Handreichung 15 Lieder von Martin Luther für das Kirchenjahr und an Festtagen

Zu singen durch das Jubiläumsjahr 2017

„500 Jahre Reformation“

in den Kirchengemeinden des Evangelischen Kirchenbezirks Biberach.

Lieder von Martin Luther und seinem Umfeld im Evangelischen Gesangbuch Advent EG 4 Nun komm, der Heiden Heiland T.: Nach Hymnus „Veni redemptor gentium“ des Ambrosius von Mailand um 386 M*.: Klosterneuburg um 1000, Martin Luther 1524 Weihnachten EG 24 Vom Himmel hoch, da komm ich her T.: Luther 1535 M.: Luther 1539 Jahreswechsel EG 421 Verleih uns Frieden gnädiglich T. und M*.: Luther nach der Antiphon “Da pacem Domine” 9. Jh. (Melodie nach EG 4) Ökumenische Fassung 1973 Epiphanias EG 67 Herr Christ, der einig Gotts Sohn T.: Elisabeth Cruciger M.: 15. Jh.; geistlich Erfurt 1524 Passion EG 190.2 Christe, du Lamm Gottes M: Luther (1525) 1528 Ostern EG 101 Christ lag in Todesbanden T.: Luther nach Sequenz „Victimae paschalis laudes“ des Wipo von Burgund vor 1048, nach EG 99 M*.: Luther 1524 nach EG 99 Himmelfahrt EG 191 Te Deum T. und M*.: Luther 1529 nach dem „Te Deum laudamus“ 4. Jh.

Pfingsten EG 126 Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist T.: Luther 1524 nach dem Hymnus „Veni creator Spiritus“ von Hrabanus Maurus 809 M*.: Kempten um 1000, Erfurt 1524, Luther 1529 Trinitatis EG 138 Gott der Vater steh uns bei T.: Luther 1524 nach einer dt. Litanei 15. Jh. M.: Halberstadt um 1500, Wittenberg 1524 Ende des Kirchenjahres EG 149 Es ist gewißlich an der Zeit T.: Bartholomäus Ringwaldt (1582) 1586 nach der Sequenz „Dies irae, dies illa“ 12. Jh. und einem dt. Lied um 1565 M.: Luther 1529 Wort Gottes EG 193 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort T. und M.: Luther 1543, (Melodie nach EG 4) Psalmen und Lobgesänge EG 299 Aus tiefer Not schrei ich zu dir T. und M.1: Luther 1524 M. 2: Wofgang Dachstein, Zürich um 1533/34 Rechtfertigung und Zuversicht EG 341 Nun freut euch, lieben Christen g’mein T. und M.: Luther 1523 Angst und Vertrauen EG 362 Ein feste Burg ist unser Gott T. und M.: Luther 1529 Sterben und Ewiges Leben EG 519 Mit Fried und Freud ich fahr dahin T. und M.: Luther 1524 Anmerkung: Melodie *: von Luther bearbeitet

Kommentare zu den Lutherliedern. EG 4 Nun komm, der Heiden Heiland Wochenlied zum 1. Advent Im Jahr 1523 übersetzte Martin Luther den Hymnus von Ambrosius von Mailand (um 339-397) ab dessen 2. Strophe und ergänzte das achtstrophige Lied um eine Gloria-Strophe am Schluss. In der Zeit hat er den Großteil seiner Lieder geschrieben. In der Entstehungszeit des Hymnus im 4. Jh. herrschte eine Auseinandersetzung über die göttliche und menschliche Natur Christi. Die orthodoxe Auffassung der völligen Göttlichkeit Christi kommt in dem Hymnus und in dem gleichzeitig entstandenen Nizänischen Glaubensbekenntnis zum Ausdruck (wahrer Gott). Im Evangelischen Gesangbuch ist das Lied auf fünf Strophen gekürzt worden. Wegen des Gewichtes des altkirchlichen Hymnus, der Autorität des Übersetzers, der Einprägsamkeit des Textbeginns und der Qualität der Melodie stand es in vielen Gesangbüchern bis hin zum Vorgänger unseres derzeitigen Evangelischen Gesangbuches, dem Evangelischen Kirchengesangbuch von 1950, an erster Stelle. Wie eine Art Erkennungszeichen für die Adventszeit steht es in fast allen Liedordnungen als Wochenlied zum 1. Advent. EG 24 Vom Himmel hoch, da komm ich her Weihnachtsfestkreis Es ist das bekanntestes der drei Weihnachtslieder Luthers neben „Gelobet seist du, Jesu Christ“ und „Vom Himmel kam der Engel Schar“. Es erschien erstmals 1535 im Wittenberger Gesangbuch und hat dort die Überschrift:“ Ein kinder lied auff die Weihnacht Christi“. Es ist kindgerecht und gleichzeitig poetisch und theologisch auf höchstem Niveau. Luther verbindet in diesem Lied ein weltliches Tanzlied mit dem Evangelium nach Lukas 2. Die Strophen 1-5 sind durch das „ich“ des verkündenden Engels charakterisiert. Die Strophen 2-4 enthalten in kompaktester Form das Weihnachtsevangelium. Ab der 6. Strophe wechselt die Sprachrichtung, der Hörer wird aufgefordert auf die Verkündigung zu reagieren. Die Strophen 8-13 spricht ein Einzelner zu einem Gegenüber (den edlen Gast „ich/ mir“, „du/ dir“).

Gerahmt werden diese Strophen durch die Strophen 7 und 14, die jeweils eine Selbstreflexion des Redenden enthalten. Die 15. Strophe schließt mit dem gemeinschaftlichen „uns“ (der „uns“ schenkt seinen ein’gen Sohn). In dem Liedaufbau lassen sich die drei Stationen des mittelalterlichen Krippenspiels erkennen: Die Verkündigung der Geburt des Heilands durch die Engel. Der Aufbruch der Hirten nach Bethlehem (transeamus). Die betrachtende Anbetung vor der Krippe (adoratio). Zu Beginn des Liedes greift Luther im Stile der Kontrafaktur ein weltliches „Kranzlied“ auf. Bei diesem Spiel wetteiferten verschiedene Sänger um den Siegpreis eines Kranzes den der bekam, der die möglichst spannendste und sensationellste Neuigkeit (Mär) den Zuhörern darbieten konnte. Ich kumm aus frembden Landen her und bring euch vil der neuen Mär der neuen Mär bring ich so vil mer dann ich euch hi sagen will. Luthers Lied ist aus dem Weihnachtsfestkreis nicht mehr wegzudenken. EG 421 Verleih uns Frieden gnädiglich Friedensstrophe am Ende des Gottresdienstes Mit der Verdeutschung der lateinischen Antiphon „Da pacem Domine“, der „Antiphona pro pace“ nahm Martin Luther im Winter 1528/29 die Jahrhunderte alte Tradition des Friedensgebetes auf. Dabei hielt er sich bis auf das Wort „gnädiglich“ ganz an die Vorlage. Der Gesang wurde in Zeiten besonderer Gefahr gesungen. Das war z. B. die Zeit der Bedrohung durch die türkische Expansion oder die Gefahr, dass Kaiser Karl V. die Reformation gewaltsam beenden würde. Luther hat nicht die dazugehörige Melodie der lateinischen Antiphon übernommen, sondern seinen Text auf die Melodie des Hymnus „Veni redemptor gentium“ (Nun komm, der Heiden Heiland) geformt. Er übernahm die Melodie unverändert und verlängerte sie lediglich um eine Zeile um den ganzen Text unterbringen zu können. Das lässt vermuten, dass Luther ein Zitat präsentieren wollte, das eindeutig erkennbar sein sollte: Der „Heiland der Völker“ (redemptor gentium) wird wegen der Schaffung des Friedens zwischen den Völkern angerufen. Es gehört in vielen Kirchengemeinden zum festen Bestandteil der Liturgie als Friedensstrophe am Ende eines Gottesdienstes.

EG 67 Herr Christ, der einig Gotts Sohn Wochenlied zum letzten Sonntag nach Epiphanias Das Lied gehört von Anfang an zum Kernbestand der reformatorischen Lieder. Es wurde 1524 zum ersten Mal gedruckt, verbreitete sich schnell und wanderte in viele Gesangbücher. Es wurde während der Aufklärung und des Rationalismus vielerorts durch Umdichtungen ersetzt, ging aber nicht ganz verloren. Im 20. Jh. fand das Lied wieder Eingang in die Gesangbücher. Anders als die übrigen reformatorischen Kernlieder ist das Lied von einer Frau verfasst: Elisabeth von Meseritz (*1505), spätere Ehefrau von Luthers Schüler und Freund Caspar Cruziger. Hinter ihr lagen zu jener Zeit schon die Lebensjahre, die sie als Nonne in einem pommerschen Kloster verbracht hatte. Die Veröffentlichung des Liedes einer so jungen Frau (19 Jahre alt) in offiziellen Gesangbüchern muss generationenlang mancherorts als anstößig oder als nicht den Tatsachen entsprechend gegolten haben. In manchen Gesangbüchern des 16., 17., und 18. Jahrhunderts stand das Lied unter anderem Namen. Das Lied lebt von der Verbindung der reformatorischen Verkündigung des Evangeliums mit einer Herzensfrömmigkeit, die aus dem Leben in einem mittelalterlichen Frauenkloster erwachsen war. In den ersten beiden Strophen wird die Heilsgeschichte, wie sie in Person, Weg und Werk Jesu Christi Gestalt gewonnen hat besungen. In den Strophen 3-5 wandelt sich der Lobgesang zum Gebet. Hier bittet eine Gemeinschaft (wir, uns) um Wachstum in Liebe und Erkenntnis Christi und um das „Bleiben am Glauben“. Es ist das Wochenlied zum letzten Sonntag nach Epiphanias.

EG 190.2 Christe, du Lamm Gottes liturgischer Gesang in den Abendmahlgottesdiensten Der lateinische Text “Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, misere nobis“ bekam bei der Umformung in einen deutschen Gesang die zusätzliche Anrede „Christe, du Lamm Gottes“. Die dreimalige Anrufung schließt mit der Bitte um den Frieden. Die sinntragenden Wörter (Gott, Sünd, Unser, Friede) werden Spitzentönen unterlegt. Das Lied hat seinen Platz als liturgischer Gesang in den Abendmahlgottesdiensten in Oberdeutscher Form und in der Evangelischen Messe.

EG 101 Christ lag in Todesbanden Wochenlied für den Ostersonntag Luthers Osterlied trägt von seiner ersten Veröffentlichung 1524 an die Überschrift „Christ ist erstanden gebessert“. Was bedeutet „gebessert“? Luther schätzte die mittelalterliche Leise so sehr, dass er sie in der dreistrophigen Fassung, wie sie heute im Evangelischen Gesangbuch steht, ab 1529 in die Wittenberger Gesangbücher aufnehmen ließ. Demnach hatte „gebessert“ wohl nichts mit Qualitätssteigerung als vielmehr mit Ergänzung oder Umstellung zu tun. Es geht mehr um einen Funktionswechsel vom mittelalterlichen zum reformatorischen Lied. Die Leise „Christ ist erstanden“ hatte die Funktion, das Volk mit einem refrainartigen Ruf am liturgischen Geschehen teilhaben zu lassen. Das reformatorische Lied aber will mehr. Es will selber erzählende und auslegende Substanz weitergeben. Luther stellt z. B. in seiner ersten Strophe den Tod Christi seiner Auferstehung voran und stellt damit den heilsgeschichtlichen Bedingungszusammenhang her (...für unsre Sünd gegeben... und hat uns bracht das Leben...). Für die zeitgeschichtliche katholische Auslegung stand der leidende Christus als Vorbild im Zentrum. Luther hat die Nacherzählung immer wieder so geändert, dass der Gabe-Charakter zum Ausdruck kommt: Bevor ich etwas dem Vorbild Christi gemäß tue, bekomme ich seine Gaben, ihn selbst, „er für mich“. Vielleicht sollte aber auch die „gebesserte“ Version ursprünglich die alte Osterleise ersetzten. Deren Text ist fast vollständig in Luthers Lied übernommen worden. EG 191 Te Deum Himmelfahrt Morgengebet, Lob, dank und Bitte um Bewahrung vor Sünde und Schuld Das „Te Deum laudamus“ ist der Lobgesang der alten Kirche. Er ist reich an biblischen Aussagen und geprägt von der Hoffnung des christlichen Glaubens. Das Christuslob bezieht sich auf wesentliche Inhalte des Nizänischen Glaubensbekenntnisses. Martin Luther hat den lateinischen Text in eine singbare deutsche Fassung übertragen wie sie heute in unserem Gesangbuch steht. Der Lobpreis ist in seiner Form ein liturgischer Gesang und eine Folge von 29 ungebundenen gereimten Verszeilen verschiedener Länge, die von zwei Chören oder Gemeindegruppen im Wechsel gesungen werden.

In Luthers Fassung ist der Lobgesang in 5 Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt widmet sich der Anbetung des dreieinigen Gottes. Der zweite Abschnitt beschreibt visionär das Lob Gottes in dieser und der zukünftigen Welt und endet mit dem trinitarischen Lobpreis. Im dritten Abschnitt folgt der Lobgesang auf den menschgewordenen Christus, der auf die Erde gekommen ist um die Menschen aus Sünde und Schuld zu befreien. Der vierte Abschnitt führt vom Lobpreis zur Bitte. Die eindringlichen Bitten um Beistand werden mit doppelten Notenwerten musikalisch unterstrichen. Der fünfte Abschnitt nimmt den Anfang wieder auf mit Lob und Bitte um Bewahrung vor Sünde und Schuld. Die letzte Bitte wird wieder in doppelten Notenwerten unterstrichen „in Schanden lass uns nimmermehr.“ Das Amen wird von beiden Gruppe gemeinsam gesungen und bildet dadurch einen eindrucksvollen Schluss. Für Luther ist das Te Deum Lob- und Bittgesang, der Gemeinde zur Erbauung und zum Trost. Wer das Te Deum mit einer Gemeinde einüben möchte kann zuerst den Text im Wechsel mit ihr sprechen. Dann kann ein Vorsänger den Lobgesang vorsingen. Zur Unterstützung ist auch ein Chor oder eine Singgruppe sehr hilfreich. Dabei ist darauf zu achten, das richtige Tempo zu finden und den Übergang zwischen den Versen so zu gestalten, dass der Wechsel zu einer Einheit verschmelzen kann. Der Lobgesang wird heutzutage leider wenig gesungen. An seine Stelle sind andere Lob- und Dank-lieder getreten: So z. B. das dem Te Deum nachgedichtete Lied „Großer Gott, wir loben dich“ (EG 331). EG 126 Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist Wochenlied zum Sonntag Trinitatis Das Pfingstlied ist eines der drei Heilig-Geist-Lieder Martin Luthers aus dem Jahre 1524. Es ist von Anfang bis Ende ein Bekenntnis- und Gebetslied. Wie die meisten Pfingstlieder ist auch dieses an Gott den Heiligen Geist gerichtet und wählt auch hier die Redeform der direkten Gebetsanrede wie bei „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ (EG 126) und „O Heilger Geist, kehr bei uns ein“ (EG 130). Luthers Lied geht auf den Hymnus “Veni Creator Spiritus“ und wahrscheinlich auf eine noch ältere Pfingst-Antiphon zurück. Er hält sich bei der Übertragung sehr genau an die alten Vorlagen und übernimmt auch die Aussagen über Eigenschaften des Heiligen Geistes: Er ist der kom-

mende, der die Herzen der Gläubigen erfüllt. Er ist das Feuer, das entflammen und erleuchten kann. Im Hymnus enthalten die ersten drei Strophen den Lobpreis Gottes und die Beschreibung der Eigenschaften des Heiligen Geistes. In den folgenden vier werden Bitten an den Heiligen Geist vorgebracht. Diese Gliederung hat Luther in seinem Lied durch Umstellung von Strophen und Versen in eine andere überzeugende Abfolge gebracht. Die Eigenschaften des Geistes mit seinen Zuwendungen an die Glaubenden werden miteinander verbunden. Die Melodie ist aus einer gregorianischen Weise entwickelt worden. Die erste Melodiezeile beginnt und endet mit einer halben Note und gibt damit von Anfang an die unendlich große Ruhe in Gott, dem Heiligen Geist vor. Die Halbe auf der drittletzten Note hält die schwingende Melodie auf und lässt wieder die Ruhe einkehren aus der sich die gesamte Melodie entfaltet hat. Der Chor könnte an Pfingsten oder Trinitatis das Lied einstimmig singend in den Kirchenraum einziehen und die übrige Gemeinde zum Singen bewegen. EG 138 Gott der Vater steh uns bei Trinitatis, Invokavit oder als Sterbelied Das Lied geht auf ein offenbar weithin bekanntes vorreformatorisches Prozessionslied zurück. Luther schrieb es 1524 nach einer deutschen Litanei. Sein schöpferischer Eigenanteil lässt sich wie bei anderen seiner Lieder auch hier nicht sicher feststellen. Schon zu Luthers Zeiten gehörte das Lied zum Sonntag Trinitatis. Im heutigen Evangelischen Gesangbuch steht es mit „Gelobet sei der Herr“ (EG 139) und „Brunn alles Heils, dich ehren wir“ (EG 140) ebenfalls bei den Trinitatis-Liedern. Lange Zeit war „Gott der Vater steh uns bei“ das Hauptlied zum ersten Sonntag der Fastenzeit, Invokavit. Heute hat es durch das Evangelium dieses Sonntags, die Versuchung Jesu durch den Teufel in der Wüste, immer noch einen Bezug dazu. Es kann auch zu vielen Gelegenheiten außerhalb des Dreieinigkeitsfestes gesungen werden, z. B. an Invokavit oder als Sterbelied, als Bittlied oder als Gesang zwischen gesprochenen Bitten.

EG 149 Es ist gewisslich an der Zeit Wochenlied zum vorletzten Sonntag im Kirchenjahr Als Wochenlied des vorletzten Sonntags im Kirchenjahr thematisiert das Lied die Situation des Jüngsten Gerichtes, das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi. „Es ist gewisslich an der Zeit, dass Gottes Sohn wird kommen“ – mit dieser Aussage werden Singende und Hörende in eine Situation gestellt, die den Blick auf das unmittelbar bevorstehende Endgericht richtet. Für den Textdichter Bartholomäus Ringwaldt und viele seiner Zeitgenossen war dieses Lied Ausdruck ihrer gegenwärtigen Stimmung. Persönliche und durch die Zeitumstände bedingte Nöte ließen sie das Elend dieser Welt, das sie als Vorboten der Endzeit deuteten, spüren und das baldige Kommen des Sohnes Gottes herbeisehnen. Als lutherischer Pfarrer und aufgrund seiner Begabung als Dichter sah er es als seine Pflicht an, seine Mitmenschen mit diesem Lied auf die letzte Möglichkeit zur Buße und Umkehr vor dem Gericht aufmerksam zu machen. Vor diesem Hintergrund ist Ringwaldts Bearbeitung eines älteren Liedes eines unbekannten Verfassers um 1565 zu verstehen. Das Lied ist in zwei Teile gegliedert: Die Schilderung des Ereignisses des Kommen Christi am Tage des Gerichts (Str. 1-4) und ein Gebet an Jesus Christus (Str. 5-7). Der Text erschien erst ohne Noten und wurde dann von Anfang an auf die Melodie „Nun freut euch liebe Christen g’mein“ gesungen. Auch die Melodie „Es ist das Heil uns kommen her“ war üblich. Der Melodie, wie sie im EG abgedruckt ist, liegt das sogenannte Tagelied "Wach auf, meins Herzens Schöne" zugrunde, ein im 16. Jahrhundert populäres Liebeslied unbekannter Herkunft. Die Fassung in der heutigen Form stammt aus der Feder Martin Luthers. EG 193 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort Eingangs- und Schlusslied 1541 erschien Luthers Lied „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ mit dem Zusatz "Ein Kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken". Luther nennt in der zweiten Verszeile die beiden Erzfeinde Christi unverblümt. Dafür hatte er auch eine sehr konkrete Bedrohung vor Augen. Das türkische Heer stand vor den Toren Wiens und im Jahre 1541 stieg die Gefahr einer türkischen Expansion in

Richtung Mitteleuropa. Auch von Seiten des Papstes Paul III. nahm die Kriegsgefahr zu. Die reformatorische Bewegung sollte militärisch beseitigt oder zumindest eingedämmt werden. Fünf Jahre später zog Kaiser Karl V., teilweise mit Unterstützung des Papstes im „Schmalkaldischen Krieg“ gegen die evangelischen Stände. Der Krieg endete mit dem für die evangelische Seite ungünstigen Augsburger Interim von 1548. Dass Luther das Lied in der Überschrift ein Kinderlied nennt, liegt vielleicht an seiner schlichten Form. Es ist dieselbe vierzeilige Strophe, die er wenige Jahre zuvor für „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ gewählt hatte. Trotz der Bedrohung beginnt das Lied nicht mit einer Bitte um äußere Bewahrung, sondern um den rechten, durch das Wort und durch Gott selbst gewirkten Glauben. In der Reformation ist das „Wort“ ein Schlüsselbegriff, das erste und einzige Kommunikationsmittel zwischen Gott und Mensch. Das Lied hat drei kurze Strophen in trinitarischem Aufbau. Die erste Strophe richtet sich an Gott den Vater. In der zweiten Strophe ist Christus als Herr aller Herren angesprochen. In der dritten Strophe richtet sich die Bitte an den Heiligen Geist, den „Tröster wert“ um „einerlei Sinn auf Erd“ und um das Ende des heillosen Streites unter den Menschen. Mit zunehmendem historischem Abstand setzte sich die Fassung „und steure deiner Feinde Mord“ im 18. Jahrhundert durch.Im evangelischen Gesangbuch wird das Lied unter der Rubrik „Wort Gottes“ eingereiht und kann sowohl als Eingangs- als auch als Schlusslied gesungen werden. EG 299 Aus tiefer Not schrei ich zu dir Eingangslied und als Begräbnislied Mit dem Lied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ legt Luther der christlichen Gemeinde die Kernaussage seiner Theologie, die reformatorische Rechtfertigungslehre, in den Mund - zum Singen und damit zur persönlichen Aneignung: Christen leben aus Gottes Gnade und nicht aus ihren Werken oder ihren Leistungen. Für Luther haben Psalmlieder beispielhaften Charakter. Seiner Überzeugung nach ist es eine dringliche Aufgabe geistliche Lieder für das Volk zu schaffen, damit das Wort Gottes auch gesungen unter den Leuten bleibe. „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ ist eine Nachdichtung, besser gesagt eine Neuschöpfung des 130. Psalms. Das Lied erscheint zum ersten Mal 1524 im Wittenberger Gesangbuch. Es eignet sich als Eingangslied, als Lied zwischen den Lesungen und als Begräbnislied. Nach dem EG sind für das Lied

zwei Melodien vorgesehen: Die erste stammt von Luther selbst. Die andere geht auf Wolfgang Dachstein zurück, den Mitverfasser der Straßburger reformatorischen Gottesdienstordnung von 1524. EG 341 Nun freut euch, lieben Christen g’mein Wochenlied für den Sonntag Kantate Brüssel im Juli 1523. Zwei lutherisch gesinnte Antwerpener Augustinermönche werden öffentlich verbrannt. Die Ereignisse bewegen die Gemüter. Diesen Anlass nutzt auch Martin Luther für sein erstes Protest-Lied „Ein neues Lied wir heben an“. Unmittelbar darauf entsteht auch sein Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ mit seinen reformatorischen Erkenntnissen. Er nutzt das Mittel der gereimten Publizistik für das sensationelle Ereignis der Heils- und Weltgeschichte: Gott schickt seinen eigenen Sohn als unseren Retter auf die Erde. In der Eingangsstrophe wird angekündigt, dass wir Christen die Botschaft empfangen und sie weitertragen sollen mit springen und singen, fröhlich und mit Lust und Liebe. In den folgenden Strophen wird die Lage vor Gottes Eingreifen geschildert und Luther verneint darin auch die Möglichkeit des Menschen, an seinem eigenen Heil mitzuwirken. Aus Barmherzigkeit schickt Gott seinen Sohn um die Menschen aus der Gewalt der Unheilsmächte zu befreien. Hier inszeniert Luther ein kurzes Gespräch zwischen Vater und Sohn, was die Sendung des Sohnes auf die Erde noch anschaulicher macht. Die Auftakte und fünf Quartsprünge beleben die reformatorische Melodie mit älteren Wurzeln. Im Achtliederbuch von 1524 steht es an erster Stelle und gehört zu den Hauptliedern am Reformationstag. EG 362 Ein feste Burg ist unser Gott Wochenlied für den Sonntag Invokavit Luthers Lied wurde 1529 veröffentlicht und ist vermutlich kurz davor entstanden. Es herrschte damals große Furcht um Leib und Leben (Leib), um die gesellschaftliche Integration (Ehr), um Leben erhaltende Grundbedingungen (Gut, Weib, Kind), vor den widergöttlichen und widermenschlichen Unheilsmächten und ihren Handlangern (der alt böse Feind, der Fürst dieser Welt, Teufel), vor der Pest in Wittenberg, vor den kriegerischen Bedrohungen,

und dem ungewissen Ausgang des reformatorischen Umbruchs. Bei solcher Art Bedrohung bedarf es der Hilfe einer größeren Dimension. Es kann für Luther nur die Hilfe Gottes sein, eines Gottes, der in die Heils-, Welt-und Lebensgeschichte handelnd eingreift. Und die Hilfe ist bereits vorhanden und im Glauben erkannt, wenn das Lied mit den Worten „Ein feste Burg ist unser Gott“ einsetzt. Der Text ist an den Psalm 46 „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke“ angelehnt. Luther folgt in groben Zügen dem Ablauf des Psalms: Die bedrängenden Feinde, Gottes schützende Gegenwart, sein Sieg. Der Psalmbezug erlaubt es Luther, die Situation von Bedrohung, Bedrängnis, Anfechtung und die Vergewisserung der Hilfe Gottes als biblisch bezeugte heilsgeschichtliche Grundsituation zu verstehen und wirkungsvoll darzubieten. Die erste Strophe gibt in Anlehnung an den Psalm das Thema des Liedes an: Gottes Hilfe in unserer Not. In Strophe 2 führt Luther Gottes helfendes Eingreifen in unserer Hilflosigkeit vor. Die Strophe 3 und 4 zeigen wo die Bedrohten und Angefochtenen Hilfe finden können: Im Wort Gottes. Markus Jenny, ein Schweizer Hymnologe, hat „Ein feste Burg“ als ein „kollektives Trost- und Vertrauenslied in der Situation der Anfechtung“ bezeichnet. Im Evangelischen Gesangbuch wird es in die Rubrik „Angst und Vertrauen“ eingereiht und ist das Wochenlied für den Sonntag Invokavit. Zu diesem Lied stehen in unserem Gesangbuch zwei Melodien: Eine erste ganz charakteristische und eine zweite, später vereinfachte, die aber einiges an Charme und Würze einbüßt. EG 519 Mit Fried und Freud ich fahr dahin 2. Februar „Lichtmess“ oder als Sterbe- und Begräbnislied Dem Lied „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ liegt ein neutestamentlicher Text zugrunde, ein so genanntes „Canticum“. Dieser Lobgesang des Simeon nach Lukas 2, 29-32 war Luther aus dem monastischen Nachtgebet, der Complet, bekannt. Der Text findet sich im Anschluss an die Weihnachtsgeschichte und im Zusammenhang der Darstellung Jesu im Tempel. Lukas erzählt von einem vermutlich alten Mann namens Simeon. Er hatte die Verheißung empfangen, „er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen“ (LK 2,26). Im Tempel begegnet er Maria und Josef mit dem Säugling Jesus, erkennt in ihm das Gotteskind, den verheißenen Messias, und preist darüber Gott für die Aussicht seines Heimgangs in Frieden.

Der Gebetstext überliefert ein ursprüngliches Lied der Urchristenheit. Luther übersetzt die vier Strophen nicht einfach in deutsche Reime, sondern interpretiert und kommentiert sie. Kein wirklicher Friede ohne Freude (Str. 1). Der Erretter ist wahrer Gottes Sohn, den Gott Simeon als Leben und Heil in Not und Sterben bekannt gemacht hat (Str. 2). Die ganze Welt ist eingeladen zu seinem Reich, alle haben teil an seiner Verheißung und an seinem Trost in diesem Leben und übers Sterben hinaus (Str. 3). In der 4. Strophe erweist sich Jesus als das Licht „zu erleuchten die Heiden“ und zugleich als „Preis deines Volkes Israel“. Das Lied wird in unseren Gottesdiensten kaum noch gesungen. Es gehört in das liturgische Nachtgebet und ist auch als Sterbeund Begräbnislied denkbar Im Rahmen des Kirchenjahres hat es am 2. Februar (Lichtmess“ bzw. „Darstellung Jesu im Tempel“) seinen Platz. Damit endet die Epiphaniaszeit und damit auch der gesamte Weihnachtsfestkreis. Luther hat es in seine Begräbnisgesänge von 1542 aufgenommen.

Tipps für die Praxis: So manche Lieder Martin Luthers werden heute in unseren Gottesdiensten kaum noch gesungen. Sie sind nicht mehr bekannt. Möchte man sie mit der Gemeinde einüben empfiehlt sich folgendes: Bereiten Sie die Lieder mit einem Chor oder einer Ansinggruppe vor, der/ die sie der Gemeinde vorsingt und diese beim Gesang unterstützt. Zuerst sollten die Lieder einstimmig unter Anleitung einer Vorsängerin oder eines Vorsängers oder des Chores kurz eingeübt werden. Doch machen Sie im Gottesdienst keine „Singstund“ daraus. Hilfreich ist es auch, wenn der Chor sich unter die Gemeinde mischt und e so einstimmig unterstützt. Später kann das Lied im Wechsel von Chor und Gemeinde einstimmig gesungen werden. Die Orgel begleitet den Gesang mit einem vierstimmigen Satz. Der Chor kann dann auch einen vierstimmigen Satz dazu oder im Wechsel singen. Mit dem vierstimmigen Satz kann der Chor auch den Part der Orgel übernehmen. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass die Melodie und ihre rhythmische Fassung mit der Melodie im EG übereinstimmen. Ein Posaunenchor oder weitere Instrumentalkreise können die Lieder in einem vierstimmigen Satz spielen, die Gemeinde begleiten oder Zwischenspiele zwischen die einzelnen Strophen einfügen. Ein Choralvorspiel der Orgel, des Posaunenchores oder eines Instrumentalkreises kann auf das Lied vorbereiten. In einer „Liedpredigt“ kann auch der Liedtext ausgelegt und die einzelnen Strophen dazu gesungen werden. Jürgen Berron Bezirkskantor des Kirchenbezirkes Biberach Oktober 2016

Literatur: Evangelisches Gesangbuch Liederkunde zum Evangelische Gesangbuch, Vandenhoeck & Ruprecht Konkordanz zum evangelischen Gesangbuch, Vandenhoeck & Ruprecht Werkbuch zum Evangelischen Gesangbuch, Vandenhoeck & Ruprecht Geistliches Wunderhorn, Große deutsche Kirchenlieder, C. H. Beck München