Gratis Tanken und Kiffen

ÜBUNGSFALL 2 Gratis Tanken und Kiffen Schwerpunkt: Diebstahl I Sachverhalt Am Morgen des 17.12.2010 suchte Ekrem Bayram (B) mit einem zuvor entwende...
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ÜBUNGSFALL 2

Gratis Tanken und Kiffen Schwerpunkt: Diebstahl I

Sachverhalt Am Morgen des 17.12.2010 suchte Ekrem Bayram (B) mit einem zuvor entwendeten (und abends wie von Anfang an geplant unverschlossen zurückgelassenen) Lieferwagen die Selbstbedienungstankstelle des Dieter Kreis (K) auf, betankte das Fahrzeug an einer Zapfsäule mit Dieselkraftstoff im Wert von 100 Euro und verließ entsprechend seinem zuvor gefassten Entschluss mit dem Wagen das Tankstellengelände, ohne zu bezahlen. K, der an diesem Tag auch als Kassierer fungierte, wurde hierauf erst nachträglich dadurch aufmerksam, dass das – mit dem Einhängen der „Zapfpistole” ausgelöste – Rotlichtzeichen auf dem Display der Kasse, mit dem die Sperrung der betreffenden Zapfsäule bis zur Bezahlung angezeigt wird, längere Zeit aufleuchtete. Er stellte erst daraufhin fest, dass ohne Bezahlung getankt worden war, und nahm die Sicherung der Videoaufnahmen aus der Überwachungsanlage vor. B wollte nun bei Rachid Taha (T) einige „Joints“ erwerben; bei diesem angekommen tat er dies auch. Als aber T kurz den Raum verließ, nahm B seine Geldscheine, die T in eine Keksdose gesteckt hatte, sowie einige weitere Joints spontan wieder an sich und steckte alles in seine Jackentasche; kurz darauf verabschiedete er sich von dem nichtsahnenden T. Als B an einem Getränkemarkt vorbeikam und dessen mit einem nur zwei Meter hohen Zaun gesichertes Außengelände sah, stieg er über den Zaun, nahm zwei Leergutkisten Coca-Cola an sich und gab sie in einem benachbarten Supermarkt zurück, wodurch er 6,60 Euro Pfandgeld erhielt. Dies verspielte er in einem Spielautomatencenter, woraufhin er nun einen 50-Euro-Schein dahingehend präparierte, dass an der kürzeren Seite drei parallel verlaufende Tesafilmstreifen mit einer Länge von je 15 cm beidseitig angebracht wurden, die am Ende miteinander verbunden waren. Den so präparierten Schein führte B in einen Geldwechselautomaten ein und zog ihn an den Tesafilmstreifen wieder heraus, nachdem er die Lichtschranke überschritten und dadurch das Umwechseln in Münzen und ihren Auswurf ausgelöst hatte. B erbeutete so 50 Euro in Münzen. Strafbarkeit der Beteiligten nach dem StGB?

D. Bock, Wiederholungs- und Vertiefungskurs Strafrecht, DOI 10.1007/978-3-642-37597-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Übungsfall 2: Gratis Tanken und Kiffen

Lösung 1. Teil: Lieferwagen – Strafbarkeit des B – A. § 242 I StGB1 B könnte sich wegen Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er den Lieferwagen entwendete und später unverschlossen zurückließ. I.

Tatbestand

1.

Objektiver Tatbestand

Bei dem Lieferwagen handelt es sich um eine für B fremde bewegliche Sache. B müsste den Lieferwagen i.S.d. § 242 I StGB weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams.2 Vor der Entwendung befand sich der Lieferwagen (wohl) im (allenfalls gelockerten) Gewahrsam des Eigentümers, nach der Entwendung im Gewahrsam des B. Dies geschah auch ohne Einverständnis des Berechtigten, mithin durch Bruch. 2.

Subjektiver Tatbestand

B handelte vorsätzlich i.S.d. § 15 StGB. Er müsste ferner mit der Absicht rechtswidriger Zueignung gehandelt haben. Erforderlich hierfür sind Aneignungsabsicht und Enteignungsvorsatz.3 Hinsichtlich der Aneignung genügt allerdings die Absicht vorübergehender Anmaßung von Eigenbesitz.4 Dies ist hier für den Zeitraum des unbefugten Gebrauchs zu bejahen. Problematisch ist, ob B Vorsatz hinsichtlich einer dauernden Enteignung5 hatte. B ließ den Wagen – wie laut Sachverhalt von Anfang an geplant – unverschlossen zurück, so dass er zum Eigentümer zurückgelangen konnte. Gegen einen sog. Rückführungswillen spricht aber, dass B den Wagen so stehen ließ, dass Dritte auf diesen beliebig zugreifen konnte (obgleich unklar bleibt, ob der Schlüssel steckte).6 Nähere Umstände des Zurücklassens (v.a. Ort, Zeit), die Rückschlüsse zuließen, 1

2 3 4 5 6

Didaktisch zu § 242 StGB Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 8ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 2, 16. Aufl. 2012, Rn. 1ff.; Jäger JuS 2000, 651; Schramm JuS 2008, 678 und 773; Zopfs ZJS 2009, 506 und 649. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 242 Rn. 10; Hoyer, in: SK-StGB, 47. Lfg., 6. Aufl. 1999, § 242 Rn. 20. Vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 242 Rn. 41; Hoyer, in: SK-StGB, 47. Lfg., 6. Aufl. 1999, § 242 Rn. 69, 106f. S. etwa Kindhäuser, LPK, 5. Aufl. 2013, § 242 Rn. 63f.; Hoyer, in: SK-StGB, 47. Lfg., 6. Aufl. 1999, § 242 Rn. 106. Vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 242 Rn. 33; Hoyer, in: SK-StGB, 47. Lfg., 6. Aufl. 1999, § 242 Rn. 107. Vgl. BGHSt 22, 45 (46); BGH NStZ 1996, 38; zsf. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 242 Rn. 39.

Übungsfall 2: Lösung

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ob der Eigentümer den Lieferwagen wiedererlangen könnte, enthält der Sachverhalt nicht. Jedenfalls im Lichte der Existenz des § 248b StGB – es gibt also keine Strafbarkeitslücke – überzeugt eine extensive Auslegung nicht. Es ist (und sei es in dubio pro reo) von einem Rückführungswillen auszugehen; ein auch nur eventualer Vorsatz hinsichtlich dauerhafter Enteignung liegt nicht vor.7 II.

Ergebnis

B hat sich nicht wegen Diebstahls strafbar gemacht, indem er den Lieferwagen entwendete und später unverschlossen zurückließ.

B. § 303 I StGB8 B könnte sich wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht haben, indem er den Lieferwagen entwendete und später unverschlossen zurückließ. Fraglich ist, ob das vorübergehende Entwenden eine bloße (straflose) Sachentziehung darstellt oder als Tathandlung i.S.d. § 303 I StGB anzusehen ist. Unstreitig9 ist die bloße Besitzentziehung keine Sachbeschädigung.10 Zwar ist jede Sachentziehung für den Eigentümer die wohl stärkste Beeinträchtigung der Brauchbarkeit. Wenn aber die Sache selbst unverändert ist und lediglich der Zugang zu dieser vereitelt wird, so lässt sich dies nicht als Einwirkung auf die Sache begreifen, sondern nur auf das Herrschaftsverhältnis. Anders mag dies erst dann sein, wenn die Sache aufgrund der neuen Ortslage Schaden nimmt11, wofür im Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte vorhanden sind.

C. § 248b I StGB12 B hat sich aber wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs strafbar gemacht. Ein etwaiger Diebstahl an Verbauchs- und Verschleißmaterial wird durch § 248b StGB als lex specialis oder als notwendige Begleittat trotz milderer Strafe verdrängt.13 Zum Strafantragserfordernis s. § 248b III StGB. 7 8

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A.A. vertretbar. Didaktisch zu § 303 StGB Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 453ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 2, 16. Aufl. 2012, Rn. 346ff.; Satzger Jura 2006, 428. Vgl. nur Wessels/Hillenkamp, BT II, 35. Aufl. 2012, Rn. 41; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 303 Rn. 12; Hoyer, in: SK-StGB, 127. Lfg. 2011, § 303 Rn. 8; Joecks, StGB, 10. Aufl. 2012, § 303 Rn. 9f; Weidemann, in: Beck-OK-StGB, Stand 08.03.2013, § 303 Rn. 13. Gleiches gilt nach h.M. für den bestimmungsgemäßen Verbrauch (z.B. Verzehr von Lebensmitteln), vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 303 Rn. 12a. Vgl. Wessels/Hillenkamp, BT II, 35. Aufl. 2012, Rn. 41; Weidemann, in: Beck-OKStGB, Stand 08.03.2013, § 303 Rn. 13. Didaktisch zu § 248b StGB Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 279ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 2, 16. Aufl. 2012, Rn. 210ff. Kindhäuser, LPK, 5. Aufl. 2013, § 248b Rn. 16.

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Übungsfall 2: Gratis Tanken und Kiffen

2. Teil: Tanken14 – Strafbarkeit des B – A. § 242 I StGB B könnte sich wegen Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er bei K tankte und davonfuhr, ohne zu bezahlen. I.

Tatbestand

1.

Objektiver Tatbestand

a)

Fremde bewegliche Sache

Bei dem Kraftstoff handelt es sich um eine bewegliche Sache; der flüssige Aggregatzustand spielt keine Rolle.15 Fraglich ist, ob diese Sache auch fremd war. Fremd ist jede eigentumsfähige Sache, an der ein anderer im Zeitpunkt der Wegnahme Eigentum hat.16 B könnte bereits beim Einfüllen des Diesels Alleineigentümer geworden sein. Es kommt zunächst ein gesetzlicher Eigentumserwerb durch B in Betracht: Die Vermischung mit dem noch im Tank befindlichen Kraftstoff gem. §§ 948 I i.V.m. 947 I BGB hat allerdings lediglich Miteigentum von B und K zur Folge (ein Fall des § 947 II BGB lag nicht vor), so dass der gesamte Kraftstoff für B fremd war.17 B könnte aber gem. § 929 S. 1 BGB von K das Eigentum erworben haben. Dies wäre dann der Fall, wenn in dem Gestatten des Selbstbedienungstankens ein Antrag auf Übereignung des Kraftstoffs zu sehen wäre, den B durch sein Tanken angenommen hätte.18 Aber angesichts des berechtigten Interesses des Z, nur nach Erhalt des Kaufpreises wirksam zu übereignen, ist dies zu verneinen, zumal eine Schutzbedürftigkeit des Kunden kaum ersichtlich ist. Hierbei kann es dahinstehen, ob (wie nicht selten) ein ausdrücklicher oder stillschweigender Eigentumsvorbehalt (§§ 433, 449, 929, 158 I BGB) vereinbart wurde19, oder die Bereitstellung der Säule lediglich eine invitatio ad offerendum darstellte, so dass die Einigung nach 14

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Nach OLG Köln NJW 2002, 1059 (Anm. Martin JuS 2002, 618; RÜ 2002, 269; RA 2002, 228; LL 2002, 474); vgl. auch OLG Koblenz NStZ 1999, 139 = NStZ-RR 1998, 364 (Anm. Baier JA 1999, 364); BGH NJW 2010, 99 = NStZ 2009, 694 = NStZ-RR 2010, 74 (Anm. v. Heintschel-Heinegg JA 2009, 903; Satzger JK 2010 StGB § 263/88; RÜ 2009, 713; RA 2009, 753; LL 2010, 38); BGH NJW 2012, 1092 = NStZ 2012, 324 = StV 2012, 465 (Anm. von Heintschel-Heinegg JA 2012, 305; Hecker JuS 2012, 1138; Sinn ZJS 2012, 831; RA 2012, 228; Ernst JR 2012, 473); Lange/Trost JuS 2003, 961; Rebler JA 2013, 179. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 242 Rn. 3; Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 16. Vgl. Kindhäuser, LPK, 5. Aufl. 2013, § 242 Rn. 8. Vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364; Wessels/Hillenkamp, BT II, 35. Aufl. 2012, Rn. 80. S. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 249; Herzberg NStZ 1983, 251 (252). Vgl. OLG Hamm NStZ 1983, 266.

Übungsfall 2: Lösung

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§ 929 S. 1 BGB (wie auch der Kaufvertrag) erst an der Kasse zustande gekommen wäre, da erst nach dem Tanken Art und Menge des Kraftstoffs feststünde.20 Der Kraftstoff war mithin eine für B fremde bewegliche Sache. b)

Wegnahme

B müsste den Kraftstoff i.S.d. § 242 I StGB weggenommen haben. Vor dem Tanken befand sich der Kraftstoff im Gewahrsam des K, nach dem Tanken – spätestens mit Verlassen des Tankstellengeländes – im Gewahrsam des B. Fraglich ist aber, ob K ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel erklärt hat, so dass es an einem Bruch fehlen würde. Zwar möchte K im Grunde nur an zahlungsfähige und -willige Kunden übereignen und den Besitz bzw. Gewahrsam am Kraftstoff übertragen. Allerdings ist dies nur eine rein innerliche Bedingung, da weder Zahlungswilligkeit noch Zahlungsfähigkeit vor dem Zurverfügungstellen des Kraftstoffs an der Zapfsäule erfragt werden.21 Es liegt daher ein generalisiertes Einverständnis gegenüber allen Kunden, die den Mechanismus ordnungsgemäß bedienen, vor. Eine Wegnahme scheidet aus.22 2.

Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand des § 242 I StGB ist nicht erfüllt. II.

Ergebnis

B hat sich nicht wegen Diebstahls strafbar gemacht, indem er bei K tankte und davonfuhr, ohne zu bezahlen.

B. § 263 I StGB23 B könnte sich wegen Betrugs gem strafbar gemacht haben, indem er bei K tankte und davonfuhr, ohne zu bezahlen. I.

Tatbestand

1.

Objektiver Tatbestand

a)

Sog. Täuschung

B müsste zunächst eine sog. Täuschung über Tatsachen vorgenommen haben. 20 21 22 23

Vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364. Vgl. z.B. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 242 Rn. 24; Hoyer, in: SK-StGB, 47. Lfg., 6. Aufl. 1999, § 242 Rn. 57. A.A. vertretbar. Didaktisch zu § 263 StGB Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 517ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 2, 16. Aufl. 2012, Rn. 491ff.; Otto Jura 2002, 606; Kindhäuser/Nikolaus JuS 2006, 193, 293 und 590.

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Übungsfall 2: Gratis Tanken und Kiffen

Täuschung umfasst die gesetzlichen Merkmale des Vorspiegelns falscher oder Unterstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen. Täuschung ist die Behauptung existierender Tatsachen als nichtexistierend und umgekehrt.24 Tatsachen sind Ereignisse, Vorgänge oder Zustände der Innen- oder Außenwelt, sofern sie der Gegenwart oder der Vergangenheit angehören und dem Beweise zugänglich sind.25 B täuschte konkludent über seine Zahlungswilligkeit bzw. -fähigkeit26, als er eine entgeltliche Vorleistung (hier: Kraftstoff) in Anspruch nahm: Indem er als Kunde auftrat und sich wie ein solcher verhielt, brachte er durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck, dass er den Kraftstoff nach Erhalt bezahlen werde.27 b)

Irrtum

K müsste sich entsprechend geirrt haben. Irrtum ist das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit.28 Dies setzt voraus, dass die Täuschung überhaupt den Empfänger erreicht hat. Ein entsprechender Wille als Folge der Täuschungshandlung des Täters kann nur gebildet werden, wenn eben diese Handlung von dem Tankstellenbetreiber oder seinen Mitarbeitern überhaupt wahrgenommen worden ist. Bleibt der Täter dagegen – wie im vorliegenden Fall – bis zur Beendigung des Tankvorgangs unbemerkt, gewinnt seine Handlungsweise keinen Einfluss auf die Willensbildung des Tankstellenpersonals und kann schon deshalb zu keinem Irrtum führen.29 Aus gleichem Grund schiede – hilfsweise – eine Vermögensverfügung aus: In Abgrenzung zum Trickdiebstahl setzt die Vermögensverfügung beim Sachbetrug ein Verfügungsbewusstsein voraus.30 2.

Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand des § 263 I StGB ist nicht erfüllt. II.

Ergebnis

B hat sich nicht wegen Betrugs strafbar gemacht, indem er bei K tankte und davonfuhr, ohne zu bezahlen.

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28 29 30

Zutreffend objektive Definition bei Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 12; die wohl h.M. allerdings subjektiviert das Merkmal der Täuschung („Ziel der Irreführung“), vgl. nur Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 521. Zum Tatsachenbegriff z.B. Kindhäuser, LPK, 5. Aufl. 2013, § 263 Rn. 52ff. Hierzu vgl. vgl. Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 531. OLG Köln NJW 2002, 1059; a.A. vertretbar, wenn der Täuschungsbegriff entweder subjektivierend ausgelegt wird (s.u. Versuchsprüfung) oder restriktiv (Erforderlichkeit eines Zugangs der Täuschung beim Empfänger), vgl. nur Cramer/Perron, in: Sch/Sch, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 6ff. S. nur Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 546ff. OLG Köln NJW 2002, 1059 (1059f.). Vgl. nur Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 74.

Übungsfall 2: Lösung

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C. §§ 263 I, II, 2231, 23 I StGB B könnte sich wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht haben, indem er bei K tankte und davonfuhr, ohne zu bezahlen. I.

„Vorprüfung“

B ist nicht wegen Vollendung strafbar, s.o. Der Versuch ist nach § 263 II StGB strafbar. II.

Tatbestand

1.

Vorstellung von der Verwirklichung des Tatbestands (sog. Tatentschluss, subjektiver Tatbestand)

a)

Bzgl. Täuschung über Tatsachen

B wusste, dass er konkludent seine in Wirklichkeit fehlende Zahlungswilligkeit bzw. -fähigkeit ausdrückt, und wollte dies auch, wies mithin Vorsatz i.S.d. § 15 StGB und insofern entsprechenden Tatentschluss auf.32 b)

Bzgl. Irrtum

Fraglich ist, ob B auch Tatentschluss bzgl. eines Irrtums des K hatte. Denkbar ist, dass B wahrgenommen hatte, dass sein Tanken nicht beobachtet wurde und er sicher war, ungesehen zu bleiben. In diesem Fall hätte er (spätestens33) keinen Vorsatz bzgl. der Herbeiführung eines Irrtums. Allerdings sind kaum noch Fälle vorstellbar, in denen der Täter diese Überzeugung gewinnen kann. Vielmehr wird man bei realitätsnaher Betrachtung unter den heutigen Verhältnissen stets mit der Möglichkeit der unmittelbaren oder durch Überwachungsanlagen vermittelten Wahrnehmung rechnen. Abgesehen von Ausnahmesituationen ist daher davon auszugehen, dass ein Täter beim Vorfahren an der Tankstelle billigend in Kauf nimmt, er könne jederzeit bemerkt werden, und dass er für diesen Fall auf eine Irreführung des Beobachters abzielt. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Anhaltspunkte für Zweifel daran, dass B mit der Möglichkeit seiner Beobachtung während des Tankens rechnete, liegen nicht vor.34 B hatte daher Tatentschluss bzgl. eines Irrtums des K.35

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32 33 34 35

Didaktisch zum Versuch B. Heinrich, AT, 3. Aufl. 2012, Rn. 631ff.; Krey/Esser, AT, 5. Aufl. 2012, Rn. 1192ff.; Putzke JuS 2009, 894, 985 und 1083. A.A. vertretbar, vgl. unten zum Irrtum. Vgl. oben Täuschung; eher vermengend auch OLG Köln NJW 2002, 1059. Vgl. OLG Köln NJW 2002, 1059. A.A. vertretbar.

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c)

Übungsfall 2: Gratis Tanken und Kiffen

Bzgl. Vermögensverfügung

B müsste ferner Tatentschluss bzgl. einer Vermögensverfügung des K gehabt haben. Hierunter fällt jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das eine Vermögensminderung unmittelbar herbeiführt.36 K stellte, wie B wusste und sich zu Nutze machen wollte, die Zapfsäule zur Verfügung und duldete den Tankvorgang – zum Einverständnis in den Gewahrsamswechsel am Kraftstoff s.o. -, so dass ein Tatentschluss des B hinsichtlich einer Vermögensverfügung (inkl. – generalisiertem – Verfügungsbewusstsein) vorliegt. d)

Bzgl. Vermögensschaden

Es müsste Vorsatz bzgl. eines Vermögensschadens vorgelegen haben. Die Schadensberechnung erfolgt anhand eines objektiv individualisierenden Beurteilungsmaßstabs nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung.37 Durch einen Vergleich der Vermögenslage (mit wirtschaftlicher38 Betrachtungsweise) vor und nach der Verfügung ist zu ermitteln, ob eine nachteilige Vermögensdifferenz eingetreten ist, ohne dass diese durch einen unmittelbar mit der Verfügung zusammenhängenden Vermögenszufluss wirtschaftlich voll ausgeglichen wird.39 Mangels beabsichtigter kompensierender Kaufpreiszahlung sollte im vorliegenden Fall die Vermögensverfügung auch zu einer Vermögensbeschädigung führen. e)

Absicht rechtswidriger (und stoffgleicher) Bereicherung

B handelte auch in der Absicht rechtswidriger (und stoffgleicher) Bereicherung. 2.

Unmittelbares Ansetzen (objektiver Tatbestand)

B müsste i.S.d. § 22 StGB unmittelbar angesetzt haben. Dies ist – bei im Einzelnen problematischer Bestimmung dieses Begriffs – dann gegeben, wenn der Täter Handlungen vornimmt, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen, das geschützte Rechtsgut somit unmittelbar gefährden. Das ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschreitet und objektiv zur tatbestandsmäßigen Handlung ansetzt, so dass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte – d.h. ohne weiteren Willensimpuls – in die Erfüllung des Tatbestands übergeht.40 36 37 38

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40

Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 70. Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 574 m.w.N. St. Rspr., vgl. schon RGSt 44, 230; BGHSt 1, 246; 2, 265; 45, 1 (4); BGH NStZ 1996, 191; 1997, 32 (33). Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 574; Hoyer, in: SK-StGB, 60. Lfg., 7. Aufl. 2004, § 263 Rn. 193. Vgl. zsf. Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 22 Rn. 10; Joecks, StGB, 10. Aufl. 2012, § 22 Rn. 26.

Übungsfall 2: Lösung

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Vorliegend lässt sich bei B ohnehin eine umfängliche Verwirklichung seiner geplanten und für ausreichend erfolgstauglich erachteten Tathandlung feststellen41, so dass er auch unmittelbar i.S.d. § 22 StGB angesetzt hat. III. Rechtswidrigkeit, Schuld B handelte rechtswidrig und schuldhaft. IV. Strafzumessung Für die Annahme eines (auch auf eine Versuchsstrafbarkeit anzuwendenden42) Regelbeispiels43, insbesondere einer Gewerbsmäßigkeit nach § 263 III 2 Nr. 1 StGB – Absicht, sich aus der wiederholten Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen44 -, lassen sich dem Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte entnehmen.45 V.

Ergebnis

B hat sich wegen versuchten Betrugs gem. § §§ 263 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht, indem er bei K tankte und davonfuhr, ohne zu bezahlen. Ein Strafantrag nach §§ 263 IV i.V.m. 248a StGB ist aufgrund des Überschreitens der Geringwertigkeitsschwelle von maximal 50 Euro46 entbehrlich.

D. § 246 I StGB47 Eine ggf. ebenfalls begangene gleichzeitige Unterschlagung ist jedenfalls gem. § 246 I StGB formell subsidiär.48

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Vgl. die Faustformel bei Joecks, StGB, 10. Aufl. 2012, § 22 Rn. 17. Vgl. z.B. Wittig, in: Beck-OK-StGB, Stand 08.03.2013, § 243 Rn. 30; abzugrenzen von der umstrittenen Existenz eines versuchten Regelbeispiels, hierzu vgl. Eisele JA 2006, 309. Zum Strafzumessungscharakter der Regelbeispiele in § 243 I 2 StGB und daraus resultierenden Konsequenzen z.B. Joecks, StGB, 10. Aufl. 2012, § 243 Rn. 1ff.; Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 95ff. Wittig, in: Beck-OK-StGB, Stand 08.03.2013, § 243 Rn. 20. Andere Handhabung aufgrund lebensnaher Ergänzung vertretbar. Hierzu vgl. Henseler StV 2007, 323; Satzger Jura 2012, 786; aus der Rspr. vgl. OLG Zweibrücken NStZ 2000, 536 = StV 2000, 298; OLG Hamm NJW 2003, 3145 (Anm. RA 2003, 767; LL 2003, 782); OLG Oldenburg NJW 2005, 1879 = NStZ-RR 2005, 111; OLG Frankfurt NJW 2008, 3233 = NStZ-RR 2008, 311 (Anm. Jahn JuS 2008, 1024). Didaktisch zu § 246 StGB Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 245ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 2, 16. Aufl. 2012, Rn. 215ff.; Jäger JuS 2000, 1167; Kudlich JuS 2001, 767; Cantzler JA 2001, 567. Zu einem Fall, in dem die Unterschlagung greift vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364.

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Übungsfall 2: Gratis Tanken und Kiffen

Die umstrittene Frage, ob eine spätere erneute Zueignung – z.B. durch das Wegfahren und den Verbrauch des Kraftstoffs – tatbestandsmäßig ist oder nicht49, kann dahinstehen: Es ist jedenfalls von einer mitbestraften Nachtat auszugehen.

E. § 123 I StGB50 B könnte sich wegen Hausfriedensbruchs strafbar gemacht haben, indem er das Tankstellengelände zum Zweck des Tankens ohne zu zahlen betrat. I.

Tatbestand

1.

Objektiver Tatbestand

a)

Schutzobjekt

Als Schutzobjekt kommt hier ein Geschäftsraum in Betracht. Geschäftsräume sind abgeschlossene Betriebs- oder Verkaufsstätten, die hauptsächlich für eine gewisse Zeit oder dauernd gewerblichen, geschäftlichen, beruflichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Zwecken dienen.51 Das Tankstellengelände ist allerdings kein abgeschlossener Raum, sondern offen. Es könnte sich aber um ein befriedetes Besitztum handeln. Hierunter fällt jede unbewegliche Sache, die durch zusammenhängende Schutzwehren in äußerlich erkennbarer Weise gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist.52 Ein solches Schutzwehr ist bzgl. des Tankstellengeländes nicht ersichtlich, ein Dokumentieren fremder Tabuzone, z.B. durch Hecken, Mauern, Zäune o.ä. fehlt. Die Behandlung solch offener Zubehörflächen (nicht selbst eingefriedet, aber an Wohnung oder Geschäftsräume eng angebunden) ist problematisch: Nach h.M.53 unterfallen diese dem befriedeten Besitztum. Hierfür werden der insofern offene Wortlaut (befriedet, nicht: eingefriedet), vor allem aber die Schutzbedürftigkeit des unbeweglichen Eigentums angeführt. Auch auf die Täterpsyche wird hingewiesen: der Täter wisse bereits dann, dass er auf dem Grund und Boden nichts zu suchen hat, wenn die Fläche für ihn erkennbar zum Gebäude gehört. Das Tankstellengelände ist für jedermann als solches ersichtlich. Die h.M. kommt in vorliegendem Falle mithin zu dem Ergebnis, dass es ein befriedetes Besitztum darstellt. 49

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Zur Kontroverse um die wiederholte Zueignung s. nur Eisele, BT II, 2. Aufl. 2012, Rn. 262ff.; Fischer, 60. Aufl. 2013, § 246 Rn. 14; Hoyer, in: SK-StGB, 6. Aufl., 47. Lfg. 1999, § 246 Rn. 30ff.; Hillenkamp, 40 Probleme aus dem Strafrecht BT, 11. Aufl. 2009, 24. Problem; Kretschmer JuS 2013, 24; aus der Rspr. vgl. BGHSt 14, 38 = NJW 1960, 684 (mit Anm. Kühl, Höchstrichterliche Rspr. BT, 2002, Nr. 53; Eckstein JA 2001, 25). Didaktisch zu § 123 StGB Eisele, BT I, 2. Aufl. 20120, Rn. 657ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, 15. Aufl. 2012, Rn. 519ff.; Kuhli JuS 2013, 115 und 211. Eisele, BT I, 2. Aufl. 2012, Rn. 662. Vgl. Rackow, in: Beck-OK-StGB, Stand 08.03.2013, § 123 Rn. 8; Ostendorf, in: NK, 4. Aufl. 2013, § 123 Rn. 23. Z.B. Rackow, in: Beck-OK-StGB, Stand 08.03.2013, § 123 Rn. 9; Volk JR 1981, 168; OLG Düsseldorf NJW 1982, 2678; BayObLG NJW 1995, 271.

http://www.springer.com/978-3-642-37596-5