GOTT UND DEN MENSCHEN NAHE... Materialien zum Perspektivplan

„…GOTT UND DEN MENSCHEN NAHE...“ Materialien zum Perspektivplan 2015 Impressum: Bistum Osnabrück Hasestraße 40 A 49074 Osnabrück Layout: Sandra Ah...
Author: Clara Egger
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„…GOTT UND DEN MENSCHEN NAHE...“

Materialien zum Perspektivplan

2015

Impressum: Bistum Osnabrück Hasestraße 40 A 49074 Osnabrück Layout: Sandra Ahlers, Bischöfliches Generalvikariat Druck: Steinbacher Druck, Osnabrück Osnabrück, August 2008

„…GOTT UND DEN MENSCHEN NAHE…“

Materialien zum Perspektivplan 2015

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INHALT



Vorwort



Einführung

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Grundlegung

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Dokumentation



Vorwort Domkapitular Heinrich Silies und Dr. Daniela Engelhard.............................. 5

Bischof Dr. Franz-Josef Bode: Wir haben eine Vision............................................... 7

1.1 Zu einigen zentralen Begriffen............................................................................ 10 1.2 Von Pfarreien und Gemeinden: Zusammenspiel im Dienst einer zukunftsfähigen Pastoral.................................................................................... 14

2.1 2.2 2.3 2.4

Der Gesamtverlauf des Prozesses und die Bistumsvorgaben an die Dekanate........... 17 Dekanatsneuordnung........................................................................................ 22 Ergebnisse der Strukturplanung.......................................................................... 24 - Einführende Erläuterungen - Dekanat Osnabrück-Stadt........................................................................... 26 - Dekanat Bremen........................................................................................ 30 - Dekanat Emsland-Mitte.............................................................................. 34 - Dekanat Emsland-Nord............................................................................... 38 - Dekanat Emsland-Süd................................................................................ 42 - Dekanat Grafschaft Bentheim...................................................................... 46 - Dekanat Osnabrück-Nord............................................................................ 49 - Dekanat Osnabrück-Süd............................................................................. 54 - Dekanat Ostfriesland.................................................................................. 58 - Dekanat Twistringen................................................................................... 61 Beispiele für geistliche Akzente und Aufbrüche in den Pfarreien, Pfarreiengemeinschaften und Dekanaten des Bistums Osnabrück........................................ 64

3 Meilensteine 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

Eine Weiterentwicklung in drei Phasen................................................................ 69 Auf dem Weg zur Pfarreiengemeinschaft: . ......................................................... 71 Auf dem Weg zur neuen Pfarrei ......................................................................... 72 - Warum überhaupt größere Pfarreien? - Schritte zur Errichtung einer neuen Pfarrei - Bedeutung der Pfarrkirche Kooperationsvereinbarungen.............................................................................. 80 Projektstellen im Dekanat.................................................................................. 85 Pastoral und Caritas – Erfahrungen aus dem Pilotprojekt „Gemeinsam solidarisch handeln“ im ehemaligen Dekanat Meppen........................................... 87

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Ausblick

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Unterstützungsangebote des Bistums

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Nachwort

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Anhang

4.1 4.2 4.3 4.4

Veränderte Rollen der Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen................................... 91 Ehrenamtliche Gemeindeteams und hauptamtliche Bezugspersonen..................... 102 Ein mögliches Zukunftsmodell: Kleine Christliche Gemeinschaften........................ 104 Gremien in unseren Gemeinden – gelebte Partizipation........................................ 106

5.1 Moderatoren/-innen Perspektivplan 2015 ......................................................... 109 5.2 Weitere Unterstützungsangebote des Bistums ................................................... 111





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Generalvikar Theo Paul: „Nehmt Neuland unter den Pflug“ (Hos. 10,12).............. 113

Kleines Glossar pastoraler Grundbegriffe............................................................ 117

VORWORT

„Im Glauben daran, dass es vom Geist des Herrn geführt wird, der den Erdkreis erfüllt, bemüht sich das Volk Gottes, in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder Absicht Gottes sind.“ (2. Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes 11)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder, vom letzten Konzil ging der entscheidende Impuls aus, sich als Kirche den vielfältigen gesellschaftlichen Entwicklungen auszusetzen, sich ganz unter die Menschen zu begeben und den Dialog mit ihnen zu suchen. In der Begegnung mit den Zeitgenossen gelte es, das Evangelium, die heilende und befreiende Botschaft Jesu, neu zu entdecken. Weil diese Botschaft hinaus drängt zu den Orten, an denen Menschen heute leben, formuliert auch unsere Bistumsvision: „Wir wollen eine missionarische Kirche sein, die Gott und den Menschen nahe ist.“ Kirche, die sich in dieser Weise gesendet weiß, braucht lebendige Gemeinden, in denen in Gottesdienst, Katechese und Diakonie der Glaube erfahrbar und miteinander geteilt wird. In unserem Bistum mit seinen ganz unterschiedlichen Regionen ringen die Menschen seit vielen Generationen um die rechte Weise, in der dies unter den Bedingungen der jeweiligen Zeit gelingen kann. Das Pastorale Zukunftsgespräch mit seinen Versammlungen 1999 und 2004 hat in besonderer Weise den Dialog im Bistum geprägt. Wichtige Impulse des ersten Zukunftsgesprächs mündeten in die Entwicklung eines Perspektivplans 2008, der im Jahr 2001 verabschiedet wurde. In diesem Plan wurden Eckdaten zur Verteilung des pastoralen Personals

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und zur Bildung von Gemeindeverbünden und Seelsorgebezirken vorgestellt. Schneller als viele damals ahnten, musste dieser Plan fortgeschrieben werden. Nach intensiver Arbeit auf den verschiedenen Ebenen des Bistums liegt nun der Perspektivplan 2015 vor. Im laufenden Beratungsprozess hat sich gezeigt, dass die Termine der Neuwahlen für Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand wichtige Eckpunkte bilden werden, um strukturelle Veränderungen in Pfarreiengemeinschaften zu vollziehen und neue Pfarreien offiziell zu errichten. Somit werden die Jahre 2010, 2014 und 2018 zentrale Meilensteine in der Entwicklung markieren. Damit verschiebt sich auch der bisherige Zielpunkt der Veränderungen von 2015 auf 2018. Alle Übersichten und Tabellen in dieser Arbeitshilfe setzen daher das Jahr 2018 als Endpunkt des Prozesses. Mit der vorliegenden Arbeitshilfe ist eine Zwischenetappe in diesem Prozess erreicht. Vieles wird in den kommenden Jahren weiter zu entwickeln und zu klären sein. Die bisher zusammengetragenen inhaltlichen und strukturellen Planungen unter anderem zum Zuschnitt der Seelsorgeeinheiten und deren Ausstattung mit pastoralem Personal werden den weiteren Entwicklungen die notwendige Grundlage liefern.

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Die Handreichung beginnt mit einer geistlichen Auslegung der Bistumsvision durch unseren Bischof Dr. Franz-Josef Bode. An einige pastoraltheologische Erläuterungen unter anderem zu zentralen Begriffen, wie „Gemeinde“ und „Pfarrei“, schließt sich die umfangreiche Dokumentation der Strukturplanungs-Ergebnisse an. Die folgenden Kapitel enthalten konkrete Vorschläge zur weiteren Entwicklung in den Seelsorgeeinheiten für die kommenden Jahre, Hinweise auf entsprechende Unterstützungsangebote des Bistums, einen Ausblick auf zukünftige Herausforderungen und schließlich ein Nachwort von Generalvikar Theo Paul. Dieser Zwischenschritt mit der Veröffentlichung der Arbeitshilfe ist uns ein willkommener Anlass, für die intensive Zeit gemeinsamer Beratungen zu danken. Der Dank gilt zuallererst den vielen Engagierten in den Gemeinden, Einrichtungen und Verbänden, aber auch denen, die sich in den verschiedenen Abteilungen des Bischöflichen Generalvikariats mit ihren Kompetenzen eingebracht haben. Ebenso danken wir für viele Stunden der Beratung innerhalb der Bistumsleitung. Nicht zuletzt sei allen gedankt, die an diesem Heft mitgearbeitet haben, vor allem Herrn Dr. Stephan Winter und Herrn René Kollai für die Mühen der redaktionellen Arbeit. Möge die Handreichung für die vielfältigen kirchlichen

Orte in unserem Bistum eine Hilfe für den weiteren Weg in die Zukunft sein.

Domkapitular Heinrich Silies Leiter der diözesanen Steuerungsgruppe

Dr. Daniela Engelhard Leiterin des Seelsorgeamtes

EINFÜHRUNG

Wir haben eine Vision

von Bischof Dr. Franz-Josef Bode

Wir haben in unserem Bistum eine Vision entwickelt, einen Ausblick, einen Durchblick auf ein Ziel hin, einen Lichtblick und Leitstern, der unser Leben im Bistum neu ausrichtet, orientiert und motiviert:

„Wir wollen eine missionarische Kirche sein, die Gott und den Menschen nahe ist. Deshalb gestalten wir unser Bistum im Zusammenleben mit den Menschen so, dass sie darin - den Glauben als sinnstiftend und erfüllend, kritisch und befreiend erleben, - sich in ihrer jeweiligen Lebens wirklichkeit angenommen wissen, - ein Zuhause und Gemeinschaft finden.“ Denn niemand interessiert sich für einen Glauben, der ihm nicht Lebenshilfe sein kann und der für sein Alltagsleben keine Bedeutung hat. Niemand interessiert sich für einen Glauben, der an den Erfahrungen seines Lebens vorbeigeht, seine Lebenssituation, seine Freude und Hoffnung, seine Trauer und Ängste nicht ernst nimmt. Und niemand wird auf Dauer bei der Kirche bleiben, wenn er nicht echte, tragfähige Beziehung, Gemeinschaft, ein Obdach für seine Seele, ein Zuhause findet. Die Sehnsucht nach dem „Mehr“ dem Größeren, nach dem Angenommensein in der Not und nach Gemeinschaft liegt unabweisbar in der Luft. Nur die

„Nähe“, die Christus selbst oft nennt und lebt, ist eine heilsame Antwort auf das, was in der Luft liegt. „Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen“ (Eph 2,13). Ja, nur diese Nähe Christi, der von dem „Nahen“ des Reiches Gottes spricht, vom „nahen Gott“ und von der Liebe zum „Nächsten“, kann das in der Luft liegende Glauben, Hoffen und Lieben wieder verdichten zum greif- und schöpfbaren Wasser des Lebens, kann das Verdunstete wieder zu einem neuen Wasser verdichten, das sogar der Wandlung in köstlichen Wein der Freude fähig ist.

Sieben Zugänge zu Glaube und Kirche 1. Diese Nähe ist nicht mehr allein in der Gemeindestruktur zu haben, wie wir sie bisher kennen. Denn Menschen finden heute auf verschiedene Weise Zugänge zum christlichen Glauben und zur Kirche. Dabei ist die territoriale Zugehörigkeit zu einer Pfarrei oder einer Pfarreiengemeinschaft immer noch ein fundamentaler und wichtiger Zugang. Man gehört aufgrund des Wohnortes zunächst einmal dazu, ob innerlich beheimatet oder nicht. Durch eine Gemeinde, die nicht nur binnengerichtet denen zugewandt ist, die immer schon überall dabei sind, werden Neu-

zugezogene und Fremde aufmerksam. Dazu sind eine gute Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und auch ein Besuchsdienst wichtig. So wird Gemeinde für Neue und Fremde als einladend erfahren. Auch die Kasualien, die „Seelsorgsfälle“, bergen eine nicht zu unterschätzende Chance. Gerade Sterbebegleitung und Beerdigungen (Pastoral um Tod und Trauer) sind Wege, Menschen zu begegnen, die die territoriale Gemeinde noch wenig kennen. Die Festtagsgottesdienste sind ebenso wichtige Chancen wie das „Dazwischen-gehen“ bei Straßen- und Nachbarschaftsfesten. Auch Sakramentalien (Segnungen, Einweihungen) sind neu zu entdecken und zu gestalten. 2. Menschen finden aber auch Zugang zum Glauben und zur Kirche durch bestimmte Lebenssituationen, die in der kategorialen Seelsorge aufgegriffen werden: im Urlaub, in Krankheit und Rehabilitation, in Notfällen, in der Schule und im Religionsunterricht, in Sondersituationen (Militärseelsorge oder Gefängnisseelsorge), auch durch die Berufungspastoral des Päpstlichen Werks für Berufe der Kirche (PWB). 3. Auch personale Beziehungen in Verbänden, Gemeinschaften, Gruppen und Kreisen werden zu Verörtlichungen des Glaubens, die nicht immer auf die eigene Territo-

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rialgemeinde beschränkt sind: Bibelkreise, Meditationskreise, Hospizhelferkreise, Gebetsgruppen, geistliche Begleitung, Exerzitien im Alltag, Kleine Christliche Gemeinschaften, ökumenische Kreise … global

4. In diesem Zusammenhang sind auch die medialen Anknüpfungspunkte zu nennen, die klassischen wie Printmedien, Film, Funk und Fernsehen ebenso wie die Welt des Internets. Sie eröffnen Beziehungsmöglichkeiten, die nicht von personaler Kommunikation wegführen, sondern sie herausfordern. 5. Auch geistliche Orte bekommen bei der Mobilität der Menschen heute eine eigene Anziehungskraft und bilden um sich herum ein gewisses Netzwerk: Klöster und Ordensgemeinschaften, Wallfahrtsorte, Zentren geistlicher Gemeinschaften, Bildungshäuser… So wachsen lokale Bindungen, für die Menschen Einiges an Weg und Zeit auf sich nehmen. 6. Viele nehmen auch für einen bestimmten Abschnitt ihres Lebensweges näher am Leben der Kirche teil und entfernen sich dann wieder. Oder sie sind zu bestimmten Zeiten des Kirchenjahres (Advent, Fastenzeit) dichter dabei, suchen sich feste Auszeiten oder Exerzitienangebote als Intensivzeiten in ihrem sonst ziemlich gefüllten Alltag. Solche temporalen Verbindungen,

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kategorial

Rastplätze, Gastzeiten, dürfen wir nicht leichtfertig abtun. Bei aller Klage über eine zu punktuelle Begegnung sind hier auch die Sakramente zu nennen (sakramentale Pastoral). Sie sind und bleiben wichtige, ja zentrale Berührungspunkte mit Glaube und Kirche. Die Taufe des Kindes bleibt die tiefe Deutung und Annahme einer Lebenssituation, die Eltern eine ganz neue Dimension ihres Lebens erfahren lässt. Beichte, Erstkommunion, Firmung, Krankensalbung, Ehe haben mit Grunderfahrungen und Lebenswenden des Menschen zu tun, denen so einladend wie möglich zu begegnen ist (Mystagogik). Die pastoralen Nöte einer zu punktuellen Sakramentenpastoral und einer zu engen Jahrgangspastoral liegen auf der Hand, aber

die Gnade Gottes sucht ihre Wege nicht immer so und in dem Moment, wie wir es wollen. 7. Wenn wir an die großen Glaubensfeste und Begegnungen der Diözesen und an die Landes- und Weltweite der Kirche denken, an die universale Kirche, die im Dienst an der Einheit im Petrusamt des Papstes ein Gesicht erhält, ist auch der globale Zugang nicht wegzudenken. Auf den Weltjugendtagen etwa zeigen Millionen von jungen Menschen, dass Glaube und Kirche nicht eine kleine lokale Restsituation sind mit einer Handvoll Getreuen, sondern eine Weltdimension haben in einem Netzwerk quer durch alle Kulturen und Generationen. Gerade die sich ausweitende Zerstreuungssituation (Diaspora) des Glaubens braucht überlebens-

notwendig diese Erfahrung der Gesamtkirche. Diese sieben verschiedenen Zugänge von Menschen zum Glauben verdeutlichen, dass der Blick nicht nur aus Priester- und Finanzmangel über die Gemeindegrenzen hinausgehen muss – das ist wohl ein schmerzlicher Anlass dafür. Er muss es auch deshalb, weil nur im Zusammenspiel der Kräfte mehrerer Gemeinden (in einer Pfarreiengemeinschaft oder in einer neuen Pfarrei) die verschiedenen Gaben und Fähigkeiten, Akzente und Farben so eingesetzt werden können, dass Menschen auf verschiedene Weise angesprochen werden. Größere Räume müssen nicht der Nähe entbehren, wenn es genügend Elemente gibt, die gerade auf die Förderung von direkten Beziehungen zielen. Breite muss nicht der Dichte, Weite nicht der Tiefe widersprechen, wenn Personen und Gruppen personale Überzeugung ausstrahlen, wenn sie „burning persons“ und nicht ausgebrannte Personen sind, wenn Priester, Diakone, hauptamtliche pastorale Dienste und ehrenamtliche Gruppen in Liturgie, Verkündigung und Diakonie den Glauben feiern, bezeugen und leben.

Gemeinschaft und Sendung aller Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Begriff „communio“, der Gemeinschaft, stark herausgestellt als Lebensprinzip der Kirche, communio nach dem Bild des dreifaltigen Gottes: Einheit mit Gott und untereinander (vgl. Joh 17,21 ff.) und Einheit in Verschiedenheit, wie der dreifaltige Gott in sich selbst höchste Einheit in lebendiger Gemeinschaft lebt. Was das für die Dienste der Kirche und ihr Miteinander bedeutet, muss weiter ausgelotet werden. Priesterlicher Dienst in einer Pfarreiengemeinschaft oder in einer größeren (neuen) Pfarrei erfordert hohe Befähigung zum Dienst an der Einheit durch Kooperation, Integration und Delegation. Dieser Dienst muss als geistliche Leitung verstanden werden aus der Feier der Eucharistie und der Versöhnung heraus. Er muss für den Priester Raum für geistliche Begleitung von Einzelnen und Gruppen offenlassen. Die Identität des diakonischen Dienstes ist noch nicht ausgeschöpft. Vielleicht gibt es neben der Diakonie am physisch und psychisch notleidenden Menschen noch eine Diakonie durch helfende Tätigkeit etwa in Verwaltung und Organisation...

Die pastoralen Dienste werden in den Feldern der Begleitung, Katechese, in kategorialen Feldern wie Beratung und Bildung ihren genuinen Platz haben. Nicht zuletzt braucht das Ehrenamt, der freiwillige Einsatz der eigenen Lebenskompetenz, eine notwendige Neubewertung und Begleitung. Missionarische Gemeinde geht nicht ohne echte innere „communio“ (Gemeinschaft) der Kirche. „Missio“ (Sendung) ohne „communio“ bleibt Aktivismus und vordergründige Zahlenerfassung; „communio“ ohne „missio“ bleibt ein Kreisen um sich selbst ohne Wirkung nach außen und in die Zukunft. Ebenso geht Kirche nicht in die Weite und Breite ohne Tiefe und Dichte. Weil das immer mehr Menschen spüren – selbst wenn die Rezepte für morgen noch nicht vorliegen –, weil diese Wahrnehmung in der Luft liegt, dürfen wir sicher hoffen, dass der Glaube nicht einfach weiter verdunstet, sondern doch wieder Orte und Zeichen der Verdichtung, der Kondensation findet, wo er als „lebendiges Wasser“, als neu erlebtes Taufwasser erfahren wird. Auch dann bleibt noch, was wir oftmals als „Mangelverwaltung“ einordnen und was zurzeit manchmal leider unvermeidlich ist. Aber all das ist vorläufig für eine missionarische Kirche!

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1. GRUNDLEGUNG

1.1 Zu einigen zentralen Begriffen

Angesichts der tief greifenden Veränderungen in der „pastoralen Landschaft“ ist die verstärkte Kooperation zwischen den verschiedenen Trägern pastoralen Handelns (Pfarrgemeinden, Verbänden, geistlichen Gemeinschaften, kirchlichen Einrichtungen, z.B. Caritas) eine der zentralen Herausforderungen für die kommende Zeit. Wenn angesichts dieser Situation über Elemente einer zukunftsfähigen Pastoral gesprochen wird, ist es wichtig, sich über einige zentrale Begriffe zu verständigen, die dabei verwendet werden: Was meinen wir eigentlich, wenn wir „Pfarrgemeinde“, „Pfarrei“, „Kirchengemeinde“ oder ähnliches sagen? Ist damit nicht dasselbe gemeint? Oder versuchen die verschiedenen Ausdrücke unterschiedliche Aspekte zu betonen?

Pfarrgemeinde Dieser Begriff ist in unserem Bistum weit verbreitet, aber eigentlich noch sehr jung. Er ist vor allem geprägt worden durch die Beratungen der Synode der Deutschen Bistümer („Würzburger Synode“, 1971 bis 1975). In diesem Begriff sind die beiden Begriffe »Pfarrei« und »Gemeinde« zusammengefügt worden. Das Problem ist allerdings, dass die Pfarrei auf der einen und die Gemeinde auf der anderen Seite nicht unbedingt identisch sind.

Pfarrei

Kirchengemeinde

Dieser bei uns bislang weniger gebräuchliche Begriff stammt – wie weiter unten noch deutlich werden wird – aus dem lateinischen parochia/paroecia. Er bezeichnet ursprünglich „das Wohnen eines Fremden in einem Orte ohne Bürgerrecht“ (vgl. z.B. 1 Petr 1,17). Das Gesetzbuch der katholischen Kirche, der Codex Iuris Canonici (CIC, aktuelle Fassung von 1983), nennt in can. 515 § 1 CIC folgende konstitutive Elemente einer Pfarrei: 1. Eine Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen. 2. Diese Gemeinschaft ist auf Dauer als Teilkirche errichtet. 3. Die Seelsorge ist einem Pfarrer als eigenberechtigtem Hirten anvertraut. 4. Die Seelsorge geschieht unter der Aufsicht des Diözesan- bischofs.

„Kirchengemeinde“ hängt eng mit „Pfarrei“ zusammen. Der Begriff „Kirchengemeinde“ kommt aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich und ist durch Staatskirchenverträge in den einzelnen Bundesländern verankert. Er errichtet eine katholische Pfarrei als anerkannten Träger des öffentlichen Rechts. Ausdruck dieser Rechtsverfassung ist in den Bundesländern Bremen und Niedersachsen die Notwendigkeit der Bildung eines Kirchenvorstands als Organ der juristischen Person Kirchengemeinde.

Gemeinde Die Gemeinschaft der Gläubigen ist theologisch gesehen das Ziel der Pfarreibildung, dem alle anderen Elemente einer Pfarrei dienen. Die Würzburger Synode formuliert deshalb: In der Pfarrei „soll die Kirche als Einheit des Gottesvolkes in überschaubarem Lebensraum am Ort sichtbar und erfahrbar werden“.1 Dies geschieht in der Feier des Glaubens im Gottesdienst, in der Weitergabe des Glaubens in der Verkündigung /Katechese und in der Praxis des Glaubens im caritativen Handeln. Das heißt: Die Pfarrei dient der Bildung von Gemein-

Damit ist die Pfarrei die rechtliche Grundform der Gemeinde. Weitere wichtige Elemente einer Pfarrei sind z.B. Pfarrkirche und Pfarrhaus, Pfarrbücher und Archiv. Diese Elemente sind aber nicht konstitutiv für eine Pfarrei.

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Beschluss Pastoralstrukturen, OG I, 694.

schaften, in denen Menschen ihren Glauben leben können. Dafür steht der Ausdruck „Gemeinde“: Immer dort, wo sich die so genannten Grunddimensionen kirchlichen Lebens entfalten, entsteht Gemeinde Jesu Christi. Zwar ist das, was der Ausdruck sagen will, in der Sendung Jesu Christi verankert und hat in ihm seinen bleibenden Grund. Doch ist „Gemeinde“ in diesem Sinne erst durch das II. Vatikanische Konzil in der katholischen Kirche wiederentdeckt worden. Wir kennen diesen Begriff auch aus dem öffentlichen Bereich, wo er bezüglich kommunaler Gliederungen benutzt wird (vgl. z.B. „Samtgemeinde“). Der Begriff beschreibt aber im kirchlichen Kontext eben gerade keine formale Struktur, sondern die Sammlung von Gläubigen, die miteinander am Leib Christi teilhaben. Gemeinde ist da, wo sich Menschen am Sonntag zur Feier des Herrenmahles versammeln, aber auch da, wo Getaufte sich im Bibel-Teilen für das Wort Gottes öffnen. Gemeinde ist da, wo Menschen an einem Wohnort in der Kommunion- oder Firmvorbereitung in Gruppen ein Stück Weg miteinander gehen, aber auch da, wo sie aus den unterschiedlichsten Regionen eines Landes zusammenkommen, um ihren Glauben miteinander zu teilen, wie z.B. auf einem Katholikentag. Gemeinde ist da, wo in einer Einrichtung für behinderte

Menschen Mitglieder der Pfarrgemeinde regelmäßig zum gemeinsamen Spiel und Gebet vorbeikommen, aber auch dort, wo eine Seelsorgerin die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Pflegeeinrichtung zu Gespräch und Gottesdienst einlädt.

Pfarreiengemeinschaft Dieser von der Deutschen Bischofskonferenz im Frühjahr 2007 vorgeschlagene Begriff soll einheitlich für den deutschen Sprachraum folgende Situation benennen: Mehrere Pfarreien unter der Leitung eines einzigen Pfarrers bilden gemeinsam eine Seelsorgeeinheit. In dieser Einheit bleibt die rechtliche Eigenständigkeit der Pfarreien gewahrt (zum Teil haben diese in einer Übergangsphase auch noch einen eigenen Pfarrer); die Pfarreien arbeiten jedoch seelsorglich und organisatorisch eng zusammen. Zum Beispiel können gemeinsame Organe/Gremien gebildet werden – etwa ein gemeinsamer Pfarrgemeinderat –, der Einsatz des nichtpastoralen Personals gemeinsam koordiniert werden, Pfarrbüro, Pfarrbrief und Homepage gemeinsam geführt bzw. gestaltet. In unserem Bistum wurde diese Form der Zusammenarbeit bisher mit dem Ausdruck „Gemeindeverbund“ benannt.

Neue Pfarrei Dort, wo im Gegensatz zur Pfarreiengemeinschaft die „Zuschnitte“ bisher rechtlich selbstständiger Pfarreien verändert werden, entsteht eine neue Pfarrei. Dies kann auf zwei Wegen geschehen: Modell A: Eine Pfarrei bleibt bestehen; die anderen Pfarreien werden aufgelöst und der weiterbestehenden Pfarrei eingegliedert. Modell B: Alle Pfarreien werden formal aufgelöst und es wird eine neue Pfarrei im Territorium der bisherigen Pfarreien errichtet. Die Auflösung einer Pfarrei geschieht formal durch ein entsprechendes Dekret des Diözesanbischofs. Dadurch verlieren die pfarrlichen Gremien Kompetenzen bzw. hören auf zu existieren. Ebenso verlieren Siegel und Kirchenbücher ihre Gültigkeit.

Pastoraler Raum Dieser Begriff ist in der Diözese Osnabrück erstmals in den Beratungen zum Perspektivplan 2015 eingeführt worden. Er hat einerseits zu Missverständnissen geführt. Andererseits kann er verschiedene Aspekte, die mit einer neuen Sozialgestalt von Kirche einhergehen, auf den Punkt bringen. Insofern handelt

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es sich um einen pastoraltheologischen Ausdruck, der keine formale Struktur der Kirche beschreibt – wie z.B. Kirchengemeinde –, sondern der auf einer Ebene mit „Gemeinde“ liegt. Wer von einem Pastoralen Raum spricht, der betont, dass Kirche in einer Stadt, einem Stadtteil oder einer Region in vielfältiger Weise das Leben der Menschen berührt und die Menschen untereinander verbindet: Erziehungsfragen (vgl. die entsprechenden Orte wie Kindertagesstätten, Schulen, Beratungsstellen, Jugendeinrichtungen) können ebenso eine Nahtstelle zur Kirche bilden, wie Fragen von Krankheit und Alter (Krankenhäuser und Altenpflegeheime) oder auch Hilfen in materieller oder psychischer Not (Sozialstationen, unterschiedliche Beratungsstellen, „Tafeln“ …). Wo Kirche sich im pastoralen Raum entfaltet, bildet sie zwischen den verschiedenen Orten und damit auch den Lebensbezügen der Menschen ein Netzwerk, in dem kirchliche und nicht-kirchliche Einrichtungen miteinander in Verbindung stehen – um der Menschen willen, die zu diesem Raum gehören.

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„Gemeinde“ in den Beschlüssen der Würzburger Synode

Schon dieser erste Überblick über einige zentrale Begriffe verdeutlicht, dass die Weiterentwicklung und Neustrukturierung der Seelsorgeeinheiten in unserem Bistum ein Prozess ist, der auf mindestens zwei verschiedenen Ebenen abläuft. Beide Ebenen beeinflussen sich gegenseitig, sind aber doch voneinander zu unterscheiden:

„Die Gemeinde ist an einem bestimmten Ort oder innerhalb eines bestimmten Personenkreises die durch Wort und Sakrament begründete, durch den Dienst des Amtes geeinte und geleitete, zur Verherrlichung Gottes und zum Dienst an den Menschen berufene Gemeinschaft derer, die in Einheit mit der Gesamtkirche an Jesus Christus glauben und das durch ihn geschenkte Heil bezeugen. Durch die eine Taufe (vgl. 1 Kor 12,13) und durch die gemeinsame Teilhabe an dem einen Tisch des Herrn (vgl. 1 Kor 10,16 f) ist sie ein Leib in Jesus Christus. Im allerweitesten Sinn verwirklicht sich Gemeinde Christi überall, wo zwei oder drei im Namen Jesu beisammen sind (vgl. Mt 18,20).“ 2

Ebene 1: Pastorale Weiterentwicklung und Neuordnung angesichts veränderter gesellschaftlicher und kirchlicher Rahmenbedingungen – Leitfrage: Was kennzeichnet künftig die Gemeinde Jesu Christi, ihre Sendung an einem konkreten Ort? Ebene 2: Formale Weiterentwicklung und Neuordnung kirchlicher Strukturen – Leitfrage: Welche rechtlichen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um der Sendung des Evangeliums an einem konkreten Ort gerecht werden zu können? Diese Frage wird relevant z.B. durch Änderungen beim Zuschnitt von Pfarreien bzw. durch Gründung einer neuen Pfarrei oder verbindliche Formen der Zusammenarbeit in einer Pfarreiengemeinschaft.

„Der Auftrag der Kirche erfordert die Sammlung von Menschen zu lebendigen, offenen Gemeinden auf allen pastoralen Ebenen. Überall dort, wo – durch den Dienst des Amtes geeint – Menschen das Wort gläubig hören und weitertragen, miteinander Eucharistie feiern und im Dienste der Liebe füreinander und für alle da sind, lebt Gemeinde Jesu Christi.“ 3

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Beschluss Dienste und Ämter, OG I, 605.

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Beschluss Pastoralstrukturen, OG I, 689f.

„Pfarrei“ im Codex Iuris Canonici (1983) Can. 374 § 1: Jede Diözese oder andere Teilkirche ist in verschiedene Teile, d. h. Pfarreien, aufzugliedern. Can. 515 § 1: Die Pfarrei ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Hirtensorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird. Can. 515 § 2: Pfarreien zu errichten, aufzuheben oder sie zu verändern, ist allein Sache des Diözesanbischofs, der keine Pfarreien errichten oder aufheben oder nennenswert verändern darf, ohne den Priesterrat gehört zu haben.

Personalpfarreien zu errichten, die nach Ritus, Sprache oder Nationalität der Gläubigen eines Gebietes oder auch unter einem anderen Gesichtspunkt bestimmt werden. Can. 519: Der Pfarrer ist der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Hirtensorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft unter der Autorität des Diözesanbischofs wahr, zu dessen Teilhabe am Amt Christi er berufen ist, um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben, wobei nach Maßgabe des Rechts auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien mithelfen.

Can. 515 § 3: Die rechtmäßig errichtete Pfarrei besitzt von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit. Can. 518: Die Pfarrei hat in aller Regel territorial abgegrenzt zu sein und alle Gläubigen eines bestimmten Gebietes zu umfassen; wo es jedoch angezeigt ist, sind

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1. GRUNDLEGUNG

1.2 Von Pfarreien und Gemeinden

Zusammenspiel im Dienst einer zukunftsfähigen Pastoral

Die Neustrukturierung zielt also in erster Linie auf die Weiter- bzw. Neuentwicklung verschiedener Formen der Gemeindebildung. In der Geschichte der Kirche hat es in Zeiten größerer Veränderungsprozesse immer wieder solche Neuaufbrüche gegeben. So ist das Entstehen der kirchlichen Verbände im Deutschland des 19. Jahrhunderts als ein Prozess der Gemeindebildung zu verstehen. Gegenwärtig ist diesbezüglich die Bewegung der so genannten „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ vor allem in Asien und Afrika sowie der „Basisgemeinschaften“ in Lateinamerika zu nennen. Auch in vielen europäischen Ländern geschieht die Bildung neuer Gemeinden, z.B. in Frankreich, wo sich nach der faktischen Auflösung vieler Pfarreien Glaubende vor allem in nichtpfarrlich organisierten geistlichen Gemeinschaften zusammenfinden oder das Leben vor Ort in regionalen Einheiten kirchlich organisiert wird – jenseits der obsolet gewordenen Grenzen der alten Pfarreien. Wie in der Einführung von Bischof Dr. Bode beschrieben, ist Gemeindebildung unter territorialen Gesichtspunkten (also in einer Pfarrei) die bei uns am weitesten verbreitete, aber nur eine der möglichen Formen, die zukünftig zunehmend durch andere ergänzt werden wird. Die Pfarrei bietet jedoch die Chance, aufgrund der Nähe zum Wohnort der Menschen und auf der Basis einer relativ stabilen Kerngemeinde in vielfältiger Weise Gemeindebildung zu fördern.

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Zwei Fragen lassen sich anschließen:

Wie verhalten sich künftig Gemeinden und Pfarrei zueinander? Zu einer katholischen Gemeinde kann sich jemand zählen, der sich an einem bestimmten „Ort“, an dem Gottesdienst gefeiert (= Liturgia), der Glaube verkündigt (= Martyria) und im Alltag bezeugt und gelebt wird (= Diakonia), zuhause fühlt. Das kann auch z.B. in Krankenhäusern, in Gefängnissen, in Hochschulgemeinden, in Klöstern etc. der Fall sein. Trotz aller Veränderungsprozesse in einer mobilen Gesellschaft wird dem Wohnort und damit der territorialen Pfarrei auch in der künftigen Pastoral eine wichtige Bedeutung zukommen. Die Pfarrei handelt jedoch nicht isoliert neben anderen kirchlichen Angeboten und Einrichtungen, sondern versucht dazu beizutragen, dass diese – im Zusammenspiel mit nichtkirchlichen Personen und Institutionen, die sich für den Menschen engagieren – sowohl fruchtbar in Spannung zueinander stehen als auch ergänzen. Was damit gemeint ist, kann das Bild von der Pfarrei als Herberge oder Raststätte verdeutlichen: „Pfarrei“ leitet sich vom griechischen „paroikia“ ab, womit ursprünglich die Herbergen auf den Fernstraßen des römischen Reiches bezeichnet wurden. „Diese Rastplätze ermöglichten den Reisenden auszuruhen, Kommunikation zu pflegen, die nötige Nahrung aufzuneh-

men, die Wunden, die man sich auf dem Weg zugezogen hatte, zu heilen, die Pferde und Wagen neu zu rüsten, um dann die nächste Wegstrecke anzugehen und zu bewältigen. Die Form dieser ‚paroikia’ war unterschiedlich, entsprechend den örtlichen Verhältnissen und Bedürfnissen. Die Kirche, das wandernde Volk Gottes auf dem Weg ins Himmelreich, hat diesen Begriff im 3. Jahrhundert ganz bewusst übernommen.“ 4 Die sogenannte „Kerngemeinde“ in der Pfarrei spielt in diesem Zusammenhang die Rolle derer, die die Herberge relativ stabil bewohnen und als „Herbergsteam“ betreuen. Diese Gemeinschaft sorgt dafür, dass die materiellen und personellen Ressourcen für die verschiedenen kirchlichen „Orte“, also die Gemeinden in ihren vielfältigen Formen, fruchtbar werden. Die „Gäste“ wiederum sind nicht einfach passive Empfänger der Wohltaten, sondern prägen ihrerseits durch den kreativen Umgang mit den ihnen geschenkten Gütern das Bild der gesamten Herberge mit. Die Mitglieder des „Herbergsteams“ können ihren Dienst umso besser 4 Erzbischof Ludwig SCHICK: Pfarrei – Kirche vor Ort. Theologisch-kirchenrechtliche Vorgaben und Hinweise zur Pfarrei. In: „Mehr als Strukturen... Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“. Dokumentation des Studientages der FrühjahrsVollversammlung 2007 der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 213), hrsg. vom Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2007, 22-39,39. Vgl. auch HENDRIKS, Jan, Gemeinde als Herberge. Kirche im 21. Jahrhundert – eine konkrete Utopie, dt. Gütersloh 2001.

erfüllen, je mehr sie sich selbst nicht rein funktional, sondern von ihrer gemeinsamen Teilhabe am Leib Christi getragen wissen. Hierzu trägt innerhalb der Kerngemeinde besonders die Gottesdienstgemeinde bei: Sie wird durch die Menschen gebildet, die sich vor allem in der Eucharistiefeier und in anderen gottesdienstlichen Formen versammeln zu Lob und Dank, zu Bitte und Klage. Die Deckungsgleichheit von Pfarrei und Gemeinde, die in der Ära der „Volkskirche“ vielerorts Realität war, kommt demnach der Quadratur des Kreises gleich.5 Wir leben heute – ob gewollt oder nicht – in einer größeren Vielfalt von Gemeinden und Gemeinschaften innerhalb der Pfarrei, die oftmals nur schwer zu erfassen und zu überschauen ist: „Pfarreientwicklung ist etwas anderes als Gemeindebildung. Pfarrei steht für die Gestalt, Gemeinde für den Gehalt. Wer von der Pfarrei redet, redet zunächst von der Strukturebene. Die Pfarrei existiert als Rechtsform auch dann noch, wenn alles christliche Leben längst ausgezogen ist... Gemeinde ist sozusagen ein ‚Tätigkeitswort‘. Gemeinde ist nicht, sie wird…“ 6

5 Vgl. SPIELBERG, Bernhard, Kreisquadrat und Pfarrgemeinde. Zwei unlösbare Probleme. In: LS 2/2006, 92-100. 6 Bischof Dr. Heinrich MUSSINGHOFF, „Zukunft der Gemeinde – Gemeinde der Zukunft“. Vortrag bei den Begegnungen mit den pastoralen Diensten, März – Juni 2007, S. 3.

Beispiele für Pfarreibildung sind:

Beispiele für Gemeindebildung sind:

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Aufgabenverteilung im hauptamtlichen pastoralen Team Anpassung der pfarrlichen Gremien (Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat) Organisation des Pfarrbüros Klärung der Aufgabenbereiche und Anstellungsverhältnisse von hauptu. nebenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pfarrei(-en) - Ebenen der Vernetzung mit anderen kirchlichen und sozialen Trägern im Gebiet der Pfarrei (z.B. Forum Schule – Gemeinde, Zusammenarbeit mit Einrichtungen der institutionalisierten Caritas)

Schwerpunktsetzung in der Pastoral Arbeit an Gemeindevisionen in den gemeindlichen Gremien Entwicklung einer missionarischen Sakramentenpastoral Entfaltung einer Vielfalt von Gottesdienstformen Entwicklung regionaler und/oder milieuspezifischer Angebote Neuzugezogenenpastoral Elemente geistlicher Vertiefung für bestehende Gruppen und Verbände Aufbau „Kleiner Christlicher Gemeinschaften“ (= Kirche in der Nachbarschaft) Mitwirkung an stadtteilbezogenen oder dörflichen sozialen Projekten

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Die Tendenz geht immer stärker dahin, dass in weniger werdenden und dann größeren Pfarreien eine Vielzahl von Gemeinden existiert: „Die eine Pfarrei ist ebenso Ort der Seelsorge wie die vielen …Gemeinden… Orte der Seelsorge sind. Deshalb sprechen wir gerne von der Pfarrei als einer Gemeinschaft von Gemeinden. Die Schaffung solcher Orte in vergrößerten pastoralen Räumen ist von der Absicht geleitet, ein gemeinsames kirchliches Bewusstsein zu erreichen und ein Miteinander im Volke Gottes, das die Gläubigen als Mitglieder einer Pfarrei und der ihr zugeordneten Gemeinden … darstellen.“ 7

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „Pastoraler Raum“? Wir stehen somit vor einer doppelten Entwicklung: 1. Die Anzahl der Pfarreien wird geringer und die Fläche der Pfarreien wird größer. 2. Zugleich werden die Formen gemeindlichen Lebens vielfältiger. Die Gleichung „eine Pfarrei = eine Gemeinde“ wird immer seltener die Wirklichkeit hinreichend beschreiben.

Pfarreiengemeinschaften – nur dann lebensfördernd ist, wenn bestehende und neue Orte der Gemeinschaftsbildung Beheimatung im Glauben gewährleisten. Die zentrale Herausforderung besteht darin, wie sich zukünftig Nähe im Sinne der „Erfahrung der Menschen in der Verkündigung Jesu“ darstellen lässt: „Er (Jesus) kommt ihnen nahe, indem er Worte, Gesten und Bilder aufgreift, die sie betreffen. Jesu Begegnungen mit den Menschen, seine Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen bringen das Reich Gottes in die Unmittelbarkeit der persönlichen und sozialen Lebenswelten.“ 8 Nähe wird damit zum „Grundparadigma und Auftrag kirchlicher Pastoral“, denn: Die Kirche hat den Auftrag, in ihrer Verkündigung die Person Jesu Christi, die Person des gekreuzigten Auferstandenen zu vermitteln. Dies geschieht vor allem in den Sakramenten und im seelsorglichen Handeln der Gemeinde, indem sie konkreten Menschen nahe kommen will.

Das bedeutet, dass die Vergrößerung der pastoralen Strukturen – egal ob durch (neue) Pfarreien oder durch

Solche Pastoral um der Menschen willen gelingt jedoch nur, wenn Kirche ernst nimmt, dass in einer mobilen Gesellschaft Nähe nicht zuerst eine territoriale, sondern eine personale Kategorie ist. So ist etwa für viele junge Menschen der Nächste nicht derjenige, der im Nachbarhaus wohnt,

7 Bischof Felix GENN: Das Zusammenwirken von unterschiedlichen Orten, Formen und Vollzügen der Seelsorge in den vergrößerten pastoralen Räumen. In: Mehr als Strukturen, 40-49, 44 (Hervorhebung redaktionell).

8 Dieses und das folgende Zitat: Arbeitsgruppe „Pfarrei und Gemeinde – Historisch gewachsene Strukturen vs. Neue pastorale Gliederungen“. In: Mehr als Strukturen, 68-71, 69f.

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sondern derjenige, der im Adressverzeichnis des Handys erscheint. Deshalb gibt es zu einer Pastoral, in der sich pfarrliche, sonstige kirchliche und auch nichtkirchliche Personen und Institutionen vernetzen, keine Alternative, denn nur auf diesem Weg differenziert sich pastorales Handeln in einer Weise aus, dass es Menschen in ihren sehr vielfältigen Lebenssituationen erreicht. Dafür steht der Ausdruck »pastoraler Raum«: Er zielt zwar – wie »Pfarrei« – in erster Linie auf das Territorium, auf das bezogen sich eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen in einer Vielzahl von Gemeinden sammelt. Der Begriff nimmt aber eben vor allem die „Orte“ der Pastoral in den Blick, den sozialen Einzugsraum dieser „Orte“ und existenzielle, pastorale und spirituelle Bedürfnisse der Menschen in diesem Raum. Und diese pastoralen „Orte“ überschreiten zum Teil das Territorium einer Pfarrei bzw. sind nur sehr eingeschränkt territorial beschreibbar.9 Ein gewandeltes Verständnis von Gemeinde und Pfarrei fordert auch dazu heraus, über die Arbeit derer nachzudenken, die sich ehren- und hauptamtlich in der Pastoral engagieren. Dazu finden sich einige Überlegungen im Abschnitt 4.1. 9

In unserem Bistum haben wir während der zurückliegenden Diskussionsprozesse im Rahmen der Perspektivplanung den Begriff „pastoraler Raum“ z.T. nur im Hinblick auf die Bildung neuer, größerer Pfarreien gebraucht. Das hat nicht immer und überall zur Klärung beigetragen. Die jetzt vorgeschlagene Verwendung ist etwas offener und betont, dass der Begriff v. a. pastoraltheologische Relevanz hat.