HNO Fragen und Antworten

Dirk Koch

HNO Fragen und Antworten

Dirk Koch HNO-Klinik Prosper-Hospital gem. GmbH Recklinghausen Deutschland

ISBN 978-3-662-49458-5 ISBN 978-3-662-49459-2  (ebook) DOI 10.1007/978-3-662-49459-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Berlin Heidelberg

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Für Laura, Ben und Finn und für Susi in Erinnerung an wundervolle gemeinsame 20 Jahre

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Geleitwort Wie trainieren wir unsere Assistenten und Assistentinnen für die bevorstehende Facharztprüfung? Das war die Ausgangsfrage in unserer Oberarztbesprechung vor vielen Jahren, auf die Herr Koch die Antwort wusste: Wir stellen ihnen jeden Morgen eine kurze Facharztfrage. Engagiert machte er sich daran, die monatlichen Fragelisten zusammenzustellen. Aber was sollten wir mit unserem intellektuellen morgendlichen 5-Minuten-Aufwecker am Ende der Frühbesprechung machen, nachdem die überwiegende Mehrzahl unserer Mitarbeiter Fachärzte geworden waren? Herr Koch ließ nicht locker, er produzierte Fragen über Fragen, die jetzt auch die Fachärzte, Oberärzte und auch mich als Chef häufig ins Schwitzen brachten. Manches hätte man als langjähriger Facharzt eigentlich beantworten können sollen, manches war – wenn auch sachlich – so doch eher humorvoll oder kurios - und bei wieder anderen Fragen fragte man sich, warum man sie sich bisher eigentlich nie gestellt hatte. Neben dem Wissen, das uns Herr Koch angeregt hat zu erwerben, hat er uns mit seinen Fragen noch etwas viel Bedeutenderes vermittelt: Die HNO-Heilkunde kann für den Interessierten niemals langweilig werden! Es ist ein Fach mit so unglaublich vielen Facetten, dass darin intellektuelle Neugier stets Nahrung findet. Und übersehen wir auch nicht, dass so einiges von dem Detailwissen auch außerhalb der HNO-Ärzte manches Staunen auszulösen vermag. Ich freue mich sehr, und zwar nicht nur für Herrn Koch, sondern auch für uns HNO-Ärzte insgesamt, dass der Springer-Verlag diesen Fragenkatalog verlegt, den auch der erfahrenste Facharzt nicht missen möchte. Ich wünsche Ihnen, dem Leser, mit diesem Buch einige nachdenkliche und humorvolle Stunden. Prof. Dr.med. Dr. med. dent. Dr.h. c. Ralf Siegert, Recklinghausen April 2016

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Geleitwort Entstanden aus der Idee einer klinikinternen HNO-Fortbildung hat sich der Fragen- und Antwortkatalog des vorliegenden Buches zu einem interessanten Sammelsurium von Themenbereichen jenseits des geforderten Facharztwissens entwickelt. Den Inhalt der einschlägigen Literatur unseres Fachgebietes weitestgehend außer Acht lassend, fokussiert das Werk auf Randbereiche, Kuriositäten, historische Anekdoten, aber auch auf ganz pragmatische klinische Handlungsempfehlungen bzw. Strategien sowie hochaktuelle Entwicklungen. Durch die lockere Schreibweise ist die Lektüre dieses Buches ausgesprochen kurzweilig und unterhaltsam. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wird auf dem Boden von historischen Tatsachen und naturwissenschaftlichen Phänomenen ein Detailwissen vermittelt, welches auch ausgewiesenen Experten unseres Fachgebietes nicht zwingend präsent sein dürfte. Wer hat sich beispielsweise schon einmal Gedanken darüber gemacht, "Warum es bei der elektrischen Kauterisation knallen kann?", "Ob man Schlaf nachholen kann?", "Ob man sich durch den eigenen Schrei einen Lärmschaden zufügen kann?", "Warum Zerumen bitter ist?", "Ob sich eine Septumplastik auf das Liebesleben auswirkt?", "An welcher HNO-Erkrankung Martin Luther litt?“ oder "Ob Fische hören können?“ Das mitunter kuriose, nur auf den ersten Blick vermeintlich nutzlose Wissen vermag die Stimmung im Operationssaal oder bei Visite aufzuhellen und erlaubt den Blick über den Tellerrand, abseits von Standards, Leitlinien und schematischen Algorithmen. Dieses Buch kann jedem uneingeschränkt empfohlen werden, der sich dem fortwährenden Streben nach Wissensgewinn verschrieben hat und dies auf unterhaltsame Weise nähergebracht bekommen möchte. Ich wünsche dem Buch viel Erfolg und eine weite Verbreitung. Prof. Dr. med. Thomas Hoffmann, Ulm April 2016

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Vorwort Man wird nie ein neues Land entdecken, wenn man immer das Ufer im Auge behält. (aus Thailand) Tue heute, was andere nicht tun wollen. Tue morgen, was andere nicht tun können. (Motto der Feuerspringer)

Die Idee für dieses Buch entspringt dem Wunsch unserer Klinik, die angehenden Fachärzte im Rahmen einer täglichen kurzen Fortbildung im Anschluss an die „Morgenbesprechung“ für ihre Facharztprüfung vorzubereiten, um strukturierte Antworten und die freie Rede über ein kleines Thema – quasi als kleine Prüfungssimulation – zu üben. Nach einigen Jahren war das klassische Lehrbuchwissen nahezu abgegrast, und ich habe begonnen, Fragen zu stellen, die mitunter einer erheblichen Vorbereitung und Recherche bedürfen. Inspiriert werde ich dabei durch die historische und insbesondere aktuelle, auch fachübergreifende Literatur und das „Kleingedruckte“ hier und dort. Oder aber mir kommt einfach tags oder nachts eine Frage in den Sinn. Dabei liegt der Schwerpunkt entweder auf vermeintlich ganz banalen Grundlagen, die von Jedem täglich als ganz selbstverständlich hingenommen, aber nie ernsthaft hinterfragt werden (z. B. Frage 68: Warum knallt es beim Kautern eines Gefäßes?), auf ganz praktischen und pragmatischen Lösungen des HNO-ärztlichen Alltags (z. B. Frage 70: ASS: Wann ist eine Operation ohne Gefahr möglich?), auf grundsätzlichen Gedanken zu unserem täglichen Handeln (z. B. Frage 154: Wie wirkt sich eine Septumplastik auf das Liebesleben aus?), auf aktuellen Forschungsergebnissen und -entwicklungen (z. B. Frage 279: Werden wir in Zukunft mit Licht hören können?) oder aber auf interessanten historischen Anekdoten (z. B. Frage 275: Warum wurde das Kehlkopfkarzinom von Kaiser Friedrich III so spät erkannt?). Im Laufe der Jahre hat sich dabei ein Fragenkatalog des gehobenen HNO-Facharztwissens entwickelt, der hier nun auszugsweise wiedergegeben wird. Dabei schlägt dieses Buch somit die Brücke zwischen aktuellen und neuen Aspekten der HNO-Heilkunde, die noch nicht Eingang in die Lehrbücher gefunden haben, und historischem, in Vergessenheit geratenem Wissen. Immer besteht jedoch der unmittelbare Bezug zur HNO-Heilkunde, die als vermeintlich kleines Fachgebiet eine riesige Bandbreite aufweist, wie Sie sehen werden. Ich wünsche allen Lesern eine kurzweilige Lektüre, die vielleicht und hoffentlich auf unterhaltsame Art und Weise – und häufig mit einem gewissen Augenzwinkern – einen Wissensgewinn zu vermitteln vermag. Ich danke Herrn Dr. Richter und Frau Wilbertz vom Springer-Verlag, die dieses Buchprojekt von der ersten Idee über die Umsetzung bis zur Abwicklung in ganz hervorragender Weise begleitet haben.

XII  Vorwort

Vorwort

Mein Dank gilt auch meiner Lektorin Frau Dr. Merz, die das Manuskript innerhalb kürzester Zeit akribisch durchgearbeitet und jede noch so kleine Unachtsamkeit oder Ungereimtheit aufgespürt hat. Herzlichen Dank auch an die freundlichen Geleitworte meines früheren Lehrers Prof. Hoffmann und meines Chefs Prof. Siegert, denen ich beiden sehr verbunden bin. Ich danke Frau Wilhelm-Rump für die schnelle Literaturbeschaffung und Frau Singer für die weltbesten Audiogramme. Und ich danke meinen Kollegen, die mit Nachsicht und mehr oder weniger Humor darüber hinwegsehen, wenn der „Chefkoch“ sich mal wieder an irgendeiner Fragestellung festgebissen hat und sich mit der präsentierten Antwort nicht zufrieden geben möchte. Ich danke meinen Eltern, die von klein auf meine Zielstrebigkeit unterstützt haben, ohne die die Umsetzung auch dieses Projektes nicht möglich gewesen wäre. Und ich danke meinen 3 wundervollen Kindern, die mir mit ihrer kindlichen Sicht auf die Welt meine Neugier erhalten und mir stets als Quelle der Inspiration dienen. Ihr seid sowieso die größten Geschenke! Dirk Koch, Recklinghausen

April 2016

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Inhaltsverzeichnis 1

Ohr und Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

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Chirurgische Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

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HNO – allgemeine Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

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Hals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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Nase und Nasennebenhöhlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Schlafmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

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Pädiatrische HNO-Heilkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

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Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

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Speicheldrüsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

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Gesicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

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Traumatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

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Pharynx – Larynx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

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Historisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

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Neues aus der Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

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Instrumentenkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

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Ohr und Hören

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 D. Koch, HNO Fragen und Antworten DOI 10.1007/978-3-662-49459-2_1

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Kapitel 1 · Ohr und Hören

? 1. Warum entstehen Exostosen bei langjähriger regelmäßiger Wasserexposition? v Antwort Schon im 19. Jahrhundert wurden neben konstitutionellen und erblichen Faktoren physikalische Einflüsse wie regelmäßige (Kalt-) Wasserexposition vermutet, nachdem eine erhöhte Inzidenz bei Wassersportlern auffiel. Exostosen haben ihren Ursprung typischerweise im Bereich der Suturae petrotympanica et tympanomastoidea. Die Gehörgangshaut weist mit dem sogenannten Epidermoperiost neben der generell äußerst dünnen Beschaffenheit eine innige Verbindung zum Knochen auf. So kommt es zu einer unmittelbaren Übertragung des Kältereizes auf den Knochen, was für die meisten Autoren gerade im Bereich der genannten Suturen ursächlich für die Knochenneubildung zu sein scheint. Weitere physikalische oder biologische Einflussfaktoren sind möglich. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass durch die wiederholte Wassereinwirkung das sensible pH-Gleichgewicht des Gehörgangs geradezu zwingend gestört und das Gehörgangsepithel konsekutiv alteriert wird (Mlynski et al. 2008). ? 2. Ist eine durch Acetylsalicylsäure (ASS) induzierte Schwerhörigkeit reversibel? v Antwort Viele unserer Patienten haben aus unterschiedlichsten Gründen ASS in ihrer Medikation. Eine bekannte unerwünschte Nebenwirkung ist die Beeinträchtigung des Hörvermögens. Die Zusammenhänge zwischen der ASS-Dosis und einer Hörminderung wurden in einem Review von 10/14 aus der Harvard Medical School untersucht (Kyle et al. 2015), wobei insgesamt 37 Studien ausgewertet wurden. Aufgrund der zu erwartend inhomogenen Studienlage wurden die Patienten in die Kategorien "Dosis" und "entzündliche Begleiterkrankungen" eingeteilt. Für das Patientenkollektiv ohne entzündliche Begleiterkrankungen wurde eine signifikante Hörverschlechterung ab 1,95 g/Tag und für die Patienten zur Behandlung von entzündlichen Begleiterkrankungen (wie rheumatoide Arthritis oder Bindegewebserkrankung) ab 325 mg/Tag ermittelt. Die Ursachen dieser doch erheblichen Dosisdiskrepanz der beiden Patientenkollektive wurden nicht diskutiert, legen jedoch den Schluss nahe, dass entzündliche Mechanismen im Zusammenhang mit den Grunderkrankungen die Sinneszellen "vorab belasten" oder Synergieeffekte bestehen. Innerhalb eines Beobachtungszeitraumes von 7 Tagen war der Hörverlust nach Studienlage reversibel. Typischerweise besteht

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eine ASS-Medikation aber monate-, wenn nicht jahrelang. Zur Frage, ob die Beeinträchtigung des Hörvermögens in diesen Fällen auch reversibel ist, wurde von den Autoren nicht Stellung genommen. Interessanterweise scheint ASS darüber hinaus aber den ototoxischen Effekt von Aminoglykosiden signifikant abzuschwächen. Die Autoren erklären diesen Effekt über die antioxidative Wirkung von ASS, während Aminoglykoside bekanntermaßen die äußeren Haarzellen über die Freisetzung von reaktivem Sauerstoff schädigen können.

Fazit: 44 ASS führt zu einer signifikanten Beeinträchtigung des Hörvermögens. 44 Die Hörminderung ist abhängig von der Dosis im Zusammenhang mit der Indikation (Behandlung einer rheumatischen Grunderkrankung ja/nein). 44 Keine Beeinträchtigung des Hörvermögens unter 325 mg/Tag. 44 Der Effekt scheint reversibel, allerdings liegen keine Daten nach Langzeitmedikation vor. ? 3. Warum sollte die Stimmgabel am Handballen oder an der Kniescheibe angeschlagen werden? v Antwort Die Stimmgabel wurde 1711 von dem Militärtrompeter John Shore erfunden und repräsentiert physikalisch einen Beugeschwinger. Die beiden gegenläufig schwingenden Zinken verdichten bzw. verdünnen die zwischen ihnen liegende Luft und erzeugen hierdurch einen sinusförmigen Druckunterschied, der als Schall wahrgenommen wird. (In unmittelbarer Nähe der Stimmgabel kugelförmig, im Abstand einer Wellenlänge [ca. 77 cm bei 440 Hz] als ebene Schallwelle.) Bei den Hörprüfungen nach Rinne und nach Weber ist es entscheidend, wie die Stimmgabel in Schwingung versetzt wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Anschlagen der Stimmgabel gegen Holz oder Metall (z. B. typischerweise am Metallrahmen des Patientenbettes oder dem Nachtschrank neben dem Patientenbett) in Abhängigkeit von der Stärke des Schlages und der stimmgabelspezifischen Frequenz Obertöne entstehen, die das Testergebnis verfälschen können. Dies ist beim Anschlagen am Handballen oder der Kniescheibe nicht der Fall (Watson 2011; Stevens und Pfannenstiel 2014).

Fazit: Die Stimmgabel sollte beim Rinne- und beim Weber-Versuch ausschließlich am Handballen oder der Kniescheibe angeschlagen werden.

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Kapitel 1 · Ohr und Hören

? 4. Warum hat sich bei Stimmgabeln die Frequenz von 440 Hz bewährt? v Antwort Die Eigenfrequenz des Mittelohrs liegt um 1.000 Hz. Stimmgabeln mit einer Schwingungszahl pro Sekunde in diesem Bereich (800–1.000 Hz) führen zu nicht eindeutigen Ergebnissen, da es zu erheblichen Interferenzen (Überlagerung/Auslöschung) kommt. (Das Mittelohr reagiert wie jedes Schwingungssystem auf Schwingung von außen zunächst mit der Eigenfrequenz und nach Ende der Einschwingzeit mit der Frequenz der anregenden Kraft = Stimmgabel.) Stimmgabeln mit einer niedrigen Schwingungszahl sind zu groß und damit unhandlich, Stimmgabeln mit einer hohen Schwingungszahl (über 1.000 Hz) sind insofern ungünstig, als dass die Schwingungsfähigkeit des Mittelohrs oberhalb des eigenen Resonanzpunktes/der Eigenfrequenz mit steigender Frequenz abnimmt. Somit haben sich Stimmgabeln mit einer Frequenz von 440 Hz (musikalisches Pendant: Kammerton a') als Kompromiss bewährt und durchgesetzt (Lehnhardt und Laszig 2001). ? 5. Was ist die Schallabflusstheorie nach Mach? v Antwort Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit wird der Ton beim Weber-Versuch im erkrankten Ohr lauter gehört. Im Gegensatz zur Hypothese einer kompensatorisch erhöhten Sensitivität des Innenohres erklärt die Schallabflusstheorie nach Mach die Lateralisation in das erkrankte Ohr dadurch, dass die von der Stimmgabel symmetrisch auf die Innenohren übertragene Schallenergie aufgrund der Mittelohrproblematik im Innenohr verbleibt und nicht wie üblich zum Teil über die Gehörknöchelchenkette und das Trommelfell nach außen abgestrahlt wird. Die Richtigkeit dieser Hypothese liegt nahe, konnte jedoch bis heute nicht kausal bewiesen werden. ? 6. Warum läuft die Chorda tympani zwischen Hammer und Amboss frei durch das Mittelohr? v Antwort Wie so häufig bei anatomischen Fragestellungen kann die Embryologie Antwort geben: Der komplizierte Verlauf der Chorda tympani entsteht auf Grundlage der komplexen Entwicklungen der ersten beiden Kiemenbögen. Letztlich ist die Chorda tympani als

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Ast des N. facialis ein Teil des 2. Kiemenbogennervs. Obwohl sich Hammer und Amboss sowie der Unterkiefer aus dem 1. Kiemenbogen entwickeln, wird die Chorda dann aber während der embryologischen Entwicklung durch die Glaser'sche Spalte (Grenze zwischen 1. und 2. Kiemenbogenanlage!) mit nach kaudal und ventral Richtung Unterkiefer gezogen, um sich über den N. lingualis dem N. trigeminus als 1. Kiemenbogennerv anzuschließen. Die Chorda tympani ist somit die Schnittstelle zwischen 1. und 2. Kiemenbogennerv. Durch die Entwicklung des Recessus tubotympanicus aus der 1. Schlundtasche erfolgt dann sukzessive die Belüftung des Mittelohres, wodurch Hammer und Amboss sowie die Chorda tympani quasi exponiert werden, sodass sich der Verlauf der Chorda tympani frei durch das Mittelohr erklärt. ? 7. Warum hat der Steigbügel bei Menschen und Säugetieren seine besondere Form? v Antwort Jeder Kiemenbogen besitzt ja bekanntlich eine Knorpel- und Muskelanlage, eine Arterie, eine Vene und einen Nerv. Im Falle des 2. Kiemenbogens entwickeln sich daraus der obere Teil des Zungenbeins, der Processus styloideus und der Stapes (Knorpelanlage), die mimische Muskulatur, der M. stapedius, der M. stylohyoideus sowie der Venter posterior des M. digastricus (Muskelanlage), die A. stapedia und der N. facialis. Der Steigbügel entsteht aus dem kranialen Anteil der Knorpelanlage, dem Reichert'schen Knorpel. Die Form des Steigbügels kommt – wie auch für Säugetiere einzigartig in der Tierwelt – dadurch zustande, dass sich der Steigbügel in der Embryonalentwicklung um die zugehörige A. stapedia herum entwickelt, die sich dann in der Regel wieder zurückbildet. Die Schenkelchen verbleiben jedoch in ihrer Position. In extrem seltenen Fällen hat eine persistierende A. stapedia aber auch schon selbst sehr erfahrene Ohrchirurgen das Fürchten gelehrt, da sie eigentlich eine Gefäßanastomose aus dem ventralen Anteil der 1. (A. carotis interna) und dem dorsalen Anteil der 2. Kiemenbogenarterie (A. meningea media) darstellt und somit ein dramatisch hohes Flussvolumen übernehmen kann. Wie ersichtlich und schon unter Frage 6 (7 Frage 6) angedeutet, stellt das Mittelohr eine klinisch ganz bedeutende Schnittstelle zwischen 1. und 2. Kiemenbogenanlage dar. Somit erscheinen insbesondere in der Fehlbildungschirurgie einzelne Aspekte und Zusammenhänge nachvollziehbar und plausibel.

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