Gott in der Wissenschaft Rede des Präsidenten, Prof. Peter Gruss anlässlich 1. Alsfelder KulturTage am 6. Juni 2010 in Alsfeld/Hessen Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Freunde und Verwandte, Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Alsfelder, vor einigen Monaten erreichte mich in meinem Münchner Büro eine überraschende Anfrage. Ein Axel Haltenhof erkundigte sich, ob es sich bei mir um einen 1949 geborenen Alsfelder handelt.

Zum einen hat das ein Standesbeamter ordnungsgemäß so festgehalten, zum anderen sind mir zwar nur noch wenige meiner Alsfelder Zeitgenossen in Erinnerung, aber Axel Haltenhof gehört dazu.

Auf diesem Bild sehen Sie uns am Tag unserer Einschulung vor 55 Jahren. Wir sind die beiden Kleinen in der ersten Reihe, Axel rechts und ich links außen.

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Aber es ging Axel nicht um eine nostalgische Aufarbeitung frühkindlicher Erlebnisse, sondern um eine höchst lobenswerte Aktivität: die Organisation der Alsfelder Kulturtage.

Natürlich sagte ich sofort zu mitzuwirken - zum Entsetzen meines Büros. Denn Alsfeld ist ja nicht nur der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, die Jahre in Alsfeld haben mich geprägt. Deshalb kehre immer gern zurück, heute für die Alsfelder Kulturtage, die wir Axel Haltenhof und vielen anderen zu verdanken haben.

Als wir über das Thema meines Vortrags sprachen, schlug Axel, inspiriert von einem SPIEGEL Artikel, vor , ich sollte doch über „Gott in der Wissenschaft“ reden, ein Titel, der bei einer ersten Betrachtung fast in sich widersprüchlich erscheint.

Und eigentlich obliegt es ja eher einem Geistlichen am Sonntagmorgen über Gott zu sprechen. Aber die Präzisierung „Gott in der Wissenschaft“ fordert auch geradezu die naturwissenschaftliche Forschung auf – und vielleicht eben sogar einen Biologen wie mich –, etwas zum Thema beizutragen.

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Selbst Max Planck hat sich wie viele andere moderne Wissenschaftler mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Religion beschäftigt.

In seinem berühmten Vortrag „Religion und Naturwissenschaft“1 hat er eine Harmonie von Wissenschaft und Religion gesehen.

„Religion und Naturwissenschaft“ schreibt Max Planck, „ – sie schließen sich nicht aus, wie manche heutzutage glauben oder fürchten, sondern sie ergänzen und bedingen einander.“

Es hat also eine gute und lange Tradition, wenn ich mich als Naturwissenschaftler und Präsident der Max-PlanckGesellschaft heute mit einigen Gedanken zum Thema bei Ihnen, in meiner Geburtsstadt zu Wort melde.

Bei der Vorbereitung meines Vortrag tauchten zunächst alte Bilder in meiner Erinnerung auf. Zum Beispiel das Klassenzimmer in der Stadtschule. Und auch der Tag der Einschulung. Und natürlich erinnere ich mich gern an das europaweit bekannte Rathaus und selbstverständlich an mein Geburtshaus in der Unteren Fuldergasse 4.

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Aber vieles hat sich verändert: So manche vertrauten Gebäude oder alteingesessenen Firmen sind verschwunden – Neue sind entstanden.

Und doch ist Einiges so geblieben wie früher. Einiges, das schon meine Kindheit nachhaltig geprägt hat, wie zum Beispiel die Walpurgiskirche, in der ich 1949 getauft wurde.

Und noch immer führt der letzte Weg vieler Alsfelder zum Friedhof auf den Frauenberg. Auch mein Vater und meine Großeltern sind dort beerdigt.

An diesen Friedhof habe ich aber auch weitere Erinnerungen, die uns schon mitten hineinführen in unser heutiges Thema: „Gott in der Wissenschaft“.

Als kleiner Junge – ich war wohl etwa vier oder fünf Jahre – nahm mich unsere damalige Nachbarin Frau Langlotz mit zum Friedhof. Ob es der Anblick der Gräber war oder eine andere Konfrontation mit dem Thema kann ich heute nicht mehr genau sagen.

Aber ich fragte die gute Frau Langlotz: „Was passiert eigentlich, wenn man tot ist?“ Mit einer solchen Frage war sie selbstverständlich zunächst überfordert. Die Anwort: „dann steigt die Seele zum Himmel“, machte das Ganze eher noch mysteriöser. Seite 4 von 36

Aber Kinder – und nicht nur diese – stellen nun einmal solche Fragen. Und diese sind es wohl auch, die am Anfang aller Religiosität gestanden haben.

Davon gehen jedenfalls Archäologen, Philosophen, Verhaltensforscher, Neurobiologen und auch Evolutionsbiologen aus.

Sie halten die Entstehung eines Ich-Bewusstseins und in dessen Folge auch die Entstehung eines Todes-Bewusstseins für einen der Kristallisationskeime von Religiosität.

Die Erkenntnis: „Auch ich werde sterben“ ist wohl für alle Menschen die schmerzlichste Entdeckung .

Sie könnte Antrieb für die Entstehung des Glaubens an etwas Transzendentes gewesen sein. Und in diesem Zusammenhang auch die Frage: „Was passiert, wenn ein Mensch stirbt?“

Seit Beginn ihrer Existenz haben sich unsere Urahnen diese elementaren Grundfragen gestellt. Und nicht nur Kinder – so wie ich vor mehr als 50 Jahren –, sondern auch Erwachsene wie damals Frau Langlotz stoßen immer wieder an die Grenzen des Erklärbaren. Wir fragen nach Antworten und

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suchen nach Orientierung, nach etwas Sinnlichem, das uns das Unerklärliche erklärbar macht.

Meine Damen und Herren, Religion gibt es in allen menschlichen Gesellschaften.

Und Religiosität scheint eine im Menschen verankerte, grundlegende Eigenschaft zu sein.

Sie unterscheidet den Menschen als Homo religiosus vom Tier. Oder anders gesagt: Sie macht den Menschen zum „betenden Tier“, wie es der Biologe Alister Hardy ausgedrückt hat.

Denn die Religion ist eines der Merkmale, die uns von der übrigen Natur unterscheiden.

Religiosität ist also keine Zufallserscheinung, kein überflüssiger Luxus in der Evolution des Lebens. Anthropologen, Psychologen und Neurowissenschaftler suchen gemeinsam nach Erklärungen, wann, wie und vielleicht sogar warum sich Religiosität entwickelt hat.

Wie also lässt sich Religion „sinnvoll“ begründen?

Um hierzu Antworten zu finden, müssen wir gleich mehrere Wissenschaftsbereiche befragen. Seite 6 von 36

Wichtig ist mir zunächst aber noch eine Feststellung: Es geht mir bei dieser Suche nicht darum, die Wahrheit von religiösen Aussagen oder Glaubensbekundungen zu überprüfen.

Diese liegen im Bereich der Metaphysik.

Und deshalb lassen sie sich mit naturwissenschaftlichen Methoden auch nicht überprüfen – sondern nur philosophisch hinterfragen.

Für die naturwissenschaftliche Betrachtung von Religiosität ist es auch völlig unerheblich, ob Gott eine reine Illusion ist oder ob er der Schöpfer der Menschheit ist.

Die Wissenschaft möchte nicht einen personalisierten Gott oder einen bestimmten Glauben begründen. Die Wissenschaft will Religion als Grundgefühl des Menschen verstehen.

Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung können heutzutage etwa 60-70 Prozent der Menschen in Deutschland als religiös eingestuft werden.

Bei Naturwissenschaftlern ist dieser Prozentsatz erheblich niedriger . Offenbar ist für viele von ihnen die Religion und Seite 7 von 36

deren Mystik durch die moderne Wissenschaft geradezu entzaubert.

Einer der berühmtesten Naturwissenschaftler, Albert Einstein, hat sich in einem Brief2 mit deutlichen Worten von der biblischen Vorstellung eines persönlichen Gottes distanziert.

Er bezeichnet sie als „kindlichen Aberglauben“.

Einstein schrieb: „Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger, aber doch reichlich primitiver Legende.“

Aber was heißt eigentlich religiös?

Religiös im weiteren Sinne ist jeder, der sich in einen größeren Zusammenhang eingebunden sieht.

Sei es in die Natur, einen spirituellen Zusammenhang oder eben in eine der mehreren tausend Religionen, die bisher bekannt sind.

Religiosität ist immer ein wenig geheimnisvoll – für gläubige Menschen ebenso wie für Atheisten. 2

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Und Albert Einstein schreibt trotz seiner Vorbehalte: „Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde.“

Religiosität hat also weniger mit einer bestimmten Glaubensrichtung zu tun. Vielmehr mit der Tatsache, dass wir alle nach Orientierung, nach Verbundenheit, nach Sinngebung suchen.

Meine Damen und Herren, ich möchte die Suche nach Orientierung beim Thema „Gott in der Wissenschaft“ mit einem Beispiel aus der modernen Hirnforschung beginnen.

So hat beispielsweise ein kanadischer Wissenschaftler versucht, durch Magnetstimulation Gottes-Erlebnisse im menschlichen Gehirn zu erzeugen.

Mehr als tausend Versuchspersonen nahmen daran teil. In Einzelversuchen setzte man sie in eine völlig abgeschirmte Kammer.

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Sie erhielten Helme mit integrierten Magnetspulen, die am Kopf um ganz bestimmte Gehirnregionen gruppiert waren. Mindestens 30 Minuten waren die Versuchspersonen – mit Unterbrechungen – den starken Magnetfeldern ausgesetzt.

Rund 80 Prozent von ihnen berichteten anschließend von spirituellen Empfindungen. Ihr Körper schien zu vibrieren oder zu schweben, lebhafte Erinnerungen traten auf. Ja, sie glaubten innere Stimmen oder Instruktionen zu vernehmen oder die Präsenz eines Jemand – eines Gottes oder Schutzengels – zu spüren.

Besonders interessant dabei war die Tatsache, dass auch Atheisten diese Empfindungen hatten.

Der Entstehungsmechanismus dieser Empfindungen ist bisher unklar.

Diese und andere Experimente haben einige Neuropsychologen zur Annahme verleitet, im menschlichen Gehirn gäbe es Schaltkreise, die an religiösen Erfahrungen beteiligt sind. Sie gehen deshalb weiterhin der Frage nach:

Gibt es vielleicht ein „Gott-Modul“ in unserem Kopf – also eine spezielle, deutlich identifizierbare Hirnregion für die Gotteserfahrung?

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Solche Überlegungen sind aber beim derzeitigen Stand der Forschung nichts anders als reine Spekulation. Dennoch ist die Hirnforschung sicher eine der entscheidenden Wissenschaften, um das Unerklärliche erklärbarer zu machen.

Vielleicht eröffnet aber auch der Blick in die Geschichte der Menschheit weitere Einsichten über „Gott in der Wissenschaft“:

Die Anfänge des Homo religiosus reichen weit zurück. Bestattungsriten und Schädelkulte weisen auf sehr frühe Wurzeln des Religiösen hin. Eine der ältesten bekannten Bestattungen haben Forscher in der Skhul-Höhle im israelischen Qafzeh entdeckt. Vor etwa 100.000 Jahren wurde dort ein Mensch begraben – zusammen mit einigen Grabbeigaben. Das sind also unsere ersten Hinweise auf den Glauben an übernatürliche Existenzen und an ein Fortleben der Toten.

Aber wann wurde Religion oder die spirituelle Götterverehrung wirklich „geboren“? Der Archäologe Nicholas Conrad von der Universität Tübingen würde das auf den Zeitraum vor etwa 35.000 bis 30.000 Jahre datieren.

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Damals entstanden in der französischen Grotte Chauvet und anderen Höhlen erste Wandmalereien mit Tieren und HalbTier-/Halb-Mensch-Figuren. Auch in Deutschland hinterließen die Jäger und Sammler der damaligen Zeit in ihren Höhlen erste Hinweise auf Religiosität. Bekannte Zeugnisse sind beispielsweise der Löwenmensch und die kopflose Venus aus Elfenbein. Aber solche Fundstücke lassen natürlich auch Spielraum für Interpretationen: Denn möglicherweise sind diese Funde gar keine Belege für einen frühen religiösen Kult. Sie dienten vielleicht lediglich als Fruchtbarkeitssymbole oder als Mittel für spezielle Initiationsriten. Die Meinungen verschiedener Forscher dazu sind kontrovers.

Ein weiterer Meilenstein in der religiösen Spurensuche findet sich in der Türkei: Etwa 11.000 Jahre alt ist Göbekli Tepe, das als erster Tempel der Welt gilt.

Sechs Meter hohe Steine sind an diesem heiligen Ort auf dem höchsten Punkt eines Bergzuges kreisförmig angeordnet. Auf jedem Stein finden sich Zeichnungen wilder Tiere: unter anderem Löwen, Füchse, Stiere und Schlangen. Ein ähnliches Zeugnis ist Stonehenge – die berühmten Steinkreise in England. Sie sind allerdings sehr viel jünger und werden auf die Jungsteinzeit datiert, genauer auf etwa 3100 vor Christus. Seite 12 von 36

Erste schriftliche Hinweise auf Götter existieren aus der Zeit der Mesopotamier und Ägypter vor etwa 5000 Jahren.

Diese frühen Großreiche entwickelten zugleich weltliche und religiöse Hierarchie-Strukturen mit einem Gott-König wie beispielsweise Tutanchamun. Dieser galt als Mittler zwischen Gott und den Menschen und herrschte streng über seine Untertanen. Religion entwickelte sich also auch Hand in Hand mit sozialen Hierarchien. Auch das könnte vielleicht ein Hinweis auf den „Sinn“ des Religiösen sein: Mit Hilfe der Religion lassen sich verschiedene Gruppen nach innen stabilisieren und nach außen abgrenzen. Machthaber können so in vorgegebenen Strukturen Macht gewinnen, rechtfertigen und erhalten. Sie können moralische Vorschriften mit Geboten und Verboten begründen und durchsetzen, aber auch Menschen manipulieren. Das reicht bis hin zu „heiligen Kriegen“ und zum Märtyrertum. Die Religion kann also das Leben in Gruppen sicherer, harmonischer und effizienter machen.

Meine Damen und Herren,

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viele von Ihnen wissen sicher aus eigener Erfahrung, dass gemeinsame Glaubensüberzeugungen und Rituale verbinden. Denken Sie doch einmal an Weihnachten. Was tun Sie an diesen Tagen? Und „Warum“ tun Sie das eigentlich? Ist das nicht vor allem ein schönes, jährlich wiederkehrendes Ritual? Weihnachtsbaum, Weihnachtslieder, Kerzen – all das verbindet uns doch zunächst einmal. Und gibt uns deshalb vor allem Halt in einer kalten, dunklen Jahreszeit.

Studien zeigen, dass Gläubige heute psychisch wie physisch gesünder, glücklicher und kinderreicher zu sein scheinen. Es gibt unter Gläubigen wohl auch weniger Drogenkonsum, Alkoholismus, Depressionen, Scheidungen und Selbstmord.

Die Analyse mehrerer hundert Studien verleitete den USMediziner Harold Koenig gar zu der Aussage: „Ein Mangel an religiösem Engagement wirkt sich auf die Sterblichkeit genauso aus, als würde man vierzig Jahre lang täglich eine Schachtel Zigaretten rauchen.“

Sie schmunzeln – und das natürlich zu Recht.

Denn auch hier ist natürlich eine gesunde Skepsis angebracht. Seite 14 von 36

Aber dennoch bleibt eine Frage offen: Ist der Glaube tatsächlich von großem Nutzen für die Menschheit?

Der Glaube ermöglicht existenzielle Gewissheit, erlaubt Sinn, Ordnung und Erklärbarkeit des Lebens und der Welt und bringt Zugehörigkeit.

Religion dient als Trost und Schutz vor der Bedrohung durch den Tod, vor einer generellen Weltangst und vor Ungerechtigkeit. Religion bedeutet auch Entlastung und Ablenkung von einer teilweise rauen Wirklichkeit des Lebens.

Ist Religion also nur eine Bewältigungsstrategie? Oder birgt sie nicht doch Vorteile in sich, die sich auch entwicklungsund sozialbiologisch begründen lassen?

Seit Jahren suchen Wissenschaftler nach möglichen Selektionsvorteilen der menschlichen Religiosität. Ihre Hypothesen provozieren und faszinieren und sie gehören häufig noch ins Reich der wilden Spekulationen. Der Soziobiologe Edward O. Wilson brachte es mit seinen Worten auf den Punkt: „Die Religion ist die größte Herausforderung für die Soziobiologie.“ Aber vielleicht finden sich Erklärungen in der Evolutionstheorie. Denn heutzutage zweifelt kein Seite 15 von 36

Naturwissenschaftler mehr daran, dass die jetzt lebenden Organismen die derzeitigen Endglieder eines Jahrmillionen langen historischen Entwicklungsprozesses sind.

Charles Darwin – der Begründer der Evolutionstheorie – sagte in seinem Buch „Über die Entstehung der Arten“: „Das Gefühl religiöser Ergebung ist sehr kompliziert; es setzt sich zusammen aus Liebe, vollkommener Unterwerfung unter ein erhabenes, geheimnisvolles Etwas, einem starken Abhängigkeitsgefühl, Furcht, Ehrfurcht, Dankbarkeit, Hoffnung auf ein Jenseits und vielleicht noch anderen Elementen.“

Und auch der Paläogenetiker Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie hat mit seiner Forschungsarbeit einen weiteren Baustein zur menschlichen Evolutionsgeschichte geliefert. Seine Erkenntnis: Wir alle sind ein bisschen Neandertaler.

Unsere frühen Verwandten, die sich vor 60.000 bis 70.000 Jahren aus Afrika vorwagten, dürften mit Neandertalern zuweilen das Höhlenlager geteilt haben.

Die Vermischung fand im Nahen Osten statt.

Bis zu vier Prozent des menschlichen Erbgutes stammen aus dem Genbestand des Neandertalers, dessen Erbgut Pääbo Seite 16 von 36

und sein 56-köpfiges Team in den vergangenen vier Jahr zu knapp zwei Drittel entziffert haben.

Doch was unterscheidet uns von diesen ausgestorbenen Frühmenschen?

Was macht das wirklich Menschliche in uns aus?

Pääbo hat dazu bedeutende Unterschiede gefunden: Unter den zwanzig auffälligsten Neuerungen, die den Neandertalern vor der Vermischung mit unseren Vorfahren noch versagt blieben, finden sich gleich vier Erbanlagen, die für zentrale Aspekte des menschlichen Geistes eine entscheidende Rolle spielen:

abstraktes Denken und Kreativität, rationale Realitätskontrolle und soziale Intelligenz.

Das beschreibt die Fähigkeit, in die Gedankenwelt anderer Menschen vorzudringen und so ihre Absichten zu erkennen und ihre Reaktionen auf das eigene Verhalten vorauszusehen, auch als theory of mind beschrieben.

Könnte das also der „göttliche Funke“ in uns sein, der sich hiermit entzaubern lässt? Ist der Glaube an eine metaphysische Kraft im Menschsein ein schlichtes Hirngespinst? Seite 17 von 36

Meine Damen und Herren, passt die Evolutionstheorie also mit der Entstehung der Religion zusammen? Charles Darwin hatte ja eigentlich mit der Veröffentlichung seiner Theorie im Jahr 1859 den Schöpfungsglauben in eine tiefe Krise gerissen.

Und tut dies auch heute noch häufig.

Zumindest für all jene, die die Bibel ausschließlich wörtlich verstehen wollen.

Denn diese Auslegung, und damit die so genannte kreationistische Interpretation der Bibel, ist ja auch heute noch weit verbreitet.

Und gerade in jüngster Zeit hat sie vor allem in den Vereinigten Staaten viel Zulauf erhalten.

Darwin lieferte mit seiner „Entstehung der Arten“ aber nicht nur Gegenwind für die Kreationisten.

Ihm gelang auch eine neue, naturwissenschaftliche Erklärung von Religiosität: eine Art „Entstehung der Religion“.

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Denn der Forscher sah Religion beziehungsweise religiöses Empfinden als Produkt der Evolution geistiger Fähigkeiten.

Und ausgerechnet die Evolutionstheorie erlaubt uns Rückschlüsse, warum das religiöse Denken so weite Verbreitung fand: Zunächst haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte geistige Fähigkeiten wie Intentionalität, kausales Denken oder die Tendenz auch tote Gegenstände als belebt wahrzunehmen entwickelt, die einen natürlichen Hang zur Religiosität erzeugen.

Darüber hinaus bietet ein religiöser Zusammenhalt auch einen Überlebensvorteil für die Gruppe. Und auch Untersuchungen von heute scheinen dies zu bestätigen: Bereits Kinder tendieren dazu, Naturphänomene intuitiv auf einen Zweck und auf ein Ziel einer höheren Macht hin zu interpretieren.

Einer höheren Macht, die ähnlich denkt und handelt wie wir.

Aber, meine Damen und Herren, keine spezifische Religion ist angeboren!

Wir haben unseren Glauben vielmehr im sozialen Umfeld erlernt. Und wir haben ihn durch Initiationsrituale – meist in Seite 19 von 36

den besonders prägenden Kinder- und Jugendjahren – gefestigt. Beispiele sind Taufe, Konfirmation oder Kommunion.

Welcher Religion man angehört, hängt zunächst hauptsächlich vom Glauben der Eltern oder nahestehender Personen ab.

Das religiöse Fühlen allerdings – vielleicht auch besser Spiritualität genannt – scheint dagegen eine stark genetische Komponente zu besitzen.

Denn letztlich haben alle geistigen Leistungen genetische Rahmenbedingungen.

In der Tat könnte das Zusammenspiel mehrerer Gene also eine Rolle für das religiöse Bewusstsein spielen.

Inzwischen will mein früherer Kollege Dean Hamer vom NIH bereits ein bestimmtes „Gottes-Gen“ entdeckt haben.

Dieses identifizierte Gen kontrolliert die Menge bestimmter Signalstoffe im Gehirn. Solche Botenstoffe wie Adrenalin, Serotonin und Dopamin spielen auch bei Depression, Angst, Motivation, Selbstbewusstsein und ekstatischen Gefühlen eine Rolle.

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Selbst in seriösen Medien tauchten daher schon Schlagzeilen auf wie: „Das Gottes-Gen ist gefunden.“ Aber auch dies ist natürlich ebenso wie das „Gottes-Modul“ mit Vorsicht zu genießen.

Denn ein einzelnes Gen oder eine Hirnregion reicht ganz sicher nicht aus, um ein so vielschichtiges und komplexes Phänomen wie Religion zu erklären.

Gene, Natur und Kultur sind aber wechselwirkende Partner, die die menschliche Qualität der Religiosität im Laufe der Evolution mitentwickelt und geprägt haben.

Auch wenn wir die Überzeugungen anderer Menschen ablehnen, ist es auch die Fähigkeit zum Glauben, die uns zu Menschen macht.

Eine völlig glaubenslose Gesellschaft ist daher kaum vorstellbar.

Und ich wage nicht zu prognostizieren, wie sich die Religiosität weiterentwickeln wird. Was könnte die Religion der Zukunft sein? Ich bin kein Prophet….

Aber ich bin überzeugt, dass sich Religion verändern wird.

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Denn so viel ist klar: Je mehr wir das Unerklärbare erklärbar machen, desto weiter weg rückt ein personalisierter ÜberVater.

Die moderne Wissenschaft hat offenbar die Religion teilweise entzaubert, in dem sie sie von einem übersinnlichen Niveau auf eine erklärbare Basis geholt hat.

Und nicht wenige Kritiker der modernen Naturwissenschaften gehen noch einen Schritt weiter. Sie werfen den Genforschern, Biotechnologen und Medizinern unserer Zeit vor, sie würden sich mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit bereits zu einer Art Gott erheben.

Sie würden in die Evolution eingreifen, indem sie neues Leben schaffen, das einzig auf Effektivität und Leistungsmaximierung getrimmt sei.

Meine Damen und Herren, spielt der moderne Wissenschaftler also Gott?

Die Fotomontage „Wir sind Gott“ aus der „Welt am Sonntag“ provoziert. Und lässt in unseren Köpfen Szenarien entstehen, vom Spielerischen bis hin zum Schrecklichen. Seite 22 von 36

Mit unserem detaillierten Wissen über das Erbgut von Dinosauriern und Neandertalern könnten wir deren Erbmaterial künstlich nachbauen und sie als Wesen neu erschaffen ( Science Fiction).

Freilich könnten aber auch Terroristen oder unvorsichtige Wissenschaftler einen Mikroorganismus in die Welt setzen, der sämtliche Abwehrmechanismen der menschlichen Natur unterwandert. Und möglicherweise auch Menschen tötet.

Aber zwischen dem Spielerischen und dem Schrecklichen liegt schließlich das Nützliche: Ich denke da eher an eine Revolution der Landwirtschaft. Neue Pflanzen werden immun gegen Krankheiten und tragen trotz extremer Dürre und Kälte reiche Ernte.

Wir stehen aber auch vor einer Revolutionierung der Medizin: völlig neue Therapien könnte die Sterberate bei den größten Volkskrankheiten, wie Herz-KreislaufErkrankungen, Krebs und Diabetes senken. Auch beim Umwelt- und Klimaschutz könnten neue Mikroben nützlich sein.

Spielen wir Wissenschaftler also Gott? Diese Frage kann und muss ich mit einem klaren „Nein“ beantworten.

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Das erwarten Sie natürlich auch vom Präsidenten einer Forschungsgesellschaft, die sich der modernen Grundlagenforschung verschrieben hat. Aber ich will diese Aussage auch belegen – so wie es sich für seriöse Wissenschaftler gehört: Die moderne Wissenschaft schöpft nicht Neues. Sie erschafft nicht „Etwas“ aus „Nichts“. Sie arbeitet viel mehr mit Teilen aus der Natur. Teile, die die Evolution in Jahrmillionen für spezielle Anwendungen entwickelt hat.

Als Wissenschaftler wollen wir die Evolution auch nicht ablösen und nach unseren Zwecken steuern.

Nein, wir wollen die komplexen Methoden und Prozesse der Natur zunächst einmal verstehen.

Und mittlerweile sind wir in der modernen Biologie und Medizin auch schon in der Lage, die Natur an manchen Stellen für unsere Zwecke optimieren zu können.

Zellbiologen haben Gene, Proteine, ja ganze Stoffwechselwege beim Menschen mittlerweile bis hin zur molekularen Basis erklärt. Vieles haben wir mittlerweile sehr gut verstanden: Wie sich eine Zelle im menschlichen Körper entwickelt und Tag für Tag funktioniert, ist heute also kein Wunder mehr. Seite 24 von 36

Es ist auch kein naturwissenschaftliches Rätsel.

Bei Menschen, Pflanzen und Mikroorganismen ist das Wissen um die genetische und molekulare Basis sämtlicher Stoffwechsel-Vorgänge in den vergangenen Jahren enorm gewachsen.

Und je mehr wir verstehen, warum ein Lebewesen eine bestimmte Eigenschaft hat, desto näher rückt die Idee, die bekannten Lebensbausteine neu zu kombinieren – also biologische Systeme mit neuen Eigenschaften auszustatten.

Dieses noch junge Feld der Grundlagenforschung heißt: Synthetische Biologie.

Dabei werden nicht nur einzelne Merkmale hinzugefügt oder entfernt, wie bei den bisher angewandten Methoden der Biotechnologie. Sondern die Wissenschaftler bauen bereits existierende Module bekannter Lebewesen neu zusammen.

Synthetische Biologie hat also nichts mit „Gott spielen“ zu tun.

Wir Wissenschaftler und insbesondere die Forscherkollegen der Synthetischen Biologie sind also keine Schöpfer, keine

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Götter in der Wissenschaft, sondern vielmehr Technologen und Konstrukteure.

Sie bearbeiten das im Laufe der Evolution entwickelte „Material“. Wir tun also nichts anderes als bekannte Informationsmodule neu zu kombinieren.

Meine Damen und Herren, die Synthetische Biologie konstruiert biologische Systeme mit neuen Eigenschaften, die in der Natur bislang nicht bekannt sind.

Nach ingenieurwissenschaftlichen Prinzipien werden hier einzelne Gen-Bausteine wie in einem Lego-Spiel zusammengesetzt und in eine leere Zellhülle eingeschleust.

Dieses Vorgehen soll schließlich Bakterien oder andere Mikroorganismen hervorbringen, die sich vollständig nach einer vorgegebenen Anleitung verhalten.

Wie eine Software könnte die künstlich erzeugte Gensequenz dann einen neuen, künstlich entstandenen Organismus programmieren.

Und gerade vor wenigen Tagen wurde das erste erfolgreiche Projekt dieser Art der Öffentlichkeit präsentiert: Ein Forscherteam um den kalifornischen Genetiker Craig Venter, Seite 26 von 36

der auf dem eben gezeigten Bild deshalb als Papst dargestellt wurde.

Dieser Craig Venter hat ein Bakterium mit einem komplett künstlichen Genom ausgestattet.

Dazu bauten sie die Gene eines Bakteriums mit Hilfe einzelner Erbgutstückchen nach und setzten dieses Kunstgenom dann in eine ähnliche Bakterienart ein. (Mycoplasma)

Das transplantierte Erbgut besteht aus etwas mehr als einer Million Bausteine und steuert sämtliche Lebensprozesse der Mikrobe – inklusive seiner Vermehrung.

Solche neuen biologischen Systeme könnten viel Nützliches für den Menschen produzieren: Medikamente, Impfstoffe, Industriechemikalien oder Biokunststoffe.

Die chemisch maßgeschneiderten Design-Organismen könnten in Zukunft vielleicht sogar eine Energierevolution auslösen:

Optimierte Mikroalgen etwa, die die Sonnenenergie mit hoher Effizienz gewinnen oder das Treibhausgas Kohlendioxid in verwertbare Rohstoffe umwandeln.

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Mit Hilfe der synthetischen Biologie lassen sich aber auch Bakterien entwickeln, die Schadstoffe im Meer abbauen. Und angesichts der jüngsten Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko wäre dies sicher wünschenswert.

Bisher scheitern derartige Prozesse noch daran, dass erst wenige Bauteile gut genug charakterisiert und standardisiert sind.

Aber wir sind auf einem äußerst spannenden Weg – vom Beginn der Molekularbiologie in eine komplexe Systembiologie.

Und, meine Damen und Herren, Sie dürfen mir glauben: Auch ich staune immer wieder über den enormen Fortschritt und die rasanten Entwicklungen in den so genannten LifeScience-Technologien:

Denn waren für die Entschlüsselung der drei Milliarden Basenpaare des menschlichen Genoms noch fast zehn Jahre notwendig, schaffen Molekularbiologen dies heute bereits innerhalb zwei bis drei Wochen.

Und wir können die DNA mittlerweile nicht nur lesen, sondern auch selbst neu schreiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Seite 28 von 36

eine Erfolgsgeschichte und ein Schritt in die richtige Richtung mit den Methoden der synthetischen Biologie ist beispielsweise ein aktuelles Projekt im Kampf gegen Malaria.

Wissenschaftlern um Professor Jay Keasling an der Universität Berkeley ist es gelungen, alle Gene samt ihrem Schaltplan für den Wirkstoff Artemisinin aus einer Pflanze herauszuholen, zu kopieren und schließlich in Bakterien- und Hefezellen einzubringen.

Diese können so eine Vorstufe des Wirkstoffs herstellen.

Auch daran wird klar: Hier haben die Wissenschaftler im Labor nichts Neues erschaffen.

Sie haben lediglich einen Stoffwechselprozess kopiert, den die Natur schon entwickelt hat.

So wie auch das Gen für menschliches Insulin einst in die Bäckerhefe eingeschleust wurde, um Insulin in großen Mengen zu erzeugen.

Damit konnte man die Lebensqualität von Diabetes-Patienten erheblich verbessern.

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Je mehr detaillierte Einblicke uns die moderne Wissenschaft in unser Ich erlaubt, desto besser sind also auch unsere Heilungswege.

Mit einer verbesserten Diagnostik werden wir immer mehr in der Lage sein, Krankheiten nicht nur zu behandeln, sondern auch tatsächlich zu heilen.

Und auf diesem Weg gehen wir mit großen Schritten voran: Sollte die Sequenzierung des menschlichen Genoms tatsächlich bald nur noch 1000 Dollar kosten, wie von vielen Forschern gefordert, könnte die Medizin der Zukunft gezielt auf den einzelnen Patienten maßgeschneidert werden.

Dann wäre also tatsächlich eine „personalisierte Medizin“ möglich.

Denn Sie und ich, meine Damen und Herren, jeder von uns ist einzigartig.

Unser individuelles, genetisches Profil ist einmalig und erzeugt in jedem von uns ein individuelles Muster aus Zellund Stoffwechselprodukten.

Verändert sich dieses Muster durch eine Krankheit, entstehen weitere individuelle Kombinationen, die dann auch individuell behandelt werden müssen. Seite 30 von 36

Die Arzneimittel und Therapien der Zukunft könnten noch viel besser als bisher auf einzelne Patientengruppen und deren Krankheitsmuster abgestimmt sein. An dieser Stelle möchte ich Hippokrates zu neuer Aktualität verhelfen. Von dem berühmten Arzt des Altertums ist folgendes Zitat überliefert: „Es ist sehr viel bedeutsamer zu wissen, wer erkrankt ist, als zu wissen, welche Krankheit jemand hat.“

Für eine personalisierte, zielgerichtete Therapie gewinnt also auch die Diagnostik immer mehr an Bedeutung.

Beispielsweise um die richtigen Patienten für eine bestimmte Behandlung herauszufiltern.

Ärzte werden ihre Patienten in Zukunft verstärkt auf bestimmte Merkmale testen, die sogenannten Biomarker.

Das können spezifische Kennzeichen in der DNA, den Proteinen oder Zellen sein. Diese Biomarker sind der Schlüssel zur zielgerichteten Therapie.

Erst nach dem entsprechenden Test wird sich der Arzt für eine – zu diesem bestimmten Patienten passende – individuelle Therapie entscheiden.

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Im besten Fall wird er dann bereits im Voraus erkennen, wie eine Behandlung wirkt. Das spart nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch noch Geld.

Denn unwirksame Therapien werden erst gar nicht begonnen. Nicht nur angesichts der Probleme im Gesundheitswesen sicherlich ein wichtiger Aspekt.

Am weitesten fortgeschritten ist die personalisierte Medizin in der Onkologie, also in der Krebstherapie.

Axel Ullrich von Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München hat mit dem Medikament Herceptin beispielsweise eine so genannte AntikörperTherapie bei Brustkrebs entwickelt.

Diese greift gezielt dann, wenn die Tumorzellen ein bestimmtes Merkmal auf ihrer Oberfläche tragen.

Und damit dem Medikament einen individuellen Ansatzpunkt bieten. Das ist aber nur bei jeder vierten Patientin der Fall.

Denn Brustkrebs ist eben nicht gleich Brustkrebs, und je tiefer wir die Mechanismen durchdringen, umso individueller können wir Therapien entwerfen.

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Wie diese Beispiele zeigen, wird es der Wissenschaft immer öfter gelingen, die menschliche Natur zu optimieren und damit die Lebensqualität auf unserer Erde weiter zu steigern.

Selbst die Verbindung von Mensch und Maschine ist bereits möglich: So werden gegenwärtig Systeme entwickelt, mit denen Menschen allein durch ihre Gedanken Computer steuern können. Solche Systeme könnten künftig zum Beispiel gelähmten Menschen helfen, Prothesen oder auch eigene Körperteile wieder zu bewegen.

Schon heute sorgt ein Implantat im Innenohr dafür, dass taube und hochgradig schwerhörige Menschen Töne und Geräusche wahrnehmen. Das Gerät stimuliert den Hörnerv der Menschen mit elektrischen Signalen.

Meine Damen und Herren, dazu passt eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium: „Blinde werden sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören.“

Vielleicht dürfen wir diese Bibelworte also tatsächlich in Zukunft wörtlich nehmen.

Denn vieles was noch vor kurzem unerklärlich schien, kann die moderne Wissenschaft heute erklären. Seite 33 von 36

Und sie kann es zum Wohl der Menschheit einsetzen. Zum Beispiel werden wir sicher länger und hoffentlich auch gesünder leben als noch eine Generation vor uns.

Wir sind in einem Zeitalter angekommen, in dem die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich nicht mehr gilt. Bereits die Evolutionstheorie hatte mit der Einsicht provoziert, dass die Natur einem dauerhaften Wandlungsprozess unterliegt. Aber durch die modernen Biowissenschaften wird dies heute überdeutlich. In die ehemals stabile Naturordnung greift der Mensch bewusst steuernd ein.

Aber dennoch: Ich denke auch heute kann man – so wie einst Max Planck – Religion und Naturwissenschaft miteinander in Beziehung setzen. Allerdings: Das „WIE“ bleibt dem Einzelnen überlassen – auch zu Zeiten Max Plancks war das übrigens nicht anders. Denn seit jeher steht die Religion für den Glauben an Zusammenhänge.

Die Wissenschaft hingegen will die Zusammenhänge unzweifelhaft beweisen.

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Sie sucht und sie gibt Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit: beispielsweise zur künftigen Energieversorgung, zur Medizin der Zukunft und zum Klimawandel.

Versorgt mit solchem Orientierungswissen geht es aber auch heute immer noch darum, eine gesunde Balance zwischen Wissenschaft und Religion zu finden – zwischen Glaube und Beweis.

Und diese Balance muss jeder Einzelne für sich selbst finden.

So individuell wie wir als Persönlichkeit nun einmal strukturiert sind, müssen wir dies auch individuell entscheiden.

Und wie diese Entscheidung jeweils ausfällt, hängt eben auch von der individuellen frühen Prägung ab.

Also von den Werten, von der Ästhetik und von den Rahmenbedingungen, die jeder von uns in seiner Kindheit erfahren hat.

Persönlich teile ich Einsteins Empfinden, dass ‚das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, das Gefühl des Geheimnisvollen ist.

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Und dieses finde ich wie auch Einstein im tiefen Streben in Kunst und Wissenschaft.“ Woraus meine Liebe zur Wissenschaft resultiert, kann ich ihnen nicht eindeutig beantworten. Aber die Neigung für Kunst und Architektur hat sicher mit einer Prägung durch die schönen mittelalterlichen Fachwerkhäusern in Alsfeld zu tun und deswegen freue ich mich, heute hier sein zu können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und beantworte Ihnen gerne noch einige Fragen.

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