Hochbegabung Vorbemerkung Die Begriffe „hochbegabt“ und „besonders begabt“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch synonym verwendet. In der Literatur wird das Konstrukt „hochbegabt“ eher als Zusammenspiel mehrerer Begabungen auf sehr hohem Niveau gesehen. Dagegen wird „besonders begabt“ eher im Zusammenhang mit einzelnen Begabungen benutzt. Die Beschäftigung mit dem Thema „Besondere Begabung“ ist nicht allein als Folge der letzten Pisa - und OECD - Studien zu sehen, vielmehr gehört die Förderung begabter junger Menschen zu den wichtigsten Aufgaben unseres Bildungssystems. Gemäß der Bayerischen Verfassung Art. 128 hat „…jeder Bewohner Bayerns einen Anspruch darauf, eine seinen erkennbaren Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entsprechende Ausbildung zu erhalten.“ 1. Definition des Begriffs „Hochbegabung“ Hochbegabung als Begriff ist, wie auch die Intelligenz, ein hypothetischer Konstruktbegriff, deswegen hängen die Definitionen von der jeweiligen theoretischen Bezugsbasis ab. Gemeinsam ist jedoch fast allen Modellen, dass Umweltfaktoren und individuelle Faktoren in Bezug zueinander stehen. Hochintelligente Menschen werden somit nicht mit hochbegabten Menschen gleichgesetzt, denn der Intelligenzquotient gibt nur einen quantitativen Wert zur Erbringung außergewöhnlicher Leistungen im kognitiven Bereich wieder. Das triadische Interdependenzmodell von MÖNKS (1992)1 beruht auf einem dynamischen Konzept menschlicher Entwicklung.

Familie

Peers Intelligenz

Kreativität

Aufgabenzuwendung Hochbegabung Schule

Für die Beratung eignet sich das Münchner Hochbegabungsmodell von HELLER (2000)1. Es macht in differenzierter Form deutlich, welchen Stellenwert die Intelligenzmessung im Gesamtzusammenhang einnimmt. Zudem zeigt es auf, welche Moderatoren für die Entwicklung und Manifestation der besonderen Begabung bedeutsam sind. Das Modell bietet die Chance (v.a. in der Elternberatung) auf eventuelle Schwachstellen und damit einhergehende Interventions- und Veränderungsmöglichkeiten einzugehen. Stressbewältigung

Leistungsmotivation

Arbeits- und Lernstrategien

(Prüfungs-) Angst

Kontrollüberzeugungen Soziale Beziehungen

Intellektuelle Fähigkeiten

Kunst Musik Malen

Nicht kognitive Persönlichkeitsmerkmale Moderatoren

Kreative Fähigkeiten

Sprache

Soziale Kompetenz

Musikalität

Begabungsfaktoren Prädiktoren

Naturwissenschaften

Leistungsbereiche Kriteriumsvariablen

Sport

Psychomotorik

Mathematik Umweltmerkmale Moderatoren

Künstlerische Fähigkeiten

Technik Praktische Intelligenz

Familiäre Lernumwelt

Informatik Schach Familienklima

Instruktionsqualität

Klassenklima

Kritische Lebensereignisse

illustriert von ULBRICHT

Das differenzierte Begabungs- und Talentmodell von Gagné hebt die Bedeutung des Übens, Lernens und des Trainings bei der Erbringung von besonderen Leistungen hervor.

Abb. aus Präsentation Grassinger, Robert

2. Erkennen von Hochbegabung Wenn man von der Identifizierung oder dem Erkennen von Begabung spricht, nimmt man an, dass es Methoden gibt, auch hochbegabte Kinder und Jugendliche, deren Begabungsanlagen noch völlig unentfaltet sind, anhand spezifischer Merkmale zu erkennen. Eine derartige Möglichkeit wäre aus pädagogischer Sicht äußerst wünschenswert und sie ist auch letztlich Ziel der psychologischen Hochbegabungsforschung. (FELS, 1999)1. Begabung zu erkennen, Begabungsunterschiede in einer nicht diskriminierenden Weise wahrzunehmen und als pädagogisch-psychologische Aufgabe zu begreifen, das sind nach WEINERT (1998)2 die wichtigsten Bedingungen einer begabungsdifferenzierenden Beschulung. Das Erkennen besonderer Begabung hängt dabei von der Aufgeschlossenheit der beteiligten Lehrkräfte, von deren diagnostischer Kompetenz und in besonderer Weise von den in den Beobachtungen anzuwendenden Kriterien ab.

Diagnostik von Hochbegabung sollte folgende Elemente beinhalten: • Anamnese (Fragebogen) • Testdiagnostik (Intelligenz, Kreativität, Schulleistungen, Persönlichkeit) • Beobachtungen (Checklisten) • Informelle Verfahren (Informelle Schulleistungsdiagnostik, Einschulungsverfahren) • Lehrerurteil, Zeugnisse (sie können ein Hinweis sein) Die Ergebnisse der Intelligenzdiagnostik sind eine wichtige Grundlage für die Hochbegabungsdiagnostik. Ab einem IQ - Wert von 130 spricht man von Hochbegabung, wobei das Vertrauensintervall des Tests berücksichtigt werden muss. Diesen Wert erreichen nach der Normalverteilung von Gauß rund 2% eines Jahrgangs. Die Intelligenztests sagen jedoch nur bedingt etwas aus über die tatsächlichen Stärken und Schwächen eines Kindes. Insbesondere schulische Erfolge lassen sich nur etwa zu 50% über vorhandene intellektuelle Fähigkeiten voraussagen. Zudem vertritt RENZULLI (1975)1 die These, dass Hochbegabung kein stabiles Personenmerkmal ist, sondern sich durch günstige Umstände für eine gewisse Zeit ergeben kann. Gebräuchliche Intelligenztests und zu beachtende Kriterien im Schulalter: HAWIK IV

AID 2

ab dem Schulalter geeignet, für Normalschulbereich geeicht, differenziert im Extrembereich nicht so gut differenziert eher im unteren Leistungsbereich, für Hochbegabungsdiagnostik im Vorschulalter geeignet interessant kann der Wert der Intelligenzquantität sein

CFT 1-R, CFT 20-R

eher als Screeningverfahren geeignet, da sich kein Profil ergibt, nur in Verbindung mit anderen Intelligenztestverfahren zu verwenden)

NNAT

(Naglieri Nonverbal Ability Test), sprachfreier Grundintelligenztest (Matritzen)

MHBT-P

(Münchner Hochbegabungstestbatterie für die Primarstufe), aufwändig aber sehr umfassend (misst nicht nur Kognition, sondern auch soz. Kompetenz, Kreativität, etc.)

KFT 4-12+R

gebräuchlich in höheren Schulklassen

IDS

(Intelligenz- und Entwicklungsskalen für Kinder von 5-10 Jahren),

K-ABC

Intelligenzwert wie auch eine umfassende Entwicklungsprofilanalyse in sechs Funktionsbereichen: Kognition, Psychomotorik, sozial-emotionale Kompetenz, Mathematik, Sprache, Leistungsmotivation

3. Lern- und Verhaltensprobleme bei Hochbegabten Schwierig im Hinblick auf Diagnostik und auf gesellschaftliche Akzeptanz zeigt sich die Identifikation von hochbegabten lern- und/ oder verhaltensauffälligen Schülern. Es kann davon ausgegangen werden, dass nicht die Hochbegabung an sich das alleinige, auslösende Moment für Verhaltensauffälligkeiten ist. Diese haben häufig multifaktorielle Bedingungsfaktoren, von denen einer Hochbegabung sein kann. Ein „Underachiever“, also ein Schüler, dessen schulische Leistungen im Gegensatz zu seinen kognitiven Fähigkeiten stehen, braucht eine umso differenziertere Diagnostik und unterstützende Umgebung. Faktoren für die Entstehung des „Underachievements“ können häusliche Faktoren, schulische Einflüsse und Persönlichkeitsmerkmale des Kindes sein1. Häufig fällt bei Schulanfängern eine dyssynchrone Entwicklung auf, d. h. die emotionale, kognitive, motivationale Dimension der Schulfähigkeit (z.B. Basisfertigkeiten im Umgang mit Zahlen oder hohe sprachliche Kompetenz vs. motorische Entwicklung) ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Hier ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller am Prozess Beteiligten besonders wichtig. 4. Möglichkeiten der Förderung Zur Förderung von Hochbegabten gibt es im schulischen Bereich folgende Möglichkeiten. 1) Enrichment (Anreicherung des Lerninhaltes): Differenzierung, Wochenplanarbeit, Freie Arbeit, Stationentraining, Projektarbeit, Helfersysteme, differenzierte Hausaufgaben. 2) Akzeleration (Beschleunigung der Schullaufbahn): rechtzeitige Einschulung, Überspringen einer Jahrgangsstufe oder Wechsel der Schulart. 3) Selektion (Grouping): Spezialschulen, Hochbegabtenklassen, alternative Schulmodelle. Alle drei Handlungsmöglichkeiten erfordern eine eingehende und kooperative Beratung von Eltern, Kind und Schule, die individuell auf das jeweilige Kind und sein Begabungsprofil abgestimmt ist. Ein wichtiger Bereich im Umgang mit Hochbegabten und der damit zusammenhängenden Förderung sind auch außerschulische Einrichtungen. Hier kann auf Fördervereine, Kinderakademien oder Internetangebote hingewiesen werden (Adressen hierzu sind im Anhang zu finden). In einigen Fällen kann auch therapeutische Begleitung angezeigt sein. Unterstützung in der Beratung und Förderung im Zusammenhang mit Hochbegabung wird durch das ISB – Projekt „Besondere Begabungen an bayerischen Grundschulen finden und fördern“ angeboten. An allen bayerischen Grundschulen gibt es fortgebildete Ansprechpartner. Deren Namen sind bei den Schulleitungen oder dem zuständigen Staatlichen Schulamt zu erfragen. Ebenso gibt es in Mittelfranken einen Arbeitskreis der Regierung „Besondere Begabungen an bayerischen Grundschulen finden und fördern“, bei dem sich die Multiplikatoren auf Schulamtsebene zweimal im Jahr zu aktuellen Entwicklungen informieren. 2008 wurde ein Netzwerk „Besondere Begabungen“ in Mittelfranken aufgebaut, in dem Schularten, Beratungsfachkräfte, Fördervereine, interessierte Ärzte und Therapeuten in Verbindung gebracht werden. (www.netzbb.de)

Ausführliche Informationen zum Thema finden sich auch in der ISB - Handreichung „Besondere Begabungen an bayerischen Grundschulen finden und fördern“ 1, die über die Ansprechpartner an den Schulen ausgeliehen werden kann. Ebenso wurde vom Arbeitskreis auf Regierungsebene eine Handreichung für Schulleitungen zusammengestellt, die bei wichtigen Fragen im Zusammenhang mit Hochbegabung weiterführende Informationen geben kann. Diese Handreichung ist auf den Schulamtshomepages oder bei den jeweiligen Ansprechpartnern auf Schulamtsebene zu erhalten. Auch jahrgangsgemischte Eingangsklassen oder der Modellversuch FLEGS (Flexible Grundschule) können Alternativen für besonders begabte Kinder sein. Zur Akzeleration der Schullaufbahn können hier die ersten beiden Schuljahre in nur einem Jahr absolviert werden. Möglichkeiten der Zuweisung zu einer derartigen Klasse sind beim entsprechenden staatlichen Schulamt zu erfragen. Um zur Klärung der adäquaten Beschulung beizutragen, kann in Abstimmung mit allen Beteiligten (Eltern, Kind, Schulleitung, abgebende und aufnehmende Klassenlehrkraft, Beratungsfachkraft) eine „Schnupperzeit“ in der nächsthöheren Jahrgangsstufe vereinbart werden. Hier empfiehlt sich ein gut vorbereiteter Zeitrahmen von ca. 3 Wochen. Eine stufenweise Ausweitung der Teilnahme am Unterricht (z.B. erste Woche 2 Tage, zweite Woche 3 Tage, dritte Woche 5 Tage) kann neben dem Modell des kompletten Besuchs der nächsten Klasse eine Alternative sein. Es ist darauf zu achten, dass das „Schnuppern“ mit offenem Ausgang organisiert wird, damit das betreffende Kind auch ohne Belastung wieder in die ursprüngliche Klasse zurückkehren könnte. „Neben der Einführung von Hochbegabtenklassen in allen Regierungsbezirken um Schuljahr 2009/10 und der Ausweitung vor allem des außerschulischen Förderangebots wird [mit einem] Multiplikatorenprojekt den weiterführenden Schulen – hauptsächlich Realschule und Gymnasium - Unterstützung angeboten, um die Lehrkräfte für die Diagnose und Förderung von besonderen Begabungen zu sensibilisieren. Analog zu dem erfolgreichen Projekt, das 2004 im Bereich der Grundschule eingeführt wurde, werden nun auch in den weiterführenden Schulen spezielle Ansprechpartner für Begabungsangelegenheiten fortgebildet, so dass die Kontinuität nach der Grundschulzeit gewahrt wird.“ 5. Rechtliche Grundlagen BAYEUG Art. 56: „Alle Schüler haben […] ein Recht darauf, eine ihren erkennbaren Fähigkeiten und ihrer inneren Berufung entsprechende schulische Bildung und Förderung zu erhalten.“ KMS Nr. III/8-4/16512 vom 15.02.1990:Die Einschulung erfolgt immer erst in die 1. Klasse Bay EUG Art. 37(1) Satz 2: „Ferner wird auf Antrag der Erziehungsberechtigten ein Kind schulpflichtig, wenn auf Grund der körperlichen, sozialen und geistigen Entwicklung zu erwarten ist, dass das Kind mit Erfolg am Unterricht teilnehmen wird; ein schulpsychologisches Gutachten ist erforderlich.“

Interessante Internetadressen •

www.br-online.de unter Suchbegriff „Hochbegabung“



www.lernfoerderung.de



www.hochbegabungs-links.de



www.begabtenzentrum.at



http://www.bildung-und-begabung.de/begabungslotse/themenlotse

Literatur •

Grassinger, R.: Beratung hochbegabter Kinder und Jugendlicher. Reihe Talentförderung-Expertiseentwicklung-Leistungsexzellenz (Bd.4). LIT-Verlag, 2009



Heller, Kurt A. (Hrsg.): Hochbegabung im Kinder- und Jugendalter. HogrefeVerlag: Göttingen, 20012



Mönks,F. & Ypenburg,I.: Unser Kind ist hochbegabt – Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 1998



Preckel, F.: Internetguide für begabte Kinder und Jugendliche – zoom. Münster: Lit., 2002



Schulte zu Berge, S.: Hochbegabte Kinder in der Grundschule, Münster, 2001



Webb, J. et al.: Hochbegabte Kinder, ihre Eltern, ihre Lehrer: ein Ratgeber. Bern: Huber, 2007



Winner, E.: Hochbegabt. Mythen und Realität von außergewöhnlichen Kindern. Stuttgart: Klett Cotta, 1998



Steenbuck,O., Quitmann, H. , Esser, P. Inklusive Begabtenförderung in der Grundschule. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2011

Anlaufstellen für Information, Beratung, Förderung in Nürnberg und Umgebung •

Besonders Begabte Kinder e.V.: Christel Gebhardt Jakob-Wassermann-Str. 28 90763 Fürth 0911 – 97 26 733 www.besonders-begabte-kinder.de



Deutsche Gesellschaft für das Hochbegabte Kind (DGhK) Cornelia Greiner Rieterstr. 78 90530 Wendelstein 09129 – 28 78 20 www.Kleverkids.de



Mensa Kids Franken (bis 12 Jahre) Gabriele Fürgut Lercherstr. 15 91091 Großenseebach 09135 – 21 04 28 [email protected] www.kids.mensa.de



Mensa Juniors Franken (ab 12 Jahre) Monika Hänelt Dachsbergstraße 10 91207 Lauf 09123 – 980 87 66 [email protected] http://nuernberg.mensa.de/



www.schulberatung.bayern.de/schulberatung/bayern/fragen_paed_psy/hochb egabung



www.deutsche-schuelerakademie.de



Dürer – Gymnasium (Modellklasse beginnend ab 5. Jahrgangsstufe) Sielstraße 17 90429 Nürnberg 0911 – 9937989 www.duerer-gymnasium.de



Netzwerk Besondere Begabungen www.netzbb.de