Hintergrund: Sri Lanka Nr. 50 / 19. August 2015

Ein Sieg für die Demokratie in Sri Lanka – Zum Ausgang der Parlamentswahlen in der südasiatischen Inselrepublik Dr. Ronald Meinardus

Zusammenfassung Der Sieg der Reformkräfte bei den Parlamentswahlen Sri Lankas und die Absage an Ex-Präsident Rajapaksa sind ein Sieg für die Demokratie. Sie schaffen die Basis, dass die südasiatische Inselrepublik nach Jahren zunehmend autokratischer Herrschaft zu guter Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit zurückkehren kann. Präsident Maithripala Sirisena und die mit ihm liierten politischen Kräfte haben jetzt die Chance, die sri-lankische Demokratie mit neuem Leben zu füllen und das Trauma des Bürgerkrieges zu überwinden. Dafür verdienen sie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

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Colombo – Üblicherweise beginnen Berichte über politische Wahlen mit einem Hinweis auf den Sieger. Eine Würdigung der Parlamentswahlen in Sri Lanka sollte indes mit dem Verlierer anfangen: ExPräsident Mahinda Rajapaksa war angetreten, um über einen Sitz im Parlament das Amt des Ministerpräsidenten an sich zu reißen. Auf diesem Umweg wollte er einen Teil der Macht zurückzuerobern, die er bei den Präsidentschaftswahlen im Januar dieses Jahres sensationell an seinen innenparteilichen Widersacher Maithripala Sirisena verloren hatte. Das Manöver ist gescheitert. Aus der Abstimmung vom Montag sind die Gegner Rajapaksas als Sieger hervorgegangen. Den größten Triumph errang ein Mann, dessen Name gar nicht auf den Wahllisten stand: Präsident Sirisena. Ein Sieg Rajapaksas hätte vor allem seine Position geschwächt. Zu den vielen Besonderheiten des sri-lankischen Wahlkampfes gehörte die politische Zwitterrolle des Präsidenten. Die Verfassung verpflichtet Sirisena zu parteipolitischer Neutralität. Gleichzeitig spielte das Staatsoberhaupt als Vorsitzender der sri-lankischen Freiheitspartei (Sri Lanka Freedom Party, SLFP) und der von ihr angeführten Wahlallianz United People’s Freedom Alliance (UPFA) eine Schlüsselrolle im Parteienzwist. Die SLFP ist die politische Heimat Rajapaksas. Dort ist er politisch groß geworden, dort hat er seine größten Triumphe erstritten. Der Ex-Präsident hat in der SLFP eine starke Hausmacht.

Colombo – Wähler stehen an

Politische Gegenoffensive Rajapaksas Die Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen im Januar hat der machtbesessene Rajapaksa bis heute nicht verkraftet, sagen politische Beobachter in Colombo. Die Parlamentswahlen vom 17. August sollten dann auch der Beginn seiner politischen Gegenoffensive sein. Die Wahlen wurden zu einem politischen Referendum über die Zukunft Rajapaksas hochstilisiert. Sirisena zeigte einmal mehr, dass er ein Politiker mit taktischem Gespür und strategischem Verstand ist: Wenige Tage vor der Wahl schloss er wichtige Gefolgsleute Rajapaksas aus der Partei aus. Mit diesen Eingriffen gelang es ihm, seine Kontrolle über die SLFP zu zementieren – und Rajapaksa zu schwächen.

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Wahlveranstaltung der UNP

Die Feindschaft zu Rajapaksa zwang den politischen Reformer Sirisena zum Bündnis mit der United National Party (UNP). Diese konservativ-liberale Partei wurde zur Jahreswende die Hauptstütze der Kandidatur des „Rebellen“ Sirisena gegen den damals als kaum besiegbar geltenden Rajapaksa. Seither bilden UNP, Sirisena, eine Reihe von kleineren Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen die politische Basis einer breiten Reform-Allianz, die vor allem ein Ziel verbindet: den Inselstaat aus den Fängen der Rajapaksa-Fraktion zu befreien. Großherzige Sieger und „nationale Regierung“ Der Wahlsieger im engeren Sinne heißt Ranil Wickremesinghe, der Parteiführer der UNP, der seit Januar das Amt des Ministerpräsidenten bekleidet. Zwar verpasste die UNP die absolute Mehrheit, konnte aber im ganzen Land kräftig zulegen: Die Partei mit dem grünen Elefanten als Symbol sicherte sich 106 der 225 Sitze. Im Vergleich zum alten Parlament, in dem die UNP mit gerade einmal 40 Mandaten vertreten war, sind das mehr als doppelt so viele.

UNP-Wahlveranstaltung

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Die Tamil National Alliance (TNA), die größte Partei der tamilischen Volksgruppe mit ihren 16 Sitzen, und die marxistische Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) mit ihren sechs Mandaten gelobten, sie werden auf den harten Bänken der Opposition Platz nehmen. Dennoch gehen Beobachter hier in Colombo davon aus, dass Wickremesinghe und seine Getreuen kein Problem haben werden, Überläufer aus dem Lager der Opposition herüberzuziehen. Fraktionsdisziplin wird in Sri Lanka traditionell großzügig gesehen, allemal wenn der Seitenwechsel mit einem Kabinettsposten oder anderen Pfründen honoriert wird. In der Stunde des Sieges zeigte sich Wickremesinghe großherzig: „Es gibt keinen Anlass zur Spaltung in Gewinner und Verlierer“, sagte er. Alle Lager seien eingeladen mitzuarbeiten in einer Regierung, die auf Konsens beruht. Die konzilianten Worte könnten aus dem Drehbuch des Staatspräsidenten stammen. Dieser hatte nie einen Hehl aus seiner Vorliebe für eine Parteien-übergreifende „nationale Regierung“ gemacht. Die Mehrheitsverhältnisse im neuen Parlament schaffen hierfür die Grundlage. Keine Partei hat ausreichend Stimmen, um alleine eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Dies ist eine gute Voraussetzung für Kompromisse, die das politisch tief gespaltene Land nötig hat. Besonderes Augenmerk verdient - wie gesagt - der Wahlverlierer Rajapaksa. Dieser ist zwar, wie es in der Sprache des Boxsports heißt, angezählt. Gleichwohl ist Rajapaksa weit davon entfernt, sich aus der Tagespolitik zurückzuziehen. Unter nationalistischen Singhalesen ist der Ex-Präsident besonders populär. Viele verehren Rajapaksa als Architekten des Sieges über den tamilischen Separatismus. „Ich werde gute Politik unterstützen und mich schlechten Dingen in den Weg stellen“, sagte der ehemalige Präsident am Tag nach der Wahl der Nachrichtenagentur Reuters. Zwei Szenarien Zur künftigen Haltung Rajapaksas gibt es zwei Szenarien: Er lässt sich in eine auf Konsens ausgerichtete Politik der Regierung einbinden - das wäre die positive Variante. Oder aber – dies wäre die weniger konziliante Variante - der Wahlverlierer entwickelt sich zu einem Störfaktor, der die Regierungspolitik zu destabilisieren versucht. Für welche Variante Rajapaksa optiert, hängt auch davon ab, wie die Wahlgewinner in der Regierung mit ihm umgehen. Denn es bestehen eine Reihe offener Rechnungen: Die Liste der Korruptionsvorwürfe gegen Rajapaksa ist lang und wurde in den letzten Monaten immer länger. Dem ehemaligen Präsidenten werden schwere Vergehen vorgeworfen; die Summe der ins Ausland geschaffenen Gelder wird in Colombo mit 18 Milliarden Dollar beziffert. Zwei Brüder Rajapaksas, die während seiner Amtszeit wichtige Ministerien bekleidet haben, und die Ehefrau sind ins Fadenkreuz der Ermittler geraten. Neu sind Beschuldigungen, ein Sohn Rajapaksas habe aus Eifersucht einen Spieler des nationalen Rugby-Teams ins Jenseits befördern lassen. Die Regierung hat angekündigt, dass sie sämtliche Verfehlungen schonungslos aufklären will und die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen wird. Die Demontage der Machtstrukturen des einst allmächtigen Autokraten hat längst begonnen. Es ist davon auszugehen, dass der Wahlsieg der UNP die juristische Aufarbeitung der Korruptionsfälle beflügeln wird.

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„Die friedlichsten Wahlen in der Geschichte Sri Lankas“ Für Sri Lankas Verhältnisse, das in den zurückliegenden Jahren immer wieder von Gewalt und Konflikt erschüttert wurde und auf einen blutigen Bürgerkrieg zurückblickt, der erst 2009 zu Ende ging, fanden die Wahlen in bemerkenswerter Ruhe statt: „Es waren die friedlichsten Wahlen in der Geschichte des Landes“ lobte der Präsident.

Zeitungskiosk in Colombo

Dafür sorgte vor allem die Wahlkommission, die allen Verstößen gegen das Wahlgesetz den Kampf angesagt hatte – und konsequent durchgriff, sobald die Regeln gebrochen wurden. So waren 48 Stunden vor dem Wahltag sämtliche öffentlichen Wahlkampfaktivitäten verboten. Die Parteien wurden angehalten, alle Plakate zu entfernen oder unkenntlich zu machen. Zeitungen, die gegen das politische Werbeverbot verstießen, wurden kurzerhand aus dem Verkehr gezogen: „Es gab kaum Zeichen, dass eine Wahl stattfand“, schrieb die Zeitung „Daily News“ in einem Kommentar. Es sei der langweiligste Wahlkampf, den er je erlebt habe, lamentierte ein westlicher Diplomat. Derweilen sprechen politische Beobachter in Sri Lanka von einer neuen politischen Kultur – und bringen die neue Ernsthaftigkeit unmittelbar mit dem neuen Präsidenten in Zusammenhang.

Eine aktive Rolle spielte nach Jahren der Unterdrückung und Einschüchterung unter Präsident Rajapaksa auch die Zivilgesellschaft. Über 30.000 örtliche Wahlbeobachter wachten im ganzen Land darüber, dass in den Wahllokalen und bei der Auszählung der Stimmen alles mit rechten Dingen zuging. Auch internationale Wahlbeobachter waren zugelassen – allein 85 aus Europa, darunter sechs Abgeordnete des Europäischen Parlamentes.

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Schwere Herausforderungen Auf die neue Regierung, die im Wesentlichen die selbe ist wie seit Januar diesen Jahres, warten schwere Aufgaben. Dazu zählen die Umsetzung eines ehrgeizigen Reformprogramms, das im Zuge des Wahlkampfes vorübergehend zurückgestellt wurde, und die Aussöhnung mit der Volksgruppe der Tamilen. Präsident Sirisena hat in Wort und Tat bewiesen, dass er die nationale Versöhnung mit der Minderheit ernst nimmt. So darf die sri-lankische Nationalhymne in der tamilischen Sprache angestimmt werden; auch dürfen die Tamilen öffentlich der zigtausenden Toten des Bürgerkriegs gedenken. Colombo – vor einem Wahllokal

Auch wenn dies zunächst eher symbolische Schritte sind, haben sie das interkommunale Klima in den zurückliegenden Monaten verbessert. Die Aufarbeitung des Bürgerkrieges bleibt die schwerste Hypothek. Das Trauma des Krieges, der das Land zwischen1983 und 2009 auseinandergerissen und rund 100 000 Menschen das Leben gekostet hat, dauert an. Auf beiden Seiten wurden Kriegsverbrechen begangen. Im September werden die Vereinten Nationen zu diesem Thema einen mit Spannung erwarteten Bericht vorlegen. Eine internationale Einmischung lehnt auch die neue Regierung ab. Sie hat indes beteuert, bei ihren eigenen Untersuchungen und Versöhnungsprogrammen internationale Erfahrungen zu berücksichtigen. Diese neuartige Offenheit hat positive Auswirkungen auf die Außenbeziehungen Colombos. Rajapaksa hatte das Land außenpolitisch isoliert und vor allem den Schulterschluss mit den Chinesen gesucht. Die wirtschaftliche und später auch militärische Kooperation mit Beijing hatte in den USA und beim mächtigen Nachbarn Indien Alarmglocken ausgelöst. Der aktuelle Ministerpräsident Wickremesinghe ist ein Freund des Westens. Er hat aber auch zu verstehen gegeben, dass er an einer Fortsetzung der intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit China festhalten will. Der Sieg der Reformkräfte Sri Lankas und die Absage an Rajapaksa sind ein Erfolg für die Demokratie. Sie schaffen die Basis dafür, dass die südasiatische Inselrepublik nach Jahren zunehmend autokratischer Herrschaft zu guter Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit zurückkehren kann. Präsident Sirisena und die mit ihm verbündeten politischen Kräfte, allen voran die UNP, haben jetzt die Chance, die sri-lankische Demokratie mit neuem Leben zu füllen und das Trauma des Bürgerkrieges zu überwinden. Dafür verdienen sie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Neu Delhi. Bilder: FNF-Regionalbüro Südasien Aktuelle Kurznachrichten über die Wahlen in Sri Lanka finden sie auch bei Twitter: @Meinardus

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Impressum Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) Bereich Internationale Politik Referat für Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Straße 2 D-14482 Potsdam

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