Gruppenmusiktherapie (GMT) mit alten Menschen

Gruppenmusiktherapie (GMT) mit alten Menschen Bericht über 1 Jahr Musiktherapie in einer Alten- und Pflegeeinrichtung Marit Barth, Dr. Wolfgang Mahns...
Author: Simon Bayer
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Gruppenmusiktherapie (GMT) mit alten Menschen Bericht über 1 Jahr Musiktherapie in einer Alten- und Pflegeeinrichtung

Marit Barth, Dr. Wolfgang Mahns

Musiktherapie Institut Rendsburg Berliner Str. 1 24768 Rendsburg Tel. 04331/27677 Email: [email protected] Homepage: www.musiktherapie-rendsburg.de

Allgemeiner Rahmen Seit dem 1 Mai 1998 findet einmal wöchentlich im Tagesraum von „Haus Eichengrund“ eine Gruppenmusiktherapie (60 Minuten) unter der Leitung von Marit Barth statt. Die Musiktherapie wird bisher zu etwa je einem Drittel finanziert durch die „Deutsche Stiftung Musiktherapie“, die Stiftung der Kirche und Diakonie „In Würde alt werden“ sowie durch Spendeneinnahmen des Hauses. Der Teilnehmerkreis ist mittlerweile konstant (10 – 12 BewohnerInnen). Die BewohnerInnen (im Folgenden TN) fehlen nur bei Krankheit oder bei unabwendbaren Friseur- oder Fußpflegeterminen. Besucher werden gelegentlich mitgebracht.

Setting Die TN kommen allein oder werden von Pflegeteam gebracht. Sie sitzen im Kreis, Perkussionsinstrumente liegen in der Mitte auf dem Boden. Während der Kreis sich formiert, begrüßt die Musiktherapeutin die TN mit Namen und Handschlag. Hier nimmt sie sich Zeit für kurze Zwiegespräche. Es ist wichtig für jeden Einzelnen, individuell wahrgenommen zu werden. Die Sitzung beginnt mit einem weiteren wichtigen Ritual, dem Begrüßungslied, bei dem jeder TN namentlich begrüßt wird. Die Stunde schließt mit der ersten Strophe des Liedes „Hab oft im Kreise der Lieben...“. Innerhalb dieses Rahmens ist Raum für gemeinsames oder solistisches Singen zur Gitarrenbegleitung, für Gespräche, für das Spiel auf den Musikinstrumenten. Wichtig für diesen Prozess ist eine Atmosphäre, die frei ist von Störfaktoren. Diese Störungen entstanden in der Anfangszeit u. a. durch laufende Küchenmaschinen, durchgehende Mitarbeitern, offene Türen, unabgesprochenem Herausholen von Bewohnern zu einem Friseurtermin usw.

Inhalte Volkslieder bilden das Fundament für das Singen in dieser Gruppe. Gelegentlich kommen Schlager oder Operettenmelodien hinzu. Die TN sind zwischen 76 und 95 Jahre alt und gehören damit einer Generation an, die weitgehend noch über ein gemeinsames Liedgut verfügt. Bei der Liedauswahl orientieren wir uns an Wunschliedern, an der jeweiligen Jahreszeit bzw. bevorstehenden Festtagen oder an der aktuellen Gruppenstimmung. Beim Singen von Liedern, die die TN ursprünglich in der frühen Kindheit, in der Schule, in der Kirche, in Chor, bei der Arbeit sangen, tauchen Erinnerungen, innere Bilder und damit verbundene Gefühle auf. Wesentlicher Inhalt einer Musiktherapie mit alten Menschen ist es, diesen Erinnerungen und den dazugehörigen Emotionen Raum zu geben, sie im Gespräch, im Nachdenken und im Nachsinnen über das eigene gelebte Leben wieder lebendig werden zu lassen. 2

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Erwartungen an die Musiktherapie Die Erwartungen an die Musiktherapie seitens des Pflegeteams waren anfänglich geprägt durch unterschiedliche Vorstellungen, die von „einer netten Singerunde“ bis zu „Freizeitbeschäftigung“ reichten. Manchmal wurden BewohnerInnen beim Bringen auch angefeuert: „Nun singen Sie mal schön“. Auch Vorstellungen hinsichtlich einer „Aktivierung“, um einige Bewohnerinnen aus der Lethargie zu holen, waren zu hören. Durch Gespräche mit Leitung und Team sowie bei der gelegentlichen Teilnahme von Mitarbeiterinnen war es möglich, zu verdeutlichen: • • • •

Es geht um Aktivierung, aber nicht darum, pausenlos und programmatisch Lied auf Lied folgen zu lassen. Es geht um die Erhaltung bzw. Förderung der Genussfähigkeit, aber nicht um ein vordergründig ästhetisches musikalisches Ergebnis. Es geht auch um Abwechslung, aber nicht nur um Beschäftigung oder unverbindliche Unterhaltung. Es geht um Gemeinschaft und Kontakt, aber nicht darum, dass immer alle mitmachen. Die innere Bewegung und Bewegtheit zählt.

Die besondere musiktherapeutische Qualität In der musiktherapeutischen Arbeit geht es um den Prozess des Austauschs von Erinnerungen, Erfahrungen und den damit verbundenen Gefühlen. Dabei stehen nicht nur positive Erlebnisse der Teilnehmer im Vordergrund. Viele Volksliedtexte sprechen Themen wie Altwerden, Abschied nehmen, Verlust, Alleinsein, Sterben und Tod an und berühren existenzielle Fragen der alten Menschen. Gespräche darüber gehören zur Therapie und wurden im „Haus Eichengrund“ besonders aktuell, als vor kurzem eine Mitbewohnerin starb. Zum gemeinsamen Austausch gehören dann auch das Schweigen, die leisen Töne, ein tiefes Seufzen, die Tränen in den Augen. Beim gemeinsamen Choral haben alle TN inbrünstig mitgesungen. Auch TN, die von außen betrachtet kaum etwas vom Gruppengeschehen wahrzunehmen scheinen, nehmen spürbar Anteil. Außer der eigenen Stimme werden auch Perkussionsinstrumente als therapeutische Arbeitsmittel genutzt. Manche TN haben regelrecht „ihr“ Lieblingsinstrument, weil es entweder so schön aussieht, sich angenehm anfühlt, trotz Behinderungen gut handhabbar ist oder weil es sich so schön anhört. Im Umgang mit den Instrumenten machen die TN neue Erfahrungen, erleben sich selbst und die Gruppe auf ungewohnte Art neu.

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Dialogspiele, Tutti- Solo- Spiele, oder Rondos lassen die TN sehr engagiert und lebendig miteinander in Kontakt treten. Die Atmosphäre beim Spielen ist von viel Lachen, Spaß, Erstaunen über ungeahnte Fähigkeiten, aber auch von erhöhter Wahrnehmung und Konzentration geprägt.

Ängste und Befürchtungen hinsichtlich des „richtigen“ oder „falschen“ Singens oder Spielens sind inzwischen fast ganz abgebaut. Neu hinzukommenden TN wird die Integration erleichtert, indem sie einfach miterleben, was die anderen wie selbstverständlich tun. Auch wissen die TN inzwischen, dass das Prinzip der absoluten Freiwilligkeit gilt, dass auch bloßes Anwesendsein akzeptiert wird. Jedem TN wird zugetraut, selber entscheiden zu können, ob er oder sie sich auf eine musikalische Aktion oder auf ein Gespräch einlassen möchte oder nicht. Jemandem Mut zuzusprechen zum eigenen Ausdruck bleibt natürlich unbenommen.

Perspektiven der Eichengrund“

musiktherapeutischen

Arbeit

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Musiktherapie in der Altenarbeit zählt in Deutschland zu den am besten erforschten Anwendungsfeldern von Musik in Pflege, Förderung und Sterbebegleitung. Sie reicht von reiner Beschäftigung über gezieltes Gedächtnistraining bis hin zum musikpsychotherapeutischen Einsatz, der die biographischen Spuren der Bewohner anregt, aufdeckt und einem Austausch zugänglich macht. Musiktherapie ist damit ein unverzichtbares Qualitätsmerkmal in der Betreuung alter Menschen geworden. Sie wird von vielen Einrichtungen inzwischen verstärkt genutzt. Sie schafft ein notwendiges Gegengewicht zu den vielen notwendigerweise funktionalen Abläufen einer Institution, wirkt neben dem therapeutischen Effekt auch als rhythmisierender Teil im Wochenablauf und trägt zum körperlich-seelischen Wohlbefinden bei. Der prozesshafte Verlauf einer musiktherapeutischen Gruppe ist von der Sache her nicht begrenzbar, wie z.B. bestimmte Heil- oder Förderangebote. Gerade für BewohnerInnen, deren Kontaktmöglichkeiten abgerissen oder sehr reduziert sind, muss ein solches Angebot zum festen Bestandteil einer Einrichtung werden, in der der letzte Lebensabschnitt der alten Menschen beheimatet ist. Nach der einjährigen Erprobung konnte die Musiktherapie im „Haus Eichengrund“ fest installiert und die dafür nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.

Marit Barth Musiktherapeutin Musiktherapie Institut

Dr. Wolfgang Mahns Dipl. – Musiktherapeut 1.Vorsitzender des Vereins Musiktherapie Rendsburg u.Umgeb.e.V. 4

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