BERN NR. 6 | DEZEMBER 2015/JANUAR 2016 | CHF 5.00 | EURO 5.00

D A S M A G A Z IN F Ü R E IN GENUS SVOL L ES LEBEN

Heimat und Tradition Was heisst Heimat und was bedeutet sie uns?

Träume

Geschenke

Diabetes

Wie sie das Leben verändern

Ideen, mit denen man sicher punktet

Warum nicht (nur) der Zucker krank macht

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser

FOTO: MARC WETLI

Eine Zeitschrift soll – das ist jedenfalls unser Credo – nicht bloss unterhalten, sondern Sie auch im Alltag inspirieren und Ihnen Impulse geben, das eigene Leben zu reflektieren. Deshalb ist es uns ein Anliegen, Ihnen immer wieder Menschen vorzustellen, die ihre Leidenschaft leben und uns damit zeigen, wie vielfältig das Dasein sein kann. Im Leben dank neuen Impulsen seine Erfüllung zu finden, unabhängig vom Alter stets neugierig zu bleiben, das gibt uns die Zuversicht, unsere Zeit sinnvoll zu verbringen und mit uns selbst in Einklang zu bleiben. Deshalb portraitieren wir auch in dieser Ausgabe eine Reihe von Persönlichkeiten, die voller Enthusiasmus ihre Tätigkeiten ausüben. Ob das nun eine junge Frau ist, die als Sattlerin ihre Leidenschaft für Pferde und das Lederhandwerk lebt, ein ehemaliger Kunsthistoriker, welcher sich vorgenommen hat, die besten Biber zu backen, oder eine der erfolgreichsten Werberinnen der Schweiz: Immer geht es darum, das zu tun, was einen erfüllt. So entsteht auch das Gefühl, in seinem Leben den richtigen Platz gefunden zu haben. Und damit sind wir beim anderen wichtigen Thema, das uns in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins be-

schäftigt. Dem Thema «Heimat». In einer Zeit, in der Millionen von Menschen ihr Zuhause verlassen, in der Hoffnung, anderswo eine bessere Zukunft zu finden, erhält der Begriff «Heimat» oder «Heimatland» eine besondere Bedeutung. Es gibt keine schlüssige Erklärung rund um diesen weiten Begriff. Aber es scheint uns lohnenswert, sich darüber Gedanken zu machen, was uns Geborgenheit vermitteln könnte, was in uns positive Gefühle weckt oder wo wir innere Sicherheit finden. Lassen Sie uns an Ihren Heimatgefühlen teilnehmen und schreiben Sie uns an [email protected] in ein, zwei Sätzen, was für Sie das Wort «Heimat» ausmacht. Wir freuen uns, Ihre Gedanken auf unserer Internetseite zu veröffentlichen. Nun wünschen wir Ihnen inspirierende Momente bei der Lektüre unseres Magazins.

Herzlichst

Ihr Kurt Aeschbacher

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FOTOS: ZVG

INHALT

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Christine Ferber – Im Mekka der Schleckmäuler

Winterwandern – wohltuende Ruhe jenseits der Touristenströme

Porträt einer Vielarbeiterin. Christine Ferber steht in der weltberühmten Patisserie im Dorf Niedermorschwihr im Elsass fast täglich selbst in der Küche, um jene Süssigkeiten zu erfinden und zu kochen, die auch bei den Stars dieser Welt auf dem Frühstückstisch landen.

Tauchen Sie ein in die stille Winterwunderwelt im Prättigau. Auf bestens präparierten Schneepfaden durch das wunderschöne Hochtal. Ein schwereloser Streifzug durch die Puderzuckerlandschaften. Wohl nirgends sonst in der Schweiz ist man dem Himmel so nah …

Lebe deinen Traum

Der Schnitzer: Kolumne von –minu

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Heimat im Wandel der Zeit

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Porträt: die Werberin Regula Bührer Fecker

Augenblicke

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Schwerpunkt: unsere kulinarische Schatzkammer 56

Kurz nachgefragt: Roland Zoss

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Trends: verschenkte Kunst

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Gesundheit: Diabetes

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Reisen: Schweden und Norwegen

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Unsere Organe: die Lunge

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Leserreise

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Porträt: Anton Glanzmann

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Uhren

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Wohnen

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Die schönsten Weihnachtsmärkte

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Rezepte für Feststimmung

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Kleininserate

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Erben

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Rätsel

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SCHWERPUNKT

IM WANDEL DER ZEIT

Heimat Heimat hat viele Gesichter. So viele, wie es Menschen gibt. Sie kann Bergspitzen, Wiesen oder Meeresrauschen sein. Sie kann aber auch Cervelat, Ovomaltine oder Döner bedeuten. Für keinen von uns ist sie gleich – aber für alle von uns ist sie wichtig. Wie wichtig, wissen wir erst, wenn wir sie nicht mehr haben ... VON MAJA HARTMANN

Heimat im Wandel der Zeit Im Mittelalter war Heimat noch ein einfacher, klar definierter Rechtsbegriff. Wer ein Haus in einer Gemeinde hatte, hatte eine Heimat. Er hatte Heimatrecht und durfte heiraten. Wer das nicht hatte, konnte sich in die Obhut eines Herrn oder einer Gemeinde begeben. Er hatte Bleiberecht, sofern er die geltenden Regeln nicht übertrat. Laut Duden ist Heimat der Ort, «in dem man geboren Sobald er die Regeln verletzte, war er «vogelfrei» – was und aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufent- damals nichts Gutes bedeutete. halt zu Hause fühlt». Dieser Ort spielt eine wichtige Rolle Doch mit dem gesellschaftlichen Wandel veränderten in unserem Leben, er prägt uns als Kinder und definiert sich auch das Verständnis und der Beiklang des Begriffs uns als Erwachsene. Und doch können wir nicht so richtig Heimat. Im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel wurde sagen, wo dieser Ort anfängt oder wo er aufhört. Ist er ein «Heimat» zur Waffe der Nationalsozialisten – der Begriff Land, eine Stadt, ein Quartier oder vielleicht nur ein Haus? schloss alle aus, die nicht deutsch sind. Kurz darauf, in den Wir sehnen uns nach Heimat, wenn wir weit weg davon 50er und 60er Jahren hingegen wurde Heimat wieder mit sind – auch wenn wir nicht immer wissen, warum. In der Gefühlsüberschwang, Sehnsucht und ländlichem Idyll Heimat fühlen wir uns verwurzelt und zugehörig – auch verbunden. Klischees wurden geboren und Stereotypen wenn wir nicht genau wissen, wozu. Gerade in einer Zeit, zelebriert – und schadeten dem Begriff wohl genauso. in der sich geschätzte 60 Millionen Menschen auf der Schliesslich verband die 68er-Generation mit Heimat Flucht befinden und gezwungen sind, sich eine neue Hei- Spiessbürgertum und Kleingeistigkeit. Heimat wurde mat aufzubauen, gewinnt die Frage nach dem, was Heimat zum Synonym für Kuhglocken, Trachtengruppen und eigentlich ausmacht, eine traurige Aktualität. Kitsch. Heimatgefühle wurden verpönt, die eigene Heimat war alles andere als cool. Wer hierzulande etwas auf sich hielt, reiste in der Welt herum, lernte möglichst viele fremde Kulturen kennen und zeleb«Heimat/Traditionen bedeuten mir rierte das Fernweh als Zeichen von Freigeist sehr wenig, weil diese zu oft und Wohlstand.

mythisch überhöht, das eigene, kritische und solidarische Denken und Handeln übertünchen.» PETER SIGERIST, 66

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Zurück zu den Wurzeln Doch heute, mit der zunehmenden Globalisierung erlebt der Begriff Heimat so etwas wie eine Renaissance. Digitale Medien und Mobili-

FOTOS: FOTOLIA/ZVG

«Ohne Heimat sein, heisst leiden», schrieb Dostojewski. «Wie wahr!», denken wir unwillkürlich, wenn wir das lesen. Doch was meinen wir eigentlich damit? Was ist Heimat überhaupt und vor allem: Wo ist sie? Wohl kaum ein Begriff ist so schwer zu fassen wie die viel besungene, so oft vermisste und manchmal auch vergessene Heimat.

SCHWERPUNKT

«Heimat bedeutet für mich die Schweiz, denn dort sind meine Wurzeln! Mein Zuhause ist da, wo meine Familie ist. Dazu gehören natürlich auch gutes Essen und mein bequemes Sofa.» MICHELLE HUNZIKER, 38, MODERATORIN

tät verändern unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit. Unser Lebens- und Wirkungsraum wird immer grösser und überwindet geografische Grenzen in Bruchteilen von Sekunden. Jetzt wird Heimat zu so etwas wie einem Anker, einem Ruhepol in einer gefährlich rasenden Zeit. «Heimat kehrt zurück!», stellte Bernd Hüppauf, Literatur- und Kulturwissenschaftler, schon 2005 fest und schrieb den Aufsatz «Heimat – Die Wiederkehr eines verpönten Wortes». Und er sollte recht behalten: Heimatgefühle sind auch hierzulande wieder salonfähig geworden. «Heidi» kommt gerade wieder in die Kinos und sogar der legendäre «Schellenursli» wurde dieses Jahr verfilmt. Sogar das beinahe schon totgeglaubte Genre des Heimatfilms erlebt ein Comeback. Ingrid Tomkowiak, Professorin am Institut für Populäre Kulturen der Universität Zürich, die diesen Trend seit gut 15 Jahren beobachtet, sieht dahinter eine Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche. Denn bei Veränderungen und Unsicherheiten würde man sich auf das Bodenstän-

dige beziehen und nach einer Heimat suchen. Doch im Unterschied zu den Heimatfilmen der 50er Jahre, werde in den heutigen Filmen das Authentische vorgezogen, erklärt die Kulturwissenschaftlerin. In den neuen Heimatfilmen, wie «Alpsegen», «Die Kinder vom Napf», «Alpsummer» oder «Tönis Brautfahrt», geht es weniger um Idylle und Verklärung, sondern um die Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und ihrer Geschichte. Und wieder hat sich der Begriff Heimat ein weiteres Mal verändert. Gefühle, Orte, Menschen So ist die Heimat für uns heute mehr als der Ort, an dem wir geboren wurden. Sie ist mehr als die Berge, in denen wir im Winter Skifahren gingen, mehr als die berühmten Kühe, die wir auf der Weide beobachten. Denn wenn man nicht mehr arbeitet, wo man lebt, wenn man aufwächst, wo man nicht geboren wurde, wenn man seine Zukunft dort plant, wo man sich auskennt, verlieren

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SCHWERPUNKT

geografische Orte ein Stück weit an Bedeutung. Heimat ist heute vor allem ein Gefühl geworden. Die moderne Heimat, das sind Menschen und Dinge, Orte und Erinnerungen. Die Wärme, die wir zum Beispiel spüren, wenn irgendwo am anderen Ende der Welt plötzlich jemand unseren Dialekt spricht. Dieses so schwer definierbare Gefühl von Heimat hat die Schriftstellerin Zoë Jenny einmal wunderbar illustriert, als sie auf die Frage, was Heimat für sie ist, in einem Interview sagte: «Heimat ist Ovomaltine, Schokolade, Kinderlieder und Wörter wie: ‹Lusmaitli›. Heimat ist das Land, das einen frei lässt zu gehen und wieder aufnimmt, wenn man zurückkehrt wie in einen Hafen. Heimat ist der blühende Apfelbaum vor meiner Haustür. Heimat ist Schellenursli und Heidi, Bücher, die ich als Kind liebte und jetzt meiner Tochter gehören. Manchmal ist Heimat auch Sorge, auch Zorn, manchmal ist sie peinlich, wie einst in New York an einem Tisch mit Fremden: ‹She is swiss. She must be boring.› Heimat ist der Ort der Geburt und der Ort, wo man vielleicht sterben wird. Heimat ist mir immer

lie». Und darum ist sein Handy sein wichtigster Begleiter, das kleine, rettende Stück Heimat in seiner Hosentasche und er hütet es wie seinen Augapfel. Das Schlimmste für ihn wäre es, keine Anrufe und Nachrichten mehr damit empfangen zu können. So wie Mesfin Mulugeta geht es vielen Flüchtlingen. Gerade Menschen, die ihre physische Heimat verloren haben, bleibt nur die virtuelle Heimat – auch wenn sie nur ein vorübergehender, unzureichender «Ich bin da zu Hause, wo meine Familie ist, Ersatz sein kann. Das weiss auch der Integrationsforscher Hacı-Halil Uslucan. Er und diese befindet sich inmitten relativiert die auf den ersten Blick segensreiche Technologie: «Durch die digitale zweier Kulturen. Spannende, fruchtbare Kommunikation wird das Leid nur sehr Mischung.» begrenzt gemildert», erklärt er. In einer Studie hat er das Thema Heimweh bei Migranten und Migrantinnen untersucht. GUSTAV, 40, MUSIKER Mit der Familie in der Heimat zu sprechen, wieder auch in der Ferne begegnet in Form von gast- könne zwar akute Sehnsucht lindern, sagt Uslucan. Doch freundlichen Menschen und in den Schweizer Botschaf- wirklich helfen würde nur eines: «Wenn man auch in ten auf der ganzen Welt: Prag, Bangkok, Peking. Heimat seiner neuen Heimat angenommen wird.» ist auch Sehnsucht und manchmal hemmungslos sentimental. Heimat ist das, was unendlich wehtut, wenn man Unsere Heimat – ein Zuhause für andere Heimat als Synonym für das Gefühl, angenommen zu es nicht mehr hat.» sein – damit beschäftigt sich auch Christof Meier, Leiter der Integrationsförderung der Stadt Zürich. Über den Heimat in der Hosentasche Für den Äthiopier Mesfin Mulugeta ist momentan sein schwierigen Begriff der Heimat sagt er: «Heimat ist etwas, Handy seine Heimat. Er ist vor neun Monaten von Afrika das man mitnehmen kann, überallhin. Und Heimat ist nach Europa geflüchtet und weiss genau, wie weh es tut, etwas, das man überall finden kann. Und dies, ohne dass wenn man seine Heimat nicht mehr hat. Er würde den man bereits vorhandene Heimaten aufgeben oder verlieSchmerz nicht aushalten können, hätte er über das Inter- ren muss. Ganz im Gegenteil, denn an sich sind beliebig net nicht die Möglichkeit, mit seiner Familie in Kontakt zu viele und auch scheinbar widersprüchliche Kombinableiben. «Wenn du verzweifelt bist, ist das Smartphone tionen möglich.» Er denke dabei an Menschen, die sich sowohl in der dein einziger Freund», erzählt er in einem Fernsehinterview mit der ARD, «dann ist das Smartphone deine Fami- Stadt als auch in den Bergen zu Hause fühlen, an solche,

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SCHWERPUNKT

die sowohl die Briefmarkenbörse wie auch den Salsaclub besuchen, oder an solche, die mit Stolz von sich behaupten, sie seien sowohl Zürcherin als auch Baslerin und zudem noch Handballerin und Katholikin und eigentlich sowieso zuallererst Spanierin. «Denn ebenso wenig, wie es Menschen gibt, die nur einen Ort der Heimat haben, gibt es Menschen, deren Identität nur auf etwas beschränkt ist. Wir alle haben verschiedene Bezugspunkte, auf die wir uns je nach Situation berufen und mit denen wir unser Denken und Handeln steuern. In ihrer Gesamtheit sind sie das, was unsere Persönlichkeit ausmacht», so Meier.

Und genau dies sei unsere grosse Chance in Bezug auf den Umgang mit Menschen, die die Schweiz zu ihrer neuen Heimat machen möchten: «Unsere Aufgabe ist es, Heimat sein zu wollen, und zwar für alle, die hier bei uns wohnen. Denn unsere Gesellschaft ist dann erfolgreich, wenn alle dazu gehören und alle – unabhängig davon, ob sie nun in Aarau, Pristina oder Rio de Janeiro geboren sind – mit Freude und Selbstvertrauen sagen können: Ich bin Schweizer, respektive Schweizerin. Was auch immer sie sonst noch sind.» Bezeichnenderweise gibt es laut Duden auch «Heimaten», die Mehrzahl von Heimat.

Heimat zum Anfassen: die Schweizer und ihre Denkmäler Denkmäler verorten Menschen, evozieren Heimatgefühle und schaffen Vertrautheit. Was vor Hunderten von Jahren in Stein gehauen wurde, hat eben auch im Zeitalter der virtuellen Realität noch Bestand. Das zeigt eine aktuelle Studie des Bundesamtes für Kultur. Für neun von zehn Bewohnerinnen und Bewohnern der Schweiz haben Baudenkmäler eine grosse gesellschaftliche Bedeutung. Rund drei Viertel der Menschen geben an, dass am Ort, der für sie «Heimat» bedeutet, ein Denkmal steht und dass dieses dazu beiträgt, dass sie sich mit diesem Ort verbunden und dort zu Hause fühlen. 86 Prozent finden es wichtig, dass der Ortskern in ihrer Heimat erhalten bleibt. Die repräsentative Umfrage, die im Auftrag des Bundesamtes für Kultur im Sommer 2015 in allen Landesteilen der Schweiz durchgeführt wurde, lässt keinen Zweifel daran: Bauten von historischem oder baukünstleri-

schem Wert sind Fixpunkte in einer schnelllebigen Zeit. Sie tragen zur emotionalen Verbundenheit mit einem bestimmten Ort bei und sind Träger und Vermittler von kultureller Identität. So geben beispielsweise 56 Prozent der befragten Personen an, dass bestimmte Bauten, wie Häuser, Kirchen, Plätze oder Brunnen, zwingend zu ihrer vertrauten Umgebung gehören. Mit 59 Prozent liegt dieser Wert in der Deutschschweiz höher als im Tessin (55 Prozent) und in der Westschweiz (47 Prozent). Auf die Frage, welches Denkmal in der Schweiz auch in hundert Jahren noch erhalten sein sollte, wird das Feld klar angeführt von der Kapellbrücke in Luzern zusammen mit dem Bundeshaus in Bern, gefolgt von Schloss Chillon und den Burgen von Bellinzona. Giovanni Segantini Stiftung

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SCHWERPUNKT

Auf Heimatsuche – ein Schweizer entdeckt die Schweiz Waren Sie schon einmal auf dem Julierpass? Oder in Aarau? Oder auf der Älggialp? Wenn nicht, dann geht es Ihnen wie Reto Fehr. Bis er beschloss, seine Heimat endlich richtig kennenzulernen, und damit dem Begriff «Heimatkunde» wieder eine gewisse Coolness verlieh... Während seiner «Tour dur d'Schwiiz» fuhr der Sportjournalist Reto Fehr mit dem Velo durch jede der 2324 Gemeinden der Schweiz. Vom 1. Juli bis zum 25. Oktober legte er dabei rund 11000 Kilometer zurück – das ist so viel wie von Zürich nach Peking. Sein Ziel war es, «die Schweiz kennenzulernen», wie er selbst sagt. Denn nachdem er in seinem Leben über 70 Länder bereist hatte, war ihm klar geworden, dass er darüber völlig vergessen hatte, seine Heimat zu erkunden. Doch erreicht hat er mit seiner Tour schliesslich noch viel mehr. Nämlich die Herzen vieler Bewunderer, die seine Aktion mitverfolgten: am Computerbildschirm, am Strassenrand oder zusammen mit ihm auf dem Velo. Ein Online-Inventar der Gemeinden Jede seiner 95 Etappen beschrieb Reto Fehr noch am gleichen Tag auf seinem Reiseblog und illustrierte sie mit Fotos. Egal wie klein oder unscheinbar eine Gemeinde war – jede wurde erwähnt, jeder widmete Fehr ein paar Gedanken und jede fand so den Weg ins Internet. Auch über Twitter und Facebook konnte man die «Tour dur d’Schwiiz» sozusagen live mitverfolgen. «Radle mit, verrate mir Tipps, werde Teil des Projekts!», forderte der Abenteurer sein Publikum auf. Und es funktionierte: Er wurde von wildfremden Menschen eingeladen, begleitet, bewirtet und unterstützt. 18

Ansteckende Lust auf Heimat «Viele Leute sagten mir: Was du machst, würde ich auch gerne mal machen», erzählt Fehr. Ob es wohl ein Zeichen unserer Zeit ist, dass wir vor lauter Fernweh nicht mehr wissen, wie unser eigenes Land aussieht? «Ja, das stimmt wohl», sagt Fehr und fügt an: «Ich hatte früher wirklich immer Fernweh und die Schweiz interessierte mich kaum. Wenn ich in die Ferien verreiste, dann wollte ich immer möglichst weit weg und völlig unbekannte Kulturen und Länder erkunden.» Heute, nach seiner Tour durch die Heimat, schwärmt er vom nahen Glück: «Ich habe so viele Orte entdeckt, von denen ich dachte: Das kann doch gar nicht in der Schweiz sein! Unser Land ist so vielseitig und so unterschiedlich: so viele Architekturen, Dialekte, Bräuche.» Lokalstolz und Hilfsbereitschaft Auch sein Plan, unterwegs die Geheimtipps der lokalen Bevölkerung zu erfahren, habe gut geklappt: «Ich glaube, man ist einfach schon stolz auf die Gegend, aus der man kommt. Und wenn sich dann die Möglichkeit bietet, einem Fremden diese zu zeigen, dann macht man das gerne.» Er habe die Schweizer als sehr offenes und hilfsbereites Volk kennengelernt, erzählt er und fügt an: «Das freut mich sehr, denn oft hört man ja das Gegenteil. Aber ich habe nur positive Erfahrungen gemacht.» Und welcher Ort ist denn nun der schönste? «Einen speziellen Ort möchte ich nicht hervorheben», antwortet Reto Fehr diplomatisch. «Ich habe eine lange Liste angelegt mit Gegenden, die ich nochmals besuchen möchte. Aber so als Tipp würde ich sagen: Einfach mal ein Wochenende in einer Region verbringen, die man nicht so kennt. Es gibt überall versteckte Perlen.»