Hochschulen, Akademien und wissenschaftliche Institute

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Author: Til Dresdner
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C

GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN

CB

BILDUNG UND ERZIEHUNG

CBB

Hochschulen, Akademien und wissenschaftliche Institute Universität 1409 - 2009 FESTSCHRIFT

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Geschichte der Universität Leipzig 1409 - 2009 / hrsg. im Auftrag des Rektors der Universität Leipzig ... von der Senatskommission zur Erforschung der Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. - Ausg. in fünf Bänden. - Leipzig : Leipziger Universitätsverlag. - 25 cm. - ISBN 978-3-86583-3105 (Gesamtausg.) [#0323] Bd. 1. Spätes Mittelalter und frühe Neuzeit 1409 - 1830/31 / von Enno Bünz ; Manfred Rudersdorf ; Detlef Döring. - 2009 [ersch. 2010]. - 861 S. : Ill., graph. Darst., Kt. - ISBN 978-3-86583-3013 : EUR 72.00 Bd. 2. Das neunzehnte Jahrhundert 1830/31 - 1909 / von Hartmut Zwahr ; Jens Blecher. - 2010 [ersch. 2011]. - 927 S. : Ill. ISBN 978-3-86583-302-0 : EUR 72.00 Bd. 3. Das zwanzigste Jahrhundert 1909 - 2009 / von Ulrich von Hehl ... - 2010. - 969 S. : Ill., graph. Darst., Kt. - ISBN 978-386583-303-7 : EUR 84.00

Mit dem Erscheinen des Bandes 2 im März 2011 ist die große Geschichte der Leipziger Universität nun vollständig. 5198 Seiten sind es geworden und damit wahrhaft eine Enzyklopädie zur Historie der Alma Mater Lipsiensis. Nimmt man die zahlreichen weiteren, im Umfeld des 600jährigen Jubiläums erschienenen Monographien hinzu, so kann man schon jetzt konstatieren, daß Leipzig momentan zu den besonders gut erforschten deutschen Universitäten zählt. Zahlreiche dieser Abhandlungen wurden im Rahmen der ausführlichen Rezension der zuerst erschienenen Bände 4 und 5 in IFB angesprochen.1 Weitere Neuerscheinungen fanden später an gleicher Stelle umfassende Berücksichtigung. 1

Bd. 4. Fakultäten, Institute, zentrale Einrichtungen / hrsg. von Ulrich von Hehl ... 2009. - Halb.-Bd. 1 - 2. - 1641 S. : Ill. - ISBN 978-3-86583-304-4 : EUR 99.00. Bd. 5. Geschichte der Leipziger Universitätsbauten im urbanen Kontext / unter Mitwirkung von Uwe John hrsg. von Michaela Marek und Thomas Topfstedt. 2009. - 796 S. : Ill., Kt. - ISBN 978-3-86583-305-1 : EUR 84.00. - Rez.: IFB 09-1/2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz303670878rez-1.pdf

Befaßten sich die Bände 4 und 5 mit den Fakultäten, Instituten, zentralen Einrichtungen sowie den Universitätsbauten, so liefern die nun vorliegenden Bände einen historischen Längsschnitt. Sie stammen aus der Feder Leipziger Historiker, die die Entwicklung ihrer Hochschule quellennah schildern und in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge einbetten. Es ist nicht leicht, einem derartigen Opus magnum gerecht zu werden, müßte man doch, wollte man ins Detail gehen, einen längeren Aufsatz dazu verfassen. Deshalb eine Skizze der Gesamtgeschichte mit Ergänzungen durch neueste Publikationen an entsprechender Stelle. Die Geschichte der Leipziger Universität begann mit dem Auszug der nichtböhmischen Nationen aus Prag.2 Nur etwa 500 von 2.000 Studenten blieben an der Moldau. Viele wandten sich nach Leipzig, wo man sie bereitwillig aufnahm. Die neugegründete Hochschule bestand zunächst nur aus einer philosophischen und einer theologischen Fakultät. Juristen und Mediziner kamen erst später hinzu. Im Kontext der allgemeinen Entwicklung der spätmittelalterlichen europäischen Universitäten schildert Enno Bünz im ersten Band die Gründung und Entfaltung der Universität Leipzig bis 1539. Wie alle Universitäten verfügte auch die Leipziger Hochschule von Anfang an über weitreichende Privilegien, vor allem über eine eigene Gerichtsbarkeit. Gravierende Konflikte zwischen Stadt und Universität standen nicht zuletzt deshalb an der Tagesordnung.3 Waffentragende Studenten sorgten für nicht wenige Unruhen und Übergriffe, konnten aber von der städtischen Gerichtsbarkeit nicht belangt werden. Der akademische Unterricht wurde zunächst noch ganz von der traditionellen scholastischen Lehrmethode geprägt. Aber auch in Leipzig gewann der Humanismus in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Poesie, Rhetorik, Grammatik, geschult an den großen Autoren der Antike, oder auch Physik standen immer mehr im Zentrum der Curricula. Erbitterten Widerspruch der

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Zur Frühgeschichte der Leipziger Universität: Die Gründungsdokumente der Universität Leipzig (1409) : Edition - Übersetzung - Kommentar / Enno Bünz ; Tom Graber. - Dresden : Thelem, 2010. - 139 S. : Ill., Kt. ; 23 cm + Beil. ([2] S.). 3 Detailliert dazu: Stadt und Universität Leipzig im späten Mittelalter / Alexander Sembdner. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2010. ISBN 978-3-374-02833-7 EUR 32.00. - "Ego collegiatus" - die Magisterkollegien an der Universität Leipzig von 1409 bis zur Einführung der Reformation 1539 : eine struktur- und personengeschichtliche Untersuchung / Beate Kusche. - Leipzig : Evangelische Verlagsanstalt, 25 cm. - (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte : Reihe A ; 6). - Zugl.: Leipzig, Univ., Diss., 2009. - ISBN 978-3-37402706-4 : EUR 118.00 [#2173]. - Teilbd. 1 (2009). - 458 S. - Teilbd. 2 (2009). - S. 465 - 979 : Ill., Kt. - Rez.: IFB 11-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz313600848rez-1.pdf Inkunabeln als Quellen der Leipziger Universitätsgeschichte / Holger Nickel. // In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte. - 18 (2009), S. 11 - 31. - Nicht nur das Mittelalter behandelnd: Stadt und Universität Leipzig : Beiträge zu einer 600jährigen wechselvollen Geschichte / hrsg. von Detlef Döring. - Leipzig : Leipziger Universitätsverlag, 2010. - 373 S. : Ill., graph. Darst. ; 24 cm. - (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig ; 1). - ISBN 978-3-86583-510-9 : EUR 49.00.

Theologen gab es allerdings, als Humanisten den Vorrang der Poesie vor der Theologie propagierten. Um 1500 gab es also erste Reformansätze, vor allem nachdem die 1502 gegründete, nicht weit von Leipzig entfernte Universität Wittenberg zu einer ernsthaften Konkurrenz wurde. Martin Luthers Lehre hatte zunächst keine direkten Auswirkungen auf die Leipziger theologische Fakultät. Seine Leipziger Disputation mit Johannes Eck und Andreas Karlstadt fand auf der Pleißenburg, nicht in den Räumen der Universität statt. Der Humanismus setzte sich in Leipzig langsamer als an anderen Universitäten durch, prägte aber bereits den Unterricht in der Medizin und der Rechtswissenschaft. Die Reformation setzte sich allerdings erst einige Jahre später durch. Im Jahre 1539 führte Herzog Heinrich die Reformation im albertinischen Sachsen ein. Die notwendigen Reformen gingen aber auf das Konto seines seit 1541 regierenden Sohnes Moritz. Die Leipziger Weichenstellung für die Neuzeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts untersucht Manfred Rudersdorf. Humanismus und Reformation prägten die folgenden Jahrzehnte. Neugegründete Fürstenschulen in Meißen oder Grimma ermöglichten angehenden Akademikern eine solide Vorbereitung auf ihr Studium. Die Universität und ihre Fakultäten (bis auf die juristische) erhielten 1543 neue Statuten, die unter anderem dem Landesherrn einen größeren Einfluß auf die Universitätsverwaltung sicherte. Angesichts des immer größeren Bedarfs an Verwaltungsbeamten stieg die Zahl der Rechtsstudenten enorm an. Gegenüber der mittelalterlichen Universität änderten sich die Lehrinhalte nicht generell. Mediziner und zum Teil auch die Philosophen stützen sich weiter auf die antiken Autoritäten Galen, Hippokrates oder Aristoteles. Vorlesung und Disputation blieben die wichtigsten Unterrichtsformen. Wie anderswo konnte man die akademischen Grade eines Bakkalars, eines Magister, eines Lizentiaten sowie in selteneren Fällen eines Doktors erwerben. Trotz innerkonfessioneller Auseinandersetzungen erlebte die lutherisch geprägte Hochschule vor und nach 1600, besonders bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges eine enorme Blüte, nahm sogar den ersten Rang unter den deutschen Universitäten ein. Um 1618 weilten durchschnittlich 1150 Studenten an der Pleiße, allerdings immer weniger aus calvinistischen oder katholischen Territorien. Zwischen 1616 und 1620 schrieben sich gut 3700 Studenten ein. Nach dem Eintritt der Schweden in die Kriegshandlungen mußte Kursachsen seine bisherige Neutralität aufgeben und auf protestantischer Seite die katholische Liga bekämpfen. Leipzig und Umgebung wurden zum Kriegsschauplatz, die Schweden zogen erst 1650 ab. Die allgemeine Verrohung der Sitten in Kriegszeiten beeinflußte auch das Studentenleben stark. Schlägereien, Duelle, nächtliche Ruhestörungen und auch die Unsitten der Initiationsriten, die Quälereien neuer Studenten im Rahmen der Deposition und des Pennalismus gab es zwar auch früher schon. Ein enormer Anstieg blieb allerdings unverkennbar. Drei später sehr prominente Gelehrte studierten in diesen unruhigen Zeiten in Leipzig: der Dichter Paul Fleming, der Jurist Samuel Pufendorf sowie der Philosoph und Polyhistor Gottfried Wilhelm Leibniz.

Betrachtet man die reinen Studentenzahlen nach 1650, mag es scheinen, daß Leipzig kaum gelitten hatte. Mit 3770 Immatrikulationen zwischen 1651 und 1655 übertraf man sogar die Zahlen der Vorkriegszeit und war wieder die meistfrequentierte Universität des Alten Reiches. Detlef Döring (Die Anfänge der modernen Wissenschaften. Die Universität Leipzig vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Universitätsreform 1650 - 1830/31) zeigt uns jedoch deutlich auf, wie schwer der Neubeginn für Stadt und Universität war. Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis die Albertina zu einer bedeutenden Hochschule der Aufklärung werden sollte. Christian Thomasius und August Hermann Francke waren am Ende des 17. Jahrhunderts renommierte Dozenten, die die lutherische Orthodoxie jedoch bald vertrieb. Sie wendeten sich nach Halle, deren 1694 gegründete Universität schnell zu einer großen Konkurrenz wurde. Während der Pietismus in Leipzig wenig Fuß fassen konnte, setzte sich aufklärerisches Gedankengut auch gegen die Widerstände orthodoxer Lutheraner zunehmend durch. Wie an anderen Hochschulen erlangte die Juristenfakultät immer größere Bedeutung, aber auch einzelne geisteswissenschaftliche Disziplinen emanzipierten sich deutlich. So errichtete man etwa einen neuen Lehrstuhl für Geschichte, den Johann Burckhard Mencke und Christian Gottlieb Jöcher innehatten. Weite Verbreitung und große Resonanz in der Welt der Wissenschaft fanden die Gelehrtenzeitschriften Acta eruditorum (ab 1682) oder Neue Zeitungen von gelehrten Sachen (ab 1715). An der Universität und in ihrem Umkreis kam es zur Gründung mehrerer wissenschaftlicher Vereinigungen und Dichtergesellschaften, die bekannteste davon wohl die von Johann Christoph Gottsched gegründete Deutsche Gesellschaft. Bei Studenten beliebt und somit einflußreich war zudem der Dichter Christian Fürchtegott Gellert, dessen Vorlesungen der junge Goethe zwischen 1765 und 1768 weit lieber besuchte als die Kollege seines eigentlichen Studienfachs Jura. Wie schon ein Jahrhundert früher studierte auch im Zeitalter der Aufklärung eine Reihe von Geistesgrößen in Leipzig. Neben Goethe sind zu nennen Friedrich Gottlieb Klopstock, Gotthold Ephraim Lessing und Jean Paul. Die Okkupation durch Napoleon und die folgenden Befreiungskriege bedeuteten auch für die deutschen Universitäten einen gravierenden Einschnitt. Viele kleinere Hochschulen wurden aufgelöst, andere wie das bald dominierende Berlin neu gegründet. In der Geschichte der Leipziger Universität war die Zäsur aber nicht die Zeit zwischen 1810 und 1815, sondern erst die Jahre 1830/31, in denen die Universität nach Jahren der Stagnation komplett reformiert wurde. Als Verbündeter Napoleons mußte Sachsen auf dem Wiener Kongreß einen hohen Preis zahlen, verlor mehr als die Hälfte seines Territoriums, darunter auch Wittenberg mit seiner bald aufgelösten bzw. nach Halle verlagerten Universität. Nach 1815 war Leipzig die einzige Landesuniversität Sachsens. Im Gegensatz zu manch anderen Thesen vom geringen Beitrag der Universitäten zum Fortschritt der Wissenschaften unterstreicht Döring die „wesentliche, ja zentrale Rolle“ (Bd. 1, S. 771) der deutschen Universitäten im 18. Jahrhundert.

Im Gegensatz zum ersten Band, der gut 400 Jahre abdeckt, sind es im zweiten Das neunzehnte Jahrhundert 1830/31 - 1909 nur rund 80, in denen die Universität aber ein völlig neues Gesicht bekam. Unter dem Einfluß des Neuhumanismus im Rahmen der Humboldtschen Universitätsreform emanzipierte sich die philosophische gegenüber den traditionellen oberen Fakultäten immer stärker und fächerte sich immer weiter auf.4 Auch die Studentenzahlen erreichten bis zum Beginn des 20. Jahrhundert ganz andere Dimensionen als früher.5 Hartmut Zwahr zeichnet die Entwicklung von 1830/31 bis 1871 nach (Im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft. Von der Universitätsreform bis zur Reichsgründung), während sich Jens Blecher der Blütezeit danach widmet (Landesuniversität mit Weltgeltung. Die Alma mater Lipsiensis zwischen Reichsgründung und Fünfhundertjahrfeier). In einem Exkurs stellt Gerald Wiemers verwandte außeruniversitäre Institutionen wie die Königlich Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften vor. Zunächst verlor die Universität im Zuge der Reform von 1830/31 ihre jahrhundertealten Autonomierechte wie etwa die eigene Gerichtsbarkeit. Das Kultusministerium in Dresden übte nunmehr eine strenge Kontrolle aus. Konflikte zwischen Regierung und Hochschule blieben in der Folgezeit nicht aus, was nicht zuletzt an der politisch immer aktiveren Studenten- und Professorenschaft lag. Nach der Revolution von 1848/48, die auch die Albertina stark tangiert hatte, setzte nach einigen Reformen die Entwicklung ein, die der Universität nach und nach Weltgeltung verschaffte. Renommierte Professoren wie der Philologe Friedrich Wilhelm Ritschl, der Historiker Karl Lamprecht, der Psychologe Wilhelm Wundt, der Chemiker Wilhelm Ostwald, der Jurist Karl Binding, der Mediziner Karl Thiersch oder der Theologe Adolf von Harnack lockten Studenten aus ganz Europa, ja sogar aus Übersee in die sächsische Metropole. Neben Berlin und München war Leipzig die dritte große Universität im Kaiserreich. Besonderer Beliebtheit erfreute sich zeitweilig die Juristenfakultät. Dort wie auch in anderen Fächern wurde man eine beliebte Promotionsuniversität, an der lange keine gedruckten Inaugu-

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Vgl. dazu auch Bd. 4. Dazu die demnächst siebenbändige Matrikel: Die Matrikel der Universität Leipzig / ed. und hrsg. von Jens Blecher und Gerald Wiemers. - Weimar : VDG, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften. - 29 cm. - Aufnahme nach Teilbd. 5 [8887]. - Teilbd. 1. Die Jahre 1809 bis 1832. - 2006. - 503 S. : Ill. ; 28 cm. - ISBN 978-3-89739-522-0 - ISBN 3-89739-522-3 : EUR 63.00. - Rez.: IFB 06-1-095 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz25752441Xrez.htm - Teilbd. 2. Die Jahre 1832 bis 1863. - 2007 [ersch. 2008]. - 613 S. : Ill. - ISBN 978-3-89739-589-3 : EUR 130.00. - Rez.: IFB 07-2-516 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz277558719rez-00.htm - Teilbd. 3. Die Jahre 1863 bis 1876. - 2008 [ersch. 2009]. - 594 S. - ISBN 978-3-89739608-1 : EUR 96.00. - Rez.: IFB 09-1/2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz307758966rez-1.pdf - Teilbd. 4. Die Jahre 1876 bis 1884. - 2009. - 625 S. - ISBN 978-3-89739-667-8 : EUR 108.00. - Teilbd. 5. Die Jahre 1884 bis 1892. - 2010. - 620 S. - ISBN 978-389739-668-5 : EUR 100.00. - Rez.: IFB 11-1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz335375472rez-1.pdf 5

raldissertationen üblich waren.6 Die Studenten und seit 1906 auch die Studentinnen hatten in der kulturellen und Handelsmetropole Leipzig vielfältigste Möglichkeiten, so daß sich auch hier ein intensives Verbindungsleben entwickelte. Hatte das Universitätsjubiläum 1809, mitten in den Napoleonischen Kriegen, noch unter einem denkbar ungünstigen Stern gestanden, so feierte man das 500. Gründungsjubiläum 1909 in ganz großem Rahmen, mit Festakten und auch einer umfangreichen Festschrift,7 die allerdings, da allzu kurzfristig vorbereitet, nicht sehr überzeugen konnte. Der bald ausbrechende Erste Weltkrieg beendete die Blüte der Universität Leipzig abrupt. Vier Autoren behandeln im dritten Band Das zwanzigste Jahrhundert 1909 2009. Den Anfang macht Ulrich von Hehl, der sich den Umbrüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widmet. Dem pompös gefeierten Jubiläum von 1909 folgte bald der Erste Weltkrieg. Das massenhafte Sterben auf den Schlachtfeldern des Krieges zeigte dann deutlich, daß man die Wirkung des neuhumanistischen Bildungsideals stark überschätzt hatte. Wissenschaften wie die Soziologie und die Psychologie, die den Menschen in das Zentrum ihrer Betrachtungen stellten, etablierten sich nach 1918 an den Universitäten, in Leipzig wie anderswo. Die philosophische Fakultät, die einstmals alle Disziplinen außer Theologie, Jura und Medizin umfaßt hatte, untergliederte sich nunmehr in Leipzig in eine philologisch-historische und eine mathematisch-naturwissenschaftliche Abteilung. Leipzig blieb auch in der Weimarer Republik eine gutbesuchte Universität, die in vielen Disziplinen mit herausragenden Gelehrten aufwarten konnte, etwa dem Hirnforscher Paul Flechsig, dem Medizinhistoriker Henry Ernst Sigerist, dem Theologen Franz Rendtorff, dem Kulturphilosophen und Pädagogen Theodor Litt und dem Physiker Werner Heisenberg. Die Mehrzahl der Studenten und viele Dozenten blieben auch unter einer demokratischen Regierung monarchischkonservativ, etliche, gerade Corpsstudenten, lehnten die Weimarer Republik strikt ab. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde folglich auch in Leipzig von vielen durchaus begrüßt. Mit der von den neuen Machthabern propagierten „Kämpferischen Wissenschaft“ setzte dort wie anderswo eine Entwicklung ein, die zur Entlassung mißliebiger, besonders jüdischer Hochschullehrer sowie letztlich zu einem dramatischen Niedergang der deutschen Wissenschaft insgesamt führen sollte. Parteigänger wie der Philosoph Arnold Gehlen profitierten von der Entwicklung, während andere, selbst der Nobelpreisträger Werner Heisenberg, ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. In dessen Fach kam es zu einer besonders abstrusen Entwicklung, propagierten doch Physiker wie Philipp Lenard wahrhaft eine „deutsche Physik“. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde auch die Lage an 6

Zum Promotionswesen detailliert: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht : das Leipziger Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und prägendes Element der akademischen Selbstverwaltung / Jens Blecher. - Halle (Saale), Univ., Diss., 2006. - 441 Bl. : graph. Darst. ; 30 cm + 1 CD-Rom Auch als Online-Ressource: urn:nbn:de:gbv:3-000009944 7 Dazu auch die Rez. von Bd. 4 und 5.

den Universitäten immer dramatischer. Die Mehrzahl der Studenten mußte zu den Fahnen eilen, unzählige ließen ihr junges Leben auf den Schlachtfeldern Europas. An ein normales Studium war bald nicht mehr zu denken. Die dramatischen Folgen des „totalen Krieges“ bekam auch die Leipziger Albertina brutal zu spüren. Alliierte Bomber zerstörten zwischen 1943 und 1945 die Mehrzahl der Universitätsgebäude teilweise oder komplett. Günther Heydemann zeigt die Sozialistische Transformation der traditionsreichen Alma Mater zwischen Kriegsende und Mauerbau auf. Stadt und Universität lagen im Mai buchstäblich am Boden, als zunächst die Amerikaner und bereits im Juli 1945 die Russen die Macht in Leipzig übernahmen. Es folgte ein Wechsel von einem totalitären Regime zum anderen. Das Wissenschaftsverständnis der nun herrschenden Kommunisten war wie bei den Nationalsozialisten parteipolitisch, ideologisch geprägt. Alle Studenten und Studentinnen hatten einen bedeutenden Pflichtanteil an marxistisch-leninistischen Lehrveranstaltungen zu absolvieren. Von Freiheit der Wissenschaft konnte keine Rede sein, sie hatte parteilich im Sinne der Machthaber zu sein. Entlassen wurden nunmehr in großer Zahl Belastete der NS-Zeit, oft aber auch einfach nur als „Bürgerliche“ eingestufte Dozenten. Das sowjetische Bildungs- und Erziehungswesen erhielt prägenden Einfluß. Junge Proletarier bekamen an der von 1949 bis 1962 bestehenden Arbeiter- und Bauernfakultät die Möglichkeit, die Hochschulreife zu erwerben. Die ständige Gängelung der Dozenten und Studenten blieb nicht ohne Proteste, die aber brutal niedergeschlagen wurden. Das Schicksal des Studentenführers Wolfgang Natonek lieferte ein besonders markantes Beispiel. Er wurde 1948 von der Sowjetischen Militäradministration verhaftet, zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und erst 1956 entlassen. Wie an anderen Hochschulen wurde auch an der Universität Leipzig, die seit 1953 den Namen Karl Marx’ trug, die Repression zunehmend stärker. Selbst der Philosoph und überzeugte Marxist Ernst Bloch geriet in Konflikt mit den Machthabern und wechselte, wie schon früher, sowie danach bis zum Mauerbau, viele weitere Akademiker nach Westdeutschland. Die enge Verbindung zwischen Partei und Hochschule zeigte in Leipzig besonders am Beispiel der Fakultät für Journalistik. Das „Rote Kloster“ blieb die zentrale Ausbildungsstätte für systemkonforme, in jedem Falle parteiliche Publizisten. Klaus Fitschen (Wissenschaft im Dienste des Sozialismus) analysiert dann die gegenüber früher eher noch stärkere Instrumentalisierung der Wissenschaft nach 1961. Ein brutaler Eingriff von oben war die Dritte Hochschulreform von 1968, die zur Auflösung von Fakultäten und Sektionen führte. Die Fächer faßte man, in vielen Fällen wenig durchdacht, in Sektionen zusammen. Im selben Jahr kam es zu einem weiteren Akt von Kulturbarbarei, der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli. Die „Reform“ führte aber nicht zu einer liberaleren Haltung der Staatsführung gegenüber den Hochschulen. Es gab zwar eine Reihe von deutsch-deutschen und auch internationalen Kontakten, von einer echten, umfassenden wissenschaftlichen Kommunikation konnte man nicht sprechen. Die Scheuklappen blieben auch in der “entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ enorm. Mit Fitschen kann man wohl von einer „Agonie“ der DDR-Wissenschaft am Ende der 1980er Jahre

sprechen. Glasnost und Perestroika ermutigten nun auch DDR-Bürger zu immer heftigeren Protesten, die schließlich zur „Friedlichen Revolution“, zum Zusammenbruch der DDR und zu einem Neubeginn im wiedervereinten Deutschland führten. Den demokratischen Neubeginn und die Weichenstellung für die Zukunft schildert Fritz König im abschließenden Kapitel. Wie in vielen anderen Lebensbereichen erwies sich auch im Hochschulwesen ein grundlegender Umbau als unabdingbar, galt es doch, die Relikte des Kommunismus zu tilgen und eine moderne, an westdeutschen Standards orientierte Hochschullandschaft zu schaffen. Von den zu 80 % in der SED organisierten Professoren konnte man nicht erwarten, daß sie Reformen freudig begrüßen würden. Angesichts dieser Situation war an grundlegende Veränderungen von innen nicht zu denken. Die sächsische Landesregierung erließ folglich im Dezember 1990 den sogenannten Abwicklungsbeschluß, der alle ideologisch belasteten Sektionen auflöste. Dazu gehörten unter anderen die Journalistik, Wissenschaftlicher Sozialismus, Geschichte der Sowjetunion, der KPDSU, Geschichte der DDR und der SED. Unumstritten war dieser Eingriff in die Hochschulautonomie allerdings nicht. Studenten, die um ihre Abschlüsse bangten, protestierten ebenso heftig wie die alten Kader, denen die Arbeitslosigkeit drohte. Die zwischen 1991 und 1996 durchgesetzte Reduktion der Mitarbeiterzahl von 14.000 auf rund 7.500 war in der Tat ein brutaler Einschnitt und für die Betroffenen und bedeutete vor allem für Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler oft ein hartes Schicksal. Nach westlichem Vorbild kehrte man zur traditionellen Untergliederung in 14 Fakultäten zurück.8 Um einen echten Neuanfang zu sichern, kam es zudem zu zahlreichen Neuberufungen von Dozenten aus der alten Bundesrepublik. Enormen Nachholbedarf gab es darüber hinaus bei der baulichen Erneuerung, waren doch viele Gebäude in einem katastrophalen Zustand, so etwa die seit Kriegsende halb zerstörte Universitätsbibliothek. Zum Jubiläum 2009 ist auch das historische Zentrum der Universität am Augustusplatz mit einem neuen repräsentativen Hauptgebäude sowie weiteren Domizilen für Institute, Hörsäle usw. wiedererstanden. Dazu gehört auch der wenngleich nicht originalgetreue Wiederaufbau der 1968 gesprengten Paulinerkirche, um deren Rekonstruktion lange erbittert gestritten wurde.9 Nach den schwierigen, aber absolut notwendigen Reformen zählt die Universität Leipzig heute mit ihrem breiten Fächerspektrum und ihren rund 30.000 Studenten wieder zu den gut besuchten, renommierten Hochschulen Deutschlands.

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Zu deren jüngster Geschichte vgl. auch Band 4. Zu baulichen Aspekten generell vgl. Band 5 sowie: Die Universität Leipzig im Spiegel der Stadtentwicklung von 1409 bis 2009 / Helga Schmidt ; Gudrun Mayer. - Leipzig : Leipziger Universitätsverlag, 2010. - 135 S., 6 Bl. : Ill., graph. Darst., Kt. ; 21 cm + 1 CD-ROM. - (Veröffentlichung des Universitätsarchivs Leipzig ; 11). - ISBN 978-3-86583-456-0 : EUR 19.00 [#1442]. - Rez.: IFB 10-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz327468874rez-1.pdf 9

Allein 2758 Seiten umfaßt der dreibändige Längsschnitt. Im Gegensatz zur Darstellung der Fakultäten und Fächer in Band 4 haben hier relativ wenige Autoren, allesamt Dozenten der Albertina, größere Zeiträume behandelt, „ausgewachsene“ Monographien beigesteuert, ist die Darstellung eher „aus einem Guß“ als bei vielen Beteiligten. Die lange, systematische Vorplanung durch die Senatskommission hat sich ohne Zweifel ausgezahlt, dies ganz im Gegensatz zu 1909. Die Querverbindungen zu den Bänden 4 und 5 sind natürlich zahlreich und unbedingt geboten. Wenn auch lang, sind die Darstellungen für den interessierten Laien gut lesbar, generell sorgfältig aus den Quellen gearbeitet und in die Stadt- und Landesgeschichte eingebettet.10 Jeder der ersten drei Bände enthält eine umfangreiche, von Uwe John bearbeitete Bibliographie. Zahlreiche Illustrationen, Tabellen und Diagramme passen vorzüglich zu den Texten. Was Gesamtdarstellungen der 600jährigen Universitätsgeschichte anbetrifft, ist die Alma Mater Lipsiensis mittlerweile dreistufig mit neueren Darstellungen versorgt: mit der vorliegenden wissenschaftlichen Langfassung, wie angeklungen wahrhaft eine Enzyklopädie, die eher ihren Platz in großen Bibliotheken finden wird, mit einer „mittleren“ einbändigen von Krause11 sowie dem Taschenbuch von Flöter.12 Wenn auch thematisch etwas enger begrenzt, muß hier zusätzlich Hoyers Studentengeschichte anführen.13 Dem Rezensenten drängt sich abschließend die Frage auf, wie angesichts der ungebrochenen „Festkultur“ im Universitätswesen14 Festschriften zum 10

Zum 1000. Jahrestag der Ersterwähnung Leipzigs soll im Jahre 2015 eine vierbändige Stadtgeschichte vorliegen. 11 Alma mater Lipsiensis : Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart / Konrad Krause. - Leipzig : Leipziger Universitätsverlag, 2003. - 647 S. : Ill., Kt. ; 25 cm. - ISBN 3-936522-65-0 : EUR 39.00. 12 Leipziger Universitätsgeschichte(n) : 600 Jahre Alma Mater Lipsiensis / Jonas Flöter. - Leipzig : Evangelische Verlagsanstalt, 2009. - 235 S. : Ill. ; 19 cm. ISBN 978-3-374-02698-2 : EUR 12.80 [#0496]. - Rez.: IFB 10-1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz303873523rez-1.pdf 13 Kleine Geschichte der Leipziger Studentenschaft 1409 - 1989 / Siegfried Hoyer. - Leipzig : Leipziger Universitätsverlag, 2010. - 311 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 978-3-86583-480-5 : EUR 24.00 [#1185]. - Rez.: IFB 10-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz325359628rez-1.pdf 14 An dieser Stelle bietet sich ein Hinweis auf die methodisch verwandte, ähnlich umfangreiche Geschichte der wesentlich jüngeren Universität Berlin an: Geschichte der Universität Unter den Linden : 1810 - 2010 / hrsg. von Rüdiger vom Bruch und Heinz-Elmar Tenorth. - Berlin : Akademie-Verlag. - 25 cm. - Bd. 1 3 mit Zusatz: Biographie einer Institution, Bd. 4 - 6: Praxis ihrer Disziplinen [#1071]. - Bd. 4. Genese der Disziplinen : die Konstitution der Universität / hrsg. von Heinz-Elmar Tenorth in Zsarb. mit Volker Hess und Dieter Hoffmann. - 2010. 579 S. : Ill., graph. Darst. - ISBN 978-3-05-004669-3 : EUR 69.80. - Rez.: IFB 10-2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz314882731rez-1.pdf - Bd. 5. Transformation der Wissensordnung / hrsg. von Heinz-Elmar Tenorth in Zsarb. mit Volker Hess und Dieter Hoffmann. - 2010. - 819 S. : Ill. - ISBN 978-3-05-004670-9 : EUR 99.80. - Rez.: IFB 11-3 http://ifb.bsz-bw.de/bsz314883045rez-1.pdf - Bd. 6. Selbstbehauptung einer Vision / hrsg. von Heinz-Elmar Tenorth. In Zusammenarbeit mit Volker Hess

650-, oder gar 700jährigen Geburtstag der Hochschule aussehen mögen? Haben wir dann nur noch „Schools of ...“ und selbst die Germanisten, Romanisten oder Slawisten reden und schreiben Englisch? Gibt es überhaupt noch gedruckte Jubiläumsschriften? Wir Zeitgenossen werden es mehrheitlich nicht mehr erfahren. Manfred Komorowski QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz 303670878rez-1.pdf

und Dieter Hoffmann. - 2010 762 S. : Ill. 978-3-05-004671-6 : EUR 128.00. - Die für 2010 angekündigten Bd. 1 - 3 waren bis Ende Dezember 2011 noch nicht erschienen. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen.