Hanni Bay starke Frau im Zeitgeschehen

Hanni Bay – starke Frau im Zeitgeschehen geschieden, ausgeburgert, alleinerziehend Vortrag Galerie ArchivArte am 02.12.2016 Steffi Göber-Moldenhauer,...
Author: Harald Heintze
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Hanni Bay – starke Frau im Zeitgeschehen geschieden, ausgeburgert, alleinerziehend

Vortrag Galerie ArchivArte am 02.12.2016 Steffi Göber-Moldenhauer, Kunsthistorikerin, Birgit Stalder, Historikerin

Intro: Nachsicht und Ersatz

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Biografische Stationen: Berg- und Weltenbummlerin

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Belp 1885 - 1901 Antwerpen 1901 - 1902 Bern 1902 - 1904 München 1904 - 1906 Oschwand 1906 - 1908 Paris 1908 - 1909 Bern 1909 - 1910 Chur 1910 - 1919 Zürich 1920 - 1942 Berlin 1927 Bern 1942 - 1978 Die Geschichte mit den Burgern Vorgeschichte Ausburgerung Wiedereinburgerung Reglemente 1. Antrag Gründe der Ablehnung 2. Antrag Leben und Sterben als Bernburgerin Erfolge Finale: Portrait von Claire Waldoff Claire Waldoff und Vater Zilles Lied

© Steffi Göber-Moldenhauer

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Intro: Nachsicht und Ersatz Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Kunstfreunde Gerne heiße ich Sie hier in der Galerie ArchivArte willkommen. Auf der Einladung angekündigt steht der Vortrag: „Hanni Bay - geschieden, ausgeburgert, alleinerziehend, referiert von der Historikerin Frau Birgit Stalder“. Leider musste sie krankheitshalber kurzfristig absagen. Wir senden ihr auf diesem Wege herzliche Genesungswünsche ins Spital. (Nun stehe ich hier, ich bin Steffi Göber-Moldenhauer und freischaffende Kunsthistorikerin und seit vielen Jahren für ArchivArte tätig. Ich habe auch vor sechs Jahren den Transfer des künstlerischen Nachlasses von Hanni Bay zu ArchivArte ins Archiv begleitet und stand dafür viel mit der Enkelin von Hanni Bay, Katharina von Salis, in Kontakt. Daher werde ich heute referieren – ich bitte Sie um Verständnis und kann Sie beruhigen: Auch wenn Sie heute hier eine Deutsche über die Bernburger referieren hören) – Frau Birgit Stalder hat mir freundlicherweise ihre Grob-Notizen zur Verfügung gestellt, die meisten Hinweise über die Wiedereinburgerung in diesem Vortrag stammen von Frau Stalder. Ausserdem hat Frau Stalder mich schon beim ersten Überfliegen ihrer Notizen angesteckt: Hanni Bays unerbittlicher Kampf mit der Malerei eine 4-köpfige Familie zu ernähren, ihr unglaubliches Engagement für Frauen und Kinder und ihr Kampf um die Wiedererlangung des Berner Burgerrechts zeigen eine starke Frauenpersönlichkeit, die sich nicht nur als Malerin in der Schweizer Kunstgeschichte einen Namen gemacht hat, sondern durch ihr unermüdliches Handeln und Tun, beispielhaft für ganze Folge-Generationen ist. Ich werde aber nicht nur über die Aus- und Wieder-Einburgerung von Hanni Bay sprechen, wie es Frau Birgit Stalder vorhatte, dazu war die Einarbeitung in diese komplexe Materie zu kurzfristig. Frau Stalder wird sicherlich die ein oder andere weitere Gelegenheit haben, ausführlich über dieses Thema zu berichten.

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Biografische Stationen: Berg- und Weltenbummlerin Belp 1885 - 1901 Im Jahre 1885 am 29. September wurde Johanna Bay als drittes von sechs Kindern in Belp geboren. Eigentlich hatten ihre Eltern sich einen zweiten Buben gewünscht, doch es kam anders. Und diese Enttäuschung sollte Hanni Bay zeitlebens begleiten.

Stammbaum Familien: Bay & von Salis

Rosina Isenschmid OO Rudolf Bernhard Bay (1798-1858) (1798-1864) !

Louise Bay (1828-1860)

Maria Louise Ammann (1860-1931)

Christian Albert Hitz (1883-1954)

Ursina Bay Benz (1913-2002)

OO

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OO

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OO

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Karl Emmanuel Rudolf Bay (1825-1904)

Rudolf Bay (1858-1902)

Hanni Bay

Maria v. Salis

(1885-1978)

Verena Bay Stöckli (1915)

OO

(1872-1944)

Charlotte Bay (1917)

OO

!

!

Adolf v. Salis (1863-1929)

Walter Adolf v. Salis (1895-1970)

Jean Rudolf v. Salis (1901-1996)

Katharina von Salis OO Jørgen Perch-Nielsen (1940) (1936) !

Ihre Vorfahren waren 1844 als Tuchfabrikanten nach Belp gekommen, wo sie die bekannte Tuchfabrik Bay gründeten. Hanni Bay wächst auf dem Landgut Steinbach auf, welches später sogar in Rudolf von Tavels Erzählung «Jä gäll, so geit’s» aus dem Jahr 1901 Erwähnung findet.

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Grossvater Karl Emanuel Rudolf Bay mit Grossmutter Louise Bay © Burgerbibliothek Bern

Hanni Bay (rechts) mit Mutter Maria Louise Ammann Bay und Schwester Maria Louise Bay © Burgerbibliothek Bern

Sobald die Männer in der Bay-Familie starben, führten jeweils ihre Frauen die Geschäfte der Tuchfabrik weiter. So auch Hanni Bays Grossmutter und später auch ihre Mutter. Die Großmutter war eine durchgreifende Frau, die während der Kindheit Hanni Bays die Geschicke der Familie leitete und die den Lebensweg von Hanni Bay massgebend mitbestimmen sollte. Es passte in das Bild der Grossmutter, dass Hanni Bay als „Tochter aus gutem Hause“ schon früh ein besonderes Interesse für das Zeichnen zeigte und in der Schule der Zeichenunterricht zu ihren Lieblingsfächern zählte. Ihre Grossmutter gewährte ihr später sogar ein kleines Atelier auf dem Landgut. Aber auch schon früh kristallisierte sich heraus, dass das Mädchen durchaus rebellisch sein konnte. Eine Anekdote besagt, dass sie absichtlich nicht lachte, wenn ein Lehrer einen faulen Witz machte. Der Lehrer fühlte sich dann provoziert und entgegnete: „Johanna, wenn dir mein Witz nicht gefällt, dann geh hinaus.“

Antwerpen 1901 - 1902 Mit 16 Jahren wurde Hanni Bay nach Antwerpen geschickt, um dort Anstand und Hauswirtschaft zu lernen. Sie hatte dort in der befreundeten Familie Eberhard die drei Buben zu hüten, die ihr sehr ans Herz wuchsen, und im Haushalt mit zu helfen. Aber auch die Kunst sollte in Antwerpen nicht zu kurz kommen: Sie besuchte diverse Malerateliers,

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Hanni Bay mit Fam. Eberhard in Antwerpen © ArchivArte

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nahm Malstunden und überhaupt saugte sie alles, was mit Kunst zu tun hatte, wissbegierig in sich auf. So besuchte sie u.a. im November 1901 auch den holländischen Künstler Henri Timmermans (1858 - 1942) in seinem Atelier. Auf dem Foto, welches dort geschossen wurde, sieht man die junge Hanni Bay ganz hinten am Tisch stehen.

Hanni Bay (hinten am Tisch) im Atelier vom Maler Henri Timmermans © ArchivArte

Hanni Bay beim Malen in Antwerpen © ArchivArte

Ihr Aufenthalt in Antwerpen währt aber nur ein Jahr: Denn 1902 wird Hanni Bay wegen des Todes Ihres Vaters vorzeitig aus Antwerpen nach Hause zurückgerufen. Ihre Mutter führt fortan die Geschäfte ihres Mannes, so wie es dereinst auch Hanni Bays Grossmutter getan hatte.

Bern 1902 - 1904 Zurück in Bern, nimmt sie Kurse an der Kunstgewerbeschule und an der Malschule bei Ernst Linck (1874 - 1935), der stark beeinflusst von Ferdinand Hodler war und Hanni Bay beeindruckte. Frisch Erlerntes möchte sie schnell anwenden und zeichnet intensiv im Atelier auf dem Belper Landgut. Daneben gelangt Hanni Bay über den Advokat

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Hanni Bay in Belp © ArchivArte

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Alfred Brüstlein (1853 - 1924), der auf dem Nachbargut in Belp wohnte, in Kontakt mit dem sozialistischen Gedankengut und verkehrt bald auch in diesen Kreisen, wo sie vermutlich auch ihren späteren Ehemann kennenlernt.

München 1904 - 1906 Im Jahre 1904 begibt sich Hanni Bay zu weiteren Ausbildungszwecken nach München und besucht dort die private Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins, da an der Münchner Kunstakademie derzeit noch keine Frauen zugelassen waren. Sie hatte dort Unterricht bei Hermann Gröber (1965 – 1935), der einige Jahre zuvor auch Paul Klee unterrichtet hatte.

Hanni Bay in München (vierte von rechts) © ArchivArte

Die Verwehrung von Frauen auf den Kunstakademien hatte auch damit zu tun, dass die Ansicht, das „Aktzeichnen für Frauen gezieme sich nicht“, weit verbreitet war. Wie sehr diese Auffassung die junge Künstlerin in Rage brachte, zeigt das folgende Ereignis:

Oschwand 1906 - 1908 Im Jahre 1906 kommt Hanni Bay zurück nach Bern. Im Sommer zeichnet sie einen stehenden männlichen Akt in Lebensgrösse, befestigte die Aktzeichnung an der Türe des Ökonomiegebäudes der Tuchfabrik in Belp, stellt sich auch noch im Malerkittel daneben und lässt sich ablichten! Der Skandal war ausgelöst und die Spannungen

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mit der Familie nahmen zu, der Rauswurf aus dem Atelier war vorprogrammiert. Spätestens jetzt war der Familie auch klar, wie ernst es Hanni Bay mit dem Malerwerden war. Nachdem ihre Grossmutter ihr das Malen im Belper Atelier verboten hatte, geht Hanni Bay auf die Oschwand zu Cuno Amiet (1968 - 1961) und findet in ihm einen Lehrer, der, wie einst Linck, von Hodler und seiner symbolistischen Malerei beeinflusst war. Sie kann hier die aus München mit Begeisterung übernommene Freilichtmalerei und das Zeichen unter freiem Himmel fortsetzen. Auf diesem Foto sieht man Hanni Bay beim Malen unter der Obhut Amiets und im Hintergrund schon ihren zukünftigen Ehemann Christian Albert Hitz (1883 - 1954).

Atelier von Cuni Amiet © ArchivArte

Hanni Bay vor dem Ökonomiegebäude der Tuchfabrik in Belp, 1906 © ArchivArte

Hanni Bay mit Cuno Amiet beim Freilichtmalen (Christian Albert Hitz hinter Cuno Amiet) © ArchivArte

Paris 1908 - 1909 Cuno Amiet war es vermutlich auch, der seine begabte Schülerin 1908 nach Paris schickte, wo er selbst in den 1880-er Jahren zusammen mit Felix Vallotton studiert und mit welchem er sich zur Künstlergruppe der „Nabis“ zusammengeschlossen hatte. Zu dieser Künstlergruppe gehörte auch Paul Ranson (1864 – 1909), der 1908 die Académie Ranson in Paris gründete, in welcher Hanni Bay eine der ersten Schülerinnen wurde und auf der auch Félix Vallotton lehrte. Vom Dozenten Vallotton

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ist der Satz überliefert: „Ici vous êtes pour apprendre - les chef-d’oeuvres vous pouvez faire à la maison.“

Bern 1909 - 1910 Mit diesem reichen Schatz an künstlerischen Erfahrungen reist Hanni Bay 1909 nach Bern zurück, lässt ihre Lehrjahre hinter sich und sucht als junge Künstlerin ihren Weg in einer stark männerdominierten Gesellschaft und Kunstwelt. Ferdinand Hodler ist für sie inzwischen passé. Als Reaktion auf dessen zentralen Ausspruch „Mir wei keini Wyber“, mit dem er die Aufnahme von Frauen in der neu gegründeten Künstlergesellschaft von vornherein ausschloss, reagiert Hanni Bay wie sie halt eben zu reagieren pflegte: trotzig und selbstbewusst. Im Jahre 1909 gründet sie zusammen mit Clara von Rappard, Bertha Züricher und anderen Malerinnen die erste Gesellschaft für Künstlerinnen in der Schweiz: die Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen und Bildhauerinnen (GSMB(K)), Ihnen besser bekannt unter dem heutigen Namen der SGBK.

Hanni Bay, Selbstportrait, 1910

Cuno Amiet, Portrait von Janni Bay, 1909

Trotzig und selbstbewusst zeigt sie sich auch in ihrer Kleidung: Hanni Bay machte sich nichts aus den Hosen, die sie auf ihren Bergtouren trug. Auch sonst trug sie die typische „Reformkleidung“: keine Stehkragen und kein Korsett. So wird sie nicht nur von Cuno Amiet gemalt, sondern malt sich auch in einem Selbstportrait im Jahre 1910 so.

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Chur 1910 - 1919 Nach vielen Bergtouren zusammen mit dem Sozialisten Dr. Christian Albert Hitz (1883 - 1954), heiratet sie ihren Bergfreund und Rechtsanwalt und siedelt 1910 nach Chur über, wo Hitz ein Rechtsanwaltsbüro mit einer Armenpraxis eröffnet. Sie ziehen vorerst in ein stattliches Haus, eingerichtet mit modernen Möbeln von Richard Riemerschmid (1868 - 1957). An den Wänden hängt Hanni Bay Bilder u.a. von Cuno Amiet und Félix Vallotton.

Wohnhaus in Chur (Hanni Bay am Erkerfenster) © ArchivArte

Christian Albert Hitz

Wohnzimmer im Wohnhaus in Chur © ArchivArte

Nachdem das Einkommen der Armenpraxis nicht mehr ausreicht, ziehen die HitzBays in das Churer Volkshaus. Hanni Bay malt dort die eingehende Arbeiterschaft und richtet eine Beratungs- und Ausleihstation für mittellose Mütter und ihre Neugeborenen ein. In den Jahren 1913 bis 1917 wird sie selbst Mutter von drei Mädchen: Ursina, Verena und Charlotte. Kinder und Frauen sind in dieser Zeit die Hauptmotive in ihren Zeichnungen, so auch auf dem Wandgemälde im Frauenspital in Zürich von 1918, wo ihre 5-jährige Tochter Hanni Bay in der Beratungsstation im Volkshaus Chur © ArchivArte Ursina als Modell herhalten muss.

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Zürich 1920 - 1942 Im Jahre 1920 wird Hanni Bays Mann Redaktor bei der Zeitschrift „Volksrecht“. Daher ziehen sie nach Zürich um. Mit der Übersiedlung nach Zürich kann Hanni Bay integrativer am politischen und auch kulturellem Leben teilnehmen. Persönlich erleidet sie aber bald nach der Übersiedlung nach Zürich eine Niederlage: 1925 lassen sich Hanni Bay und Christian Albert Hitz scheiden. Hanni Bays folgende Krise macht sich auch malerisch bemerkbar. Das freie Malen wird weniger, es wird abgelöst von der Notwendigkeit der Aufträge, um die Familie zu ernähren.

Berlin 1927 Als 1927 in Berlin eine Stelle als Zeichenlehrerin frei wird, bewirbt sich Hanni Bay. Sie lässt sich Lehrdiplome in Chur ausstellen und reist kurzerhand nach Berlin. Hier lockt nicht nur eine feste Anstellung, sondern es fasziniert sie auch das freie und unbekümmerte Künstlertum. Auf dieser Reise entstehen die berühmten Fotos, welche Hanni Bay als Beethoven zeigen. Aus einer spontanen Laune heraus, angespornt von begeisterten Freunden verkleidet sie sich und lässt sich am Kurfürstendamm in Berlin professionell ablichten. Eines der Fotos ziert am 1. April zum 100-sten Todestag Beethovens die „Orell Füsslis Illustrierte Wochenschau“ als Aprilscherz.

Hanni Bay als Beethoven, Berlin 1927 © ArchivArte

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Hanni Bay als Beethoven, Berlin 1927 © ArchivArte

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Parallel zu dem Berliner Stellenangebot kommt das Angebot von Freunden, Hanni Bays Kinder in ihr eigenes Kinderheim aufzunehmen, während Hanni Bays sich für die Lehrerstelle in Berlin bewirbt. Doch Hanni Bay entscheidet sich für ihre Töchter, kehrt nach Zürich zurück. Sie schlägt sich vor allem als freie Bildjournalistin durch, arbeitet zeichnerisch für viele Printmedien, u.a. auch für die NZZ, portraitiert aktuelle Persönlichkeiten aus allen Sparten und gestaltet diverse Wände, so auch das Volkshaus in Zürich zum Wöchnerinnenschutz.

NZZ mit Zeichnung von Hanni Bay, 1937

Wandausschmückung im Volkshaus Zürich: Wöchnerinnenschutz, 1928

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Wandausschmückung im Volkshaus Zürich: Heben schwerer Lasten für Frauen verboten, 1928

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Bern 1942 - 1978 Hanni Bay schafft es, ihre Kinder nicht nur gross zu ziehen, sondern allen dreien eine gute und solide Ausbildung zu ermöglichen. Nachdem die Kinder gross sind, kann sich Hanni Bay endlich voll und ganz der Malerei widmen. Im Jahre 1942 kommt sie nach Bern zurück und bezieht eine ärmliche Wohnung in der Marktgasse 44 ohne Bad und richtige Küche, nur ein Kaltwasserhahn, kein funktionierender Ofen. Hier empfängt sie regelmässig kunstinteressierte Männer, Frauen und vor allem deren Kinder, um sie zu porträtieren. Gerne geht sie aber "auf die Stör", wie sie es nannte: zu Leuten, die gut und schön wohnten, ein Badezimmer hatten und in der Nähe von Sujets wohnten, die sie gerne malt.

Hanni Bay beim Malen in der Natur © ArchivArte

Neben der Freiluftmalerei, die sie jetzt wieder in der Berner Landschaft aufnimmt, hält sich Hanni Bay ebenso gerne in der Berner Prontobar oder dem Migros-Café auf: stundenlang sitz sie da und zeichnet die Besucher oder besucht ihre Freundinnen im Burgerspital und portraitiert ihre Altersgefährten.

Hanni Bay mit Freundin Margrit Frey-Surbek im Anliker-Keller, 1972 © ArchivArte

Ihre Tochter Charlotte reserviert ihr rechtzeitig ein Zimmer im Burgerspital, wo Hanni Bay am 11. März 1978 hoch betagt stirbt.

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Die Geschichte mit den Burgern Vorgeschichte Die burgerlichen Wurzeln der Familie Bay gehen bis weit ins 17. Jahrhundert zurück. Die Mitglieder der Grossfamilie Bay waren allesamt Bernburger und gehörten zu der Gesellschaft der Pfistern. Diese ursprüngliche Handwerkszunft war eine der ersten Aufsichtszünfte und daher für Regierende und Leute mit politischen Ambitionen attraktiv. „Pfistern“ kommt vom lateinischen Wort „Pistor“ und bedeutet Müller oder Bäcker, deshalb die Bretzel im Zunft-Wappen. Die Bays waren ursprünglich Bäcker und hatten eine eigene Bäckerei in der Altstadt in Bern. Erst Ende des 18. Jahrhunderts beginnt mit David Rudolf Bay (1762 - 1820) die Generation der Tuchfabrikanten-Dynastie Bay, in der sich viele auch politisch engagierten. Hanni Bay erwarb also mit ihrer Geburt und Abstammung die Berner Burgerschaft. Diese behielt sie während ihrer gesamten Ausbildung. Ebenso wie bei ihren Vorfahren wurde auch für Hanni Bay die Zunft zu den Pfistern zum Hort ihrer burgerlichen Zugehörigkeit.

Ausburgerung Mit der Heirat im Jahr 1910 verliert Hanni Bay jedoch automatisch ihre Berner Burgerschaft und wird Burgerin von Klosters-Serneus. Sie wird wegen der Ehe mit Christian Albert Hitz ausgeburgert und zieht mit ihm von Bern nach Chur. Ihre Schwester, übrigens, heiratete einen Ausländer und behielt das Burgerrecht (Gertrud Charlotte Bay heiratete 1922 Isaac Leib Goldstein, einen Juristen aus Rumänien) und ihren Kindern wurde später die Ausbildung durch die Bernburger finanziert. Den Kindern von Hanni Bay dagegen sollte dieses Vorzugsrecht durch Hanni Bays Ausburgerung verwehrt bleiben.

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Wiedereinburgerung Hanni Bay war zeitlebens ungeheuer aktiv: Auch während der Churer Zeit umsorgte sie nicht nur ihre Kinder und zeichnete, sondern setzte sich auch stark für die Rechte der Frauen und Kinder ein. Christian Albert Hitz suchte vergeblich den ruhigen Pol, wenn er nach Hause kam. Er suchte Trost bei einer anderen Frau, bei der er Ruhe und Geborgenheit in traditionell häuslicher Umgebung fand. Die Folge war, dass das Ehepaar Hitz sich im Dezember 1925 scheiden liess. Das Urteil der Scheidung wurde mit einem auf Hanni Bays Beruf als Künstlerin bedingten Unvermögen, sich um die Ehe- und Mutterpflichten zu kümmern, begründet. Sie vermochte ihrem Gatten weder die volle Aufmerksamkeit zu schenken noch ihm eine untergeordnete Gefährtin sein – dies war nach damaliger Meinung unweiblich, und widernatürlich, sodass der Ehe-Konflikt voraussehbar war. Dies bedeutete für Hanni Bay, dass ihr zu ihrem Lebensunterhalt kein finanzieller Beitrag zugesprochen wurde. In Angst, ihre vierköpfige Familie nicht allein durchbringen zu können, entschliesst Hanni Bay zwei Monate nach der Scheidung von Hitz, sich in Bern wieder einburgern lassen. Gründe für die Gesuchsstellung waren sicherlich nicht nur die Hoffnung auf aktuell finanzielle Fürsorge, sondern vor allem die Absicherung im Alter. Auch waren ihre Töchter noch in Ausbildung. Hürden über Hürden, die es da für sie als Alleinerziehende und Alleinunterhaltende zu meistern galt.

Reglemente Um den langwierigen Prozess der Rückburgerung zu verstehen, muss man die Reglemente mit den Bedingungen und ihre Änderungen im Laufe der Jahre etwas erläutern. Der Idealbewerber für eine Einburgerung sollte im besten Fall in Bern wohnhaft, männlich und gesund sein und eine starke Bernverbundenheit haben. *Zudem sollte er ein sicheres Einkommen und Vermögen vorweisen können. Minderjährige Kinder wurden automatisch mit eingeburgert und ebenfalls gerne gesehen. Als bewerbende Einzelpersonen, gar als Frau, hatte man nahezu keine Chancen. Mit den Frauen, die ihr Burgerrecht mit einer Heirat verloren hatten, war es Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch etwas anders.

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Aufnahmekriterien der Bernburger:

Gesetz von 1920

Vorbedingungen

2-jährige Wohnsitzdauer Gemeinde Bern kein fixes Vermögensminimum Gesundheit

Z a h l u n g e n

D u r c h s c h n i tt

Gesetz von 1939

heute

Verbundenheit mit Bern

Verbundenheit mit Bern und Übereinstimmung mit den Zielen der Burgergemeinde

kann Dispenz von Wohnsitzdauer begründen Vermögens- und Erwerbsausweis Arztzeugnis Gesundheit

Schweizer Bürgerrecht Steuerbescheinigungen Arztzeugnis

Wiedereinburgerung von geschiedenen und verwitweten ehemaligen Burgerinnen

unentgeltlich

kostenpflichtig

Waisenhaus

1'000,-

1'300,-

Burgerspital

1'000,-

1'500,-

Burgerliches Armengut

2'000,-

3'200,-

Schulgut

zusätzlicher Solidaritätsbeitrag

zusätzlicher Solidaritätsbeitrag

entfällt

Zunft

von Zunft bestimmt

von Zunft bestimmt

von Zunft bestimmt

Insgesamt

4'000,- + Zunft

6'000,- + Zunft

Jahreseinkommen

56'800,(Abgelehnte: 20'000,-)

Vermögen

Ehefrauen können ohne Begründung ihr ehemaliges Bürgerrecht gratis zurück verlangen (1988) abhängig von Vermögen und Einkommen

124'000,(1996-2001)

437'000,(1996-2001)

Nachdem 1903 auf Bundesebene die generell sozial schwache Stellung der Frau hervorgehoben und dafür plädiert worden war, das „Schwächere Geschlecht“ solle

© Steffi Göber-Moldenhauer

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doch auch eine entsprechende Altersfürsorge zugesichert bekommen, wurde daraus ein Bundesgesetz. Die Bernburger glichen ihr Reglement im Jahr 1920 an, sodass sich nun ehemalige Bernburgerinnen, die geschieden oder verwitwet waren, unentgeltlich wieder einburgern konnten und somit Zugang zum Burgerspital und zu weiteren Sozialleistungen erhielten. Ob man sich einer Zunft anschloss oder nicht, spielt zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr, jedoch ist ein Einkauf zusätzlich in eine Zunft teurer als ohne. Hanni Bay wollte gerne zurück zu den Pfistern. So musste ihr Antrag sowohl von der Burgergemeinde als auch von der Zunft bewilligt werden*.

1. Antrag Hanni Bay stellt ihren ersten Wiedereinburgerungsantrag zwischen den beiden Reglementsänderungen von 1920 und 1939 mit folgendem Wortlaut: Ich zitiere auszugsweise:

Hanni Bay vor dem Burgerspital, 1970er Jahre © ArchivArte

„27. Februar 1926 Hochgeehrter Präsident, hochgeehrte Herren Hiermit gestatte ich mir, gestützt auf Artikel 4 des Reglements über die Zuteilung und Zusicherung des Burgerrechts der Stadt Bern vom 7. April 1920 das Gesuch zu stellen. Sie möchten mich mit meinen drei Kindern wieder in das Burgerrecht der Stadt Bern aufnehmen, und mir gleichzeitig die Mitgliedschaft in der Gesellschaft zu Pfistern verschaffen. Zur Begründung meines Gesuchs gestatte ich mir, Ihnen folgendes anzuführen: 1. Von Geburt und Abstammung Burger von Bern bin ich durch die Heirat mit Herrn Ch. A. Hitz Burger von Klosters-Serneus geworden. Aus meiner Ehe mit Herrn Hitz sind drei Kinder hervorgegangen, wie aus dem beiliegenden Familienschein ersichtlich ist. 2. Mit Urteil vom 2. Dezember 1925 hat das Bezirksgericht Zürich meine Ehe mit Dr. Ch. Hitz endgültig geschieden und mir die drei Kinder zur Pflege und Erziehung zugesprochen unter gleichzeitiger Übertragung der elterlichen Gewalt. Ich lege den Auszug aus dem Urteil bei und bemerke noch, dass Dr. Ch. Hitz sich in der im Urteil erwähnten Übereinkunft verpflichtet hat, für jedes der drei Kinder bis zum 18. Lebensjahr einen monatlichen Unterhalts- und Erziehungsbeitrag von 70 Franken zu leisten.

© Steffi Göber-Moldenhauer

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3. Durch meine Ehe mit Dr. Ch. Hitz war ich gezwungen, meinen Wohnsitz mit ihm zu teilen. Auch nach der Scheidung ist es mir nicht möglich, meinen Wohnsitz nach Bern zu verlegen, da ich in Zürich ein Haus besitze, dessen Verkauf für mich nicht vorteilhaft wäre. Gestützt auf Artikel 9 des erwähnten Reglementes, gestatte ich mir daher, sie zu ersuchen, mich von dem Erfordernis eines zweijährigen Wohnsitzes in Bern (Artikel 8, Ziffer 1) befreien zu wollen. Ich werde mir erlauben, nach Erledigung meines Gesuches durch die burgerlichen Behörden an den h. Regierungsrat das Gesuch um Enthebung von diesem Erfordernis zu richten. 4. Indem ich auf den bereits erwähnten Familienschein und das Scheidungsurteil verweise, gestatte ich mir, in Bezug auf die in Artikel 8, Ziff 1 bis 9 verlangten Ausweise das Leumunds- und Handlungsfähigkeitszeugnis nachträglich beibringen werde. Meine Handlungsfähigkeit ergibt sich zwar ohne Weiteres aus der Tatsache, dass mir die elterliche Gewalt über die Kinder übertragen worden ist. 5. Ich glaube annehmen zu dürfen, dass mir die Wiedereinburgerung für mich und meine Kinder unentgeltlich werde gewährt werden. Ich erlaube mir, ein Gesuch in diese Richtung zu stellen, sowohl für die Wiedereinburgerung, als auch für die Wiederaufnahme in die Gesellschaft zu Pfistern. Als Referenz nenne ich: Bundesrat Meyer, mein Scheidungsanwalt Dr. Weisflog, Stadtpräsident Klöti, Regierungsräte Hafner, Wettstein und Streuli, die NZZ, für welche ich an der Kolonialaustellung in Paris gezeichnet habe usw. in Zürich und in Bern Dr. Volmar, Direktor der Lötschbergbahn, Stadtrat Raaflaub und Direktor Greuter der Gewerbeschule. Unterdessen grüsst Sie mit vollkommener Hochachtung und bestem Dank, Hanni Bay.“ Hanni Bay plädiert also sowohl auf Wohnsitzbefreiung als auch auf Kontrollverzicht von Einkommen und Vermögen.

Gründe der Ablehnung Vorerst wird die Entscheidung aufgeschoben, mit der Begründung, die Antwort der Gesellschaft zu den Pfistern noch abzuwarten: Ich zitiere auszugsweise:

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„Um unentgeltliche Wiederaufnahme in das Burgerrecht der Stadt Bern, gemäss Art. 9 des Reglements v. 7. April 1920 bewirbt sich Frau Johanna Bay, geboren 1885, aus Klosters-Serneus, Kunstmalerin in Zürich, geschieden seit 1925 von Dr. jur. Christian Albert Hitz, Advokat, nebst drei ihr zur Erziehung und Ausbildung zugesprochenen minderjährigen Mädchen. Der Referent, Hr. Lindt, weist darauf hin, dass die Waisenkommission zu Pfistern unterm 22. März beschlossen hat, das Gesuch noch nicht abschliessend zu behandeln; somit ist auch für die Burgerkommission eine abschliessende Behandlung und Weiterleitung an die obern Instanzen nicht möglich, bevor die vorschriftsgemäss verbindliche Zusicherung der Wiederaufnahme in den frühern Zunftverband vorliegt. Frau Bay, die über ihre Vermögens- und Einkommenssituation Auskunft gibt, war die Gattin des berühmten Kommunistenführers alt-Nationalrat Dr. Hitz. Auf Antrag des Referenten wird beschlossen, von der Bewerberin folgende Aktenergänzungen zu verlangen; Burgerrodelauszug von Klosters-Serneus, Original oder beglaubigte Abschrift der Ehescheidungskonvention vom 2. Dezember 1925, Konfessionserklärung, sowie die Steuerquittungen der letzten zwei Jahre. Die weitere Behandlung des Geschäfts wird bis zum Eintreffen der Antwort von Pfistern verschoben.“ Die Burgergemeinde weist so ihre Verantwortung auf die Pfistern ab und lässt Hanni Bay auf der Kanzlei vorsprechen, wo man ihr mitteilt, dass sie eine Summe von CHF 3'000,- zu zahlen habe, da sie zwar selbst schon Bernburgerin war, aber ihre Kinder neu eingeburgert werden sollen. Hanni Bay vermag diese immens hohe Zahlung jedoch nicht zu leisten und entscheidet, auf die Wiedereinburgerung ihrer Kinder, vorerst zumindest, zu verzichten.

2. Antrag Kurz vor ihrem zweiten Vorstoss zur Wiedereinburgerung in Bern bemüht sich Hanni Bay 1931 in einem Gesuch an den Kleinen Rat des Kantons Graubünden, um die Bewilligung, dass ihre drei Mädchen den Familiennamen „Bay“ annehmen dürfen. Dieses Vorhaben gelingt und bietet ihr die Möglichkeit ihre Kinder damit wieder näher zu Bern und ihren Vorfahren zu bringen. 1932 stellt Hanni Bay erneut einen Antrag und wird daraufhin zum Vorsprechen eingeladen: Ich zitiere auszugsweise:

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„1932 Sehr geehrter Herr, besten Dank für Ihre freundliche Anfrage. Ich werde nächsten Dienstag auf Ihrem Büro vorsprechen. Vorläufig möchte ich Ihnen nur sagen, dass ich die Rückburgerung hocken liess, weil man mir seinerseits auf Ihrer Kanzlei mitteilte, dass ich einen Betrag von 3000 Franken zu leisten hätte, was mir in keiner Weise zu leisten möglich war noch ist. Selbstverständlich wäre eine Rückburgerung für mich wertvoll, da ich als heimatlose Schweizerin bin (Klosters geht mich nichts an, es hat sich um mich und die Kinder in keinster Weise gekümmert.) Nächstens wird das Illustrieren der Berner Fibel vergeben und es sind schon Einwände erhoben worden, mich als Nichtkantönlerin mitkonkurrieren zu lassen und hier in Zürich gelte ich erst recht als Bernerin. Ich bin also zwischen Stuhl und Bank und dachte schon oft, mich in Frankreich naturalisiren zu lassen, da ich aus Paris jeden Moment Aufträge erhalte. Meine spärlichen Ferien vermale ich trotzdem im Bernbiet (Zimmerwald und jetzt geht es an den Thunersee). Allerdings verstehe ich auch Ihren Standpunkt, weil die Familie Bay in der burgerlichen Fürsorge ein sehr unerfreuliches Kapitel darstellt.“ Inzwischen ist Hanni Bay sensibilisierter und weiss, worauf es den Bernburgern ankommt. Sie erwähnt die Burgerliche Fürsorge, die ihre Vorfahren irgendwann in Anspruch nehmen mussten und entschuldigt sich dafür. Ausserdem weiss sie auch, wie wichtig eine gewisse Bernverbundenheit ist und erwähnt ihre Maler-Ferien im Bernbiet und den unbedeutenden Bezug zu Klosters.

Leben und Sterben als Bernburgerin Nach der erneuten Reglementsänderung von 1939, die eigentlich eine Verschärfung aufgrund des Zweiten Weltkrieges mit sich brachte, wird ihrem erneuten Antrag trotzdem statt gegeben und Hanni Bay im Jahre 1946 schliesslich wieder eingeburgert: Ich zitiere auszugsweise: „Die Bewerberin ist in Belp geboren und aufgewachsen und genoss ihre Schulbildung in Belp und Bern. Nach einem Aufenthalt in Antwerpen besuchte sie die Kunstgewerbeschule in Bern und bildete sich dank zweiter … Stipendien in München und später in Paris weiter aus. Sie ist im Besitz des Zeichenlehrerpatentes für Mittelschulen. Die 1910 in Bern getraute … wurde 1925 in Zürich geschieden. Frau Bay bewarb sich bereits

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1926 um die Wiederaufnahme in das Burgerrecht, doch spielte ihr damaliger Wohnsitz in Zürich und die Einkaufsgebühr für ihre damals noch minderjährigen Töchter als erschwerender Umstand mit. Ihre drei Töchter wurden zum grössten Teil aus Mitteln ihrer Mutter auferzogen und ausgebildet. Alle drei sind verheiratet, und Frau Bay zog 1942 definitiv nach Bern, wo sie ihrer Tätigkeit mit Erfolg obliegt. 1942 nahm sie ihre Verhandlungen mit der Gesellschaft zu Pfistern um Wiederaufnahme in das Zunftrecht wieder auf. Eine ihr kürzlich zugefallene Erbschaft gibt ihr die hiefür erforderlichen Mittel und sichert neben ihrem Verdienst ihre Existenz. Herr Adamina als Referent macht darauf aufmerksam, dass in formeller Beziehung noch einige Ausweise fehlen und einverlangt worden sind. Da es sich hier um einen Wiedereinburgerungsfall handelt, so kann nach der bestehenden Praxis ein weniger strenger Masstab angelegt werden und ohne Bedenken Empfehlung an die obern Instanzen befürwortet werden. Frau Bay hat sich kurz nach der Scheidung für die Wiederaufnahme bei Pfistern interessiert, doch spielten damals ihr Wohnsitz in Zürich und die drei unmündigen Kinder erschwerend mit.“ Auch diesmal haben sich die Pfistern anscheinend reichlich Zeit gelassen, um auf das Gesuch zu antworten. Die Burgerkommission beschliesst einstimmig Weiterleitung und Empfehlung an die obern Instanzen, unter Vorbehalt der Naturalisation und der Wiederaufnahme auf Pfistern. Ein ganz entscheidender Faktor war eine Erbschaft, die Hanni Bay 1941 vermutlich aus dem Tod ihres Bruders Anton Walter Bay bezog. Somit erfüllte sie alle Bedingungen zur Wiedereinburgerung.

Erfolge Die Einburgerung brachte für Hanni Bay einige Vorteile mit sich: Mit der Einburgerung hatte sie die Traditionslinie ihrer Grossmutter und Mutter fortgeführt, die ihr Leben und das ihrer Familie selbständig mit kämpferischer Natur bestritten haben. Ausserdem hatte sie mit der 20-Jahre andauernden Wieder-Einburgerung ihren Lebensabend, der 1946 noch weit vor ihr lag, gesichert. Eine Pension war ihr nun auch ohne Ehemann sicher. Und nicht zuletzt wurde ihr die Pflege im hohen Alter

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garantiert, die ihr in den letzten Jahren im Burgerspital dann auch tatsächlich zuteil wurde. Hanni Bay gehörte rein statistisch zu den 2% aller Einburgerungsbewerbern der Sparte „Künstler“, worin der Bereich der Malerei, des Kunsthandwerks, der Musik und der Literatur inbegriffen waren. Als rechtschaffene Bernburgerin, bekam Hanni Bay nach der Rückburgerung auch das burgerliche Stipendium der Anna Elisabeth Ochs Stiftung, welches jährlich mit einer stattlichen Summe von CHF 12'000,- bis 15'000,- dotiert, an kunstschaffende Bernburger vergeben wurde.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Im damaligen gesellschaftlich schwierigen Zeitgeschehen, in denen Frauen nicht annähernd die gleichen Rechte wie heute besassen, hat es diese starke Frau geschafft, die Wiedereinburgerung zu meistern, sich mit ihrer Malerei den Lebensunterhalt zu verdienen, allein ihre drei Töchter gross zu ziehen und sich einen festen Platz in vielen kleinen und grossen Kunstsammlungen und, meine Damen und Herren, auch im Nachlassarchiv von ArchivArte zu sichern. Hanni Bay starb 1978 – entsprechend ihrem Wunsch – im Burgerspital Bern. Ihre Töchter Charlotte (99-jährig) und Verena (101-jährig) leben noch. Ursina ist 2002 verstorben. Hanni Bays Enkelin, Frau Katharina von Salis, Tochter von Charlotte Bay, hat die Fäden der Nachlassorganisation immer noch in den Händen und weiss unendliche Geschichten über ihre Grossmutter zu erzählen. Sie hat uns, dem Verein ArchivArte, den grössten Teil des künstlerischen Nachlasses vermacht.

Tochter Charlotte Bay (1917) und Enkelin Katharina von Salis Perch-Nielsen (1940), 2014

Wir, als Berner Institution möchten die Verantwortung sehr gerne wahrnehmen und dieses einmalige kulturelle Erbe bewahren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.

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Finale: Portrait von Claire Waldoff Claire Waldoff und Vater Zilles Lied Mit dem Blick auf das Titel-Portrait dieser Ausstellung, dem Portrait von Claire Waldoff möchte ich meinen Vortrag beenden, denn mit diesem ganz eigenen Portrait schliesst sich der Kreis um Hanni Bay und mich als referierende Berlinerin: Hanni Bay sass in erster Reihe, als am 17. Juni 1922 die berühmte Berliner Volkssängerin Claire Waldoff (1884 - 1957) auf ihrer Schweiz-Tournee ins Zürcher Kabarett „Bonbonnière“ kam und dort in dem Theaterstück „Mein Milljöh“ die „Alwine“ sang. Nach dem Buch „Mein Milljöh“ von Heinrich Zille, als Theaterbearbeitung arrangiert, wurde dieses Stück in Berlin 1919 uraufgeführt und kam 1922 nach Zürich.

Heinrich Zille, Mein Milljöh, 1913

Hanni Bay, Claire Waldoff, Aquarell auf Papier, 1922 © ArchivArte

Heinrich Zille (1858 - 1929) war Berliner Zeichner, der vor allem für seine griffigen Zeichnungen zur proletarischen Unterschicht und zu den Berliner Hinterhöfen, Mietskasernen, Seitengassen und Kaschemmen der Arbeiterviertel und dergleichen bekannt wurde. Zille zeigte das Arbeitervolk, wie es sich in ärmlicher und schmutziger Umgebung gab, sprach und lebte. Die Zeichnungen hatten ihm in Berlin den Spitznamen „Daumier von der Panke“ oder “Raffael der Hinterhöfe“ eingebracht.

Unweigerlich sehen wir thematisch und motivisch zu seinen Zeichnungen Parallelen in den zeichnerischen Arbeiten Hanni Bays zur Arbeiterbewegung, dem Frauenstimmrecht und dem Kinder- und Mütterschutz.

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Claire Waldoff bringt mit ihrer rauchig dreckigen Stimme dieses spezielle Gefühl des Berliner „Milljöhs“ nach Zürich und trägt verschiedene Lieder zu ihrem Berlin und ihrem „Vater Zille“ vor. Zum Tod von Zille formuliert es Waldoff dann sehr treffend: „Wie du selbst es tatest schildern, [ich] bin ein Bild aus Deinen Bildern“. Diese Verbundenheit von Maler Heinrich Zille, Claire Waldoff auf dem Hofball bei Zille, ca. 1929 und Sängerin, von Zille und Waldoff, hat Hanni Bay in unübertrefflicher Manier in diesem Portrait festgehalten. Kennen wir nun die Hintergründe so fällt es uns nicht schwer zu begreifen, warum sie ihre Claire Waldoff in solch farbig rundlicher und karikativer Art und Weise, so ganz anders als die anderen Portraits, gemalt hat. Ich habe Ihnen nun „Das Lied vom Vater Zille“ als Originalaufnahme, gesungen von Claire Waldoff, mitgebracht und möchte es Ihnen abschliessend vorspielen.

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Viel Vergnügen beim Zuhören und anschliessendem Geniessen der Bilder, einem echten Pfisternring aus der einzigen Bäckerei der Zunft zu den Pfistern und natürlich einem Gläschen Wein.

Vielen Dank.

Vater Zille

(Musik: Willi Kollo, Text: Hans Pflanzer, 1929)

Aus’m Hinterhaus Kieken Kinder `raus Blass und unjekämmt, Mit und ohne Hemd, Unten uff`n Hof Is`n Riesenschwoof, Und ich denk`mir so beim Gehen: Wo hast du das schon mal gesehn? Das war sein Milljöh Das war sein Milljöh Jede Kneipe und Destille Kennt den juten Vater Zille, Jedes Droschkenpferd Hat von Dir jehört, Von NO bis JWD – Das war dein Milljöh!

 

Selbst Berlin WW Liebt jetzt Dein Milljöh Und in jedem Stall Jibts `nen Zille-Ball Selbst Frau Hofrat Schrumm Läuft als Nutte rum Wenn ihr Mann naht schreit se promt: „Achtung! Achtung! Die Sippe kommt...!“ Und ich selber steh` hier als Dein Milljöh Wie Du selbst es tatest schildern: Bin ein Bild aus Deinen Bildern. Schnauze vorneweg Doch das Herz am Fleck, Von der Tolle bis zur Zeh Bin ich Dein Milljöh.

Dieses kleine Lied, Das wir still Dir weih’n Will nicht wie man sieht Literarisch sein Gleichfalls strebt es nicht Nach des Reichtums Gunst Wenn es nur zum Herzen spricht Dieses Strassenkind zur Kunst. Denn auch dein Milljöh War einst sein Milljöh Liegst nun draußen stumm und stille Vater Zille, Vater Zille Ruhst im letzten Haus Nun vom Leben aus Und der Menschen Lust und Weh: Das war dein Milljöh.

  (Auch zu hören z.B. auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=sOkAOoPu1RA)  

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