Haydns Opern in der Slowakei

für Burgenland, Austria, download unter www.biologiezentrum.at Haydns Opern© Landesmuseum in der Slowakei Darina M ÜDRA, B ratislava Das T erritorium...
Author: Franz Schmitt
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für Burgenland, Austria, download unter www.biologiezentrum.at Haydns Opern© Landesmuseum in der Slowakei

Darina M ÜDRA, B ratislava Das T erritorium der heutigen Slowakei, das den nördlichen Teil des ehem a­ ligen Ungarn bildete und ein Fünftel von dessen Staatsgebiet einnahm , um faßte gegen Ende des 18. Jahrhunderts etwa 1.945.000 Einw ohner, was rund ein Viertel der G esam tbevölkerung Ungarns darstellte. Die slow akischen K om itate zeichneten sich durch ihre relative Ü berbevölkerung aus, da sie näm lich w äh­ rend der Türkenkriege einem Teil der Bevölkerung aus dem Süden als Zuflucht gedient hatten. Schon in der ersten, jedoch besonders in der zw eiten H älfte des 18. Jahrhunderts lebte hier der überw iegende Teil des ungarischen Adels. Den H auptinhalt des politischen G eschehens in der Slow akei des 18. Jahrhunderts bildeten die Streitigkeiten zw ischen den absolutistisch-zentralistischen B estre­ bungen des W iener H errscherhauses und den ständischen Interessen der ungari­ schen A delsfam ilien. In den Jahren 1760-1830, m it denen m an die klassische Periode in der M usik­ geschichte der Slow akei abgrenzen kann, bot das sog. O ber-U ngarn in m usika­ lischer H insicht kein einheitliches Bild. Der geschichtlichen Entw icklung zufol­ ge wies es m ehrere m usikalische K ulturgebiete auf - das w estslow akische, das m ittelslow akische, das Zipser und das ostslow akische -, die sich weder m it der politischen K om itats- noch m it der kirchlichen D iözesen-Einteilung deckten, sondern nach gew issen historischen G ravitationszentren ausgerichtet waren, die sozusagen die M aschen des m usikalischen N etzes bildeten1. An erster Stelle sind die beiden städtischen Zentren zu nennen, Preßburg (heute B ratislava) und die ostslow akische Stadt K aschau (heute Kosice). Hier war die gesam te institutionelle Basis der zeitgenössischen M usikausübung vor­ handen: die A delsresidenzen, Kirchen, K löster, O pernhäuser und K onzertsäle sowie die bürgerlichen V ereinigungen und deren M edien m usikalischer B etäti­ gung. Es waren vor allem der Hochadel und die Kirche, die das ganze 18. Jahrhundert hindurch das hohe Niveau der m usikalischen Praxis bestim m ten und aufrechterhielten. In der slow akischen Provinz, abseits der städtischen Zentren, wurde das m usikalische Leben noch eine lange Zeit hindurch hauptsächlich von den K irchenchören und den K löstern getragen. Preßburg kann als das m usikalische Zentrum des ganzen dam aligen Ungarn bezeichnet werden. Als K rönungsstadt der ungarischen K önige war es Sitz des R eichsstatthalters von Ungarn, des Landtages, der ungarischen Zentraläm ter, zahlreicher königlicher Beam ter, m ehrerer A delsfam ilien und kirchlicher Orden sowie auch W irkungsstätte von zahlreichen W issenschaftlern und Künstlern. Ü berdies war Preßburg eine ökonom isch prosperierende Stadt, die den verschie­ densten Berufen ein B etätigungsfeld bot. In der Zeit von Haydns Besuchen in Preßburg, als in dieser Stadt noch vornehm lich Adel und K irche die Kunstm äzene waren, w irkten hier nicht w eni­ ger als vier ständige O rchester m ehr oder m inder unabhängig nebeneinander: das O rchester des Herzogs A lbert von Sachsen-Teschen auf der Preßburger Burg,

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Burgenland, Austria, download unter www.biologiezentrum.at jenes des Fürsten© Landesmuseum Anton Gfürrassalkovich, weiters ein solches des Prim as von Ungarn, Kardinals G raf Joseph Batthyänyi, und schließlich das O rchester des Grafen Johann Nepom uk Erdödy. Um 1780 hat G raf Batthyänyi - dies m achte später Preßburg für seine frühen D em okratisierungstendenzen auf dem Gebiet des K onzertlebens berühm t seine adeligen Som m erkonzerte einer breiteren Ö ffentlichkeit zugänglich gem acht. Auch im Bereich des M usikschulw esens war Preßburg führend: Schon seit 1775 verfügte die Stadt über eine städtische M usik­ schule, für die ihr G ründer Franz Paul Rigler das bekannte Lehrbuch, die A nlei­ tung zum Clavier, verfaßt hatte2. Das H oftheater des Grafen Erdödy, die durch­ gehende O perntheatersaison, das reichhaltige K onzertleben, die einheim ischen K om ponisten (Zim m erm ann, Druzecky, Rigler, Sperger, Tost, Klein, Chudy usw.) mit ihren zahlreichen Profan- und Sakralwerken, die bekannten Instrumenten­ bauer (Leeb, Thier, Ertel, Lotz und Schöllnast3), die verschiedenen Verlage und V erlagshandlungen (Schauff, Länderer, Struck, Lippert, Fähnrich usw.), später die Tätigkeit der V ereinigungen und G esellschaften - dies alles waren die H aupt­ träger des reichhaltigen M usiklebens der Stadt, das von der nam haften Preßburger Z eitung, deren Radius weit über den lokalen Rahm en hinausreichte, regelm äßig kom m entiert wurde. Es verw undert daher nicht, wenn nam hafte Kom ponisten und K onzertvirtuo­ sen ihr Interesse für die Preßburger M usikszene bekundeten. Joseph Haydns wiederholte Preßburg-B esuche stehen in Verbindung m it den A delsfam ilien Esterhäzy und G rassalkovich, diejenigen M ozarts m it der Fam ilie A m ade 4 und die B eethovens m it den Fam ilien K eglevich und O descalchi5. D arüberhinaus konzertierte noch eine ganze R eihe M usiker von europäischem R uf während der Periode der K lassik in dieser Stadt: D ittersdorf, Vanhal, Salieri, Eybler, D rechs­ ler, Leitgeb, Schalk, Menzel usw .6 An Persönlichkeiten des Theaterlebens schließlich sind Namen wie M ingotti, Bonn, Kurz jun., Zam perini, Schikaneder, Kuntze, H ensler m it der M usikgeschichte Preßburgs verbunden7. So reichhaltig also war - in H auptzügen dargestellt - das m usikalische Leben Preßburgs, das zw eifellos für Haydn neben seinen dienstlichen Verpflichtungen den H auptanreiz für seine w iederholten A ufenthalte darstellte. Es scheint paradox, daß weder die häufigen Preßburg-Besuche Haydns in seiner Funktion als Esterhäzyscher Kapellmeister noch die zahlreichen Aufführungen seiner Werke in Preßburg bisher ausreichend dokumentiert werden konnten. Exakt nachzuw eisen ist lediglich ein einziger A ufenthalt Haydns in Preßburg, der am 16. N ovem ber 1772 stattgefunden hat. An diesem Tag wurde nämlich vom Fürsten Anton II. G rassalkovich in seinem Preßburger Palais zu Ehren M arie Christines und A lberts von Sachsen-Teschen eine prächtige Feier veran­ staltet, an der auch Joseph Haydn im Auftrag seines D ienstherrn m itw irkte. Er leitete das Tanzorchester, das aus M itgliedern der G rassalkovichschen M usikka­ pelle bestand8. Einen w eiteren A ufenthalt Haydns in Preßburg verm erkt Dies wie folgt:

“Einst wurde zu Presburg ein Landtag gehalten. Der Fürst Nikolaus hatte sein ganzes Orchester kommen lassen. Es wurden Feste gegeben, w obey die Kaiserinn M. Theresia gegenwärtig war. An einem solchen Feste dirigirte Haydn in einem Concerte, (gewöhnlich mit der V ioline) [...]”9

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© Landesmuseum für Burgenland, Austria, der download unter www.biologiezentrum.at Pohl zufolge fand der Besuch M itte 1770er Jahre statt10. Tatsache ist jedoch andererseits, daß nach 1764 der ungarische Landtag auf lange Zeit keine Sitzung in Preßburg m ehr abgehalten h at11. Im Zusam m enhang m it Haydns Preßburg-A ufenthalten ist auch die von Pohl angeführte M itteilung von Interesse, wonach der Kom ponist 1776 vom Grafen Ladislaus Erdödy eine Kutsche m it zwei Pferden erhalten habe12. Man kann deshalb annehm en, daß dadurch günstigere - und vom Fürsten Esterhazy unab­ hängige B edingungen für öftere Besuche Haydns in Preßburg geschaffen worden sind. Ein w eiterer Preßburg-A ufenthalt des Kom ponisten kann dem B rief Haydns an N anette Payer vom 5. Mai 1786 indirekt entnom m en w erden13. Die 1770er Jahre werden als jener Z eitabschnitt angesehen, in welchem die m eisten B esuche Haydns in Preßburg erfolgten14. Es ist hier zu bem erken, daß der Schauplatz der E sterhäzyschen M usikaufführungen nicht der sog. Asprem ont-Palast war (der ja erst um 1810 in den Besitz der Fam ilie überging), sondern das Esterhäzysche Palais in der heutigen K apitelgasse15. Im H inblick darauf, daß Haydn nicht nur Opern anderer K om ponisten, sondern auch die V orstellungen der eigenen Opern dirigiert h a t16, kann man annehmen, daß die A ufführungsdaten seiner B ühnenw erke auch gleichzeitig die Term ine seiner Besuche in Preßburg gew esen sein dürften.

Das erste B ühnenw erk Haydns, das in Preßburg erklang, war die zw eiaktige O pera buffa La canterina, die, erst 1766 entstanden, 1767 in Preßburg zur K arnevalszeit uraufgeführt wurde. Bem erkensw ert ist auch noch die Tatsache, daß noch im selben Jahr das Libretto beim Preßburger V erleger Johann M ichael L änderer17, der seit 1764 die P reßburger Zeitung herausgab, im Druck erschien. In den Blättern dieser Zeitung wurden W erk und Leben Haydns m it großer A ufm erksam keit v erfolgt18. Angesichts des Provisorium s, das Preßburgs bestehende Theater darstellten das T heater am Fischertor (ein Holzbau, errichtet anläßlich der Krönung M aria Theresias und der Zusam m enkunft des Landtages) sowie das Theater im sog. Schützengraben unterhalb des M ichaelertors (errichtet in den 1750er Jahren) -, ließ der Adel im H intertrakt des sog. Grünen Stübels oder G rünstübelhauses ein neues Theater errichten, das bis 1775 in durchgehendem Betrieb war. So befand es sich auch schon w ährend der Landtagssitzung von 1764 in Betrieb, als noch die Theaterunternehm en des Joseph Felix Kurz jun. und des Dom enico Zam perini tätig w aren19. Das Preßburger Theaterw esen erreichte nach 1773 seine größte B lüte, und zwar dank der Tätigkeit des hervorragenden D irektors und Schau­ spielers Carl W ahr (geb. 1745). W ahr hielt sich in Preßburg in den Jahren 1773 bis 1779, und zw ar gew öhnlicherw eise im W inter, auf, w ährend er zur Som m er­ zeit im D ienstverhältnis des Fürsten Nikolaus Esterhazy, auf Schloß Eszterhäza, stand20. Zwei Jahre vor dessen W iener Prem iere 21 führte Carl W ahr im Rahm en des C äcilienfestes, am 22. N ovem ber 1774, in Preßburg Haydns Singspiel II distratto (“Der Zerstreute” , Hob. X X X :3) m it beispiellosem Erfolg auf es war im selben Jahr nach der französischen V orlage von R egnard entstanden. W ie die

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Austria, download unter www.biologiezentrum.at Preßburger Zeitung© Landesmuseum vom 23. fürNBurgenland, ovem ber 1774 berichtete, war Haydns M usik in Preßburg mit einer solchen B egeisterung aufgenom m en worden, daß das P ubli­ kum eine W iederholung des Finales forderte. Insbesondere wurde hervorgeho­ ben:

“[...] Herr von Hayden verfertigte eine sonderbare Musik dazu, w elche unsern Lesern schon aus den vorigen Blättern unter den Artikeln Eszterhäz vorläufig bekannt gemacht worden ist.”22

Die R ealisierung um fangreicherer szenisch-m usikalischer W erke wurde erst durch das neue Theatergebäude erm öglicht, das sich etwa an der Stelle des heutigen Slow akischen N ationaltheaters befand und einen Fassungsraum von 800 Zuschauern hatte. Es war unter ausgiebiger finanzieller U nterstützung durch die Preßburger A delsfam ilien und vor allem derjenigen Georg Csäkys, des großen Preßburger Theater-M äzens, erbaut und 1776 feierlich seiner B estim ­ mung übergeben w orden23. Nach dem Abgang Carl W ahrs trat ein häufiger W echsel in den T heateren­ sembles und deren D irektoren ein, wohl verursacht durch die bedeutenden finan­ ziellen Schw ierigkeiten, die Preßburg aus seinem A bsinken zur P rovinzhaupt­ stadt nach dem Tod M aria Theresias erwuchsen. Von ziem lich kurzer Dauer waren die W irkungsperioden der Ensem bles von Joseph Schm allögger, Emanuel Schikaneder (1784), Ludwig C hristoph Seipp (1784-1786, 1791), Georg Jung (1793-1794) und schließlich Johann Christoph Kuntz (1796-1801)24. Das B estre­ ben von Kuntz ging dahin, den Geschm ack des Publikum s durch ein anspruchs­ volles Program m zu verfeinern. 1801 nahm er sogar Haydns O ratorium Die Schöpfung 25 darin auf: Die Preßburger Prem iere dieses W erks erfolgte dam it nur zwei Jahre nach der ersten öffentlichen W iener Aufführung. H auptträger des O perntheaters in Preßburg war in den 1780er Jahren jedoch das Theaterunternehm en des Grafen Johann N epom uk Erdödy (1723-1789)26, das zeitw eilig unter den vergleichbaren adeligen Initiativen einen vorderen Rang einnahm . D irektor des Ensem bles war von der G ründung 1785 bis zur Auflösung der Truppe im Frühjahr 1789 der bekannte Tenor Hubert K um pf (1757-1811), der vorher Sänger und D irektor des Städtischen Theaters in Preßburg gew esen war. Als K apellm eister fungierte von 1785 bis 1788 der K om ponist und bedeu­ tende T asteninstrum ent-V irtuose Jozef Chudy (1751-1813), ein gebürtiger Preßburger. Nach seinem W eggang nach Budapest wurde er von Johann B aptist Panek, bis dahin O rchesterm itglied, abgelöst. Nachdem Carl W ahr das Interesse des Preßburger Publikum s auf den K om po­ nisten Joseph Haydn gelenkt hatte, war das B ühnenschaffen Haydns R epertoire­ bestandteil m ehrerer O perntruppen geworden. So z.B. hatte das Erdödy sehe Ensem ble von 1785 bis 1787 bis zu vier Haydn-O pern in seinem Repertoire. Am 5. Juni 1785 wurde von der Erdödy sehen Truppe Haydns Dramma pastorale L a fe d e ltä prem iata (kom poniert für die W iedereröffnung des O pernhauses von Eszterhäza 1781) in einer deutschen Ü bersetzung (“Die belohnte T reue”) her­ ausgebracht. A uf den Erfolg dieser Prem iere deuten nicht nur m ehrere Reprisen hin (nicht weniger als fünf noch 1785, eine weitere 1786), sondern auch die R ezension in der P reßburger Zeitung vom 15. Juni 1785, in der Haydn ein “ungarischer O rpheus” genannt wird. Man erfährt hier:

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© Landesmuseum für Burgenland, Austria, download www.biologiezentrum.at “Ohnlängst wurde die Oper ‘Die belohnte Treue’ zwunter eym al zur Befriedigung und Bewunde­ rung aller Zuschauer aufgeführt. D ie M usick war vom Hm. Haydn, von jenem ungarischen Orpheus, der noch in den spätesten Zeiten die Bewunderung aller Musickfreunde bleiben wird.”27

Am 30. Januar 1786 erklang in Preßburg, aberm als in Girziks deutscher Übersetzung, Haydns Dramma giocoso La vera costanza (“Der Sieg der B estän­ digkeit” , in Eszterhäza aufgeführt 1779). Laut einem B ericht der Preßburger Zeitung vom 17. Januar 178728, der unter H ubert Kumpfs eigenem Namen publiziert wurde, war diese Oper so erfolgreich, daß sich H ubert K um pf nach m ehreren R eprisen drei 1786 und w eitere drei 1787 (20. Januar, 13. Juli, 5. O ktober )29 - entschloß, sie auch im Städtischen Theater, zugunsten der Armen, aufzuführen. W eiters erfährt man in diesem Zeitungsbericht, die M usik Haydns sei “eben so schön als passend” Das nächste Glied in dieser Reihe stellt die Aufführung von Haydns Dram ma eroico Arm ida dar. Die 1783 entstandene Oper erklang in Preßburg zum ersten M al, und zwar in deutscher Ü bersetzung, am 3. N ovem ber 1786. Die Prem iere war ursprünglich für den 15. Oktober, dem N am ensfest der Gräfin Erdödy, geplant, m ußte aber wegen einer Erkrankung des Grafen verschoben w erden30. Die V orstellung erlebte zwei R eprisen am 6 . N ovem ber und 8 . D ezem ber 1786. Zu den Besonderheiten dieser Aufführungen gehört es, daß ihre szenische Gestal­ tung durch eine Abbildung in Erdödys Theater-Allmanach dokumentiert ist31. Die Erdödysche Theatergesellschaft realisierte ihre Produktionen im gräfli­ chen Fam ilienpalais in der Lorenzenthorgasse, in dem sich auch eine wertvolle K unstsam m lung und die B ibliothek befanden. Von der Theaterbühne selbst ist leider kein Zeugnis erhalten geblieben32. Erdödys Theater hatte zwei Spieltage pro W oche (m ontags und freitags): Es wurde an jenen Tagen gespielt, an denen keine V orstellungen im Städtischen Theater stattfanden33. In der Regel bestand das Publikum aus geladenen Gästen aus dem adeligen Stand. Zu den regelm äßi­ gen B esuchern dieser V eranstaltungen zählten z.B. G raf Apponyi, Fürst G rassal­ kovich, G raf Batthyänyi, die Fam ilie des Grafen Balassa, Georg Csäky, Carl und Casim ir Esterhäzy, Johann und Karl Pälffy usw .34 Als deutliches Kennzeichen einer beginnenden D em okratisierung muß es gew ertet werden, daß R eprisenvorstellungen auch für die Preßburger B ürger­ schaft, die für derartige Unternehm ungen ein außergew öhnlich waches Interesse besaß, zugänglich gem acht wurden - entw eder im Fam ilienpalais selbst oder im Städtischen Theater. A uf diese W eise wurde Haydns Die belohnte Treue {La fed eltä prem iata) am 21. M ärz 178635 für das breite Publikum aufgeführt. Die Erdödyschen V eranstaltungen können dam it als Analogon zu den eingangs er­ wähnten Som m erkonzerten des Grafen B atthyänyi angesehen werden, die sogar einem jeden “anständig G ekleideten” zugänglich w aren36. Nach dem W eggang von Ludwig Seipp m it Jahresende 1786 pflegte Erdödys G esellschaft auch im Städtischen Theater zu spielen37. Dort wurde auch 1787 die nächste H aydn-O per, das 1782 kom ponierte Dram m a eroicom ico Orlando paladino unter dem deutschen Titel Roland der P fa lzg ra f herausgebracht. (Die A uf­ führungen fanden am 10. Februar und 20. Juni statt). Die Oper wurde von den Preßburger K ritikern als “ein wahres M eisterw erk” bezeichnet38.

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Landesmuseum für Burgenland, Austria, Kumpf, download unterder www.biologiezentrum.at Neben Carl W©ahr war som it H ubert D irektor der Erdödyschen Theatertruppe, Schlüsselfigur bei der Verbreitung von Haydns B ühnenw erken in Preßburg. H eute sind auch die übrigen M itglieder der Truppe bekannt39, denen Haydn seine B ekanntheit beim Preßburger Publikum verdankte. Das Sängerensem ble bestand z.B. 1787 aus folgenden M itgliedern: dem Baritonisten Franz Xaver G irzik (geb. 1760 in Prag), den Bässen Johann Baptist Hübsch (geb. 1755 in M ähren) und Johann N epom uk Schüller (geb. 1758 in Schwaben), den Tenören Ferdinand R otter (geb. 1758 in Ö sterreich) und Carl Christian Prange. Die Sängerinnen des Ensem bles waren Josepha Abeck (geb. 1760 in W ien), M arianne Habl (geb. 1766 in Bayern), A ntonia Hoffm ann (geb. 1765 in Ö sterreich) und M argarethe Kaiser (geb. 1760 in M ünchen). Das O rchester, das ursprünglich 11 ständige M itglieder zählte, war bis 1788 um w eitere 6 M usiker angewachsen. Das Streicherensem ble bestand aus Anton Krauth und Franz G ülnreiner (1. Violine, ersterer gleichzeitig der EnsembleK orrepititor), Johann Rust und Franz B ernhofer (2. V ioline), Jakob Kum ert und Kajetan Zeys (Bratsche), Franz Klety (V ioloncello), Johann B aptist Paneck (Kontrabass). Bei den Bläsern, die nach B edarf m it M usikern aus dem lokalen Infanterieregim ent ergänzt wurden, spielten die K apellm eister W enzl Weiß und Franz D eim er (Oboe), Peregrin Dux und Johann Swiowsky (K larinette und Flöte), Johann Kunze und M ichael Stram bach (Fagott), Adam Awesky und Anton Hybel (Horn) sowie Joseph Beck und Franz König (Trom pete). An der Pauke saß Georg Schantroch. Am Schluß sei der V ollständigkeit halber noch erwähnt, daß das Puppenspiel Dido, dessen Textbuch von Philipp Georg B ader und die M usik von Joseph Haydn stammen, in Preßburg seine Erstaufführung 1777 gehabt hatte. Hierbei handelt es sich um die Parodie eines gleichnam igen Theaterstücks, das von der Preßburger Theatertruppe C hristian H ieronym us M olls am W iener K ärntner­ tortheater aufgeführt worden war40.

Im U nterschied zum Schaffen W olfgang Am adeus M ozarts ist die V erbrei­ tung von Haydns m usikalischem W erk auf dem G ebiet der heutigen Slowakei zu seinen Lebzeiten ausschließlich auf Preßburg beschränkt geblieben. In Kaschau, wo außer Preßburg die Bedingungen zur A ufführung von Haydns Bühnenw erken noch vorhanden gew esen wären, ist keine einzige seiner Opern erklungen. Dafür wurde aber am Stadttheater von Kaschau, das übrigens als das sechste seiner Art in Ungarn 1789 in Betrieb genom m en worden war41, am 25. und 26. M ärz 1804 das O ratorium Die Schöpfung szenisch aufgeführt. Diese nach Preßburg (1801) zw eite bekannte Aufführung des W erks auf dem Territo­ rium der Slow akei, wurde von Louise Fourniers Theatergesellschaft m it dem D irigenten M ichael Beösz, der von 1793 bis 1811 an der K aschauer M usikschule als Lehrer tätig war, realisiert. Als Solisten fungierten Alois Troger, K antor der Pfarrkirche von Pressow (heute Presov), Louise Fournier selbst sowie weitere M itglieder der Truppe, näm lich Friedrich Sassenboren und B arbara Haas. M it­ w irkende waren ferner auch die “übrigen Herren D ilettanten und Tonkünstler” und die M itglieder der lokalen “Opern- und Schauspielgesellschaft” , wie das Ereignis in der P reßburger Zeitung ziem lich ausführlich beschrieben wurde42.

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Burgenland, Austria, www.biologiezentrum.at Man erfährt dabei,© Landesmuseum daß zum fürErfolg des Wdownload erkes unter auch die Theaterdekoration, “ein zierlich illum inirter G arten”, beigetragen habe.

B etrachtet man den A nteil von Haydns B ühnenschaffen im K ontext seines OEuvres, wie es im zeitgenössischen R epertoire in der Slow akei43 präsent war, muß man feststellen, daß es nur einen äußerst kleinen A usschnitt von Haydns Schaffen ausm acht, wie es zu Haydns Lebzeiten hier erklungen ist, und daß seine Verbreitung nur auf Preßburg beschränkt blieb. Nachdem die Fam ilienarchive der Preßburger A delshäuser zum größten Teil verschollen sind, kann man die Aufführungsdichte von Haydns W erken nur m ehr aus sekundären Quellen er­ schließen. Von der ausschließlichen Bindung des Haydnschen Bühnenschaffens an das Adelsm ilieu zeugt die Tatsache, daß es nicht wie im Falle M ozarts44 zu den üblichen Bearbeitungen (z.B. die N eutextierung von Arien oder Verwendung instrum entaler A bschnitte im Rahm en kirchlicher Zerem onien) herangezogen worden ist. Der bisher einzige bekannte Fall in den M usikdenkm älern der Slo­ wakei ist die N euverw endung eines B ruchstücks aus Orlando paladino (die Takte 227-276 aus Nummer 12) für ein Graduale “O Maria virgo” in der Pfarrkirche von St. Jakob in Levoca (Leutschau)45. Da aber die A bschrift erst aus dem 19. Jahrhundert stam m t, liegt sie außerhalb des chronologischen Rahm ens dieses Referats. V ergleicht man Haydns und M ozarts Schaffen hinsichtlich ihrer zeitgenössi­ schen Bedeutung für die m usikalische K ultur zur Zeit der K lassik auf dem G ebiet der heutigen Slow akei, sowie es sich im Spiegel der Q uellenforschung der letzten Jahre ergibt, kann man folgende Schlüsse ziehen: Für die erste Phase der klassischen Periode (ca. 1760-1785) standen Haydns Opern und Singspiele im V ordergrund. Das Bühnenschaffen M ozarts gewann an B edeutung erst in der zw eiten Phase (ca. 1785-1810) und blieb nicht nur auf Preßburg beschränkt, sondern drang bis Kaschau und Pressow vor. Dies geschah zunächst ebenfalls im Rahm en adeliger T heatergesellschaften, griff aber später - als Haydns Opern und Singspiele zunehm end aus dem Blickfeld verschw anden - in Form von B earbei­ tungen sowohl auf das Repertoire adeliger und bürgerlicher D ilettanten wie auf das T raditionsgut der K löster und Kirchenchöre der ganzen Slow akei über. Das W erk M ozarts gelangte so zu großer V erbreitung. Diese Veränderung in der Funktion der M usik kann als ein M uster des D em okratisierungsprozesses ange­ sehen werden, der die M usik zur Zeit der Klassik erfaßte ein Prozeß, wie er Haydns Bühnenw erken nicht zuteil geworden ist. In der dritten Entw icklungs­ phase (ca. 1810-1830) sind im zeitgenössischen Repertoire nur m ehr die W erke M ozarts (in O riginalfassung wie in Bearbeitungen) übriggeblieben. In R elation zu seinem Gesamtoeuvre war der Einfluß des Haydnschen Büh­ nenschaffens auf die M usikkultur der Slow akei von untergeordnetem Rang. W ährend das Schw ergew icht im Falle M ozarts gerade auf dessen Bühnenwerken lag, waren Haydns Kirchen- und K am m erm usik sowie seine Sym phonien für die Entwicklung der slow akischen M usikkultur von vornehm licher Relevanz. Man

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© Landesmuseum Burgenland, download unter ischen www.biologiezentrum.at könnte auch sagen: Das, wasfür M ozart Austria, für die böhm Länder war, war Haydn für die Slowakei. Der Anteil Joseph Haydns an der Profilierung der klassischen M usikkultur zur Zeit der Klassik, sein Einfluß auf das Schaffen Preßburger Kom ponisten (Zim m erm ann, Tost, Rigler, Sperger, Zistler usw.) ist bisher noch nicht genug erforscht worden. Ebensow enig gew ürdigt wurde Haydns B rücken­ funktion zw ischen W iener und Preßburger Tradition, eine B rückenfunktion, die nichts anderes darstellt als Haydns historisches V erdienst bei der Heranführung jener Nationen, die im dam aligen Ungarn gelebt haben, an die m usikalische Klassik.

Anmerkungen: 1 V gl. im folgen den die ausführlichen Studien der V erfasserin: Darina Müdra, Hudobny klasicizmus na Slovensku (= D ejin y hudobnej kultüry na Slovensku 2), B ratislava (in Vorbereitung); d ies., O draz hudobneho zivota B ra tislav y o b d o b ia klasicizmu v P r e s s ­ bu rger Zeitung, in: M u sico lo g ica slo va ca VIII, Bratislava 1982, S. 59-87; so w ie dies., Jo sep h Haydn a Slovensko, in: ebd., S. 89 -1 4 4. 2 V gl. V iera P olak ovicovä, Franz P au l Rigler, phil. D iss. (ungedr.), Bratislava 1981. 3 V gl. Zoltän Hrabussay, Vyroba a vyrob cov ia hudobnych nästrojo v v B ratisla ve, in: H u do bn o ved n e Studie V, Bratislava 1961, S. 17-238, so w ie Peter Kresäk, Husliarske umenie na Slovensku, B ratislava 1984. 4 V gl. Darina Müdra, W olfgang A m adeu s M o z a rt a Slovensko, in: M u sico lo g ica slo v a ­ ca. Euröpske süvislosti sloven skej hudby, Bratislava 1990, S. 37 -1 3 6 . 5 V gl. Luba B allova, L u dw ig van Beethoven a Slovensko, Martin 1972. 6 V gl. Darina Müdra, O d ra z hudobneho (sieh e Anm. 1), S. 60ff. 7 V gl. Stefan H oza, O p era na Slovensku I, Martin 1953, S. 5 5 ff., so w ie K a p ito ly z dejfn slovenskeho d ivad la o d najstarsich cias p o realizmus, B ratislava 1967, S. 139ff. 8 Carl Ferdinand Pohl, Joseph H aydn, Bd. 2, L eipzig 1928, S. 52. 9 A lbert Christoph D ies, B io grap h isch e N achrichten von Joseph Haydn, W ien 1810, S. 64. 10 Pohl (sieh e Anm . 8), S. 52f. 11 V gl. A nthony van H oboken, T hem a tisch -biblio grap hisch es W erkverzeichnis, Bd. 1 M ainz 1957, S. 73. 12 Pohl (sieh e Anm . 8), S. 23. 13 Ebd., S. 23f. 14 Ebd., S. 52ff. 15 Zoltän Hrabussay, Jo sep h H aydn und B ratislava, Referat H aydn-K onferenz B ratisla­ va 1959 (m asch.), S. 5f. 16 M ilan P ostolka, Joseph Haydn a nase hudba 18. stoleti, Praha 1961, S. 45. 17 La canterina. O p era buffa, re presen ta ta nel tempo di ca rn ovale p e r divertim en to di loro A ltezze Reali. P resbu rg o, nella stam peria die Giov. M ich ele L ä n de re r 1767\ vgl. dazu Johann Harich, Esterh azy-M usikgesch ich te im S p iegel d e r zeitgenössischen Textbücher (= B urgenländische Forschungen 39), Eisenstadt, 1959, S. 31f. 18 Marianne Pandi und Fritz Schm idt, Musik zur Z eit H a ydn s und B eeth oven s in der P re ß b u rg e r Zeitung, in: D a s H ayd n Jahrbuch VIII, W ien u.a. 1971, S. 165-293. 19 V gl. K a p ito ly z dejin (sieh e Anm . 7), S. 134ff. 20 V gl. ebd., S. 136; so w ie Pohl (sieh e Anm . 8), S. 12ff.

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für Burgenland, Austria, download unter und www.biologiezentrum.at 21 L eopold N ow ak,© Landesmuseum Joseph Haydn. Leben, B edeutung Werk, W ien u.a. 1959, S. 238, 496. 22 V gl. Pandi/Schm idt (sieh e Anm . 18), S. 171. 23 K a p ito ly z dejin (sieh e Anm . 7), S. 136f. 24 Ebd., S. 138ff. 25 V gl. Franz Z agiba, Joseph Haydn a Slovensko, in: S loväk 24 (1 9 4 2 ), Nr. 178, S. 7. 26 V gl. im folgen d en G eza Staud, A d elsth e a te r in Ungarn (= T heatergeschichte Ö s te r ­ reichs 10), W ien 1977, S. 206ff; Herbert Seifert, D ie Verbindungen d e r F amilie E rdö dy zur Musik, in: D a s H aydn Jahrbuch X, W ien u.a. 1978, S. 15 l f f . ; ferner H oza (sieh e Anm . 7), S. 5 3 ff., K ap ito ly z dejin (sieh e Anm . 7), S. 148ff. 27 Pandi/Schm idt (sieh e Anm . 18), S. 185. 28 Ebd., S. 187-188. 29 Staud, S. 223; Seifert, S. 159 (sieh e Anm . 26) 30 Staud, S. 19 9 f.; der Gothaer T h ea ter-K a len d er a u f das Jahr 1 7 8 7 berichtet über eine Aufführung, die bereits am 10. Oktober 1786 stattgefunden und der angeblich K aiser Joseph II. beigew ohn t haben soll; für ein e so lch e finden sich in Erdödys TheaterAllmanach jed och keinerlei Anhaltspunkte; vgl. Staud, ebd. so w ie Seifert S. 163 (A nm . 89). 31 Staud, S. 235. 32 H rabussay, Joseph H aydn (sieh e Anm . 15), S. 3. 33 Staud (sieh e Anm . 2 6 ), S. 198. 34 Ebd., S. 237. 35 Ebd., S. 238. 36 Ebd., S. 87. 37 H rabussay, Jo seph H aydn (sieh e Anm . 15), S. 4f. 38 Pandi/Schm idt (sieh e Anm. 18), S. 188 (7. Februar 1787). 39 Säm tliche A ngaben wurden im folgen d en entnom m en aus: H och gräflich-E rdödisch er Theater-Allm anach a u f das Jah r 17 87 , L eip zig und B erlin o.J., S. 29, 33, 35, 37, 39, 4 1, 43, 44, 4 5 , 47, 48. 4 0 H rabussay, Joseph H aydn (sieh e Anm . 15), S. 5. 41 K a p ito ly z dejin (sieh e Anm . 7), S. 140ff. 4 2 P r e ß b u rg e r Zeitung Nr. 28 v. 10. April 1804 (nicht in Pandi/Schm idt, sieh e A nm . 18). 43 V gl. Darina Müdra, Jo sep h H aydn a Slovensko (sieh e Anm . 1), S. 93ff. 4 4 D ies., Wolfgang A m a deu s M o z a rt a Slovensko (sieh e A nm . 4 ), S. 7 lff. 45 S loven sk e närodne m üzeum Bratislava, M usikaliensam m lung aus L evoca, Sign. M US X V I 55.

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