Höhlt Korruption die Demokratie aus? Vortrag im Rahmen des STUDIUM GENERALE der Hochschule Pforzheim 24. Oktober 2012 Prof. Dr. Edda Müller Vorsitzende
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Inhalt 1. Das Phänomen der Korruption 2. Politische Korruption als Gefahr für die Demokratie 3. Aktuelle Entwicklungen 4. Korruption- in Deutschland und weltweit 5. Instrumente von Transparency International
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1. Das Phänomen der Korruption
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Fall 1: Der „Drehtüreffekt“ • ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium: Erteilung der umstrittenen „Ministererlaubnis“ zu Gunsten von E.ON • Wechsel an die Konzernspitze der STEAG, an der E.ON beteiligt war Alfred Tacke, Politiker (SPD) und Manager
Wolfgang Clement, Politiker (SPD) und Manager
• ehemaliger Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit: Vornahme von tiefgreifenden Arbeitsmarktreformen, Begünstigung der Leiharbeitsbranche • Wechsel in den Aufsichtsrat der Zeitarbeitsfirma Deutsche Industrie Service AG (DIS AG)
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Fall 2: Verdeckte Parteienfinanzierung • Ein enger Berater des Glückspiels hat im Jahr 2007 2,5 Millionen Euro in die FDP-Tochter altmann-druck investiert • Die FDP-Druckerei kaufte nach Einstieg des Beraters ihre Firmengelände und -gebäude zu überteuerten Preisen der Bundespartei ab • Nach Bericht im ARD-Politmagazin „Monitor“ vom 09. September 2012 dementiert die FDP die Vorwürfe • Die Bundesverwaltung prüft seitdem den Vorgang • In einem Kommuniqué bestätigt Gauselmann Ende September die verdeckte Parteienspende • Gauselmann kann aufgrund einer einseitigen Rückverkaufoption von der FDP jederzeit 600.000 Euro verlangen
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Fall 3: Sponsoring der Landesgartenschau
Birgit Collin-Langen und Kurt Beck 2008 nach der Eröffnung der Landesgartenschau in Bingen.
• Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen Birgit Collin-Langen (CDU), MEP, wegen mutmaßlicher Beihilfe zur Vorteilsannahme. • Auftragsvergabe bei der Landesgartenschau 2008 in Bingen könnte mit Sponsorengeld in Höhe von 20 000 Euro zugunsten der Kommune Bingen verknüpft gewesen sein • Collin-Langen war Aufsichtsratschefin der Landesgartenschau-Gesellschaft. • Sie regierte Bingen fast 16 Jahre lang und wechselte im März 2012 ins Europäische Parlament.
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Käuflichkeit politischer Entscheidungen
Einfluss nehmen auf
politischen Entscheidungsträger
durch Bestechung mit: • Geld • Posten („Drehtüreffekt“) • Vergünstigungen
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Die Folgen für das Parteiensystem
Parteienfilz
Illegale ParteienFinanzierung
Begünstigung von parteinahen Organisationen
verdeckte Großspenden
Ämterpatronage
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2. Politische Korruption als Gefahr für die Demokratie
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Unsere Definition von Korruption
Korruption
Der Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil. Diese Arbeitsdefinition verwendet Transparency - es gibt viele andere, zumeist „enger“ gefasste.
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Aber wie sieht Korruption aus ?
Das Dilemma der Korruption Jeder weiß, dass Korruption letztlich seinen Eigeninteressen schadet. Jeder möchte gerne darauf verzichten, wenn es „möglich“ ist. Jeder würde es aber tun, wenn es „notwendig“ wäre. Denn: Jeder verhält sich so, wie er es von den Anderen befürchtet!
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Korruption zieht schwerwiegende Folgen nach sich
politisch
Die Auswirkungen von Korruption: vielfältig und immens
ökologisch
mikroökonomisch
makroökonomisch
sozial
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Eine Bedrohung für die Demokratie
Bedrohung politischer, sozialer und wirtschaftlicher Rechte
Vertrauensverlust in der Bevölkerung
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Rechtsunsicherheit
Legitimitätsverlust staatlicher Ordnung
Die Demokratie welkt dahin
Korruption Politikverdrossenheit Anfälligkeit für totalitäre und radikale Bewegungen
zerstört die Funktionsfähigkeit von Gemeinwesen und Staat
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Vertrauensverlust als Konsequenz European Election Survey (2012): Über 80 Prozent der befragten Bürger trauen Parteien und dem Parlament „nicht sehr“ oder „gar nicht“ Global Corruption Barometer (2010) von Transparency International: Politische Parteien bilden das Schlusslicht, gefolgt von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung Nationaler Integritätsbericht (2012) von Transparency Deutschland: Parteien rangieren mit öffentlicher Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft am unteren Ende (ca. 70 von 100 Punkten)
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Zum Primat der Politik und zur „Klientelpolitik“
Die FDP bekommt 2010 eine Millionenspende eines Hotelunternehmers und setzt anschließend eine niedrigere Mehrwertsteuer für Hotels durch.
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• Steuerungsverlust des Staates durch Politik der Privatisierung • Abhängigkeit von Wirtschaftsinteressen und Einflussnahme durch Lobbyisten • Schwächung des Primats der Politik • Fehlende Adressaten für Kritik durch die Bürgerinnen und Bürger • Klientelpolitik statt Unabhängigkeit
3. Aktuelle Entwicklungen
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Wichtigste internationale Ergebnisse OECD-Konvention 1999
UN-Konvention 2003
Aufnahme der Eindämmung von Korruption in das Schlussdokument des G8-Gipfels 2007
Gründung der G20 Arbeitsgruppe gegen Korruption 2010
Dodd Frank Act in den USA
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Erfolge/positive Entwicklungen auf nationaler Ebene • Die Debatte um die Reform der Regelungen de Abgeordnetenbestechung und Ratifizierung der UNCAC gewinnt an Fahrt: Öffentliche Anhörung im Rechtsauschuss Entwurf des Ätestenrats Empfehlung des Nationalen CSR-Forums der Bundesregierung und Schreiben der dt. Großunternehmen • Transparenz im Rohstoffsektor Dodd-Frank Entscheidung im Rechtsausschuss des EU-Parlament zu Transparenzstandards im September 2012 (aktuell offizielle Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission)
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Erfolge/positive Entwicklungen auf nationaler Ebene II • Volksinitiative "Transparenz schafft Vertrauen“ in Hamburg: Transparenzgesetz seit dem 06.10.2012 in Kraft Wirkung auf andere Bundesländer und den Bund: Bayrische Transparenzinitiative, Initiativen in NRW und Bremen in der Planung, Entwurf der Grünen für ein Transparenzgesetz in Berlin (August 2012) • Informationsfreiheit: Bundes-IFG im Juni 2005 beschlossen; am 1.1.2006 in Kraft getreten* Erfolgreiche Klage nach Informationsfreiheitsgesetz gegen Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zu esammelten Anwendungsbeobachtungen
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Was bleibt zu tun? Politik • Reform der Regelungen der Abgeordnetenbestechung und Ratifizierung der UNCAC • Fortentwicklung der Regelungen der Parteienfinanzierung • Verbesserungen bei Veröffentlichungspflichten der Nebeneinkünfte der Abgeordneten und Einführung wirksamer Sanktionen • Einführung von Karenzzeiten bei Wechsel von Politik in Wirtschaft • Einführung eines Lobbyisten-Registers
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Transparenz in der Wirtschaft •
Systematisches Risikomanagement bei Unternehmen
•
Korruptionsprävention mit Compliance-Programm
•
Einführung eines konsistenten Systems von Selbstverpflichtungen
•
Register für korruptionsverdächtige Unternehmen
•
Einführung eines Unternehmensstrafrechts
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Forderungen an die Verwaltung •
• • •
• •
Transparenz bei der Vergabeöffentlicher Aufträge und Erwägung der Anwendung eines Integritätspaktes Bundesweites Korruptionsregister Verbesserter Schutz von Hinweisgebern Klare Compliance Regelungen und Transparenz bei PPPInfrastrukturprojekten Bundesweite Einführung von Informationsfreiheitsgesetzen Stärkung von Korruptionsprävention auf kommunaler Ebene (z.B. Regelung von Sponsoring durch kommunale Unternehmen)
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4. Korruption- in Deutschland und weltweit
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Transparency International: So international wie Korruption • National Chapter in über 90 Ländern • Aktivitäten/Kontakte in über 100 Ländern • National Chapters sind und arbeiten eigenständig und finanzieren sich selbst • Internationales Sekretariat in Berlin als zentrale Koordinations- und Servicestelle
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Transparency International in Deutschland
• Eingetragener Verein nach deutschem Recht • gemeinnützig anerkannt • Gründung im Oktober 5.10.1993 in Berlin • Fokus auf Korruptionsbekämpfung in Deutschland im internationalen Kontext
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Ziele und Grundprinzipien
• Ziele: • Korruption nachhaltig eindämmen • Demokratische Grundlagen (Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit) stärken • Bewusstsein für Schädlichkeit von Korruption schärfen
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• Grundprinzipien: • Integrität • Verantwortlichkeit • Transparenz • Partizipation der Zivilgesellschaft
Arbeitsgrundsätze
• Gemeinnützig
Zivilgesellschaft
• Keine investigative Recherche konkreter Fälle • Parteipolitisch neutral • Transparenz als Instrument gegen Korruption • Verantwortlichkeit (accountability) • Koalitionen statt Konfrontation
Koalitionen bilden mit
Politik
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Wirtschaft
5. Instrumente von Transparency International
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Instrumente von Transparency International Global Corruption Report
Corruption Perception Index
Integritätspakt
Korruption wahrnehmen, bewerten und veröffentlichen Global Corruption Barometer
Bribe Payers Index
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TransparenzRangsliste Multinationals
Der Korruptions-Wahrnehmungs-Index 2011 • 2011: 182 Länder insgesamt (2010: 178) • Deutschland auf Rang 14 (im Vorjahr Rang 15) • Punktwert 8,0 (kleine Verbesserung zum Vorjahr 7,9) • im westeuropäischen Vergleich Deutschland nur im Mittelfeld • Länder an letzter Stelle: Nordkorea, Somalia
Rang
Land
CPI 2011 Wert
Standardabweichung
Vertrauensintervall
Zahl der Umfragen
1
Neuseeland
9,5
0,05
9,4 - 9,5
9
2
Dänemark
9,4
0,05
9,3 - 9,5
8
2
Finnland
9,4
0,07
9,3 - 9,5
8
4
Schweden
9,3
0,08
9,2 - 9,4
9
5
Singapur
9,2
0,13
8,9 - 9,4
12
6
Norwegen
9,0
0,07
8,9 - 9,1
9
7
Niederlande
8,9
0,11
8,7 - 9,1
9
8
Australien
8,8
0,12
8,6 - 9,0
11
8
Schweiz
8,8
0,22
8,4 - 9,1
8
10
Kanada
8,7
0,15
8,4 - 8,9
9
Deutschland
8,0
0,18
7,8 - 8,4
10
Somalia
1,0
0,23
0,6 - 1,4
4
(...) 14 (...) 182
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Exkurs: Arabischer Frühling • Positionen der Länder im CPI 2011 > Ägypten: Platz 112 (182) mit 2,9 Punkten (10) > Libyen: Rang 168 mit 2,0 Punkten > Tunesien: Rang 73 mit 3,8 Punkten • Verdeutlichte Zusammenhang von korrupten Regierungen, sozialer Not und dem Ruf nach Grundrechten demokratischen Zusammenlebens • Wichtigkeit von Projekten mit Vorbildcharakter, insb. ausländischer Investoren, sind gefragt, siehe z.B. Desertec
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Deutschland: Trends in internationalen Indizes • Korruptionswahrnehmungsindex • 2011: 15. Platz mit 8,0 Punkten • seit 2006 keine Verbesserung: 8,0 - 7,8 - 7,9 - 8,0 - 7,9 - 8,0 • Abstand zu den Spitzenreitern Dänemark, Finnland und Schweden nicht verringert • Bestechungszahlungsindex • 2011: 4. Platz mit 8,6 Punkten • keine Verbesserung gegenüber 2008
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Ergebnis des Korruptionsbarometers
• Justiz und Polizei schneiden 2007 und 2010 gut ab (2,3 - 2,5 Punkte) • Politische Parteien bilden 2010 das Schlusslicht (3,7), gefolgt von Privatwirtschaft (3,3) und öffentlicher Verwaltung (3,2) • 2007 schnitten politische Parteien und Wirtschaft am schlechtesten ab (3,3)
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Institutionelle Integrität: Der Nationale Integritätsbericht • • • •
• •
veröffentlicht am 19. Januar 2012 Teil einer EU-Initiative im Kampf gegen Korruption 25 europäische Länder erstellten Nationale Integritätsberichte einheitliches Bewertungsschema (von Transparency International entwickelt) Breitenanalyse auf Bundesebene Im Auftrag von Transparency Deutschland von der GP Forschungsgruppe unter Leitung von Dr. Dieter Korczak erstellt
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84 Forderungen für eine integere Politik • Verbesserungsmöglichkeiten und Handlungsnotwendigkeit in allen Pfeilern • Korruptionsprävention ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen • Regelungslücken müssen geschlossen werden • Internationalen Verpflichtungen muss nachgekommen werden (ausstehende Ratifizierung von Abkommen)
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Europäischer Integritätsbericht • In allen 25 Ländern Regelungslücken und Umsetzungsdefizite • Deutschland gut bis sehr gut; kann von guten Beispielen lernen: – Lettland: Parteienfinanzierung & Transparenz von Nebeneinkünften – Slowakei: Informationsfreiheit – Schweiz: e-Vergabeplattform
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Danke für die Aufmerksamkeit.
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