Historisches zur Gruppentheorie Dipl.-Inform. Wolfgang Globke Institut f¨ ur Algebra und Geometrie Arbeitsgruppe Differentialgeometrie Universit¨ at Karlsruhe

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Gruppen: Abstrakte Definition

Eine Gruppe ist eine Menge G mit einer Verkn¨ upfung ·, f¨ ur die gilt: 1

Assoziativit¨at g1 · (g2 · g3 ) = (g1 · g2 ) · g3 f¨ ur alle g1 , g2 , g3 ∈ G .

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Neutrales Element Es gibt eG ∈ G mit g · eG = g = eG · g f¨ ur alle g ∈ G .

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Inverse Elemente F¨ ur alle g ∈ G gibt es g −1 ∈ G mit g · g −1 = eG = g −1 · g .

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Gruppen als Transformationen

Urspr¨ unglich: Eine Gruppe G ist eine Schar von Transformationen“, die auf ” einer Menge M operieren. Permutationen operieren auf den Zahlen {1, . . . , n} durch Vertauschen. Drehungen, Verschiebungen operieren in der Ebene oder im Raum. Matrizen operieren auf Vektoren. Sp¨ater: Gruppen werden als eigenst¨andige Objekte - unabh¨angig von der Menge M - untersucht; dies f¨ uhrt zur abstrakten Definition.

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Algebraische Gleichungen Eine algebraische Gleichung ist eine Gleichung der Form f (X ) = 0, wobei f ein Polynom f (X ) = X n + an−1 X n−1 + . . . + a1 X + a0

Q

mit Koeffizienten ai ∈ ist. Eine solche Gleichung hat n L¨ osungen ξ1 , . . . , ξn ∈

C, d.h.

f (ξj ) = 0 f¨ ur j = 1, . . . , n. Kann man eine explizite Formel f¨ ur die L¨ osungen ξ1 , . . . , ξn angeben?

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Algebraische Gleichungen F¨ ur n = 1, 2, 3, 4 sind explizite Formeln bekannt, z.B. ist f¨ ur die quadratische Gleichung X 2 + pX + q = 0 die p-q-Formel“ bekannt: ” ξ1,2

p =− ± 2

r

p2 −q 4

Lange war unklar, ob f¨ ur n ≥ 5 eine allgemeine L¨ osungsformel existiert. Viele Spezialf¨alle wurde untersucht, u.a. von Lagrange, Vandermonde und Ruffini.

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´ Evariste Galois ´ Die endg¨ ultige Antwort kam von Evariste Galois (1811-1832).

Er bewies, dass es f¨ ur n ≥ 5 keine allgemeine L¨ osungsformel geben kann. Aber er bewies noch mehr: Galois entwickelte eine Theorie, mit deren Hilfe man f¨ ur eine algebraische Gleichung bestimmen kann, ob eine Gleichung mit Hilfe von Wurzelausdr¨ ucken gel¨ ost werden kann.

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Galois-Gruppen algebraischer Gleichungen Um seine Theorie zu beweisen, verwendete Galois erstmals ein Struktur, die wir heute als Gruppe bezeichnen: Bekannt war, dass die L¨ osungen ξ1 , . . . , ξn einer Gleichung untereinander algebraische Beziehungen erf¨ ullen m¨ ussen: h(ξ1 , . . . , ξn ) = 0, wobei h(X1 , . . . , Xn ) ein Polynom in n Variablen ist. Galois erkannte, dass eine Untergruppe von Permutationen aus Sn diese Beziehungen unver¨andert l¨asst: h(ξσ(1) , . . . , ξσ(n) ) = 0 f¨ ur σ ∈ Gal(f ) (die Galois-Gruppe der Gleichung f (X ) = 0).

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Galois-Gruppen algebraischer Gleichungen

Beispiel: Beziehungen zwischen den L¨ osungen einer quadratischen Gleichung X 2 + pX + q = 0. Die L¨osungen ξ1 und ξ2 erf¨ ullen die Formeln von Vieta: ξ1 + ξ2 = −p,

ξ1 ξ2 = q,

d.h. die algebraischen Beziehungen sind durch die Polynome h1 (X1 , X2 ) = X1 + X2 + p,

h2 (X1 , X2 ) = X1 X2 − q

gegeben.

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Galois-Gruppen algebraischer Gleichungen

Beim L¨osen einer Gleichung wird der Zahlk¨ orper, in dem man rechnet, schrittweise um Wurzelausdr¨ ucke erweitert. So geht man vor, bis alle L¨ osungen gefunden sind. Galois erkannte nun, dass einem solchen Zwischenschritt eine Untergruppe H von Gal(f ) entspricht.

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Galois-Gruppen algebraischer Gleichungen

Eine Galois-Gruppe wird aufl¨ osbar genannt, wenn es eine geeignete“ Kette ” Gal(f ) ) H1 ) H2 ) . . . ) Hk = {id}. von Untergruppen gibt. Ergebnis von Galois: Eine algebraische Gleichung f (X ) = 0 ist genau dann durch Wurzelausdr¨ ucke l¨ osbar, wenn die zugeh¨ orige Galois-Gruppe Gal(f ) aufl¨osbar ist.

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Nach Galois

Galois betrachtete nur endliche Gruppen, und auch unter diesen nur die Permutationen. Nach Galois’ fr¨ uhem Tod war es vor allem Camille Jordan (1838-1922), der die Theorie der endlichen Gruppen voranbrachte. Er etablierte auch die Bezeichung Gruppe“. ” Die erste abstrakte Definition von Gruppen stammte von Arthur Cayley (1821-1895). Seine Definition fasst die Gruppe als Schar von Transformationen auf einer Menge auf, aber er verlangte nicht die Endlichkeit der Gruppe.

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Felix Klein Felix Klein (1849-1925) propagierte die systematische Verwendung von Gruppen zu Beschreibung geometrischer Symmetrien.

In seinem Erlanger Programm von 1872 schlug Klein vor, verschiedene geometrische Modelle mit Hilfe von Gruppen zu charakterisieren. Eine Geometrie wird festgelegt durch eine Gruppe von geometrischen Transformationen und durch geometrischen Gr¨oßen, die unter der Operation dieser Gruppe unver¨andert bleiben. 12 / 20

Geometrien und Gruppen

Geometrie

Gruppe

Euklidische Geometrie

Bewegungen

affine Geometrie

Affinit¨aten

projektive Geometrie

Projektivit¨aten

Invarianten Abst¨ande Winkel Unterr¨aume Parallelit¨at Teilverh¨altnis Unterr¨aume Parallelit¨at Teilverh¨altnis Unterr¨aume Doppelverh¨altnis

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Sophus Lie

Der norwegische Mathematiker Sophus Lie (1842-1899)

inspirierte Klein zu seinem Erlanger Programm. Lie stieß bei der Untersuchung der Transformationen von Geraden und Sph¨aren auf kontinuierliche (also unendliche) Transformationsgruppen, die heute ihm zu Ehren Lie-Gruppen genannt werden.

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Kontinuierliche Gruppen

Analog zur Galois-Theorie f¨ ur algebraische Gleichungen wollte Lie die Struktur von Differentialgleichungen mit Hilfe von kontinuierlichen Symmetriegruppen untersuchen. Er entdeckte, dass seine Gruppen geometrischen Operationen auf Fl¨achen im Raum (bzw. deren Verallgemeinerungen im n-dimensionalen, sogenannten Mannigfaltigkeiten) entsprechen. Zugleich haben Lie-Gruppen selbst die Struktur einer Mannigfaltigkeit, d.h. Lie-Gruppen k¨ onnen nun selbst wieder als geometrische Gebilde untersucht werden.

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Beispiele: Lie-Gruppen

R Rn . SLn (R) = lineare Transformationen, die Volumen und GLn ( ) = lineare Transformationen des Orientierung erhalten.

R

SOn ( ) = Transformationen, die Winkel, Abst¨ande und Orientierung erhalten. Diese Gruppen k¨onnen durch Matrizen dargestellt werden.

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Anwendungen: Physik

In der Physik beschreiben Gruppen die Symmetrien und Erhaltungsgr¨oßen physikalischer Systeme. Das ber¨ uhmte Theorem von Emmy Noether (1882-1935) besagt: Zu jeder Symmetrie-Gruppe eines physikalischen Systems geh¨ort eine Erhaltungsgr¨oße - und umgekehrt. Beispiele: Ist ein System invariant unter Rotationen, so ist der Drehimpuls eine Erhaltungsgr¨ oße. Ist ein System invariant unter Verschiebungen, so ist der Impuls eine Erhaltungsgr¨ oße.

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Anwendungen: Robotik Transformationen der Koordinatensysteme in den Gelenken eines Roboters liegen in der Bewegungsgruppe des Raumes.

Klassisches Problem der inversen Kinematik: Wie sind die Gelenke eines Roboters einzustellen, um eine vorgegebene Zielposition zu erreichen? Dieses Problem l¨asst sich mit Hilfe von Lie-Gruppen formalisieren. Die geometrische Struktur der Gruppe kann dann L¨osungen liefern. 18 / 20

Anwendungen: Kombinatorische Probleme Kombinatorische Probleme lassen sich oft mit Hilfe von Permutationen formalisieren. Akademisches Lieblingsbeispiel: Der Rubik-W¨ urfel. σ

τ

Nummeriert man die 54 Quadrate, so erzeugen die Spielz¨ uge beim Rubik-W¨ urfel eine Untergruppe der S54 . Jeder Zustand des W¨ urfels entspricht einer Permutation. Diese kann man als Produkt der erlaubten Spielz¨ uge darstellen. Durch Inversion dieses Produktes wird der Rubik-W¨ urfel gel¨ost. 19 / 20

J. Bewersdorff Algebra f¨ ur Einsteiger (Vieweg) MacTutor History of Mathematics B. Hall Lie Groups, Lie Algebras and Representations (Springer) M. Grassl, W. Globke Algorithmen f¨ ur Gruppen und Codes H. Weyl Symmetry (PUP)

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