Dr. Julia Marquier, geboren 1975. Studium in Bonn, Dresden und Paris X/ Nanterre. Promotion 2004. Seit 2004 Rechtsanwältin im Büro Brüssel. Mitglied der Studienvereinigung Kartellrecht. Schwerpunkte Europäisches Kartell- und Beihilfenrecht, Antidumping-Recht, allgemeines Europarecht.

10

Gleiss Lutz Berlin Friedrichstraße 71 D-10117 Berlin T +49 30 2094-6400 F +49 30 2094-6444

Gleiss Lutz Brüssel Rue Guimard 7 B-1040 Brüssel T +32 2 55110-20 F +32 2 5121568

Gleiss Lutz Frankfurt Mendelssohnstraße 87 D-60325 Frankfurt/Main T +49 69 95514-0 F +49 69 95514-198

Gleiss Lutz Prag Jugoslávská 29 CZ-12000 Prag 2 T +420 2 24007-500 F +420 2 24007-555

Gleiss Lutz München Prinzregentenstraße 50 D-80538 München T +49 89 21667-0 F +49 89 21667-111

Gleiss Lutz Warschau ul. Sienna 39 PL-00121 Warschau T +48 22 52655-00 F +48 22 52655-55

Gleiss Lutz Stuttgart Maybachstraße 6 D-70469 Stuttgart T 49 711 8997-0 F 49 711 855096

Budapest Kooperationspartner: Bán, S. Szabó & Partners József nádor tér 5-6 HU-1051 Budapest T +36 1 266-3522 F +36 1 266-3523

www.gleisslutz.com

11