Globale Gerechtigkeit und Weltordnung Justice globale et ordre mondial

S T U D I A P H I L O S O P H I C A Vol. 64/2005 Globale Gerechtigkeit und Weltordnung Justice globale et ordre mondial Redaktion: Emil Angehrn Rédac...
10 downloads 0 Views 5MB Size
S T U D I A P H I L O S O P H I C A Vol. 64/2005

Globale Gerechtigkeit und Weltordnung Justice globale et ordre mondial Redaktion: Emil Angehrn Rédaction: Bernard Baertschi

Schwabe

STUDIA PHILOSOPHICA V O L . 6 4 /2 0 0 5 JA H R B U CH DE R S C H W E I Z E R I S C HE N P HI L OS OP HI S C HE N GE S E L L S C H AF T AN N U AI RE DE L A S O CI É T É S U I S S E DE P H IL OS OP HIE

S C H W A B E V E R LA G B A S EL

GLOBALE GERECHTIGKEIT UND WELTORDNUNG JUSTICE GLOBALE ET ORDRE MONDIAL R ED A K TI O N / R ÉD A C TI O N E MI L A N G E H RN / BE R N A RD BA E R TS C H I

S C H W A B E V E R LA G B A S EL

Publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften Publié avec l’aide de l’Académie suisse des sciences humaines et sociales

© 2005 by Schwabe AG, Verlag, Basel Satz: Philosophisches Seminar der Universität Basel Druck: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 3-7965-2159-2 www. schwabe.ch

Inhalt / Table des matières In Memoriam Árpád Horváth (1934-2004). Von Rafael Ferber ..........................

7

Colloquium SPG /SSP 2004 Globale Gerechtigkeit und Weltordnung Justice globale et ordre mondial Angelika Krebs : Gleichheit ohne Grenzen? Die kosmopolitische Überforderung ..................................... Thomas Kesselring : Internationale Gerechtigkeit Auf der Suche nach Kriterien .............................................. Bernard Baertschi : Les circonstances de la justice internationale ..... William Ossipow : Maintenance et coûts de la justice globale .......... Urs Marti : Globale distributive Gerechtigkeit Was heißt Verteilung? ....................................................... Simone Zurbuchen : Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz – Eine kritische Auseinandersetzung mit dem liberalen Nationalismus .......................................... Susanne Boshammer : Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz ....................................................................... Georg Kohler : Hobbes und das 21. Jahrhundert Zum Problem des Politischen Realismus ................................ Francis Cheneval : Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung ........................................................... Norbert Campagna : L’intervention punitive ou De l’extension du droit pénal aux relations internationales ..... Véronique Zanetti : Entre Charybde et Scylla ? Les dilemmes du droit d’intervention .................................... Barbara Bleisch : Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe ....................................................................

11 23 55 81 103

121 143 159 179 203 237 253

Buchbesprechungen / Comptes rendus ....................................... 273 Adressen der Autoren / Adresses des auteurs ............................... 282 Redaktion / Rédaction ........................................................... 282

Studia philosophica 64/2005

In Memoriam

Árpád Horváth (1934-2004) Árpád Horváth wurde am 17. Mai 1934 in Budapest als Sohn eines Zimmermanns geboren. Die Matura absolvierte er dort nach achtjähriger Gymnasialzeit im Jahre 1952 im Gymnasium der Piaristen, eines katholischen Schulordens, der seit 1642 in Ungarn tätig ist. Anschließend studierte er bis zum Herbst 1956 an der Theologischen Hochschule Esztergom (deutsch Gran) in der nordungarischen Stadt desselben Namens. Nach der Niederwerfung des ungarischen Volksaufstandes verließ er im November 1956 Ungarn und flüchtete nach Österreich, wo er seine Studien an der Theologischen Fakultät der Universität Wien, der Juristischen Fakultät der Universität Münster und der Theologischen Fakultät der Universität Bonn fortsetzte. Anschließend studierte er Philosophie, Staats- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Köln und römisch-katholische Theologie an der Universität Bonn. Im Dezember 1961 promovierte er dort zum Dr. phil. mit dem Hauptfach Philosophie und den Nebenfächern Erziehungswissenschaften und Theologie, wobei er Theologie in Bonn abschloss. Die Dissertation trug den Titel Die thomistische und marxistischleninistische Ethik und Anthropologie; sie ist leider nicht veröffentlicht worden. Zwischen Januar 1962 und Mai 1964 studierte er russische Sprache und Sowjetologie an der Universität Fribourg und war gleichzeitig wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sowjetologie bei Prof. I. M. Bochenski. Im September 1964 wurde er als Kantonsschullehrer für Philosophie und Religionslehre an die Kantonsschule Luzern gewählt, seit dem Wintersemester 1966 nahm er einen Lehrauftrag für Philosophie an der Theologischen Fakultät Luzern wahr, im Vollamt seit l986. Im gleichen Jahr habilitierte er sich an der Theologischen Fakultät in Philosophie mit der Schrift Sozialismus und Religion: Die Religion und ihre Funktionen im Spiegel sozialistischer Ideologien, 1. Band: 1835-1900. Die Habilitationsschrift erschien 1987 bei Peter Lang, Bern, Frankfurt a. M. und stellt den ersten Teil eines Projektes dar, das auf drei weitere «Etappen» (19001917, 1917-1945 und 1945-) geplant war; der zweite Band wurde noch zur Publikation vorbereitet und wird voraussichtlich von seinem ehemaligen

8

In Memoriam

Assistenten Dr. M. Brasser im Verlaufe des nächsten Jahres herausgegeben. 1990 wurde Árpád Horváth zum Extraordinarius und 1996 zum Ordinarius an der neu gegründeten Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universitären Hochschule Luzern ernannt. 1997 übernahm er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1999 das Dekanat der Geisteswissenschaftlichen Fakultät. Nebenamtlich unterrichtete er an zahlreichen Institutionen der Erwachsenenbildung im In- und Ausland, und zwar sowohl in ungarischer wie auch in deutscher Sprache, die er ausgezeichnet beherrschte. Das breit angelegte Werk Sozialismus und Religion ist einerseits von der Ansicht getragen, dass die Religion als ein Überbau materieller Verhältnisse fungiere. Deshalb muss sie – so Horváth – von ihren faktischen historischen Zuständen her erklärt werden. In diesem Sinne ist sein opus magnum in erster Linie Quellenforschung. Besonders wertvoll sind die Darstellung der Entwicklung F. Engels’ (1820-1895) vom Pietisten zum Atheisten und die damit verwandte Schilderung des Werdeganges K. Marx’ (1818-1883) vom beflissenen religiösen Phraseologen, der in seinem Maturaaufsatz von der «Freudigkeit» spricht, welche die «Vereinigung mit Christo» verleihe, zum Atheisten. Andererseits ist Horváth von der Überzeugung getragen: «Es braucht keine Rechtfertigung, dass wir das Erkannte aus jenem Orientierungssystem heraus verstanden haben, das sich dem vernünftigen Denken und dem christlichen Glauben verpflichtet fühlt.» (S. 22) Christlicher Glaube aber heißt für ihn nicht zuletzt «kognitive Nächstenliebe», was für ihn soviel bedeutet wie das Bemühen, die Position des Anderen – hier diejenige der marxistischen Religionskritik – von innen her zu verstehen. Die Philosophie äußert sich bekanntlich in verschiedenen menschlichen Temperamenten. Árpád Horváth war jedenfalls ein ausgeprägtes philosophisches Temperament und hatte wohl auch etwas von der «Stechmücke» an sich, wie sie nach Platons Apologie in der Gestalt des Sokrates der Stadt Athen beigegeben war, «wie einem großen und edlen Ross, das aber seiner Größe wegen zur Trägheit neigt, und der Aufrüttelung durch den Sporn bedarf» (Apologie 30e). Zu dieser Tätigkeit des «Stechens» und «Störens» gehört auch die Aufdeckung von Phrasen als Phrasen, was Horváth insbesondere in seiner Darstellung der marxistischen Religionskritik und anderswo getan hat. Welcher Schweizer Philosoph würde es angesichts der Anpassung des schweizerischen Bildungswesens von der Primarschule bis zur Universität an die Forderungen der Wirtschaft heute noch wagen, einen Beitrag mit dem Titel «‹Weltfremdheit› müsste geradezu Bestandteil der Schule sein» zu schreiben (Schweizer Schule 64, 1977)?

Árpád Horváth (1934-2004)

9

Nach dem Ende des kalten Krieges im Jahre 1989 zog es ihn immer wieder nach Ungarn zurück, wo er sich nach der Scheidung von seiner ersten Frau Marie-Aude Suter von Sioin nochmals verheiratete und nach seiner Emeritierung (1999) auch niederließ. Man sieht an der Biographie von Árpád Horváth, wie sehr ein philosophisches Leben ebenfalls durch politische Ereignisse bestimmt sein kann. Es spricht für die Schweiz und vielleicht auch für den Kanton Luzern, dass sie Árpád Horváth von 1964 bis 1999 eine Existenz und Wirkungsstätte geboten haben, bis es den Philosophen wieder nach Ungarn zog. Nach nur fünf Jahren Ruhestand wurde er infolge schwerer Krankheit von der «irdischen Plage» und Unruhe erlöst. Er starb am 12. Oktober 2004 in Luzern. Fogadják öszinte részvétem – Herzliche Anteilnahme. Rafael Ferber (Luzern)

Studia philosophica 64/2005

Symposium der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft Symposium de la Société Suisse de Philosophie Zürich, 7. / 8. Mai 2004

Globale Gerechtigkeit und Weltordnung Justice globale et ordre mondial ANGELIKA KREBS

Gleichheit ohne Grenzen? Die kosmopolitische Überforderung This paper contrasts two theoretical approaches to global justice: first, egalitarianism which aims at equal life chances for everyone (Rawls, Dworkin or Sen) and second, nonegalitarian humanism which ‹only› aims at decent living conditions for all (Nussbaum, Margalit or Walzer). The paper puts forward a double critique of egalitarianism. The first in principle objection against egalitarianism is that it confuses the uncontroversial claim that justice must be universal with the controversial claim that justice must aim at relational equality. With Nietzsche, the wish to level life chances can be regarded as an expression of envy or resentment. Justice is not about compensating all kinds of good and bad luck. Justice is about guaranteeing access to a threshold of decent living for everyone. The second objection against egalitarianism is that it does not leave enough space for national identity and partiality and thus demands too much from us on the global scale.

1. Einleitung Gerechtigkeit ist von Haus aus universal oder global auf die Interessen und Ansprüche aller Menschen hin orientiert. Ungerechtigkeit besteht gerade darin, die Interessen und Ansprüche bestimmter (Gruppen von) Menschen auf Kosten anderer zu forcieren. Der Prozess der ökonomischen Globalisierung zwingt uns, in der Schweiz, in den USA und in anderen Ländern der ersten Welt, mit diesem universalen Anspruch der Gerechtigkeit nun Ernst zu machen. Die Schweiz kann nicht mehr im Alleingang ihre Errungenschaften der sozia-

12

Angelika Krebs

len Gerechtigkeit – die Zähmung des kapitalistischen Marktes durch einen wohlfahrtsstaatlichen Rahmen – vor dem Sog der ökonomischen Globalisierung schützen. Die Schweiz muss wie die anderen Länder der ersten Welt auf übernationaler Ebene für die Zähmung des kapitalistischen Marktes eintreten – und dies nicht nur im Namen universaler Gerechtigkeit, sondern neuerdings gezwungenermaßen auch im Namen des nationalen Eigeninteresses. Nationales Wollen und moralisches Sollen weisen für einmal denselben Weg. Das ist die Botschaft, die Jürgen Habermas, Benjamin Barber und viele andere den Europa- und UNO-Skeptikern entgegenhalten. Diese Botschaft ist richtig und wichtig. Ich möchte in meinem Beitrag dieser Botschaft eine zweite Botschaft zur Seite stellen. Das ist die Botschaft, dass wir uns vor einer zu anspruchsvollen Vision von globaler Gerechtigkeit hüten müssen. Wir brauchen ein Minimalkonzept von Gerechtigkeit. Es ist schließlich auch die Angst vor Überforderung, die Angst, zu viel von der eigenen nationalen Selbstbestimmung, vom eigenen guten Leben für ferne Länder aufgeben zu müssen, welche Menschen in den reichen Ländern der ersten Welt zu EU- und UNO-Gegnern werden lässt. Es ist nicht nur die mangelnde moralische Einsicht in das, was wir allen Menschen, egal wo sie leben, als Menschen schulden. Es ist auch nicht nur die mangelnde eigeninteressierte Einsicht darin, dass nationale Lösungen allein in der interdependenten Ökonomie von heute nicht mehr greifen können. Mein Beitrag will Stellung beziehen gegen ein überzogenes Verständnis von Gerechtigkeit, wie es der Mainstream der politischen Gegenwartsphilosophie, der globale Verteilungsegalitarismus, vertritt, und will Raum schaffen für die Verfolgung des nationalen Eigeninteresses. Auch auf dem Symposium der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft «Gerechtigkeit ohne Grenzen?» in Zürich im Mai 2004 waren die Anhänger des globalen Verteilungsegalitarismus mit Urs Marti, Francis Cheneval und Veronique Zanetti, um nur einige zu nennen, deutlich in der Überzahl. Die Gliederung des Artikels ist wie folgt: Ich werde im ersten Teil den globalen Verteilungsegalitarismus charakterisieren, im zweiten Teil die Gegenposition des globalen Humanismus vorstellen und im dritten und letzten Teil meine Einwände gegen den Egalitarismus auf den Tisch legen. Die drei wichtigsten Thesen vorweg: – Der globale Humanismus lässt, indem er anders als der globale Egalitarismus die Angleichung der Lebensaussichten aller Menschen nicht zum zentralen Ziel der Gerechtigkeit erhebt, zu Recht Platz für nationale Identität und Parteilichkeit (vgl. 2.).

Gleichheit ohne Grenzen?

13

– Der globale Humanismus stellt, indem er anders als der globale liberale Egalitarismus keine Berührungsängste hat gegenüber Gruppenidentitäten, die Menschen nicht frei gewählt haben, sondern in die sie hineingeboren oder hineingewachsen sind, zu Recht Nationalität als wichtige Option menschlicher Besonderung unter moralischen Schutz (vgl. 3.). – Der globale Humanismus verlangt, indem er anders als der globale kontraktualistische Egalitarismus nicht Kooperation, sondern Menschsein zur Grundlage der Gerechtigkeit macht, zu Recht Gerechtigkeit für alle Menschen und nicht nur für Kooperationsteilnehmer (vgl. 4).

2. Der globale Egalitarismus Eine Konzeption von Gerechtigkeit ist egalitaristisch, wenn sie Gerechtigkeit wesentlich über Gleichheit versteht, Gleichheit also als ein zentrales und unabgeleitetes Ziel von Gerechtigkeit ansieht, als moralischen Selbstzweck oder Eigenwert. Anders gesagt, bestimmt eine egalitaristische Gerechtigkeitstheorie das einem jeden gerechtermaßen Zustehende wesentlich relational oder komparativ, mit Blick auf andere, und nicht absolut, unabhängig von anderen. Die Standardform von Gerechtigkeitsansprüchen im Egalitarismus ist demnach: Person P steht Gut G zu, weil andere Personen G auch haben oder bekommen haben. Eine Balkenwaage mag diese Relationalität symbolisieren. Die Hinsicht, in welcher der moderne Egalitarismus Gleichheit unter den Menschen verwirklichen will, ist gewöhnlich deren Möglichkeit, nach ihren eigenen Vorstellungen gut zu leben, ihre Lebensaussichten. Die so genannte «Equality-of-What?»-Debatte kreist um die Frage, wie man diese Hinsicht genauer interpretiert. John Rawls will die Gleichheit der Lebensaussichten festmachen an der Verfügung über gleich viele Grundgüter, Ronald Dworkin an der Verfügung über gleich viele Ressourcen. Amartya Sen interpretiert das Gleichheitsideal als Gleichheit der Funktionsfähigkeit. Die Hinsicht Lebensaussichten (wie auch immer genauer interpretiert) erfährt im Egalitarismus allerdings meist noch eine Einschränkung auf unverdiente Lebensaussichten, da Menschen mitunter selbst etwas dafür könnten, wie gut oder schlecht sie im Vergleich zu anderen dastehen. Wenn die einen hart arbeiten oder sparen, während die anderen «sich auf die faule Haut legen» oder «das Geld zum Fenster herausschmeißen», und die einen fortan über bessere Lebensaussichten verfügen als die anderen, dürfe dies nicht als Verletzung der normativ gebotenen Gleichheit gelten,

14

Angelika Krebs

sondern sei moralisch ganz in Ordnung. Für ihre Entscheidungen müssten die Menschen schon selbst einstehen. Egalisiert müsse nur werden, was Menschen einfach so zufällt, zum Beispiel die Gaben der Natur, der äußeren wie der inneren, Erbschaften oder Geschenke. Gleichheit muss nicht der einzige Eigenwert sein, den eine egalitaristische Gerechtigkeitstheorie verfolgt. Typischerweise verbindet eine egalitaristische Theorie den Eigenwert von Gleichheit mit dem Eigenwert von Wohlfahrt. Denn Gleichheit unter den Menschen lässt sich schließlich auch dadurch schaffen, dass man einfach alle umbringt. Wenn alle null Lebensaussichten haben, ist das auch eine Form der Gleichheit. Dieses Beispiel macht die Notwendigkeit des Übergangs von einem reinen Egalitarismus mit nur dem einen Eigenwert Gleichheit zu einem pluralistischen Egalitarismus mit zumindest einem weiteren Eigenwert für Wohlfahrt deutlich. Der pluralistische Egalitarismus sollte zudem vielleicht ‹moderat› genug sein, um im Konfliktfall «Gleichheit versus Wohlfahrt» nicht immer Gleichheit Trumpf sein zu lassen, sondern Abstriche an Gleichheit um einer höheren Lebensqualität für alle willen hinzunehmen. Ein berühmtes Beispiel für einen moderaten, pluralistischen Egalitarismus ist John Rawls’ Abmilderung des Gleichheitsprinzips zum Differenzprinzip, das sozioökonomische Ungleichheiten, welche die absolute Position der am schlechtest Gestellten anheben, als gerecht ausweist. Damit ist das Grundmuster der egalitaristischen Gerechtigkeitskonzeption vorgestellt: Der Egalitarismus kombiniert in der Regel, als pluralistischer Egalitarismus, ein Gleichheitsprinzip bezüglich unverdienter Lebensaussichten mit einem Wohlfahrtsprinzip und nimmt moderaterweise im Konfliktfall «Gleichheit versus Wohlfahrt» gewisse Abstriche an Gleichheit um einer größeren allgemeinen Wohlfahrt willen hin. (Für Spielarten des Egalitarismus, wie den Präsumptionsegalitarismus vgl. Krebs 2002 und 2003). Es ist die Rawls’sche kontraktualistische Fassung des Egalitarismus, die in der gegenwärtigen Debatte zu globaler Gerechtigkeit den Ton angibt. Rawls hatte seine für Einzelgesellschaften wie die USA entworfenen Gleichheitsprinzipien als Ergebnisse der Einigung rationaler und eigeninteressierter Kooperationsteilnehmer unter einem Schleier des Nichtwissens zu begründen versucht. Für den internationalen Bereich sah Rawls (1999) dagegen keine Gleichheit, sondern nur minimale Pflichten vor. Die meisten Rawls-Anhänger heute, etwa Thomas Pogge (1995) oder Wilfried Hinsch (2004), verallgemeinern jedoch die Rawls’schen Gleichheitsprin-

Gleichheit ohne Grenzen?

15

zipien auf die Welt im Ganzen, da die Menschheit inzwischen zu einer Kooperationsgemeinschaft zusammengewachsen sei. Sie fordern massive Transfers von reichen in arme Länder und supranationale Institutionen, welche diese Transfers verwalten und einsetzen. Einen Weltstaat lehnen die Globalegalitaristen in der Regel ab, da er aufgrund seiner schieren Größe partizipative politische Autonomie verunmögliche. Dass die Angehörigen eines Staates mehr füreinander als für die Angehörigen anderer Staaten sorgten, so wie Eltern mehr für ihre eigenen Kinder als für die Kinder anderer sorgten, sei in Namen einer effizienten internationalen Arbeitsteilung rechtfertigbar, allerdings nur solange sich die Vorteile aus dieser Arbeitsteilung auf globaler Ebene mehr oder weniger ausgleichen. Denn wenn Reiche mehr für Reiche sorgen und Arme mehr für Arme sei es mit der Gleichheit der Lebensaussichten nicht mehr weit her. Mit der Begründung spezieller Pflichten unter Angehörigen einer nationalen Kultur im Unterschied zur politischen Organisationseinheit Staat, welche mehrere oder auch keine nationale Kulturen umfassen kann, tun sich liberale Egalitaristen deutlich schwerer, da nationale Zugehörigkeit keine Sache freier Wahl ist. Eine Nation ist (mit Miller 1995 und Margalit 1996) eine identitätsstiftende Gruppe, – die eine wesentliche Lebensbereiche umfassende Kultur, oft auch eine Sprache, teilt, – die an einen geographischen Ort gebunden ist, – die über historische Kontinuität verfügt, – zu der man nicht aufgrund von Leistung, sondern durch Anerkennung als einer, der in die gemeinsame Kultur hineingeboren und /oder hineingewachsen ist, gehört, – wobei die Gruppenzugehörigkeit über Symbole, Zeremonien und Rituale vermittelt ist. Der liberale Egalitarismus will die Chancen aller Menschen, nach ihren eigenen, frei gewählten Vorstellungen des guten Lebens, gut zu leben, einander angleichen. Dem kommt die Schaffung einer vielfältigen kosmopolitischen Kultur mehr entgegen als der Schutz der bestehenden nationalen Kulturen. 3. Der (globale) Humanismus Der Nonegalitarismus misst Gleichheit keinen zentralen Wert an sich zu. Er versteht Gerechtigkeit nicht relational, sondern wesentlich über absolute

16

Angelika Krebs

Standards der Suffizienz. Könnte man die Lebensaussichten der Menschen mit einer Waage messen, dann operierte der Nonegalitarismus mit einer gängigen Küchenwaage und trachtete danach, dass alle Menschen den grünen Bereich des Genug erreichen. Ungleichheiten oberhalb der Schwelle des Genug gelten im Nonegalitarismus nicht per se als ungerecht. Je nachdem, mit welchen Sockelwerten ein Nonegalitarismus operiert, ergeben sich verschiedene Varianten der nonegalitaristischen Gerechtigkeitskonzeption. Es gibt nicht nur eine Alternative zum Egalitarismus, es gibt ihrer viele. So stellt zum Beispiel der Libertarianismus Robert Nozicks eine nonegalitaristische Gerechtigkeitskonzeption dar. Nozick will die negative Freiheit aller schützen. Niemand darf seines Lebens, seiner Gesundheit, seiner Freiheit oder seines Eigentums beraubt werden. Einen Staat, der über die Garantie dieser minimalen Abwehrrechte hinausgeht, begreift Nozick als Unrechtsstaat. Die meisten Nonegalitaristen heute geben sich mit solch minimalen absoluten Standards nicht zufrieden. Die Vision der gerechten Gesellschaft, die sie dem Egalitarismus gegenüberstellen, ist weit attraktiver als der Nozicksche Libertarianismus. Bei den neuen Nonegalitaristen hat der Staat nicht nur die negative Freiheit aller zu schützen. Er hat auch dafür zu sorgen, dass niemand unter elenden Umständen existieren muss. Jeder muss Zugang haben zu: – Nahrung – Obdach – Sicherheit – medizinischer Grundversorgung – persönlichen Nahbeziehungen – sozialer Zugehörigkeit – Individualität – privater wie politischer Autonomie. Allen muss ein menschenwürdiges Leben effektiv ermöglicht werden, was nicht heißt, dass nicht alle, etwa durch Arbeit, auch ihren Teil dazu zu leisten haben, dass sie ein menschenwürdiges Niveau erreichen. Im nonegalitaristischen Humanismus weitet sich damit der Fokus von negativer Freiheit auf Menschenwürde. Gerechtigkeit muss jedoch im Humanismus nicht einfach mit der unbedingten Garantie eines humanitären Sockels für alle zusammenfallen. Dem Sockel nachgeordnet können vielmehr diverse Verteilungsprinzipien rangieren, wie die Prinzipien der Anerkennung besonderer Leistungen, der Vergabe von Stellen nach Quali-

Gleichheit ohne Grenzen?

17

fikation oder des freien Tausches. Die Garantieprinzipien des SockelBereichs sind als «allgemeine Gerechtigkeit», «Menschenrechte», «Anstand» [decency] oder «politische Solidarität» terminologisch zu unterscheiden von den darüber liegenden Verteilungsprinzipien der «besonderen Gerechtigkeit», «Gerechtigkeit (im engeren Sinne)», «Bindestrich-» oder «Verteilungsgerechtigkeit(en)». Die derzeit bekanntesten humanistischen Gerechtigkeitstheorien dürften die Sphärentheorie von Michael Walzer, der Aristotelische Essentialismus von Martha Nussbaum und die Politik der Würde von Avishai Margalit sein (vgl. Krebs 2000). Der Humanismus ist im Unterschied zum Rawls’schen Kontraktualismus von Haus aus unversial auf alle Menschen ausgerichtet. Auch unabhängig von Kooperation misst er jedem Menschen bestimmte moralische Rechte zu (mit Kooperation sind es mehr). Einsichten in das für alle Menschen Gute und Richtige bilden die wesentliche Grundlage der Gerechtigkeit und nicht die rationalen Einigungen von Kooperationsteilnehmern. Von moralischen Einsichten verlangt der Humanismus dieselbe Universalität, wie wir sie von mathematischen oder empirischen Einsichten gewohnt sind. Wie man bei einer Rechnung oder bei einem Experiment nicht auf seine eigenen besonderen Interessen abstellen darf, so muteten uns auch moralische Einsichten das Absehen von unseren besonderen, in der Regel partikularen Interessen zu. Für das Moralische gehe es, mit Kants Worten, um die «Menschheit in unserer Person» und das heiße um unser menschliches Wesen. Für die Begründung moralischer Einsichten stünden uns damit insbesondere diejenigen Bedürfnisse und Fähigkeiten zur Verfügung, die mit unserem Menschsein verbunden sind (vgl. Kambartel 1993). Oder, um es mit Margalit (2004) zu sagen, «Mensch» sei die «organizing notion» der Moral wie «Masse» die «organzing notion» der Physik ist und «Leben» die «organizing notion» der Biologie. Einen Weltstaat lehnt der Humanismus genauso ab wie der Globalegalitarismus. Politische Autonomie sei ein intrinsisches Gut und könne angemessen nur in Staaten von überschaubarer Größe verwirklicht werden. An die Stelle der Gleichheitsforderung tritt im Humanismus die wiederum von supranationalen Institutionen voranzutreibende Forderung einer länderspezifischen Verwirklichung der Menschenrechte sowie der Verteilungsgerechtigkeit mit wiederum bedeutenden Transfers von Reich zu Arm. Nationalität ist nach der Argumentation von Humanisten wie Avishai Margalit (1997) und David Miller (1995) eine wichtige Option des menschlichen Lebens, da sie erstens eine von Intellektuellen zwar typi-

18

Angelika Krebs

scherweise unterschätzte, aber dennoch weit verbreitete Weise des Ausdrucks der Individualität, Differenz oder Besonderung von Menschen darstellt. Jeder Mensch habe, wie Hermann Lübbe es einmal gesagt hat, das Recht, auf rechtfertigungsunbedürftige Weise ein besonderer, ein anderer sein zu können. Die nationale Weise des Andersseins sei eine Weise der Nutzung dieses Rechtes. Zweitens erfülle der Nationalismus das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit unabhängig von dem heute dominanten Leistungsdenken. Und drittens stärke er über das Phänomen des «reflected glory» das Selbstwertgefühl. Wie die Mitglieder einer Familie hätten «co-nationals» einander zu unterstützen und parteilich zu sein. Die ‹ethischen› Pflichten der co-nationals seien jedoch den moralischen Pflichten, die Menschen einander gegenüber als Menschen haben, nachgeordnet. Im Fall des moralischen Dilemmas gäben die ethischen Pflichten den Ausschlag. Und oberhalb des Bereiches, in dem moralische Standards regieren, habe die nationale «Parteilichkeit» neben anderen Parteilichkeiten und individuellen Projekten freien Lauf. Anders gesagt müsse man verschiedene Begriffe von Parteilichkeit unterscheiden: 1. illegitime Parteilichkeit, welche als Nationalismus oder Nepotismus gegen das Gebot moralischer Unparteilichkeit verstößt, 2. legitime Parteilichkeit, welche das Gebot moralischer Unparteilichkeit beachtet und nur in moralischen Dilemmasituationen mit der Gruppenzugehörigkeit einen zusätzlichen Entscheidungsgrund ins Spiel bringt, und 3. eine andere Form legitimer Parteilichkeit, welche als Gegenbegriff nicht mehr moralische Unparteilichkeit hat, sondern Gleichheit.

4. Die Kritik am globalen Egalitarismus 4.1. Verwechslung von «Allgemeinheit» mit «Gleichheit» Argumente dafür, dass Gerechtigkeit Gleichheit verlangt und damit mehr als einen Sockel von Menschenrechten plus Verteilungsgerechtigkeit für alle, sucht man in der politischen Gegenwartsphilosophie vergebens. Was man anstelle von Argumenten findet, ist eine Verwechslung von Forderungen nach Allgemeinheit oder Inklusion, nach der allgemeinen Gewährung des Zugangs zu dem Sockel, einerseits mit Forderungen nach relationaler Gleichheit andererseits. Anders gesagt, man findet eine Verwechslung von Forderungen nach dem Genug für alle mit Forderungen nach dem Gleichviel wie die anderen für alle. Der Verwechslung zu Grunde liegt eine logi-

Gleichheit ohne Grenzen?

19

sche Möglichkeit unserer Sprache, die Möglichkeit, dass man Forderungen nach Allgemeinheit oder Inklusion stets in Forderungen nach Gleichheit umformulieren kann. Statt: «Alle Menschen sollen den Sockel erreichen können», kann man auch sagen: «Alle Menschen sollen gleich darin gemacht werden, dass sie den Sockel erreichen können», oder: «Ihre Lebensaussichten sollen dahin gehend angeglichen werden». Aber diese Gleichheit, die man dann fordert, ist nur ein Nebenprodukt des eigentlichen Ziels. Die Gleichheit sitzt auf der allgemeinen Gewährung von X oder der Inklusion in X nur auf. Sie ist nicht unabhängig davon. An sich ist die Angleichung der Lebenschancen der Menschen kein Ziel der Gerechtigkeit, sondern eine Ausgeburt des Neides oder, mit Nietzsche geredet, des Ressentiment. Ich zitiere aus der Genealogie der Moral. Nietzsche trägt wie üblich zu dick auf, doch sieht man in der Übertreibung oft die Stoßrichtung deutlicher: Das sind alles Menschen des Ressentiment, diese psychologisch Verunglückten und Wurmstichigen, ein ganzes zitterndes Erdreich unterirdischer Rache, unerschöpflich, unersättlich in Ausbrüchen gegen die Glücklichen und ebenso in Maskeraden der Rache, in Vorwänden zur Rache: wann würden sie eigentlich zu ihrem letzten, feinsten, sublimsten Triumph der Rache kommen? Dann unzweifelhaft, wenn es ihnen gelänge, ihr eignes Elend, alles Elend überhaupt den Glücklichen in’s Gewissen zu schieben: so dass diese sich eines Tags ihres Glücks zu schämen begönnen und vielleicht einander sich sagten: «es ist eine Schande, glücklich zu sein! es giebt zu viel Elend!» […] Aber es könnte gar kein größeres und verhängnisvolleres Missverständnis geben, als wenn dergestalt die Glücklichen, die Wohlgerathenen, die Mächtigen an Leib und Seele anfingen, an ihrem Recht auf Glück zu zweifeln. Fort mit dieser «verkehrten Welt»! Fort mit dieser schändlichen Verweichlichung des Gefühls! Dass die Kranken nicht die Gesunden krank machen […] – das Höhere soll sich nicht zum Werkzeug des Niedrigsten herabwürdigen, das Pathos der Distanz soll in alle Ewigkeit auch die Aufgaben aus einander halten! Ihr Recht, dazusein, das Vorrecht der Glocke mit vollem Klang vor der misstönigen, zersprungenen, ist ja ein tausendfach größeres: sie allein sind die Bürgen der Zukunft, sie allein sind verpflichtet für die Menschen-Zukunft. (Absatz 14 der Dritten Abhandlung)

Wir müssen im Namen der Gerechtigkeit nicht alle Kontingenzen, von denen das menschliche Leben nur so wimmelt, kompensieren, um möglichst gerade Balken zu erreichen. Gerechtigkeit ist kein Kompensationsbetrieb für Glück und Pech aller Art. Wer hungert oder schwer krank ist, hat einen moralischen Anspruch auf Unterstützung, nicht weil es anderen unverdientermaßen besser geht als ihm, sondern weil es ihm schlecht geht und Punkt.

20

Angelika Krebs

Der Egalitarismus gewinnt seine Plausibilität vor allem aus der Ungerechtigkeit der Verletzung menschenwürdiger Lebensbedingungen, die er als Ungleichheiten beschreibt. Wie kann es gerecht sein, fragt der Egalitarist, wenn die einen hungern müssen und die anderen Austern und Champagner schlürfen? Gerechtigkeit muss Gleichheit unter den Menschen schaffen. – Identifiziert man jedoch die vorliegende Ungerechtigkeit richtig, nämlich als Verletzung elementarer, absoluter Gerechtigkeitsstandards, dann verliert der Egalitarismus seine Plausibilität, und was bleibt ist der illegitime Übergang vom Genug zum Gleichviel wie die anderen, von Universalität und Unparteilichkeit zu Egalität.

4.2. Kosmopolitische Überforderung Der Egalitarismus überstrapaziert Gerechtigkeit und lässt kaum Raum für nationale Identität und Parteilichkeit. Der Humanismus dagegen begrenzt das transnational moralisch Geforderte auf einen Sockel an Menschenrechten und auf globale Verteilungsgerechtigkeit. Im Surplusbereich oberhalb lässt er Platz für nationale Identität und Parteilichkeit. Er postuliert zwar, anders als Nietzsche, kein Recht auf ein gutes Leben, kein Recht auf Glück, «kein Vorrecht der Glocke mit vollem Klang». Doch ist die Unterstellung, dass unsere Welt bei geeigneter internationaler Organisation und Arbeit mehr als genug Ressourcen für alle abwirft und so nicht nur ein menschenwürdiges Leben für alle, sondern auch ein gutes Leben für einige möglich ist, nicht aus der Luft gegriffen. Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Anders als der liberale Egalitarismus stellt der Humanismus das Recht, auf rechtfertigungsunbedürftige Weise ein national anderer zu sein, unter moralischen Schutz, was Transfers zu Gunsten gefährdeter nationaler Gruppen und damit die Aufgabe der Neutralität notwendig machen kann. Auch so vermeidet der Humanismus eine kosmopolitische Überforderung. Womit ich bei meiner dritten und letzten These angelangt bin: Der Humanismus begründet anders als der kontraktualistische Egalitarismus moralische Rechte und Pflichten über anthropologische Einsichten. Im Humanismus kommt auch dem Los von Kulturen wie der Amish, die sich dem Prozess der ökonomischen Globalisierung verschließen, oder dem Los von geistig Behinderten, die zu Kooperation nicht fähig sind, moralisches Gewicht zu. Und das ist gut so.

Gleichheit ohne Grenzen?

21

Literatur Hinsch, W.: Globalisierung der Gerechtigkeit, in: G. Kohler, U. Marti (Hg.): Konturen der neuen Weltordnung, Berlin 2004, S. 287-299. Kambartel, F.: Unterscheidungen zur praktischen Philosophie (Manuskript) 1993. Krebs, A. (Hg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 2000. –– Arbeit und Liebe, Frankfurt a. M. 2002. –– Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), S. 235-253. Margalit, A.: The Moral Psychology of Nationalism, in: R. McKinn, J. McMahan (ed.): The Morality of Nationalism, Oxford 1997, S. 74-88. –– The Decent Society, Cambridge 1996; dt.: Politik der Würde, Berlin 1997. –– Human Dignity between Kitsch and Deification, (Manuskript) 2004. Miller, D.: On Nationality, Oxford 1995. Nietzsche, F.: Zur Genealogie der Moral, München 1999. Pogge, T.: Eine globale Rohstoffdividente, in: Analyse und Kritik 17 (1995), S. 183-208. Rawls, J.: The Law of Peoples, Cambridge 1999; dt.: Das Recht der Völker, Berlin 2002.

Studia philosophica 64/2005

THOMAS KESSELRING

Internationale Gerechtigkeit Auf der Suche nach Kriterien The article discusses the question about the criteria for a just society and a just world society. The guidelines for this discussion are offered, on the one hand by Peter Singer’s utilitarianism, on the other hand by John Rawls’s theory of justice. In unfolding their criteria, both authors proceed with the same method. However, as far as the content of their assertions is concerned, they reach different conclusions. In general, the Rawlsian position is more differentiated. As far as issues of international justice are concerned, it is however in need of elaboration. As a short excursus on Amartya Sen shows, a theory of international justice cannot do without utilitarian arguments.

1. Einleitung Was bedeutet «Gerechtigkeit», und was bedeutet «Gerechtigkeit» im Zusammenhang mit internationalen Beziehungen? Die Antworten auf diese Fragen gehen je nach philosophischer Position in unterschiedliche Richtungen. Der folgende Beitrag orientiert sich an der utilitaristischen Position von Singer einerseits und an der Gerechtigkeitstheorie von Rawls andererseits. Weshalb die Orientierung an diesen Autoren? Singer und Rawls gehen bei der Beantwortung der Frage nach den Kriterien einer gerechten Gesellschaft methodisch genau gleich vor, aber die Antworten, die sie geben, laufen zum Teil diametral auseinander. Für eine Erörterung von Gerechtigkeitskriterien ist das eine optimale Ausgangslage. Nach einer kurzen Exposition der Fragestellung (2.) will ich die methodischen Schritte skizzieren, die die inhaltlichen Überlegungen von Singer und Rawls leiten (3.), bevor ich die Argumentationen beider Autoren im Überblick darstelle (4. und 5.). Ein besonderes Gewicht erhält zum Schluss (6.) eine kritische Diskussion von Rawls’ Ausführungen über das Völkerrecht (Law of Peoples).

24

Thomas Kesselring

2. Ausgangspunkt der Fragestellung Aristoteles hat Gerechtigkeit in erster Näherung als eine Haltung bestimmt, die darauf ausgerichtet ist, Gleichen Gleiche(s) und Ungleichen Ungleiche(s) zuzufügen (vgl. Nikomachische Ethik 1131a23). Gerechtigkeit hat demnach etwas mit Gleichbehandlung zu tun, lässt sich aber nicht auf Gleichbehandlung reduzieren.1 Es gibt keine zwei einander in jeder Hinsicht gleiche Personen, und man kann hinzufügen: keine zwei gleiche Gesellschaften, keine zwei gleiche Nationen. Dennoch muss jede Erörterung über Gerechtigkeit von der Gleichheitsidee ausgehen – und zwar einfach deswegen, weil ein friedliches Zusammenleben auf Regeln angewiesen ist und weil Regeln innerhalb ihrer jeweiligen Kontexte immer einen gewissen Allgemeinheitsgrad haben. Es gibt Grauzonen, viele Regeln sind nicht präzis und nicht explizit. Sodann gibt es überall Ausnahmen – aber selbst das Sprichwort «Keine Regel ohne Ausnahme» verweist auf eine Regel, und wer nicht weiß, wie er in Ausnahmefällen vorgehen soll, ist dankbar um jede «Faustregel», die weiterhilft. Wenn wir nach den Gründen unseres Handelns befragt werden, nehmen wir in unserer Antwort nahe liegender Weise auf Regeln Bezug, die wir als bekannt voraussetzen, oder wir verweisen auf allgemein bekannte Verhaltensweisen. Dabei unterstellen wir gleichsam: «Das ist doch eigentlich immer so, das würde jemand anderes unter diesen Umständen ebenso machen.» Wenn wir unsere Handlungen begründen, erheben wir einen Anspruch auf Wahrheit und Verständlichkeit: Wir unterstellen, dass das, was wir sagen, nachvollziehbar ist, und zwar für Herrn Rot genau so wie für Frau Grün, für Herrn Schwarz genau so wie für Frau Weiß. Ungleichbehandlung ist demnach nichts anderes als eine Behandlung nach unterschiedlichen Regeln, und eine solche Behandlung ist genau dann ungerecht, wenn sie nicht nach universalistischen Kriterien begründet werden kann. 1

Hinter der aristotelischen These, dass Ungleiche(s) ungleich zu behandeln sei, steht die Idee der Proportionalität oder Verhältnisgleichheit: Je größer z. B. die Leistung einer Person ist, desto höher fällt die Gratifikation aus, die sie dafür erhalten soll (oder auch: je größer ihre Bedürftigkeit, desto höher der Anteil an Unterstützungsleistungen, die ihr zuteil werden sollten). Welche Leistung gegen welche andere aufgerechnet werden und nach welcher quantitativen Skala die Rechnung erfolgen soll, ist hingegen beides nicht festgelegt. Die Gleichheitsidee ist insofern rein formal.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

25

3. Wann ist Ungleichbehandlung gerechtfertigt? In der Praxis stellt sich die Gerechtigkeitsfrage vor allem in zwei Kontexten – bei der Verteilung von Gütern, Rechten, Pflichten (auch: bei der Zuteilung von Entscheidungsbefugnissen, also Macht) und beim Austausch von Gütern oder Leistungen (in diesen zweiten Kontext gehören Fragen der Entschädigung sowie der Strafe und Vergeltung). Unter den Philosophen der Gegenwart besteht ein breiter Konsens im Hinblick auf die folgenden Tatsachen.

3.1. «Alle Menschen sind gleich» – nur fragt sich: Inwiefern sind sie gleich? Menschen haben trotz der mannigfaltigen Ungleichheiten, die wir zwischen ihnen beobachten, prima facie das Recht auf Gleichbehandlung – gleiche Behandlung in gleichen Situationen – und auf Gleichheit vor dem (juristischen) Gesetz.

3.2. Wettbewerbsbedingte Ungleichheiten Ob sie wollen oder nicht, stehen Menschen zueinander in einem Wettbewerb um materielle und ökonomische Ressourcen, Ausbildungsplätze, berufliche Stellungen, soziale Rangpositionen, Aufmerksamkeit, Ansehen, Ehre, Macht, Einfluss usw. Es liegt in der Natur des Wettbewerbs (und ebenso des Marktes, denn der Markt setzt Wettbewerb voraus), dass Menschen darin ungleich abschneiden. Aus dieser Tatsache leitet sich ein Großteil der bestehenden sozialen Ungleichheit her. Als gerecht gilt das Ergebnis eines Wettbewerbs dann, wenn die Beteiligten dieselben Chancen gehabt haben, im Wettbewerb zu reüssieren. Genauer: Der Wettbewerb um berufliche und soziale Stellungen ist dann gerecht, wenn für alle Personen mit gleichen Fähigkeiten die Wahrscheinlichkeit, eine Vorzugsposition zu erringen (z. B. als Arzt oder Jurist), gleich hoch ist.

3.3. Zufalls- und naturbedingte Ungleichheiten In ihren Fähigkeiten unterscheiden sich die Menschen ganz erheblich. Insofern sind in den meisten Wettbewerbssituationen die Erfolgschancen

26

Thomas Kesselring

ungleich. Realisierung von Chancengleichheit bedeutet also noch nicht Gerechtigkeit in einem strikten Sinn. Die Suche nach präziseren Kriterien geht deshalb weiter. Für die unterschiedliche Ausstattung der Menschen mit Fähigkeiten gibt es unterschiedliche Ursachen. Im vorliegenden Zusammenhang gilt es drei Gruppen solcher Ursachen auseinander zu halten: gesellschaftlich bedingte Ursachen, natürliche Ursachen und Ursachen, die bei den einzelnen Personen selber liegen. Dazu ein paar Bemerkungen. Unsere Fähigkeiten hängen von unserer Ausbildung ab. Das Bildungswesen ist letztlich Sache der Politik und Gesellschaft. Die Qualität von Schulen, Universitäten, Lehrplänen, Lehrkräften usw. ist höchst unterschiedlich; Chancengleichheit gibt es also nicht in Reinkultur. Und gleiche Qualifikation in Abgangszeugnissen ist kein sicheres Anzeichen für das Vorliegen gleicher Fähigkeiten. Welche Fähigkeiten jemand entwickelt, ist zum Teil auch genetisch bestimmt. Die Vererbung kann man als eine Art natürlicher Lotterie verstehen. Ebenfalls zufällig sind die Gründe, warum ein Kind in eine Oberschicht- oder eine Unterschichtfamilie, in eine friedliche oder eher unfriedliche Familie, in diese oder jene Nation, diese oder jene soziale Minderheit usw. hineingeboren wird. Schließlich ist jeder Mensch für seine Fähigkeiten ein Stück weit selbst verantwortlich.2 Zumindest unterstellen wir dies mit einiger Selbstverständlichkeit, denn wenn eine uns nahe stehende Person einen Lehr- oder Universitätsabschluss bestanden hat, dann gratulieren wir in erster Linie ihr selbst und nicht ihren Lehrern, aber auch nicht ihren Eltern bzw. ihren Genen. Wenn wir besser verstehen wollen, was Gerechtigkeit ist, so liegt es also nahe, uns über die in den Abschnitten 3.1. bis 3.3. skizzierte Schrittfolge an das Problem heranzutasten. An diese halten sich – wohl nicht zufällig – auch zwei der bekanntesten Ethiker der Gegenwart – Peter Singer (1984, 2. Kap., v. a. S. 52ff.) und John Rawls (1975, §§ 11-13). Im Einzelnen benützen sie zwar unterschiedliche Argumente, doch weil sie

2

Diesen Punkt hat Rawls bei der Begründung seiner Gerechtigkeits-Prinzipien nicht ausreichend berücksichtigt. Entsprechend fehlt er auch in meiner früheren Rawls-Darstellung (Kesselring 2003, Kap. 4.3.). Auf der Ebene der internationalen Gerechtigkeit spielt die Idee der (kollektiven) Selbstverantwortlichkeit von Gesellschaften eine so entscheidende Rolle, dass sie nicht ausgeblendet werden kann; vgl. unten, Abschnitt 6.3., Beispiel ii).

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

27

sich der gleichen Schrittfolge bedienen, lassen sich ihre Argumente leicht miteinander vergleichen. Während Singer versucht, aus der utilitaristischen Grundidee ein Konzept der Gleichheit abzuleiten, geht Rawls von der Eigenständigkeit der Gerechtigkeitsidee aus und versucht, auf dieser aufbauend, die Idee einer Maximierung – einer Erweiterung von Freiheitsspielräumen oder einer Verbesserung des Lebensstandards – abzuleiten. Im Folgenden resümiere ich zunächst die Position von Singer, danach diejenige von Rawls.

4. Gerechtigkeit in utilitaristischer Sicht. Die Position von Peter Singer 4.1. Gleichbehandlung – in welcher Hinsicht? [vgl. 3.1.] Singer beantwortet diese Frage unter Hinweis auf ein Prinzip, das er als «Prinzip der gleichen Interessenabwägung» bezeichnet:3 Bei der Abwägung einer Maßnahme zählen die Interessen unterschiedlicher Personen gleich viel, vorausgesetzt, sie sind von der Maßnahme gleich stark betroffen. Bei ungleicher Betroffenheit gewichten auch die Interessen ungleich stark: «Wenn X und Y von einer möglichen Handlung betroffen wären und X dabei mehr zu verlieren als Y zu gewinnen hätte, ist es besser, die Handlung nicht zu tun.» (Singer 1984, S. 32) Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung ist also in einen utilitaristischen Kalkül eingebettet. Die individuellen Interessen bilden gleichsam die Währungen, in denen gerechnet wird, und die unterschiedlichen Grade der Betroffenheit bestimmen den Umrechnungskurs zwischen diesen Währungen. Der utilitaristische Kalkül hat es vor allem mit Fragen der Maximierung zu tun. Wesentlich dabei ist das Prinzip des Grenznutzens. Dieses Prinzip geht von der Beobachtung aus, dass der Nutzen einer konstanten Gütereinheit nicht immer gleich groß ist. Wer sich hungrig ans Frühstück setzt, verspeist das zweite und dritte Brötchen wahrscheinlich mit geringerer Lust als das erste. Der Nutzenzuwachs (bzw. der Lustge3

Das «Prinzip der gleichen Erwägung von Interessen» besteht darin, «dass ich, wenn ich ein moralisches Urteil abgebe, […] die Interessen aller Betroffenen berücksichtigen muss. Dies bedeutet, dass wir die Interessen einfach als Interessen abwägen, nicht als meine Interessen oder die Interessen der Australier oder die Interessen der Weißen.» (Singer 1984, S. 32)

28

Thomas Kesselring

winn) durch jedes weitere Brötchen sinkt bald einmal gegen Null. Aus dieser Tatsache lässt sich ein Argument für die These gewinnen, dass eine gleiche Verteilung oft den größten kollektiven Nutzen erzeugt: Eine Lieferung von hundert Brötchen an ein Flüchtlingscamp mit 50 Erwachsenen stiftet dann den größten Nutzen, wenn sie gleichmäßig auf die 50 Personen (gleiche Bedürftigkeit vorausgesetzt) verteilt wird. Beansprucht eine Person für sich mehr, so erhalten andere entsprechend weniger; die Summe des erzielten Nutzens fällt dann geringer aus als bei einer Gleichverteilung.

4.2. Die Idee der Chancengleichheit [vgl. 3.2.] Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung schafft noch keine gerechten Verhältnisse. Menschen befinden sich zueinander oft in einer Wettbewerbssituation und auf dem Markt gehen sie Tauschaktionen ein. Obwohl im Wettbewerb alle Teilnehmer unterschiedlich abschneiden, käme niemand auf die Idee, das Ergebnis eines Wettbewerbs deswegen als ungerecht zu empfinden. Auch dass sich die Preise für ein Barrel Öl in verschiedenen Märkten voneinander unterscheiden, ist nicht per se ungerecht. Zu den Gerechtigkeitskriterien auf dem Markt (und im Wettbewerb) gehört die Einhaltung von Fairnessregeln durch alle Teilnehmer. Von Bedeutung ist außerdem, dass alle Menschen zum Markt (bzw. zum Wettbewerb) ungehinderten und gleichen Zugang haben und dass die Aussichten, auf dem Markt bestimmte knappe Güter zu erwerben bzw. im Wettbewerb zu reüssieren, für alle in etwa gleich groß sind. Singer diskutiert daher die Idee der Chancengleichheit [equality of opportunity] relativ ausführlich. Obwohl er zunächst den Eindruck erweckt, mit dieser Idee zu sympathisieren, weist er sie am Ende zurück. Die Begründung lautet, dass die Fähigsten von der Chancengleichheit am meisten profitieren und dass das Kriterium der Bedürftigkeit dabei keinerlei Rolle spiele. Chancengleichheit ist […] kein attraktives Ideal. Sie belohnt die Glücklichen, die solche Fähigkeiten erben, die es ihnen erlauben, interessante und einträgliche Berufswege zu beschreiten. Sie bestraft die Unglücklichen, deren genetische Konstellation ihnen einen ähnlichen Erfolg sehr erschwert. (Ebd. S. 54)

Singer empfiehlt stattdessen ein System, das primär die Anstrengungen der Menschen honoriert. Das hätte den Vorteil, «dass jemand besser bezahlt wird, wenn er nahe an der oberen Grenze seiner Fähigkeiten arbeitet, was

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

29

auch immer diese sein mögen» (ebd. S. 58). Dieser Vorschlag läuft auf die unter Ökonomen weit verbreitete These hinaus, eine Gesellschaft sei gerecht, wenn sie die ‹richtigen› Anreize zur Optimierung der individuellen Leistungen setze. Dieser Vorschlag setzt allerdings voraus, dass am Erfolg einer Leistung die Anteile des Faktors angeborene Fähigkeiten bzw. Eigeninitiative und des Faktors Sozialisation und Erziehung immer deutlich unterscheidbar sind. Diese Voraussetzung ist in der Praxis selten erfüllt. Deshalb verwirft Singer, wie gesagt, das Prinzip der Chancengleichheit.4

4.3. Naturgegebene und zufallsbedingte Ungleichheiten [vgl. 3.3.] An dieser Stelle fragt Singer weiter: Wie soll man den Wirkungen sozialer Ungleichheiten begegnen, die auf Faktoren beruhen, für die die Betroffenen nicht selber verantwortlich sind und die auch der Gesellschaft als solcher nicht angelastet werden können? Etwas anders gefasst, lautet die Frage: Wie sollen wir mit naturgegebenen oder zufallsbedingten Differenzen umgehen? – Singer diskutiert verschiedene Vorschläge, verwirft aber die meisten: Verteilt man die Vermögen um, so leidet der Anreiz zum Erbringen besonderer Leistungen und man muss womöglich mit Spannungen rechnen. Nivelliert man die Lohnkategorien, so wandern die Hochlohngruppen ab, und schafft man das Unternehmertum ab, so leidet die Wirtschaft. Am besten schneidet noch der (von Singer lediglich kurz erwähnte) Vorschlag ab, die Einkommensdifferenzen so weit zu verringern, wie dies möglich ist, ohne das Anreizsystem zu gefährden (ebd. S. 57). Eine längere Erörterung widmet Singer der Frage der Diskriminierung. Dabei verteidigt er zunächst, was nicht weiter erstaunlich ist, die Auffassung, dass es keine Gründe gibt, bei Geschlechter- oder ethnischen Differenzen auf die Anwendung des Prinzips gleicher Interessenabwägung zu verzichten.5 Interessant ist seine Begründung: Wer biologische und ge4 5

Zu analogen Überlegungen bei Amartya Sen vgl. unten, Abschnitt 6.2. Eine zusätzliche Unterscheidungs-Dimension, die es hier zu berücksichtigen gilt, ist die der körperlichen bzw. geistigen Behinderungen, Krankheiten und der durch das Alter bedingten Benachteiligungen. Weitere Unterschiede, wie Zugehörigkeit zu einer Religions-, Kultur- und/oder Sprachgemeinschaft, hängen zwar vom sozialen Leben ab, doch sind sie ihrerseits weitest gehend zufallsbedingt. Zudem ist keine Gesellschaftsordnung denkbar, der es gelingen könnte, derartige Unterschiede ein für alle Mal zu beseitigen.

30

Thomas Kesselring

burts- oder herkommensbedingte Unterschiede zum Anlass für signifikante, z. B. rassistische Ungleichbehandlung nehme, der begehe in beiden Fällen einen logischen Fehler, indem er zwei Dinge zusammenwerfe, die nichts miteinander zu tun hätten – nämlich biologische Eigenschaften und Interessen. Hier komme es zu einer Vermischung von ethnischen oder Geschlechterdifferenzen mit sozialer Ungleichheit, was einer Spaltung der Gesellschaft Vorschub leiste (ebd. S. 60): Bei der unterlegenen Gruppe verstärke sich das Gefühl der Ausweglosigkeit, da man ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht nicht willkürlich ändern könne (ebd.).6 Im gleichen Kontext erörtert Singer auch die so genannte «umgekehrte Diskriminierung» – die kompensatorische Besserstellung einer diskriminierten Gruppe. Beispiele sind die Festlegung einer Frauenquote oder einer Quote für ethnische Minderheiten. Es liegt auf der Hand, dass man die Chancen benachteiligter Gruppen nicht verbessern kann, ohne an den Chancen der besser gestellten Mehrheit zu rühren. Um solche Maßnahmen ethisch bewerten zu können, so Singer, müsse man feststellen, ob sie gegen das Prinzip der gleichen Interessenabwägung verstießen (ebd. S. 61). Das sei in der Regel zwar nicht der Fall: Die Entscheidung etwa, wer zu einer höheren Ausbildung zugelassen werden solle, stützt sich immer auf Kriterien, und diese Kriterien sind von den Interessen der Bewerber unabhängig; diese Interessen werden nicht gegeneinander abgewogen und es gibt «kein angestammtes Recht auf Zulassung» (ebd. S. 65). Dennoch äußert sich Singer auch der umgekehrten Diskriminierung gegenüber skeptisch. Diese arbeitet nämlich mit denselben – biologistischen oder sexistischen – Grenzziehungen wie die direkte Diskriminierung. Solange man den Gebrauch solcher Kriterien nicht grundsätzlich in Frage stelle, be6

Diese Argumentation vermag nicht völlig zu überzeugen. Die wesentlichen Interessen einer Person können von ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihrem Geschlecht zwar sehr wohl unabhängig sein, müssen es aber nicht zwingend. Eine Person kann wesentliche Interessen auch als Frau oder als Mann, bzw. als Mitglied eines Indio- oder Aborigines-Stammes haben. Ausserdem ist Singers Unterscheidung zwischen wesentlichen Interessen und Interessen im Allgemeinen unscharf. Diese Unterscheidung benötigt er aber, denn damit sein Prinzip der gleichen Interessenabwägung funktionieren kann, müssen die verschiedenen möglichen Interessen zuvor gewichtet und auf ihre Legitimität hin überprüft worden sein. Auf keinen Fall dürfen z. B. das sadistische Interesse, sich am Leiden anderer zu delektieren, und das Interesse, am Wohlergehen von Freunden teilzuhaben, gleich stark gewertet werden.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

31

stehe immer die Gefahr, dass eine Politik der Besserstellung einer Minderheit unter ungünstigen Bedingungen in ihr Gegenteil umschlage. Eine Politik der umgekehrten Diskriminierung stifte daher längerfristig womöglich mehr Schaden als Nutzen.

4.4. Singer über internationale Gerechtigkeit Innerhalb des utilitaristischen Lagers gehört Singer zweifellos zu den Autoren, die am dezidiertesten und am engagiertesten für Gerechtigkeit eintreten. Das zeigt sich auch in seinem jüngsten Buch (Singer 2002), worin er ausdrücklich auf Fragen der internationalen Wirtschaft und der Entwicklungshilfe eingeht. Seinem Engagement für internationale Gerechtigkeit liegt eine konsequent utilitaristische Argumentation zu Grunde, deren Vorzüge sich anhand seiner Ausführungen zum Thema Spenden für Entwicklungs- und Nothilfe besonders gut aufzeigen lassen: Jeder kleinere Geldbetrag, der in ein Programm der Notlinderung gesteckt wird – z. B. 50 Dollar –, erzielt bei den Empfängern einen spürbaren Effekt, wogegen der Verzicht auf 50 Dollar einem Wohlstandsbürger kaum Schmerzen bereitet. Jede Spende, die sich durch eine solche Nutzen-Differenz auszeichnet, erhöht die Summe des Gesamtwohls. Der Nutzenzuwachs, den eine Spende für den Empfänger bedeutet, nimmt allerdings, wenn immer weiter gespendet wird, in dem Maße ab, in dem sich seine Bedürfnisse dem Sättigungspunkt nähern. Und im Gegenzug dazu wird ein Wohlhabender, der immer mehr von seinen Mitteln weggibt, früher oder später an die Schmerzgrenze gelangen: Je weiter seine Lebensqualität abnimmt, desto größer wird der relative Verlust, den die Weggabe jedes weiteren konstanten Betrages mit sich bringt. Auf der Grundlage dieser Überlegung beantwortet Singer die Frage, bis zu welchem Punkt wir mit der Unterstützung von Benachteiligten gehen sollen, zunächst mit dem Hinweis auf die Idee des Grenznutzens: Man sollte mit seiner Hilfe nicht so weit gehen, dass man selber durch weitere Hilfeleistung mehr verliert als der Hilfsempfänger gewinnt.7 7

Die verschiedenen Antworten, die hier referiert werden, gibt Singer alle in Singer (1972 und 1984). Jeder sollte «give as much as possible, that is, at least up to the point at which by giving more […] one would cause oneself and one’s dependents as much suffering as one would prevent» (Singer 1972, S. 234).

32

Thomas Kesselring

Singer nennt noch ein anderes Kriterium, das zeigt, dass die kritische Schwelle in der Praxis normalerweise sehr viel früher erreicht ist: Der Geschäftsmann, der mit seinem Engagement für die Nothilfe so weit geht, dass er sich keinen Wagen oder keine gute Kleidung mehr leisten kann, gefährdet seine berufliche Stellung. Man soll mit der Unterstützung Notleidender nicht so weit gehen, dass man dadurch das Fundament für sein künftiges Engagement zu Gunsten Hilfsbedürftiger vernichtet. Singer plädiert also nicht für Gleichverteilung. Im Gegenteil, soziale Ungleichheit ist, Singer zufolge, so weit in Kauf zu nehmen, als sie geeignet ist, die gesamtgesellschaftliche Nutzensumme zu steigern. Die utilitaristische Argumentation ist stets dieselbe, gleichgültig welches die Größenordnung des betrachteten Gegenstands ist – eine kleine Gruppe, eine nationale Gesellschaft oder die Weltgesellschaft als ganze. Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung und das Prinzip des Grenznutzens haben auf allen Ebenen in gleicher Weise Gültigkeit. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil des Utilitarismus. Dennoch hat dieser auch unübersehbare Schwächen. Eine dieser Schwächen liegt darin, dass der Grad der Verpflichtung zur Hilfe an Notleidenden nicht davon abhängt, ob diese unsere Antipoden sind oder ob sie in unserer unmittelbaren Nähe leben. Der Verbindlichkeitsgrad einer Verpflichtung wird nicht von der geographischen, verwandtschaftlichen oder ethnischen Distanz beeinflusst, es sei denn, diese wirke sich auf die Größe des zu betreibenden Aufwandes aus. Sollte sich zeigen, dass ich in einer bestimmten Situation Menschen in Afrika oder Südasien effizienter helfen kann als einer Gruppe von Landsleuten, dann sollte ich dies aus utilitaristischer Sicht tun, auch wenn mich mit den Menschen, denen meine Hilfe zugute kommt, sonst nichts verbindet.

4.5. Evaluation des Singer’schen Ansatzes Singers Argumentation ist außerordentlich differenziert und mit seinen utilitaristischen Prämissen gelangt er erstaunlich weit. Dennoch vermag seine Argumentation nicht in allen Punkten zu überzeugen. So bleibt erstens unplausibel, wieso die Frage, ob man Personen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit bzw. ihres Geschlechts diskriminieren dürfe, eine Frage des sozialen Nutzens sein soll. Es geschieht leider allzu häufig, dass Mehrheiten Minderheiten drangsalieren, weil es ihnen nützt. Singers Argument, Rassen- und Geschlechterdiskriminierung seien abzulehnen,

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

33

weil sie zu sozialen Spannungen und Unfrieden führen könnten, ist angesichts der Tragweite des Problems zu schwach. Es hat ungerechte Gesellschaften gegeben, die von sozialen Spannungen verschont geblieben sind, weil die Gruppe der Diskriminierten nicht nur nicht aufmuckte, sondern ihr Schicksal geradezu als gottgegeben hinnahm. Ginge es lediglich darum, dem Umschlagen ethnischer Diskriminierung in blutige Unruhen vorzubeugen, so wäre man mit einem diktatorischen Regime womöglich besser bedient als mit einem demokratischen. Aber das rechtfertigt weder Diskriminierungen noch eine Diktatur. Eine zweite Schwäche liegt in der Annahme, individuelle Interessen seien so weit untereinander vergleichbar, dass man sie eindeutig gegeneinander verrechnen und als Bausteine für einen allgemeinen Nutzenkalkül verwenden könne. Diese Annahme folgt aus Singers Grundthese, dass man das menschliche Wohl in seiner Gesamtsumme am konsequentesten fördert, wenn man bei seinen Entscheidungen die Interessen aller Betroffenen systematisch gegeneinander abwägt und die Interessen der im gleichen Maß Betroffenen auch gleich gewichtet. Diese These lässt unberücksichtigt, dass manche Personen skurrile und sadistische, ja perverse Interessen haben, deren Durchsetzung vielleicht sogar menschenrechtswidrig ist. Wenn also mehrere Personen von einer politischen Maßnahme ‹gleich betroffen› sind, so heißt das noch lange nicht, dass ihre Interessen alle gleich stark gewichtet werden müssen. Sobald man das Prinzip des Grenznutzens beizieht (was Singer tut), werden die Dinge noch komplizierter. Denn nun stellt sich die Frage, ob die Nutzensumme (das größte Wohl der größten Zahl) in einer relativ egalitären Gesellschaft im Allgemeinen wirklich höher ist als in einer relativ inegalitären Gesellschaft. Viele Ökonomen verteidigen extreme Ungleichverteilungen und extreme Lohndifferenzen just mit dem Argument, sie dienten der Erhöhung des Gemeinwohls. Auf die Frage, ob ein Utilitarist zulassen würde, «dass der Abbau einer Ressource, deren Nutzung zur Hebung des durchschnittlichen Wohlstands notwendig erscheint, mit Menschenleben, wenn nicht gar mit dem Verschwinden indigener Minderheiten, erkauft wird» (Kesselring 2003a, S. 273), hat Singer kürzlich zweierlei geantwortet: (1) «Admittedly, in some circumstances, the need to provide resources for those who might otherwise lead greatly impoverished lives will have to be balanced against the harm to indigenous peoples.» (Singer 2003, S. 288f.) (2) Dem Argument, man solle anderen nicht den Zugang zu den Ressourcen abschneiden, die für ein menschenwürdiges Leben erforderlich sind, sei zwar zuzustimmen, doch spreche dieses Argument nicht nur zu Gunsten, son-

34

Thomas Kesselring

dern auch gegen die Interessen der indigenen Völker: «It would not be difficult to argue that indigenous people who occupy land that contains great mineral wealth, and refuse to allow mining on their land, are violating that obligation.» (ebd.) Diese Antwort hat etwas Irritierendes. Man betrachte das folgende Beispiel: Kurz nachdem die Insel Tasmanien von Weißen entdeckt worden ist, kam es zur Ausrottung der dortigen Urbevölkerung. Zwar waren nicht Bodenschätze dafür das Motiv, sondern das Land – das auf seine Weise auch eine knappe Ressource darstellt. Aber das ändert nichts daran, dass hier ein Volk aus letztlich utilitaristischen Gründen eliminiert wurde. Es ist nicht anzunehmen, dass Singer diesen Genozid rechtfertigen würde. Aber wie würde er dagegen argumentieren? Zwischen einer Argumentation, die sich auf Grundrechte stützt, und utilitaristischen Argumenten besteht ein Konkurrenzverhältnis, das sich anhand zahlreicher Beispiele illustrieren ließe. Stellvertretend für andere, hier ein höchst aktuelles: Simbabwes Präsident, Robert Mugabe, hat in den vergangenen Jahren die weißen Farmer enteignet – mit der Konsequenz, dass das Land, das früher einen Großteil seiner Agrarprodukte exportieren konnte, heute nicht einmal mehr in der Lage ist, sich selbst zu ernähren. Aus utilitaristischer Sicht ist diese Enteignungspolitik verheerend. Dennoch wird sie von vielen Schwarzafrikanern – darunter Thabo Mbeki (Präsident Südafrikas) – offen oder heimlich bewundert: Mugabe hat es fertiggebracht, das enorme Machtgefälle zwischen Weiß und Schwarz, das eklatant diskriminatorische Züge trug, zu verringern. Es wäre einseitig zu behaupten, die afrikanische Optik sei schlechthin absurd: Jeder Afrikaner weiß, dass die Landwirtschaftsproduktion […] im ehemaligen Süd-Rhodesien erheblich schrumpfen, dass Simbabwe durch die drastische Verminderung seiner Export-Erträge an den Rand der finanziellen Katastrophe geraten wird, sobald die dortigen Latifundien von afrikanischen Kleinbauern übernommen werden. Aber Mugabe hat zwanzig Jahre lang die exorbitanten Privilegien der weißen Pflanzer respektiert. Soll den schwarzen Bürgern von Simbabwe der Besitz von eigenem Land und Boden vorenthalten werden, weil der Afrikaner angeblich unfähig ist, ertragsorientierte Agrarwirtschaft zu betreiben? (Zitat eines anonymen Südafrikaners, in: Scholl-Latour 2003, S. 356f.)

Singer dürfte diese Frage bejahen. Wenn man aber mit dem Argument, die Schwarzen seien weniger kompetent als die Weißen, ein Machtgefälle zwischen Weißen und Scharzen befürwortet, bis zu welchem Punkt darf dieses Machtgefälle dann gehen? Der Hauptmangel an Singers Theorie liegt zweifellos darin, dass er die Grund- oder Menschenrechte nirgends systematisch in die Argumentation

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

35

einbaut. Erst auf der Basis einer klaren Theorie der Menschenrechte lassen sich Dilemmata wie die erwähnten sinnvoll erörtern. Das gewichtigste Menschenrecht ist zweifellos das Recht auf Leben. Es wiegt schwerer als das Recht auf Eigentum. Enteignungsmaßnahmen können die wirtschaftliche Entwicklung hemmen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die, dass die Sicherung elementarer Menschenrechte (insbesondere des Rechts auf Leben, bei landlosen Bauern also auf Gelegenheit zur Subsistenzwirtschaft) ein genügend gewichtiges Anliegen ist, um – als ultima ratio – Enteignungsmaßnahmen zu rechtfertigen.

5. Gerechtigkeit aus deontologischer Sicht: John Rawls Rawls vollzieht in seiner Theorie der Gerechtigkeit die Schritte (1) bis (3) ebenfalls, wobei er mit jedem Schritt ein bestimmtes Gerechtigkeitskriterium einführt. Seine Argumentation unterscheidet sich von derjenigen Singers aber in charakteristischer Weise.

5.1. Das erste Gerechtigkeitskriterium [vgl. 3.1.] Rawls geht, wie Singer, von der Erfahrung aus, dass Menschen ungleich sind und in ungleichen Verhältnissen leben und dass sich trotzdem bzw. gerade deswegen die Gerechtigkeitsfrage stellt. Könnten die Menschen in einer Art Urzustand über die Ordnung ihrer Gesellschaft abstimmen, so würden sie dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit hohe Priorität einräumen und sich auf ein paar Prinzipien einigen, deren erstes und wichtigstes Rawls wie folgt formuliert: «Jede Person hat den gleichen Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundrechte und Freiheiten, das mit demselben System für alle vereinbar ist.» (Rawls 1998, S. 69) In seiner Analyse dessen, was eine gerechte Gesellschaftsordnung ist, stellt Rawls also die persönlichen Grundrechte ins Zentrum – genau das, was Singer systematisch beiseite lässt. Diese Rechte lassen sich, wie Rawls immer wieder betont, aus utilitaristischen Prämissen nicht ableiten. Rawls argumentiert ganz anders als Singer: Dass wir uns solche Rechte gegenseitig zugestehen, ist eine Notwendigkeit, wenn wir miteinander in fairer Weise kooperieren wollen. Der Rekurs auf ein System gleicher Grundrechte und Grundfreiheiten nimmt in Rawls’ Überlegungen eine

36

Thomas Kesselring

ähnliche Schlüsselstellung ein wie das Prinzip der gleichen Interessenabwägung bei Singer. Vom ersten Gerechtigkeitsgrundsatz existieren eine frühere und eine spätere Fassung. Die frühere, in der Theorie der Gerechtigkeit, ist noch deutlich von Rawls’ utilitaristischen Anfängen gekennzeichnet. Sie lautet: «Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.» (1975, S. 81) Für ein vertieftes Verständnis dieses Grundsatzes ist es hilfreich, die Gründe in Erinnerung zu rufen, die Rawls dazu geführt haben, dessen ursprüngliche Version später zu verwerfen. Rawls vertrat zunächst die Auffassung, die Grundrechte dienten der Bestimmung von Freiheiten bzw. Freiheitsspielräumen. Er sprach daher häufiger von Grundfreiheiten als von Grundrechten. Eine Gesellschaftsordnung sei um so besser und gerechter, je umfangreicher die Freiheiten seien, über die die Bürger verfügten – vorausgesetzt, das System der Freiheiten sei für alle dasselbe (ebd. S. 282). Dieses «Prinzip der größtmöglichen gleichen Freiheit» (ebd. S. 146) hat Rawls mit zwei Thesen ergänzt: Erstens sei Freiheit das höchste Gut, und deshalb dürfe sie wegen keiner anderen Güter eingeschränkt werden. («Freiheit kann nur um der Freiheit willen eingeschränkt werden.» Ebd. S. 283 und 336) Zweitens solle Freiheit gleich verteilt sein, «so weit nicht eine ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht» (ebd. S. 83). Wenn also eine Ungleichverteilung von Freiheitsspielräumen dazu führe, dass alle Mitglieder der Gesellschaft dadurch mehr Freiheiten gewännen, so sei diese Ungleichverteilung gerechtfertigt.8 Mit dieser ursprünglichen Interpretation des ersten Gerechtigkeitskriteriums gerät Rawls aber, wie der Rechtsphilosoph Hart nachgewiesen hat, in unüberwindliche Schwierigkeiten (Hart 1998). Man kann Freiheitsspielräume nicht quantifizieren und rechnerisch vergleichen, ohne dabei auf ähnliche Probleme zu stoßen wie der utilitaristische Versuch, Interessen (oder Bedürfnisse) kalkulierend zu vergleichen. Die Rede von mehr oder 8

Ein Beispiel zur Konkretisierung: Innerhalb von segmentären Gesellschaften, die sich nur bei Jäger-Sammler- und Hirtengesellschaften finden, besteht so gut wie kein Machtgefälle, die Freiheitsspielräume sind in etwa gleich verteilt, aber diese Freiheiten sind erheblich geringer als die Freiheiten, über die die Bürger eines Wohlfahrtsstaats verfügen: Hier sind die Freiheiten zwar ungleich verteilt, aber selbst die am meisten Benachteiligten haben in der Regel erheblich mehr Freiheiten als die Mitglieder einer segmentären Gesellschaft.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

37

weniger Freiheit bleibt unklar. Die These, Freiheit dürfe nur um der Freiheit willen eingeschränkt werden, ist unplausibel und wird nicht einmal von Rawls’ eigenen Empfehlungen gestützt. Rawls schlägt beispielsweise vor, die Eigentumsfreiheit nicht auf das Eigentum an Produktionsmitteln auszudehnen, sondern auf das Eigentum an Konsum- und Gebrauchsgütern einzuschränken (Rawls 1975, S. 83). Dieser Vorschlag ebnet aber offenbar keinen umfangreicheren Freiheitsspielräumen welcher Art auch immer den Boden; vielmehr zielt er darauf ab, die Gefahr der Entstehung sozialer Ungleichheiten zu verringern und die Bedingungen des sozialen Friedens zu verbessern. Rawls hat daher in seinen späteren Werken den ersten Gerechtigkeitsgrundsatz neu gefasst. In der revidierten Fassung ist nur noch die Rede vom «gleichen Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundrechte und Freiheiten, das mit demselben System für alle vereinbar ist» (Rawls 1998, S. 69). Ausschlaggebend für die Gerechtigkeit einer gesellschaftlichen Ordnung ist also nun, dass alle Mitglieder der Gesellschaft die gleichen Grundrechte genießen. Die gegenseitige Anerkennung der Grundrechte auferlegt allen Gesellschaftsmitgliedern gewisse Freiheitseinschränkungen, aber nicht alle Grundrechte stehen ihrerseits für Freiheiten im engeren Wortsinn. Das Recht auf Leben z. B. greift tiefer: Tötung ist mehr als Freiheitsberaubung. Und hinter den Rechten auf Grundausbildung und Arbeit verbergen sich (zunächst) eher Pflichten als Freiheiten. Wir müssen, um in einer modernen Gesellschaft in Würde zu überleben, die Schule besuchen und arbeiten; doch haben wir gemäß der Erklärung der Menschenrechte das Recht, vom Staat bzw. von der Gesellschaft, in der wir leben, eine Politik zu erwarten, die gute Schulen und eine genügende Zahl von Arbeitsplätzen garantiert. Rawls hat nie endgültig geklärt, auf welches Ensemble von Grundrechten sich das erste Gerechtigkeitskriterium bezieht. In seinen Schriften hat er unterschiedliche Grundrechtslisten angedeutet.9 Hingegen hat er für die 9

In der Theorie der Gerechtigkeit erwähnt Rawls die folgenden Grundrechte: politische Freiheit (aktives und passives Wahlrecht), Rede- und Versammlungsfreiheit, Gewissens- und Gedankenfreiheit, persönliche Freiheit (Schutz vor physischer und psychologischer Misshandlung und Verstümmelung), Schutz des Eigentums, Schutz vor willkürlicher Festnahme und Haft (1975, S. 82). Im Spätwerk sieht die Liste deutlich anders aus. Rawls nennt dort das Recht auf Leben (und auf die Mittel für Subsistenz und Sicherheit), Recht auf Freiheit (Freiheit von Sklaverei, Leibeigenschaft [serfdom] und erzwungener

38

Thomas Kesselring

Zusammenstellung solcher Listen ein klares Kriterium formuliert: Menschenrechte sind in letzter Instanz Bedingungen der Möglichkeit für eine friedliche Kooperation. «What have come to be called human rights are recognized as necessary conditions of any system of social cooperation.»10

5.2. Das zweite Gerechtigkeitskriterium [vgl. 3.2.] Mit dem Schutz der elementaren Grundrechte für alle ist der erste und wichtigste Schritt in Richtung Gerechtigkeit vollzogen. An eine gerechte Gesellschaftsordnung sind aber weiter gehende Anforderungen zu stellen. Denn die Sicherung eines Kerns von Grundrechten kann in einer Wettbewerbsgesellschaft – Rawls nennt sie ein «System der natürlichen Freiheit» (1975, S. 92) – nicht verhindern, dass die Menschen, bildlich gesprochen, mit ungleich langen Spießen fechten. Diese Ungleichheit verweist auf eine Gerechtigkeitslücke, zu deren Schließung es eines zusätzlichen Kriteriums bedarf. Eine gerechte soziale Ordnung muss «mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit offenstehen» (ebd. S. 69). Als Beispiele für politische Maßnahmen zur Erreichung der Chancengleichheit nennt Rawls die «Verhinderung übermäßiger Vermögenskonzentrationen» und die «Aufrechterhaltung gleicher Bildungschancen für alle». Anders gesagt, «[…] das Schulsystem, ob öffentlich oder privat, sollte auf den Abbau von Klassenschranken ausgerichtet sein». (Ebd. S. 93f.) Rawls versteht unter Chancengleichheit genau dasselbe wie Singer, und wie Singer anerkennt Rawls die Unzulänglichkeit des Prinzips der Chancengleichheit: Die Forderung gleicher Bildungs- und AufstiegsChancen beschränkt sich auf alle gleich fähigen und gleich tüchtigen Personen und berücksichtigt nicht auch naturgegebene und zufallsbedingte Ungleichheiten – Begabungsunterschiede etwa. Während aber Singer dieses Prinzip verwirft, weil es den Einfluss der Milieuumstände auf die Fähig-

10

Beschäftigung, Gewissens-, Gedanken- und Religionsfreiheit, Recht auf persönliches Eigentum, Recht auf Rechtsgleichheit: gleiche Fälle werden gleich behandelt (1999, S. 65). Andernorts fügt Rawls noch die Sicherheit vor ethnischen Ausschreitungen und Massenmord hinzu (ebd. S. 79). Rawls (1999), S. 68. Die Rechte der zweiten Liste (vgl. Anm. 9) entsprechen diesem Kriterium deutlich besser als diejenigen der ersten.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

39

keiten nicht mitberücksichtigt,11 akzeptiert es Rawls in dem Umfang, für den es ausgelegt ist. Dass die Bedingungen für gerechte Verhältnisse damit noch nicht hinreichend bestimmt sind, betont aber auch Rawls. Wie können – so die Anschlussfrage – unsere Institutionen so verbessert werden, dass die Idee der Chancengleichheit nicht mehr mit Füßen getreten wird?

5.3. Das dritte Gerechtigkeitskriterium [vgl. 3.3.] «Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu regeln, dass sie […] den am wenigsten Begünstigten die bestmöglichen Aussichten bringen.» (Ebd. S. 104) Dieses dritte Gerechtigkeitskriterium bezieht sich auf den Lebensstandard bzw. auf die materielle Ausstattung der Menschen. Die Grundidee ist folgende: Wer in der ‹natürlichen Lotterie› schlecht weggekommen ist, hat verringerte Entfaltungsmöglichkeiten und ist insofern benachteiligt. Doch diese Benachteiligung stellt als solche noch keine Ungerechtigkeit dar (ihre Ursache ist zufallsbedingt und kann deswegen nicht der Gesellschaft angelastet werden); von einer Ungerechtigkeit lässt sich vielmehr dann sprechen, wenn es die Gesellschaft versäumt, den Menschen, die unter solchen zufallsbedingten Benachteiligungen leiden, ihr Los zu erleichtern. Eine Gesellschaftsordnung ist insbesondere dann ungerecht, wenn die Privilegierten ihre Vorteile nicht dazu nutzen, die Lebensverhältnisse der Benachteiligten, und zwar in erster Linie der am meisten Benachteiligten, verbessern zu helfen. Sind die gehobenen Positionen in der Gesellschaft mit besonders kompetenten und verantwortungsbewussten Personen besetzt, so genießen im Endeffekt alle Bürger, in der Regel auch die am meisten benachteiligten, einen höheren Lebensstandard, als wenn weniger begabte und weniger verantwortungsbereite Personen in die Spitzenpositionen aufstiegen. Diese Überlegung hat zwei Aspekte: Sie macht deutlich, dass es unter bestimmten Bedingungen ethisch gerechtfertigt sein kann, den Wettbe11

Es ist nicht einsichtig, wieso man ein Kriterium, das nicht für alle auftretenden Fälle tauglich ist, auch für diejenigen Fälle verwerfen sollte, auf die es passt. Allerdings überrascht es kaum, dass sich der Utilitarismus mit der Idee der Chancengleichheit schwer tut. Vom Nützlichkeitsprinzip her lässt es sich jedenfalls nicht begründen.

40

Thomas Kesselring

werb um Stellungen, die von ihren Inhabern ein höchstes Maß an Verantwortung verlangen, auf die besonders ‹Fähigen› zu begrenzen. Wichtiger ist der andere Aspekt: Ob eine politische (oder wirtschaftspolitische) Maßnahme geeignet ist, die gesellschaftliche Ordnung gerechter zu gestalten, ist eine Frage, über die nicht nur die soziale ‹Elite› zu entscheiden hat, sondern auch und vor allem die Gruppe der am meisten Benachteiligten. Sie ist das Zünglein an der Waage. Das dritte Kriterium ist das so genannte Differenzprinzip oder Unterschiedsprinzip: Es nennt die Bedingungen, unter denen soziale Unterschiede und differente Chancen als gerecht zu qualifizieren sind. Die drei Gerechtigkeitskriterien sind weder auswechselbar noch einander gleichrangig. Zwischen ihnen besteht ein klares Prioritätenverhältnis. Am wichtigsten ist das erste Kriterium – alle Mitglieder der Gesellschaft sollen in den Genuss der elementaren Grundrechte gelangen. Es folgt das zweite Kriterium – die Chancengleichheit. Gäbe es keine naturbedingten Ungleichheiten zwischen den Menschen, so reichten diese beiden Kriterien zur Kennzeichnung einer gerechten Gesellschaftsordnung aus. Auch wenn sich die naturgegebenen Ungleichheiten nicht der Gesellschaft als solcher anlasten lassen, ist es doch nicht gleichgültig, ob sie diese zu mildern versucht oder nicht. Obgleich den ersten beiden nachgeordnet, ist das dritte Kriterium dennoch wesentlich.12

6. Rawls über internationale Gerechtigkeit Rawls hat in zwei seiner Spätschriften zum Thema «The Law of Peoples» (1996 und 1999) seine Gerechtigkeitskriterien auf die internationale Ebene übertragen. Obwohl in diesen Schriften die Frage nach der Gerechtigkeit nicht im Vordergrund steht, liefern sie wichtige Hinweise darauf, wie auf der Grundlage der drei Gerechtigkeitskriterien eine Theorie internationaler Gerechtigkeit aussehen könnte.

12

Bei einem Vergleich zweier Gesellschaftsordnungen hinsichtlich Gerechtigkeit zählt also in erster Linie das erste Kriterium. Das zweite Kriterium ist nur im Vergleich zwischen zwei Gesellschaftsordnungen relevant, die sich hinsichtlich des ersten Kriteriums nicht unterscheiden, und das dritte Kriterium nur im Vergleich zwischen zwei Gesellschaftsordnungen, die sich hinsichtlich des ersten und des zweiten Kriteriums nicht unterscheiden.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

41

Rawls geht von drei Voraussetzungen aus: 1. Gerechtigkeit auf der internationalen Ebene ist kein Selbstzweck. Das Völkerrecht dient in erster Linie der Wahrung des Weltfriedens. Die Bedingungen des Weltfriedens sind es auch, die Rawls, wie zweihundert Jahre vor ihm Kant in seiner Schrift Zum ewigen Frieden, klären möchte. Die Gerechtigkeit ist dabei nur so weit Thema, als sie sich auf den Weltfrieden auswirkt. 2. Rawls versteht das Staatensystem als ein System miteinander kooperierender Gesellschaften. Wirtschaftlicher Wettbewerb und politische Machtkämpfe blendet er aus. Für dieses Vorgehen spricht zunächst die Tatsache, dass jede Bemühung um den Weltfrieden zwingend Kooperation zwischen allen Betroffenen voraussetzt. Rawls scheint darüber hinaus jedoch anzunehmen, im Staatensystem dominiere echte Kooperation auch dort, wo es nicht um Friedenssicherung geht. Angesichts dessen, dass die Staaten untereinander wirtschaftlich und politisch in einem Konkurrenzverhältnis stehen, ist diese Unterstellung wohl allzu optimistisch. 3. Rawls begreift die Völkergemeinschaft als ein gleichgeordnetes Nebeneinander von Staaten (die er der Einfachkeit halber als Nationalstaaten bzw. Völker [peoples] interpretiert). Dabei teilt Rawls die Staaten in zwei für die Sicherung des Weltfriedens unterschiedlich relevante Gruppen: die «wohlgeordneten» [well-ordered peoples] 13 – die zumindest dem ersten Gerechtigkeitskriterium entsprechen – und die «nicht wohlgeordneten», deren interne Verhältnisse keinen Gerechtigkeitskriterien genügen. Beide Gruppen unterteilt er noch einmal, sodass sich vier Typen von Staaten ergeben. Die Gruppe der wohlgeordneten Staaten zerfällt in die politisch liberalen Staaten des Westens einerseits und eine Reihe autokratischer Regimes andererseits, die Rawls als «achtbar» bzw. «anständig» [decent] bezeichnet, falls sie den folgenden Bedingungen genügen: Diese Staaten sind nicht expansiv, ihre Bürger haben die Möglichkeit, sich – wenn auch nur indirekt – zu wichtigen politischen Fragen zu äußern,14 die wichtigsten 13

14

In Anlehnung an Jean Bodins «République bien ordonnée» (Bodin 1576 nach Rawls 1999, S. 4). In diesen Ländern laufen politische Entscheidungen über eine «KonsultationsHierarchie»: Die Bürger partizipieren in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, und diese Gruppen werden über Delegierte bei politischen Entscheidungsprozessen konsultiert. Auch Gesellschaften, zwischen deren Bürgern Unterordnungsverhältnisse bestehen, können also «anständig» sein. In der internationalen Dimension anerkennen sie das gleichberechtigte Nebeneinander der Staaten.

42

Thomas Kesselring

Rechte sind garantiert,15 und die Richter betrachten die juristische Ordnung, die sie vertreten, als gerecht (1996, S. 82; 1999, S. 63ff.). Wohlgeordnete Staaten beiderlei Typs bilden für den Weltfrieden keine Gefahr. Von ihnen kann man im Prinzip erwarten, dass sie sich auf die Prinzipien des Völkerrechts einigen. Wären alle Gesellschaften «wohlgeordnet», d. h. bestünde in allen Ländern eine Gesellschaftsordnung, in der die elementaren Grundrechte für alle gesichert sind, so herrschten ideale Verhältnisse. Der Weltfriede wäre nicht bedroht und innerhalb der einzelnen Staaten gäbe es keine ernsthaften Gerechtigkeitsprobleme. Zur realen Welt, in der wir leben, gehören aber auch die «nicht wohlgeordneten» Staaten. Auch hier unterscheidet Rawls zwei Typen: Die einen, die «Schurkenstaaten» ([outlaw states] 1999, § 10.3.), fordern den Weltfrieden heraus, und die anderen, die «durch ungünstige Umstände belastete[n] Gesellschaften» ([societies burdened by unfavorable conditions] ebd. § 15), stellen die Weltgemeinschaft vor Gerechtigkeitsprobleme. Damit ist der Rahmen für Rawls’ Argumentation vorgegeben. Um ihre Logik zu verdeutlichen, unterteile ich die folgende Darstellung gleich wie die in den vorhergehenden Abschnitten.

6.1. Die Prinzipien des Völkerrechts Die Völkerrechts-Prinzipien 16 legen fest, inwieweit Staaten souverän sind. Die ersten drei umreißen die Souveränitäts-Rechte, die übrigen fünf legen 15

16

In der ersten Schrift nennt Rawls «zum Beispiel das Recht auf Leben und Sicherheit, das Recht auf persönliches Eigentum», Rechtsstaatsprinzipien und die Rechte auf Gewissensfreiheit und freie Vereinigung (1996, S. 82). Das klingt nach einem harten Kern von Grundrechten. In der späteren Fassung korrigiert Rawls: Es handle sich nicht um Grundrechte im liberalen Sinn – gleiche Grundrechte für alle –, sondern um Rechte, die den Menschen als kooperierenden Mitgliedern jeweiliger sozialer Gruppen in Übereinstimmung mit den korrespondierenden Pflichten zukommen (1999, S. 66). Rawls nennt die folgenden Prinzipien des Völkerrechts: «1. Die Völker (in ihrer staatlichen Organisation) sind frei und unabhängig, ihre Freiheit und Unabhängigkeit ist von anderen Völkern zu achten. 2. Die Völker sind untereinander gleich und Herr der von ihnen getroffenen Vereinbarungen. 3. Die Völker haben das Recht auf Selbstverteidigung, nicht aber auf Krieg. 4. Die Völker haben den Grundsatz der Nichteinmischung zu beachten. 5. Die Völker haben Verträge und Abmachungen einzuhalten. 6. Die Völker haben bei der

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

43

Pflichten fest. Der einzelne Staat wird also als internationales Rechtssubjekt aufgefasst – analog dem Bürger auf der Ebene des Nationalstaats.17 Der Umfang der staatlichen Souveränität lässt sich aus dem Verhältnis der legitimen Rechte eines Staates und seinen Pflichten bestimmen. Die Rechte stehen und fallen damit, dass sie von allen Staaten akzeptiert werden; das bedeutet, alle Staaten müssen bereit sein, sich diese Rechte gegenseitig zuzugestehen. Das erklärt, weshalb die Prinzipien des Völkerrechts neben den Rechten auch Pflichten umfassen. Zu den Pflichten, die Staaten im Umgang mit ihresgleichen haben, kommt vor allem – gleichsam als pièce de résistance – die Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte hinzu.18 Erstaunlich an Rawls’ Prozedere ist, dass er das bestehende Staatensystem einfach als gegeben hinnimmt, einschließlich aller kolonialen und postkolonialen Grenzziehungen, die vielerorts Völker auseinander gerissen und andernorts dazu geführt haben, dass Stammesfehden zu Bürgerkriegen auswachsen konnten. Unter pragmatischen Gesichtspunkten ist es allerdings nicht leicht, zu Rawls’ Vorgehen plausible Alternativen zu finden. Die Veränderung von Landesgrenzen ist ohne Blutvergießen wohl nur auf dem Wege der Verhandlung zwischen den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen praktikabel (entsprechende Kriterien müssten einen hohen Differenzierungsgrad aufweisen). Die Politik expansiver Länder (zu ihnen würden heute Israel und möglicherweise sogar die USA gehören), verurteilt Rawls bekanntlich mit aller Deutlichkeit.19

17

18

19

Führung von Kriegen (zur Selbstverteidigung) gewisse Beschränkungen zu beachten. 7. Die Völker haben die Menschenrechte zu achten.» (1996, S. 67) In der späteren Schrift The Law of Peoples fügt Rawls als 8. ein Prinzip der Hilfeleistung hinzu (1999, S. 37). Die Prinzipien des Völkerrechts im zwischenstaatlichen Verhältnis entsprechen also der Stellung, die auf der nationalen Ebene das System der Grundrechte (erster Gerechtigkeitsgrundsatz) einnimmt: «Unabhängige Völker, die in Staaten organisiert sind, haben bestimmte gleiche Grundrechte. Dieser Grundsatz entspricht den gleichen Rechten der Bürger in einem konstitutionellen System.» (1975, S. 416) Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz auf nationaler Ebene nennt keine Bürgerpflichten, doch auch hier hängt die Garantie der Grundrechte natürlich davon ab, dass die Bürger entsprechende Pflichten nicht verletzen. Zu Rawls’ Kritik an der amerikanischen Politik am Ende des Zweiten Weltkriegs vgl. (1999), Kap. 14.3. und 14.4.

44

Thomas Kesselring

6.2. Chancengleichheit auf internationaler Ebene Rawls deutet nirgends an, dass eine Übertragung des Prinzips der Chancengleichheit auf die internationalen Verhältnisse sinnvoll sein könnte. Dabei stellt sich das Problem der Chancengleichheit in zwei Hinsichten: einmal im Hinblick auf die kollektiven Entwicklungschancen ganzer Völker [peoples], sodann im Hinblick auf die der einzelnen Menschen. Für Chancengleichheit in der ersten Hinsicht wäre an den wirtschaftlichen Austausch über Landesgrenzen hinweg die Forderung zu stellen, dass kein Land und keine Ländergruppe durch die Mechanismen dieses Austauschs besonders benachteiligt oder sogar dazu verurteilt werden darf, in der Entwicklung hinter anderen zurückzubleiben. Bei der Formulierung von Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft und der Funktionsmechanismen internationaler Institutionen – der UNO, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der World Trade Organisation – ist das Kriterium der Chancengleichheit also durchaus von hoher Relevanz. Aber Rawls geht nicht darauf ein. Sein Anliegen ist der Weltfrieden, nicht die internationale Gerechtigkeit. Er sagt nichts über die Bahnen, in denen sich der internationale Austausch vollzieht, nichts über den Umstand, dass viele Länder des ‹Südens› unter den Verschiebungen der Terms of Trade leiden, nichts über die Problematik der Verschuldung und des daraus erwachsenden Schuldendienstes, nichts über die Internationalisierung des Verdrängungswettbewerbs, nichts über die Auslagerung von Arbeitsplätzen aus Hochlohn- in Billiglohnländer und nichts über den Standortwettbewerb, der die Politik immer stärker in den Sog wirtschaftlicher Imperative geraten lässt. Man darf allerdings nicht übersehen, dass im internationalen Rahmen die Hintergründe möglicher Benachteiligungen im Allgemeinen komplexer sind als im Rahmen eines Nationalstaats, denn zur Interaktion innerhalb der jeweiligen nationalen Grenzen tritt nun die Interaktion im Weltmaßstab hinzu. Streng genommen gibt es also nicht nur drei, sondern vier Typen von Ursachen, die man berücksichtigen sollte, wenn man versuchen will, den vielfältigen Diskrepanzen zwischen den einzelnen Ländern hinsichtlich Lebensstandard, wirtschaftlicher Prosperität, usw. gerecht zu werden. a) Ursachen, die ganz oder teilweise in der internationalen Interaktion und ihren Rahmenbedingungen liegen, b) Ursachen, die ganz oder teilweise bei den einzelnen Gesellschaften [peoples] liegen, in ihrer Tradition, ihren Bräuchen, ihrer Religion, ihrem politischen Regime, ihrer Wirtschaft usw.,

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

45

c) Ursachen, die bei einzelnen Akteuren (Individuen) liegen – den «historischen Subjekten» gleichsam, die der Geschichte ihrer Gesellschaften wesentliche Impulse gegeben haben bzw. geben; und schließlich d) Ursachen, die in äußeren, natürlichen Bedingungen liegen: geographische Größe und Lage, Klima, Ausstattung mit Ressourcen usw. Das Differenzprinzip könnte sich nur auf Benachteiligungen des letzten Typs beziehen.20 Diverse Autoren (Beitz 1979; Pogge 1989; Singer 2002) haben Rawls dafür gerügt, dass er nur die Einflüsse von einzelnen Staaten auf die internationale Ordnung thematisiert hat und nicht auch die Einflüsse in umgekehrter Richtung. Es gibt sehr wohl Gesellschaften, die durch die internationale Ordnung benachteiligt wurden bzw. nach wie vor werden, und zwar zum Teil ganz massiv. Stichworte in diesem Zusammenhang sind etwa die Verschuldungsspirale, die Abhängigkeit mancher Länder des ‹Südens› von der Konjunktur auf den großen Börsenplätzen und (v. a. seit den neunziger Jahren) der Run der hochindustrialisierten Länder auf die Ressourcen Afrikas und Zentralasiens. Chancengleichheit auf internationaler Ebene (im Sinne gleicher Entwicklungschancen für alle Staaten) ist also in weiter Ferne. Anders stellt sich die Idee der Chancengleichheit zwischen Personen dar: Je größer die Zahl der Variablen, die die Entwicklungs- und Karrierechancen der Menschen beeinflussen, desto schwieriger wird es, einen Ausgleich zwischen ihren Chancen zu erzielen. Mit jedem Faktor, der hinzukommt, multipliziert sich die Komplexität. Chancengleichheit lässt sich daher nur in gut überschaubaren Gruppen (etwa Schulklassen oder Belegschaften in Unternehmen) ‹operationalisieren›. Auch noch im Rahmen einer nationalen Gesellschaft macht der Begriff der Chancengleichheit einen gewissen Sinn – als Maßstab zur Messung des Abstands, in dem sich diese Gesellschaft vom Ideal bewegt. Nimmt man aber die 6,3 Milliarden Menschen in den Blick, die heute leben, so verliert die Idee der Chancengleichheit jeden klaren Sinn, es sei denn, dass man sie in geeigne20

Diese Typen von Ursachen bilden eine Erweiterung der drei Arten von Ursachen, die wir oben (Abschnitt 3.3.) zur Erklärung der unterschiedlichen Befähigungen der Menschen beigezogen haben. Während es dort um die Erklärung des unterschiedlichen Abschneidens der Menschen unter Bedingungen von Markt und Wettbewerb gegangen ist, geht es im vorliegenden Zusammenhang um das Verständnis der Gründe, weshalb ganze Gesellschaften im globalen Markt bzw. Wettbewerb unterschiedlich abschneiden.

46

Thomas Kesselring

ter Weise präzisiert. Eine Anregung dazu lässt sich dem Werk Amartya Sens entnehmen. Im Unterschied zu Rawls hat Sen nie eine systematische Trennlinie zwischen gesellschaftlich bedingten und naturbedingten Faktoren gezogen und entsprechend findet man bei ihm auch keine explizite Forderung von Chancengleichheit. Und doch formuliert er in seinen Arbeiten über Lebensqualität (Nussbaum, Sen 2000) und über den Lebensstandard (Sen 2000a) ein Kriterium, das in Richtung Chancengleichheit weist und das in dieser Form wiederum bei Rawls fehlt. Während Rawls in seinem ersten Gerechtigkeitsgrundsatz lediglich von einem System gleicher Grundrechte für alle spricht, fordert Sen, dass den Menschen nebst ihren elementaren Grundrechten auch das notwendige Minimum an capabilities21 zugestanden werden muss, das erforderlich ist, damit sie ihre Grundrechte nutzen können. Globale Chancengleichheit in dieser präzisierten Form ist durchaus ein Ziel, an dem sich staatliche Ordnungen und das internationale Staatengefüge sollten messen lassen. Wie schwer fällt Rawls’ Verzicht auf ein Chancengleichheits-Postulat im internationalen Rahmen ins Gewicht? Bei aller Kritik an Rawls sollte nicht übersehen werden, dass Chancengleichheit auf der Ebene eines Nationalstaats ein klareres Kriterium darstellt als auf der internationalen Ebene. Chancengleichheit ist dann erfüllt, wenn die gesellschaftliche Ordnung selber keine sozialen Ungleichheiten produziert. Der Grad der kausalen Komplexität ist aber auf der internationalen Ebene so hoch, dass es kaum möglich ist, die «internationale Ordnung» als einen Kausalfaktor eindeutig für sich zu isolieren (ausführlicher dazu: Kesselring 2003a, Kap. 7-9). Ungleiche Entwicklung ist so gut wie immer das Ergebnis einer Vielfalt von Prozessen, die sich in unterschiedlichen Kombinationen über die Ebenen (a) bis (d) erstrecken. Und doch ist es für die Entwicklung der einzelnen Gesellschaften von größter Bedeutung, in welcher Art von internationaler Ordnung sie sich bewegen. Mit Rawls lässt sich sagen: Ein Staatensystem, in dem die am meisten benachteiligten Gesellschaften zumindest

21

Sens Begriff der capabilities steht für mehr als bloß Fähigkeiten und Fertigkeiten. Er umfasst auch den Zugang zu Ressourcen und Geld bzw. Kapital, den Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Ausbildungsinstitutionen und zu einer beruflichen Stellung, die es einer Person erlaubt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Christiane Goldmann, die Übersetzerin des Hauptwerks von Sen (2000) übersetzt capabilities sinnigerweise mit «Verwirklichungschancen».

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

47

«wohlgeordnet» sind, in dem also überall die elementaren Menschenrechte respektiert werden, ist gerechter als ein Staatensystem, in dem dies nicht der Fall ist. Für die Politik der internationalen Institutionen ist dies immerhin ein (relativ) klarer Maßstab.

6.3. Die Stellung des Differenzprinzips auf internationaler Ebene Mitte der neunziger Jahre betrug das Verhältnis zwischen den durchschnittlichen Einkommen im wohlhabendsten und im ärmsten Land nicht weniger als 400 : 1. Vergleicht man den Lebensstandard von Einzelpersonen, so ist der Abgrund noch wesentlich größer. Zwangsläufig stellt sich daher die Frage nach der Stellung des Differenzprinzips auf der internationalen Ebene. Rawls hat schon in § 58 seiner Theorie der Gerechtigkeit, dem einzigen Abschnitt, in dem er sich über zwischenstaatliche Verhältnisse äußerte, auf eine Erwähnung des Differenzprinzips verzichtet. Diese Auslassung wurde von verschiedenen Seiten vehement kritisiert. Beitz (1979) und Pogge (1989) beispielsweise forderten, das Schicksal von Ländern, die besonderen Nachteilen ausgesetzt sind, sei durch wirtschaftliche Hilfe (z. B. via Ressourcentransfer oder über finanzielle Mittel, die aus einer Ressourcenverbrauchs-Steuer zu schöpfen wären; vgl. Pogge 1995) zu erleichtern. Rawls hat diese Vorschläge in seinen Schriften zum Völkerrecht dezidiert zurückgewiesen – was aber nicht so zu verstehen ist, dass er die Idee einer Unterstützungspflicht gegenüber benachteiligten Ländern generell ablehnte. Im Gegenteil, Rawls betonte ausdrücklich, privilegierte Gesellschaften seien moralisch zur Unterstützung benachteiligter Gesellschaften [societies burdened by unfavorable conditions] verpflichtet – gemäß einem Prinzip der Hilfeleistung, das er als eine Regel des Völkerrechts versteht (Rawls 1999, S. 37). Diese Verpflichtung resultiert aber nicht aus dem Differenzprinzip und sie zielt auch nicht auf eine Verringerung der Unterschiede im materiellen Wohlstand ab, wie dieses, sondern auf die Unterstützung benachteiligter Gesellschaften bei der Herstellung einer Ordnung, die den Schutz der Menschenrechte garantiert.22 Das Prinzip zur gegenseitigen Hilfe steht also ganz im Dienste der Men22

«In allen durch ungünstige Bedingungen belasteten Gesellschaften sollten Bedingungen gefördert und geschaffen werden, die eine wohlgeordnete Gesellschaft ermöglichen.» (Rawls 1996, S. 87)

48

Thomas Kesselring

schenrechte; es unterliegt dem ersten und nicht dem dritten Gerechtigkeitskriterium! Weshalb misst Rawls dem Postulat des Differenzprinzips auf der internationalen Ebene keinen größeren Wert bei? In seiner Theorie der Gerechtigkeit hat er klar gemacht, dass mit dem Differenzprinzip Ungleichheiten gemildert werden sollen, die auf natürliche und nicht auf gesellschaftliche Ursachen zurückgehen. In seinen Texten über das Völkerrecht wiederholt er diese These zwar nicht explizit. Trotzdem ist es sinnvoll, sie auf die internationalen Verhältnisse zu übertragen. Selbstverständlich gehören im internationalen Rahmen andere Dinge zu den natürlichen Faktoren als Begabungen, charakterliche Eigenschaften und Familienverhältnisse, nämlich geographische Zufälligkeiten, wie die unterschiedliche Größe und Lage der Länder, ihre Ausstattung mit natürlichen Rohstoffen, einschließlich ihrer Pflanzen und Tiere, ihres Klimas und dergleichen (vgl. Diamond 1998; Landes 1999, bes. Kap. 1). Ob sich solche Naturgegebenheiten vorteilhaft oder nachteilig auf die Entwicklung einer Gesellschaft auswirken, hängt zum Teil auch davon ab, wie sich diese Gesellschaft organisiert und wie sie in das System des internationalen Austauschs eingebettet ist. Rohstoffreichtum beispielsweise erscheint auf den ersten Blick als Vorteil. Blickt man jedoch näher hin, so zeigt sich, dass Ressourcenreichtum auch einen gravierenden Entwicklungsnachteil, ja einen Fluch bedeuten kann. Nicht zufällig sind viele der heutigen Wohlstandsländer – Dänemark, Finnland, Schweden, Schweiz, Frankreich, Japan, Südkorea – arm an Rohstoffen, während umgekehrt manche der Länder mit den größten politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten – Angola, Nigeria, Kongo, Sierra Leone, Jemen, Irak – mit Rohstoffen reich gesegnet sind.23 Für seine skeptische Haltung bezüglich der Rolle des Differenzprinzips auf der internationalen Ebene führt Rawls mehrere Gründe an: 1. Die gravierendste Form einer Notsituation liegt vor, wenn es in einer Gesellschaft zu anhaltenden massiven Menschenrechtsverletzungen kommt. Maßnahmen zur Verringerung der materiellen Ungleichverteilung, wie das Differenzprinzip sie nahe legt, verdienen in diesem Zusammenhang keine Priorität. Denn Staaten, die wegen krasser Menschenrechtsverletzungen Schlagzeilen machen, sind in wirtschaftli23

Zur Erklärung dieser scheinbaren Paradoxien vgl. z. B. Ross (1999) und Wantchekon (1999).

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

49

cher Hinsicht oder im Hinblick auf ihre Ausstattung mit natürlichen Ressourcen oft keineswegs besonders arm, und umgekehrt gibt es wirtschaftlich benachteiligte Regionen, in denen es um die Menschenrechte nicht besonders schlecht bestellt ist (der indische Bundesstaat Kerala z. B.). 2. In vielen Fällen wären internationale Ausgleichsmaßnahmen nach dem Differenzprinzip sinnlos und zudem ungerecht.24 Wenn z. B. eine Gesellschaft Industrien aufbaut und es zu Wohlstand bringt, während sich eine andere auf Agrar- und Viehwirtschaft beschränkt, mit der Folge, dass sie in materieller Armut verharrt, so wäre es unsinnig anzunehmen, jene sei zu Unterstützungsleistungen auch dann noch verpflichtet, wenn die Menschenrechte in der Agrargesellschaft nicht auf dem Spiel stehen und keine besondere Notlage vorliegt. Eine solche Unterstützung ließe die Ursachen des bescheideneren Lebensstandards in der Agrargesellschaft nämlich unverändert und schüfe womöglich ein Abhängigkeitsverhältnis (Rawls 1999, S. 117). Ob eine Agrargesellschaft sich zu einer Industriegesellschaft entwickeln soll, ist eine Frage der Wirtschaftspolitik und liegt bis zu einem gewissen Grade in der Selbstverantwortung des betreffenden Staates25 – etwa so wie die Entscheidung einer Person, lieber im Müßiggang das Leben zu genießen als eine längere Ausbildung zu absolvieren, ebenfalls in der Selbstverantwortung dieser Person liegt. Für die Konsequenzen solcher Entscheidungen kann in beiden Fällen keine fremde Instanz haftbar gemacht werden: Das Differenzprinzip bezieht sich nur auf naturbedingte Benachteiligungen. Es gibt allerdings auch geographische und klimatische Ungunstzonen, in denen der Aufbau einer Industriegesellschaft selbst unter großen Anstrengungen kaum gelingen dürfte (insbesondere die schwarzafrikanischen Länder im Äquatorgürtel; vgl. Landes 1999, Kap. 1). Auf Gesellschaften, die in solchen naturbedingten Ungunstzonen leben, ist das Differenzprinzip zugeschnitten, und hier hat es entgegen der Rawls’schen Auf-

24

25

Ich danke Véronique Zanetti, die mich auf die fehlerhafte Argumentation in einer früheren Fassung dieses Abschnitts aufmerksam gemacht hat. Analog lässt sich in einem anderen Beispiel argumentieren, das Rawls anführt – dem Beispiel zweier Gesellschaften, deren eine das Bevölkerungswachstum auf Null gesenkt hat und in Wohlstand lebt, während in der anderen die Bevölkerung wächst und die Gesellschaft verarmt (ebd.).

50

Thomas Kesselring

fassung seine Berechtigung. Allerdings empfehlen sich in diesem Fall analoge Restriktionen wie bei der Anwendung des Prinzips internationaler Hilfe: Das primäre Ziel einer Unterstützung von naturbedingt benachteiligten Gesellschaften sollte die Herstellung einer politischen Ordnung sein, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht und Menschenrechtsverletzungen ausschließt.26 Rawls’ reservierte Haltung gegenüber einer Ausweitung des Differenzprinzips auf internationale Verhältnisse erscheint also im großen Ganzen nicht schlecht begründet. Dieses Prinzip zielt lediglich auf die Linderung natur- oder zufallsbedingter Benachteiligungen. Gesellschaften, die unter solchen Benachteiligungen leiden, bedürfen externer Unterstützung genau dann, wenn sie ohne solche Hilfe nicht in der Lage wären, ihren Bürgern eine soziale Ordnung zu garantieren, die den Schutz der elementaren Menschenrechte umfasst. Die Menschenrechte sind und bleiben das zentrale Kriterium für Gerechtigkeit im internationalen Umfang.

7. Ausblick Trotz der angedeuteten Kontroversen um Rawls’ Ausführungen über das Völkerrecht erscheint zweierlei offensichtlich: 1. Der erste Gerechtigkeitsgrundsatz liefert für das Prinzip der internationalen Hilfeleistung die argumentative Grundlage: Es besteht eine Pflicht der Völkergemeinschaft, Gesellschaften, die punkto Menschenrechte besonders benachteiligt sind, im Aufbau gerechterer Verhältnisse zu unterstützen. 2. Das internationale Staatensystem erfüllt das Kriterium der Gerechtigkeit umso besser, je höher der Menschenrechts-Standard ist, den speziell die am meisten benachteiligten Länder erfüllen. Die Bedeutung, die diese Einsichten für die internationale Politik haben, rechtfertigt eine abschließende Diskussion zweier Anschlussfragen: (1) Welche Grund- oder Menschenrechte müssen am dringlichsten geschützt werden? Im Sinne von Rawls liegt folgende Antwort nahe: Diejenigen Grundrechte, die die Bedingungen der Möglichkeit friedlicher 26

Anders liegen die Dinge im Fall von Naturkatastrophen: Gesellschaften, die Opfer von Naturkatastrophen sind, haben ein Recht auf internationale unbürokratische humanitäre Hilfe (Nothilfe). Bei der Staatengemeinschaft liegt eine entsprechende Verpflichtung.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

51

Kooperation zwischen den Menschen sicherstellen (Rawls 1999, S. 68).27 Diesem Kriterium genügen keineswegs alle in der Menschenrechtserklärung angeführten Rechte. (Rawls hat im Laufe der Jahre mehrere Versuche unternommen, eine Liste der elementaren Grundrechte zusammenzustellen; vgl. oben, 5.1.). (2) Soll es ein Anliegen internationaler Politik sein, benachteiligte Gesellschaften darin zu unterstützen, ihren Bürgern wenigstens den harten Kern der Menschenrechte zuzugestehen, oder sollen die Ansprüche höher geschraubt werden? Man kann hier utilitaristisch argumentieren: Die Welt ist umso ‹besser›, je mehr elementare Menschenrechte überall verwirklicht werden. Doch ließe sich gegen diesen Vorschlag einwenden, dass er die oben (in Abschnitt 5.1.) dargelegte Kritik von Hart an der ursprünglichen Fassung von Rawls’ erstem Gerechtigkeits-Grundsatz nicht berücksichtige. Doch der Schein trügt. Denn wenn man die Erhaltung der Bedingungen friedlicher Kooperation zwischen den Menschen zum Auswahlkriterium der elementaren Grundrechte und Grundfreiheiten erklärt, dann können sich die von Hart aufgezeigten Konflikte zwischen menschlichen Freiheiten und materiellen Vorteilen nicht mehr ergeben. Das sei an den Beispielen gezeigt, die Hart gegen Rawls anführt: i) Ob die Eigentumsfreiheit auf Konsumgüter eingeschränkt oder auf Produktionsmittel ausgedehnt werden soll, ist eine Frage, bei der es zwar nicht um die Maximierung der Freiheit als solcher geht, wohl aber um die Erhaltung der Bedeutung friedlicher Kooperation (Hart 1998, S. 126). ii) Ein Parlament wird mit eingeschränktem Rederecht besser fahren als mit unbeschränktem Rederecht. Diese Freiheitseinschränkung wird zwar ebenfalls durch keinen Freiheitsgewinn anderer Natur kompensiert, ist aber unerlässlich, wenn die Debatte in friedliche und kooperative Bahnen gelenkt werden soll. iii) Auch die Wehrpflicht bedeutet eine empfindliche Einschränkung der Bürgerfreiheit, dient aber dem Ziel, das Gemeinwesen gegen fremde Angriffe zu verteidigen (ebd. S. 130), also wiederum dem Ziel, die Voraussetzungen friedlicher Kooperation zu bewahren. 27

Genauer geht es um die Kooperation unter Voraussetzung der Geltung der Goldenen Regel: «Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füge auch keinem anderen zu!» Formen der Kooperation, die auf Zwang oder Ausbeutung beruhen, sind hier also ausgeschlossen; vgl. Kesselring (2004).

52

Thomas Kesselring

Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die die Möglichkeit friedlicher Kooperation garantieren, können von Fall zu Fall unterschiedlich beschaffen sein. Je besser und je zuverläßiger diese Bedingungen aber gewährleistet sind – und zwar insbesondere in den Gesellschaften, die mit den größten Widrigkeiten zu kämpfen haben –, desto gerechter ist die internationale Ordnung. Desto mehr liegt es dann auch in der Selbstverantwortung der einzelnen Gesellschaften [peoples], wie sie ihre Entwicklungschancen managen und welche Chancen zur Verwirklichung ihrer Lebenspläne sie ihren Mitgliedern einräumen.

Literatur Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, übers. und erläutert von O. Gigon, München 1991. Beitz, Ch. R.: Political Theory and International Relations, Princeton 1979. Diamond, J.: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1998. Hart, H. L. A.: Rawls über Freiheit und ihren Vorrang, in: O. Höffe (Hg.): John Rawls. Eine Theorie der Gerechtigkeit, Berlin 1998, S. 97-116. Kant, I.: Zum ewigen Frieden, in: Werke in zwölf Bänden, Bd. XI, hg. von W. Weischedel, Frankfurt a. M. 1968. Kesselring, T.: Ethik der Entwicklungspolitik. Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung, München 2003. –– Utilitarismus, Menschenrechte und Nichtregierungs-Organisationen, in: Analyse und Kritik 2 (2003a), S. 259-274 [Beitrag am Symposium zu Peter Singer]. –– Begründungsstrategien für die Menschenrechte: Transzendentaler Tausch (Höffe) oder Kooperation (Rawls)?, in: P. Mastronardi (Hg.): Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 94 (2004), S. 85-96. Landes, D.: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind, Berlin 1999. Nussbaum, M., Sen, A. (ed.): The Quality of Life, Oxford 1993. Pogge, T.: Realizing Rawls, Ithaca 1989. –– Eine globale Rohstoffdividende, in: Analyse und Kritik 17 (1995), S. 183208. Rawls, J.: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1975.

Internationale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Kriterien

53

–– Das Völkerrecht, in: S. Shute, S. Hurley (Hg.): Die Idee der Menschenrechte, Frankfurt a. M. 1996, S. 53-103. –– Politischer Liberalismus, Frankfurt a. M. 1998. –– The Law of Peoples (with ‹The Idea of Public Reason Revisited›), Cambridge Mass 1999; dt.: Das Recht der Völker, Berlin 2002. Ross, M. L.: The Political Economy of the Resource Curse, in: World Politics 51 (1999), S. 297-322. Scholl-Latour, P.: Afrikanische Totenklage. Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents, München 2003. Sen, A.: Ökonomie für den Menschen. Wege zur Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, München 2000. –– Der Lebensstandard, Berlin 2000a. Singer, P.: Famine, Affluence, and Morality, in: Philosophy & Public Affairs 1 (1972), S. 229-243. –– Praktische Ethik, Stuttgart 1984. –– One World. The Ethics of Globalization, New Haven 2002. –– One World. A response to my Critics, in: Analyse und Kritik 2 (2003), S. 285-293 [Beitrag am Symposium zu Peter Singer]. Wantchekon, L.: Why do Resource Dependent Countries Have Authoritarian Governments? Working Paper, Yale University, 12. Dezember 1999 [www.yale.edu/leitner/pdf/1999-11.pdf].

Studia philosophica 64/2005

BERNARD BAERTSCHI

Les circonstances de la justice internationale Distributive justice, like every other value, is not suspended in mid-air: its implementation depends on certain conditions, the well-known ‹circumstances of justice›. In this paper, I attempt to spell them out, first for justice proper (i. e. national justice), then for international justice. Those circumstances relate to the conceptual parts of justice (the contributors and beneficiaries of distribution, and the criterion of justice) and are four in number: scarcity, needs and merit, social cooperation, and authority of distribution. As far as international justice is concerned, there is a problem with the last circumstance: as yet no international authority of distribution exists. This does not, however, mean that international justice is impossible or undesirable; only that we have the task to create such an authority.

1. Introduction On connaît ce passage célèbre de Rawls sur les circonstances de la justice : « Les circonstances constituant les circonstances de la justice sont réunies chaque fois que des personnes avancent des revendications en conflit quant à la répartition des avantages sociaux, dans des situations de relative rareté des ressources. » 1 Parler de justice – et d’injustice – n’a de sens que lorsqu’il existe une certaine rareté, une certaine pénurie donc, si bien que, comme le dit le texte dans la foulée : « En l’absence de telles circonstances, il n’y aurait pas d’occasion pour la vertu de justice ». Il s’ensuit, notons-le en passant, que la justice, loin de s’opposer au rationnement, l’implique au contraire. Ainsi, lorsque la rareté est inexistante ou totale, la justice n’a pas d’application et dans le second cas – qui est le seul des deux à poser un problème – c’est plutôt de lutte pour la survie dont il faut parler, qui engendre un stress tel que la morale paraît hors course.2 Cette circonstance, condition d’application ou de pertinence, ainsi déterminée, il 1 2

Théorie de la justice, Paris, Seuil, 1987, p. 161. Sur ce sujet, cf. notre article « L’Éthique et le stress », in Revue de théologie et de philosophie, 1996/3.

56

Bernard Baertschi

n’est pas difficile de voir que la justice est convoquée sans difficulté à l’intérieur de la plupart des pays de notre planète, voire de tous. La situation se complique néanmoins lorsque, au lieu de parler en général, nous nous demandons ce qu’il en est pour chaque bien et pour chaque situation, car alors il apparaît que, ponctuellement et malheureusement, notamment lorsque la guerre sévit, certains biens comme la nourriture deviennent absolument rares. Par ailleurs, si l’on tient compte de biens non matériels et collectifs comme la paix ou une culture riche, il va de soi que leur rareté aussi est parfois absolue. Mais pour l’instant, restons général. Et alors, si l’on passe du domaine intra-étatique au domaine inter-étatique – qu’on appelle « international » à la faveur d’un abus de langage, puisque les États sont des unités politiques alors que les nations sont des unités culturelles3 –, on conclura facilement que la justice s’applique, puisque même lorsqu’un bien est très rare à un endroit, il est très abondant à un autre. Cependant, affirmer sur la simple présence de cette circonstance de la justice qu’il est pertinent de parler de justice internationale est une conclusion pour le moins hâtive, même si le discours ordinaire sur la justice – non seulement dans la vie de tous les jours, mais aussi dans les cercles concernés du politique et du social – en reste très souvent là : le bien b existe, tout le monde ne peut en avoir autant qu’il le voudrait, donc le bien b doit être distribué selon un critère juste. Et l’indignation de suivre facilement lorsque cette distribution n’a pas lieu. Mais, on le sait depuis Aristote, si les émotions ont effectivement un lien fort avec la morale, elles ne sont pas toujours appropriées et adéquates. Pourquoi cette conclusion est-elle hâtive ? Parce que, outre la rareté, il existe encore d’autres circonstances de la justice, à savoir d’autres conditions pour son application – Rawls, comme Hume dont il s’inspire ici, en sont d’ailleurs tout à fait conscients, et ils mentionnent explicitement un fait anthropologique : l’égoïsme modéré de l’être humain. Ce sont ces autres conditions, ou du moins certaines d’entre elles, que nous aimerions mettre en lumière, d’abord de manière générale, en tant que liées au concept de « justice », puis de manière plus spécifique, en nous demandant si la justice internationale peut les satisfaire. C’est qu’il se pourrait que la justice n’ait d’application qu’à l’intérieur de communautés politiques comme les États, thèse qu’ont soutenue de nombreux auteurs. Nous tâche3

Cf. notre article « Le charme secret du nationalisme », in B. Baertschi, K. Mulligan (dir.), Les nationalismes, Paris, PUF, 2002.

Les circonstances de la justice internationale

57

rons de montrer qu’ils se trompent, dont que la justice internationale est conceptuellement possible. Cela fait, il resterait à se demander si ces circonstances sont réalisées et donc si la justice internationale est une tâche actuelle : ici-bas, en l’état actuel de notre planète, peut-on se proposer de l’implémenter, afin que maintenant ou dans un futur raisonnablement proche, elle devienne une réalité ? De ce dernier point, nous dirons seulement quelques mots vers la fin de notre étude, car c’est la question conceptuelle qui va nous occuper au premier chef. Ce faisant, nous nous placerons d’un point de vue assez général, les circonstances mises en lumière énonçant des contraintes pour toutes les conceptions particulières recevables de la justice, à savoir pour toutes les espèces de contractualisme, de libertarisme ou de perfectionnisme. Si une théorie n’y satisfait pas, cela signifiera que, pour nous, il ne s’agit pas d’une conception adéquate de la justice, c’est-à-dire, comme notre enquête est conceptuelle, que ce n’est pas une conception de la justice, mais d’autre chose. Évidemment, pour son partisan, cela signifiera que notre élucidation des circonstances est fautive, mais il n’existe pas de point de vue de Sirius qui permettrait de dominer et de régler un conflit de ce type.

2. Le concept de justice distributive La justice dont nous venons d’identifier l’une des circonstances à l’aide de Rawls est la justice distributive. Il s’agit de distribuer ou d’allouer des biens et pour le faire, il faut bien entendu déterminer un critère et des bénéficiaires. D’où cette formule abstraite : « À chaque x selon son y » dans laquelle le x détermine qui bénéficie et le y quel est le critère. Par exemple : « À chacun selon ses besoins ». Souvent, on en reste là, mais c’est à tort, car pour pouvoir distribuer des biens, il faut les avoir produits : « De chaque x selon son y ». Marx en avait bien conscience, puisqu’il dit dans la Critique du programme de Gotha que la société sans classes pourra écrire sur ses drapeaux : « De chacun selon ses capacités, à chacun selon ses besoins. » 4 Ainsi, si nous voulons déterminer quelles sont les circonstances de la justice, nous devrons examiner les points suivants qui circonscrivent les parties conceptuelles de la justice :

4

Paris, Éd. sociales, 1950, p. 25.

58

Bernard Baertschi

1° Les contributeurs de la justice (qu’exiger de qui ?, c’est-à-dire quels sont les fardeaux de la justice et qui les porte ?) 2° Le critère de la justice 3° Les bénéficiaires de la justice Ainsi présentée, la justice implique une certaine solidarité, dans la mesure où producteurs et bénéficiaires sont différents ou du moins où chacun profite et contribue de manière inégale : certains produisent plus ce dont d’autres bénéficieront plus. Relevons qu’il s’agit d’une solidarité de situation et de résultat qui n’est pas forcément accompagnée de la vertu de solidarité, c’est-à-dire de l’intention de partager de la part des contributeurs (par exemple, on peut payer ses impôts contre son gré, en pestant). Il est clair que si les deux formes de solidarité vont ensemble, la justice y trouvera sans doute mieux son compte, mais la justice ne saurait demander que l’on renonce à la solidarité de résultat au motif que les citoyens ne seraient pas vertueux. Autrement dit, la justice distributive dont nous allons parler n’est pas la vertu de justice – même si Rawls, on l’a vu, utilise cette expression –, mais un état final de répartition des biens ; et cela reste encore vrai dans les conceptions historiques de la justice comme celle que défend Nozick, simplement l’état final n’est pas chez lui l’objet d’une évaluation indépendante de celle de la prodédure qui permet de l’atteindre.5

2.1. Les fardeaux de la justice Dans un pays de cocagne, les biens sont à dispostion de qui consent à se baisser pour les ramasser, et ainsi en va-t-il de l’or dans Eldorado, à la grande surprise de Candide (avec cet effet que, n’étant pas rare, il ne vaut rien).6 Mais si on peut vivre sans or, on ne peut vivre sans pain et, ici-bas, le pain ne tombe pas du ciel comme de la manne, pour reprendre l’image de Nozick.7 Cela souligne deux points importants :

5 6

7

Anarchie, État et utopie, Paris, PUF, 1988, p. 194. Cf. Hume, An Enquiry Concerning the Principles of Morals, Oxford, Clarendon, 1902, p. 184 : « On voit que, même dans la condition nécessiteuse actuelle de l’humanité, chaque fois qu’un bénéfice est prodigué par la nature dans une abondance sans limites, on le possède toujours en commun dans toute la race humaine et on ne fait aucune division de droit et de propriété ». Cf. op. cit. p. 271.

Les circonstances de la justice internationale

59

1° Si les biens doivent être produits, ce fardeau retombe nécessairement sur quelqu’un, et puisqu’on est dans un contexte de justice, cela doit pouvoir être justifié – l’esclavage et le colonialisme sont des moyens de répartir le fardeau qui ne sauraient convenir, sinon du point de vue du droit du plus fort, du moins de celui de la justice. 2° Tous les biens n’ont pas la même importance pour les êtres mortels et finis que nous sommes, mais manifestement il ne suffit pas qu’un bien soit important pour qu’il soit l’objet de la justice : trouver un conjoint est important, mais personne n’affirme qu’il est du ressort de la justice de distribuer époux et épouses. Du moins dans une société comme la nôtre, car Platon le pensait, au nom de buts eugénistes.8 On voit par là que la question qui se pose n’est pas seulement de savoir qui doit porter le fardeau, mais encore de quels biens peut-il être exigé qu’ils soient produits afin d’être distribués. Posée ainsi, dans l’abstrait, il paraît difficile de répondre, voire même de prendre la mesure de la question. Mais il ne faut pas perdre de vue que, pour parler de justice distributive, il faut un milieu de distribution et que, dans le cadre de notre propos, le premier milieu qui vient à l’esprit est celui de la nation ou plutôt de l’État. C’est d’ailleurs déjà ainsi que Rawls l’entend : la justice distributive concerne avant tout les structures de base de la communauté politique ou de la société. Or, depuis toujours, celle-ci est conçue comme un lieu de coopération entre les individus ayant pour but de produire des biens qu’ils ne peuvent se procurer par eux-mêmes, qui est donc à l’avantage de chacun et de tous. On le remarque autant dans les conceptions anciennes de l’État que dans les modernes. Si Aristote affirme que « l’homme est par nature un animal politique » et donc qu’il ne s’associe pas par choix, il souligne immédiatement après : « De là vient que, même quand ils n’ont pas besoin de l’aide les uns des autres, les hommes n’en désirent pas moins vivre en société, ce qui n’empêche pas que l’utilité commune ne contribue aussi à les réunir, en proportion de la part de bonheur qui en rejaillit sur chaque individu. » 9 Quant aux Modernes, pour qui l’État est le fruit d’un contrat social fondé sur la volonté de chacun et non sur notre nature – Rousseau dit clairement : « La plus ancienne de toutes les sociétés 8

9

Cf. La République, Paris, Gallimard-Folio-Flammarion, 2002, p. 276 : « Qu’ils s’unissent les uns aux autres ou qu’ils fassent quoi que ce soit d’autre de manière désordonnée, cela ne sera pas pieux dans une cité de gens heureux ». La Politique, Paris, Vrin, 1970, p. 94.

60

Bernard Baertschi

et la seule naturelle est celle de la famille » 10 – , on sait à quel point cet État est lié à l’obtention de biens inattingibles pour l’individu isolé, notamment, selon Hobbes, « la paix commune et la sécurité ».11 À partir de là, il semble que nous puissions apporter une réponse à la question posée : si le bénéfice est pour chacun, le fardeau est aussi pour chacun ; bref, celui qui doit porter le fardeau c’est le citoyen, car celui qui veut obtenir quelque chose doit contribuer à sa production. En effet, puisque la vie en société est pour l’utilité de tous, quelqu’un qui ne contribuerait en rien serait un parasite : il pourrait être retranché de la société sans que quiconque en subisse un inconvénient puisqu’il ne donnerait jamais rien. Bien sûr, cette considération générale ne dit rien sur la nature et la quantité de contribution demandée à chacun, et on sait que la justice y est aussi intéressée – car ici, les rapports de force et le marchandage peuvent évidemment se substituer à la justice –, mais en nous y engageant, nous ne nous situerions plus au niveau des circonstances, mais à celui des conceptions particulières de la justice. Quant à savoir quels biens doivent être produits afin d’être distribués, c’est-à-dire tout simplement quels biens une société va distribuer, ce sont ceux sur lesquels il y a accord qu’ils sont l’objet de la coopération sociale, parce que, justement, l’individu isolé est incapable d’y suffire. C’est la thèse que soutiennent de nombreux auteurs, Charles Beitz par exemple : « S’il n’y avait pas une telle ‹ coopération ›, la justice n’aurait pas de raison d’être, puisqu’il n’y aurait pas de produit commun par rapport à quoi des revendications en conflit pourraient être énoncées » 12 ou Brian Barry : « Ce qui doit être alloué est le surplus de la coopération – la quantité restante quand tous ont reçu les ressources produisant la même quantité d’utilité qu’ils auraient eu dans l’‹ état de nature ›. » 13 C’est ce mode de production qui justifie l’existence de la justice distributive : lorsque des biens sont produits moyennant une coopération entre plusieurs personnes, il faut un principe d’allocation des bénéfices résultants. La coopération sociale est donc une autre circonstance de la justice distributive,

10

11 12

13

Du contrat social, I, II, in Œuvres complètes, t. III, Paris, La Pléiade, 1964, p. 352 (nous soulignons). Léviathan, Paris, Gallimard, Folio-essais, 2000, p. 287-288. Political Theory and International Relations, Princeton, Princeton UP, 1979, p. 130. Theories of Justice, Berkeley, University of California Press, 1989, p. 56.

Les circonstances de la justice internationale

61

que cette coopération soit volontaire ou non (si l’homme est naturellement social, elle ne l’est pas, si l’état social est le fruit d’un contrat, elle l’est, mais cette considération n’appartient pas aux circonstances de la justice).

2.2. Le critère de la justice Le fardeau de la justice repose sur tous les participants à la coopération sociale, c’est-à-dire, dans une structure où l’unité politique est l’État, sur tous les citoyens. Mais selon quel critère ? Nous voici au second point annoncé. Ici, il faut faire attention, car la question du critère est double, en fonction des deux parties de la formule de la justice ; il s’ensuit qu’il y aura deux critères, vu que la répartition des fardeaux et des bénéfices n’entrent manifestement pas sous la même rubrique : « De chacun selon ses capacités, à chacun selon ses besoins », disait Marx. Toutefois, au niveau de généralité où nous nous situons, ce n’est pas le cas car, étant donné que la société est au bénéfice de chacun, le critère de distribution va déterminer ce que la production devra être. Si c’est le besoin, alors la société devra faire en sorte que les besoins soient satisfaits – certes, en fonction de ses capacités, mais le besoin reste tout de même la norme. On n’est donc pas étonné que la question du critère de distribution régissant l’allocation des bénéfices soit l’aspect le plus discuté et le plus controversé de la question, même si politiquement la question de la contribution des citoyens est actuellement assez chaude (pensons à la question du taux d’imposition). Ce qui nous intéresse, c’est donc de voir quelles sont les circonstances liées au critère et quelles contraintes elles exercent. La première de ces contraintes est évidemment la nécessité du critère lui-même : quand un bien socialement produit est à distribuer dans une situation de rareté relative, il faut savoir comment le faire, c’est-à-dire disposer d’un critère. La seconde est que le mode de production des biens, à savoir la coopération sociale, n’est pas sans effet sur la manière dont ils seront répartis. Cela a immédiatement une conséquence. Rappelons la proposition de Marx : « À chacun selon ses besoins ». La conséquence est alors que, formulé ainsi, ce critère est inadéquat ; en effet, les biens à distribuer étant fonction de la coopération sociale, le besoin tout court ne peut servir de critère d’allocation juste. Pourtant, c’est un critère très souvent invoqué. Regardons donc les choses de plus près et, avant tout, précisons les raisons pour lesquelles il n’est pas adéquat.

62

Bernard Baertschi

1° Dans son acception usuelle, le besoin est une notion qui ressortit au domaine du naturel, à la différence des désirs et des préférences. L’homme a besoin de se nourrir, de se couvrir et d’avoir un toit, il a des besoins de santé et de créer des liens affectifs. Cela, parce qu’il est fait d’une certaine manière et qu’il est un être vivant. Ces besoins, pour être satisfaits, demandent que des biens soient à sa disposition ; or rien n’assure qu’ils puissent être produits socialement en suffisance. C’est même le contraire qui est vrai, puisque la rareté est présupposée par la justice. Bien sûr, il faudrait être plus précis, car la satisfaction des besoins est une notion souvent scalaire et qualitative – pensons à la nourriture : on peut en avoir plus ou moins, de meilleure qualité ou non –, mais il reste nécessairement une certaine distance entre la satisfaction des besoins au sens de la satiété et la production sociale des biens. L’exemple des transplantations d’organes est ici éclairante, car il ne s’agit pas d’un besoin scalaire (on dispose d’un organe ou on n’en dispose pas) : il y a pénurie d’organes et donc tous ceux qui en ont besoin ne seront pas satisfaits.14 2° Les besoins dont nous venons de parler sont des besoins que l’on qualifiera volontiers de fondamentaux ; et souvent, c’est uniquement pour les désigner qu’on utilise ce terme. Mais il a encore une autre acception, ainsi que l’expression « avoir besoin de » l’atteste. Ici, la notion est employée dans un cadre téléologique : A a besoin de x pour faire y. L’objet du besoin est ici tout moyen nécessaire ou du moins expédient pour atteindre un but, quel qu’il soit, aussi peu important soit-il. Ainsi, on a besoin de dentifrice pour se laver les dents. Si « besoin » est pris dans ce sens, il apparaît évidemment absurde d’en faire le critère de la justice. Cependant le besoin est tout de même important dans une conception de la justice, comme on va le voir. La structure téléologique que nous venons de souligner est en fait déjà présente dans la première partie de l’objection ; simplement, elle est moins apparente à cause de l’importance des besoins eux-mêmes – c’est aussi ce que disent Doyal et Gough, même s’ils ne s’expriment pas très précisément : « Si de tels besoins [fondamentaux] existent, on doit pouvoir montrer qu’ils constituent des buts que tous les êtres humains doivent réaliser s’ils veulent évider des dommages sé14

À qui objecterait que les organes ne sont pas produits socialement – ce que l’on ne saurait raisonnablement nier –, nous répondrons que ce qui fait de ces biens des biens sociaux, redistribuables donc, c’est le consentement du donneur, du moins en régime libéral.

Les circonstances de la justice internationale

63

rieux. » 15 En effet, les besoins fondamentaux aussi sont liés à une fin : obtenir un bien nécessaire à la vie, ou à une vie digne, signifiante. Autrement dit, si le besoin joue le rôle de critère, c’est en fonction des fins dont, satisfait, il contribue à la poursuite, et ces fins sont concernées par la justice dans la mesure où elles sont liées à des bénéfices qui motivent la vie en société. D’où l’exclusion des besoins insignifiants (le dentifrice), de simple préférence ou purement idiosyncrasiques. C’est ce que Rawls exprime dans sa théorie des biens sociaux premiers, qui sont « les choses dont on peut supposer qu’un homme rationnel a besoin, quels que soient ses autres besoins »,16 un « homme rationnel », du moins au sens du contrat social libéral ; mais toute société a forcément sa conception des biens sociaux premiers. Dans la même optique libérale, mais appliquée à une institution intra-étatique, Norman Daniels pense qu’« un système de santé – santé publique et services médicaux de tout type – devrait être organisé pour promouvoir le fonctionnement normal (plus exactement, le fonctionnement normal ‹ typique de l’espèce ›), parce que c’est une contribution importante à la protection de l’égalité des chances ».17 L’égalité des chances est un bien social de base, ainsi que la santé. Bien sûr, répétons-le, selon la conception que l’on se fait du rôle de la société et de la nature de l’homme, la nature et le nombre des fins socialement importantes changeront ; elles sont minimales dans le libéralisme, maximales dans le perfectionnisme, Aristote, par exemple, disant : « Formée au début pour satisfaire les seuls besoins vitaux, [la communauté politique] existe pour permettre de bien vivre. » 18 « De bien vivre », c’est-à-dire de s’épanouir. L’être humain ne peut se réaliser que dans un milieu social, l’État doit donc lui fournir une gamme étendue de biens à cet effet. Du point de vue des circonstances de la justice, ce désaccord n’est pas important, de même que toutes les difficultés que l’on rencontre quand on veut préciser ce qu’il faut entendre par « besoin », étant donné que c’est un terme plurivoque.19 Ce qui reste commun à toutes les conceptions de la 15 16 17

18 19

A Theory of Human Need, Londres, MacMillan, 1991, p. 45. Théorie de la justice, p. 92. « Justice, Fair Procedures, and the Goals of Medicine », in Hastings Center Report, 1996/6, p. 10a. La Politique, p. 27. Cf. sur ce sujet nos articles « Justice et santé. Chacun doit-il recevoir des soins en proportion de ses besoins ? », in Domaines de la justice distributive, in Revue de métaphysique et de morale, 2002/1 et « Exclusion et allocation des res-

64

Bernard Baertschi

justice, c’est d’une part que la justice ne peut se comprendre abstraction faite du concept de besoin, ce qui est bien normal, puisque la société et l’État sont au bénéfice de chacun, un bénéfice étant un bien satisfaisant un besoin, et que la classe des besoins doit être limitée par les fins de la communauté politique. Le besoin n’est toutefois pas le seul élément d’un critère qui se veut conforme aux circonstances de la justice. En effet, la justice exigeant la contribution de chacun des citoyens-bénéficiaires, il faut encore un autre élément, lié à une seconde idée fondamentale, celle de mérite. À chacun selon ses mérites, c’est-à-dire en fonction de sa contribution ; mais ici aussi, si le slogan est pris seul, il est inadéquat. Toutefois, avant de mieux voir pourquoi, il est nécessaire de dire plus précisément en quoi le mérite est important, car c’est un critère qui est souvent regardé avec suspicion – les arguments de Rawls y sont sans doute pour quelque chose – et qui est mis entre parenthèses lorsque se manifeste l’indignation dont on a parlé en introduction. Imaginons en effet que l’on distribue des biens sociaux comme les droits démocratiques selon le mérite (même si cela a lieu en partie : les criminels se voient souvent privés de certains d’entre eux), ou encore les soins en vertu du même critère, qui serait alors la contribution des individus au maintien de leur santé. Ces exemples le montrent toutefois bien : il s’agit de suspicion plus que de réprobation, c’est-à-dire d’une sorte de gêne, car d’une certaine manière, nous convenons tous, du moins avant réflexion, que le mérite a un rôle à jouer. Il suffit, pour qui n’en serait pas convaincu, qu’il effectue un sondage à partir de la question suivante : vous n’avez qu’un foie à transplanter et deux receveurs possibles médicalement équivalents, l’un a besoin d’un foie à cause d’une longue histoire d’abus d’alcool et l’autre parce que, à la suite d’une transfusion sanguine, il a contracté une hépatite. Par ailleurs, pour la distribution de certains biens, le mérite joue un rôle qui n’est pas contesté : pensons à l’attribution des diplômes et des emplois : outre la compétence, le mérite est ici valorisé. L’idée que le mérite est un ingrédient central dans la conception de la justice n’est pas nouvelle ; James Dwyer souligne : « Éviter l’idée du mérite est impossible. Après tout, la justice revient à donner aux personnes

sources médicales », in M. Giugni, M. Hunyadi (dir.), Sphères d’exclusion, Paris, L’Harmattan, 2003.

Les circonstances de la justice internationale

65

leur dû – leur donner ce qu’elles méritent »20 et Aristote déjà, affirme Diogène Laërce, « a dit que la justice est une vertu de l’âme qui distribue ce qui revient au mérite ».21 L’idée que le mérite introduit, c’est que pour avoir droit à quelque chose, il faut contribuer à ce quelque chose ; bref, le mérite est au besoin ce que le devoir est au droit. X a droit à Y parce qu’il en a besoin et parce qu’il y a contribué. À ce niveau fondamental, le mérite exprime donc tout simplement la contribution, et comme on ne peut distribuer que ce qu’on a produit (le bénéfice implique le fardeau), il n’est pas étonnant que la notion de mérite au sens de la contribution soit au centre de la notion de justice : plus on coopère à la production de biens, plus on y a droit – bien que le mérite n’implique pas nécessairement le zèle et l’effort, ces deux attitudes le renforcent. C’est d’ailleurs pourquoi on ne s’offusque généralement pas que quelqu’un, du fait de ses capacités et compétences naturelles, reçoive plus que les autres ; c’est qu’il a plus contribué. Et ainsi de l’effort : il a essayé de plus contribuer, même s’il n’y est pas arrivé. Comme le besoin, le mérite est plurivoque – est méritant celui qui contribue plus, que ce soit par son effort, ses capacités naturelles ou le hasard de sa naissance. Il en résulte qu’on ne saurait exiger au nom de la justice de bénéficier de biens alors qu’on s’est mis dans la situation de ne pas en disposer, et il n’est pas étonnant que la littérature morale soit pleine de ces figures : les cigales par opposition aux fourmis ou l’insulaire des mers du sud par rapport au bourgeois de Königsberg ; ainsi, dans les débats actuels sur l’allocation universelle, les réticences les plus fortes viennent de ce qu’on donnerait à qui ne contribue en rien, tel le surfeur du Malibu, pour reprendre une image de van Parijs.22 Cela précisé, il reste tout de même une objection qui semble plutôt formidable : il existe des biens particulièrement importants dont la distri20

21 22

« Illegal Immigrants, Health Care, and Social Responsibility », in Hastings Center Report, 2004/1, p. 37a. Vies et doctrines des philosophes illustres, p. 574 Réticences qui sont à notre sens justifiées, même si nous n’avons pas toujours pensé ainsi ; cf. notre article « Emploi et licenciements : de l’économie à l’éthique », in Éthique des affaires, 1996, 4/5. Cf. aussi A. Gorz : « On ne peut devenir membre d’une communauté si on n’a aucune obligation à son égard » (« On the Difference between Society and Community, and Why Basic Income Cannot by Itself Confer Full Membership of Either », in Ph. van Parijs (ed.), Arguing for Basic Income, London, Verso, 1992, p. 184).

66

Bernard Baertschi

bution ne paraît pas du tout liée au mérite. Pensons aux droits fondamentaux en général, et plus particulièrement au droit d’asile ou au droit à l’eau potable, qui font l’objet de bien des discussions actuellement. Il s’agit de droits fortement liés à des besoins que toute personne possède indépendamment de ce qu’elle fait, et donc de toute contribution ; le fardeau, ici, repose sur d’autres épaules. Ne faudrait-il alors pas distinguer plusieurs sphères de justice, en suivant Walzer, chacune redevable d’un critère de distribution différent ? « Différents biens sociaux doivent être distribués pour différentes raisons, selon différentes procédures, par différents agents. » 23 Dans cette optique, le mérite irait très bien pour l’allocation des peines ou des notes scolaires, mais pas du tout dans une situation de répartition des parts d’un gâteau. Que le critère du mérite ne puisse constituer le tout de la justice est évident, puisqu’on a vu que le besoin jouait aussi son rôle, et parce qu’il est extérieur à la logique de l’avantage de chacun qui préside à l’établissement de la communauté politique. Toutefois, adopter la position de Walzer en première ligne signifierait accepter un pluralisme des critères de justice sans fil directeur, une sorte d’éclatement des critères. Or, selon nous, ce n’est pas ainsi que fonctionne le concept, car besoin et mérite ne sont pas des critères parmi d’autres, mais constituent les deux éléments majeurs qui entrent dans le concept de distribution juste, ce qui est bien normal, puisqu’ils renvoient aux deux parties du concept de la justice que sont les bénéfices d’une part, les fardeaux de l’autre. Plus précisément, les critères particuliers de justice se placent sur un continuum dont les deux bouts sont occupés par le besoin et le mérite, si bien que tout critère placé entre les deux est un mixte de besoin de mérite, dans une proportion variable. Et lorsque cela n’apparaît pas, c’est pour l’une des trois raisons suivantes : 1° L’attribution est ardue : lorsque le besoin ou le mérite sont difficiles à évaluer, on les remplace souvent par des critères plus maniables. Ainsi en va-t-il dans les transplantations d’organes encore, où le couple mérite/besoin est remplacé par l’âge ou par le temps d’attente.24 D’autres critères, comme l’efficacité, sont aussi liés au besoin, puisque personne n’a besoin de soins inefficaces ; quant au tirage au sort, on le justifie en disant que tous les bénéficiaires potentiels ont même besoin ou même mérite. 23 24

Spheres of Justice, Oxford, Blackwell, 1983, p. 6. Cf. J. Elster, Local Justice, New York, Russell Sage Foundation, 1992, p. 65.

Les circonstances de la justice internationale

67

2° L’attribution est contestée : pensons à l’allocation de certains bien suivant la capacité de payer ou par rapport aux talents ; ici, la distribution est généralement dénoncée comme injuste, et ceux qui la soutiennent malgré tout sont alors forcés de la justifier, ce qu’ils font toujours en invoquant besoin et mérite, à savoir la contribution sociale – surtout ce dernier lorsqu’il est question de capacité de payer ou de talent. 3° Ces biens sont attachés à une caractéristique de notre personne qui nous appartient, pour ainsi dire, « par nature » et donc que nous ne saurions mériter. Ainsi les droits fondamentaux, qui occupent en fait l’extrémité « besoin » du continuum. Par contre, le mérite est réintroduit dans la jouissance réelle de ces droits : si on ne fait rien pour les faire respecter ou pour s’opposer à un gouvernement despotique, on n’en jouira pas, le degré zéro de cette contribution étant constituée par la bonne volonté ou l’acceptation du jeu : ne rien faire qui puisse casser le système.25

2.3. Les bénéficiaires de la justice La coopération sociale a permis la production de biens qui vont être distribués. À qui ? À ceux qui en ont besoin et qui le méritent est la réponse générale à donner, ce qui, en principe, représente tous les citoyens. Voilà donc deux nouvelles circonstances de la justice : les êtres humains sont des êtres de besoin, c’est-à-dire de manque, et ils ont la capacité de contribuer à combler ce manque, c’est-à-dire à satisfaire leurs besoins. Ce disant, il semble que nous ayons déjà répondu au dernier point soulevé : qui sont les bénéficiaires des biens sociaux distribués ? Sans doute, mais il reste des précisions à donner. D’abord, on pourrait nous reprocher de n’avoir rien dit d’une notion qui est au cœur de celle de justice : l’égalité. Amartya Sen l’a souvent souligné,26 mais il ne s’agit pas uniquement d’une conception moderne et particulière, puisque, pour Thomas d’Aquin par exemple, l’égalité est sémantiquement au cœur même du concept de justice : « Elle implique une certaine égalité, comme son nom lui-même l’indique : ce qui s’égale 25

26

Cette section a bénéficié des commentaires incisifs de Nicolas Tavaglione qui, nous en somme persuadé, continuerait à manifester son désaccord avec notre position. Cf. « Quelle égalité ? », in Éthique et économie, Paris, PUF, 1993.

68

Bernard Baertschi

s’ajuste, dit-on » [ea quae adaequantur justari].27 Ne dit-on pas que la justice est le traitement égal de ce qui est égal ? Or, le mérite n’est-il pas inégalitaire ? Certes, il l’est, mais seulement en résultat, et ce n’est pas cette égalité-là qui importe d’abord à la justice – dans certaines conceptions particulières de la justice, elle n’est même pas du tout pertinente –, mais l’égalité de statut et celle de traitement. Ce n’est pas par hasard que la formule que nous avons énoncée – la justice est le traitement égal de ce qui est égal – doit se compléter ainsi : et inégal de ce qui est inégal. Il y a donc une double égalité impliquée par la justice. Celle de statut d’abord. On l’a dit, les biens distribués doivent être produits et ceux qui ont droit aux bénéfices ne l’ont que parce qu’ils ont participé au fardeau de la production, même marginalement – ils ont mérité, puisqu’ils ont coopéré. C’est ici l’égalité de toutes les personnes qui participent à la coopération, et comme il s’agit de coopération sociale, et que la société actuellement est régie par l’État, ces personnes sont simplement les citoyens de l’État. 28 Autrement dit, la justice est d’abord intraétatique ; ou plutôt, elle est intracommunautaire – les communautés sont les cercles éthiques à l’intérieur desquels s’exerce la justice, cercle qui délimite qui sont les bénéficiaires.29 Voici donc encore une circonstance de la justice : l’appartenance communautaire – on peut aussi dire qu’il s’agit d’une précision par rapport à cette circonstance fondamentale qu’est la coopération sociale. Dès lors, disonsle déjà, il ne pourra y avoir de justice distributive internationale que s’il existe une communauté internationale. L’égalité de traitement ensuite : à mérite égal, biens égaux – Thomas d’Aquin aussi y insiste : « L’égalité de la justice distributive s’établit en accordant des parts diverses à différentes personnes proportionnellement à leurs mérites. » 30 La prise en compte du mérite n’est donc en rien une entorse à l’égalité qui, effectivement, est au cœur du concept de justice comme elle l’est dans toute la morale, et ainsi de l’impartialité – le traitement égal de chacun – qui en découle. Toutefois, il ne faut pas entendre ces concepts de manière rigide et indifférenciée. On reproche parfois

27 28

29

30

Somme théologique, 2a 2ae, q. 57, a. 1. Pour ne pas compliquer, nous ne dirons rien de la question des étrangers résidents, les considérant ici à l’instar des citoyens. Pour une approche de la morale des groupes en termes de cercles éthiques, cf. notre article « Le charme secret du patriotisme ». Somme théologique, 2a 2ae, q. 63, a. 1.

Les circonstances de la justice internationale

69

à l’utilitarisme et au déontologisme qu’ils ne se rendent pas compte que, parfois, on doit préférer certains intérêts – par exemple ceux de ses proches ou ceux de ses amis, et donc être partial. Mais partial, on ne l’est alors qu’en un certain sens, car en un autre, on reste impartial – ou du moins on peut le rester : toute personne A ayant la propriété x sera traitée de la même manière ; mais, évidemment, la propriété x varie – même une kantienne comme Onora O’Neill en convient : « Les principes universels ne sont pas pour cela uniformes. Un principe constant requerra des actions différentes par des agents différents dans des circonstances différentes. » 31 Or, la propriété x peut très bien être « est un ami », ou « est un compatriote ». Ce point est important pour notre propos, car la justice est éminemment sujette à ce type de partialité qui peut prendre la forme du privilège accordé au groupe ou à la communauté d’appartenance, on y reviendra. Une communauté politique n’est pas une collection d’individus, mais un groupe structuré. Au niveau des groupes nationaux, c’est l’État qui joue ce rôle structurant en exerçant le pouvoir politique. Par rapport à la justice, l’État est donc l’autorité ultime de distribution. Certes, il en existe d’autres, car il existe d’autres communautés, comme la famille, les Églises, les clubs, mais justement, ce ne sont pas des communautés politiques. Qu’il existe une telle autorité est encore une circonstance de la justice ; en effet, même les auteurs qui, à l’instar des libertariens, estiment que la justice exige que le mécanisme de distribution soit le marché doivent reconnaître l’existence d’une autorité qui impose et réglemente le marché ; sinon il n’y aura plus de distribution juste, mais quelque chose comme la loi du plus fort ou l’état de nature de type hobbesien. L’existence de cette autorité extérieure à l’individu explique aussi pourquoi la justice n’a pas simplement, comme les autres valeurs, une fonction d’idéal pour la per-

31

J. Garfield, « Particularity and Principle : the Structure of Moral Knowledge », in B. Hooker, M. Little (ed.), Moral Particularism, Oxford, Clarendon, 2000, p. 179. Cette manière de voir implique une conception déductive du raisonnement moral – ce qu’en bioéthique on appelle « principisme » ; on peut aussi en développer une conception inductive, casuistique sans mettre en danger l’universalité requise. Cf. sur ce point notre livre La valeur de la vie humaine et l’intégrité de la personne, Paris, PUF, 1995, ch. 6, § 3 et notre article « L’intelligence pratique en action : la casuistique », 2003, www.contrepointphilosophique.ch.

70

Bernard Baertschi

sonne, mais qu’elle est imposée, et donc qu’elle se prête aisément à un traitement déontologiste.32 Un point doit encore être relevé en ce qui concerne l’égalité : il arrive qu’une grande inégalité en résultat suscite un sentiment d’injustice. Comme pour tout sentiment, la question de savoir s’il est justifié se pose. La réponse n’est pas facile, car l’envie se drape aisément du manteau de la justice,33 mais on peut faire la remarque suivante : ce sentiment est en tout cas justifié lorsque l’inégalité est due à une différence de statut ou de traitement, ou encore lorsqu’elle est telle que certains disposent d’un large superflu alors que d’autres n’ont pas ce dont ils ont besoin et qu’ils méritent. Si tous les membres de la communauté politique sont dans une certaines aisance, il s’agit plus vraisemblablement d’envie, étant bien entendu que l’expression « certaine aisance » est socialement et historiquement variable et que de très grandes inégalités peuvent en venir à offenser le sentiment d’égalité de statut de tous les individus en tant que personnes et citoyens.

3. L’internationalisation de la justice est-elle possible ? À ce stade de notre analyse, il nous faut examiner les contraintes que ces circonstances exercent sur la justice internationale, voire même si elles ne la rendent pas impossible comme justice au sens strict. Mais à cet effet, rappelons d’abord quelles elles sont : 1° La rareté 2° Le besoin et le mérite (l’être humain est un être de besoin qui peut combler ce manque) 3° La coopération sociale et l’appartenance communautaire (l’être humain est un être social et politique)34 4° Une autorité de distribution 32

33

34

Cf. sur cette question notre livre La valeur de la vie humaine et l’intégrité de la personne, p. 143 et notre article « La place du normatif en morale », in Philosophiques, 2001/1. Relevons en passant que ce n’est pas le seul vice à le faire : la vengeance aime aussi à se déguiser ainsi. Comme le dit Stéphane Chauvier : « Rareté des ressources et égoïsme tempéré par un désir de coopération sont donc les conditions nécessaires à l’existence de la justice » (Justice internationale et solidarité, Nîmes, Chambon, 1999, p. 36). Dans un autre texte, « Les principes de la justice distributive sont-ils

Les circonstances de la justice internationale

71

Nous ne dirons rien de plus, sinon incidemment, ni de la rareté ni des besoins, si ce n’est que ce sont deux circonstances de base liées de manière privilégiée à notre physiologie et à notre psychologie, qui motivent justement que l’on se pose la question de la justice internationale dans l’espoir qu’une coopération à ce niveau aidera à diminuer la première en satisfaisant mieux les seconds, dans les cas où la communauté politique de l’État se révèle peu efficace, voire impuissante.

3.1. La coopération internationale et le mérite Pour que des biens puissent être distribués avec justice, il faut qu’ils soient produits de manière coordonnée, c’est-à-dire qu’ils soient les fruits de la coopération entre individus. Cela est valable au niveau des États, mais il n’y a évidemment aucune raison de se limiter à cette communauté. Comme le souligne Beitz : « Tout ce qui est requis, c’est que l’interdépendance produise des bénéfices et des fardeaux ; ainsi, le rôle d’un principe de justice distributive serait de spécifier à quoi une distribution équitable [fair] de ces bénéfices et de ces fardeaux ressemblerait. »35 Or, il n’est pas besoin de longs discours à l’âge de la mondialisation pour se convaincre qu’il existe coopération et interdépendance entre les États. Dès lors, même si on laisse de côté la réparation des injustices internationales passées, qui sont légion – pensons au colonialisme et à l’exploitation du Tiers-Monde –, c’est-à-dire la (re)distribution exigée par la justice réparatrice, la circonstance de la justice distributive qu’est la coopération est bien présente. Les échanges créent des richesses qu’il s’agit de distribuer, à quoi seuls échappent les biens produits de manière autarcique dans les États (mais en existe-t-il encore beaucoup dans notre monde actuel d’échanges ?), de même que, au niveau national, la justice ne concerne pas les biens produits de manière strictement privée – d’autres vertus, par contre, peuvent y être intéressées.36

35 36

applicables aux nations ? » (Domaines de la justice distributive, in Revue de métaphysique et de morale, 2002/1, p. 127-129), Chauvier dresse une liste plus complète des circonstances de la justice qui impliquent que les questions de justice distributive naissent dans un contexte où les personnes concernées n’ont pas le choix de leur dotation et de leur coopération ; selon nous, tenir compte du mérite ne permet plus de procéder ainsi. Op. cit. p. 152. Cf. Beitz, op. cit. p. 165.

72

Bernard Baertschi

La question des critères de distribution ne paraît alors pas poser de problème : besoins et mérite. Toutefois, ce n’est pas toujours simple, comme on le voit dans le cas des transplantations d’organes en Europe – il s’agit certes, ainsi qu’on l’a vu, d’un bien assez particulier ; ce n’est cependant pas son caractère particulier qui nous intéresse, mais ce qu’il nous apprend de l’impact du mérite sur la coopération sociale. Les différents pays européens ont un taux de donneurs très variable et les organes récoltés ne sont pas des biens produits par la coopération internationale. Comment alors les distribuer à travers l’Europe – ce qui est avantageux, car cela maximise la compatibilité entre donneur et receveur, puisque le pool est plus grand ? La solution retenue a été de ne transférer les organes internationalement qu’en proportion du nombre d’organes récoltés par nation ; ainsi les Espagnols – les plus généreux – ne verront pas leurs organes bénéficier plus que proportionnellement à d’autres pays. Cette solution estelle juste ? Pour le savoir, il faut d’abord identifier quel est le bien distribuable, c’est-à-dire celui qui est le fruit de la coopération internationale. Il s’agit bien sûr des organes, toutefois non en tant que parties biologiques, mais en tant qu’éléments récoltés nationalement et mis à disposition de la coordination internationale qui permet une plus grande efficacité et une meilleure réussite. En résulte-t-il une impartialité stricte entre tous les receveurs potentiels ? Non, car ce serait oublier que le besoin ne saurait compter seul et que le mérite doit aussi intervenir, c’est-à-dire la contribution. Or celle-ci justifie ici sans difficulté le schéma de répartition adopté – même s’il ne s’ensuit pas que ce soit le seul conforme à la justice (par contre, l’impartialité transnationale stricte serait ici injuste). Bref, la justice s’accompagne ici d’une préférence nationale – disons plutôt communautaire, car cette expression a été confisquée pas de détestables doctrines politiques – préférence justifiée par une différence au niveau de la contribution, du mérite donc : traitement inégal de ce qui est inégal. Cette préférence est d’ailleurs à plusieurs niveaux, puisque les pays non européens n’ont aucun droit à la distribution (sinon sur la base d’échanges ou du marché) – une impartialité rigide et stricte exigerait que, pour toute transplantation, on recherche planétairement qui bénéficierait le plus de l’organe. On voit ici combien est importante pour la justice l’appartenance communautaire, car elle est liée à la contribution, c’est-à-dire au mérite ; c’est à cette appartenance, elle aussi circonstance de la justice, qu’il nous faut maintenant venir.

Les circonstances de la justice internationale

73

3.2. La nature des communautés politiques Les communautés politiques sont des cercles éthiques qui ont notamment pour fonction une distribution juste des biens produits par et pour les membres de ces communautés. S’il doit exister une justice internationale, il doit exister une communauté internationale. Est-ce le cas ? La réponse à cette question dépend évidemment de ce que l’on estime nécessaire pour dire d’un groupe de personnes qu’il forme une communauté. Au minimum, comme le terme lui-même l’indique, il faut quelque chose de commun. Pour les communautés nationales – au sens de peuple et non d’État –, Will Kymlicka a proposé ceci : Une nation est une communauté historique, plus ou moins complète institutionnellement, occupant un territoire donné, c’est-à-dire une patrie, partageant une langue et une culture communes. Une ‹ nation › dans ce sens sociologique est étroitement liée à l’idée d’un ‹ peuple › ou d’une ‹ culture › – en fait, ces concepts sont souvent définis les uns par les autres.37

Évidemment, si on exigeait d’une communauté internationale qu’elle possède toutes ces caractéristiques, on devrait conclure qu’il n’en existe pas et qu’il n’en existera sans doute jamais. De manière plus réaliste pour notre propos, on notera que si une communauté internationale existe, ce sera sur la base de ce qui la constitue, à savoir une forme de coopération, d’abord politique et économique. Or, pour qu’une telle coopération existe, il faut des règles convenues et appliquées de bonne foi. Cela nous montre que toute communauté, aussi ténue soit-elle, repose sur des valeurs partagées qui permettent communication et coopération, sources de bienfaits : ainsi que le relève Emmanuelle Jouannet, une communauté « est toujours considérée comme un ensemble de personnes qu’unissent des valeurs ou des objectifs communs ».38 Ces valeurs – et la culture qu’elles constituent – sont évidemment plus minces au niveau international que dans la société nationale, et c’est bien normal, car outre les points d’accord, les points de divergence voire de désaccord seront bien plus nombreux ; c’est pourquoi encore, au niveau national elles sont plus minces que dans une communauté comme la famille. On peut coopérer 37 38

Multicultural Citizenship, Oxford, Clarendon, 1995, p. 11. « L’idée de communauté humaine à la croisée de la communauté des États et de la communauté mondiale », in La mondialisation entre illusion et utopie, Archives de philosophie du droit, Paris, Dalloz, 2003, p. 193.

74

Bernard Baertschi

avec des gens avec lesquels on ne voudrait pas vivre, à savoir partager une patrie, et encore moins un foyer. Selon certains auteurs, la minceur des valeurs partagées internationalement concerne déjà et de plus en plus les communautés nationales ellesmêmes, vu les profonds désaccords qu’on observe dans nos États, devenus multiculturels de part en part. Par exemple, pour Tristram Engelhardt, bien des personnes sont « des cosmopolites œcuméniques qui pensent que les hommes et les femmes partagent suffisamment en commun pour qu’un consensus moral ayant autorité puisse être découvert ».39 Mais, selon lui, ils se trompent : la raison universelle chérie par les Lumières a échoué et nous renvoie à nos visions du monde définitivement particulières : il ne saurait y avoir consensus ni sur le bien, ni sur le juste, c’est pourquoi les controverses morales fondamentales ne se résolvent pas : « Il apparaît qu’il n’existe pas plus d’uniformité parmi les philosophes ou les théories de la morale et de la justice que parmi les chefs religieux et les différentes religions »,40 même si ce sont toutes des personnes raisonnables (d’ailleurs, il n’y a pas même accord sur ce que « raisonnable » veut dire !). D’où la « cacophonie » des doctrines morales et notre statut d’« étrangers moraux » les uns par rapport aux autres. Dans une telle situation, la seule autorité morale commune qui reste est l’autorisation donnée par les individus – Engelhardt parle de « principe de permission » pour caractériser l’exercice de l’autonomie libérale –, si bien que l’État n’est moralement justifié à faire que ce que les individus qui le composent autorisent, c’est-à-dire de moins en moins de choses, y compris au niveau de la justice distributive, puisque de moins en moins de choses sont produites par la communauté politique. Toutefois, au fur et à mesure que l’État se vide de sa substance, cette dernière est reprise, sous un mode particularisé, par les différentes communautés religieuses et idéologiques, lieux de valeurs partagées épaisses. Il faut donc distinguer et opposer la société et la communauté, celle-ci étant « un corps d’hommes et de femmes liés ensemble par des traditions et / ou des pratiques morales communes organisées autour d’une conception partagée de la vie bonne, qui leur permet de collaborer en tant qu’amis moraux »,41 alors que, dans la 39 40 41

The Foundations of Bioethics, Oxford, Oxford University Press, 1996, p. ix. Op. cit. p. 35. Op. cit. p. 7. Cf. E. Jouannet, art. cit. p. 193 : « Cette idée de solidarité est en effet ce qui permet à la plupart des auteurs de faire la différence entre communauté et société, laquelle peut regrouper sans unir véritablement ».

Les circonstances de la justice internationale

75

société, nous collaborons en tant qu’étrangers moraux. L’aboutissement naturel du mouvement de la mondialisation et du multiculturalisme qu’elle implique, c’est la conjonction d’un État minimal et du communautarisme. Quelle que soit la justesse du diagnostic et l’avenir qui attend les communautés politiques nationales,42 il met bien en évidence que même une communauté ténue – celle que Engelhardt nomme « société » – permet la coopération et donc la production de biens sociaux, à la distribution desquels la justice est intéressée. Ne serait-ce qu’un modus vivendi, qui vaut mieux qu’un conflit ou une guerre. Il est donc possible de parler de justice internationale, car le concept de communauté internationale n’est pas vide – qu’on la conçoive comme regroupant l’ensemble des individus ou l’ensemble des États du monde43 – ; bien sûr, en cas de conflit entre avec la justice nationale, rien de ce que nous avons dit ne permet de savoir qui doit l’emporter. À cet effet, il faut pouvoir déterminer si nous sommes des êtres moraux d’abord en tant que personnes – comme le pensent les libéraux ainsi que la plupart des utilitaristes et des déontologistes – ou d’abord en tant que membres de groupes – comme le pensent les communautariens, bien des éthiciens de la vertu et des particularistes ; nous ne saurions examiner ici cet aspect du problème et nous contenterons de quelques remarques dans la section suivante.44 42

43

44

Nous nous sommes exprimé sur ce sujet dans « Quel patriotisme à l’âge de la mondialisation ? » in La mondialisation entre illusion et utopie et dans « Protéger les citoyens contre la violence : la raison d'être d'un État libéral ? », 2004, www.contrepointphilosophique.ch. David Resnik appelle « cosmopolites » les auteurs qui acceptent la première manière de voir : « Selon la conception cosmopolite, la justice internationale est une relation entre des personnes qui vivent dans des États différents, non une relation entre des États » (« The Distribution of Biomedical Research Resources and International Justice », in Developing World Bioethics, 2004/1, p. 49-50). C’est une distinction généralement reçue, mais à notre sens le qualificatif « cosmopolite » est équivoque, le cosmopolitisme étant généralement considéré comme la doctrine qui affirme la priorité de l’appartenance à l’humanité par rapport à l’appartenance nationale, ce que la position décrite ici n’implique pas. Selon nous, l’alternative est mal formulée, car il faut distinguer le point de vue de l’autorité morale (la personne) et celui de l’agir moral, pour lequel la priorité dépend du contexte, à savoir du cercle moral pertinent ; cf. sur ce point notre article « Le charme secret du patriotisme ».

76

Bernard Baertschi

3.3. L’autorité de distribution Toutefois, nous ne devons pas conclure hâtivement à la possibilité d’une justice internationale, car il reste une circonstance de la justice que nous n’avons pas encore examinée, à savoir l’existence d’une autorité de distribution possédant un pouvoir analogue à celui de l’État. En effet, on l’a dit, la justice a ceci de particulier qu’elle doit pouvoir être imposée. Or, ici, la justice internationale est manifestement en défaut, puisqu’il n’existe aucune autorité de ce type ; ce serait donc un concept vide, et si on veut encore parler de justice, celle-ci se résumera au mieux au droit des gens (jus gentium), ce qui est d’ailleurs son domaine d’application pour Rawls.45 Les perspectives ne sont cependant pas si sombres et la manière même dont nous avons présenté la question nous indique une solution. Nous avons dit qu’il n’existait aucune autorité internationale de distribution capable d’imposer la justice ; cela ne signifie toutefois pas qu’il doit y avoir une telle autorité pour que la justice existe en tant que concept, mais que lorsqu’il y a une telle autorité, la justice est réalisée (ou susceptible de l’être). Tant que cette autorité est absente, la justice reste un idéal à l’instar des autres valeurs, mais il ne tient qu’à nous d’instituer une telle autorité si nous voulons disposer des biens dont elle permet la production et la distribution. Autrement dit, l’existence de la justice internationale dépend de notre volonté de la faire exister, et cette volonté se manifeste déjà, dans les différents organismes internationaux autour des Nations-Unies. Par là, nous voyons aussi que la justice internationale peut être implémentée, si nous le voulons. Si nous le voulons ? Mais nous devons le vouloir ! Certes, si nous voulons nous comporter de manière morale et ne pas vouloir jouir des bienfaits de la coopération sans en supporter les fardeaux, ce que nous pouvons évidemment faire, dans la mesure où nous avons plus de pouvoir que nos partenaires. Il reste toutefois que la justice n’est qu’une valeur parmi bien d’autres et que, s’il s’avérait qu’elle mette en danger de plus importantes, elle devrait d’une manière ou d’une autre s’incliner – pour certains la souveraineté nationale est une telle valeur, mais ce que nous avons dit nous oblige à douter sinon du fait qu’elle soit une telle valeur, du moins du fait que la justice internationale la mette réellement en danger. Par ailleurs, si une communauté internationale existe, c’est un fait de volonté ; on a vu 45

Cf. Le droit des gens, Paris, 10/18, 1996.

Les circonstances de la justice internationale

77

qu’il n’y a pas d’accord sur ce point en ce qui concerne les communautés nationales, mais le doute ne peut exister sur la nature d’une communauté internationale ; or ce que la volonté fait, elle peut le défaire – les théoriciens du contrat social ont tous insisté sur ce point, même si les conditions qu’ils mettaient à la dissolution de la communauté politique la rendait impossible dans les faits. Ici comme ailleurs, la liberté ou l’autonomie reste un fondement de la vie morale – ce que Sartre a exprimé maladroitement à notre sens en affirmant que la liberté n’est pas une valeur mais « le fondement de toutes les valeurs ».46 Néanmoins, si ce sont les personnes individuelles qui sont toujours ultimement les porteurs de l’autorité morale en tant qu’agents moraux, c’est seulement en tant que membres des communautés politiques qu’ils peuvent faire et défaire la communauté internationale, cela parce que c’est seulement ainsi qu’ils peuvent préserver leur culture nationale et qu’une véritable action est possible dans un cercle éthique dont le rayon est très large (les partis et autres communautés culturelle ou d’intérêt jouent exactement le même rôle au niveau national). Autrement dit, si les personnes en tant qu’individus autonomes restent l’autorité morale – et donc de justice – ultime, ce n’est pas en tant que tels qu’elles prennent leurs décisions, mais en tant que membres de communautés culturelles, comme le souligne Will Kymlicka : « Les gens votent comme membres de communautés d’intérêt et désirent être représentés sur cette base » 47 – c’est en ce sens qu’Aristote avait raison de dire que les êtres humains sont naturellement des animaux politiques et c’est pourquoi un cosmopolitisme de citoyens du monde, loin d’être impartial, donnerait un avantage aux cultures qui ont le plus d’adeptes.48 Cela explique aussi pourquoi l’argument sceptique disant que la justice internationale est impossible parce que les États ne sont pas des agents moraux n’a pas de pertinence, car si effectivement seuls les individus sont des agents moraux, ils agissent aussi à travers des institutions. 46

47 48

L’existentialisme est un humanisme, Paris, Gallimard-Folio, 1996, p. 69. Cf. sur cette question notre livre La valeur de la vie humaine et l’intégrité de la personne, p. 119-122. Op. cit. p. 136. Il est clair que le fait d’avoir plus d’adeptes n’est pas forcément un signe de supériorité morale, car les individus ne choisissent pas librement leur culture en tant que personnes autonomes et rationnelles, tellement que la meilleure gagnerait. La « réussite » d’une culture peut avoir bien des causes, y compris une attitude agressive ou nataliste.

78

Bernard Baertschi

4. Conclusion L’idée d’une justice distributive internationale est conceptuellement robuste parce que la production de biens par coopération est possible sans qu’on puisse limiter l’étendue de cette coopération et parce que la production de certains biens n’est pas optimale, voire même possible, lorsqu’on en reste aux communautés nationales. C’est à une décision volontaire qu’il revient de décider de cette étendue, et c’est pourquoi, plus encore qu’au niveau national, le critère du besoin est ici indissociable de la volonté de contribuer, c’est-à-dire du mérite. Bien sûr, on pourrait toujours décider de vivre dans des ghettos étanches qui empêcheraient toute communication, même guerrière ; mais étant donné la géographie terrestre et la nature humaine, cela n’est ni à craindre ni à espérer. Le recours à la justice ne reste cependant moralement justifiable que dans les limites de la distribution de bénéfices produits par et pour ceux qui acceptent aussi d’en porter les fardeaux – et tout échange en produit déjà de tels, si bien que le justice distributive est en quelque sorte parasite de la justice commutative, puisqu’un échange est un jeu à somme positive. Aller au-delà, ce serait sortir des bornes de la justice pour faire appel à d’autres exigences normatives ou empiéter sur les prérogatives des communautés, voire sur les libertés des individus et par ce fait avantager certains groupes au détriment d’autres. Cette conception nous permet de lever une dernière difficulté : nombreux sont ceux qui pensent que la distribution des richesses naturelles est injuste, puisque certains peuples vivent dans des contrées richement dotées, alors que d’autres n’ont presque rien. Une telle situation, estiment-ils, demande une conception de la justice internationale basée sur une situation originelle à la Rawls, qui exige une certaine redistribution transnationale : en effet, les participants à la délibération fondatrice, ne sachant pas où ils naîtront, en tomberaient d’accord. Comme le dit Beitz : Ne connaissant pas la dotation en ressources de leurs propres sociétés, les participants tomberaient d’accord sur un principe de redistribution des ressources qui donnerait à chaque société une chance équitable de développer des institutions politiques justes et une économie capable de satisfaire les besoins de base de ses membres.49 49

Op. cit. p. 141. Beitz est loin d’être le seul de cet avis : de nombreux auteurs pensent aussi, contre Rawls, qu’il faut proposer une conception internationale

Les circonstances de la justice internationale

79

Indépendamment du fait que le monde naturel et ce qu’il contient ne comptent comme ressources que lorsqu’on sait quoi en faire, ce qui n’est pas une situation a-temporelle – qu’aurait fait notre ancêtre Cromagnon de pétrole ? –, une telle proposition contrevient à la thèse que nous défendons, à savoir que seuls les produits de la coopération ou qui sont impliqués par elle sont soumis à la justice. Ce serait grave pour notre conception si la proposition de Beitz était justifiée, mais ce n’est pas le cas car, si on la suit, on devra admettre l’imposition de valeurs non partagées, ce qui contrevient à l’exigence morale de base du respect des conceptions de la vie bonne que les individus choisissent et qu’ils réalisent dans des communautés culturelles de leur choix – au sens minimum où ils acceptent d’y vivre. Il s’ensuit qu’il est faux que « les États les mieux dotés économiquement doivent rendre leurs ressources accessibles »50 soit un principe de justice. Pour bien le comprendre, prenons l’exemple d’un pays qui possède de grandes quantités de pétrole – et si par pays, on entend ici État, puisque seul un État dispose d’un pouvoir suffisant à cet effet, le même argument vaut du point de vue moral aussi pour les nations.51 Soit il accepte de les exploiter et d’en faire commerce, soit il refuse. S’il refuse, on ne peut le forcer à entrer dans des échanges comprenant le pétrole si ce faisant on lui impose notre conception de ce qu’est une vie bonne (car s’il refuse, c’est peut-être qu’il veut préserver un mode de vie purement pastoral ; c’est peut-être aussi qu’il veut conserver son pétrole pour le vendre plus cher plus tard, mais alors il s’agit d’égoïsme, non d’injustice) – à moins peutêtre que ce refus soit un retrait mettant en conséquence en danger l’économie des autres États. S’il accepte, alors il entre en relation d’échange et de coopération produisant des biens distribuables, et il n’y a rien de plus à ajouter, les considérations de justice entrent en force.52 Bref,

50

51

52

de la situation originelle. Cf. encore Doyal et Gough, op. cit. p. 142 et surtout T. Pogge, Realizing Rawls, Ithaca, Cornell UP, 1989. S. Chauvier, op. cit. p. 128. Cf. toutefois ce qu’il dit ailleurs, art. cit. p. 131 n. 17 : « Rappelons simplement que le projet d’accroître indéfiniment la richesse sociale suppose une forme de vie déterminée, notamment une exploitation rationnelle de la force de travail, qu’il n’y a aucune raison de considérer comme une forme naturelle ou nécessaire de la vie humaine ». Cf. J. Tully, « Aboriginal Property and Western Theory Recovering a Middle Ground », in Social Philosophy and Policy, 1994/2. Comme on le voit, notre point de vue s’oppose à l’approche proposée par Stéphane Chauvier pour qui : « Il faut nécessairement commencer par le

80

Bernard Baertschi

on ne peut distribuer que ce qu’on a produit et il n’existe aucune obligation générale de produire quoi que ce soit (seule la coopération ou un engagement peuvent créer une telle obligation). Cela reste vrai à tous les niveaux de la discussion sur la justice et si A refuse de produire ou de laisser B disposer de ce que A a produit alors que B n’a contribué en rien à sa production affecte B, ce n’est en aucun cas une raison morale basée sur la justice qui permet d’objecter à la conduite de A ; et si cela peut parfois causer notre indignation, ce ne doit jamais être au motif qu’il y aurait là une injustice au sens de la justice distributive. Le cosmopolitisme, en tant qu’il soutient, comme le veut Beitz, que « les institutions que nous devons établir devraient être basées sur la considération impartiale de chaque personne qui en sera affectée »53 n’est donc pas, dans sa généralité, une position morale adéquate sur la justice même si elle a à voir avec la vie bonne.

53

problème de la répartition internationale des dotations si l’on veut discuter d’une théorie de la justice cosmopolite », laquelle, par conséquent « ne doit pas être pensée comme un principe de coopération sociale mais comme un principe de séparation sociale » (op. cit. p. 15-16) : les ressources, propriétés de tous, dans une sorte de communauté originaire rappelant la doctrine chrétienne que l’humanité est propriétaire de la création, devant être distribuées aux communautés, ce qui n’est qu’une version sophistiquée de la doctrine de la manne. Op. cit. p. 200.

Studia philosophica 64/2005

WILLIAM OSSIPOW

Maintenance et coûts de la justice globale A policy aimed at social justice has two dimensions: to reduce misery and to reduce inequalities. But these two dimensions may generate contradictory moves. An economic growth policy is likely to widen socio-economic inequalities whereas a strictly egalitarian policy will probably be sub-optimal from the point of view of the increase of global wealth. One way to escape this contradiction is to implement a strong and conscious state-led fiscal policy. The paper aims to give a philosophical foundation to the fiscal power of the state, legitimating it through the moral concept of special obligation. The state is the agency, which establishes a network of special obligations tying together the citizens, who have the duty to pay their taxes and the state, which has the duty to protect the citizens and to provide them with basic collective goods. To enhance our ethical demand for justice at the global level, each state has to strengthen this network of special obligations and to enter into supranational political sets – like the European Union – which develops additional networks of mutual and special obligations.

La question sociale, au XIXe siècle, avait pris progressivement une tournure obsédante. Elle inspira les mouvements révolutionnaires, le socialisme réformiste, le paternalisme social des élites politiques bourgeoises, la doctrine des Églises. Elle fut tellement présente que les sociétés qu’elle tourmentait finirent bien par trouver des solutions, au moins partielles, qui sont devenues depuis lors parties intégrantes du fonctionnement des sociétés occidentales avancées modernes. Aujourd’hui, il est juste de dire que la question sociale est devenue mondiale. Par les effets de la globalisation, les États et leurs populations sont entrés en interaction et, par le biais des médias et de leur extraordinaire capacité de susciter l’émotion, par celui des échanges de toutes sortes, le destin de chaque nation concerne de plus en plus l’ensemble de tous les autres hommes. Une réflexion sur la manière dont on peut poser, sur le plan philosophique, le problème de la justice sociale, de même qu’une réflexion sur la manière dont la fameuse question sociale a été traitée au cours du XXe siècle devrait peut-être permettre de poser des jalons pour une meilleure compréhension de la question sociale globale, celle qui se pose à l’échelle

82

William Ossipow

planétaire. Il y a certainement une leçon à retenir de l’expérience humaine multiséculaire de faire face à ces grandes difficultés que sont d’une part les écarts entre riches et pauvres et d’autre part la grande misère de trop de populations. S’il y a toujours eu des riches et des pauvres, et même s’il y en a encore, la société moderne, parce qu’elle est démocratique, apprend à tous ses membres leur égalité fondamentale et les pousse à vouloir combler le fossé social. Mais par ailleurs et dans le même temps, la société moderne incite tous ses membres à se précipiter dans la course à la richesse, à la prospérité, à jouer le jeu concurrentiel et celui de la consommation. Et cette fuite en avant éperdue dans le mode de production capitaliste est à son tour créatrice de profondes inégalités. Il y a donc des forces antagonistes qui sont à l’œuvre dans la société moderne. Au plan conceptuel, il faut souligner deux dimensions à la notion de justice sociale. D’une part on dit qu’il est injuste qu’une personne, ou un groupe social tout entier, vive dans la misère, n’arrive pas à se nourrir correctement, ni à se vêtir, ni à éduquer normalement ses enfants. Par cela on veut dire qu’en deçà d’un certain niveau de vie, des conditions d’existence indignes de l’idée que l’on se fait d’un être humain sont imposées (peu importe ici par qui : par la vie, la société, le système ?) et que cette situation suscite le sentiment de l’inacceptable. En cela consiste son injustice. L’autre dimension est l’inégalité sociale : il est communément considéré comme injuste dans notre monde qu’il y ait des riches et des pauvres et plus l’écart entre riches et pauvres s’élargit, opposant des très riches et des miséreux, plus on considère que l’on se trouve dans une situation sociale injuste. L’injustice atteint bien sûr son comble lorsque les deux dimensions se cumulent, à savoir lorsque des miséreux vivant dans des conditions de misère infrahumaines côtoient une population très riche. Nul doute que cette dernière situation caractérise bien la situation sociale du monde globalisé de ce début du troisième millénaire. Notons cependant que des figures plus complexes peuvent localement apparaître : des inégalités économiques et sociales importantes sans qu’il y ait pour autant de la misère. Et il peut y avoir, au moins en théorie, une pauvreté généralisée, exempte d’inégalités entre riches et pauvres. C’est ce que j’appellerais volontiers le modèle maoïste. La figure la plus satisfaisante serait une relative égalité avec un niveau de vie élevé. C’est à ce modèle que tendrait ce que l’on peut appeler la social-démocratie. On retrouve au niveau économique et social – qui est celui de notre problématique dans ce texte – le grand axe polaire qui a tant intéressé

Maintenance et coûts de la justice globale

83

l’anthropologue français Louis Dumont :1 un axe, que j’appellerai vertical, et selon lequel la société est structurée hiérarchiquement, reflétant, au niveau social, les degrés de perfection du cosmos et de l’univers divin luimême. La société-type organisée selon ce paradigme, est la société de castes indienne, mais il faut se garder de sous-estimer l’importance d’une structuration sociale hiérarchique dans l’univers religieux et social de l’Occident, en particulier de l’Occident médiéval. L’autre axe polaire, que j’appellerais horizontal, est le paradigme de l’égalité, devenu progressivement depuis le XVIIIe siècle, caractéristique de la société occidentale moderne, libérale et sociale. Le paradigme horizontal est actuellement largement dominant dans le monde occidental et dans les grandes philosophies morales et publiques universalistes que l’Occident a inspirées, comme la philosophie publique des droits de l’homme, des droits des peuples, etc. Depuis le siècle des Lumières, depuis les Révolutions américaine et française, depuis la montée en force du mouvement ouvrier et du socialisme, une très forte conscience de l’égalité des hommes traverse non seulement le monde occidental mais, à des degrés divers, l’ensemble du monde en voie de globalisation. Il subsiste cependant de forts résidus du paradigme vertical. Non seulement à titre de vestiges en voie de disparition, mais bien comme ferment encore actif de la structuration des sociétés jusque dans leurs secteurs les plus modernes comme les entreprises. C’est en effet dans cet univers-là que des inégalités considérables sont reconstituées, et où le critère aristotélicien par excellence de la justice distributive, le mérite, est invoqué en force pour justifier les salaires vertigineux du management des grandes sociétés privées. Cependant, la persistance de la verticalité dans les sociétés modernes ne doit pas masquer les grandes différences qui existent avec les sociétés qui furent intégralement structurées par le paradigme hiérarchique et vertical : dans ce dernier cas, il s’agit de sociétés rigides, au sens où le passage même d’un palier à l’autre de la hiérarchie, comme le passage d’une caste à l’autre n’est simplement pas concevable.2 La reproduction de la structure inégalitaire se déroulait sans heurts, garantie 1

2

Cf. L. Dumont, Homo hierarchicus. Le système de castes et ses implications, Paris, 1966 et Homo aequalis, Paris, Gallimard, 1976. L. Dumont, Homo hierarchicus, p. 311 : « En général, la caste est conçue comme une variété de la classe, qui en diffère en ce qu’elle interdit la mobilité vers le bas comme vers le haut ».

84

William Ossipow

par une rigidité sociale généralisée. Au contraire, l’inégalité résiduelle de nos sociétés modernes existe sur le fond de la mobilité sociale, de la concurrence des compétences et des élites méritocratiques formant l’armature d’une dynamique et d’une fluidité sociale qui laisse participer cette structure inégalitaire au mouvement progressiste d’ensemble de la société ouverte selon l’expression de Karl Popper. Les inégalités ne sont admises, dans le régime de la modernité qui est le nôtre et qui incline vers l’horizontalité, qu’à la condition qu’elles puissent être justifiées de manière en principe rationnelle. Or l’argument du mérite, qui est invoqué pour l’octroi de salaires considérables aux cadres élevés des entreprises, signifie que le bénéficiaire d’un tel salaire y a pleinement droit parce que son apport à la société le justifie : la prospérité de l’entreprise, imputée aux cadres, justifie à titre de récompense et d’encouragement des salaires très élevés qui vont creuser des écarts de revenus considérables. Il y a là un argument de nature fonctionnaliste et conséquentialiste qui peut emporter l’adhésion : il est bon que le mérite soit récompensé, car la société bénéficie dans son ensemble du mérite de quelques uns de ses membres, des performances de ses élites. La présente contribution se propose d’analyser le problème suivant : au niveau interne des nations, là où fut posée traditionnellement la question sociale, l’action pour la justice se heurte à une antinomie dérivant des deux dimensions de la justice sociale et que la réflexion philosophique peut contribuer à mettre en lumière. D’une part, c’est un impératif moral et politique de combattre la misère et les conditions de vie infrahumaines qui forment le cortège de la misère. Dans le cadre d’une pensée universaliste, si l’on pense que la misère est dégradante pour les personnes et que la prospérité est épanouissante, l’amélioration de la situation socio-économique globale s’impose comme un impératif. À cet effet, il est nécessaire d’augmenter la production économique, de mettre l’économie sur le chemin de la croissance, d’augmenter les incitations à l’investissement, à la recherche et à l’innovation. Il faut donc lancer la société dans le parcours de production de richesses, là où le capitalisme et l’économie de marché se sont révélés insurpassables. En suivant cette voie, qu’un pays encore gouverné par le parti communiste comme la Chine n’a pas hésité à suivre avec enthousiasme, le risque est grand de creuser les inégalités. La voie de l’accroissement de la richesse et de la sortie consécutive de la misère semble être également celle de l’accroissement des inégalités. Ainsi, en essayant d’agir sur l’une des dimensions de la justice sociale, le risque est

Maintenance et coûts de la justice globale

85

grand de péjorer la situation sociale en ce qui concerne l’autre dimension de la justice, celle relative à l’égalité. Inversement si l’on se fixe comme objectif de ne pas admettre d’inégalités sociales, on prend le risque de pénaliser l’esprit d’entreprise et de compromettre la production des richesses. Pour sortir de la misère, il faudrait consentir à introduire plus de verticalité socio-économique dans une société qui aspire pourtant profondément à l’horizontalité de relations sociales égalitaires. Manifestement les deux dimensions fondamentales de la justice ne peuvent être toutes deux maximisées : si l’on souhaite maximiser la richesse économique globale de la nation, il semble qu’il soit nécessaire de rabattre les prétentions que l’on peut avoir en termes d’égalité ; si l’on souhaite maximiser l’égalité des citoyens, cela ne peut être obtenu qu’en introduisant une dose de contrainte. On peut ainsi imaginer qu’une société se fixe comme objectif d’égaliser tous les revenus autour du revenu moyen et ce qui dépasserait le revenu moyen serait confisqué et reversé à ceux qui ont un revenu inférieur au niveau moyen. Cependant le fait que ces deux dimensions ne puissent être maximisées en même temps ne signifie pas que des ajustements fins et fonctionnels ne peuvent pas être trouvés. Il me semble que c’est précisément la vertu du modèle social-démocrate que d’être parvenu à un ajustement des deux dimensions permettant, finalement, de réconcilier l’exigence de justice de suppression de la misère et celle de la diminution des inégalités. Ce résultat, surprenant au regard des prémisses qui ont été posées jusqu’ici, a pu être historiquement obtenu précisément dans la mesure où l’on a renoncé à la maximisation de l’une ou l’autre des dimensions. Ce n’est pas pour rien que la social-démocratie n’est pas aimée de ceux qui sont épris d’un désir d’absolu en matière économique et sociale. Ce n’est pas pour rien non plus qu’elle est considérée comme la voie du compromis,3 voire de la compromission. Concrètement, cela signifie que l’on va tendre à supprimer la misère en encourageant la production capitaliste de richesses ; d’autre part on va limiter le creusement des inégalités dû à l’accroissement des richesses tout en tolérant que subsiste une certaine inégalité sociale. L’ensemble de ce processus doit être, par ailleurs, globalement contrôlé et régulé, dans l’optique d’un ajustement optimal, par l’intervention étatique qui s’exerce par le biais de la fiscalité, des prélèvements sociaux, de l’affectation des budgets publics à la production de biens collectifs et des transferts sociaux. 3

Cf. A. Bergounioux, La social-démocratie ou le compromis, Paris, PUF, 1979.

86

William Ossipow

1. Croissance des richesses, croissance des inégalités Les sociétés modernes sont profondément marquées et structurées par le paradigme horizontal de l’égalité : du point de vue politique, il est établi que tous les citoyens sont égaux devant la loi, que le processus politique se déroule selon le principe égalitaire un homme, une voix, que la philosophie publique condamne tout racisme institutionnel ou toute prétention à la supériorité d’une race, ethnie, religion ou culture sur une autre. Mais ces mêmes sociétés sont également travaillées par le souci majeur de la richesse (pour ne pas dire l’obsession de la richesse), de la consommation, du progrès, technique, économique et social. Or le désir de richesse, qui a trouvé historiquement une traduction opérationnelle dans la mise en place de l’économie capitaliste de marché, conduit à la création des inégalités sociales. Une économie capitaliste de marché repose sur la liberté des échanges, des transactions, sur l’intégrale libre disposition de son bien par le propriétaire. Or ce régime de libre disposition des biens et de libres transactions introduit des instabilités locales et des déséquilibres : « Le régime de l’égalité simple ne durera pas longtemps. Il en sera ainsi parce que la poursuite de la conversion, le libre échange dans le marché, produira nécessairement des inégalités dans son sillage. » 4 La liberté des échanges non seulement ne garantit pas l’égalité, mais tend à la détruire. Dans le même ordre d’idées, Robert Nozick souligne qu’« avec le temps, tout modèle de distribution ayant une composante égalitaire peut être bouleversé par l’action volontaire de quelques individus ».5 Ainsi la dynamique libérale laissée à elle-même engendre une augmentation des inégalités sans aucune garantie que ces inégalités puissent effectivement servir à améliorer la situation des plus défavorisés selon le principe formulé par John Rawls qui devrait permettre de justifier les inégalités sociales. Au bout du compte, la situation à laquelle on aboutit risque fort de s’éloigner dramatiquement d’un équilibre considéré comme correct par la société et surtout de la représentation que l’on peut se faire d’une société juste. On peut démontrer de manière plus théorique cette instabilité d’une dynamique socio-économique fondée sur la liberté des transactions. Le 4

5

M. Walzer a bien souligné ce point dans Sphères de justice. Une défense du pluralisme et de l’égalité, trad. P. Engel, Paris, Seuil, 1997, p. 37. R. Nozick, Anarchie, État et utopie, trad. E. d’Auzac de Lamartine, Paris, PUF, 1988, p. 205.

Maintenance et coûts de la justice globale

87

principe de départ de cette démonstration est de montrer qu’il suffit d’une inégalité de départ, même mineure, pour entraîner, sur le moyen terme, des inégalités qui se révèlent considérables. On peut évoquer ici l’expérience de Blackwell et Kendall :6 il y a dans une urne une boule noire et une boule blanche. On procède à un tirage qui obéit à la règle suivante : on tire une boule au hasard et on la replace dans l’urne en y ajoutant une boule de même couleur. On accorde ainsi une prime à la première boule tirée aléatoirement, disons la noire. En réitérant l’expérience selon la même règle qui prime la boule tirée, le nombre de boules noires va augmenter, fluctuer, puis se stabiliser à un haut niveau. La situation initiale peut être dite équiprobable (0.5 / 0.5), la situation stabilisée est beaucoup plus homogène : majorité de boules noires (0.84 / 0.16). La dynamique entropique du système laissé à lui-même engendre l’homogénéité. La boule noire, que l’on peut appeler, dans le contexte de notre problématique sur la justice socio-économique, le « capital noir », bénéficie à tel point du hasard heureux qui lui a permis d’être tirée en premier que cet avantage l’accompagne dans la suite du processus au point de devenir décisif et de creuser une très profonde inégalité. On peut également imaginer la situation suivante : Noir et Blanc disposent initialement du même capital (par exemple un terrain). Blanc choisit de vendre son capital à Noir contre une rente qui doit lui permettre de vivre agréablement sur la Côte d’Azur jusqu’à la fin de ses jours. Il est certain que la liberté de telles transactions va permettre à Noir de bénéficier d’une concentration de capital, alors que Blanc a choisi de disperser et de diluer son propre actif. Au bout du compte, l’inégalité se sera creusée le plus naturellement du monde. L’économie capitaliste de marché se fonde sur la philosophie publique libérale dont l’une des expressions contemporaines les plus vigoureuses se trouve dans le courant libertarien et chez Robert Nozick en particulier.7 Le développement économique et le jeu des agents économiques ont besoin pour se déployer avec efficacité, d’une reconnaissance sociale et ultimement juridique du droit de propriété (en général) et des droits particuliers de propriété des différents individus. En outre, il est nécessaire que l’ensemble des transactions qui ont lieu dans le cadre d’une économie 6

7

Voir à ce sujet M. Forsé, L’ordre improbable. Entropie et processus sociaux, Paris, PUF, 1989, p. 105-106. R. Nozick, op. cit.

88

William Ossipow

structurée par le droit de propriété soit reconnu comme légitime. Une fois admis la légitimité de la distribution des droits de propriété à un moment donné, dans une société donnée, on doit renoncer à toute stratégie conséquentialiste visant un résultat spécifique posé comme souhaitable. On doit en revanche laisser jouer librement les transferts légitimes (dons et échanges volontaires) entre possesseurs légitimes et accepter l’état de fait qui ressort de ce complexe incessant d’interactions. Rappelons les grandes lignes de la fable que Nozick raconte dans son ouvrage État, Anarchie et Utopie : le fameux joueur de base-ball Wilt Chamberlain, qui attire les foules à chaque match auquel il participe, obtient dans ses contrats une clause lui accordant 1 dollar par billet vendu. Il est clair qu’au bout de la saison Wilt Chamberlain a pu amasser une fortune considérable alors que les spectateurs ne sont riches que de l’émotion esthétique procurée par un beau match. En fait l’inégalité socioéconomique aura augmenté et Nozick estime qu’il n’y a là rien d’anormal sur le plan moral : chaque spectateur aura dépensé son dollar volontairement, dans une transaction légitime où tous les partenaires auront eu ce qu’ils désiraient, les uns une belle prestation sportive, les autres la rémunération convenue pour cette prestation. Que le résultat d’ensemble soit une inégalité sociale accrue non seulement n’est pas un problème pertinent dans l’optique libertarienne, mais, bien plus, cette inégalité est totalement justifiée par la liberté intégrale qui a présidé aux transferts et à laquelle tous ont consenti. Le raisonnement libertarien de Nozick, même s’il heurte certaines convictions bien établies, mérite attention et examen. En premier lieu, il est à compter comme mérite du modèle nozickéen le fait d’être proche de notre expérience de la vie économique et sociale en régime libéral. Il est vrai, en effet, que nous évoluons dans un monde (en tout cas dans le monde développé, en gros circonscrit par la zone des pays de l’OCDE) où la quasitotalité des choses ont un propriétaire et dans l’immense majorité des circonstances la légitimité de ces propriétés n’est pas remise en question. Donc nous évoluons largement dans un univers forgé selon une axiomatique à la Nozick. À l’exception des cas litigieux qui sont réglés devant les tribunaux, les acteurs de la vie économique et sociale acceptent spontanément les titres de propriété implicitement détenus dans la société. Lorsque nous allons voir un match de football ou un film, personne ne nous demande si notre billet a été acquis légitimement ou avec de l’argent légitimement acquis. Dans la vie courante, il y a présomption que les titres de

Maintenance et coûts de la justice globale

89

propriété produits sont valides et le poids de la preuve que ces titres ne seraient pas légitimes repose sur celui qui met en doute leur légitimité. En second lieu, la fable de Wilt Chamberlain explique largement les mécanismes de formation des grandes fortunes dont l’écart avec les revenus les plus faibles consacre le phénomène d’inégalité sociale et, partant, génère le sentiment d’injustice. Alors qu’au 19e siècle l’accumulation du capital était largement expliquée, chez Marx par exemple, par l’exploitation du travail salarié et l’extorsion de la plus-value par le capitaliste équivalente à un vol du travailleur, la création contemporaine du profit suit des voies plus diversifiées qui savent remarquablement utiliser la capacité à dépenser des masses acquises à la consommation grâce au fordisme triomphant. La recette de la création légitime de revenus est bien explicitée par la fable de Chamberlain : un prélèvement minime sur les revenus d’un très grand nombre de personnes (en l’occurrence les spectateurs des matchs) permet le miracle arithmétique conjoint d’un effet d’entonnoir caractérisé par une grande dispersion des coûts (beaucoup de contributeurs) et une grande concentration des bénéfices (les milliers de dollars individuels vont dans le seul portefeuille du joueur de base-ball). Dans la mesure où quelqu’un possède le monopole sur un produit breveté, tel par exemple un logiciel révolutionnaire qui se révèle d’une utilité sociale considérable, alors le même mécanisme générateur de flux financiers unidirectionnels se reproduit, comme il se reproduit dans le cas des prélèvements capitalistes ou fiscaux sur le pétrole, etc. Notons aussi que ce mécanisme qui joue dans le sens de l’appropriation privée, quelque peu insolente, d’une rente de monopole peut être aménagé dans un sens nettement plus satisfaisant pour notre sens moral, comme on le voit dans le cas de ce qu’il est convenu d’appeler le commerce équitable. Lorsqu’une grande surface commerciale vend des assortiments de café avec un surcoût de dix à vingt pourcent destiné au développement durable des pays exportateurs, les sommes pour le consommateur individuel sont relativement dérisoires et indolores. Sur la masse totale du café équitable vendu, une action efficace en faveur des producteurs des pays en voie de développement est alors rendue possible grâce à l’effet d’entonnoir. Dans le cas du producteur de logiciel ou dans le cas du café équitable, c’est le même mécanisme économique qui est en jeu, une fois marqué du signe moralement positif de l’aide au développement des plus pauvres, une autre fois du signe moralement contestable de l’appropriation privée.

90

William Ossipow

Nozick conclut donc que l’état du monde qui découle des transactions légitimes entre possesseurs légitimes est lui-même légitime. Cette conclusion me semble correcte dans une optique individuelle et à court terme. Elle doit pourtant être sérieusement relativisée en introduisant une analyse à long terme des transformations introduites dans la société par l’accumulation de myriades de transactions toutes légitimes.

2. Effets pervers et saut qualitatif Contre la thèse de Nozick selon laquelle l’état du monde émanant de transactions légitimes entre propriétaires légitimes est lui-même légitime, j’aimerais développer l’argument suivant : même si l’on admet que l’ensemble de microtransactions qui se déroulent chaque jour sur la scène économique et sociale sont légitimes en vertu de titres de propriété irréprochables, il faut réserver le cas de situations où le résultat d’ensemble, en particulier au niveau macrosocial, peut se révéler illégitime. Ce passage du légitime à l’illégitime provient en fait du déploiement inévitable du mécanisme bien connu dans la pensée économique et sociale libérale des effets pervers ou effets de composition. On entend par là le fait que l’accumulation (ou composition ou agrégation) d’actions individuelles ayant chacune une intention déterminée, une finalité bien précise pour les sujets qui les accomplissent, crée une situation nouvelle que les acteurs sociaux n’avaient ni voulue ni prévue.8 Prenons l’exemple suivant : il est parfaitement admis, dans notre monde, que chaque individu qui en a les moyens financiers possède une automobile et en fasse usage. Rien de plus innocent en effet qu’une promenade dominicale pour admirer les beautés de la campagne et jouir des joies de la montagne. Rien de moins criminel que de se rendre consciencieusement à son travail, chaque jour, avec un véhicule personnel. À l’échelle microéconomique et microsociale, toutes ces actions sont parfaitement légitimes et dûment reconnues comme telles par le droit existant. L’innocence et le caractère inoffensif du conducteur individuel paraissent moins clairement non problématiques si l’on effectue le raisonnement 8

Ce phénomène a depuis longtemps attiré l’attention des économistes et des sociologues. Voir notamment R. Boudon, Effets pervers et ordre social, Paris, PUF, 1977.

Maintenance et coûts de la justice globale

91

postulé par la méthodologie de l’individualisme méthodologique. Car l’effet agrégé ou composé des millions de kilomètres parcourus par des millions d’automobilistes tous plus innocents, à leur échelle, les uns que les autres, aboutit à des pollutions monstrueuses génératrices de l’effet de serre et de ses conséquences gravissimes pour le climat et l’avenir de la biosphère. On doit conclure de ce simple exemple que l’usage privé et individuel de certaines libertés peut avoir des conséquences agrégées dont il serait irresponsable que des politiques ne tiennent pas compte sous le simple prétexte du respect des libertés. Ainsi la liberté d’utiliser sans restriction une technologie polluante devrait être mise en question, et commence à l’être effectivement en divers lieux.9 La société qui émerge donc des séries infinies de transactions légitimes risque fort de se présenter comme fondamentalement contre-intuitive par rapport à notre idéal de justice, parce que foncièrement inégalitaire. Là se situe très vraisemblablement l’effet pervers ou l’effet de composition majeur du modèle nozickéen. S’il est parfaitement exact qu’un ordre socioéconomique juste et efficient doit laisser se dérouler librement les transactions découlant de la libre disposition des biens par leurs propriétaires, il n’en est pas moins vrai que ces libres transactions ont pour effet d’aggraver les inégalités sociales, et l’on doit prendre en compte le fait que ce processus d’aggravation se poursuive jusqu’à un point où une transformation qualitative majeure se mette lentement et silencieusement en place au sein de la société qui, au départ, était structurée de manière égalitaire. Différentes réactions sont possibles face à ce schéma de développement : soit, dans la logique libérale, on laisse faire et la situation risque d’évoluer vers une sorte de domination oligarchique des détenteurs (très concentrés) de capital noir (comme nous l’avons appelé plus haut). Ce modèle contredit très nettement le paradigme horizontal qui travaille nos sociétés. Or une situation injuste caractérisée par de profondes inégalités qui ne profitent pas aux plus défavorisés est, sur le plan pragmatique et politique, une situation sociale fondamentalement instable, pouvant impliquer une agitation révolutionnaire et, par conséquent, une forte dose de répression (et donc d’illégitimité) pour maintenir l’ordre. Et c’est une situation qui heurte les aspirations égalitaires maintenant courantes dans une conjoncture de 9

Monique Canto-Sperber développe cet aspect des effets agrégés sous l’angle de la responsabilité morale. Cf. son L’inquiétude morale et la vie humaine, Paris, PUF, p. 92-100.

92

William Ossipow

modernité politique et sociale. L’autre solution est que la société intervienne dans les pratiques sociales pour entraver la dynamique inégalitaire.

3. L’intervention a posteriori Il serait pourtant erroné de penser que le remède correct à la dynamique créatrice d’inégalités consisterait soit à supprimer, en les déclarant a priori illégitimes, les titres de propriété – ce qui serait la solution communiste ou maoïste – soit à limiter de manière drastique les flux de transactions, par exemple en interdisant toute transaction foncière ou toute transaction sur les changes (contrôle des changes) ou en introduisant toute autre restriction que ce soit. La solution consiste d’abord à laisser les transactions légitimes (en termes nozickéens) se dérouler normalement pour permettre la création de richesses, puis, dans une phase ultérieure, à intervenir, d’une manière ou d’une autre, après que les transactions se sont déroulées, afin de rétablir a posteriori une situation conforme à notre intuition de justice. La nécessité d’une intervention pour se rapprocher d’un modèle égalitaire est une évidence. Nozick lui-même ne conteste pas que l’intervention soit le bon moyen de rétablir l’égalité, ce qu’il conteste en revanche, c’est que rétablir l’égalité soit un objectif de justice acceptable : Pour maintenir un modèle, il faut ou bien intervenir continuellement pour empêcher les gens de transférer des ressources comme ils le désirent, ou bien intervenir continuellement (ou périodiquement) pour enlever à certaines personnes des ressources que d’autres, pour certaines raisons, choisissent de leur transférer.10

J’appelle maintenance l’action volontariste de la société sur elle-même, qui passe généralement par la médiation du politique, et qui se traduit par une intervention de nature contraignante opérée dans le but de renverser la tendance entropique vers la concentration du capital noir et ainsi de réduire les inégalités. Il faut souligner que ce mode d’intervention a posteriori possède une assise anthropologique solide. L’intervention a posteriori a été et reste l’un des modèles privilégiés adoptés par les sociétés pour lutter contre les dérives des distributions de biens dans des zones par trop éloignées de l’intuition commune de la justice. 10

R. Nozick, op. cit. p. 204.

Maintenance et coûts de la justice globale

93

Si l’on regarde l’histoire des institutions socio-économiques, on remarquera que nombre d’entre elles ont pour fonction de mettre un point d’arrêt à une dynamique qui éloigne une société d’un état jugé souhaitable selon un critère donné. Un exemple d’école est la très vénérable institution biblique de l’année sabbatique et de l’année du Jubilé qui, toutes deux, remontent aux prescriptions les plus anciennes de la Torah et que l’on trouve notamment dans le Lévitique. S’inscrivant dans le rythme sabbatique inauguré par Dieu lui-même dans son œuvre de création, qui dura six jours suivis d’un septième jour consacré au repos, les années sabbatiques se succèdent tous les sept ans ou, dans le cas de l’année jubilaire, tous les sept fois sept ans.11 Les prescriptions de l’année sabbatique et de l’année jubilaire s’articulent autour de quatre points forts : la jachère du sol, la remise des dettes, la libération des esclaves, le recouvrement par chacun de son patrimoine. Selon le commentaire que donne Stéphane Mosès du commandement de remise des dettes, cette rémission « viendrait alors corriger la rigidité des structures sociales, empêchant que les inégalités se figent et se perpétuent et favoriser au contraire la libre circulation des appartenances sociales ».12 L’année jubilaire reprend l’essentiel des prescriptions des années sabbatiques en insistant plus spécialement sur la libération des esclaves et le retour de chacun dans son patrimoine. Rappelons ici le célèbre texte biblique instituant le statut de cette année particulière : Vous déclarerez sainte cette cinquantième année et proclamerez l’affranchissement de tous les habitants de ce pays. Ce sera pour vous un Jubilé : chacun de vous rentrera dans son patrimoine, chacun de vous retournera dans son clan. Cette cinquantième année sera pour vous une année jubilaire : vous ne sèmerez pas, vous ne moissonnerez pas les épis qui n’auront pas été mis en gerbes, vous ne vendangerez pas les ceps qui auront poussé librement.13

11

12

13

L’année sabbatique est la septième année et clôt le cycle de sept ans. En revanche, l’année jubilaire suit la quarante-neuvième année et constitue donc la cinquantième année, qui inaugure un nouveau cycle. Sur ces questions, on lira R. de Vaux, Les institutions de l’Ancien Testament, Paris, Le Cerf, 2 vol., 6e éd., 1997 ; J. Halperin, N. Hansson (dir.), « Éthique du Jubilé. Vers une réparation du monde ? », in Actes du XXXIXe Colloque des intellectuels juifs de langue française, Paris, Albin Michel, 2005. S. Mosès, « Shabbat, année sabbatique, Jubilé », in J. Halperin, N. Hansson, op. cit. p.168. Lévitique 25, 10-11.

94

William Ossipow

S. Mosès fera remarquer que l’année jubilaire suit nécessairement une année sabbatique (7 x 7 ans) et donc que les prescriptions concernant par exemple la jachère seront très difficiles à observer et à appliquer puisque il faudra respecter les prescriptions de l’année sabbatique (la quaranteneuvième), immédiatement suivie de celles de l’année jubilaire (la cinquantième).14 Ces diverses prescriptions ont notamment ceci d’intéressant qu’elles laissent se déployer les affaires normales pendant une période de temps relativement longue de sept ou de quarante-neuf ans. La vie normale, nécessairement peu satisfaisante du point de vue moral, trouve toute sa place au long des six années de labeur. Tout au long de ce temps, on peut supposer que la dynamique socio-économique de creusement des inégalités, d’enrichissement des uns et de paupérisation des autres se déploie. La loi morale intervient alors pour donner un coup d’arrêt et restaurer un ordre initial plus conforme à l’idéal moral du judaïsme. Le rythme de sept ans introduit périodiquement une rupture dans la logique cumulative et inégalitaire des années normales qui cependant peuvent et doivent avoir lieu, comme le travail des six jours peut et doit avoir nécessairement lieu avant le repos du shabbat. La pratique moderne de l’amnistie fiscale par laquelle les autorités effacent, de temps à autre, des délits fiscaux passés en escomptant un nouveau départ dans l’honnêteté et la transparence des contribuables, n’est pas sans rappeler, avec la profondeur religieuse et spirituelle en moins, les préceptes de la Torah : on laisse se développer jusqu’à un certain point une situation moralement contestable, puis on recourt au pardon et à une nouvelle dynamique, que l’on escompte enrichie des acquis de la période précédente. Le dernier exemple que l’on mentionnera occupe, par sa centralité dans la vie socio-économique, une place de choix dans notre argument en faveur de l’intervention a posteriori : il s’agit de la fiscalité. De manière générale, la fiscalité directe agit une fois que les revenus et les fortunes sont acquis. Le contribuable est taxé sur ses biens et sur les revenus qu’il a gagnés l’année précédente. Cette remarque apparemment triviale met cependant en lumière la séquence suivante : liberté est laissée à une activité rémunératrice de se développer et de générer autant de richesses que possible, mais l’État vient prélever après coup un pourcentage plus ou moins important selon les systèmes fiscaux nationaux. Ce prélèvement 14

S. Mosès, op. cit. p. 173.

Maintenance et coûts de la justice globale

95

fiscal a deux objectifs principaux complémentaires : d’une part donner à l’État les moyens financiers d’accomplir ses nombreuses tâches ; et, d’autre part, réaliser par la médiation du prélèvement fiscal un certain aplatissement des différences qui existent avant impôts dans la distribution des revenus et de la fortune. L’impôt a donc la capacité de maintenir la société dans une limite jugée acceptable d’inégalités et de contribuer à faire jouer ces dernières au profit des plus défavorisés. Il joue le rôle d’un instrument altruiste rendu obligatoire par les pouvoirs publics, instrument d’une moralité et de la réalisation d’un bien commun qui ne dépendent pas en premier lieu de la bonne volonté, au sens kantien, des individus mais de la pure efficacité d’une administration légitime. Ainsi la fiscalité directe possède deux fonctions essentielles, qui sont chacune à mettre en relation avec les deux dimensions de la justice sociale : l’impôt progressif permet de prélever des sommes sur les revenus moyens et élevés, et contribuent donc à diminuer le différentiel, après impôts, entre les riches et les pauvres d’un pays donné. En outre, et il s’agit de la deuxième fonction, l’État, grâce aux finances obtenues par la collecte des impôts, dispose des moyens nécessaires pour fournir à la population, y compris la plus défavorisée, les biens collectifs qui vont servir au bien-être et à la promotion de tous : instruction publique gratuite et obligatoire, formation professionnelle, santé publique, infrastructure de transport, prestations sociales directes aux plus défavorisés. Par ces moyens il semble que la misère de masse puisse être vaincue. L’État fiscal apparaît donc comme le fer de lance d’un combat opératoire contre l’injustice tout en laissant suffisamment de marge aux agents économiques pour qu’ils trouvent encore, malgré la fiscalité, des incitations à produire de la richesse. Les solutions hyperégalitaires, comme le maoïsme, avaient radicalement supprimé ces incitations et ont abouti à une misère généralisée ; les solutions ultralibérales tendent à diminuer la fiscalité, notamment des plus hauts revenus, et donc renoncent purement et simplement à réaliser les deux objectifs de la promotion de la justice sociale. C’est vraisemblablement le propre du mode de production européen de type social-démocrate (ou de la Sozialmarktwirtschaft inspirée de la CDU allemande) d’opérer la synthèse entre les exigences contradictoires de la formation de la richesse et de sa redistribution. John Rawls avait déjà relevé la nécessité d’accompagner le principe de différence, selon lequel les inégalités doivent être acceptées dans la mesure où elles permettent d’améliorer le sort des plus défavorisés, d’un principe de réparation, « à savoir que les inégalités non méritées doivent être

96

William Ossipow

corrigées ».15 Simplement, notons que Rawls n’accorde pas une importance considérable au principe de réparation puisque seules quelques lignes lui sont consacrées à titre d’explicitation du principe de différence. En revanche il intègre pleinement le dispositif de la fiscalité dans le fonctionnement d’une société bien ordonnée.16 Une première conclusion à laquelle on aboutit est que la justice sociale est un état instable dans la dynamique des échanges volontaires. Pour y parvenir, une action volontariste de nature politique est requise, la maintenance de la justice qui vise à établir, réparer, corriger ou redresser des inégalités qui, pour diverses raisons, ne paraissent pas devoir être acceptées par la société : soit, dans l’optique de Rawls, qu’il n’appartient ni à la bonne fortune ni au mérite de distribuer les biens premiers ; soit que l’on considère que la misère, conjuguée à de grandes inégalités, crée une grave instabilité politique susceptible de détruire la légitimité d’un régime ; soit que, pour des raisons relevant de la compassion, on considère que la misère doit être combattue et éliminée. Une seconde conclusion est que la mise en œuvre de la politique de justice sociale induit un coût. Déjà les textes bibliques relatifs à l’année sabbatique et au Jubilé indiquaient avec précision la nature de ce coût : laisser périodiquement la terre en repos et donc renoncer une fois sur sept à la récolte ; remettre les dettes et donc renoncer à rentrer dans ses fonds ; libérer les esclaves et donc renoncer à la maîtrise et à la domination sur d’autres personnes. Les sociétés modernes infligent le coût de l’impôt, qui serait effectivement le vol que les théoriciens du libertarisme décrivent s’il n’était converti en biens collectifs destinés à permettre d’améliorer la condition des plus défavorisés. L’impôt est la contrainte exercée par l’État sur l’individu pour qu’il renonce à une partie de ses biens et revenus. L’état de justice n’émane pas de l’action bienfaitrice de la main invisible, laquelle n’est apte qu’à produire de la richesse ; elle n’émane pas d’un ordre spontané des échanges économiques. Elle résulte spécifiquement de l’action de maintenance volontariste et politique imposant un coût à tous ceux qui ont la capacité contributive.

15

16

John Rawls, Théorie de la justice, trad. Catherine Audard, Paris, Seuil, § 17, p. 131 sq. Le terme anglais employé par Rawls est the principle of redress. J. Rawls, op. cit. § 43 où il passe en revue les institutions de base de la justice distributive.

Maintenance et coûts de la justice globale

97

4. État-nation, État fiscal, État social Il existe une forte liaison entre la construction de l’État-nation, comme système politique borné par ses frontières, la construction de l’État fiscal, comme affirmation, dans le cadre de l’État-nation, d’un pouvoir légitime de prélèvement sur la richesse privée, et, finalement, la construction de l’État social qui a organisé la pratique de la solidarité entre riches et pauvres d’une même nation. Historiquement, la question de la justice sociale fut thématisée à la fin du 19e siècle par le courant socialiste à l’intérieur des États-nations en voie d’unification et de stabilisation. Les travaux remarquables de Thomas Piketty sur les hauts revenus et leur taxation ont montré, en ce qui concerne la France, que l’introduction de la fiscalité directe et de l’impôt sur les successions a eu un impact très important sur la diminution des inégalités : Le fait que les inégalités de revenus se soient néanmoins réduites au 20e siècle est dû pour l’essentiel aux chocs subis par les très hauts revenus du capital. Les très gros patrimoines (et les très hauts revenus du capital qui en sont issus) ont connu un véritable effondrement à la suite des crises de la période 1914-1945 (destructions, inflation, faillites des années 1930), et les décennies qui se sont écoulées depuis 1945 n’ont toujours pas permis à ces fortunes et à ces revenus de retrouver le niveau astronomique qui était le leur à la veille de la Première Guerre mondiale. L’explication la plus convaincante est liée à l’impact dynamique de l’impôt progressif sur l’accumulation et la reconstitution de patrimoines importants.17

Le cadre de l’action politique pour résoudre la question sociale a traditionnellement été l’État-nation dans son assise territoriale métropolitaine. Les populations des territoires colonisés par les États impérialistes étaient exclues du périmètre de redistribution. Dans ces conditions restrictives, l’État a été en mesure d’exercer ses prérogatives de souveraineté, en premier lieu celle de collecter l’impôt et d’en affecter le produit. Pour cela plusieurs conditions devaient être réunies : bénéficier d’une légitimité qui mette, autant que possible, l’État percepteur à l’abri du soupçon de vol ou de gaspillage ; avoir bâti une administration efficace capable de mener à bien la tâche de la collecte de l’impôt ; avoir la capacité de conduire dans le long terme les projets politiques liés à la production de biens collectifs 17

T. Piketty, Les hauts revenus en France au XXe siècle. Inégalités et redistributions 1901-1998, Paris, Grasset, 2001, p. 547.

98

William Ossipow

comme l’instruction ou la santé publique, la construction des infrastructures, le maintien de la paix intérieure et extérieure, la qualité écologique de la vie. L’espace de l’État-nation a été l’espace de la perception fiscale parce que l’État assurait, grâce à sa capacité administrative, le contrôle de son territoire et de ses habitants, de même que cet espace fut aussi celui délimitant les bénéficiaires dûment recensés et contrôlés par l’État providence.18 L’importance de l’État-nation ne me paraît pas seulement d’ordre historique. Son implantation comme organe de contrôle et de pouvoir sur un territoire par le biais d’une administration fiable est durable. Dans l’optique d’une justice globale, on pourrait imaginer de prime abord qu’un État global serait en mesure d’assurer ce qu’a réalisé au niveau local l’État national. Or cette perspective me paraît erronée. Étant donné l’immensité du périmètre territorial et la diversité des peuples à soumettre à l’obligation fiscale, l’hypothétique État global devra nécessairement s’appuyer, pour être opérationnel, sur des entités politiques et administratives intermédiaires dans une structure de type fédéraliste. Ce qui rend son rôle à l’État national.

5. Un tissu d’obligations spéciales Le pouvoir concentré dans les organes étatiques a construit politiquement et administrativement les réseaux d’obligations juridiques et morales qui aujourd’hui tissent la maintenance de la justice sociale.19 Le schéma du tissu d’obligations se présente ainsi : tous les citoyens et résidents d’un pays sont tenus, s’ils en ont les moyens, de contribuer à l’impôt ; l’État moderne est tenu, par les lois qu’il a lui-même promulguées, de mettre en œuvre une politique de la justice qui consiste à assurer la protection des citoyens sur le plan des droits fondamentaux (politiques et civils) ainsi que sur le plan de la protection sociale. Tout se passe comme si l’œuvre propre de l’État fiscal moderne avait été de construire ce tissu d’obligations qui n’est pas sans analogie avec celui qui lie les parents à leurs enfants. De

18 19

F. Ewald, L’État providence, Paris, Grasset, 1986. Il est ici question d’obligations juridiques et morales. Les impôts, en tant que contributions obligatoires auxquelles sont soumis les citoyens, relèvent de l’obligation juridique de droit public. Cependant, dans la mesure où les citoyens approuvent et le principe de l’impôt et son taux, la contrainte de droit public est revêtue d’une légitimité qui est de l’ordre de l’éthique politique.

Maintenance et coûts de la justice globale

99

même que les parents ont une obligation spéciale, c’est-à-dire une obligation découlant de leur fonction même de parents, de prendre soin de leurs enfants (avec les multiples tâches spécifiques que cela comporte), de même l’État national se conçoit, dans l’éthos politique moderne, comme celui qui a des obligations spéciales vis-à-vis en premier lieu de ses citoyens, et subsidiairement, vis-à-vis de l’ensemble de ceux qui résident sur son territoire.20 Dans cette optique, le citoyen est le sujet politique jouissant de la plénitude de la protection et, partant, des droits et obligations formant la texture de la solidarité politique. Ce tissu des obligations spéciales et des droits relatifs à ces obligations constitue le contenu du contrat social de l’État-nation et contribue à sa stabilité et à sa légitimité. Sont exclus du périmètre des bénéficiaires des prestations de l’État tous ceux (les « autres ») qui n’appartiennent pas à l’État-nation en question, ni à titre de citoyens, ni à titre de résidents. Ces « autres » ne devraient en principe pas être rejetés et laissés pour compte, ils devraient au contraire être les bénéficiaires de la prise en charge par un autre système étatique, le leur, qui aurait construit lui aussi un tissu d’obligations spéciales couvrant l’ensemble du cycle de la contribution fiscale à la redistribution solidaire. Force est de constater que l’on est loin du compte : la société internationale se caractérise par des inégalités considérables entre États et par des inégalités très importantes à l’intérieur des États, en particulier à l’intérieur des États les plus pauvres. On peut du reste avancer l’hypothèse qu’il existe une relation inverse entre le degré de développement économique et le degré d’inégalité. Dans le cadre du modèle social-démocrate, qui fut celui de l’Europe depuis 1945 et pendant plus de trente ans, plus un État devient prospère, plus la misère recule et plus les inégalités diminuent également. L’accroissement de richesse d’une nation, pour autant que la maintenance de la justice soit bien menée par un État démocratique, social et suffisamment fort pour opérer le prélèvement fiscal, ne nuit à aucune des deux dimensions de la justice (diminution de la misère et diminution des inégalités). La société internationale laisse cependant voir le spectacle de trop nombreux États incapables pour l’instant d’initialiser le cycle vertueux qui va permettre de tisser efficacement et sur le long terme les réseaux 20

Sur les différents types d’obligation cf. O. O’Neill, « Transnational Justice », in D. Held (ed.), Political Theory Today, Cambridge, Polity Press, 1991, p. 276304.

100

William Ossipow

d’obligations juridiques et morales indispensable à la résolution de la question sociale. La globalisation du monde, à savoir la densification des flux d’information comme des flux commerciaux, financiers et culturels, a pour effet de mettre les habitants les plus riches de la planète face à leur responsabilité par rapport à la question de la misère de millions de personnes alors que d’autres vivent dans l’opulence. Et dès lors, l’intuition d’une urgence morale à intervenir se fait aiguë et pressante. Cette intuition de l’urgence est à la source des multiples actions publiques et privées d’aide au développement. Onora O’Neill fonde philosophiquement le devoir de s’occuper de l’étranger lointain (distant stranger) dans la tradition kantienne de l’obligation morale imparfaite. Cette dernière se caractérise par le fait qu’à l’obligation morale (imparfaite) d’assistance ne correspond pas des bénéficiaires clairement identifiés de prestations clairement décrites. Les riches, les individus ou les États, ont une obligation morale imparfaite de venir en aide aux pauvres des pays pauvres, mais une marge d’appréciation totale est laissée aux titulaires de l’obligation de spécifier quels sont les pauvres dont il s’agit de s’occuper, combien ils sont, etc. Ce défaut évident de l’obligation imparfaite est à imputer à la finitude humaine qui empêche chacun de tout faire pour tous, sans que cela signifie pour autant qu’il ne peut rien faire.21 La thèse de O’Neill qui fonde l’obligation d’assistance à l’étranger lointain sur l’obligation imparfaite rend bien compte de la situation empirique du monde : beaucoup d’États sont défaillants, c’est-à-dire incapables d’honorer un quelconque contrat social, et entraînent par ce fait même les populations dans la faillite généralisée. Il y a donc un devoir subsidiaire de la part des membres de la communauté internationale – États, organisations internationales, ONG – de porter secours autant qu’il est possible. Cependant je soutiens, contrairement à O. O’Neill, que la solution la plus féconde ne passe pas par l’obligation imparfaite. La voie de la justice globale passe par une triple dynamique : en premier lieu, l’esprit d’entreprise doit rendre florissant un secteur productif (comme on le voit actuellement en Chine et en Inde) qui va contribuer de manière essentielle à l’accroissement de la richesse nationale ; en second lieu, l’État doit se renforcer et renforcer sa légitimité de manière à construire dans le long terme le tissu des obligations morales et juridiques liées au prélèvement de l’impôt et à sa redistribution sous forme de biens collec21

Ibid. p. 300-304.

Maintenance et coûts de la justice globale

101

tifs ; en troisième lieu, de nouveaux espaces politiques de solidarité doivent être construits pour répondre aux défis de la globalisation, c’est-à-dire aux défis d’un changement radical d’échelle de résolution des problèmes. Un exemple très frappant de cette démarche a été celui de la réunification allemande. Dès la chute du mur, l’Allemagne de l’Est a été intégrée dans l’espace politique de la République fédérale qui a immédiatement contracté des obligations (spéciales) économiques, financières et sociales qui se sont chiffrées par des centaines de milliards de DM. Il est vrai que le sentiment de solidarité entre les deux Allemagne n’avait pas besoin d’être affectivement construit tant les anciens liens historiques et culturels étaient vivaces. Plus étonnant, et plus éloquent encore parce que ne bénéficiant pas de la même proximité fondée sur les sentiments que les deux Allemagne, est le cas du récent élargissement de l’Europe. Les États qui appartenaient à la sphère d’influence de l’ex-Union soviétique, comme la Hongrie, la Pologne, la Tchéquie, les pays baltes, etc., ont immédiatement ressenti le besoin de s’insérer dans un espace politique et économique englobant. Sans perdre leur souveraineté, ils appartiennent maintenant à l’Union Européenne. Cette dernière est l’étage supérieur de la dynamique en trois phases dont il a été question plus haut. Il s’agit bien d’un espace où la volonté politique – volonté d’élargissement de la part des membres plus anciens, volonté d’adhésion de la part des nouveaux membres – a construit un tissu inédit d’obligations morales et juridiques entre les pays membres. Le fait de leur co-appartenance à l’Union Européenne met les anciens membres dans l’obligation de consentir en faveur des nouveaux pays membres des transferts massifs de fonds européens, au titre des fonds structurels destinés précisément à combler des inégalités trop criantes entre pays membres. L’Union Européenne est un exemple paradigmatique de la construction volontariste de ce tissu d’obligations spéciales qui seul est apte à assurer la maintenance de la justice globale et d’en faire supporter le coût aux citoyens des États les plus favorisés. La solution de la question de la justice sociale globalisée ne pourra contourner l’exigence de la création, en plusieurs pôles différents sur la planète, de ces espaces intégrateurs dans lesquels la politique, non l’aide extérieure, devra jouer le premier rôle. La solution préconisée ici de fonder la maintenance de la justice sur un tissu d’obligations spéciales liant réciproquement les citoyens et leur État dans le contrat social a pour avantage de hisser l’obligation au niveau juridique et politique. C’est par des lois sociales que l’État se lie ; c’est par

102

William Ossipow

des lois fiscales que l’on peut infliger un coût, parfois très lourd, au citoyen /contribuable. L’obligation quitte ainsi le terrain de la morale et de la vertu pour s’enraciner dans la politique et le droit.22 La justice parachève ainsi ce que j’ai appelé ailleurs le circuit de l’exigence éthique :23 présente dans la société civile, fondée sur la vertu de bienveillance, se déployant grâce aux ONG, aux fondations privées, aux dons publics, l’exigence éthique (ou obligation morale) reste encore imparfaitement réalisée. Prise en charge par l’État, dont le propre est la construction du tissu d’obligations constituant le contrat social, le souci de justice se noue alors dans la loi et revêt le caractère d’obligations spéciales et contraignantes. Au passage, l’exigence éthique quitte le langage de l’éthique et adopte, par la médiation des processus politiques, le langage contraignant du droit. C’est ainsi que l’exigence éthique, en quelque sorte en mourrant à elle-même, parvient à irriguer le fonctionnement social.

22

23

F. Ewald, op. cit. insiste beaucoup sur le passage de la morale au droit en ce qui concerne le développement de l’État providence. W. Ossipow, « Éthique, droit et société. Une approche des sciences sociales », in F. Dermange, L. Flachon (dir.), Éthique et droit, Genève, Labor et Fides, 2002, p. 45-61.

Studia philosophica 64/2005

URS MARTI

Globale distributive Gerechtigkeit Was heißt Verteilung? Political philosophers sometimes refuse claims for global justice in the socioeconomic sphere arguing that they would create global welfare institutions if realized. However, the injustice of the global economy might result not mainly from an unequal distribution of financial resources but from an unequal distribution of the right to participate in the shaping of the global political and economic order. The paper deals, in a first step, with the question to what extent property is an indispensable requirement for freedom and autonomy in the theories of Kant and Marx. In a second step, it proposes criteria of justice appropriate to a normative assessment of the politics of international organizations.

1. Einleitung Die ökonomischen Globalisierungstendenzen der letzten Jahrzehnte haben eine Sensibilisierung für Ungerechtigkeiten sozioökonomischer Art bewirkt. Dennoch tut sich die politische Philosophie in einer Zeit, in der sich Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen, internationale Organisationen, Unternehmen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen mit Forderungen nach einer gerechteren Gestaltung der Weltwirtschaft auseinander setzen, eher schwer mit dem Thema. Kosmopolitische Positionen prallen auf nationalistische und kommunitaristische. Häufig wird geltend gemacht, sozioökonomische Gerechtigkeit sei auf staatliche Institutionen angewiesen und könne im supranationalen Bereich nicht verwirklicht werden. Überdies finden die jüngeren Kontroversen über den ökonomischen Sinn und den moralischen Wert einer umverteilenden Sozialpolitik im nationalen Rahmen naturgemäß ihre Fortsetzung in den Debatten um die Wünschbarkeit und Realisierbarkeit einer umverteilenden Sozialpolitik im internationalen Rahmen. Ich möchte, ohne auf einzelne Ansätze einzugehen, zwei Positionen unterscheiden, die heute in mehr oder weniger differenzierten Varianten in der philosophischen – und selbstverständlich auch in der politischen – Debatte vertreten werden.

104

Urs Marti

Auf der einen Seite wird argumentiert, arme Länder seien für ihre desolate Situation selbst verantwortlich, der Weg zu wirtschaftlicher Prosperität und sozialer Gerechtigkeit könne nur über interne Bemühungen zur Errichtung von Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie führen. Forderungen nach materieller Umverteilung von den reichen zu den armen Ländern seien dagegen nicht zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite wird argumentiert, die Politik und das ökonomische Handeln reicher Länder seien für die Situation armer Länder mitverantwortlich, daher hätten die Privilegierten dieser Welt die Pflicht, ihr Verhalten dort zu ändern, wo es die Situation der Unterprivilegierten verschlechtert. Die Armut eines Landes ist, so die in der ersten Position vertretene These, auf seine schlechte politische Verfassung zurückzuführen. Die These folgt der im 19. Jahrhundert verbreiteten konservativen Auffassung, wonach die Ursache der Armut in der schlechten moralischen Verfassung der Armen zu suchen ist. Bekanntlich erfreuen sich solche Auffassungen heute erneut großer Beliebtheit. Der Wohlfahrtsstaat wird verdächtigt, mit seinen Leistungen Arbeitslose und Bedürftige zu korrumpieren und zum Nichtstun zu verführen. Entsprechend sieht sich die Entwicklungshilfe dem Verdacht ausgesetzt, arme Länder mittels finanzieller Unterstützung dazu zu verleiten, nicht mehr alles daran zu setzen, für ausländische Investoren attraktiv zu erscheinen. Fragwürdig ist diese heute als neoliberal bezeichnete Position nicht zuletzt deshalb, weil sie dazu tendiert, die komplexen Ursachen wirtschaftlichen Handelns oder Unterlassens auszublenden und den Blick auf die moralische Qualifikation individueller und institutioneller Akteure zu verengen. Zwar trifft zu, dass der Wohlstand einer Nation auch von der Qualität seiner rechtlichen und politischen Institutionen abhängt. Ebenso richtig ist aber, dass Demokratie und Rechtsstaat dort schlecht gedeihen, wo auf der einen Seite ein großer Teil der Bevölkerung vom täglichen Kampf ums Überleben absorbiert ist, während auf der anderen Seite die politische Elite sich bei der Verfolgung privater Interessen häufig auf die mehr oder weniger diskrete Unterstützung staatlicher oder privater Akteure aus reichen Ländern verlassen kann. Überdies zeigt ein Blick in die Geschichte, dass mächtige Industriestaaten der Gegenwart wie Großbritannien oder die USA ihren Reichtum nicht zuletzt einer protektionistischen Politik verdanken, dass sie sich also eine günstige Ausgangslage mit genau jenen Mitteln verschafft haben, die sie heute Ländern in einer ungünstigen Ausgangslage verwehren.

Globale distributive Gerechtigkeit

105

Die zweite Position sieht die Welt als eine Kooperationsgemeinschaft und hält es für unzuläßig, wenn ein Teil der Weltbevölkerung die Früchte dieser Kooperation einheimst und ein anderer die Lasten trägt. Ob die Weltwirtschaft ein Unternehmen der Zusammenarbeit zwecks Förderung des gegenseitigen Vorteils darstellt (Rawls 1979, S. 20), ist jedoch zweifelhaft. Wenn Fairnessregeln aus dem Faktum der Kooperation hergeleitet werden sollen, dann lassen sich Verpflichtungen zur fairen Verteilung von Gewinn und Verlust nicht bereits darin begründen, dass einige Menschen von der Arbeit anderer Menschen profitieren, sondern erst dann, wenn die Gewinner ein rationales Interesse daran haben, die Verlierer zu entschädigen, weil sie damit rechnen, irgendwann auf deren Unterstützung angewiesen zu sein, und wenn die Verlierer damit rechnen, noch schlechter dazustehen, wenn sie nicht kooperieren. Das Kooperationsmodell kann also nur dann zur Begründung der zweiten Position herbeigezogen werden, wenn gezeigt werden kann, dass Umverteilung für alle beteiligten Parteien vorteilhaft ist. Wir können zwar heute von einem globalen System von Institutionen sprechen, worin das Verhalten der Privilegierten die Lebensumstände der Unterprivilegierten negativ beeinflussen kann. Auch ist theoretisch denkbar, dass eine internationale Umverteilung mittels Besteuerung der Privilegierten einen Ausgleich schafft. Solche Umverteilungssysteme haben im nationalen Rahmen zumindest bis in die 1970er Jahre relativ gut funktioniert. Die Überzeugung, dass alle Seiten von der Umverteilung profitieren, ist in den westlichen Nachkriegsdemokratien, in einer Phase des Wirtschaftswachstums also, relativ verbreitet gewesen. Mittlerweile ist der Konsens auf nationaler Ebene brüchig geworden und auf internationaler Ebene fehlt er. Dies zeigt der Umstand, dass der UNORichtsatz von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts, den die Industrieländer an öffentlicher Entwicklungshilfe leisten sollten, von den meisten Ländern nicht erreicht wird. Die erste Position lässt sich als liberal-konservativ, die zweite als sozialdemokratisch bezeichnen. Was beide verbindet, ist der Umstand, dass sie den Horizont der bestehenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht überschreiten. Während im ersten Fall davon ausgegangen wird, dass kapitalistische Produktions- und Tauschformen, falls sie nicht durch sozialpolitische Interventionen behindert werden, zumindest langfristig für die gesamte Weltbevölkerung einen Wohlstand erzeugen, auf dessen Basis Fragen nach der gerechten Verteilung problemlos beantwortet werden können, möchte die zweite Position diese Formen zwar nicht grundlegend verändern, im Sinne systemstabilisierender Maßnahmen aber die ungleiche

106

Urs Marti

Verteilung von Kooperationsprofiten und -lasten mittels fiskalischer Umverteilung graduell korrigieren. Beide Positionen scheinen zu ignorieren, dass der Kapitalismus nicht nur ein System von Tausch und Produktion, sondern auch der Verteilung wirtschaftlicher Macht ist. Im Fall der zweiten Position haben wir es mit einer erstaunlichen Inkonsequenz zu tun. Obgleich einige ihrer Vertreter Rawls’ Gerechtigkeitsprinzipien entgegen dessen Absicht global anwenden, mithin ‹radikalisieren› wollen, übersehen sie die Radikalität seiner Theorie geflissentlich.1 Gemäß Rawls verletzen sowohl der Laissez-faire Kapitalismus wie auch der wohlfahrtsstaatliche Kapitalismus – ebenso der Staatssozialismus mit Kommandowirtschaft – die von ihm definierten Gerechtigkeitsprinzipien notwendig. Gerecht können ihm zufolge nur eine Eigentumsdemokratie [propertyowning democracy] sowie ein liberaler Sozialismus sein. Der Grundgedanke ist folgender: Im Gegensatz zum Wohlfahrtstaat, der die schlimmsten Auswirkungen einer ungerechten Ordnung fortwährend abzumildern versucht, würde eine Demokratie, die sich auch auf den Bereich der Ökonomie erstreckt, mittels einer breiten Verteilung der ökonomischen Mittel Ungerechtigkeit im Sinne der Chancenungleichheit gar nicht erst entstehen lassen (Rawls 2001, S. 136-139). Ich möchte im Folgenden die Aufmerksamkeit auf die normative Relevanz der Verteilung ökonomischen Eigentums und damit ökonomischer Macht lenken. Heute lässt sich schwerlich bestreiten, dass die Bedingungen für ein selbstbestimmtes Leben weltweit ungleich verteilt sind. Von der politischen Philosophie wird Auskunft darüber erwartet, welche Ungleichverteilung ungerecht ist. In der Regel denkt man zuerst an die Verteilung materieller Güter, von Ressourcen, Einkommen, Reichtum. Doch können nicht auch immaterielle Güter wie Rechte, Freiheiten, Macht, Partizipationschancen oder Handlungsmöglichkeiten verteilt werden?2 Ich möchte zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Konzeptionen in Erinnerung rufen, die beide die Begriffe «distributive Gerechtigkeit» bzw. «gerechte Verteilung» in einem für uns womöglich irritierenden Sinn verwenden.

1 2

Vgl. etwa Beitz (1979), S. 128-153; Pogge (2002), S. 104-108. Vgl. Gosepath (2004), S. 84-91.

Globale distributive Gerechtigkeit

107

2. Freiheit und Eigentum bei Kant und Marx Die erste Konzeption ist jene von Kant. Er definiert den Naturzustand als Zustand, «in welchem keine austeilende Gerechtigkeit ist», und setzt ihm den Zustand «einer unter einer distributiven Gerechtigkeit stehenden Gesellschaft» entgegen (Kant, AA, Bd. VI, S. 306), wobei er selbstverständlich nicht an materielle Umverteilung denkt. Der rechtliche Zustand entsteht im Zuge der reziproken Zusicherung des Gewaltverzichts. Distribution bezieht sich hier einzig auf die Gleichverteilung von Rechten oder Freiheiten. Recht ist der «Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann» (ebd. S. 230). Nur dieses Recht, der Gewalt der anderen nicht ausgesetzt zu sein, ist angeboren, steht also allen Menschen als Menschen zu. Die zweite Konzeption ist jene von Marx. Er hält den Begriff der gerechten Verteilung für eine Phrase (Marx, MEW, Bd. XIX, S. 18). Das Verdikt findet sich in der Kritik des Programms der Deutschen Sozialdemokratischen Partei von 1875, worin festgehalten wird, der unverkürzte Ertrag der Arbeit gehöre nach gleichem Recht allen Gesellschaftsgliedern. Die Forderung nach einer gerechten Verteilung des Arbeitsertrags ist Marx zufolge aus mehreren Gründen unhaltbar: (1) Gehört der Arbeitsertrag allen Mitgliedern, also auch den nicht arbeitenden, dann erhalten die arbeitenden nicht den vollen Ertrag ihrer Arbeit. Gehört er dagegen nur den arbeitenden, kann nicht von einem gleichen Recht aller die Rede sein. (2) Der Begriff des unverkürzten Arbeitsertrags ist unsinnig; kein Arbeiter kann einen Anspruch auf den vollumfänglichen Gegenwert seiner Leistung erheben. Abzüge zunächst für Betriebs-, Innovations- und Versicherungskosten, sodann für Verwaltungskosten, für die Unterstützung Arbeitsunfähiger sowie vor allem für die Finanzierung öffentlicher Dienste im Bildungs- und Gesundheitsbereich sind auch in einer künftigen Gesellschaft unverzichtbar und nicht per se ungerecht. (3) Das im sozialdemokratischen Programm zum Ausdruck kommende Verständnis von Verteilung ist borniert, weil es sich nur auf die Konsumtionsmittel bezieht. Für unseren Kontext ist der letzte Punkt entscheidend. Wenn Marx moniert, es sei ein Fehler, von der so genannten Verteilung «Wesens zu machen» (ebd. S. 22), so deshalb, weil die Verteilung von Konsumtionsmitteln nicht gerechtigkeitsrelevant ist. Sie resultiert aus der Vertei-

108

Urs Marti

lung von Eigentum über die Produktionsbedingungen, also aus der Verteilung ökonomischer Macht. Der Arbeiter besitzt nur seine persönliche Produktionsbedingung, nämlich seine Arbeitskraft. Wenn dieses Faktum als ungerecht bezeichnet werden kann, dann nicht, weil der Arbeiter weniger besitzt als der Kapitaleigner, sondern weil seine Chancen, autonom zu handeln, aufgrund dieser Asymmetrie massiv eingeschränkt sind. Marx hat im ersten Band des Kapital die Zirkulationssphäre ironisch als das Reich der angeborenen Menschenrechte gepriesen, worin alle Menschen frei und gleich sind, Eigentum besitzen und ihren Eigennutz verfolgen (Marx, MEW, Bd. XXIII, S. 189f.). Wie der Blick auf die Produktionssphäre zeigt, findet ein freiwilliger, für Kapitaleigner wie Arbeitskraftbesitzer vorteilhafter Tausch in der realen Wirtschaft jedoch nicht statt. Die Verkäufer der Ware Arbeitskraft stehen den Käufern deshalb nicht als gleichberechtigte Vertragspartner gegenüber, weil der Mangel an Subsistenzoder Produktionsmitteln sie zum Abschluss eines für sie unvorteilhaften Arbeitsvertrags zwingt. Ihnen fehlt jene Wahlfreiheit, die eine notwendige Prämisse des neuzeitlichen Rechtsverständnisses ist. Im Gegensatz zur sozialdemokratischen Auffassung, wonach der Sozialismus ein System der Regelung der Distribution ist, versteht Marx ihn als ein System der Regelung der Produktion und damit der Verteilung wirtschaftlicher Macht. Nicht die ungleiche Verteilung materieller Güter ist normativ relevant, sondern die Fremdbestimmung im Produktionsbereich. Das Gemeingut an den Produktionsmitteln ist folgerichtig nicht deshalb erstrebenswert, weil es eine Gleichverteilung von Gütern garantiert, sondern weil es verhindert, dass Arbeitskraftbesitzer in Situationen von Unfreiheit geraten (ebd. S. 791), und, so wäre hinzuzufügen, dass sie von der Partizipation an der Gestaltung nicht bloß der politisch-rechtlichen, sondern auch der sozialen und ökonomischen Verhältnisse ausgeschlossen werden. Marx’ Kritik der Sozialdemokratie ist auch im Hinblick auf sein Rechtsverständnis aufschlussreich. Wenn er das Prinzip der Gleichheit mit der bürgerlichen Gesellschaft assoziiert, billigt er dem bürgerlichen Recht bzw. dem Recht überhaupt als gesellschaftlichem Steuerungsinstrument durchaus eine positive Funktion zu. Es wird also auch im Kommunismus, der ja nur aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgehen kann und von dieser notwendig geprägt ist, ein Recht geben; dieses Recht – im Kontext wäre eher von Prinzipien der Tauschgerechtigkeit zu sprechen – garantiert, dass ein Quantum Arbeit in einer Form gegen das gleiche Quantum Arbeit in anderer Form ausgetauscht wird. Das heißt jedoch nicht, dass die Konsumtionsmittel gleich verteilt werden. Wer mehr produziert, weil er ge-

Globale distributive Gerechtigkeit

109

schickter oder fleißiger ist, wird notwendig entsprechend mehr erhalten, während jener, der zwar gleichviel arbeitet wie ein anderer, aber im Gegensatz zu ihm für eine Familie zu sorgen hat, deshalb nicht mehr erhält. Gleiches Recht muss auch im Kommunismus natürliche Privilegien anerkennen und derart ein Recht der Ungleichheit sein. Jedes Recht ist notwendig die Anwendung des gleichen Maßstabs auf ungleiche Individuen; «sie wären nicht verschiedne Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären» (Bd. XIX, S. 21). Um egalisierend zu wirken, müsste das Recht ungleich sein, also von Fall zu Fall einen anderen Maßstab anlegen, was der Idee des Rechts widerspricht. Die Anwendung eines Maßstabs setzt voraus, dass von der Individualität der Menschen abstrahiert und nur Vergleichbares berücksichtigt wird. Denkbar ist jedoch eine Gesellschaft, in der der bürgerliche Rechtshorizont überschritten wird und der Grundsatz gilt: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Es wäre dies eine völlig individualisierte Gesellschaft, und ihre ökonomische Basis die Entfaltung aller menschlichen Anlagen, insbesondere die Befreiung individueller Produktivkräfte. Eine Gesellschaft, die den Streit um knappe Güter überwunden hat, ist nicht mehr auf eine Rechtsordnung angewiesen, so die Marxsche Utopie. Von Interesse ist im Hinblick auf aktuelle Diskussionen in der politischen Philosophie der Umstand, dass Marx in diesen Überlegungen die Frage nach der «Fokalvariablen» (Sen 1992, S. 2), nach dem gerechtigkeitsrelevanten Gegenstand der Gleichverteilung vorweggenommen hat. Die Positionen von Kant und Marx liegen offenbar nicht so weit auseinander, wie es zunächst den Anschein erweckt. Für beide ist das Kriterium der Legitimität einer Gesellschaft nicht eine bestimmte Verteilung von Gütern, sondern die individuelle Freiheit, die Menschen darin genießen. Der Unterschied besteht darin, dass gemäß Kant diese Freiheit ausschließlich durch direkte Gewalt, durch die Abhängigkeit «von eines Anderen nötigender Willkür» (Kant, AA, Bd. VI, S. 237) bedroht ist, gemäß Marx aber zusätzlich dadurch, dass der Besitzende den Besitzlosen auch ohne Gewaltanwendung zu etwas zwingen kann. Dies war freilich auch Kant bewusst. Seiner Rechtsidee liegt ein negativer Freiheitsbegriff zu Grunde. Auf diese Freiheit haben alle Menschen Anspruch, Männer so gut wie Frauen, Reiche so gut wie Arme, Selbständige so gut wie Tagelöhner. Als Untertanen, die Zwangsrechte gegen alle anderen beanspruchen können, sind sie formal gleich (Bd. VIII, S. 291f.). Reale Ungleichheit ist nicht ungerecht, ungerecht wäre nur eine daraus hergeleitete rechtliche Ungleichheit. Es gibt allerdings bei Kant einen Bereich, worin rechtliche

110

Urs Marti

Ungleichheit, basierend auf realer Ungleichheit, gerechtfertigt ist; dies ist der Bereich der aktiven Freiheitsrechte. Bedingung des Staatsbürgerstatus ist – neben dem männlichen Geschlecht – wirtschaftliche Selbständigkeit (ebd. S. 294f.). Wer kein Eigentum hat, welches ihn ernährt, muss seine Kräfte verkaufen, er dient einem Herrn und ist somit nicht frei, dem politischen Gemeinwesen zu dienen, anders gesagt: Es fehlt ihm die soziale Voraussetzung, um in politischen Angelegenheiten autonom entscheiden zu können. Obgleich also für Kant jeder Mensch als Mensch frei ist, bleibt die höhere Stufe der Freiheit, nämlich die Freiheit, nur jenem Gesetz zu gehorchen, dem man selbst zugestimmt hat, ein Privileg jener, die ihre Existenz nicht der Willkür eines Anderen zu verdanken haben (Bd. VI, S. 314). Dieses zweistufige Freiheitsverständnis ist aus mehreren Gründen problematisch. Zunächst ist daran zu erinnern, dass Kant nur offen ausspricht, was seine Vorgänger von Hobbes bis Rousseau stillschweigend immer schon vorausgesetzt haben, dass nämlich nur der wirtschaftlich selbstständige Mann als potentieller Vertragspartner in Betracht kommt. Erst bei Kant tritt daher auch die logische Schwierigkeit, eine solche Trennung zu begründen, zu Tage. Für den Staatsbürgerstatus ist nur qualifiziert, wer sein eigener Herr ist, «mithin irgend ein Eigentum» hat, so schreibt er in Über den Gemeinspruch (Bd. VIII, S. 295). Dieses Kriterium – sui iuris – wird auch in den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre angeführt (Bd. VI, S. 238), und zwar dort, wo vom einzigen angeborenen Recht die Rede ist, das jedem Menschen «kraft seiner Menschheit» zusteht. Doch kommt Eigentum dem Menschen «kraft seiner Menschheit» zu? Wenn Kant begründet, weshalb die Höhe des Eigentums keinen Einfluss auf die Zuerkennung des Staatsbürgerstatus haben darf bzw. Standesvorrechte nicht legitim sein können, bezweifelt er zunächst einmal die Rechtmäßigkeit eines Zustands, worin wenige viel und viele gar kein Eigentum haben. Dennoch hält er daran fest, dass nur jene, die im Besitzstand sind, berechtigt sind, an der Gesetzgebung teilzunehmen. Übrigens gesteht er auch freimütig ein, es sei schwer, «die Erfordernis zu bestimmen, um auf den Stand eines Menschen, der sein eigener Herr ist, Anspruch machen zu können» (Bd. VIII, S. 295). Kant teilt Rousseaus Überzeugung, wonach echte Freiheit nur im Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das man sich selber gibt, bestehen kann. Erst die Aussicht auf diese Freiheit, nicht schon die bloße Aussicht auf einen gesetzlichen Zustand, kann vernünftige Menschen dazu bewegen, ihre natürliche Freiheit aufzugeben. Weshalb spricht er dann aber einem Teil der Menschen lediglich den Anspruch auf negative Freiheit zu und nicht zugleich das Recht, an einer

Globale distributive Gerechtigkeit

111

Gesetzgebung zu partizipieren, die jene Freiheit erst garantieren kann? Der Grund ist nicht besitzbürgerliche Voreingenommenheit. Eigentum qualifiziert nicht deshalb zum Staatsbürgerstatus, weil es ein Indiz spezieller Verdienste ist, sondern einzig deshalb, weil es ein unverzichtbares Mittel ist, Menschen vor Entmündigung und Fremdbestimmung zu bewahren. Der Anspruch auf Eigentum ist nicht zu verwechseln mit einem Anspruch auf einen bestimmten Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand. Dies war übrigens schon jenen französischen Revolutionären klar, die für die Einführung eines Rechts auf soziale Unterstützung plädierten. So wollte etwa Saint-Just allen Franzosen die Mittel zur Sicherung ihrer Existenz zur Verfügung stellen, und zwar deshalb, weil nur so garantiert werden könne, dass sie ausschließlich vom Gesetz und nicht von anderen Menschen abhängig sind.3 Auch Kant anerkennt implizit die normative Bedeutung des Anspruchs auf autonome Existenzsicherung. Auf der anderen Seite anerkennt Marx, dass autonom nur sein kann, wer über irgendeine Form von Eigentum verfügt. Als vorläufiges Fazit ergibt sich somit: Die auf den ersten Blick gegensätzlichen Freiheitskonzeptionen von Kant und Marx treffen sich in zwei für unseren Zusammenhang entscheidenden Punkten: – Materielle Verteilung ist nicht gerechtigkeitsrelevant. – Gerechtigkeitsrelevant ist alleine die Freiheit, die Mitglieder eines Gemeinwesens genießen. Autonomie wird jedoch nicht allein durch direkte Gewalt bedroht, sondern auch durch wirtschaftlichen Zwang oder wirtschaftliche Abhängigkeit. Eine bestimmte Form wirtschaftlicher Unabhängigkeit ist somit notwendige Voraussetzung der Freiheit. Wer nur über seine Arbeitskraft und nicht über zusätzliche Subsistenz- oder Produktionsmittel verfügt, ist nicht frei.

3. Kriterien weltwirtschaftlicher Gerechtigkeit Ich möchte nun im Anschluss an diese Überlegungen einige Kriterien globaler Gerechtigkeit zur Diskussion stellen. Wenn es, mit Kant zu sprechen, einmal so weit gekommen ist, «dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird», ist die Idee eines kosmopolitischen Rechts keine «überspannte Vorstellungsart» mehr (Bd. VIII, S. 360). Zu 3

Zitiert bei Gauchet (1991), S. 115; vgl. auch S. 211 zu Rabaut Saint-Étienne.

112

Urs Marti

ergänzen wäre: In dem Fall erhält auch die Frage nach der Gerechtigkeit nationaler und internationaler Rechtsnormen ein stärkeres Gewicht. Aufgrund moderner liberaler Prinzipien können globale Institutionen dann als gerecht gelten, wenn sie allen Akteuren, deren Verhalten sie regeln – seien es Individuen oder Staaten –, unter der Voraussetzung, dass sie die Handlungsfreiheit der anderen Akteure respektieren, Handlungsfreiheit gewähren. Akteure dürfen gemäß diesen Prinzipien die Handlungsfreiheit anderer Akteure nicht schmälern. Falls es sich um Staaten handelt, gilt die Einschränkung der Handlungsfreiheit sowohl anderer Staaten und ihrer Bewohner als auch ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger als ungerecht. Dieses Kriterium basiert auf einem negativen Freiheitsverständnis. Theorien sozialer Gerechtigkeit sind auf einen positiven Freiheitsbegriff angewiesen; Freiheit wird begriffen als Handlungsfähigkeit.4 Vorausgesetzt sind auf individueller Ebene Bedingungen wie Existenzsicherung, Bildung, politische Partizipation und Abwesenheit von ökonomischem Druck. Globale Institutionen können dann entsprechend als gerecht gelten, wenn sie es allen individuellen und institutionellen Akteuren, deren Verhalten sie regeln, ermöglichen, frei zu handeln, gleichberechtigt an der Gestaltung der Regeln zu partizipieren und über jenes Maß an wirtschaftlicher Macht zu verfügen, das Bedingung der Möglichkeit autonomen Handelns ist. Wenn ich in diesem Kontext von Verteilung spreche, ist nicht die Umverteilung von Gütern gemeint, sondern jede politische oder ökonomische Tätigkeit, die Handlungschancen verteilt. Wenn wir von einem negativen Freiheitsbegriff ausgehen, können wir relativ einfach bestimmen, unter welchen Bedingungen eine internationale Ordnung als gerecht gelten kann. Souveräne Staaten müssen in ihrem Handeln unter der Bedingung frei sein, dass sie die Handlungsfreiheit anderer Staaten nicht verletzen. In diesem Sinne hält die UNO-Charta das Prinzip der souveränen Gleichheit ihrer Mitglieder fest (Art. 2). Fragen nach der Gerechtigkeit der Völkerrechtsordnung beziehen sich heute auf die Berechtigung der Staatengemeinschaft, im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzugreifen, sowie auf undemokratische Entscheidungsprozeduren innerhalb der UNO. Versuchen wir nun, das zweite Kriterium im Hinblick auf die internationalen und globalen Verhältnisse zu konkretisieren. Es stellt sich die Frage, ob souveränen Staaten gleichsam ein Recht auf Eigentum zusteht, 4

Vgl. dazu ausführlicher Marti (2003).

Globale distributive Gerechtigkeit

113

beispielsweise ein exklusives Verfügungsrecht über die auf dem eigenen Territorium vorhandenen natürlichen Ressourcen. Ein solches Recht – nennen wir es ein Recht auf wirtschaftliche Souveränität – ließe sich begründen mit dem Argument, ein Staat, der keine Reichtümer besitzt, sei von anderen Staaten abhängig und könne nicht autonom agieren. Gerechtigkeitsrelevant wäre in dem Sinne nicht der Umstand, dass Staat A reicher ist als Staat B, sondern der Umstand, dass Staat A aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht Staat B zwingen kann, etwas zu tun, was dieser freiwillig nicht tun würde, dass er dessen Notlage ausnützt, indem etwa wirtschaftliche Hilfe oder Handelserleichterungen an die Bereitschaft von B geknüpft werden, seine Politik den Wünschen von A unterzuordnen. Die Forderung nach Anerkennung der wirtschaftlichen Souveränität der Staaten ist jedoch problematisch. Die natürlichen Ressourcen sind, so eine verbreitete Meinung, Gemeingut der Menschheit. Dass ein Staat innerhalb seines Territoriums Ressourcen vorfindet, ist nicht sein Verdienst. Überdies kann Ressourcensouveränität in der Praxis heißen, dass nur eine Oberschicht davon profitiert. Wenn sich das Prinzip der wirtschaftlichen Souveränität im Völkerrecht schließlich nicht durchgesetzt hat, so hat dies freilich kaum mit solchen Bedenken zu tun. Es waren in den 60er und 70er Jahren die ärmeren Länder, die im Rahmen der UNO die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung gefordert haben, und ihre Pläne sind in der Folgezeit am Widerstand der Industriestaaten gescheitert.5 Barry (1989) hat den Anspruch armer Länder auf Ressourcensouveränität mit dem Argument verteidigt, die Ungerechtigkeit der Weltwirtschaftsordnung äußere sich in den aggressiven Praktiken multinationaler Unternehmen und ihrer Heimatstaaten gegenüber Entwicklungsländern. Barry versteht unter Ressourcen in einem weiten Sinn auch das Recht, ohne die Einmischung von anderen zu handeln. Tatsächlich ist das Prinzip der Ressourcensouveränität vor allem deshalb auf starken Widerstand gestoßen, weil daraus – etwa in der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten vom 12. Dezember 1974 – das Recht der Staaten zur Regulierung und Überwachung ausländischer Investitionen und multinationaler Unternehmen hergeleitet worden ist, insbesondere das Recht, ausländisches Eigentum gegen angemessene Entschädigung zu verstaatlichen, zu enteignen oder zu übertragen.

5

Vgl. dazu Kimminich, Hobe (2000), S. 323-338; Cason (2000).

114

Urs Marti

Wie die Geschichte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zeigt, können multinationale Unternehmen die handelsrechtliche Ausgestaltung nationaler Gesetzgebungen mitbestimmen, sie können durch Verträge über langfristige Investitionsabkommen mit Staaten neue Völkerrechtsregeln erzeugen und bei Vertragsverletzung durch das Gastland dank Intervention des Herkunftslandes durchsetzen.6 Versuche ausländischer Unternehmen, auf diesem Weg die Gesetzgebung des Gastlands zu beeinflussen, haben in vielen Fällen zu massivem Machtmissbrauch geführt. Im Rahmen der UNO hat es Vorstöße gegeben, politische Aktivitäten von multinationalen Unternehmen in den Gastländern zu beschränken, doch sind solche Bemühungen gescheitert. So sah etwa ein UN-Entwurf zu einem Verhaltenskodex für transnationale Unternehmen vor, dass diese sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes einmischen, die einheimischen Gesetze auch dort respektieren, wo sie regulierend eingreifen, sowie die wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zielsetzungen des Gastlandes unterstützen. Die multinationalen Unternehmen haben dank der Unterstützung ihrer Heimatstaaten gegen solche Bestimmungen erfolgreich opponiert. Bereits 1976 veröffentlichte die OECD Richtlinien für multinationale Unternehmen, die größere Investitionsfreiheit und Schutz der Vertragsund Eigentumsrechte forderten. 1980 sind die Pläne der Entwicklungsländer zur Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung gescheitert, der UN-Kodex wurde nicht zum rechtlich bindenden Dokument. 1992 wurden die Verhandlungen endgültig abgebrochen. Die Initiative ging von der UNO über zum GATT; angestrebt wird seither definitiv nicht mehr eine neue internationale Wirtschaftsordnung, sondern eine neue Weltordnung für Handel und Investition, die die Regulationsmöglichkeiten der Gastländer stark einschränkt. Was folgt aus diesem historischen Exkurs im Hinblick auf die Definition globaler Gerechtigkeit? Ich möchte vier Punkte erwähnen. 1. Zunächst schlage ich vor, das Prinzip der Ressourcensouveränität durch jenes der wirtschaftspolitischen Souveränität zu ersetzen. Die Idee der neuen Weltwirtschaftsordnung war inspiriert von der neuen Völkerrechtsordnung, für die die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und Kolonialvölker vom 14. Dezember 1960 steht. Der Anspruch auf souveräne Gleichheit aller Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker findet eine Entsprechung im Recht der Staa6

Vgl. zum Folgenden Muchlinski (1997).

Globale distributive Gerechtigkeit

115

ten, ausländische Investoren und transnationale Unternehmen zu kontrollieren und derart die Wirtschafts- und Sozialpolitik autonom zu gestalten. Nun lässt sich einwenden, unter Bedingungen einer globalisierten Ökonomie sei ein solcher Autonomieanspruch illusorisch. Zweifellos ist die Angleichung einzelstaatlich definierter wirtschaftspolitischer Normen wünschenswert, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil auf diese Weise bestimmte negative Auswirkungen des so genannten Standortwettbewerbs verhindert werden können. Damit ergibt sich als zweites Problem die Frage, welche Instanz legitimiert ist, globale wirtschaftspolitische Regeln zu definieren. 2. Projekte zur Errichtung einer neuen internationalen Wirtschafts- und Sozialordnung, wie sie in der Nachkriegszeit ausgearbeitet und partiell auch realisiert worden sind,7 beruhten auf den Grundsätzen von Freihandel und Wohlfahrtsstaaten. Im Rahmen einer Arbeitsteilung waren internationale Organisationen wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IMF) für die wirtschaftliche Entwicklung zuständig, während die Förderung sozialer Gerechtigkeit den Staaten überlassen blieb, die zu diesem Zweck über eine gewisse währungs- und sozialpolitische Autonomie verfügen mussten. Angesichts der Erfahrung, dass weltweiter Freihandel innerhalb wie zwischen Staaten Gewinner und Verlierer schafft, stieß das Vorhaben, auch international korrigierend einzugreifen, zunächst auf Zustimmung. Die Gründung der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD, 1962) entsprach den Anliegen der Verlierer. Es war also die UNO, der die Aufgabe zukam, Auswirkungen des Freihandels zu korrigieren. So wurde die UNCTAD als Ergänzung der Weltwirtschaftsregelung durch IMF und Weltbank verstanden, konnte diese Aufgabe aber nie wirklich erfüllen. Zu den Hauptorganen der UNO gehört neben dem Sicherheitsrat der weniger prominente Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC. Er soll mittels präventiver Maßnahmen den Frieden fördern; dazu gehören die Verbesserung des Lebensstandards, Vollbeschäftigung sowie wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt. Dem ECOSOC kommen freilich nicht die gleichen Befugnisse zu wie dem Sicherheitsrat. Er kann lediglich Empfehlungen abgeben (Kimminich, Hobe 2000, S. 341ff.). Theoretisch könnte die UNO folglich auf die Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung Einfluss nehmen, praktisch ist jeder diesbezügliche Versuch jedoch an der Konkurrenz zwischen den 7

Einen Überblick gibt Kapstein (1999).

116

Urs Marti

Industriestaaten und den Entwicklungsländern gescheitert. Die UNO musste, wie erwähnt, die wirtschaftspolitische Definitions- und Entscheidungsmacht an das GATT und an die Welthandelsorganisation (WTO) abtreten. Was ist daran unter normativen Gesichtspunkten problematisch? Die UN-Generalversammlung kommt dem Ideal einer Gemeinschaft gleichberechtigter souveräner Staaten näher als jede andere Organisation. Im Rahmen der UNO können sich gegensätzliche Interessen und Bedürfnisse artikulieren. Organisationen wie OECD oder GATT/ WTO sind nicht im gleichen Maße repräsentativ für die unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Ansprüche der gesamten Weltbevölkerung. Die Welthandelsorganisation anerkennt zwar formell das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, ihre konsensorientierten Entscheidungsverfahren können aber im Urteil von Kritikern nicht als demokratisch gelten (Steinberg 2002). Angesichts des Beitritts zahlreicher Entwicklungsländer seit den späten 50er Jahren haben die Industriestaaten Strategien entwickelt, die es ihnen erlauben, unter Ausnützung ihrer größeren Verhandlungs- und Sanktionsmacht ihre Hegemonie zu behaupten, ohne Verfahrensregeln zu verletzen. Sie bestimmen bis heute die Tagesordnung der Verhandlungsrunden und können ihre Anliegen in der Regel gegen jene der ärmeren Länder durchsetzen, wie etwa der anhaltende, bislang aber folgenlose Widerstand dieser Länder gegen das Abkommen über handelsrelevante Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPs) zeigt. Auch die WTO-Streitschlichtung hat nicht zu einem wirklichen Abbau der Machtungleichgewichte geführt. Entsprechende Verfahren sind meist für ärmere Länder zu aufwendig und die Erhebung von Strafzöllen kann sich für kleine Volkswirtschaften kontraproduktiv auswirken, während umgekehrt eine reiche Klägerpartei Strafzölle recht beliebig verhängen kann. Im Internationalen Währungsfonds gibt es zwar ein demokratisches Basisstimmrecht; jedes Mitgliedsland besitzt einen gleichen Stimmenanteil. Jedes Land erhält aber zusätzliche Stimmrechte entsprechend der Kapitalquote, die es zur Finanzierung des Fonds zeichnet. Seit den 1950er Jahren hat sich die Zahl der Mitgliedsländer vervierfacht, während der Anteil des Basisstimmrechts von gut 15 auf 2 Prozent gesunken ist (Gerster 2001, S. 82f.). Die Politik von WTO, IWF und Weltbank erweckt generell den Eindruck paternalistischen Verhaltens reicher gegenüber armer Staaten. Kritiker sprechen von globaler Politikgestaltung ohne globale Regierung (Stiglitz 2002, S. 36). Sie wird im Rahmen dieser Institutionen von wenigen staatlichen und privaten Akteuren beschlossen, die den von ihren Entscheidungen Betroffenen keine Rechenschaft schulden; diese

Globale distributive Gerechtigkeit

117

verfügen ihrerseits in ihrer Mehrheit über kein effektives Mitspracherecht. In einer von den mächtigen Industriestaaten mit Hilfe internationaler Handels- und Finanzorganisationen diktierten globalen Wirtschaftspolitik wird Selbstbestimmung und Wahlfreiheit für die Mehrheit der Staaten weit gehend zur Fiktion. 3. Nun lässt sich einwenden, dass Organisationen wie OECD, WTO, IMF und Weltbank nicht nur partikulare Interessen privilegierter Teile der Weltbevölkerung repräsentieren, sondern Autorität in wirtschaftspolitischen Fragen aufgrund ökonomischen Fachwissens beanspruchen können. Die Ansicht, eine demokratisch funktionierende Weltgemeinschaft könne nicht über die Gesetze der Ökonomie abstimmen, sondern sei auf Expertenwissen angewiesen, tönt plausibel. Allerdings fällt es der politischen Öffentlichkeit angesichts diverser Krisen und Katastrophen, die teils auf die Befolgung orthodoxer wirtschaftpolitischer Rezepte zurückzuführen sind, nicht leicht, zwischen gesichertem wirtschaftswissenschaftlichem Wissen einerseits sowie Ideologien, Interessen und Inkompetenz andererseits zu unterscheiden. Globale distributive Gerechtigkeit kann folglich nur im Zuge der Infragestellung des paternalistischen Kompetenzanspruchs sowie der monopolartigen Entscheidungs- und Sanktionsmacht der genannten Institutionen gefördert werden. Diese Infragestellung führt notwendig zur Forderung nach der Stärkung des Rechts auf Demokratie in der Wirtschaftspolitik. Wirtschaftspolitische Ziele und Strategien müssen im Rahmen einer globalen Öffentlichkeit diskutiert werden, die keine betroffene Partei ausschließen. Eine Rechenschaftspflicht der wirtschaftspolitisch Verantwortlichen ist seit einiger Zeit in der Diskussion. 4. Nach diesem Ausflug in die Utopie möchte ich zuletzt noch auf einen konkreteren Punkt verweisen. Relevant ist im Hinblick auf die Definition von Kriterien globaler Gerechtigkeit nach wie vor das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Die Globalisierung des Rechts hat in den letzten Jahren in der Zirkulationssphäre große Fortschritte gemacht. Dies zeigt ein Blick auf die Regulierungsmöglichkeiten, über die die WTO verfügt. Handelsgesetze können von dieser Organisation nicht nur beschlossen werden, deren Verletzung kann auch mit relativ effizienten Mitteln wie Strafzöllen sanktioniert werden. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) verfügt nicht über eine vergleichbare Regulierungs- und Sanktionsmacht. Arbeitsrechtliche Abkommen werden von den Staaten nur zögerlich ratifiziert (Drahos, Braithwaite 2001). Die neuen Möglichkeiten in einer sich globalisierenden Ökonomie haben zu erhöhten Ansprüchen auf Investition in einem deregulierten Umfeld geführt, die ihrer-

118

Urs Marti

seits mit arbeitsrechtlichen Normen häufig in Konflikt geraten. Man muss nicht an jüngere Fälle sklavenähnlicher Arbeitsbedingungen erinnern, um festzustellen, dass die Rechtsansprüche jener Menschen, die nur ihre Arbeitskraft besitzen, heute besonders gefährdet sind. Populär ist derzeit das Argument, billige Arbeitskraft, ein flexibler Arbeitsmarkt und eine schwache Arbeitsgesetzgebung seien komparative Vorteile, von denen langfristig das betroffene Land profitieren könne. Ein solcherart utilitaristisches Argument ist in normativer Hinsicht fragwürdig, weil Menschen, mit Kant zu sprechen, als bloße Mittel gebraucht werden, und weil sie sich, mit Marx zu sprechen, in der Regel nicht freiwillig für Arbeitsbedingungen entscheiden, die einen weit gehenden Verzicht auf Rechtsschutz erfordern.

4. Schluss Ich habe von distributiver Gerechtigkeit in einem Sinn gesprochen, der dem geläufigen Wortsinn nur bedingt entspricht; ich spreche von der Verteilung von Macht, Freiheit, Handlungs- und Entwicklungschancen. Materielle Umverteilungsmaßnahmen, die die Empfänger in einer Situation der Abhängigkeit belassen, sind nicht nur unökonomisch, sie schaffen auch keine gerechteren Verhältnisse. Falsch wäre es, daraus zu schließen, monetäre Umverteilung auf globaler Ebene und staatliche Entwicklungshilfe seien überflüssig. Die moderne Wirtschaft ist monetarisiert, und Maßnahmen, die die Ausgangspositionen von Menschen verbessern und ihre Handlungsmöglichkeiten erhöhen, sind in der Regel mit Kosten verbunden, übrigens auch deshalb, weil der Prozess der Privatisierung von Ressourcen sich beschleunigt. Relevant im Hinblick auf globale Verteilungsgerechtigkeit ist jedoch die Verteilung politischer und ökonomischer Definitions- und Entscheidungsmacht. Auch auf dieser Ebene muss Partizipation an die Stelle von Paternalismus treten.

Globale distributive Gerechtigkeit

119

Literatur Barry, B.: Humanity and Justice in Global Perspective, in: ders.: Democracy, Power and Justice, Oxford 1989, S. 434-462. Beitz, Ch. R.: Political Theory and International Relations, Princeton 1979. Cason, J.: Whatever Happened to the New International Economic Order?, in: A. Valls (ed.): Ethics in International Affairs, Lanham, Md. 2000, S. 201213. Drahos, P., Braithwaite, J.: The Globalisation of Regulation, in: The Journal of Political Philosophy 9/1 (2001), S. 103-128. Gauchet, M.: Die Erklärung der Menschenrechte. Die Debatte um die bürgerlichen Freiheiten 1789, Reinbek bei Hamburg 1991. Gerster, R.: Globalisierung und Gerechtigkeit, Bern 2001. Gosepath, S.: Gleiche Gerechtigkeit. Grundlagen eines liberalen Egalitarismus, Frankfurt a. M. 2004. Kant, I.: Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902ff. – Zit.: AA. Kapstein, E. B.: Distributive Justice as an International Public Good. A Historical Perspective, in: I. Kaul, I. Grunberg, M. Stern (ed.): Global Public Goods. International Cooperation in the 21st Century, New York: UNDP 1999, S. 88-115. Kimminich, O., Hobe, S.: Einführung in das Völkerrecht, 7. Auflage, Tübingen, Basel 2000. Marti, U.: Globale distributive Gerechtigkeit, in: G. Kohler, U. Marti (Hg.): Konturen der neuen Welt(un)ordnung, Berlin, New York 2003, S. 345361. Marx, K.: Marx Engels Werke, Berlin 1956ff. – Zit.: MEW. Muchlinski, P.: ‹Global Bukowina› Examined, in: G. Teubner (ed.): Global Law without a State, Aldershot 1997, S. 79-108. Pogge, T.: World Poverty and Human Rights, Cambridge 2002. Rawls, J.: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1979. –– Justice as Fairness. A Restatement, Cambridge 2001. Sen, A.: Inequality Reexamined, Oxford 1992. Steinberg, R. H.: In the Shadow of Law and Power? Consensus-Based Bargaining and Outcomes in the GATT /WTO, in: International Organization 56 (2002), S. 339-374. Stiglitz, J.: Die Schatten der Globalisierung, Berlin 2002.

Studia philosophica 64/2005

SIMONE ZURBUCHEN

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz – Eine kritische Auseinandersetzung mit dem liberalen Nationalismus In this paper ‹cosmopolitanism with respect to justice› and ‹nationalism with respect to culture› are identified as two main trends in contemporary political philosophy. Both of them are closely connected to processes of globalisation. It is argued that cultural nationalism (as it is defined by authors such as Tamir, Miller, Kymlicka, Margalit and Raz) does not qualify as ‹liberal› nationalism and that it contradicts the requirements of global justice. However, despite its illiberal implications, cultural nationalism cannot easily be rejected. Nationalists rightly insist on the value of cultural belonging and on the meaning of special obligations.

1. Einleitung In der politischen Philosophie der jüngeren Zeit zeichnen sich in Gestalt des Kosmopolitismus und des Nationalismus zwei gegenläufige Tendenzen ab, die beide mit der Globalisierung in Zusammenhang stehen. Für Kosmopoliten stellen die zunehmend komplexe ökonomische Interdependenz zwischen den Staaten, die Existenz einer immer größeren Zahl von internationalen Normen und Organisationen, die Ansätze zu einer internationalen Zivilgesellschaft sowie die enorme globale Ungleichheit in den Lebensaussichten von Individuen Tatsachen dar, die sich in den traditionellen Begriffen der politischen Theorie des Nationalstaates nicht adäquat erfassen lassen. Sie fordern deshalb eine politische Philosophie der internationalen Beziehungen, die dem Staat keinen privilegierten moralischen Stellenwert einräumt. Sie gehen vielmehr von der Frage aus, welche Institutionen errichtet werden müssten, um die Ansprüche aller betroffenen Personen in fairer Weise zu berücksichtigen.1 Da Kosmopoliten nicht 1

Beitz (1999), S. 516-518, 519f.; vgl. ders. (1994); Pogge (1994); ders. (1992); Höffe (1999).

122

Simone Zurbuchen

Staaten, sondern Individuen grundlegende moralische Bedeutung zuschreiben, sind sie gegenüber der existierenden Weltordnung, in welcher die Nationalstaaten ein tragendes Element bilden, tendenziell kritisch eingestellt. Der leitende Gesichtspunkt für die Ausgestaltung einer Weltordnung ist die Beseitigung von Ungerechtigkeiten, mit denen das internationale Staatensystem behaftet ist. Nationalisten gehen dagegen von der Dynamik der soziokulturellen Desintegration aus, welche die Globalisierung begleitet. Diese artikuliert sich in Gestalt von Gruppierungen und Bewegungen, die der kulturellen und gesellschaftlichen Homogenisierung mit der Forderung nach Anerkennung ihrer besonderen kulturellen Identität begegnen.2 Nach Ansicht der Nationalisten lassen sich solche Forderungen nicht auf chauvinistische und fremdenfeindliche Tendenzen reduzieren, die aus moralischen Gründen zu bekämpfen statt zu fördern wären. Sie machen dahinter vielmehr ein legitimes Interesse an der Erhaltung der eigenen Kultur aus, weshalb sie Nationen – als Trägern einer gemeinsamen Kultur – moralische Bedeutung zuschreiben.3 Auch Nationalisten sind gegenüber der existierenden Weltordnung tendenziell kritisch eingestellt. Den Ansatzpunkt für eine Reform sehen sie allerdings nicht in den transnationalen und globalen Normen und Organisationen, die aus der Globalisierung resultieren, sondern in der moralischen Bedeutung von kulturellen Identitäten und partikularen Loyalitäten. Die Grenzen von politischen Institutionen, die Selbstbestimmung ermöglichen, sollten ihrer Ansicht nach den Grenzen kultureller Gemeinschaften angepasst werden. Der leitende Gesichtspunkt für die Reform der bestehenden Weltordnung ist der Schutz von kulturellen Gruppen. Während der Kosmopolitismus und die von ihm unterstützte Forderung nach globaler Gerechtigkeit derzeit unbestritten Konjunktur haben, scheint fraglich, ob eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Nationalismus überhaupt notwendig ist. Denn dieser wird bis heute vorwiegend mit Fremdenfeindlichkeit und Aggression assoziiert. Es ist deshalb vorweg zu betonen, dass der Nationalismus in neuer Gestalt auftritt. Barry fordert zu Recht, man müsse zwischen den chauvinistischen Nationalisten der realen Welt und den akademischen Nationalisten unterscheiden, die sich ihrem Selbstverständnis nach auf dem Boden der liberalen politischen Philoso2

3

Vgl. Benhabib (2002), S. VIII. Zur Forderung nach Anerkennung grundlegend: Taylor (1992). Vgl. Kymlicka (1999), S. 16-19.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

123

phie bewegen.4 Die folgende Analyse setzt sich zum Ziel, den akademischen Nationalismus kritisch zu beleuchten. Ich stelle dabei die Frage in den Mittelpunkt, ob dieser sich – wie manche Autoren behaupten – mit der kosmopolitischen Forderung nach globaler Gerechtigkeit vereinbaren lasse. Dazu wird es notwendig sein, zunächst die Fragestellung zu präzisieren (2.) und den akademischen Nationalismus genauer zu charakterisieren (3.). Anschließend diskutiere ich die normativen Implikationen des Nationalismus der Kultur, indem ich diesen mit dem Kosmopolitismus der Gerechtigkeit konfrontiere (4.). Mein Fazit lässt sich in der These zusammenfassen, dass der Nationalismus der Kultur mit dem Kosmopolitismus der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren ist. Entgegen anders lautender Behauptungen ist er nicht egalitaristisch, sondern parteilich (5.).

2. Präzisierung der Fragestellung Der Kosmopolitismus lässt sich durch drei grundlegende Elemente charakterisieren, die für alle seine Varianten gelten: Das erste Element ist der Individualismus. Danach sind allein menschliche Wesen oder Personen moralisch von Bedeutung, nicht aber Familien, Staaten oder Nationen. Zweitens verpflichtet sich der Kosmopolitismus auf Universalität, d. h. er schreibt den Status, eine Person von moralischer Bedeutung zu sein, allen menschlichen Wesen in gleicher Weise zu. Das dritte Element ist die Allgemeinheit. Danach hat dieser besondere Status globale Bedeutung. Menschliche Wesen sind also für alle von moralischer Bedeutung, unabhängig davon, ob sie mit diesen in besonderen Beziehungen stehen.5 Aus der Zielsetzung des Kosmopolitismus ergibt sich die Unterscheidung zwischen zwei Arten, nämlich dem institutionellen und dem moralischen Kosmopolitismus. Ersterer ist der Weltrepublik als konkretem politischem Ideal einer globalen Ordnung verpflichtet.6 Demgegenüber ist der moralische Kosmopolitismus auch mit einem System von unabhängigen Staaten zu vereinbaren.7 4

5 6 7

B. Barry, «Statism and Nationalism: A Cosmopolitan Critique», in: Shapiro, Brilmayer (1999), S. 12-66, hier 12-25. Vgl. Pogge (1992), S. 48f. Vgl. Höffe (1999). Mit der Unterscheidung zwischen dem institutionellen und dem moralischen Kosmopolitismus folge ich der Terminologie von Beitz (1994). Pogge spricht statt vom «institutionellen» [institutional] vom «rechtlichen» [legal]

124

Simone Zurbuchen

Der moralische Kosmopolitismus lässt sich seinerseits entweder als Kosmopolitismus der Kultur oder als Kosmopolitismus der Gerechtigkeit verstehen.8 Ersterer postuliert, dass Personen primär Weltbürger und nicht Mitglieder besonderer kultureller Gruppen sind.9 Letzterer schließt dagegen nicht aus, dass individuelles Verhalten legitimerweise durch Loyalitäten und besondere Verantwortlichkeiten beeinflusst wird. Er ist eine Theorie über die Grundlage der Rechtfertigung und Kritik von Institutionen und Praktiken. In den Worten von Beitz wendet der Kosmopolitismus der Gerechtigkeit auf die ganze Welt die Maxime an, «dass die Auswahl von Grundsätzen [policies], die wir bevorzugen, oder von Institutionen, die wird errichten sollten, auf eine unparteiliche Beurteilung der Ansprüche jeder Person gegründet werden muss, die davon betroffen wäre».10 Im Folgenden wird ausschließlich der Kosmopolitismus der Gerechtigkeit diskutiert. Der akademische Nationalismus, der sich gemäßigt, inklusiv und defensiv gibt, wird je nach Zusammenhang als gemäßigter Patriotismus11, als Verfassungspatriotismus12, als «Prinzip der Nationalität» 13 oder als liberaler Nationalismus14 angesprochen. Ich unternehme hier den Versuch, die verschiedenen Varianten des Nationalismus, die heute in der Diskussion sind, in Analogie zur Differenzierung zwischen verschiedenen Spielarten des Kosmopolitismus zu klassifizieren. Auch der Nationalismus lässt sich durch drei grundlegende Annahmen charakterisieren, die auf alle seine Varianten zutreffen: Nationalisten sind erstens der Auffassung, dass die fortgesetzte Existenz und Blüte ihrer

8

9 10 11

12

13 14

Kosmopolitismus (1992, S. 49). Der Sache nach geht es jedoch um dieselbe Unterscheidung. Diese Begriffe übernehme ich von Tan, der zwischen «nationalism with respect to culture» (2002, S. 437) und «cosmopolitanism about justice» (S. 443) unterscheidet. Beitz verwendet eine abweichende Terminologie: Er bezeichnet den Kosmopolitismus der Kultur als individuellen Kosmopolitismus, den Kosmopolitismus der Gerechtigkeit als liberalen Kosmopolitismus (1999, S. 519). In der Sache lässt sich allerdings keine Differenz zwischen Tan und Beitz feststellen. Vgl. Beitz (1999), S. 519; Tan (2002), S. 443. Beitz (1999), S. 519. Vgl. S. Nathanson, «In Defense of ‹Moderate Patriotism›», in: Primoratz (2002), S. 87-104. Vgl. Habermas (1990); A. Ingram, «Constitutional Patriotism», in: Primoratz (2002), S. 217-232; Lacroix (2002). Vgl. Miller (1995). Vgl. Tamir (1993); Kymlicka (1999), S. 16-19; ders. (2001), S. 254-264.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

125

eigenen Nation ein Gut sei. Sie postulieren deshalb, dass außer Individuen auch Nationen moralische Bedeutung haben. Zweitens sind Nationalisten überzeugt, dass die Mitglieder einer Nation selbst über ihre kollektiven Angelegenheiten bestimmen sollten. Sie nehmen drittens an, dass die Mitgliedschaft in einer Nation es erfordert, dass man gegenüber anderen Mitgliedern Loyalität und Parteilichkeit manifestiert.15 Auch im Hinblick auf den Nationalismus ergibt sich die erste relevante Unterscheidung aus seiner Zielsetzung. Der institutionelle Nationalismus ist dem Staat als einem konkreten Ideal politischer Organisation verpflichtet. Institutionelle Nationalisten vertreten die Forderung, dass die nationale und die politische Einheit (Nation und Staat) zusammenfallen sollten.16 Vom institutionellen unterscheidet sich der moralische Nationalismus, der wie sein kosmopolitischer Gegenpart gemäßigter auftritt. Er anerkennt zwar, dass außer Individuen auch Nationen moralische Bedeutung haben, leitet daraus jedoch nicht die Forderung ab, dass Nationen sich als souveräne Staaten konstituieren müssen. Moralische Nationalisten fordern für Nationen lediglich eine Form der Selbstbestimmung, die auch innerhalb eines existierenden Staates oder im Rahmen supranationaler politischer Institutionen realisierbar sein kann.17 Die nächste Differenzierung hat keine Entsprechung in der Klassifikation des Kosmopolitismus. Sie setzt bei der Frage an, wie die eigene Nation im Verhältnis zu anderen bewertet wird. Partikularistische Nationalisten beschränken die Forderung nach Selbstbestimmung auf die eigene Nation. Universalistische Nationalisten gehen hingegen davon aus, dass allen Nationen die gleiche moralische Bedeutung zukommt und schreiben ihnen deshalb das Recht zu, sich selbst zu bestimmen und ihren Mitgliedern gegenüber parteilich zu sein.18 Im Folgenden werde ich mich auf den universalistischen moralischen Nationalismus konzentrieren, der sich – und hier ergibt sich jetzt wieder eine Analogie zum Kosmopolitismus – als Nationalismus der Kultur oder als Nationalismus der Gerechtigkeit verstehen lässt.19 Kulturalistische 15

16 17 18 19

Vgl. J. McMahan, «The Limits of National Partiality», in: McKim, McMahan (1997), S. 107-138, hier 108. Vgl. ebd.; Miller (1995), S. 31-47; Kymlicka (2001), S. 232f. McMahan, a. a. O. S. 109; Tan (2002), S. 437f. Vgl. McMahan, a. a. O. S. 108. Diese Begriffe sind in Analogie zu den ensprechenden Varianten des Kosmopolitismus konzipiert. Sie finden sich in dieser Form nicht in der Literatur.

126

Simone Zurbuchen

Nationalisten vertreten die Auffassung, dass es die Mitgliedschaft in einer kulturellen Gemeinschaft erfordert, gegenüber Angehörigen derselben Kultur Loyalität und Parteilichkeit zu manifestieren. Dabei wird vorausgesetzt, dass Nationen als kulturelle Gemeinschaften zu verstehen sind. Der Nationalismus der Gerechtigkeit vertritt dagegen der Auffassung, dass die Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft zu Loyalität und Parteilichkeit verpflichtet. Danach werden Nationalstaaten nicht durch kulturelle, sondern durch politische Gemeinsamkeiten zusammengehalten. Häufig werden diese beiden Spielarten des universalistischen moralischen Nationalismus unter der Bezeichnung «ethnischer» und «staatsbürgerlicher» Nationalismus voneinander abgegrenzt. Dies galt lange Zeit als solide Grundlage, um illiberale und exklusive von liberalen und inklusiven Varianten des Nationalismus abzugrenzen. In jüngerer Zeit zeichnet sich jedoch die Tendenz ab, die Unterscheidung zwischen «ethnischem» und «staatsbürgerlichem» Nationalismus zu verabschieden, weil sich diese als analytisch schwach und normativ zweideutig erwiesen habe.20 Diese Diagnose ist dafür verantwortlich, dass der Nationalismus der Gerechtigkeit in den letzten Jahren zunehmend durch den Nationalismus der Kultur verdrängt wurde. Wenn Kymlickas These zutrifft, «dass die Politisierung kultureller Identitäten in einem gewissen Ausmaß unausweichlich ist»,21 muss das Verhältnis zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus neu erörtert werden. Dass der kulturalistische Nationalismus dem Kosmopolitismus der Kultur widerspricht, liegt auf der Hand. Zu prüfen ist dagegen, ob er mit dem Kosmopolitismus der Gerechtigkeit zu vereinbaren ist, der Loyalität und Parteilichkeit von Individuen und Gruppen nicht prinzipiell für illegitim erklärt. Denn Kymlicka behauptet, der Nationalismus der Kultur sei nicht notwendig illiberal und exklusiv; zwischen ihm und dem Kosmopolitismus bestünden mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze. Der Kosmopolitismus sollte nicht länger durch die Opposition gegen den Nationalismus, sondern gegen seine ‹wahren Feinde› wie Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Chauvinismus usw. definiert werden.22 Diese These ist im Folgenden zu prüfen. 20

21 22

Vgl. R. Brubaker, «The Manichean Myth: Rethinking the Distinction between ‹Civic› and ‹Ethnic› Nationalism», in: Kriesi (1999), S. 55-71; Kymlicka (1999), S. 20-27; ders. (2001), S. 242-253. Kymlicka (1999), S. 18. Kymlicka (2001), S. 219f.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

127

3. Der Nationalismus der Kultur Der Nationalismus der Kultur lässt sich in den folgenden vier Behauptungen zusammenfassen: Die erste (definitorische) Behauptung lautet, dass Nationen kulturelle Gruppen sind, denen bestimmte Eigenschaften zukommen. Die zweite (analytische) Behauptung lautet, dass die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe für Individuen von zentraler Bedeutung sei. Die dritte (normative) Behauptung lautet, dass Nationen moralische Bedeutung haben und deshalb einen legitimen Anspruch auf kulturelle Selbstbestimmung haben. Dazu ist ein eigener Staat nicht unbedingt notwendig. Die vierte (politische) Behauptung besagt, dass Mitglieder von Nationen unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf politische Selbstbestimmung haben. Ich werde die ersten beiden Behauptungen in diesem Abschnitt behandeln und mich im folgenden vierten Abschnitt auf die dritte Behauptung und deren Implikationen konzentrieren. Die vierte Behauptung werde ich im Rahmen dieses Aufsatzes nicht behandeln. Über die Frage, was Nationen sind, wurde in den letzten fünfzehn Jahren eine extensive Debatte geführt. Diese kann und muss hier nicht rekapituliert werden, da der Gegenstand der Untersuchung bereits auf dem Weg der Klassifikation verschiedener Varianten des Nationalismus eingeschränkt wurde. Demnach richtet sich das Interesse auf kulturelle Gruppen, die bestimmte Eigenschaften haben. Manche Autoren setzen die so qualifizierten Gruppen mit Nationen gleich, die sie von anderen kulturellen Gruppen wie ethnischen oder religiösen Gruppen unterscheiden.23 Andere Autoren schieben die Frage, was Nationen sind, stärker in den Hintergrund. Sie fragen nach den besonderen Eigenschaften kultureller Gruppen, die diese zu Anwärtern eines legitimen Anspruchs auf Selbstbestimmung machen.24 Sie gehen von der starken Vermutung aus, dass Natio23

24

Vgl. Kymlicka (2002), S. 348-365; Miller (1995), S. 17-47; Tamir (1993), S. 58-77. Margalit, Raz (1990), S. 442f. Die Autoren unterscheiden zwischen Selbstbestimmung [self-determination] und Selbstregierung [self-government]. Der erste Begriff bezeichnet das Recht zu entscheiden, ob ein bestimmtes Territorium ein eigener Staat werden oder bleiben soll; der zweite Begriff wird wie folgt definiert: «The idea of national self-government, in other words, speaks of groups determining the character of their social and economic environment, their fortunes, the course of their development, and the fortunes of their members by their own actions […].» (S. 440)

128

Simone Zurbuchen

nen diese Bedingungen erfüllen, schließen aber nicht aus, dass auch andere Gruppen dies tun. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass anstelle von definitorischen Problemen die Frage in den Vordergrund rückt, was denn kulturelle Gruppen dazu prädestiniert, für sich einen (besonderen) moralischen Status zu beanspruchen. Margalit und Raz verpflichten sich auf eine «konstruktivistische» Definition von kulturellen Gruppen, indem sie neben objektiven (gemeinsame Kultur, Geschichte usw.) auch subjektive Kriterien (Gefühl der Zugehörigkeit) heranziehen.25 Dies hat zur Folge, dass die erste (definitorische) und die zweite (analytische) Behauptung in die Definition der Nation selbst eingehen. Zur Identifikation der Gruppen, die einen legitimen Anspruch auf Selbstbestimmung erheben dürfen, schlugen sie folgende sechs Kriterien vor: – Sie haben einen gemeinsamen Charakter und eine gemeinsame Kultur, wobei diese mehrere und verschiedene wichtige Aspekte des Lebens umfasst. Es handelt sich um eine «durchdringende» Kultur, die zumindest teilweise die Identität der Gruppe bestimmt. – Menschen, die in solchen Gruppen aufwachsen, werden durch den Charakter ihrer Kultur geprägt. Dies bedeutet nicht, dass sie davon unauslöschlich gekennzeichnet sind. Der Einfluss der Kultur ist jedoch so tief greifend und weit gehend, dass das Abwerfen einer und die Assimilation an eine andere Kultur ein mühevoller und langsamer Prozess ist. – Die Mitgliedschaft in der Gruppe ist zum Teil eine Frage der gegenseitigen Anerkennung. Es gibt keine formalen Kriterien der Zulassung, sondern Zugehörigkeit beruht auf der informellen Anerkennung durch andere. – Die Mitgliedschaft in solchen Gruppen hat ein hohes soziales Profil, d. h. diese gehört zu den primären Tatsachen, aufgrund deren Leute identifiziert werden. Da unsere Selbstwahrnehmung zum großen Teil dadurch bestimmt wird, wie wir von anderen wahrgenommen zu werden glauben, stellt Mitgliedschaft in einer kulturellen Gruppe einen wesentlichen Aspekt der persönlichen Identität ihrer Mitglieder dar. – Mitgliedschaft ist eine Frage der Zugehörigkeit, nicht der Leistung. Niemand muss besonderen Ansprüchen genügen, um als volles Mitglied akzeptiert zu werden. 25

Dies gilt auch für Tamir (1993) und Miller (1995). Anders Kymlicka, der eine «essentialistische» Definition vorschlägt; vgl. Kymlicka (1999), S. 22-28; ders. (2002), S. 348-365.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

129

– Die fraglichen Gruppen sind anonym, d. h. die gegenseitige Anerkennung beruht nicht auf persönlicher Bekanntschaft, sondern wird durch den Besitz allgemeiner Charakteristika sichergestellt.26 Gruppen mit diesen Eigenschaften werden als «identitätsstiftende» Gruppen [encompassing groups] bezeichnet. Es gehört zu ihren zentralen Merkmalen, dass sie eine «durchdringende» Kultur haben und dass die Zugehörigkeit dazu für die Identität ihrer Mitglieder wesentlich ist.27 Die Verbindung zwischen dem Individuum und dem Kollektiv, die vom zweiten Merkmal postuliert wird, erweist sich im Hinblick auf die Frage, welche moralische Bedeutung Nationen zukommt, als entscheidend. Margalit und Raz bezeichnen das zweite Merkmal denn auch als Kern des Arguments für Selbstbestimmung.28

4. Der Nationalismus der Kultur und die Forderung nach Gerechtigkeit Die dritte (normative) Behauptung, auf die sich der Nationalismus der Kultur stützt, lautet, dass Nationen moralische Bedeutung zukommt. Es handelt sich dabei um die erste grundlegende normative These. Sie folgt unmittelbar aus der Annahme, dass die Mitgliedschaft in einer «identitätsstiftenden» Gruppe für ihre Mitglieder von unverzichtbarem Wert ist. Kulturalistische Nationalisten betonen in der Regel, ihre Begründung der dritten Behauptung stimme mit der liberalen Auffassung überein, dass Individuen die letzten Einheiten von moralischer Bedeutung sind. Ihrer Ansicht nach haben Nationen also keinen intrinsischen, sondern lediglich instrumentellen Wert.29 Margalit und Raz argumentieren, dass der Wert der «durchdringenden» Kultur in deren Beitrag zum Wohlergehen sowie zur Würde und zum Selbstrespekt von Individuen bestehe. Wird die kulturelle Gruppe, der diese angehören, lächerlich gemacht, diskriminiert oder verfolgt, wird auch ihre persönliche Würde verletzt.30 Dagegen sieht Kymlicka in der kulturellen Zugehörigkeit die Bedingung dafür, dass Individuen überhaupt bedeutungsvolle Optionen haben, zwischen denen sie wählen 26 27 28 29 30

Margalit, Raz (1990), S. 442-447. Ebd. S. 447-449, 445. Ebd. S. 444. Vgl. ebd. S. 450-453; Tamir (1993), S. 73f.; Kymlicka (1995), S. 84-93. Margalit, Raz (1990), S. 449.

130

Simone Zurbuchen

können. Deshalb bemisst er den Wert «durchdringender» Kulturen an der Ermöglichung von Autonomie.31 Ob der Nationalismus der Kultur sich zu Recht als liberaler Nationalismus bezeichnen lässt, zeigt sich an seinen normativen Implikationen, denen ich mich nun zuwende. Im Mittelpunkt steht das Recht auf Selbstbestimmung.32 Dieses darf jedoch nicht mit dem Recht auf Selbstbestimmung gleichgesetzt werden, wie es etwa in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen von 1966 formuliert wird.33 Kulturalistische Nationalisten legen großen Wert auf die Unterscheidung zwischen Nation und Staat.34 Selbstbestimmung wird nicht für Staaten, sondern für Nationen gefordert. Subjekt des Anspruchs auf Selbstbestimmung ist also nicht die politische Nation im Sinne des «Staatsvolks», sondern es ist die kulturelle Nation im Sinne der «identitätsstiftenden» Gruppe. Aus diesem Grund wird Selbstbestimmung auch nicht im politisch-demokratischen Sinn als Teilhabe an der Souveränität verstanden, sondern kulturell interpretiert. Tamir hält fest: «[…T]he right to national self-determination is understood as the right of a nation or, more precisely, the members of a nation, to preserve their distinct existence, and to manage communal life in accordance with their particular way of life.»35 Ob kulturelle Selbstbestimmung nur möglich ist, wenn eine Nation sich auch im politisch-demokratischen Sinn selbst regiert (wozu ein eigener Staat vorausgesetzt ist), ist ein zusätzliches Problem.36 31 32

33

34 35 36

Kymlicka (1995), S. 80-93. Wie oben bereits angemerkt (Anm. 24), reservieren Margalit und Raz den Begriff der Selbstbestimmung [self-determination] für die politische Selbstbestimmung in einem unabhängigen Staat, die sie von der «Selbstregierung» unterscheiden. Ich übernehme diese Terminologie nicht, sondern unterscheide im Folgenden zwischen politisch-demokratischer und kultureller Selbstbestimmung. UNO-Pakt I, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Artikel 1: «(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. (2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.» Vgl. dazu u. a. Kymlicka (1995), S. 116f. Vgl. Miller (1995), S. 74. Tamir (1993), S. 69. Miller (1995), S. 81-118; Tamir (1993), S. 3; Margalit, Raz (1990), S. 452f.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

131

Im Hinblick auf die zentrale Frage, ob sich der Nationalismus der Kultur mit den Anforderungen der Gerechtigkeit vereinbaren lässt, muss genauer erörtert werden, wie sich das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung gegenüber den moralischen Ansprüchen von Mitgliedern und Nichtmitgliedern verhält. Ich gehe dabei in Anlehnung an Rawls von einem Liberalismus aus, der sich einerseits auf die Sicherung einer Reihe individueller Grundrechte verpflichtet und andererseits einen Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit anerkennt. Analog dazu charakterisiere ich den Kosmopolitismus der Gerechtigkeit durch die doppelte Forderung nach Anerkennung grundlegender Menschenrechte und nach einer Form von internationaler Verteilungsgerechtigkeit.37

4.1. Rechte von Mitgliedern Zumindest auf der programmatischen Ebene grenzen sich die kulturalistischen Nationalisten von jeder Form des Kollektivismus ab. Ihr Ziel besteht nicht etwa darin, kulturelle Abgrenzung oder Isolation zu unterstützen, sondern es geht ihnen um den Schutz von Kulturen, die gegenüber äußeren Einflüssen offen sind und intern Selbstreflexion, Wahlfreiheit und Kritik zulassen.38 Aus dieser Zielsetzung erklärt sich, dass der kulturalistische Nationalismus die Einschränkung der individuellen Rechte der Mitglieder von Gruppen im Namen des kollektiven Gutes – der Erhaltung der Kultur – prinzipiell nicht unterstützt. Die meisten Autoren sind der Ansicht, dass sich der Gefahr des Kollektivismus am besten dadurch begegnen lasse, dass das Recht auf Selbstbestimmung nicht der Gruppe als Kollektiv, sondern den Mitgliedern der Gruppe zugesprochen wird. Diese haben als Individuen ein Recht auf ein kollektives Gut, nämlich die gemeinsame Kultur. Das Recht auf nationale Selbstbestimmung besagt dann, dass Individuen das Recht zukommt, ihrer kulturellen Identität öffentlich Ausdruck zu verleihen.39 37

38

39

Dieser Ansatz wird z. B. von Beitz (1994), ders. (1999), Pogge (1994), ders. (1992) u. a. vertreten. Tamir (1993), S. 79; Kymlicka (1999), S. 17 und 37-42; vgl. auch Tan (2002), S. 445f. Vgl. Tamir (1993), S. 35-37; Margalit, Raz (1990), S. 452f; anders Kymlicka (1995), S. 34-48. Ich gehe auf diese Problematik hier nicht weiter ein; vgl. dazu die differenzierte Untersuchung von Boshammer (2003).

132

Simone Zurbuchen

Ausgehend von diesen programmatischen Erklärungen drängt sich die Erwartung auf, das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung werde generell an die Bedingung geknüpft, dass kulturelle Gruppen sich auf die Garantie der individuellen Rechte ihrer Mitglieder verpflichten. Dies ist jedoch nicht der Fall. So betont Tamir, das Recht auf nationale Selbstbestimmung sei nicht auf Gemeinschaften beschränkt, welche Prinzipien der Gerechtigkeit respektieren. Selbstbestimmung impliziere vielmehr das Recht jeder Nation, ihre Verhaltensregeln mit möglichst wenig Intervention von außen zu bestimmen.40 Kymlicka ist der Ansicht, auch illiberalen Gruppen müsse das Recht zugestanden werden, ihre Kultur zu erhalten.41 Auch Margalit und Raz anerkennen, dass «identitätsstiftenden» Gruppen per se ein moralischer Anspruch auf kulturelle Selbstbestimmung zukommt. Sie sprechen illiberalen Kulturen allerdings das Recht auf politische Selbstbestimmung ab.42 Angesichts dieser Stellungnahmen drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass sich das liberale Element des Nationalismus der Kultur letztlich auf ein residuales Recht des Individuums zurückzieht, aus seiner Kultur auszutreten, indem es in eine andere Umgebung auswandert und eine neue Kultur annimmt. Da dies jedoch einen Wandel der persönlichen Identität bedeutet, handelt es sich um einen langsamen und anstrengenden Prozess.43

4.2. Rechte von Nichtmitgliedern Bisher wurde die Unterscheidung zwischen Nation und Staat betont. Dies war notwendig, um deutlich zu machen, dass der liberale Nationalismus der kulturellen gegenüber der politischen Selbstbestimmung Priorität einräumt. Nationen lassen sich allerdings von Staaten nicht trennen.44 Als 40 41 42

43 44

Tamir (1993), S. 99-102. Kymlicka (1999), S. 43. Margalit, Raz (1990), S. 449. In dieser Frage zeichnet sich später allerdings eine markante Differenz zwischen den beiden Autoren ab. Margalit räumt kulturellen Minderheiten das Recht ein, die individuellen Rechte iher Mitglieder zu beschränken; vgl. Margalit, Halbertal (1994), S. 492f.; Margalit (1999), S. 201-205. Raz macht das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung dagegen davon abhängig, dass Gruppen die individuellen Rechte ihrer Mitglieder respektieren; vgl. Raz (1994), S. 168-170. Dies betonen v. a. Margalit, Raz (1990), S. 444. Vgl. Miller (1995), S. 73f.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

133

«identitätsstiftende» Gruppen haben Nationen entweder einen eigenen Staat (Nationalstaat) oder sie bilden zusammen mit anderen Nationen einen Staat (multinationaler Staat). Weil Nationen ein Recht auf kulturelle Selbstbestimmung haben, kommt Staaten die Aufgabe zu, die nationale(n) Kultur(en) zu schützen. Der Staat muss also im Hinblick auf die Kultur(en) parteilich sein. Dies ist im Hinblick auf das Verhältnis von Nationen zu ihren Nichtmitgliedern von entscheidender Bedeutung. Die grundlegende Frage lautet hier, ob die Verpflichtung des Staates, die nationale(n) Kultur(en) seiner Mitglieder zu schützen, mit der kosmopolitischen Forderung nach Garantie grundlegender Menschenrechte und nach internationaler Verteilungsgerechtigkeit zu vereinbaren sei. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass Nichtmitglieder in der Regel keine isolierten Individuen, sondern selbst Mitglieder von Nationen und Staaten sind. Das Verhältnis zu Staatenlosen und Flüchtlingen müsste deshalb separat diskutiert werden. Soweit es sich um grundlegende Menschenrechte wie etwa das auf physische Integrität, auf persönliche Freiheit und auf Subsistenz handelt, ist der Nationalismus der Kultur mit dem Kosmopolitismus der Gerechtigkeit zu vereinbaren. Liberale Nationalisten anerkennen, dass Nationen gegenüber Nichtmitgliedern nicht nur negative, sondern auch die positive Pflicht haben, Unterstützung zu leisten, wenn Hilfe dringend benötigt wird und die Risiken und Kosten, die damit verbunden sind, relativ gering ausfallen.45 Strittig ist jedoch die Frage, ob die Parteilichkeit gegenüber der eigenen Kultur mit der Forderung nach internationaler Verteilungsgerechtigkeit zu vereinbaren sei. Während etwa Miller dies dezidiert bestreitet,46 behauptet Kymlicka, das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung dürfe nicht mit dem Recht auf Ressourcen gleichgesetzt werden. In einer Fußnote bezeichnete er Umverteilung zwischen den Nationen sogar als Voraussetzung dafür, dass Nationen ein Recht auf kulturelle Parteilichkeit geltend machen dürfen.47 Dabei scheint es sich jedoch eher um ein Lippenbekenntnis als um eine begründete Überzeugung zu handeln. Denn in seinen jüngeren Publikationen schließt sich Kymlicka Millers These an, dass soziale Gerechtigkeit nur unter der Bedingung möglich sei, dass die von der Umverteilung Betroffenen (Geber und Nehmer) «einen Sinn für gemeinsame Identität und gemeinsame Mitgliedschaft» haben, sodass die 45 46 47

Vgl. ebd. S. 104f.; Walzer (1981). Miller (1995), S. 73-80 und 102-108. Kymlicka (1995), S. 224, Anm. 18; vgl. auch ders. (2001), S. 219.

134

Simone Zurbuchen

Opfer, die für anonyme andere gebracht werden müssen, in einem gewissen Sinn Opfer für «einen von uns» sind.48 Damit komme ich auf die zweite grundlegende normative These zu sprechen, durch die der Nationalismus der Kultur charakterisiert ist. Sie besagt, Nationen seien ‹ethische› Gemeinschaften.49 Daran lässt sich eine Verwandtschaft zwischen dem Nationalismus der Kultur und dem Kommunitarismus ablesen. Von Michael Walzer stammt der viel zitierte Satz: Das Konzept der distributiven Gerechtigkeit setzt eine festumgrenzte Welt voraus, innerhalb deren Güter zur Verteilung gelangen: eine Gruppe von Menschen, die gewillt und bestrebt sind, soziale Güter zu verteilen, auszutauschen und miteinander gemein zu haben, und dies vor allem und in erster Linie im eigenen Kreis.50

Diesem Satz stimmen liberale Nationalisten wie Tamir, Miller und Kymlicka zu. Im Unterschied zu den Kommunitaristen, nach denen Gruppen durch gemeinsame Werte zusammengehalten werden, vertreten Nationalisten jedoch die Auffassung, dass Gruppen durch eine gemeinsame Kultur verbunden sind, mit der sich ihre Mitglieder identifizieren.51 Dass Nationen ethische Gemeinschaften sind, bedeutet, dass ihre Mitglieder gegenüber allen anderen Mitgliedern spezielle Pflichten haben, die sie gegenüber anderen Menschen nicht haben.52 Nationalisten behaupten also, dass wir moralisch gesehen nicht alle gleich weit voneinander entfernt sind, sondern dass die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur einen besonderen moralischen Grund dafür darstellt, die Mitglieder der eigenen Nation zu bevorzugen.53 Mit der Frage, wie spezielle Pflichten gerechtfertigt werden können, betritt man ein komplexes Feld der moralphilosophischen Diskussion, das hier nicht erschöpfend behandelt werden kann.54 Ich unterstreiche lediglich, dass kulturalistische Nationalisten in der Regel behaupten, dass sich spezielle Pflichten gegenüber den Mitgliedern der eigenen Nation aus universalistischer Perspektive nicht rechtfertigen lassen. So argumentiert z. B. Miller, der konsequente Universalist 48 49 50 51 52 53 54

Ebd. S. 225; vgl. ders. (2002), S. 269f. Miller (1995), S. 49. Walzer (1992), S. 65; vgl. ders. (1981), S. 1. Vgl. Tamir (1993), S. 121. Vgl. Miller (1995), S. 49. Vgl. McMahan, a. a. O. S. 109. Vgl. den Überblick bei ebd. S. 112-119.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

135

dürfe Nationalität (d. h. die Zugehörigkeit zu einer «identitätsstiftenden» Gruppe) nicht als Ursprung von moralischen Pflichten betrachten, sondern müsse sie als Begrenzung verstehen, die es zu überwinden gelte: «Nationality should be looked upon as a sentiment that may have certain uses in the short term – given the weakness of people’s attachment to universal principles – but which, in the long term, should be transcended in the name of humanity.» 55 Diese Schlussfolgerung ist für kulturalistische Nationalisten nicht akzeptabel, weil sie der ersten grundlegenden normativen These widerspricht, wonach Nationen moralische Bedeutung zukommt. Ethische Partikularisten können spezielle Pflichten gegenüber den Mitgliedern der eigenen Nation dagegen leichter rechtfertigen, weil sie moralische Pflichten generell aus der Identifikation und Verbundenheit mit Gruppen ableiten.56 Weil kulturalistische Nationalisten moralische Pflichten in Loyalitäten begründen,57 bietet für sie die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur einen besonderen moralischen Grund dafür, die Mitglieder der eigenen Nation gegenüber anderen zu bevorzugen. In der Identifikation mit der kulturellen Gruppe sehen sie zudem die Grundlage der Solidarität und des Vertrauens, das notwendig ist, um Individuen zu motivieren, die mit der Umverteilung verbundenen Lasten zu tragen.58 Da auch Kymlicka im Anschluss an Miller und andere die These vertritt, dass soziale Gerechtigkeit von der Existenz einer gemeinsamen Kultur abhängig sei, mit der sich ihre Mitglieder identifizieren, erweist sich seine These, der Nationalismus stehe nicht in Widerspruch zum Kosmopolitismus, als problematisch.

5. Kritik des Nationalismus der Kultur Das Fazit der vorangehenden Überlegungen lautet, dass der Nationalismus der Kultur dem Kosmopolitismus der Gerechtigkeit trotz seiner Berufung auf liberale Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit widerspricht. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass der Nationalismus der Kultur nicht egalita55 56 57

58

Miller (1995), S. 64; zur Begründung dieser These vgl. S. 58-64. Vgl. Tamir (1993), S. 99; Miller (1993), S. 65-69. Diese Begründung moralischer Pflichten ist allerdings umstritten. Zur Differenz zwischen Loyalität und moralischer Verpflichtung vgl. Shklar (1993); Levinson (1995). Die Gegenposition vertritt A. Oldenquist, «Loyalties», in: Primoratz (2002), S. 25-42. Kymlicka (2001), S. 225 und 239.

136

Simone Zurbuchen

ristisch, sondern parteilich ist. Dagegen lassen sich zwei Einwände formulieren, die abschließend zu prüfen sind. Der erste Einwand lautet, der kulturalistische Nationalismus räume als universalistischer Nationalismus allen Nationen das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung ein und anerkenne deshalb, dass Nationen gleich zu behandeln seien. Gleichheit bezieht sich hier jedoch auf die Kultur und nicht auf die moralischen Ansprüche von Individuen. Letztere werden ungleich behandelt, wenn Mitglieder der eigenen Nation gegenüber jenen anderer Nationen privilegiert werden dürfen. Genau dies folgt jedoch aus der zweiten grundlegenden normativen These, wonach Nationen ethische Gemeinschaften sind.59 Dies bestätigt sich an der Haltung gegenüber Migranten. Nach Auffassung des kulturalistischen Nationalismus haben Staaten das legitime Recht, die Zahl von Immigranten zu beschränken und deren Assimilation zu verlangen, um die existierenden nationalen Kulturen zu schützen.60 Das Problem besteht hier nicht darin, dass eine Beschränkung der Immigration gerechtfertigt wird. Auch Kosmopoliten fordern nicht unbedingt eine Politik der offenen Grenzen.61 Das Problem besteht vielmehr darin, dass die moralischen Ansprüche von Einwanderern nicht unparteilich geprüft, sondern in Abhängigkeit von ihrer kulturellen Zugehörigkeit anders behandelt werden. Der zweite Einwand lautet, dass der Nationalismus der Kultur nicht notwendig mit dem ethischen Partikularismus verschwistert werden müsse. Es sei möglich, Parteilichkeit gegenüber den Mitgliedern der eigenen Nation statt auf der grundlegenden Ebene auf einer Zwischenebene der moralischen Begründung anzusiedeln. Von diesem Standpunkt aus gesehen muss gemäß dem Prinzip, dass alle Individuen unabhängig von ihrer kulturellen Zugehörigkeit unparteilich behandelt werden sollten, bestimmt werden, worin eine gerechte Verteilung von Ressourcen besteht. Weil nationale Parteilichkeit hier erst ins Spiel kommt, nachdem ein System globaler Verteilungsgerechtigkeit identifiziert ist, kann das Ideal der Unparteilichkeit im Hinblick auf kulturelle Zugehörigkeit bewahrt werden.

59

60 61

Millers Behauptung, der ethische Partikularist verteidige nicht die Parteilichkeit (1995, S. 54), ist irreführend. Denn er verteidigt Unparteilichkeit lediglich innerhalb einer ethischen Gemeinschaft. Tan versucht dagegen tatsächlich die Idee eines egalitaristischen liberalen Nationalismus zu verteidigen, der nationale Zugehörigkeit als moralisch arbiträres Faktum betrachtet (2002, S. 447f.). Vgl. Kymlicka (2001), S. 219 und 273-289. Vgl. Märker, Schlothfeldt (2002).

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

137

Die gemeinsame Nationalität wird damit nur innerhalb der Grenzen globaler Gerechtigkeit relevant.62 Abschließend ist zu prüfen, ob sich diese Position mit der Annahme vereinbaren lässt, dass soziale Gerechtigkeit eine ‹begrenzte Welt› voraussetze. Dabei kann es sich erstens um eine Aussage über die Bedeutung und das Verständnis der Güter handeln, die es zu verteilen gilt. Das Argument der «nationalen Verwandtschaft» 63 lautet dann, dass Gerechtigkeit von der geteilten Bedeutung und dem gemeinsamen Verständnis der zu verteilenden Güter abhängt, was nur innerhalb einer gemeinsamen Kultur angenommen werden kann. Dieser Ansicht ist Tan mit dem Einwand entgegengetreten, dass es einen gemeinsamen kulturübergreifenden Standard gebe, an dem sich das Niveau der Entwicklung und die Lebensqualität in verschiedenen Ländern messen lasse. So sei kaum zu bestreiten, dass es ein kulturübergreifendes Einverständnis darüber gebe, dass längere Lebensdauer, Bildung, Gesundheit, Realeinkommen usw. zu den grundlegenden Gütern gehörten, deren alle Menschen bedürfen. Mit dieser scheinbaren Konzession an die Forderung nach internationaler Verteilungsgerechtigkeit wird das grundlegende Problem jedoch nicht gelöst, sondern lediglich auf eine andere Ebene verschoben. Es stellt sich dann nämlich die Frage, wo die Grenze zwischen kulturunabhängigen und kulturspezifischen Grundgütern zu ziehen ist. Tans Argument wäre nur überzeugend, wenn er gegen Miller darlegen würde, warum und wie die Liste der kulturunabhängigen Grundgüter substantiell erweitert werden muss. Denn auch Miller anerkennt ja, dass es eine Reihe von grundlegenden Rechten [basic rights] gibt, die alle als Menschen respektieren müssen.64 Die Annahme, soziale Gerechtigkeit setze eine ‹begrenzte Welt› voraus, lässt sich aber auch als eine Aussage über moralische Motivation verstehen. Danach sind Individuen nur bereit, die Bürden sozialer Gerechtigkeit zu tragen, wenn sie einer moralischen Gemeinschaft angehören. Nach Auffassung der kulturalistischen Nationalisten wird diese Gemein62

63 64

Vgl. Tan (2002), S. 454-456. In diesem Zusammenhang wäre die Position des nonegalitaristischen Humanismus genauer zu prüfen; vgl. dazu den Beitrag von Angelika Krebs in diesem Band. Ich übernehme hier die Terminologie von Tan (2002), S. 451-454. Miller (1995), S. 773-779. Zur Frage, wie sich die «Equality of what?»-Frage im globalen Rahmen beantworten lasse, vgl. (aus kosmopolitischer Perspektive) D. Satz, «Equality of what among whom? Cosmopolitanism, statism, and nationalism», in: Shapiro, Brilmayer (1999), S. 67-85.

138

Simone Zurbuchen

schaft durch die gemeinsame Kultur gestiftet, mit der sich ihre Mitglieder identifizieren. Insofern ist nationale Zugehörigkeit eine notwendige Bedingung für soziale Gerechtigkeit.65 Dagegen wurde eingewandt, es sei falsch, die Mitgliedschaft in einer Nation als einzige Grundlage sozialer Gerechtigkeit zu verstehen. Der liberale Nationalismus sei kein beschränkendes, sondern ein expansives moralisches Projekt. Solidarität und Vertrauen zwischen Personen seien nicht ein für alle Mal fixiert, sondern könnten sich mit der Zeit vertiefen und ausdehnen. Es spreche deshalb nichts dagegen, dass der kulturalistische Nationalismus sich für die «Kultivierung der Humanität» einsetze.66 Einmal abgesehen davon, dass kaum mehr einsichtig ist, inwiefern dann noch sinnvoll von einer nationalistischen Position gesprochen werden kann, scheint mir dieser Einwand auch unvereinbar mit den grundlegenden Annahmen des Nationalismus der Kultur. Er widerspricht insbesondere der These, wonach Nationen moralische Bedeutung zukommt, weil eine gemeinsame «durchdringende» Kultur für Individuen unverzichtbaren Wert hat. Gemäß dieser Position wäre Solidarität im globalen Maßstab nur möglich, wenn die kulturellen Differenzen verschwänden. Genau diese Befürchtung liegt jedoch am Ursprung der neuen nationalistischen Opposition gegen den moralischen Kosmopolitismus. Ich gelange deshalb zum Schluss, dass der Versuch, den Nationalismus der Kultur zu retten, indem er in die Grenzen des Kosmopolitismus der Gerechtigkeit verwiesen wird, am Ende dazu führt, dass der Nationalismus wegdefiniert wird. Dass der Nationalismus der Kultur mit dem Kosmopolitismus der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren ist, bedeutet nicht eo ipso, dass er dadurch auch schon widerlegt wäre. Er hat vielmehr eine Reihe von guten Argumenten auf seiner Seite und stellt Forderungen auf, denen der Kosmopolitismus der Gerechtigkeit seinerseits Rechnung zu tragen hat. Für den Nationalismus der Kultur sprechen folgende Punkte: 1. Wie viele Beispiele zeigen, finden Diskriminierung und Marginalisierung aufgrund der Zugehörigkeit zu kulturellen Gruppen tatsächlich statt. Die Forderung

65

66

Vgl. dazu Miller (1995), S. 93: «Trust assumes particular importance if we ask about the conditions under which individuals will give their support to schemes of social justice, particularly schemes involving redistribution to those not able to provide for their needs through market transactions.» Vgl. Tan (2002), S. 451-453. Mit der Forderung der «Kultivierung der Humanität» spielt er an auf Nussbaum (1997).

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

139

nach Anerkennung partikularer Identitäten erscheint deshalb als legitim. 2. Der Nationalismus der Kultur kommt der weit verbreiteten moralischen Intuition entgegen, dass wir gegenüber Mitgliedern der Gruppen, mit denen wir uns identifizieren, spezielle Verpflichtungen haben. Diese sorgen dafür, dass auch diejenigen, die selbst keinen Beitrag zum gemeinsamen Wohlstand leisten können (Behinderte, Kinder, künftige Generationen) als Teil unserer moralischen Gemeinschaft betrachtet werden. 3. Der Nationalismus der Kultur hat im Unterschied zum Kosmopolitismus der Gerechtigkeit einen plausiblen Begriff von der Loyalität und Solidarität, ohne die die Bürden der Verteilungsgerechtigkeit nicht getragen werden. Diesen Punkten hat der Kosmopolitismus der Gerechtigkeit Rechnung zu tragen, wenn er als plausible Alternative zum Nationalismus der Kultur profiliert werden soll. Ruft man sich in Erinnerung, dass der Kosmopolitismus der Gerechtigkeit auch mit einem System von unabhängigen Staaten zu vereinbaren ist und dass er nicht ausschließt, dass individuelles Verhalten durch kulturelle Loyalitäten und besondere Verantwortlichkeiten beeinflusst wird, scheint er mit den drei genannten Forderungen im Prinzip vereinbar zu sein. Es bleibt die Aufgabe bestehen, genauer zu bestimmen, wie weit die kulturellen Prioritäten in einer gerechten Weltordnung Geltung beanspruchen dürfen.67

Literatur Beitz, Ch.: Cosmopolitan liberalism and the states system, in: Ch. Brown (ed.): Political restructuring in Europe, London, New York 1994, S. 123136. — Social and cosmopolitan liberalism, in: International Affairs 75/3 (1999), S. 515-529. Benhabib, S.: The Claims of Culture. Equality and Diversity in the Global Era, Princeton 2002. Boshammer, S.: Gruppen, Rechte, Gerechtigkeit, Berlin, New York 2003. Höffe, O.: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999. Kant, I.: Werke, hg. von W. Weischedel, Bd. XI, Frankfurt a. M. 1964. Kriesi, H. et al. (ed.): Nation and National Identity. The European Experience in Perspective, Zürich 1999. 67

Diese Frage behandeln z. B. R. W. Miller (1998) und Pogge (2002).

140

Simone Zurbuchen

Kymlicka, W.: Multicultural Citizenship. A Liberal Theory of Minority Rights, Oxford 1995. — Multikulturalismus und Demokratie. Über Minderheiten in Staaten und Nationen, übers. von K. Wördemann, Hamburg 1999. — Politics in the Vernacular. Nationalism, Multiculturalism, and Citizenship, Oxford 2001. — Contemporary Political Philosophy. An Introduction, Oxford 2002. Lacroix, J.: For a European Constitutional Patriotism, in: Political Studies 50 (2002), S. 944-958. Levinson, S.: Is Liberal Nationalism an Oxymoron?, in: Ethics 105 (1995), S. 626-645. Margalit, A., Raz, J.: National Self-Determination, in: The Journal of Philosophy 87/9 (1990), S. 439-461. —, Halbertal, M.: Liberalism and the Right to Culture, in: Social Research 61/3 (1994), S. 491-537. — Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung, übers. von G. Schmidt, A. Vonderstein, Frankfurt a. M. 1999. Märker, A., Schlothfeldt, S. (Hg.): Was schulden wir Flüchtlingen und Migranten? Grundlagen einer gerechten Zuwanderungspolitik, Wiesbaden 2002. McKim, R., McMahan, J. (ed.): The Morality of Nationalism, New York, Oxford 1997. Miller, D.: On Nationality, Oxford 1995. — Citizenship and National Identity, Cambridge 2000. Miller, R. W.: Cosmopolitan Respect and Patriotic Concern, in: Philosophy and Public Affairs 27/3 (1998), S. 202-224. Moore, M.: On National Self-determination, in: Political Studies 45/5 (1997), S. 900-913. Nussbaum, M. C.: Cultivating humanity: a classical defense of reform in liberal education, Cambridge, Ma. 1997. Pogge, T. W.: Cosmopolitanism and Sovereignty, in: Ethics 103/1 (1992), S. 48-75. — An Egalitarian Law of Peoples, in: Philosophy & Public Affairs 23/2 (1994), S. 195-224. — Patriotismus und Kosmopolitanismus, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 56/3 (2002), S. 426-448. Primoratz, I. (ed.): Patriotism, Amherst NY 2002. Raz, J.: Ethics in the Public Domain. Essays on the Morality of Law and Politics, Oxford 1994.

Globale Gerechtigkeit und das Problem der kulturellen Differenz

141

Shapiro, I., Brilmayer, L. (ed.): Global Justice, New York, London 1999. Shklar, J. N.: Obligation, Loyalty, and Exile, in: Political Theory 21/2 (1993), S. 181-197. Tamir, Y.: Liberal Nationalism, Princeton 1993. Tan, K.-Ch.: Liberal Nationalism and Cosmopolitan Justice, in: Ethical Theory and Moral Practice 5 (2002), S. 431-461. Taylor, Ch.: Multiculturalism and the Politics of Recognition, Princeton 1992. Walzer, M.: The Distribution of Membership, in: P. G. Brown, H. Shue (ed.): Boundaries. National Autonomy and its Limits, Totowa, N. J. 1981, S. 1-35. — Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, übers. von H. Herkommer, Frankfurt a. M. 1992.

Studia philosophica 64/2005

SUSANNE BOSHAMMER

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz In the course of globalization European countries are changing from culturally homogenous communities to more heterogeneous ones. Strikingly, the cultural differences between citizens are reflected in their social situation – members of cultural minorities are more often socially deprived. Special rights are supposed to eliminate these structural disadvantages. Although minority-rights are problematic in general, it is argued that under conditions of globalization the granting of such rights is justified on grounds of fairness. Das Gesetz macht alle auf erhabene Weise gleich: Es verbietet allen Menschen unter Brücken zu schlafen, auf den Strassen zu betteln oder Brot zu stehlen – den Armen ebenso wie den Reichen. (A. France, Die rote Lilie, 1894)

1. Einleitung Unter dem Stichwort der Globalisierung wird in jüngster Zeit eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Fragen der politischen Theorie und praktischen Philosophie diskutiert. Soweit es die Philosophie betrifft, werden die entsprechenden Phänomene häufig aus der Perspektive der Gerechtigkeit problematisiert, die auch im Titel des vorliegenden Buches anklingt. Der folgende Beitrag diskutiert eine dieser Gerechtigkeitsfragen, nämlich die nach dem Verhältnis von rechtlicher Gleichheit und kultureller Differenz in ‹globalisierten Gesellschaften›.1 Dahinter verbergen sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, (mindestens) zwei miteinander verbundene Probleme: ein praktisches und ein theoretisches. Ersteres betrifft das Phänomen der strukturellen Benachteiligung von kulturellen Minderheiten; letzteres ist systematischer Natur und resultiert aus dem normativen Selbstverständnis liberaler Verfassungsstaaten und der Interpretation von Unparteilichkeit als Differenzblindheit. Im ersten Teil des Textes soll 1

Vgl. dazu ausführlicher: Boshammer (2003).

144

Susanne Boshammer

zunächst das praktische Problem von kultureller Differenz als sozialer Ungleichheit in seiner Verbindung zum Prozess der Globalisierung vorgestellt und am Beispiel des so genannten Kopftuchstreits einleitend erläutert werden (2.). Ausgehend von einer Darstellung der Idee der Rechtsgleichheit als liberaler Strategie zur Vermeidung des Benachteiligungsproblems (3.) wird die theoretisch-systematische Schwierigkeit erkennbar (4.), vor deren Hintergrund die Forderung nach besonderen Minderheitenrechten als mögliche Lösung des praktischen Problems abschließend präsentiert (5.) und kurz diskutiert wird (6.).

2. Kulturelle Differenz als soziale Ungleichheit: das praktische Problem Der Prozess der (wirtschaftlichen) Globalisierung konfrontiert die Menschen in aller Welt mit zunehmenden Mobilitätsanforderungen: Der Markt hat die Grenzen der ehemaligen Nationalstaaten längst überschritten und mehr und mehr Menschen sind aufgefordert oder gezwungen, es ihm gleichzutun, um an seinen Früchten teilhaben zu können. Heutzutage stirbt kaum jemand mehr an dem Ort, an dem er geboren ist, und immer mehr Menschen verlassen aus unterschiedlichsten Gründen im Laufe ihres Lebens nicht nur ihren Geburtsort, sondern ihr Heimatland und werden zu Einwandernden in der Fremde. Diese Entwicklung bringt (nicht nur) für die europäischen Nationalstaaten tief greifende Veränderungen mit sich. Während sie einstmals eine kulturell weit gehend homogene Bevölkerungsstruktur aufwiesen, wandeln sie sich nun sukzessive zu plurikulturellen Gesellschaften, womit Gesellschaften bezeichnet sind, in denen unterschiedliche kulturelle Gruppen nebeneinander oder miteinander unter dem Dach einer für alle gleichermaßen verbindlichen Rechtsordnung koexistieren. Plurikulturelle Gesellschaften unterscheiden sich dabei in relevanter Hinsicht von den so genannten multikulturellen Gesellschaften nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika. Dort gibt es keine Mehrheitskultur im eigentlichen Sinne, sondern eine Vielzahl so genannter SubKulturen oder verschiedener kultureller Gruppen. In den plurikulturellen Staaten Europas lässt sich das Verhältnis der kulturellen Gruppen untereinander dagegen angemessener als das einer Mehrheit zu verschiedenen Minderheiten beschreiben. Auch hier gibt es verschiedene Kulturgruppen, aber diese sind, wenn man so will, nicht gleich ‹stark›. Das ungleiche Kräfteverhältnis betrifft dabei keineswegs nur den zahlenmäßigen Anteil

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

145

an der Bevölkerung. Rein numerisch betrachtet sind auch Einkommensmillionäre und Bildungseliten Minderheiten, doch deren Minderzahl macht sie noch nicht zur Minderheit. Für die Bezeichnung einer Gruppe als Minderheit ist nicht das Mengenverhältnis, sondern das Machtverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Gruppen ausschlaggebend.2 Es ist nicht (nur) die zahlenmäßige Unterlegenheit, die mindere Größe der entsprechenden Gruppen, die in der Bezeichnung als Minderheit anklingt, sondern ihr relativer Mangel an Einfluss und Macht, also ihre mindere Chance, «den eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer Beteiligter durchzusetzen».3 Der Begriff der Minderheit ist daher (mindestens im Folgenden) nicht nur im numerischen, sondern in einem qualifizierten Sinn zu verstehen. Die verschiedenen Gruppen zeichnen sich zudem je dadurch aus – das sei für das Folgende die Kennzeichnung des Begriffs der kulturellen Gemeinschaft –, dass ihre Mitglieder eine gemeinsame Geschichte teilen, gemeinsame Traditionen, häufig gemeinsame religiöse Überzeugungen, eine gemeinsame Muttersprache und ggf. eine gemeinsame ethnische Herkunft.4 Die jeweiligen Mitglieder dieser Gruppen sind einander also in Hinsichten ähnlich, von denen man gemeinhin glaubt, dass sie für die Identität von Personen und ihre Vorstellung vom ‹guten Leben› von Bedeutung sind. Woher ich komme, woran ich glaube, worauf ich hoffe und in welcher Sprache ich diese Bindungen ausdrücke, macht mich in wesentlicher Hinsicht aus. Es entscheidet mit darüber, wer ich bin und wie ich leben möchte.5 Damit soll zugleich gesagt sein, dass in plurikulturellen Gesellschaften Gruppen koexistieren, die sich voneinander in eben diesen Hinsichten unterscheiden. Plurikulturelle Gesellschaften sind daher notwendig mit dem Phänomen der Differenz konfrontiert. Für sich genommen ist nun weder die Existenz von Minderheiten noch die Tatsache der Differenz ein Problem der Gerechtigkeit. Dass es in einer demokratischen Gesellschaft unterschiedlich einflussreiche Gruppen gibt, dass die Mehrheit entscheidet und die jeweilige Minderheit nur geringen Einfluss geltend machen kann, gehört zum Wesen der Demokratie. Und 2 3 4

5

Vgl. dazu Markefka (1995). Weber (2004), S. 38. Vgl. für eine darüber hinausgehende systematische Kennzeichnung der betreffenden Gruppen Margalit, Raz (1995), S. 83ff. Vgl. MacIntyre (1981), S. 301ff.

146

Susanne Boshammer

ebenso ist das Phänomen der Differenz, die Erfahrung von und Begegnung mit verschiedenen kulturellen Traditionen, ein ‹natürlicher› Bestandteil plurikultureller Gesellschaften, der gelegentlich als problematisch, oft als bereichernd, aber sicherlich nicht als ungerecht empfunden werden kann. Das einleitend als praktisch gekennzeichnete Gerechtigkeitsproblem, das im Folgenden diskutiert werden soll, wird denn auch erst durch eine Beobachtung sichtbar, die beide Perspektiven zusammenführt: So lässt sich in plurikulturellen Gesellschaften wie der Bundesrepublik aber auch der Schweiz beobachten, dass die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen bzw. kulturellen Gemeinschaften als solche mit einem relativen Mangel an individueller Freiheit einhergeht, sein Leben gemäß den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Kulturelle Differenzen wirken sich, so ließe sich formulieren, als soziale Ungleichheiten aus, und damit ist hier kein Wohlstandsgefälle bezeichnet, sondern eine Ungleichheit hinsichtlich der individuellen Möglichkeit, die eigenen legitimen Interessen zu verfolgen und der eigenen Façon gemäß ‹selig zu werden›. Das derzeit wohl prominenteste Beispiel dieses Phänomens bildet die Klage der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Kopftuchverbot in staatlichen deutschen Schulen,6 doch dieser Fall ist nur einer aus einer ganzen Reihe von MinderheitsRechtsfragen, die, wenn auch nicht die Parlamente, so doch die Gerichte immer häufiger beschäftigen. Diese haben in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland über die Zulässigkeit ritueller Schlachtungen, über Baugenehmigungen für die unterschiedlichsten Gotteshäuser, über die Beschneidung von Mädchen, die Lautsprecherübertragung des Muezzin-Rufs, die Zulässigkeit von Arbeitspausen zum Zweck der Erfüllung von Gebetspflichten, über Bebauungspläne, die Friedhofsordnung und die Feiertagsregelung entscheiden müssen. In all diesen Fällen beklagen sich die Angehörigen von Minderheitskulturen über eine effektive Beeinträchtigung ihrer Lebenschancen und eine relative Benachteiligung ihrer Lebensweise gegenüber den Mitgliedern der Mehrheitskultur. Die Sprache der Mehrheit wird in den Schulen gelehrt und gesprochen und stellt die offizielle Amtssprache dar; die religiösen Festtage der Mehrheitskultur sind staatliche Feiertage; in den Museen und Universitäten bewahrt und pflegt man deren Kulturgüter und nicht die der Minderheiten; in manchen Berufen des öffentlichen Dienstes verhindern Bekleidungsvorschriften das Tragen reli6

Vgl. Boshammer (2003a).

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

147

giöser Kopfbedeckungen oder kulturtypischer Gewänder; die Friedhofsordnungen orientieren sich am christlichen Begräbnisritual und verbieten eine Bestattung ohne Sarg; das Lärmimmissionsgesetz erlaubt das stündliche Läuten der Kirchenglocken, aber es untersagt den fünf Mal täglichen Ruf des Muezzin;7 das Tierschutzgesetz lässt die Produktion von Weihnachtsgänsen in Massentierhaltung zu, aber nicht das betäubungslose Schlachten von Opfertieren zu den jüdischen und islamischen Feiertagen;8 Frauen, zu deren religiöser Identität das Tragen eines Kopftuchs gehört, unterliegen – solange sie sich weigern, das Kopftuch im Unterricht abzulegen – einem Berufsverbot in staatlichen Schulen und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, den Schülerinnen und Schülern ein verfassungswidriges Vorbild zu liefern, und so ließe sich die Liste noch lange fortsetzen. Kurz: Die für alle gleichermaßen verbindlichen Gesetze treffen auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die die Wertvorstellungen der Mehrheitskultur subventioniert, und machen es den Angehörigen von Minderheiten oft schwer und nicht selten unmöglich, ihren religiösen oder kulturellen Pflichten nachzukommen und ihr eigenes kulturelles Erbe zu bewahren. Das wiederum befördert und beschleunigt die sukzessive Erosion von Minderheitsgemeinschaften und die Assimilation der ihnen angehörigen Individuen, die sich dadurch der Gefahr einer kulturellen Entwurzelung ausgesetzt sehen.9

3. Rechtsgleichheit und Diskriminierungsverbot: liberale Problemvermeidungsstrategie Die prozedurale und effektive Benachteiligung von Menschen (ihre Benachteiligung und ihr Benachteiligtsein) aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu be7

8

9

Mittlerweile ist zwar nicht das Urteil, aber seine Begründung aufgehoben und durch Verweis auf das «Recht auf negative Religionsfreiheit» ersetzt worden. Dieses Recht untersage den Ruf des Muezzin, insofern dieser ein artikuliertes religiöses Bekenntnis enthalte («Allah ist groß»), wohingegen das Läuten der Kirchenglocken zulässig sei, weil es lediglich ein bekenntnisfreies «Geläut» darstelle, das zudem historisch betrachtet keineswegs nur religionsbezogene Funktion habe. In manchen Bundesländern sind jüdische Religionsgemeinschaften von diesem Verbot ausgenommen und besitzen eine Sondererlaubnis. Kymlicka (1991), insbesondere S. 165.

148

Susanne Boshammer

stimmten kulturellen Gruppen gilt in den liberalen Demokratien des Westens als unrechtmäßige Diskriminierung, die durch die Verfassung ausgeschlossen ist. So heißt es exemplarisch etwa im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dass «niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden» (GG, Art. 3, Abs. 1-3) und «niemandem […] aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen [darf]» (GG, Art. 33, Abs. 3). In dieser Kennzeichnung kommt ein Verständnis von Gerechtigkeit zum Ausdruck, das weder Ungleichheiten noch Ungleichbehandlungen per se als ungerecht diskreditiert. Dass liberale Rechtsstaaten Ungleichbehandlungen und Ungleichheiten aufgrund der genannten Merkmale verbieten, heißt nicht, dass aus liberaler Perspektive substantielle Gleichheit und schematische Gleichbehandlung geboten sind. Indem die Verfassung Bevorzugungen und Benachteiligungen aufgrund der genannten Merkmale als unrechtmäßig ausschließt, markiert sie vielmehr die Grenzen der Rechtfertigungsfähigkeit von Ungleichheit und impliziert damit zugleich, dass diese erstens prinzipiell rechtfertigungsfähig und zweitens in vielen Fällen gerechtfertigt sein mag. Ungerechtfertigt und ungerecht ist sie jedoch immer dann, wenn sie auf die genannten Merkmale Bezug nimmt oder an diese auch nur anknüpft.10 Die Begründung dieser so genannten Diskriminierungsverbote nimmt in der Regel Bezug auf die Idee einer wesentlichen Gleichheit aller Menschen, die bereits im Denken von Humanismus und Aufklärung angelegt ist11 und in den liberalen Demokratien des Westens den Status eines Bekenntnisses von Verfassungsrang gewonnen hat, das den Diskriminierungsverboten vorangestellt ist. Die Behauptung, dass «alle Menschen vor dem Gesetz gleich [sind]» (Art. 3, Abs. 1, GG), ist dabei nicht im Sinne einer Leugnung der vielfältigen, zwischen den Bürgerinnen und Bürgern bestehenden kulturellen Differenzen und sonstigen faktischen Unterschiede zu verstehen, sondern im Sinne der Leugnung ihrer normativen Bedeutung.

10 11

Vgl. Huster (1993). Vgl. etwa Rousseau (1990 [1782]), Kant (1991 [1786]), Montesquieu (1992 [1748]), Hobbes (1970 [1651]), Locke (1998 [1690]).

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

149

Mit dem Bekenntnis zur Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz verpflichtet sich der liberale Gesetzgeber zur Neutralität im Sinne der Unparteilichkeit.12 Justitia ist blind für die kontingenten Unterschiede zwischen den Menschen und muss ihre Urteile und Entscheidungen ‹ohne Ansehen der Person› treffen. Wer oder was jemand ist, darf bei der rechtlichen Berücksichtigung und Gewichtung seiner Interessen keine Rolle spielen. Wie ein Fotograf, der mit seiner Kamera eine große Gruppe von Personen ablichten will, ohne eine von ihnen auszublenden, muss der unparteiliche Gesetzgeber von den konkreten Personen und ihren höchstpersönlichen Anliegen weit genug zurücktreten, damit alle ‹ins Bild kommen› und die Interessen eines jeden in den allgemeinverbindlichen Regeln berücksichtigt werden können. Am Ende dieses von allen individuellen Verschiedenheiten absehenden Abstraktionsprozesses fällt sein Blick auf eine homogene Menge in normativ relevanter Hinsicht gleich bedeutender menschlicher Individuen, die Träger fundamentaler Interessen sind und als Staatsbürger Anspruch auf diesbezüglichen rechtlichen Schutz haben. Erst die Distanziertheit eines in diesem Sinne universalistischen Standpunkts, der von allen subjektiven Präferenzen gleichermaßen weit entfernt ist, erlaubt es, die pluralistische Vielfalt der Lebensweisen und Interessen in ihrer Gesamtheit einzufangen und Regeln zu formulieren, die allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen dürfen, weil sie dieser Vielfalt gerecht werden und so die friedliche Koexistenz und erfolgreiche Kooperation der verschiedenen Individuen und unterschiedlichen Gruppen innerhalb der Gesellschaft ermöglichen. Der liberale Staat sieht demnach seine Aufgabe im gleichen Schutz der fundamentalen Interessen von Individuen. Bei der Verfolgung ihrer legitimen Lebenspläne spricht er ihnen zwar nicht gleichen Erfolg, aber gleiche Freiheit zu, und er garantiert diese Freiheit durch die unparteiliche Gleichberücksichtigung ihrer fundamentalen Interessen mittels der Gewährleistung gleicher Grundrechte und Grundpflichten für alle.13 12 13

Vgl. Huster (2002). «The liberal state thus emphasise[s] its role as a neutral mediator and as an honest broker of individual interests, forbidden to promote or express any particular life-plan or conception of the good, and ensuring all members an equal chance to pursue their individually defined goals. The state [is] not only supposed to act as if it [has] no bias toward one particular colour, culture, gender or religion, but [is] indeed supposed to be free of all identifying characteristics or associations with particular groups or individuals. The state [is] therefore seen

150

Susanne Boshammer

4. Unparteilichkeit als Differenzblindheit: das systematische Problem Frau Ludin und andere Mitglieder von Minderheitsgemeinschaften beklagen, dass der liberale Staat dem Versprechen von gleichem Schutz und gleicher Freiheit in der Praxis nicht nachkommt. Ihrer Ansicht nach wirkt sich die formale Gleichberücksichtigungsmaxime unter den Bedingungen kulturell heterogener Gesellschaften als Chancenungleichheit aus und führt zu einer effektiven Benachteiligung der Angehörigen kultureller Minderheiten – und das nicht etwa obwohl, sondern weil der Gesetzgeber sich gegenüber den unterschiedlichen Kulturzugehörigkeiten seiner Bürgerinnen und Bürger unparteilich verhält. Die Gründe für die effektive Ungleichverteilung der Lebenschancen sind demnach nicht im mangelnden Gleichberechtigungs-Bemühen des Rechtsstaats zu finden, sondern in der dem Gleichberücksichtigungsgebot zu Grunde liegenden Interpretation von Unparteilichkeit als Differenzblindheit. Diese verlangt auf der Ebene der Rechtssetzung eine Distanzierung des Gesetzgebers von den höchstpersönlichen Anliegen seiner Bürgerinnen und Bürger. Nun geht jedoch die mit der Distanznahme verbundene Erweiterung des Blickwinkels zugleich auf Kosten der Erkennbarkeit von Details: Aus der universalistischen Ferne ist der Einzelne als Besonderer kaum mehr zu identifizieren. Alles, was nur ihn höchstpersönlich auszeichnet, ist mit jedem Abstraktionsschritt des ‹Fotografen› zunehmend unkenntlich geworden, bis er schließlich nur noch als einer von vielen annähernd Gleichen in den Blick gerät. Es ist diese Partikularität und Differenz zwischen den Individuen transzendierende Vorgehensweise des liberalen Gesetzgebers,14 gegen die die Minderheitsanwälte zwei, je unterschiedlich weit reichende Einwände vorbringen: Der eine stellt die Güte des konkreten Abstraktionsergebnisses, der andere die grundsätzliche Tauglichkeit des Abstraktionsverfahrens selbst in Frage. Dem ersten Einwand zufolge ist der unparteiliche Standpunkt, auf den sich die liberale Rechtskonzeption zurückzieht, keineswegs unparteilich, sondern propagiert eine ‹falsche Universalität›, die letztlich den Interessen der dominanten Gruppe innerhalb der Gesellschaft dient und berechtigte

14

as an embodiment of abstract humanity, representing those universal human qualities that unite all human beings. […] The true nature of political agents [is] their citizenship, equally shared by all.» (Tamir 1993, S. 141) Vgl. Young (1993).

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

151

Anliegen bestimmter Minderheiten systematisch ausblendet.15 Die liberale Rechtsauffassung orientiert sich dem Einwand zufolge am Prototyp des Staatsbürgers als eines atomistischen, ungebundenen Subjekts, dem vorrangig an individueller Autonomie, äußerer Sicherheit und dem Schutz seines Privateigentums liege. Dieser Prototyp sei jedoch keineswegs repräsentativ, sondern verkörpere die Bedürfnisse und die Lebenskonzeption einer ganz bestimmten Bevölkerungsgruppe. Nach Ansicht der Kritiker ist der so entworfene vermeintlich universalistische Standpunkt also nicht von allen gleichermaßen weit entfernt, sondern steht denjenigen Lebenskulturen innerhalb der Gesellschaft näher, die etwa Werte wie Individualismus, Autonomie und Eigentum hochhalten, während er die Interessen anderer Gruppen nicht erfassen kann. Um im Rahmen zunehmend kulturell heterogener Gesellschaften die Unparteilichkeit der rechtlichen Regeln zu gewährleisten, muss demzufolge die Positionierung, also die inhaltliche Ausrichtung des universalistischen Standpunkts neu überdacht werden. Der zweite Einwand ist demgegenüber radikaler, denn er stellt das Universalisierungsverfahren und die ihm zu Grunde liegende Vorstellung eines überparteilichen, unvoreingenommenen Standpunktes grundsätzlich in Frage.16 Dieser Auffassung zufolge ist der damit verbundene Abstraktionsprozess im Kontext einer Rechtstheorie, der es um den Schutz fundamentaler Interessen geht, unangemessen, ja nahezu paradox. Denn das, was im eigentlichen Sinne unter fundamentalen Interessen zu verstehen ist, nämlich diejenigen Anliegen, deren Erfüllung eine Voraussetzung für das Wohlergehen von Individuen darstellt, ist notwendigerweise an die spezifische Persönlichkeit konkreter Subjekte gebunden. Die Individuen haben fundamentale Interessen nicht als Träger allgemeiner Charakteristika, sondern als Inhaber einer partikularen Identität, die sich im Kontext bestimmter Gruppen ausbildet und sich an den Werten und Normen dieser Gruppen orientiert. Fundamentale Interessen sind demnach gar nicht im geforderten Sinne verallgemeinerbar, sondern an eben jene partikularen Kontexte gebunden, die im Rahmen des Universalisierungsverfahrens gerade ausgeblendet werden sollen. Das, was der liberale Gesetzgeber 15

16

«Liberal neutrality serves the majority culture.» (Margalit, Halbertal 1994, S. 510) «Eine allgemeine Perspektive, die alle Personen einnehmen können und von der aus alle Erfahrungen und Perspektiven verstanden und in Rechnung gestellt werden können, existiert nicht.» (Young 1993, S. 285)

152

Susanne Boshammer

vom universalistischen Standpunkt aus erblickt, ist also nicht das, wonach er Ausschau halten sollte: diejenigen Interessen, die das Wohlergehen der Individuen ausmachen und deren rechtlicher Schutz eine Bedingung für die friedliche Koexistenz der Bürgerinnen und Bürger und ihre Gleichberechtigung innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft ist. In plurikulturellen Gesellschaften erweist sich demnach die liberale Rechtsordnung in der Praxis als effektiv diskriminierend gegenüber den Angehörigen von Minderheitskulturen – die diesbezüglichen Beispiele sind eingangs erwähnt worden.

5. Sonderrechte für Minderheiten: ein Lösungsvorschlag Zur Lösung des praktischen Problems der strukturellen Benachteiligung von Minderheiten in plurikulturellen Gesellschaften wird die Einrichtung besonderer Minderheitenrechte vorgeschlagen. Der liberale Anspruch auf Gleichberechtigung aller Bürgerinnen und Bürger kann dieser Position zufolge angesichts von kultureller Differenz und sozialer Ungleichheit nur dadurch praktisch eingelöst werden, dass die Angehörigen ethnischer, kultureller, sprachlicher, religiöser etc. Minderheiten mit speziellen Rechten ausgestattet werden. Die liberale Maxime des «gleichen Rechts für alle» soll, mit anderen Worten, zum Zweck der Verwirklichung von Chancengleichheit neu überdacht und der Rechtekatalog um «besondere Rechte für manche» ergänzt werden. Dabei ist die Forderung nach Minderheitenrechten nicht nur durch die Beobachtung der strukturellen Benachteiligung von Minderheitsangehörigen motiviert, sondern auch durch die Erfahrung, dass der Fortbestand bestimmter Minderheitsgemeinschaften in liberalen plurikulturellen Gesellschaften Gefahren ausgesetzt ist, die mit den Mechanismen des Individualrechts, d. h. den Instrumenten eines Rechtssystems, das wesentlich um den Schutz der Ansprüche von Individuen besorgt ist, nicht wirksam genug gebannt werden können. Einige dieser Gruppen erweisen sich auf dem «cultural marketplace» der plurikulturellen Gesellschaften als nicht wettbewerbsfähig und ohne besonderen gruppenrechtlichen Schutz ist ihr Fortbestehen massiv gefährdet. Insofern die Existenz jener Gemeinschaften als Wert betrachtet wird, liefert diese Situation einen Grund für die Forderung nach besonderen Rechten zum Schutz jener Gruppen. Es ist also nicht nur die vergleichsweise nachteilige Lebenssituation von einzelnen Minderheitsangehörigen, sondern auch die bedrohte ‹kollektive Existenz› der

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

153

Gemeinschaften selbst, die den Ruf nach speziellen Minderheitenrechten provoziert.17 Dementsprechend umfasst die Forderung nach Gruppenrechten zu Gunsten von Minderheiten zwei grundsätzlich voneinander zu unterscheidende Modelle: In Form von gruppenspezifischen Sonderrechten sollen sie dem Ausgleich von Benachteiligungen und dem Schutz von Interessen dienen, die sich unmittelbar aus der Minderheitszugehörigkeit einer Person ergeben. Diese Sonderrechte werden Individuen zugesprochen und zwar aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheitsgruppe. Demgegenüber dienen Gruppenrechte als Kollektivrechte dem Schutz der ‹kollektiven Existenz› bestimmter Minderheitsgemeinschaften in liberalen Gesellschaften. Ihr Träger ist nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft als soziales Kollektiv. Kollektivrechte stellen im Gegensatz zu Sonderrechten also nicht ‹individuelle Rechte aufgrund von Gruppenzugehörigkeit›, sondern vielmehr ‹kollektive Rechte von Gruppen› dar. Versteht man Gruppenrechte als Kollektivrechte, bezeichnet der Gruppenterm im Begriff des Gruppenrechtes demnach den Träger des Rechtes, während er im Fall der Sonderrechte den Grund für die Gewährung des Rechtes indiziert. Dass sowohl individuelle Sonderrechte wie gruppenspezifische Kollektivrechte mit dem liberalen Rechtsverständnis nicht ohne weiteres zu vereinbaren sind, ist schnell ersichtlich. Die liberale Rechtsauffassung, die sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten in der westlichen Welt in gezielter Abgrenzung von jeder Form des Ständerechts und den damit verbundenen Ungerechtigkeiten nur langsam durchgesetzt hat, stützt sich auf drei moralische Grundpfeiler: Erstens die Überzeugung, dass im Zentrum moralischer Berücksichtigung das menschliche Individuum steht und dass demzufolge eine gerechte Rechtsordnung letztlich dem Wohlergehen der Individuen dienen muss, die von ihr umfasst sind (Individualismus); zweitens geht sie davon aus, dass diese Individuen in moralisch grundlegender Hinsicht gleich und daher formal gleich zu behandeln sind (Egalitarismus); und sie fordert darum drittens, dass das Recht keine willkürlichen Unterschiede zwischen ihnen machen darf, sondern die Interessen aller betroffenen Bürger aus einer unparteilichen, von individuellen Besonderheiten abstrahierenden Perspektive zu berücksichtigen und zu gewichten hat (Universalismus). Die genannten Minderheitenrechte stehen zu diesem Rechtsverständnis in offenem Widerspruch: Als Kollektivrechte 17

Vgl. McDonald (1991).

154

Susanne Boshammer

dienen sie nicht vorrangig der Berücksichtigung individueller Interessen, sondern dem Schutz von Kollektiven. Als Sonderrechte betonen sie nicht die formale Gleichheit aller, sondern die normative Bedeutung der Differenz. In beiden Versionen laufen sie auf rechtliche Ungleichbehandlungen (von Gruppen oder von Individuen) hinaus. Gruppenrechte sind also tendenziell anti-individualistisch und /oder anti-universalistisch und anti-egalitär. Wie sich nichtsdestotrotz im Rahmen einer liberalen Konzeption zu Gunsten der Einrichtung von Minderheitenrechten argumentieren lässt, soll abschließend am Beispiel der individuellen Sonderrechte qua Kulturzugehörigkeit angedeutet werden.

6. Das Recht auf Kulturzugehörigkeit Die liberale Rechtskonzeption geht davon aus, dass der Staat dazu verpflichtet ist, die fundamentalen Interessen seiner Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zu berücksichtigen und rechtlich zu schützen. Die Minderheitsangehörigen machen darauf aufmerksam, dass der Schutz der eigenen kulturellen Identität zu diesen fundamentalen Interessen zu zählen ist. Sie verstehen die Zugehörigkeit zu einer Kulturgemeinschaft als ein soziales Grundgut, da diese in grundlegender Weise das Selbstverständnis des Individuums beeinflusst und ausschlaggebend ist für seine je individuelle Konzeption des guten Lebens.18 Damit ist nicht gemeint, dass die Kulturzugehörigkeit das Selbstverständnis des einzelnen, seine Lebensweise und Weltanschauung determiniert. Wenn auf die identitätsstiftende und wertsetzende Bedeutung kultureller Zugehörigkeit verwiesen wird, ist damit keine Aussage über die Grenzen der Möglichkeit individueller Selbstbestimmung getroffen, sondern vielmehr eine Aussage über deren Voraussetzungen. Demnach entwickeln sich die Identität des Einzelnen als eines autonomen Subjektes und der Entwurf einer eigenen Vorstellung vom guten Leben nicht in Isolation von anderen, aber ebenso wenig durch die passive Anpassung an eine vorgegebene kulturelle Struktur und die unreflektierte Übernahme der Wertvorstellungen jener Gemeinschaften, in die jede und jeder Einzelne von uns unfreiwillig ‹hineingeboren› wird. Vielmehr konstituiert sich das Selbst- und Weltverständnis der Einzelnen erst durch die 18

Vgl. Sandel (1993).

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

155

mehr oder weniger aktive und bewusste Auseinandersetzung mit dieser Umgebung und ihren normativen Vorgaben, und diese Auseinandersetzung umfasst gleichermaßen Prozesse der Identifikation mit als auch der partiellen Emanzipation von der Gemeinschaft, in der das Individuum sich vorfindet. Eine totale Emanzipation von diesen Gemeinschaften ist jedoch nicht ohne ‹Selbstverlust› möglich, denn jene autonomen Entscheidungsund Selbstverwirklichungsprozesse des Individuums, deren geschützte Ungestörtheit zu den klassischen Anliegen liberaler Theorien gehört, setzen die Einbindung in eine kulturelle Struktur immer schon voraus. Es ist eben nicht so, dass das Individuum als autonomes, ungebundenes Subjekt in gleichsam cartesianischer Manier seine Bedürfnisse entdecken, seine persönliche Vorstellung vom guten Leben entwerfen, seine Ziele und Interessen entwickeln und so ausgerüstet in die Welt hinaustreten könnte, um sich denjenigen Gemeinschaften anzuschließen, deren Lebensweise seiner persönlichen Vorstellung maximal entgegenkommt. Die individuelle Konzeption des guten Lebens, deren ungehinderte Realisation das Wohlergehen von Individuen ausmacht, und der persönliche ‹Selbstentwurf›, dessen Anerkennung durch andere die Quelle der Selbstachtung ist, sind nicht das Ergebnis eines Monologes, den das Individuum angesichts der Welt quasi mit sich selber führt. Sie haben vielmehr dialogischen Charakter und sind auf die Auseinandersetzung mit einer Umgebung angewiesen, die eine bestimmte Lebens-, Sprach- und Denkkultur verkörpert. Es sind nicht zuletzt die kulturellen Narrationskontexte, in die der Einzelne ‹von Anfang an› eingebettet ist, welche die verschiedenen Lebensweisen und Handlungsoptionen in substantieller Weise sinnvoll oder sinnlos, erstrebenswert oder abschreckend erscheinen lassen. Das Wohlergehen des Individuums beruht also (auch) auf der Befriedigung von Interessen an Gütern, deren Wert kulturell vermittelt ist, und seine Selbstachtung schöpft sich wesentlich aus der Anerkennung derer, denen es sich zugehörig fühlt und mit denen es grundlegende Werte teilt. Die Zugehörigkeit zu einer Kulturgemeinschaft – sei diese nun liberal orientiert, religiös verwurzelt oder ethnisch verbunden – ist insofern eine unverzichtbare Voraussetzung individueller Interessenbildung und liegt damit selbst im fundamentalen Interesse von Individuen. In Verbindung miteinander begründen die beiden genannten Prämissen – erstens die These, dass der Rechtstaat die fundamentalen Interessen seiner Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zu schützen hat, sowie zweitens die Annahme, dass die Zugehörigkeit zur Kulturgemeinschaft im fundamentalen Interesse der Individuen liegt – die Behauptung, dass der Staat

156

Susanne Boshammer

verpflichtet ist, die Kulturzugehörigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger rechtlich zu schützen. Die Logik der Begründung dieses Rechtes macht dabei zugleich deutlich, dass es sich um ein Recht auf den Schutz der jeweils eigenen Kulturzugehörigkeit der Individuen handeln muss. Es genügt nicht, wenn der Staat den sukzessive erodierten Boden, in dem die Angehörigen der Minderheitsgemeinschaft einst kulturell wurzelten, durch einen anderen, etwa den der Mehrheitskultur ersetzt. Das fundamentale Interesse der Individuen richtet sich nicht auf irgendeine Form der kulturellen Einbindung, sondern auf die Möglichkeit der Bewahrung der eigenen Identität. Diese aber ist an die eigene Herkunftsgemeinschaft, die eigenen kulturellen Traditionen geknüpft. Das Recht auf Kulturzugehörigkeit stellt sicher, dass es der freien Entscheidung des Einzelnen überlassen bleibt, ob und inwieweit er sich von dieser Identität distanziert. Die Rechtsstaat- und die Grundgut-These führen in Verbindung miteinander also zu der Schlussfolgerung, dass die Individuen das gleiche Recht auf den Schutz ihrer jeweiligen Kulturzugehörigkeit haben. Nun dreht sich jedoch die Debatte um die Rechte von kulturellen Minderheiten nicht um die Frage, ob die Kulturzugehörigkeit einen Grund für Rechte darstellt, sondern um die Frage, ob die Zugehörigkeit zu einer Minderheitskultur einen Grund für rechtliche Differenzierungen, d. h. für ‹besondere Rechte› darstellt, und diesbezüglich scheint die Gewährung eines allgemeinen Rechts auf Schutz der Kulturzugehörigkeit nicht ausreichend zu sein. Erst wenn die Betonung der Schutzwürdigkeit kultureller Identitäten um die Behauptung der besonderen Schutzbedürftigkeit der Angehörigen kultureller Minderheiten und um den Nachweis kulturspezifischer Interessen ergänzt wird, erscheint die Gewährung besonderer Rechte vor dem Hintergrund des Gleichheitsideals und des aus ihm abgeleiteten Gleichberücksichtigungsgebots zulässig. Die Argumentation verläuft dann folgendermaßen: Alle Individuen haben das gleiche Recht auf den Schutz ihrer Kulturzugehörigkeit. Der Schutz der Kulturzugehörigkeit erfolgt sinnvollerweise durch den Schutz der kulturspezifischen Interessen. Weil und insofern die Angehörigen einer bestimmten Kulturgemeinschaft eine Minderheit darstellen und sich in der Minderheit befinden, haben sie eine mindere Möglichkeit, ihre kulturspezifischen Interessen im Rahmen einer plurikulturellen demokratischen Gesellschaft geltend zu machen. Um die dem Gleichheitsideal zufolge geforderte Gleichberücksichtigung der fundamentalen Interessen aller sicherzustellen, ist daher die Einrichtung von Min-

Rechtliche Gleichheit und kulturelle Differenz

157

derheitenrechten, die dem Schutz der spezifischen Interessen kultureller Minderheiten dienen, erforderlich. Nimmt man diese Argumentationsweise beim Wort, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Einrichtung von Minderheitenrechten keine Lösung des Minderheitenproblems, sondern lediglich eine Bekämpfung seiner Symptome darstellt. Das Differenz-Argument geht vom Minderheitenstatus aus, statt ihn zu problematisieren. Dass dies eine Stärke des Arguments und nicht notwendigerweise eine Schwäche bedeutet, wird jedoch ersichtlich, wenn man sich konkrete Anwendungskontexte dieser Argumentationsweise vor Augen führt, etwa die Forderung nach politischen Minderheitenquoten, die auf diese Weise gestützt wird. Denn auch bei der Forderung, die öffentlichen Entscheidungsgremien mit einem entsprechenden Anteil an Minderheitsangehörigen zu besetzen, handelt es sich um eine Forderung nach Minderheitenrechten. Und derartige Maßnahmen dienen letztlich dem Zweck, die problematischen Aspekte der Existenz von kulturellen Minderheiten in plurikulturellen Gesellschaft – nämlich die Tatsache ihrer geringen Einflussmöglichkeit auf die Gestaltung der für alle gleichermaßen verbindlichen Regelwerke – einer Lösung zuzuführen. An der Tatsache selbst, dass es in modernen Gesellschaften im Zuge der Globalisierung kulturelle Minderheiten (im numerischen Sinne des Wortes) und sowohl unter ihnen als auch zwischen ihnen und der Mehrheit Interessendifferenzen gibt, wird sich jedoch nichts ändern. Es ist nicht nur darum dringend geboten, sie auch bei der Gestaltung der öffentlichen Regelwerke zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen.

Literatur Boshammer, S.: Gruppen, Recht, Gerechtigkeit. Die moralische Begründung der Rechte von Minderheiten, Berlin, New York 2003. –– Von gleichen Rechten in ungleicher Lage, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11 (2003a), S. 1347-1351. Hobbes, Th.: Leviathan, Stuttgart 1970 (1651). Huster, S.: Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes, Berlin 1993. –– Die ethische Neutralität des Staates. Eine liberale Interpretation der Verfassung, Tübingen 2002. Kant, I.: Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, in: Werkausgabe, hg. von W. Weischedel, Bd. XI, Frankfurt a. M. 1991 (1786).

158

Susanne Boshammer

Kymlicka, W.: Liberalism, Community, and Culture, Oxford 1991. Locke, J.: Zwei Abhandlungen über die Regierung, Frankfurt a. M. 1998 (1690). MacDonald, M.: Should Communities Have Rights? Reflections on Liberal Individualism, in: Canadian Journal of Law and Jurisprudence 4/2 (1991), S. 217-237. MacIntyre, A.: How Moral Agents Became Ghosts, in: Synthese 53 (1981), S. 295-312. Margalit, A., Halbertal, M.: Liberalism and the Right to Culture, in: Social Research 60 (1994), S. 491-510. ––, Raz, J.: National Self-Determination, in: W. Kymlicka (ed.): The Rights of Minority Cultures, Oxford 1995, S. 79-92. Markefka, M.: Vorurteile – Minderheiten – Diskriminierung. Ein Beitrag zum Verständnis sozialer Gegensätze, Neuwied, Berlin 1995. Montesquieu, Ch. de: Vom Geist der Gesetze 1, Tübingen 1992 (1748). Rousseau, J.-J.: Diskurs über die Ungleichheit, Paderborn 1990 (1782). Sandel, M.: Die verfahrensrechtliche Republik und das ungebundene Selbst, in: A. Honneth (Hg.): Kommunitarismus, Frankfurt a. M., New York 1993, S. 157-180. Tamir, Y.: Liberal Nationalism, Princeton 1993. Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft: die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte, in: Nachlass Max Weber, hg. von W. Nippel Tübingen 2004. Young, I. M.: Das politische Gemeinwesen und die Gruppendifferenz, in: H. Nagl-Docekal, H. Pauer-Studer (Hg.): Jenseits der Geschlechtermoral, Frankfurt a. M. 1993.

Studia philosophica 64/2005

GEORG KOHLER

Hobbes und das 21. Jahrhundert Zum Problem des Politischen Realismus At the beginning of the 21st century stand the dates 9th November 1989 and 11 th September 2001. The one date marks the commencement of the second European revolution, which puts the free market economy, demilitarisation, and pluralist democracy in the place of the arms race and Soviet state socialism. The other date reminds us of the vulnerability of technologically advanced civilisations of wealth and the gap between the so-called ‹West› and the affliction, feelings of hate and the possibilities to use violence of those parts of the world with which, since the end of the cold war, the processes of modernity have definitely caught up. The one date can be read as a ‹historic sign› in the sense of the Kantian hope of legal progress and peaceful-federal world citizenship; the other as crass denial of such ideas. Those, like the American Robert Kagan, who are critical of Kant and who argue against the prohibition of war as reflected in international law and in the European refusal to conduct ‹world order wars›, like to refer to Hobbes’s ‹state of nature›. Closer inspection however quickly revelas that the alternative ‹Hobbes vs. Kant› is misguided in several ways and that political realism and Kantian ‹Weltinnenpolitik› do not constitute contradictory opposites. This is, the lesson of the example case of Iraq.

1. Kant und Kagan Am Problem des Politischen Realismus ist festzumachen, was seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts den so genannten «Westen» spaltet, nämlich die Beschäftigung mit den Fragen, wann, wie und warum man (militärische) Macht zum Zweck einer Politik der Ordnung und der Zivilisierung der Welt einsetzen soll.1 Während die Konzeption der amerikanischen 1

«Zivilisierung» ist gewiss ein gefährlicher Ausdruck. Er weckt nur allzu leicht kolonialistische Assoziationen. Dennoch möchte ich auf seinen Gebrauch nicht verzichten; schließlich lassen sich auch Begriffe wie «Zivilgesellschaft» und die Idee des status civiles, des bürgerschaftlichen Rechtszustandes, mit ihm verbinden. An diesen politikphilosophischen Gedanken der Unterscheidung

160

Georg Kohler

Regierung – in der am 17. September 2002 formulierten «National Security Strategy» 2 – von der Fähigkeit und Souveränität zur Entscheidung für den präventiven Einsatz von Kriegsmitteln bei der Durchsetzung weltordnungsdienlicher Ziele (Nonproliferation von Massenvernichtungsmitteln, Beseitigung aggressiver Regimes, Demokratisierung bzw. Nation Building-Maßnahmen im Fall destabilisierter Gesellschaften) ausgeht, orientieren sich die meisten kontinentaleuropäischen Staaten an einem Gedanken, der der kantischen Idee für eine «Geschichte in weltbürgerlicher Absicht» recht nahe kommt. Sie setzen in ihrer Weltordnungsvorstellung auf die befriedenden Erfahrungen durchlittener Kriege, auf die Unumgänglichkeit supranationaler Regelungen, dabei auch auf das völkerrechtliche Verbot unilateraler, aus welchen Motiven auch immer erfolgender Kriegshandlungen, sowie auf die Langfristwirkung dessen, was bei Kant «Handelsgeist» heißt; Elemente also, auf die schon der kantische Realismus der Friedensschrift von 1795 vertraut: Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt […] So sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern, und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittelungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im beständigen Bündnisse ständen.3

Am Thema, wie mit der im außerordentlich konfliktgeladenen Gebiet des Nahen Ostens gelegenen Diktatur Saddam Husseins zu verfahren sei, entwickelte sich ein Jahr nach dem Anschlag auf die New Yorker WTCZwillingstürme und ein Jahr vor dem zweiten Irakkrieg die Auseinandersetzung zwischen europäischem Supranationalismus und amerikanischem Bellizismus in sehr grundsätzlicher Diskussion. Besonders scharf brachte der Publizist und Strategieexperte Robert Kagan den Gegensatz auf den Punkt: Wir sollten uns nicht länger vormachen, dass Amerikaner und Europäer die gleiche Weltsicht haben. Ja, nicht einmal, dass sie in derselben Welt leben. In der überaus bedeutsamen Frage der Macht – ihres Nutzens und ihres morali-

2 3

zwischen dem so genannten «Naturzustand» des bellum omnium und dem aus besten Gründen anzustrebenden status civiles soll meine Verwendung des Zivilisierungsbegriffs erinnern. Vgl. www.whitehouse.gov/nsc/nss.html. I. Kant, Akademie-Ausgabe, Bd. VIII, S. 368.

Hobbes und das 21. Jahrhundert

161

schen Wertes – gehen die amerikanischen und die europäischen Ansichten weit auseinander. Europa hat sich von der Macht losgesagt. Es bewegt sich auf eine Welt zu, die fest in Gesetze und Regeln, in transnationale Vereinbarungen und Kooperationen eingebunden ist. Man betritt ein posthistorisches Paradies der Gewaltfreiheit und des relativen Wohlstandes, in dem sich Immanuel Kants Ideal vom Ewigen Frieden verwirklicht. Dagegen bleiben die Vereinigten Staaten in die Geschichte verstrickt; ihre Praxis der Machtausübung schließt den Einsatz von Stärke und militärischer Gewalt ein. Denn sie sehen die Welt ähnlich wie schon der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert: als ein anarchisches Gebilde, in dem wirkliche Sicherheit ebenso wie die Verteidigung und Durchsetzung der liberalen Ordnung nicht ohne die Anwendung von Zwangsmitteln zu haben sind.4

Kagan argumentiert mit Gegenüberstellungen und Parallelisierungen. In Kontraposition stehen bei ihm Europa gegen die USA, Kant gegen Hobbes und das pazifizierende Recht der internationalen Gemeinschaft gegen das bellizistische Beharren darauf, dass «Gesetze ohne das Schwert» und (Rechts-)Entscheidungen ohne unmittelbar sanktionsfähige Macht nichts wert sind. Darum erscheint Europa in Kagans Optik gleichermaßen als rechtsmoralisch übereifrig, als weltpolitisch steril und als militärstrategisch naiv, d. h. als ebenso kantianisch wie universalistisch und idealistisch-illusionär orientiert. Demgegenüber zeigen sich die Vereinigten Staaten als hobbistische, realpolitische und – dies vor allem – als machtbewusste Akteure; und zwar eben darum, weil allein sie faktischrüstungstechnisch wie gesinnungsmäßig stark genug sind für eine (Macht-) Politik, die diesen Namen verdient. Ist man nur mit einem Messer bewaffnet und begegnet zum Beispiel einem Bären, liegt es nahe, sich mit dieser Bedrohung zu arrangieren. Es ist dann riskanter, den Bären zu töten, als ihm auszuweichen, und zu hoffen, dass er nicht angreifen wird. Jemand mit einem Gewehr schätzt den Fall ganz anders ein: Warum riskieren, vom Bären zerrissen zu werden, wenn man es nicht nötig hat? Die Amerikaner können es sich dementsprechend gut vorstellen, erfolgreich in den Irak einzumarschieren und Saddam zu stürzen. Dass die Europäer eine solche Aussicht dagegen unfassbar und erschreckend finden, kann nicht überraschen.5

4

5

R. Kagan, «Mission Friede. Die Europäer sind schwach – deshalb können sie Amerika’s Macht nicht begreifen», in: Die Zeit, Nr. 29, 11. Juli 2002, S. 9. Die in diesem Zeitungsessay formulierten Thesen sind breiter ausgeführt in: R. Kagan, Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung, Berlin 2003. Ebd.

162

Georg Kohler

Soweit so simpel. Doch stimmen die Analysen? Richtig ist ohne Zweifel, dass die USA und Europa in machtpolitisch-militärstrategischer Hinsicht weit voneinander entfernt sind. Und zwar sowohl in Bezug auf die Größe der je verfügbaren Mittel wie in Bezug auf die Doktrin ihres möglichen Einsatzes. Falsch ist freilich die von Kagan implizit vertretene These, der «kontinentaleuropäische» Kant gehe von fundamental anderen Prämissen über die Natur des Menschen aus, als es der «angelsächsische» Hobbes tue, und falsch ist die von Kagan aufgestellte Behauptung, die europäische Machtskepsis verdanke sich lediglich und in erster Linie der Abwesenheit von militärisch-waffentechnischer Potenz. Blickt man nämlich etwas weniger voreingenommen, als dies Kagan tut, auf die Verhältnisse, wie sie für entscheidende Teile der gegenwärtigen Zivilisation typisch sind, dann sieht man sofort drei Dinge: erstens einen tatsächlich sehr stark vorhandenen Zug zu einer «kantischen» Welt, die sich in die «Regeln und Gesetze» einer «Weltverfassung» fügt, zweitens prinzipielle – und durchaus «hobbistische» – Ursachen für diese Tendenz und drittens, zwei Jahre nach dem Sturz Saddams, den Realismus jener politischen Theorien, die vom Einsatz bloß militärischer Mittel zu Gunsten einer demokratischen Weltordnung nie allzu viel erwartet haben. Das sind Argumente gegen Kagan und die von ihm vertretene Sicht der Lage. Aus ihnen ist aber umgekehrt auch nicht jener gefährlich bequeme Quietismus abzuleiten, der etwa in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts die europäische Staatengemeinschaft daran hinderte, rechtzeitig den Zerfall ziviler Strukturen im damaligen Jugoslawien zu stoppen. Darum ist auch im 21. Jahrhundert das, was «Politischer Realismus» heißen darf, nicht unabhängig von der hobbistisch-rauhen Einsicht zu definieren, die Kagan nicht vergessen will (und die auch Kant nie verdrängte): dass die Macht des Rechts ohne das Recht der Macht nicht auskommt. Das Problem ‹Irak› könnte so zum Beispielfall werden, von dem ‹die Europäer› nicht weniger als ‹die Amerikaner› zu lernen haben. Im Folgenden will ich den drei erwähnten Hinsichten nachgehen; in 2. dem Thema «Weltverfassung» und der Erklärung ihrer Aktualität, in 3. den möglichen Lehren aus dem Exempel des Irak.

Hobbes und das 21. Jahrhundert

163

2. Die Faktizität der Normen 2.1. Normen als Fakten Normen sind dann Fakten, wenn sie im herrschenden, motivational wirksamen (Lebenswelt-)Bewusstsein verankerte und darum auch in ausdrückliche Rechtssetzungen (nationalstaatlicher, international-privatrechtlicher und völkerrechtlicher Natur) regulierungswirksam eingegangene Prinzipien sind. Das ist heute offensichtlich auch auf dem Niveau der so genannten «Weltgesellschaft» der Fall: Die seit 1948 geltende UNO-Charta notifiziert die elementaren Menschenrechte als primäre Basis aller Rechtsbeziehungen. Auf dieser Basis hat sich der völkerrechtlich und internationalpolitisch stark eingewurzelte Gedanke entwickelt, dass tatsächlich so etwas wie eine zu respektierende «Weltverfassung» existiert: ein Insgesamt von grundlegenden Rechtsprinzipien, nach deren Kriterien der Umgang der Völker miteinander und die Regierungen im Umgang mit ihren Bürgern und Bürgerinnen sich zu richten haben. Gewiss ist die genaue Formulierung dieser Prinzipien in vielfacher Hinsicht umstritten; ohne Zweifel werden sie immer wieder missachtet; offensichtlich kollidieren die Machtinteressen der durchsetzungsfähigen weltpolitischen Akteure oft ganz direkt mit den Ideen einer Weltverfassung, und es ist klar, dass die UNO zu schwach ist, um diese durchsetzen zu können. Doch ihre faktische Geltung als einer normativen Vorstellung drückt sich eben dadurch aus, dass um sie und mit ihr gekämpft wird. Sie schlicht – mit Hinweis auf die eigene Handlungskapazität – zu ignorieren, ist niemandem mehr möglich. Das Zentrum all dieser faktisch vorhandenen Einstellungen, institutionell effektiven Annahmen und weltöffentlich mobilisierbaren Überzeugungen bildet die Auffassung, dass menschliche Individuen sowohl über positive wie über negative Autonomie verfügen können sollen. Menschen sollten in der Lage sein, so zu leben, wie sie es für gut und richtig halten, und sie sollten deshalb auch nicht gezwungen werden, Dinge zu tun, die den tiefsten eigenen Ansichten widersprechen. Zur genannten Faktizität einer normativen Weltverfassung kommt ein zweites Moment hinzu, dessen Impuls freilich aus derselben Quelle stammt und in die gleiche Richtung weist. Da nämlich die (positive und negative) Autonomie der Einzelnen die Basis des zuerst in der Legitimation nationalstaatlich verfasster politischer Einheiten verbindlich gewordenen Kontraktualismus bildet, sind schon die etablierten einzelstaatlichen Demokratien ‹von innen her-

164

Georg Kohler

aus›, aufgrund ihrer eigenen normativen Konzeption, auf eine kosmopolitische, kontraktualistische Weltordnungsverfassung hin ausgerichtet. Wo immer die Kernprinzipien der Menschengleichheit und individuellen Autonomie faktisch geworden sind, ist ein Horizont eröffnet, der nicht nur die wirklichkeitsordnenden Rechtssetzungen beeinflusst, sondern ebenfalls die sonstige reale Praxis öffentlichen und privaten Verhaltens nachhaltig prägt. Es gibt also in der Tat so etwas wie ein, unter verschiedenen Gesichtspunkten einigermaßen genau feststellbares, normatives Bewusstsein der weltzivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit, und seine Existenz ist alles andere als ein Zufall. Sie ist – im Gegenteil – ein wesentliches Element jenes planetarischen Zivilisationsvorganges, den man «Globalisierung» nennt. Die Bezeichnung «Globalisierung» bezieht sich ja nicht nur auf technische und politische oder ökonomische Strukturen und Prozesse, sondern ebenso auf die Implementierung kollektiv wirksamer Einstellungen und moralischer Dispositionen. Zum Vorgang der Globalisierung gehören auch die Tatsachen einer zunehmend als gemeinsam anerkannten «Wertewelt».6 Wenn ich vom weltweiten Faktisch-Werden der Normen des modernen Kontraktualismus ausgehe, dann verknüpfe ich das selbstverständlich nicht mit der Annahme, dass das notwendigerweise, sondern einzig mit der Behauptung, dass es aus guten Gründen (die niemals mit zwingenden Ursachen zu verwechseln sind) geschieht. Von diesen ‹guten Gründen› soll nun die Rede sein. Dabei will ich kurz wiederholen, was die berühmte These von Francis Fukuyama über «The End of History» interessant und diskussionswürdig macht. In erster Linie will ich mich aber mit der von Fukuyama weit gehend ausgesparten Dimension der Evolution der kriegerischen Gewalt beschäftigen.

6

Auch der Begriff des «Wertes» ist belastet; gerade im Horizont der Reaktion auf Globalisierungsprozesse wird ja häufig auch von einem «Krieg der Werte» gesprochen. Aber dem unvoreingenommenen Blick auf die Lage begegnet bei aller Differenz in den Grundhaltung zu den Ansprüchen menschlicher Lebendigkeit doch immer auch eine erstaunliche Übereinstimmung – und zwar nicht erst seit der Ratifikation der UNO-Charta; vgl. dazu auch: E. Holenstein, «Globale Verständigungsmöglichkeiten», in: ders., Kulturphilosophische Perspektiven, Frankfurt a. M. 1998, S. 257-371.

Hobbes und das 21. Jahrhundert

165

2.2. «The End of History» Fukuyama spricht in The End of History nicht vom Siegeszug des modernen Kontraktualismus, sondern von demjenigen der liberalen Demokratie, die auf den Ideen des Kontraktualismus beruht. Ihren empirischen Erfolg und ihre argumentative Überzeugungskraft führt er auf deren optimale Fähigkeit zurück, den zwei Primärfaktoren zu genügen, die nach ihm die soziale Evolution steuern.7 Nämlich einerseits die wissenschaftlichtechnische Rationalität und anderseits das genuin menschliche Bedürfnis nach Selbstachtung und danach, von den andern respektiert zu werden; also der prinzipielle Anspruch der Menschen auf die Gleichheit der Person und auf die Gerechtigkeit in ihrer Behandlung. Entscheidend für den beobachtbaren Erfolg der Demokratie sei ihre Möglichkeit, die beiden Faktoren zu integrieren. Das zeige sich vor allem unter dem Druck des beschleunigten sozialen Wandels, der mit der von Technik, Industrialisierung und Ökonomie geprägten Zivilisation der Moderne einsetze: Wenn der Lebensstandard steigt, wenn die Menschen weltoffener und gebildeter sind und in der Gesamtgesellschaft eine größere Gleichheit der Lebensverhältnisse entsteht, dann streben die Menschen nicht nur nach mehr Wohlstand, sondern sie wollen ihren Status anerkannt sehen. […] Darum for-

7

Analysiert man Fukuyamas Erwägung genauer, dann bemerkt man allerdings rasch, dass sie zwei verschiedene Gedanken vermischt, die mit Vorteil zu trennen sind. Zum einen die Überlegung, die erläutert, dass es gute Gründe gibt anzunehmen, dass sich mit dem Zivilisationsziel der wissenschaftlichtechnischen Epoche auch die normative Form der liberalen Demokratie verbreitet. Zum anderen suggeriert Fukuyama – und in diesem Punkt ist er allerdings zu kühn (um nicht zu sagen: im schlechten Sinn geschichtsmetaphysisch) –, dass die Realgeschichte genau diesen Verlauf der weltweiten Durchsetzung liberaldemokratischer Verfassungen nehmen muss und musste – und dass darüber hinaus gar nichts anderes und jedenfalls nichts Besseres passieren kann. Während die erste Überlegung eine evolutionstheoretische Beschreibung vorhandener Motivationszusammenhänge ist, versteigt sich die zweite Reflexion in eine unausweisbare geschichtslogische Spekulation. Doch deren Hegelomarxianismus braucht man ja nicht mitzuvollziehen, um eine plausibel begründbare Tendenz zur Ausbreitung eben jener normativen Vorstellungen wahrzunehmen, die die Menschen zu Anhängern der Institutionen und Praxiskriterien machen, die auf die Anerkennung global geltender Rechtsmaßstäbe drängen und die man im Begriff des «modernen Kontraktualismus» zusammenfasst.

166

Georg Kohler

dern sie demokratische Regierungen, die ihre Autonomie als freie Individuen respektieren und sie wie Erwachsene behandeln und nicht wie Kinder.8

Fukuyamas Basisthese besteht also in der Annahme eines universalen, in der menschlichen Natur verankerten Anerkennungswunsches, der gewissermaßen als soziale Urkonstante (wenngleich in historisch-kulturell sehr unterschiedlichen Milieus) dahin gehend am Werk ist, dass unter den Umständen der fortschreitenden Zivilisationsmoderne einzig die politische Form der liberalen, grundrechtlich gesicherten Demokratie realitätskonform und legitimationstheoretisch akzeptabel sein kann. In der anthropologischen Sicht Fukuyamas bleibt allerdings ein Einwand möglich, der die Aussicht auf eine demokratisch befriedete Welt prinzipiell verdunkelt: der Einwand, dass mit dem menschlichen Anerkennungswunsch stets auch ein Selbststeigerungs- und Dominationswunsch verknüpft ist – oder zumindestens sehr häufig verknüpft ist; ein Bestreben, das dort, wo es ihm offen steht, auch Gewalt und pure Überwältigungsstrategien einsetzt, um zu seinen Zielen zu gelangen. Der Wunsch nach Anerkennung durch seinesgleichen schließt nicht automatisch die Anerkennung der freien Gleichheit und gleichen Freiheit aller anderen mit ein. Im Gegenteil: Der Wunsch nach Macht und Übermacht vereinigt die Starken zum Zweck der Dominanz über die Schwachen. Die letzte und wichtigste Lehre aus der Geschichte scheint jedenfalls weniger in der Erkenntnis notwendiger Friedfertigkeit als vielmehr im stets wiederholten Versuch der Starken zu bestehen, die Vorteile ungleicher Machtverteilung zu nutzen. Wenn das aber zutrifft (und es besteht kein Anlass, daran lange zu zweifeln), dann benötigt man eine zweite, weniger ‹zivile› Begründung, um das Faktisch-Werden der Normen des modernen Kontraktualismus zu erklären; Normen, die ja a priori schon von einem allseitigen Gewaltverzicht und von der Idee wechselseitiger Anerkennung aller als Gleiche und Freie ausgehen.9 Mit andern Worten: Man benötigt vor allem andern den

8

9

F. Fukuyama, Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, aus dem Amerikanischen von H. Dierlamm, U. Dürr, K. Dürr, München 1992, S. 20f. Das Problem der normativen Rechtfertigung wie das Problem der tatsächlichen Geltung der Menschengleichheitsidee, kann auf diversen Wegen angegangen werden; auf keinem aber ist eine in normativer Perspektive rational zwingende Lösung zu finden. Weder die Kantische Ableitung der Gleichheit aus dem Vernunftwesen des Menschen noch Rousseaus umstandsloser Beginn der «freien Geburt» noch Lockes theologische Begründung der Menschengleich-

Hobbes und das 21. Jahrhundert

167

Aufweis jener ‹normativen Kraft› des Faktischen, die den Wunsch nach Dominanz und Überwältigung so zu bremsen vermag, dass Fukuyamas Annahmen überhaupt erst eine einigermaßen sichere Basis bekommen.

2.3. «9. November 1989» und «11. September 2001» Hobbes argumentiert in seiner Philosophie der gesellschaftsvertraglich begründeten staatlichen Macht nicht theologisch wie Locke oder vernunfttheoretisch wie später Kant, sondern mit der unausweichlichen Erfahrung faktischer Gleichheit, freilich ohne dabei dem naturalistischen Fehlschluss zu verfallen. Unter den Bedingungen der Gegenwart ist es aber gerade diese hobbistische Überlegung aus der notwendigen Erfahrung der universalen Schwäche und Verletzbarkeit aller, die aktuell ist. Denn sie antizipiert die beiden Tatsachen, die für die Typik der strategisch-politischen Potentiale seit der Mitte des 20. Jahrhunderts charakteristisch sind: das Unmöglich-Werden des Großen Krieges und den Formwandel der Gewalt. Davon geht Hobbes aus: Weil im bellum omnium contra omnes niemand für sich allein die Unverletzlichkeit seiner ursprünglich legitimen Rechte der Selbstbestimmung und -erhaltung zu sichern fähig ist, müssen rationalerweise ausnahmslos alle an einer gemeinsamen, die Selbstbestimmungsfreiheit der einzelnen einschränkenden, Gewalt interessiert sein. Gegen den heillosen Kampf aller um das eigene Recht führt nur ein umfassender Konsens aus der Unsicherheit heraus; ein Konsens, der in je individuelle Freiheitsverzichte zu Gunsten einer allgemein verbindlichen Instanz mündet. Die Macht des «Leviathan» entspringt daher nicht lediglich der vorhandenen Überlegenheit dessen, der die Rolle des Souveräns beansprucht, sondern sie wächst zuallererst aus dem rationalen Willen derjenigen, die sich selber und gegenseitig als sterblich, d. h. als aufeinander angewiesen erkannt und anerkannt haben. Die Sterblichkeit aller Sterblichen, sogar die des Stärksten, und die Gewissheit, dass der Stärkste selbst vor dem Schwächsten nie sicher sein kann, ist also das primäre Argument Hobbes’ für die Anerkennung der Gleichheit aller und damit für die Angewiesenheit eines jeden auf eine für alle, durch ihren gemeinsamen und vernünftig rekonstruierbaren Willen heit können demjenigen unbezweifelbar erscheinen, der nicht schon von Anfang an von ihrer Gültigkeit überzeugt ist.

168

Georg Kohler

geltende Rechtsmacht. Reflektiert man im Licht dieses Gedankens auf die Bedeutung der beiden Schlüsseldaten der letzten 15 Jahre, auf die Bedeutung des 9. November 1989, des Tages des Mauerfalls, und auf diejenige des 11. September 2001, des Twin Tower-Attentates, dann darf man in grober Vereinfachung konstatieren, dass beide Ereignisse dieselbe – hobbistische – Tatsache zum Ausdruck bringen: die Tatsache der universalen Verletzbarkeitssymmetrie.

2.4. Das Ende des «Großen Krieges» Der 9. November 1989 ist, pointiert formuliert, das Ende des dritten Weltkrieges, der stattfand in der irrational-rationalen Form eines mondialen Rüstungswettlaufes. Dieser Wettstreit zwischen dem «Westen» und dem Block der Sowjetunion war durchaus als Als-Ob-Krieg konzipiert und entsprechend wurde sein Ergebnis auch verstanden. Da der reale Krieg zwischen großen Machtrivalen im Zeitalter der thermonuklearen Waffensysteme unführbar geworden war, blieb nur noch das Kräftemessen auf dem Schauplatz der Kriegssimulationen und der nichtsimulierten Ausstattung mit Kriegsmitteln. Betrachtet man den Rüstungswettlauf und seine Effekte in dieser Weise, dann wird sofort klar, dass die Kriegssimulationen, die den Hegemoniekonflikt zwischen den beiden Supermächten von Anfang bis Schluss steuerten, ihr reales Korrelat eben nicht in direkten, sondern in indirekten Waffenwirkungen besaßen: in der Vernichtung von industriellen Ressourcen, öffentlichem Kapital und volkswirtschaftlicher Energie durch den permanenten Zwang zur Modernisierung des militärischen Apparates. Paul Kennedy beschrieb 1987 in seiner eindrucksvollen Studie über den Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärische Konflikte von 1500 bis 2000 die außerordentlichen Schwierigkeiten, in die die Sowjetwirtschaft und -politik in der Schlussphase des Kalten Krieges geraten war. Kennedy registrierte dies im Jahre 1987, also noch vor dem Ende der Sowjetunion, aber zu einem Zeitpunkt, da die allgemeine «Überdehnung» (Kennedys Schlüsselbegriff) der kommunistischen Supermacht offensichtlich geworden war. Kennedy bezieht sich dabei nicht allein auf die ökonomischen Probleme im engeren Sinn, sondern auch auf die politisch-psychologischen Grenzen des Sowjetsystems, auf die Moskaus Politik jedenfalls dann auflaufen musste, wenn es um die Einführung avancierter High Technology im Zusammenhang mit der

Hobbes und das 21. Jahrhundert

169

Modernisierung der Rüstungsarsenale ging. Ronald Reagans «Star Wars» war so gesehen der allerletzte und entscheidende Trumpf Amerikas, der die Sache schließlich zur Entscheidung brachte. Die USA haben den «Dritten Weltkrieg» gewonnen. Der Gegner bzw. seine Armee war zwar nicht entwaffnet, aber seine normativ-ideologische Identität wurde zerstört. So sehr, dass das staatliche Gefüge, das von dieser Ideologie ebenso gelebt hat, wie es deren Geltung sicherte, binnen weniger Jahre buchstäblich zerbarst. Selbstverständlich war auch viel Glück (nicht zuletzt verkörpert durch die Person Michael Gorbatschows) im Spiel, wenn aus dem ‹kalten› kein ‹heißer› Krieg geworden ist. Gleichwohl scheint es mir gut begründet zu sein, wenn aus diesem Nicht-Ereignis die Bestätigung für die Konsequenz gezogen wird, dass im Zeitalter der Gegenwartsmoderne der «Große Krieg» keine Handlungsoption der Politik mehr darstellt. Denn das ist die Folge jenes evolutionären Trends, der sich mit der Logik der atomaren Abschreckung unübersehbar gemacht hat. Doch der Trend ist mit dieser Logik nicht einfach identisch. Man braucht sich bloß einen konventionell, aber auf beiden Seiten mit modernsten Mitteln geführten Konflikt vorzustellen, um zu erkennen, dass der allgemeine Fortschritt der Kriegstechnik deren Einsatz immer stärker beschränkt bzw. verunmöglicht hat. Auch in einem konventionell geführten Krieg zwischen zwei modernen Mächten wäre die weit gehende Zerstörung jener zivilen Infrastrukturen unvermeidlich, die ein Land überhaupt erst auf heutigem Zivilisationsniveau existenzfähig machen.

2.5. «New Wars» oder die zwei Seiten der einen Medaille Das ist aber – und leider – nur die eine, die mehr oder weniger erfreuliche Seite der Medaille; die andere darf und kann (heute mehr denn je) nicht vergessen werden: Der Vorgang des «Unmöglich-Werdens des Großen Krieges», der im Zusammenbruch der Sowjetunion besiegelt wurde, war nämlich schon lange verbunden gewesen mit wesentlichen Metamorphosen des politischen Gebrauchs von Gewalt. Diese andere Form militärischer oder quasimilitärischer Kriegsführung kam freilich erst nach 1989 in ihrer außerordentlichen Wichtigkeit zu Bewusstsein. Mary Kaldor, die diesbezüglich die immer noch meistzitierten Analysen vorgelegt hat, fasst den Gestaltwandel des Krieges durch den Gegensatz von old und

170

Georg Kohler

new wars; die untenstehende Tabelle fasst die Unterschiede in prägnanter Weise zusammen.10 National or bloc wars

New wars

Actors

National armies Bloc alliances

Goals

National or bloc interest

Paramilitary groups Organized crime groups Mercenaries Parts of national armies Identity politics Ethnic exclusion Dispersed, fragmented Directed against civilians Use of atrocities: rape, famine, sieges Use of light weapons, communications, land mines Open, decentralized, low participation Humanitarian assistance plus underground economy High unemployment Low production Diaspora Transnational mafia Mercenaries Regional powers

Mode of warfare

Vertical, hierarchical command Importance of battle Extremist tendencies Advanced military technology War economy Centralizing, autarkic, totalizing Full employment High production

External support

Allies, imperialism Superpower patrons

Kaldors Darstellung der Metamorphosen organisierter Gewalt im Zeitalter nach «1989» ist 1998 erschienen, drei Jahre vor dem 11. September 2001. Ihre Analysen lesen sich freilich wie Beiträge zu einem Portrait zu Al Qaida (vgl. dazu die obige Tabelle): Al Qaidas Basen waren ein desintegriertes Afghanistan, aber auch die verstreuten Angehörigen islamistisch-fundamentalistischer Zentren in den Städten der reichen Nordwelt; 10

M. Kaldor, «Reconceptualizing organized violence», in: D. Archibugi, D. Held, M. Köhler (ed.), Re-imagining Political Community and studies in Cosmopolitical Democracy, Cambridge 1998, S. 97f.

Hobbes und das 21. Jahrhundert

171

Al Qaidas logistischer Grundstoff, das Geld, sammelte sich und wurde verteilt in internationalen, legalen und illegalen privatwirtschaftlichen Netzwerken; Al Qaidas Kriegsführung ist – als terrestrisches Überfallszenario – angelegt auf disperse, fragmentiert-unvorhersehbare Attacken, die auf öffentliche Aufmerksamkeit durch die Tötung zufälliger, doch an symbolhaften Orten befindlicher Zivilisten zielen, usw. Was Kaldor abstrakt-allgemein als generelle Bedingungen des new war ausfindig gemacht hat, bestätigt sich also gerade im Fall jenes Ereignisses, das viele für einen eigentlichen Epochenbeginn halten. Doch inwiefern ist der 11. September 2001überhaupt als Epochenbeginn zu identifizieren? Mit Sicherheit nicht im Hinblick auf den Anfang des nachclausewitzschen Zeitalters der new wars. Der 11. September 2001 hat lediglich auf dramatische und brutale Weise unübersehbar gemacht, dass diese Epoche schon seit langem angebrochen war. Allerdings hat der Anschlag auf die WTC-Türme zum ersten Mal nachhaltig die Grenzen zwischen den zwei Welten durchbrochen, die zugleich die Räume von old und new war trennten, die Welt der Technik und Ökonomie hoch entwickelter Industriegesellschaften und die Welt der instabilen, von kulturellen und sozialen Spannungen zerrissenen Länder des Südens, insbesondere der muslimischen Staaten und Quasi-Staaten. Der 11. September 2001 demonstriert, dass das Bild eines von einem ‹Limes› beschützten ‹Reiches› oder ‹Imperiums› niemals stimmen kann. Die «posthistorisch-demokratische» und die «historisch-vordemokratische» Welt (um Fukuyamas entsprechende Prädikate zu bemühen) sind voneinander abhängig und, in mancherlei Hinsicht, einander ausgeliefert; was natürlich auch heißt, dass das Unglück, die Wut, die böse, aus wirklichen und eingebildeten Demütigungen entspringende Rachsucht ihre Opfer auch dort findet, wo sich die Menschen im Herzen des mächtigen ‹Reiches› wähnen. Will man den 11. September 2001 also zum Epochendatum machen, dann steht der Tag für das Ende der Illusionen, die mit der Ideologie des Bruches, der ‹Apartheid› von demokratisch-rüstungsstarker Marktwelt und chaotischer Restwelt verbunden waren. Doch mit dieser Aussage wird eben lediglich ratifiziert, was schon zum Datum von «1989» gehört: Die zwei Daten bezeichnen die beiden Seiten der einen Medaille. Und dass auch die Epoche vom 11. September 2001 unter dem gleichen Vorzeichen wie das Ende des Kalten Krieges steht – nämlich unter dem Vorzeichen der «Unführbarkeit der großen Schlacht» –, ergibt sich indirekt daraus, dass der 11. September 2001 exakt das an den Tag förderte und dem sich

172

Georg Kohler

verdankt, was diese so genannte «Unführbarkeit» im Rahmen umfassender «Clausewitzscher» Kriege bewirkt hat: die hohe Vulnerabilität der reichen Nordwestzivilisationen und ihrer komplexen Infrastrukturen.

3. Recht und Macht 3.1. Pax Americana versus Global Policing Im Hinblick auf die normative Kraft des Faktischen sind in 2. zwei für die Gegenwart grundlegende Befunde in Erinnerung gerufen worden, nämlich die anthropologisch erklärbare Attraktivität der marktwirtschaftlichen Demokratie und die Verwundbarkeit gerade der mächtigsten Industriestaaten bzw. -gesellschaften. Beide Befunde lassen sich als Garanten für die Begründung einer Politik der Fortsetzung des modernen Kontraktualismus auf Weltebene interpretieren; als Argumente für die praktisch wirksame Orientierung an jener umfassenden Rechts- und Verfassungsidee, deren teilweise Implementierung in der zeitgenössischen Weltgesellschaft ich oben notiert habe. Das Faktum, dass die Normen des modernen Kontraktualismus selber zum bestimmenden Faktor geworden sind, findet dadurch zwar vielleicht nicht seine vollständige Erklärung, aber praktischpragmatische Gründe für seine Bejahung aus dem Geist des Politischen Realismus im anderen Faktum, das für die bestehende Weltgesellschaft charakteristisch ist: in der Tatsache der Verletzbarkeit auch und gerade der Westzivilisationen und ihrer Infrastrukturen. Die Formen und Möglichkeiten des «Neuen Krieges» gleichen auf sehr elementarer Ebene die Machtvorteile der fortgeschrittensten und reichsten sozialen Einheiten bzw. Staaten aus. Daten wie der 11. September 2001 oder empirische Gegebenheiten wie die anhaltende Tendenz zur «Asymmetrisierung» des Krieges sprechen also nicht für die Verabschiedung der Ansprüche und Werte des modernen Kontraktualismus, sondern können im Gegenteil als Anstöße zur dichteren Verflechtung der Staaten und zur Stärkung des internationalen gemeinsamen Handelns zu Gunsten einer global verbindlichen Rechtswirklichkeit verstanden werden. Neben der, der Grundtendenz nach einenden, faktisch vorhandenen Kraft des Normativen der Völkergemeinschaft des 21. Jahrhunderts und neben der normativen Kraft des gemeinsamen Faktums der Verletzbarkeit aller, selbst der stärksten weltpolitischen Akteure, ist unsere Weltgesellschaft aber vor allem durch immense Ungleichheiten in der Verteilung individueller und kollektiver Lebens- und Autonomiechancen

Hobbes und das 21. Jahrhundert

173

gekennzeichnet. Und die Wahrnehmung dieser Chancenungleichheit wächst dort, wo man aus sehr diversen Gründen mit der wirtschaftlichen und kulturellen Übermacht des so genannten «Westens» konfrontiert ist, am stärksten; was natürlich die Ansprüche aus der normativen Infrastruktur des faktisch gewordenen modernen Kontraktualismus nicht kappt, sondern erst recht aufdringlich macht. Es braucht nicht lange ausgeführt zu werden, dass die Verarbeitung der offensichtlichen Diskrepanzen zwischen Norm und Realität nicht nur im Horizont der Einsichten der philosophischen praktischen Vernunft geschieht, d. h. im Versuch, faire auf verallgemeinerungsfähigen Interessen beruhende Lösungen zu finden. Als Reaktion auf die gegebene Lage sind ebenso Konzepte primär militärisch agierender Machtpolitik zu beobachten und komplementär dazu die Entstehung antimoderner Abgrenzungsideologien, die mit unversöhnlichen Feindbildern operieren und so alle Hemmungen abbauen, die der möglichen Nutzung der zivilisatorischen Verletzbarkeit des scheinbar übermächtigen Feindes entgegenstehen. So einleuchtend es für die einen sein mag, Schlüsse auf die Notwendigkeit einer kosmopolitischen Weltordnungstheorie aus der vorfindlichen Situation zu ziehen, so wenig evident erscheint das aber den anderen. Und genau das ist die Konstellation, die eine Formel wie Pax Americana versus Global Policing fixiert: einer ausgeprägt unilateralistischen, Weltordnungskriege vergleichsweise rasch und bereitwillig in Kauf nehmenden Supermachtstrategie steht eine kriegsaverse, auf ‹weltinnenpolitische›, konstutionalistische Maßnahmen und globale Institutionen setzende Konzeption völkergemeinschaftlicher Ordnungssicherung gegenüber. Es war dieser Gegensatz, der im Frühjahr 2003 hinter den unterschiedlichen Haltungen zum Sinn des Irakkrieges stand, und er stellt das Problem dar, das noch immer das Verhältnis zwischen den USA und (Alt-)Europa irritiert. Bald zwei Jahre nach dem Ende Saddams und aufgrund der Erfahrungen, die dessen Sturz zur Folge gehabt haben, ist es Zeit, diesbezüglich einige Feststellungen zu treffen. Sie lassen sich unter einer doppelten Perspektive bezeichnen, einerseits als die objektiv notwendigen Erfahrungen der amerikanischen («Kagan’schen») Seite, anderseits als die Bestätigung jener alten Wahrheiten, die die Europäer schon auf ihrem eigenen Kontinent, zehn Jahre früher, haben (oder hätten) finden können.

174

Georg Kohler

3.2. Exempel Irak «Die erste Feststellung lautet, dass die USA zwar mit Hilfe technologisch hoch überlegener Distanzwaffen einen andern Staat besiegen, ihn aber nicht dauerhaft besetzen oder regieren können.» 11 Daraus folgt zweierlei; nämlich, dass – jedenfalls unter den heutigen Bedingungen – kriegerische Übermacht keine politische Dominanz und Befriedungskraft garantiert und dass darum niemand, auch nicht der militärisch Stärkste, auf sich allein gestellt so etwas wie eine Weltordnung zu stiften vermag. Pax Americana im Sinn jener effektiv wirksamen, von einem Zentrum ausgehenden Herrschaftsform, wie sie das British Empire im 19. Jahrhundert verkörperte, ist eine Illusion. Daran knüpft sich die allgemeine Erkenntnis, die ebenso die kantische Friedensschrift und deren Realismus wie den grimmigen Realismus der hobbistischen Gesellschaftsvertragstheorie fundiert: Keiner ist überlegen genug, um souverän und allein für Recht, Demokratie und friedliche Kooperation zu sorgen. Bloße Machtpolitik ist zum Scheitern verurteilt, nur scheinen es ihre Protagonisten noch nicht wissen zu wollen. Die zweite Feststellung lautet, dass heute wie früher gilt, wovon alle drei – Kagan, Kant und Hobbes – ausdrücklich ausgehen: dass Recht, das seinem Begriff entspricht, Zwangsbefugnisse und Zwangsmittel einschließt. Das Recht der Völker braucht deshalb Instrumente wie die so genannte «humanitäre Intervention»,12 und es braucht ebenfalls und als letzte Möglichkeit – und das ist in den Diskussionen um den Irakkrieg und seine Folgen ein bisher viel zu wenig beachteter Punkt – auch präventive oder präemptive Handlungserlaubnisse: Hätte man auf dem Gebiet des damaligen Jugoslawien schon 1993 und nicht erst 6 Jahre später eingegriffen, wäre vermutlich die Errichtung der faktischen Protektorate in Makedonien und im Kosovo, wie sie die (europäische) Völkergemeinschaft schließlich vollziehen musste, nicht nötig geworden. Der Problemkatalog, der sich aus einer solchen Aussage ergibt, ist allerdings vielfältig.

11

12

H. Schmidt, «Eine Frage der Würde», in: Die Zeit, Nr. 8, 17. Februar 2005, S. 1. Vgl. dazu V. Zanetti, «Ist das Recht auf humanitäre Intervention ein individuelles Recht?», in: G. Kohler, U. Marti (Hg.), Konturen der Welt(un)ordnung, Berlin 2003, S. 253-265. Zum Problem der humanitären Intervention allgemein: Y. L. Holzgrefe, R. O. Keohane (ed.), Humanitarian Intervention. Ethical, Legal and Political Dilemmas, Cambridge 2003.

Hobbes und das 21. Jahrhundert

175

Zum einen stellt sich die Frage nach genügend trennscharfen Kriterien, wenn es darum geht zu sagen, ob, wann und wie kollektive Gewalt gegen einen Verächter der Menschenrechte und Gefährder globaler Zivilität präventiv eingesetzt werden darf oder soll; Kriterien, die Willkür von Notwendigkeit zu trennen vermögen. Zum andern setzt solche Handlungsfähigkeit immerhin informelle Regeln der Interaktion zwischen der tatsächlich aktionsbereiten amerikanischen Führungsmacht und den andern Akteuren, die über weltpolitisches Gewicht verfügen (EU-Staaten, China, etc.), voraus. Klar ist aber, dass die UNO und ihre Vollversammlung – in deren jetzigen und auch nicht in deren längerfristig erwartbaren Zustand – nicht die erforderlichen Hüter der Weltverfassung zu verkörpern im Stande sind. Es stimmt also, wenn gesagt wird, «ein Leichtes sei es, die UNOCharta zur Weltverfassung zu erklären, schwieriger aber [sei es], plausibel zu machen, dass die UNO deren wichtigstes Organ sei, und in [absehbarer] Zukunft wirklich und wahrhaftig das operative Zentrum der Verrechtlichung darstelle.»13 Leider trifft auch zu, wenn begründend hinzugefügt wird: Die Vereinten Nationen sind eine chronisch unterfinanzierte, mit geringen militärischen Mitteln ausgestattete Organisation, die derzeit von Korruptionsfällen und Skandalen heimgesucht wird. Ihre Vollversammlung wird vom sogenannten arabisch-islamisch-afrikanischen Block dominiert. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet die Dauerverurteilung Israels; in ihrer Menschenrechtskommission sitzt der Sudan.14

Die UNO liefert in der Tat kein tragfähiges Fundament für den weltweiten Schutz und die Beförderung von Rechtsgleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, und eben deswegen ist eine wenigstens informelle Einigung auf Regeln des Umgangs mit den gegebenen Weltordnungsrisiken nötig – eine Einigung, die ebenso sehr die wichtigsten staatlichen Akteure umfasst, wie sie die Einsichten der beiden Seiten von Hobbes’ Konstruktion der Ordnung einschließt: die erste Einsicht in die untilgbare Schwäche selbst des Stärksten und die zweite Einsicht, dass zum Gesetz des Rechts ‹das Schwert› gehört. Ist es aber realistisch, eine solche Einigung für denkbar und für faktisch möglich zu halten? Wenn «realistisch» auf dem Gebiet sozialer Prognosen bedeutet, dass eine Verhaltenserwartung mit nicht viel mehr 13

14

T. E. Schmidt, «Das Völkerrecht soll’s richten. Wie Jürgen Habermas den gespaltenen Westen therapiert», in: Merkur 1 (2005), S. 73. Ebd.

176

Georg Kohler

rechnen sollte als mit den Selbstinteressen der Beteiligten, ihrem Alltagsverstand und mit dem Einfluss der wichtigsten Faktoren des gesellschaftlichen Umfeldes, dann ist die Antwort «ja». Denn die Erwartung einer prinzipiell auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Kriegslimitierung setzenden Übereinstimmung der Handlungsmächtigen korrespondiert eben mit den Großtrends der gegenwartsmodernen Zivilisation. Diese sind es, die die fundamentalen Gemeinsamkeiten in Sachen Weltordnungspolitik verlangen, ziemlich exakt der Logik folgend, auf die sich Kant im anfangs zitierten Satz beruft: Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt […] So sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern, und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittelungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im beständigen Bündnisse ständen.

Was das über die Bereitschaft zu Peace-Making-Interventionen und den Verzicht auf rabiat einseitige (Militär-)Machtpolitik hinaus bedeutet, ist an den drei exemplarischen, den Beginn des 21. Jahrhunderts markierenden Weltordnungsfällen – Ex-Jugoslawien, Afghanistan und Irak – leicht zu erkennen: nämlich vor allem anderen zu verhindern, dass eigentliche Bürgerkriegsgesellschaften entstehen (failed states), die den Nährboden für die Bildung fanatischer Gewaltkollektive liefern und die, dank der Mittel der new wars, über ein gefährliches Ansteckungspotential verfügen. Die vielfältigen und komplizierten Aufgaben, die sich aus dieser Zielsetzung ergeben, nennt Mary Kaldor die «kosmopolitische Alternative»;15 und sie beschreibt diese als eine Politikperspektive, deren Postulate so einleuchtend wie anforderungsreich sind: The aim of peacekeeping in new wars, sometimes called ‹robust peacekeeping› or ‹second-generation peacekeeping› is to control violence and create the conditions for ‹normalization›. Ultimately, this means the enforcement or overseeing the enforcement of international law as opposed to monitoring an agreement between states. Precisely because these are wars directed against civilians, they do not have the same extremist logic and therefore it ought to be possible to devise strategies for the protection of civilians and the capture of war criminals. Safe havens, humanitarian corridors and no-fly zones are ex-

15

Vgl. dazu auch M. Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt a. M. 2000, S. 177ff.

Hobbes und das 21. Jahrhundert

177

amples of the kinds of strategies that would need to be developed. While it is impossible to implement such strategies effectively without engaging in violence, this does not imply full-scale war. Essentially, the new type of peacekeeping is policing but on a much larger scale. Unlike war-fighting, in which the aim is to maximize casualties on the other side and to minimize casualties on your own side, peacekeeping has to minimize casualties on all sides. This may mean risking the lives of peacekeepers in order to save the lifes of victims.16

Robust peacekeeping als Antwort auf die Asymmetrisierung des Krieges versucht zu verhindern, dass jene sozialen Strukturen vollständig vernichtet werden, die sich einerseits der Verwandlung der Gesellschaft in die einer verselbstständigten Kriegs- und Gewaltökonomie widersetzen,17 und die anderseits die Basis einigermaßen durchsetzungsfähiger und einigermaßen anständiger politischer Systeme bilden. Die für ein bestimmtes Territorium geltende, staatliche Ordnung (wie schwach und unter manchen Aspekten kritisierbar sie auch sein mag) ist die erste Bedingung für die Kultur der Zivilität, für verhaltensstabilisierendes Recht und für die allmähliche materielle Besserstellung der Menschen; für jene Faktoren also, die insgesamt nicht schon den «ewigen Frieden» sichern, aber (zum Beispiel) die Verwurzelungsmöglichkeiten für terroristische Netzwerke minimieren und auf diese Weise die Existenz und Operationsbedingungen für Terroristen beschränken.

3.3. Global Policing und der provisorische Rechtszustand Politischer Realismus baue auf die Selbstinteressen, den Durchschnittsverstand und auf jene objektiven Gründe und Verhaltensursachen, die aus gegebenen Machtlagen und Handlungsgrenzen erwachsen. Einigungen, Normen gemeinsamer Risikobewältigung, eine stärkere Rechtsförmigkeit und Rechtsbindung aller Akteure in den internationalen Beziehungen: Das alles ist dann, wenn die Dinge so liegen, wie ich sie beschrieben habe, das nicht unwahrscheinliche Resultat der erläuterten Zivilisationsverhältnisse. Dass aus dem «provisorischen» Rechtszustand der Weltordnung rasch ein dauerhaft «peremptorischer» status civilis (um an die berühmten Unter-

16 17

Vgl. M. Kaldor (1998), a. a. O. S. 106-107. Zu diesem Aspekt hervorragend als Zusammenfassung sehr vielfältiger Beobachtungen: H. Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg 2002, v. a. Kap. 4.

178

Georg Kohler

scheidungen der kantischen Rechts- und Staatsphilosophie zu erinnern) werde, ist freilich eine zu kühne Erwartung, auch wenn, ich wiederhole mich, die Daten von «1989» und «2001» durchaus in eine solche Richtung weisen; hin auf jenen «Völkerbund» (nicht Weltstaat!), den die Schrift Zum Ewigen Frieden als die vernünftige Utopie einer nur schwer und durch Schmerzen lernenden Menschheit vorzeichnet. Jedenfalls können sich einem einigermaßen vorurteilslosen Hinblick auf das Lernbeispiel Irak die Konturen einer Ordnungspolitik zeigen, die keinen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Hobbes’ Theorie des notwendigen Gesellschaftsvertrages und Kants pragmatischer Hoffnung auf zivilisatorische Entwicklung findet: Global Policing als ebenso kosmopolitische wie nüchtern-realistische Option also.

Studia philosophica 64/2005

FRANCIS CHENEVAL

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung This article proposes the political organisation of interstate integration – characterised by functional differentiation and unbundled multi-level territoriality – as a political ideal type. The theoretical foundations and empirical conditions of this new form of political organisation are explored focussing on basic security threats, such as nuclear armament, transnational terrorism, and organised crime. The empirical conditions of multilateral democratic integration are not essentially different from the conditions of democratic state-building and not limited to Europe. The political reality of multilateral integration is often misperceived in political theory. This is due, either to the uncritical presupposition of a traditional political ontology, defined by an essentialist understanding of the unitary state; or by an apolitical discourse on flows and scapes that loses sight of the specific features of political authority in the postnational realm.

1. Funktionale Differenzierung und territoriale Inkongruenz als Signaturen des Politischen Die von einer geeinten politischen Autorität gewährleistete Sicherheit gehörte bis zum Spätmittelalter nicht zu den zentralen Begründungselementen politischer Autorität. Zwangsgewalt galt als Makel weltlicher Herrschaft1 und das Politische wurde als heterarchische Organisation des gemeinsamen guten Lebens betrachtet.2 Dies änderte sich tendenziell bei Dante und Marsilius, die Gesetz und politische Ordnung wesentlich auf die Bedingung der zwanghaften Durchsetzung und Befriedung durch eine 1

2

Vgl. T. Struve, «Regnum und Sacerdotium», in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, hg. von I. Fetscher und H. Münkler, München 1993, Bd. II, S. 213-221; J. Miethke, «Der Weltanspruch des Papstes im späteren Mittelalter», in: ebd. S. 364-431. Thomas von Aquin, Über die Herrschaft des Fürsten, I 14, übers. von F. Schreyvogel, Stuttgart 1981, S. 53f.; vgl. A. Black, Political Thought in Europe 1250-1450, Cambridge 1992, S. 14-28.

180

Francis Cheneval

einheitliche staatliche Autorität gründeten. «Friede» wurde nun rein politisch verstanden, seine tatsächliche Verwirklichung in dieser Welt als unbedingtes Legitimitätskriterium des Politischen formuliert und einer einheitlichen politischen Autorität anheim gestellt.3 Radikaler begründete Thomas Hobbes den Staat aus dem Gedanken der Sicherheit durch eine nachhaltige Monopolisierung der Gewalt – wenn möglich durch Konsens, wenn nötig durch Zwang. Es ist, so das kontrafaktische Argument in groben Zügen, sogar für Egoisten rational, ein staatliches Gewaltmonopol zu akzeptieren, um dem zerstörerischen Prozess ihrer konkurrierenden Strebungen zu entgehen. Der dadurch entstehende «Naturzustand» zwischen den Staaten war akzeptabel, denn der internationale Krieg verwandelt die Furcht vor dem Nächsten im Bürgerkrieg in den Mut, gemeinsam den äußeren Feind zu bekämpfen. Sie fördert den inneren Zusammenhalt und den inneren Frieden.4 Hobbes ist der staatsphilosophische Hauptexponent einer Zeit in welcher «der Krieg den Staat und der Staat den Krieg machte».5 Andere politische Autoren der Moderne haben zwar zusätzliche und unterschiedliche Legitimationsbedingungen für den Staat formuliert. An der Bestimmung des Staates als eines Zwangsmonopols innerhalb eines Territoriums, durch das diesem relative kollektive Sicherheit und Frieden gebracht wird, haben die Wenigsten gerüttelt. Max Webers Definition des Staates ist das Sediment einer langen staatsphilosophischen Tradition, die am Anfang des 14. Jahrhunderts begann.6 Die Diskussionen über das seit den 1980er Jahren aktuelle Thema der Weltinnenpolitik oder der neuen Weltordnung haben zwar einige Bewegung in die Staatsphilosophie gebracht.7 In den meisten Ansätzen kommt

3

4 5

6

7

Vgl. Dante, Monarchia, hg. von R. Imbach, Ch. Flüeler, Stuttgart 1989, I X-XI, S. 85-88; Marsilius von Padua, Verteidiger des Friedens, übers. von W. Kunzmann, hg. von H. Rausch, Stuttgart 1971, I X 4, S. 42f.; I XIV 8, S. 68; I XVII 1, S. 78; II II 7, S. 110f.; II VIII 5-7, S. 116f. Th. Hobbes, Leviathan, ed. by M. Oakeshott, London 1962, c. 13, S. 101. Ch. Tilly (ed.), «Reflections on the History of European State-Making», in: The Formation of National States in Western Europe, Princeton 1975, S. 42. Der Staat ist «[…] ein anstaltsmäßiger Herrschaftsverband […] der innerhalb eines Gebietes die legitime physische Gewaltsamkeit als Mittel der Herrschaft zu monopolisieren mit Erfolg getrachtet hat und zu diesem Zweck die sachlichen Betriebsmittel in der Hand seiner Leiter vereinigt» (M. Weber, Politik als Beruf, Berlin 1977 [1919], S. 13). F. Cheneval, Philosophie in weltbürgerlicher Bedeutung, Basel 2002, S. 20-38.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

181

aber das moderne Staatsmodell noch vollumfänglich zur Anwendung, sei es auf der Stufe des National-, des Kontinental- oder des Weltstaates. Ergänzt wird es zuweilen durch den wieder zu Ehren gelangten Idealtypus des Imperiums.8 Von Hobbes’ Theorie ausgehend wäre das Imperium ein Staat, der mit Erfolg ein sehr großes Territorium während längerer Zeit beherrscht. Im Zuge der Staatslehre von Hobbes bis Weber ist das Imperium deshalb kein dem Staat entgegenstehender Idealtypus. Gemessen an dem von H. Münkler vorgetragenen Unterscheidungskriterium der Pluralität und Anerkennung9 wäre lediglich das Weltimperium kein Staat im neuzeitlichen Sinn. De facto und de jure standen Imperien jedoch immer in reziproken Annerkennungsbeziehungen zu anderen Imperien, die sie nicht beherrschen konnten. De facto halten auch Staaten die Anerkennung der souveränen Gleichheit selten ein und gebärden sich als kleinere oder größere Imperien, je nach Machtgefälle und Gelegenheit.10 Der eigentliche, idealtypische Unterschied besteht also nicht zwischen Imperium und Staat bzw. Staatengemeinschaft. Vielmehr gibt es das bereits erläuterte, unitarische Staatsmodell einerseits und andererseits das Modell des konsoziativen 11 oder polyzentrischen 12 Staates. Auf der Ebene der Staatenbeziehungen entspricht dieser idealtypischen Unterscheidung einerseits der klassische Internationalismus – sei er nun egalitär, hegemonial oder imperial geprägt – und andererseits die zwischenstaatliche Integration (z. B. der EU), die eine eigene Struktur bildet und sich weder auf einen föderalistischen Etatismus noch auf den Intergouvernementalismus reduzieren lässt. Das konsoziative Modell gründet nicht mehr auf dem Gedanken des unitarischen Gewaltmonopols sondern auf der Idee der Konkordanz und Kooperation verschiedener, funktional differenziert miteinander verbundener Hoheitsgebiete. Dieses Modell fand im Zuge der 8

9 10 11

12

Vgl. z. B. H. Münkler, «Staatengemeinschaft oder Imperium. Alternative Ordnungsmodelle bei der Gestaltung der Weltinnenpolitik», in: Merkur 658 (2004) S. 93-105; D. Lal, In Praise of Empires. Globalization and Order, London 2004. H. Münkler, a. a. O. S. 96. S. D. Krasner, Sovereignty: Organized Hypocrisy, Princeton 1999. Vgl. G. Lehmbruch, Proporzdemokratie. Politisches System und politische Kultur in der Schweiz und Österreich, Tübingen 1967; A. Lijphart, The Politics of Accomodation: Pluralism and Democracy in the Netherlands, Berkeley 1968. Vgl. Ph. C. Schmitter, «Imagining the Future of the Euro-Polity with the Help of New Concepts», in: G. Marks, F. W. Scharpf, Ph. C. Schmitter, W. Streeck (ed.), Governance in the European Union, London 1996, S. 121-150.

182

Francis Cheneval

politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit eigenwilligen politischen Gebilden wie der Schweiz und der Europäischen Union vermehrt Beachtung.13 Die EU enthält allerdings Elemente, die sie auch von der Schweiz als einem konsoziativen Staat unterscheiden, denn sie ist (1) durch eine innere variable Geometrie funktional und territorial differenziert und (2) durch verschiedene Abkommen der Mitgliedstaaten und der EU selbst in differenzierter Weise bilateral oder multilateral in ein weiteres Gefüge der zwischenstaatlichen Ordnung eingebettet. Die auf einem Territorium stattfindenden Transaktionen werden funktional entbündelt und stehen unter inkongruent sich überlappenden supranationalen, intergouvernementalen Hierarchien, bleiben aber unter Umständen auch in der alleinigen Kompetenz der nationalen Entscheidungsinstanzen. Dies führt zu territorialer Inkongruenz auf zwischenstaatlicher Ebene. Funktionale Differenzierung und territoriale Inkongruenz, die man auch als entbündelte Mehrebenen-Territorialität bezeichnen könnte, sind die neuen Signaturen des Politischen in der multilateralen demokratischen Integration und in der weiteren multilateralen Ordnung. Als Beispiel dieser variablen Geometrie und entbündelten Territorialität kann zunächst der aquis communitaire der EU angeführt werden. Davon unterscheidet sich z. B. das ‹Territorium› des SchengenerAbkommens. Nicht alle EU-Mitgliedstaaten gehören dazu, aber auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten können an dieses Abkommen andocken (Bilaterale II, Schweiz-EU). Auch die Währungsunion ist mit der EU deckungsgleich und ragt gleichzeitig leicht über sie hinaus. Die Außenund Sicherheitspolitik ist intergouvernemental und letztlich auch noch national geregelt. Gleichzeitig sind aber zahlreiche EU-Staaten NATO Mitglieder und über diese Organisation in funktional differenzierter Weise in eine Nicht-EU-Organisation eingebettet – dies wohlverstanden in dem aus der Sicht der modernen Staatsdefinition wesentlichen Bereich der Kriegsführung. Zum angesprochenen Konvergenzprozess in Europa, aber auch des Weiteren geopolitischen Raums gehören nebst der EU und NATO auch andere sie überlappende Organisationen wie die EMRK oder der Interna13

M. Schmidt, «Der konsoziative Staat. Hypothesen zur politischen Struktur und zum politischen Leistungsprofil der Europäischen Union», in: E. Grande, M. Jachtenfuchs (Hg.), Wie problemlösungsfähig ist die EU? Regieren im europäischen Mehrebenensystem, Baden-Baden 2000, S. 33-58.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

183

tionale Strafgerichtshof (ICC). Die Liste könnte fortgesetzt werden. Der Punkt ist: Wichtige Elemente moderner Staatlichkeit sind von den Staaten inkongruent ausgelagert und aneinander gekoppelt. Die neuartige Organisation der Staatenwelt in der EU und im weiteren euro-atlantischen System bietet das Bild einer entbündelten Territorialität nach Kriterien funktionaler Differenzierung.14 Der zwischenstaatliche Integrationsprozess führt also nicht zur Bildung von unitarischer Staatlichkeit auf höherer kontinentaler Ebene. Am Modell der principle-agent-theory kann rational nachvollzogen werden, warum Staaten bestimmte Aufgaben und Kompetenzen funktional differenziert an intergouvernementale und supranationale Organe abtreten.15 Obschon von neuen Formen der Kommunikation und Mobilität geprägt, kommt es im zwischenstaatlichen Integrationsprozess aber auch nicht zu einer Auflösung des Politischen in scapes und flows16 im Zeichen von Privatisierung und Globalisierung. Vielmehr handelt es sich um ein von demokratischen Nationalstaaten getragenes System funktional differenzierter politischer Autorität. Diese neuartige Organisation transformiert zwar den traditionellen Einheitsstaat, aber sie gibt in keiner Weise die traditionellen Staatsziele auf: schon gar nicht dasjenige der Sicherheit. Aber neuartige Herausforderungen und Formen der Bedrohung führen die Staaten dazu, auch das elementare Staatsziel der Sicherheit kooperativ, institutionell integriert und funktional differenziert zu verfolgen. Das Hobbes’sche Argument zu Gunsten eines staatlichen Gewaltmonopols wird dabei nicht völlig außer Kraft gesetzt. Ziel des Nationalstaates bleibt, Bürgerkrieg und Chaos zu verhindern und innere und äußere Sicherheit zu garantieren. Der Gedanke der Herstellung von Sicherheit durch Gewaltmonopol wird aber durch die Annahme einer wichtigen Prämisse transformiert: durch die Einsicht in die Tatsache, dass kein Staat isoliert und für sich allein die Sicherheits- und Ordnungsaufgaben erfüllen kann.

14

15

16

Vgl. dazu J. G. Ruggie, «Territoriality and Beyond: Problematizing Modernity in International Relations», in: International Organization 47/1 (1993), S. 139174; R. Cooper, The Breaking of Nations. Order and Chaos in the Twenty-first Century, New York 2003, S. 16-54. M. Pollack, The Engines of European Integration. Delegation, Agency, and Agenda Setting in the EU, Oxford 2003. Vgl. M. Castells, The Rise of the Network Society, Oxford 1996.

184

Francis Cheneval

2. Sicherheitsgründe zwischenstaatlicher Institutionenbildung Ich möchte nun anhand der Themen nukleare Bewaffnung (2.1.), transnationaler Terrorismus (2.2.) und transnational organisierte Kriminalität (2.3.) aufzeigen, dass die moderne Staatsphilosophie ihr Sicherheitsargument vom nationalen Territorialstaat auf integrierte zwischenstaatliche Sicherheitsnetzwerke ausweiten muss. Die Analyse soll zeigen, dass der Staat allein – Hobbes’ «sola civitas» – 17 Sicherheit und Gesetzeshoheit nicht garantieren kann, schon gar nicht aus der Perspektive eines individualistischen Sicherheitskalküls. Auch hier geht es nicht um eine Auflösung oder Diskreditierung des Nationalstaates, sondern um die Einsicht in die Rationalität von kooperativen und integrativen Strukturen aus der Sicht kollektiver und individueller Sicherheit. Zum Schluss des Abschnitts (2.4.) werde ich mit dem Internationalen Strafgerichtshof auf einen Pfeiler eines neuen Sicherheitssystems hinweisen, der zu den individualistischen Wurzeln der hobbesianischen Sicherheitslogik vorstößt.

2.1. Nukleare Bewaffnung Mit der nuklearen Bewaffnung von Staaten ist eine Situation entstanden, welche die realistische Position des Hobbesianismus nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Staaten anwendbar macht. Hobbes’ Sicherheitskalkül beruht auf der Voraussetzung der Gleichheit der Individuen, die darin besteht, dass jeder jeden töten kann.18 Deshalb haben alle rationalen Egoisten ein Interesse an der Bildung eines sie schützenden Gewaltmonopols. Unter Staaten galt diese Voraussetzung zu Hobbes’ Zeiten nicht. Schwache Staaten konnten starke nicht vernichten. Insbesondere Großbritannien war mehr durch Bürgerkrieg denn durch einen äußeren Feind bedroht. Deshalb sah Hobbes auch keine prinzipielle Schwierigkeit in der Tatsache, dass zwischen den Staaten so etwas wie ein Naturzustand ständiger Bedrohung fortbestehe. Diese Situation änderte sich grundsätzlich, als die Sowjetunion die Fähigkeit zum atomaren Gegenschlag entwickelte. Zwischen den beiden Atommächten, USA und Sowietunion, und mit der Zeit zwischen allen Atommächten mit atomwaffenfähigen Unterseeboten 17 18

Th. Hobbes, De cive, XIV, 5, ed. by H. Warrender, Oxford 1983, S. 171. Vgl. ebd. I, 3.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

185

galt künftig das Prinzip MAD (mutually assured destruction). Die USA und die Sowjetunion und alle Länder, die über Atomunterseebote verfügen, sind sich seither gleich wie die Individuen bei Hobbes: Sie können einander vernichten. Jeder atomare Erstschlag kann zum Gegenschlag und zur eigenen Vernichtung führen. Nach hobbesianischer Logik wäre es rational, dass die Atommächte sich freiwillig einem supranationalen Regime unterwerfen und dieses auf alle anderen Staaten ausdehnen. Es ist (noch) nicht dazu gekommen. Allerdings lässt sich feststellen, dass Atommächte gegeneinander keinen Krieg führen, sondern auf Stellvertreterkriege oder covert action ausweichen. Die USA kündigten am 14. Dezember 2001 den ABM-Vertrag und intensivierten die Entwicklung eines Raketenabwehrsystems. Dies würde, wenn es denn einmal funktioniert, den USA (und ihren Verbündeten) Schutz gegen einen atomaren Erstschlag und die Möglichkeit zum Erst- oder Gegenschlag bieten. Damit wäre auch die zweckrationale Notwendigkeit, sich wegen der MAD einem supranationalen Regime zu unterwerfen, aufgehoben. Vielmehr eröffnete sich die Möglichkeit eines nuklearen Imperialismus. Die neue Sicherheitsdoktrin der USA nach der Kündigung des ABMVertrags und die ungebremste Entwicklung von neuen Atomwaffen begünstigen aber einen neuen nuklearen Wettlauf mit unabsehbaren Folgen für alle.19 Verschiedene Staaten (Nordkorea, Iran) scheinen zu versuchen, möglichst schnell eigene Atomwaffen zu entwickeln, noch bevor die USA dagegen einen wirksamen Schutz entwickelt haben. Noch gefährlicher als der Besitz der Kernwaffen durch «Schurkenstaaten» wäre aber die Verbindung der Bereitschaft zum Selbstmordattentat mit dem Besitz von Nuklearwaffen.20 Der Rückzug in die Festung nationaler Landesverteidigung unter dem Schutz eines noch zu entwickelnden Raketenschildes schafft Anreize für nukleares just-in-time Wettrüsten und er ist unwirksam gegen Terrorismus im Innern. Auch die MAD ist ein sehr labiler Zustand, denn ihre tatsächliche Abschreckungswirkung beruht auf der Unterstellung der Rationalität der Akteure. Diese ist geeignet, um institutionelle Arrangements auf ihre rationalen Grundlagen hin zu prüfen. In der Anwendung auf Handlungssubjekte greift sie wegen der komplexen Psychologie menschlicher Akteure zu kurz. 19 20

http://www.parapundit.com/archives/cat_weapons_proliferation_control.html. Vgl. R. M. Pearlstein, Fatal Futures? Transnational Terrorism and the New Global Disorder, Austin 2004, S. 88-92.

186

Francis Cheneval

Angesichts der nuklearen Bedrohung liegt der einzige Weg zur Erhöhung der Sicherheit in der intergouvernementalen und supranationalen Kooperation. Konkret wird diese einstweilen im Versuch einer Eindämmung der nuklearen Proliferation durch ein internationales Regime. Ein Anfang ist gemacht mit der 1957 gegründeten International Atomic Energy Agency (IAEA). Diese Agentur der UNO, der die Schweiz als Gründungsmitglied angehört, hat sich inzwischen in Zusammenarbeit mit dem UNO-Sicherheitsrat zu einer nuklearen Weltpolizei entwickelt. Es gehören ihr heute 137 Staaten an. Nord Korea ist 1994, Kambodscha im März 2004 ausgetreten. Hier zeigt sich denn auch die Schwäche dieses Regimes. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und die 900 von der Behörde kontrollierten Kernkraftwerke weltweit sind solche, die von den Mitgliedstaaten freundlicherweise an die Behörde gemeldet wurden. Diese kurze Betrachtung der nuklearen Bedrohung führt zu folgender Zwischenbilanz: – Die nukleare Bedrohung relativiert eine klassische Bedrohungsanalyse, die sich an geographischen Variabeln von nah /fern orientiert. Im Prinzip ist jeder Ort auf dem Globus und der ganze Globus von jedem Ort aus zerstörbar. – Die nukleare Bedrohung führt zur Gleichheit der Staaten im Sinn Hobbes’: Staaten können sich gegenseitig vernichten, unabhängig von ihrer sonstigen physischen, ökonomischen oder militärischen Macht. Dies bedeutet eine starke Relativierung des Hobbes’schen Gedankens der Herstellung von Sicherheit durch das einzelstaatliche Gewaltmonopol. – Die Tatsache, dass unter rationalen Gesichtspunkten Kriege zwischen Atommächten nicht mehr führbar sind oder dass es in Zukunft einen ballistischen Schutz gegen Interkontinentalraketen geben könnte, bietet aufgrund der irrationalen Motive menschlicher Akteure und der möglichen Proliferation von Atomwaffen an terroristische Organisationen keine hinreichende Sicherheit. – Sicherheit wird im atomaren Bereich durch ein internationales nonproliferation- und Kontrollregime verfolgt. Gleichzeitig werden aber von den Supermächten neue Atomwaffen und Verteidigungssysteme gegen Atomraketen entwickelt. Dies erzeugt starke Anreize zu einem weiteren nuklearen Wettlauf, und sei es auch nur, um die Nichtentwicklung von Atomwaffen als Verhandlungsvorteil zu benutzen. Es ist dies auch ein Grund, weshalb Atomwaffen oder deren biologisches Surrogat gewissen Entwicklungsländern und schwächeren Staaten als

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

187

attraktiv erscheinen. Sie können mit einem Schlag ihren Einfluss und ihre Macht erhöhen und den Industriestaaten trotzen.21

2.2. Transnationaler Terrorismus Eine zweite Bedingung der Transformation des staatlichen Gewaltmonopols im Sinn von Hobbes stellt der transnationale Terrorismus dar. Im Fall des Terrorismus sehen sich Staaten einer assymetrischen Bedrohung gegenüber, der sie durch unilaterale Verstärkung ihrer militärischen und polizeilichen Macht nur bedingt begegnen können. Der Terrorismus ist ein älteres Phänomen. Neu ist aber der transnational agierende Terrorismus unter Bedingungen der Globalisierung.22 Letzterer lässt die Gegensätze innen /außen, nah /fern, national/international durcheinander geraten. Die Ursprünge und Ursachen dieses Terrorismus mögen aus der Sicht eines bestimmten Staates weit entfernt liegen, und doch kann er unmittelbar im Innern zuschlagen. Er kann aber auch Interessen eines Staates in einem anderen Land treffen. Die rechtsstaatliche und polizeiliche Kontrolle des eigenen Territoriums zur Eindämmung des Terrorismus ist deshalb zwar notwendig, aber zum Schutz der weit ausgelagerten Interessen eines modernen Staates keineswegs hinreichend. Der transnationale Terrorismus entblößt eine neue Form von Interdependenz zwischen Staaten. Am Beispiel der Anschläge auf jüdische und englische Interessen in der Türkei (15. und 20. November 2003) lässt sich dies veranschaulichen. England ist auf stabile rechtsstaatliche Verhältnisse in der Türkei angewiesen, damit seine Interessen dort (z. B. die HSBC Bank) geschützt sind. Dasselbe gilt für die jüdische Bevölkerung und für israelische Interessen. In diesem Fall haben England und auch Israel ein Sicherheitsproblem, das diese Staaten durch die eigene monopolisierte Zwangsgewalt nicht lösen können. Die Türkei hingegen sah sich einem Terrorismus gegenüber, der eigentlich nicht-türkischen Interessen in der Türkei galt. Obschon die Türkei den US-amerikanischen Truppen verboten hat, das Territorium als Aufmarschgebiet für den Krieg gegen den Irak zu gebrauchen, und obschon die Türkei keine Truppen in den Irak gesandt 21

22

Vgl. N. C. Livingstone, J. D. Douglass, CBW: The Poor Man’s Atomic Bomb, Cambridge 1984. Vgl. R. M. Pearlstein, Fatal Future?, a. a. O. S. 7-23.

188

Francis Cheneval

hat, wurde sie Ziel von Anschlägen, allerdings eben gegen ausländische Interessen. Die Türkei hat weder einen direkten Einfluss auf den IrakKrieg noch auf die Lösung des Problems Israel-Palästina. Der Krieg gegen die Kurden und die dadurch verursachte Verelendung von Gebieten in Südostanatolien scheinen aber ursächlich am Phänomen beteiligt. Diese Gebiete stellen das Rekrutierungsgebiet des türkischen Terrorismus dar.23 Mit diesem Phänomen wiederum haben weder England noch Israel direkt etwas zu tun und sie haben in Bezug auf diesen Aspekt des Problems wenig Einfluss auf den Gang der Dinge. Die politische Interdependenz, die der internationale Terrorismus herstellt und /oder parasitär ausnutzt, hat sowohl Konsequenzen für die politische oder militärische Prävention als auch für die rechtsstaatliche oder militärische Bekämpfung. Angesichts des transnationalen Charakters des Terrorismus können die Staaten zur Herstellung von Sicherheit nur mit integrativen Strategien und Institutionen antworten. Die Staatsbedingung im Sinn der Existenz einer hoheitlichen Gewalt ist zwar unabdingbar, sie ist aber für die elementare Garantie von Sicherheit in keiner Weise hinreichend. Die Antwort durch Krieg und Kriegsallianzen ist inadäquat. Die momentane Anti-Terrorismus Koalition der USA stellt in dieser Hinsicht eine äußerst fragile Struktur dar. Sie verfügt weder über eine gemeinsame normative Basis noch stimmen die Partner in ihrer Einschätzung der Bedrohung überein.24 Nachhaltige Lösungen des Sicherheitsproblems werden nur möglich, wenn es gelingt, die Interessen und Kapazitäten einer breiten Gruppe von öffentlichen und privaten Akteuren in einen langfristig ausgerichteten politischen Entwicklungs- und Integrationsprozess einzubinden. Angesichts der transnationalen Komplexität des internationalen Terrorismus ist es deshalb kein Zufall, dass der britische Außenminister Straw auf die Terroranschläge in der Türkei umgehend mit einer Bestätigung der Beitrittsperspektive der Türkei zur EU reagiert hat.25 Die EU stellt in den Augen Straws, trotz ihres nicht-militärischen Charakters, eine neuartige politische Organisation dar, in der man einer zivilen und politischen Prä23

24

25

Z. Y. Gündüz, «Der Einfluss der Europäischen Union auf die Demokratisierung der Türkei», in: http://www.kas.de/db_files/dokumente/auslandsinformati onen/7_dokument_dok_pdf_5398_1.pdf. Vgl. A. Wenger, «Der 11. September als Epochenwende: Kontinuität und Wandel in der internationalen Sicherheitspolitik», in: Bulletin 2002 zur schweizerischen Sicherheitspolitik, Zürich 2002, S. 17. http://www.tagesanzeiger.ch/dyn/news/ausland/326337.html.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

189

vention des Terrorismus näher kommt. Dies illustriert, wie Staaten – auch solche mit atomarer Gegenschlagskapazität wie Großbritannien – ihre Sicherheitsinteressen zunehmend intergouvernemental und im zivilen Präventionsbereich auch differenziert supranational wahrnehmen. Offenbar genügt die gemeinsame Mitgliedschaft in der NATO nicht für die nachhaltige Herstellung eines Friedenssystems. Das Sicherheitskalkül führt über die Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols hinaus in ein polyzentrisches ziviles und militärisches Sicherheitssystem.

2.3. Transnationale organisierte Kriminalität Es ist im Rahmen der hiesigen Reflexion über die Transformation des staatlichen Gewaltmonopols auch wichtig, die transnationale organisierte Kriminalität in Betracht zu ziehen. Diese stellt heute eines der zentralen Sicherheitsprobleme dar. Ähnlich wie der Terrorismus erhielt auch die Kriminalität im Zeichen der Globalisierung ein anderes Gesicht. Die Globalisierung der Märkte und die Mobilität von Personen, Kapital, Gütern und Dienstleistungen bieten illegalen Aktivitäten ein grenzüberschreitendes Betätigungsfeld. Im Gegensatz zum Terrorismus will die transnational organisierte Kriminalität keine Zerstörung oder totale Destabilisierung des Systems erzwingen. Sie stellt sich nicht offen gegen den Staat, sondern versucht, Politik, öffentliche Verwaltung, Justiz und Wirtschaft zu unterwandern. Sie baut eine wirtschaftliche und politische Substruktur auf; unterminiert die legale Wirtschaft und die Sicherheit der internationalen Finanzmärkte. Die transnationale organisierte Kriminalität betätigt sich im Drogenhandel, der Schutzgelderpressung, im illegalen Glücksspiel, der Prostitution, der Geldwäscherei, dem Waffen-, Kunst- und Falschgeldhandel. Ein wichtiger Erwerbszweig stellt auch der Menschenhandel und die Schleuserkriminalität dar.26 Die kriminellen Organisationen weisen sich durch einen hohen Grad von Professionalität und Technisierung auf. Sie können enorme Summen von Kapital einsetzen und gleichen formell modernen transnational operierenden Unernehmen. Petra Barthelmess schreibt in einer Sicherheitsstudie: 26

Schweizerischer Bundesrat, Aussenpolitischer Bericht 2000, Bern 2000, Anhang S. 10.

190

Francis Cheneval

Der Staat sieht sich bei der Bekämpfung der transnationalen organisierten Kriminalität mit der Tatsache konfrontiert, dass trotz verstärktem personellem Einsatz und trotz massiver Erweiterung der Ermittlungskompetenzen die Operationen der kriminellen Vereinigungen eine noch immer hohe ‹Strafverfolgungsresistenz› aufweisen. Ein Grenzschutz, der eine absolute Kontrolle ausübt, ist heute aus operationellen wie auch strukturellen Gründen mehr denn je eine Illusion. Eine Ausweitung der Zollkontrollen, die für eine sinnvolle Kontrolle nötig wäre, würde angesichts des massiven internationalen Warenumsatzes den internationalen Handel lahm legen.27

Strengere Einreiseregelungen treffen meist vergleichsweise harmlose Personen, die sich um Schwarzarbeit bemühen. Die strukturell gefährlichen Kriminellen verfügen in der Regel über Einfluss in Herkunftsländern; sie haben Zugang zu Reisepapieren. Festnahmen von einzelnen Mitgliedern der Organisationen sind weniger wirkungsvoll als früher, weil die Arbeitsteilung und differenzierte Organisation zu einer großen Austauschbarkeit der Akteure führt. Traditionelle Polizeiinstrumente sind gegen das moderne organisierte Verbrechen unzureichend, ebenso wie der Gedanke, man könne gegen diese Art Kriminalität wirkungsvoll allein durch nationalstaatliche Zwangsgewalt vorgehen. Gemäß Sicherheitsexperten erfordert die Situation einen Paradigmenwechsel in der Verbrechensbekämpfung. Erstens stellt der präventive Bereich, also die rechtsstaatliche und legalwirtschaftliche Stabilisierung von Randregionen, eine neue Priorität dar. Hier interessieren weniger die Maßnahmen als die Tatsache, dass diese Prävention auch weit ab von der eigenen Landesgrenze geschehen muss. Zweitens gilt es nicht nur die eigentlichen Verbrechen zu bekämpfen, sondern die Korruption von Staat und Gesellschaft. Das Augenmerk verlagert sich auf die Zerstörung des Finanzmanagements der kriminellen Organisationen. Drittens stellt die Intensivierung der internationalen Kooperation und Integration ein unabdingbares Element der Verbrechensbekämpfung dar. Transnational organisierte Kriminalität kann nur auf multilateraler Ebene sinnvoll angegangen werden.28

27

28

P. Y. Barthelmess, «Transnationale organisierte Kriminalität: Ordnungspolitische Eingriffe auf internationaler Ebene und in der Schweiz», in: Bulletin 2002 zur schweizerischen Sicherheitspolitik, Zürich 2002, S. 36. Ebd. S. 37ff.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

191

Abhilfe schaffen soll die United Nations Convention against Transnational Organized Crime von 2000.29 Es geht darin um die internationale Harmonisierung des Strafrechts, um die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, um Austausch von Informationen. Erwähnenswert ist die allgemeine Strafbarkeitserklärung der Geldwäscherei, die für jede Art krimineller Vortat gilt. Bereits 1989 wurde in Paris anlässlich des G7 Gipfels die so genannte Financial Action Task Force gegründet. Ihr Ziel ist eine weltweit effiziente Finanzmarktregulierung zur Eindämmung des Finanzmanagments der organisierten Kriminalität. Die Souveränität der Staaten und ihr Gewaltmonopol schließt Strafverfolgungen und Amtshandlungen fremder Staaten auf eigenem Territorium aus. Dies bedeutet, dass das Hobbes’sche Sicherheitskalkül, das die Bildung des staatlichen, souveränen Gewaltmonopols als rational erklärt, oft auch ein Hindernis der Herstellung von Ordnung und Sicherheit darstellt. Das Gewaltmonopol führt in vielen Fällen zu einem Sicherheitsdefizit oder stellt keine hinreichende Sicherheitsgarantie dar. Dies ist keine Kleinigkeit, denn die Idee der Herstellung von Sicherheit durch staatliche Souveränität wird stark in Frage gestellt, es sei denn sie wird transformiert durch das Prinzip der intergouvernemental oder supranational integrierten Kooperation. In der EU geht die Zusammenarbeit viel weiter als die herkömmliche Rechtshilfe, jedenfalls unter den Ländern, die zum Schengener-Abkommen gehören. Letzteres wurde 1985 als Sicherheitsmaßnahme im Rahmen der freien Personenfreizügigkeit des Binnenmarktes eingeführt. Es regelt gemeinsame Grundsätze für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Eine Intensivierung wurde erreicht durch die Errichtung einer europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle Europol und einer Koordinationsplattform der nationalen Staatsanwaltschaften Eurojust.30 Zu dieser Infrastruktur gehört auch das so genannte Europol Computer System (TECS). Es existiert im Rahmen von Schengen auch ein grenzüberschreitendes Beschattungs- und Verfolgungsrecht für die Polizei. Dieses läuft auf eine gegenseitige Durchdringung der staatlichen Gewaltmonopole hinaus. Es hebt ihren Zweck nicht auf, verfolgt ihn aber kooperativ und integrativ. Auch das Schengener Visa gehört in die weitere Thematik des «unbundling of territory» in Bezug auf die Herstellung von 29

30

http://www.globalpolicy.org/globaliz/law/1219.htm; http://www.unodc.org/unodc/crime_cicp_signatures_convention.html. http://europa.eu.int/agencies_jha/index_de.htm.

192

Francis Cheneval

innerer Sicherheit außerhalb und äußerer Sicherheit innerhalb eines Staates. Es gibt eine koordinierte Visumspflicht für das «Schengen-Territorium». Das Visum für ein Land gilt für alle Schengen-Staaten.31 Das moderne politiktheoretische Prinzip ‹Sicherheit durch Gewaltmonopol› ist zu modifizieren: Sicherheit durch Kooperation und Integration von legitimen Gewaltmonopolen. Petra Barthelmess formuliert treffend: «Die Gewährleistung der inneren Sicherheit ist zu einer gemeinsamen Aufgabe der Staatengemeinschaft geworden.» 32

2.4. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit Ich möchte auf einen Pfeiler eines neuen Sicherheitssystems hinweisen, der zu den individualistischen Voraussetzungen der hobbesianischen Sicherheitslogik zurückführt. Hobbes’ Argument zu Gunsten des staatlichen Gewaltmonopols geht ursprünglich von der individuellen menschlichen Sicherheit aus, nicht von der Sicherheit von Staaten. Der Engländer hat aber das ursprünglich individualistische Selbsterhaltungsprinzip vom Individuum auf den Staat übertragen. Diese souveränistische Spielart der Sicherheitslogik führt in ein Dilemma. Je mehr die souveränen Staaten zu ihrer Sicherheit aufrüsten, desto mehr erhöhen sie die allgemeine Unsicherheit des Systems.33 Hobbes versuchte, dem Sicherheitsdilemma durch eine definitive Rückübertragung des individualistischen Sicherheitskalküls auf das Staatssubjekt zu entgehen. Im Umfeld von internationaler Anarchie können sich Staaten behaupten, der Staat wird als dasjenige Subjekt definiert, das unter Naturzustandsbedingungen überleben kann.34 Dadurch entsteht jedoch eine Diskrepanz zwischen der Erhaltung des Staates und dem individuellen Sicherheitsanspruch, weil der Fortdauer des Staates 31

32 33

34

http://europa.eu.int/comm/justice_home/fsj/freetravel/thirdcountry/fsj_freetrav el_thirdcountry_en.htm. P. Y. Barthelmess: «Transnationale organisierte Kriminalität», a. a. O. S. 52. Grundlegend: J. H. Herz, «Idealist Internationalism and the Security Dilemma», in: World Politics 2/2 (1950), S. 157-180; vgl. ders., «The Security Dilemma in International Relations. Background and Present Problems», in: International Relations 17/4 (2003), S. 411-416; A. Collins, «State-induced Security Dilemma. Maintaining the Tragedy», in: Cooperation and Conflict 39/1 (2004), S. 27-44. F. Cheneval, Philosophie in weltbürgerlicher Bedeutung, a. a. O. S. 236-243.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

193

permanent Individuen geopfert werden können. Die individuelle Sicherheitsbedingung kann nicht von einer etatistischen, sondern nur von einer zwischenstaatlich-integrativen Sicherheitslogik eingelöst werden. Die modernen ökologischen und durch ABC-Waffen herbeigeführten Bedrohungen des Staates lassen aber auch die Möglichkeit einer Selbsterhaltung des Staates unter anarchischen oder politisch und rechtlich strukturschwachen Bedingungen verblassen. Auch in Bezug auf das etatistische Sicherheitsargument gilt: Nur der Prozess des graduellen Abbaus etatistischsouveränistischer Gewaltmonopole und des Ausbaus von multipolaren Sicherheitsnetzen sowie der internationalen Strafrechtsjurisdiktion kann eine zunehmend optimalere Erfüllung der individualistischen Selbsterhaltungsbedingung moderner Rechtsstaatlichkeit bedeuten. Dieses Argument akzentuiert sich unter Berücksichtigung eines umfassenderen Sicherheitsbegriffs, der auch ökologische und ökonomische Kriterien impliziert. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC), dessen Statut 1998 verabschiedet und bisher (September 2004) von 97 Staaten ratifiziert wurde, kann als Instrument der individuellen interetatistischen Sicherheit und Verantwortlichkeit verstanden werden.35 Die zwischenstaatliche Dimension des Völkerrechts wird durch eine individualistische subsidiär ergänzt. Strafbar sind Personen unabhängig von ihrem politischen oder rechtlichen Status in einem bestimmten Land. Menschen werden als Menschen zur Rechenschaft gezogen und sollen als Menschen vor bestimmten Verbrechen geschützt werden. In Bezug auf die im Statut typifizierten Straftaten gibt es keine Immunität und der Chef-Ankläger hat motu proprio Kompetenz in der Strafuntersuchung. Die Existenz des ICC illustriert die Tatsache, dass sich das internationale Recht von einem klassischen Etatismus und Internationalismus weg in Richtung eines direkten Schutzes von Rechten menschlicher Personen entwickelt. Als Formel für die Ordnung der Staatsraison, die hier graduell überwunden wird, führe man sich folgendes Zitat Montesquieus vor Augen: Le droit des gens est naturellement fondé sur ce principe: que les diverses nations doivent se faire, dans la paix, le plus de bien, et, dans la guerre, le moins de mal qu’il est possible, sans nuire à leurs véritables intérêts.36

35 36

http://www.icc-cpi.int/home.html. Montesquieu, De l’esprit des lois, I, 3, éd. par R. Caillois, Œuvres complètes, II, Paris 1958, p. 236f.

194

Francis Cheneval

Mit dem ICC hat der Staat de jure Kompetenzen aus der Hand gegeben. In Bezug auf die schlimmsten Verbrechen steht er in Arbeitsteilung mit einem internationalen Strafgerichtshof, der ihm nach dem Prinzip der Komplementarität übergeordnet ist. Dadurch entsteht in Bezug auf elementare Menschenrechte tendenziell ein kosmopolitischer Raum des Strafrechts, das der Garantie von elementarer menschlicher Sicherheit dienen soll.

2.5. Zwischenbilanz Die moderne Staatstheorie betrachtet den Staat als einheitlichen Herrschaftsverband, der auf einem bestimmten Territorium erfolgreich und langfristig ein Gewalt- und Gesetzgebungsmonopol errichtet, Rechtssicherheit und politischen Frieden stiftet (innere Souveränität). Gleichzeitig setzt er sich gegen andere Staaten machtpolitisch durch und /oder wird von ihnen als unabhängiger Staat anerkannt (äußere Souveränität). Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, dass sich die Realisierungsbedingungen der elementaren Staatsaufgaben in der Weise geändert haben, dass viele heute nicht mehr allein vom «westfälischen» Staat wahrgenommen werden, sondern je nach Problemfeld einer funktional differenzierten zwischenstaatlichen Integration anheim gestellt sind. Dieser Prozess lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen: (1) Es zeichnet sich die Emergenz eines polyzentrischen politischen Systems ab, in dem viele Staaten die Ziele, die sie einst durch inneres Gewaltmonopol und äußere Konfrontation oder lose Allianzen verfolgten, nunmehr kooperativ und integrativ zur erreichen versuchen. Die legitimen Gewaltmonopole werden aneinander gekoppelt oder komplementär ersetzt. Das allumfassende staatliche Gewaltmonopol wird entbündelt und in funktional differenzierter Weise intergouvernemental oder supranational ergänzt. Dieses ‹pooling› von Gewaltmonopolen kann vor dem Hintergrund einer neuartigen sozio-politischen Situation verstanden werden. Transnationale organisierte Kriminalität, Kriege und Terrorakte spielen sich in einem System kommunizierender Gefäße ab. Sie entfalten ihre schädliche Wirkung unter Bedingungen transnationaler globaler Interdependenz. Es ist eine stark abnehmende Bedeutung der geographischen Distanz der Konflikte zu verzeichnen und eine erhöhte Anteilnahme an jedem Konflikt auf der Welt. Die Gefahren und die Wahrnehmungen der Kriege und der Kriminalität folgen nicht mehr einem klaren Schema von nah und fern. Die Gefahren der Kriege folgen auch nicht mehr einem kla-

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

195

ren Schema von Innen und Außen, sondern sie können sich jederzeit im Innern eines vom direkten Konflikt weit entlegenen Staates entfalten. Aus diesem Grund befiehlt die Hobbes’sche Zweckrationalität individueller menschlicher Sicherheit nicht mehr nur die Herstellung von Sicherheit durch Monopolisierung der Gewalt im Staat, sondern zusätzlich ein integratives ‹pooling› der Gewaltmonopole. (2) Im Gegensatz zum klassischen Internationalismus ist dieses System im Prinzip auf die transnationale Gewährung staatlich-kollektiver und individueller Sicherheit hin angelegt. Traditionell war die innere Sicherheit eine Angelegenheit des souveränen Staates. Die internationalen Organisationen und Allianzen galten der kollektiven Sicherheit des Staates. Organisationen wie Schengen oder aber in besonderer Weise auch das ICC integrieren kollektive und individuelle Sicherheit durch individuenbezogene Jurisdiktion für Verbrechen an menschlichen Personen. In diesem Sinn kann allgemein festgehalten werden, dass mit der Vernetzung der Gewaltmonopole von demokratischen Staaten und der supranationalen Jurisdiktion für Verbrechen gegen die Menschheit eine tendenziell kosmopolitische Demokratisierung der internationalen Beziehungen einhergeht.

3. Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung? Einwände Es sollen nun zwei Einwänden diskutiert werden, die sich gegen die These der zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung wenden. (1) Die EU stellt das einzige Beispiel zwischenstaatlicher Integration dar. Mit der Glorie der Einzigartigkeit verbunden ist das Problem, dass es keine historische Plausibilität dafür gibt, zwischenstaatliche Integration als Paradigma einer sich entwickelnden Weltordnung zu betrachten. Zu stark scheint sie in der spezifisch europäischen Geschichte und Sozialstruktur verwurzelt zu sein. Zu sehr scheinen sich die spezifisch europäischen Verhältnisse von denjenigen anderer Regionen zu unterscheiden.37 Andere unter dem Stichwort new regionalism genannte Staatenorganisationen – folgende Liste ist ebenso lang wie unvollständig: NAFTA, South American Community, ECOWAS, SADC, ASEAN, APEC, CARICOM, OAS, OAU etc. –, unterscheiden sich von der EU in verschiedenen Hinsichten. 37

Vgl. T. Judt, A Grand Illusion? An Essay on Europe, New York 1996, S. 17-24.

196

Francis Cheneval

Drei Hauptunterschiede seien hervorgehoben: Entweder handelt es sich nur um klassische internationale Organisationen oder nur um Freihandelszonen oder um Organisationen, deren Mitgliedstaaten die Rechtsstaatsund Demokratiebedingung nicht erfüllen. Die EU ist bis heute nicht kopiert worden. Wo es zu Nachahmungsversuchen kommt, wie z. B. in der South American Community, ist der Erfolg einer konsolidierten Integration bisher ausgeblieben. Die Herstellung einer Weltordnung durch Mimesis der europäischen Integration in anderen Weltregionen oder im UNOSystem ist nicht absehbar. (2) Die EU stellt keine politische Einheit dar, die globale Ordnungspolitik betreiben kann. Da wo die Ordnung wirklich aus den Fugen gerät, und sei es auch in unmittelbarer Nachbarschaft der EU, wie im Kosovo, ist die Bilanz ihres ordnungspolitischen Eingreifens tendenziell negativ. In vielen Fällen, der Irak-Krieg ist nicht der einzige, ist die EU in sich uneinig. Die fehlende ordnungspolitische Handlungsmacht der EU in der Außenpolitik ist eine Folge ihrer inneren Komplexität – einer Komplexität, die sich institutionell nur beschränkt reduzieren lässt. Die verschiedenen außenpolitischen Traditionen und Interessen der EU-Mitgliedstaaten können nur in einer quasi-neutralen oder auf Zivilmacht beschränkten Außenpolitik gebündelt werden. Die strukturelle Komplexität der EU lässt nicht einmal auf eine klare Bestimmung von Außen und Innen schließen. Zum zweiten Einwand: Es scheint, dass ein komplexes multilateraldemokratisches Gebilde wie die EU keine Ordnungsmacht sein kann, die den «Ausnahmezustand» ‹entscheidet›.38 Ein Grundirrtum des nationalkonservativen und antiliberalen Blicks auf die EU, auf die zwischenstaatliche Integration und auf die Politik überhaupt besteht aber in der falschen Meinung, über den Ausnahmezustand könne überhaupt ‹entschieden› werden. In Ausnahmezuständen äußert sich nicht der wahre dezisionistische Kern der Souveränität. Im Gegenteil, sie bedeuten den Verlust von verfahrensmäßiger Kontrolle und Kohäsion, den Verlust von Souveränität. Die EU und die mit ihr verbundenen demokratischen Staaten sorgen dafür, dass der Ausnahmezustand im Innern der Staaten und in ihren Beziehungen zu einander gar nicht auftritt. Zwanghafte Durchsetzung ist nach wie vor ein Strukturmerkmal des Rechts, aber keine politische Autorität hat Bestand, die nur auf zwanghafter Durchsetzung beruht. Die USA entscheiden nirgends auf der Welt 38

C. Schmitt, Politische Theologie, München 1934, S. 11.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

197

einen Ausnahmezustand. Da wo sie erfolgreich agieren, ist ihre militärische Macht Teil eines zivilen, auf dem Prinzip der Anerkennung beruhenden, meist multilateral getragenen Strukturbildungsprozesses. Die physische Staatsmacht ist auch innenpolitisch nur dort erfolgreich, wo sie nur sporadisch zum Einsatz kommen muss, weil der Großteil der sozialen Prozesse in den Pfaden und Prozeduren der Zivilmacht aufgehoben ist und auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruht. Zwischenstaatlich integrierte Organisationen wie die EU können zwar keine Weltordnung herstellen. Die EU kann, so wenig wie der mächtigste Nationalstaat USA, über einen Ausnahmezustand entscheiden oder der Welt eine Ordnung aufzwingen. Aber: Zwischenstaatliche Integration erfüllt eine erfolgreiche ordnungs- und entwicklungspolitische Funktion innerhalb ihrer Struktur und an ihrer Peripherie. Mehr noch: Sie rückt die Grenzen dieser Peripherie immer weiter nach außen. Die wirtschaftliche und politische Entwicklung in Portugal, Spanien, Irland, Griechenland, insbesondere aber die wirtschaftliche und politische Entwicklung der ehemals kommunistischen Staaten in Osteuropa belegen diese These.39 Dies bedeutet, dass es sich bei der EU und der zwischenstaatlichen Integration um eine politische Struktur handelt, die wesentliche Funktionen der Staatlichkeit dauerhaft erfüllt (Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit, Wohlstand), ohne einem einheitsstaatlichen (sei es zentralstaatlichen oder bundesstaatlichen) Prinzip zu entsprechen. Zum ersten Einwand: Es kann nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, dass andere Integrationsprojekte, wie z. B. dasjenige der South American Community, erfolgreich sein werden. Es kann aber auch nicht behauptet werden, dass die historische EU immer die heutige Struktur haben wird und unter keinen Umständen zu einem Bundesstaat werden kann. Auch nationalistische Regressionen sind realgeschichtlich möglich. Es macht wenig Sinn, über den zukünftigen Lauf der Geschichte und die Kontingenz 39

K. Fierke, A. Wiener, «Constructing Institutional Interests: EU and NATO Enlargement», in: Journal of European Public Policy 6/5 (1999), S. 721-42; M. Vachudova, «The Leverage of International Institutions on Democratizing States: The European Union and Eastern Europe», in: RSCAS Working Paper 33 (2001); F. Schimmelfennig, S. Engert, H. Knobel, «Cost, Commitment and Compliance: The Impact of EU Democratic Conditionality on Latvia, Slovakia and Turkey», in: Journal of Common Market Studies 41/3 (2003), S. 495-518.

198

Francis Cheneval

der europäischen Integration zu spekulieren. Entgegenhalten kann man dem ersten Einwand, dass im ersten Teil dieses Artikels die These begründet wurde, dass zwischenstaatliche Integration eine notwendige Weiterentwicklung des klassischen Internationalismus darstellt und auch im außereuropäischen Raum bereits Fuß gefasst hat. Deshalb geht es vielmehr um die Klarheit in der idealtypischen Unterscheidung zwischen einem demokratischen Nationenbildungsprozess einerseits und einem Prozess, deren Mitglieder die demokratische Nationenbildung weit gehend abgeschlossen haben und die in einen funktional differenzierten zwischenstaatlichen Integrationsprozess eintreten, ohne einen Einheitsstaat auf höherer Stufe zu bilden. Damit scheint mir die idealtypische Grammatik eines prozessualen Ansatzes politischer Philosophie für das 21. Jahrhundert festgelegt. Es gibt einerseits einen Typus Integrationsprozess, der als nationbuilding oder Staatsbildung verstanden werden kann.40 Andererseits gibt es den Typus der zwischenstaatlichen Integration, der den ersten Prozess voraussetzt, mit ihm aber nicht identisch ist, weil kein institutioneller Flächenstaat geschaffen wird. Der zweite Prozess kann sich auf die Schaffung einer internationalen Organisation oder eines internationalen Regimes beschränken, oder er kann sich weiter ausdifferenzieren und vertiefen. Territoriale Inkongruenz und Differenzierung in der Kompetenzabtretung der Politikbereiche an supranationale und intergouvernementale Institutionen sind die faktisch feststellbaren Signaturen dieses zwischenstaatlichen Integrationsprozesses. Die politische Philosophie bewegt sich meist innerhalb der Schemen einer statischen politischen Ontologie. In ihr gibt es entweder Staaten oder internationale Organisationen: tertium non datur. Der ChampagnerHändler Jean Monnet hat der Schulphilosophie mit seiner Idee eines funktional differenzierten Integrationsprozesses die Fackel vorausgetragen. Diese ist vom Grundgedanken getragen, wesentliche Dysfunktionen des Etatismus /Internationalismus zu überwinden und wesentliche Staatsaufgaben, die der Einzelstaat im Zeichen der politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Interdependenz nicht allein erfüllen kann, integrativ zu erfüllen. Eine dieser Dysfunktionen ist das schon genannte Sicherheitsdilemma. Dieses Sicherheitsdilemma würde durch die Schaffung eines europäischen Gewaltmonopols auf kontinentaler Ebene nicht überwunden, sondern 40

Vgl. F. Fukuyama, State-Building. Governance and World Order in the 21st Century, Ithaca 2004.

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

199

reproduziert. Die zwischenstaatliche Integration hingegen bietet eine Alternative zur Schaffung immer größerer, übergeordneter Gewaltmonopole. Mit der Unterstellung der notwendigen Bedingungen autonomer militärischer Handlungsmacht – sprich Kohle und Stahl – unter ein ziviles supranationales Regime wurde wesentlich (wenn auch nicht ausschließlich) zur Überwindung des Sicherheitsdilemmas zwischen Frankreich und Deutschland beigetragen, ohne dass auf höherer Ebene ein neues Sicherheitsdilemma reproduziert wurde. Dies ist ein methodischer Orientierungspunkt: Es gilt danach zu fragen, welche Integrationsprozesse Staaten dergestalt miteinander verbinden, dass die Dysfunktionen des Staatensystems überwunden und nicht in größerem Maßstab reproduziert werden. Der klassische Etatismus bietet dazu keine überzeugende Perspektive. Wenn wir annehmen, dass der westfälische Staat die einzig rationale Form politischer Organisation darstellt, ist zwischenstaatliche Integration als funktional differenzierte Abtretung von Souveränität ein Unding. Ich würde diese Position als «substanziellen Etatismus» bezeichnen. Eine abgeschwächte Variante der nationalkonservativen Position verlangt eine Reproduktion «westfälischer» Staatlichkeit in einer größeren politischen Einheit. Ich nenne diese Position «strukturellen Etatismus». Die als sachlich notwendig betrachtete Delegation von Souveränität an höhere Instanzen jenseits des Nationalstaates ist nur dann rational, wenn sich auf höherer Eben wieder ein Staat bildet. Wenn also die Struktur des Nationalstaates oder Bundesstaates auf höherer Ebene und in einem vergrößerten geographischen Territorium reproduziert wird. Unter der Voraussetzung des strukturellen Etatismus kann der zwischenstaatliche Integrationsprozess, wie er in der EU stattfindet, nur als Übergangsprozess hin zur Bildung eines Großstaates akzeptiert werden. Tritt dieses Resultat jedoch nicht ein, gilt der Integrationsprozess als Irrläufer der Geschichte. Er ist dann zu weit gegangen, insofern er dem Nationalstaat Kompetenzen entzogen und dessen Souveränität aufgehoben hat. Er ist zu wenig weit gegangen, weil er keinen Staat in größerem, kontinentalem Maßstab hervorgebracht hat. Die absolute Steigerungsform dieses strukturellen Etatismus ist der etatistische Kosmopolitismus, der einen Weltstaat einfordert.41 Ich zähle ihn zum ersten Typus prozessualer Inte41

Vgl. O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999, S. 267-314.

200

Francis Cheneval

gration: der Staatsbildung, denn er präjudiziert die Reproduktion des westfälischen Staates und sei es auch als Minimalstaat oder Bundesstaat auf Kontinental-, schließlich auf Weltebene. Auch wenn nichts gegen die Idee eines friedlichen und demokratischen Weltstaats einzuwenden ist, besteht das Problem des Weltstaatskosmopolitismus darin, dass er keine Perspektiven ordnungspolitischer Problemlösung bietet, sondern den Zweck als Mittel setzt und von jener Institution die Lösung der Probleme erwartet, die, wenn überhaupt, erst am Ende des Lösungsprozesses entstehen kann. Wenn dieser Fehler nicht begangen und eine graduelle Bildung von Einheitsstaatlichkeit auf immer höherer Ebene mit kontinentalen Zwischenstufen vorgeschlagen wird, führt dies zu einer Reproduktion des Sicherheitsdilemmas in immer größerem Maßstab. Damit wird die Gefahr, die von der Konfrontation zwischen Großstaaten ausgeht, nicht beseitigt, sondern vergrößert. Dass am Ende eines solchen Prozesses, in dem sich immer gigantischere Machtblöcke gegenüber stehen, die Gründung eines friedlichen und demokratischen Weltstaates stehen würde, ist zu bezweifeln. Der etatistischen Eschatologie der Weltstaatsphilosophie stehen aber nicht nur pragmatische, sondern auch kritische Gründe entgegen. Es gilt zwar das normative Ziel einer immer umfassenderen, tendenziell kosmopolitischen Verwirklichung von Grundrechten, Frieden und Wohlstand im Auge zu behalten. Die Form dieser Entsprechung ist aber im Horizont historischer Kontingenz offen. Es muss angenommen werden, dass der Zivilisationsprozess die sozialen und technologischen Bedingungen, unter denen Recht entsteht und durchgesetzt werden muss, ständig transformiert. In dem Sinn kann zwar der unbedingte Rechtszweck, die Verwirklichung der Grundfreiheiten, nicht aber der konkrete Staatszweck postuliert werden. Die konkrete politische Form, die eine globale Verwirklichung des Rechtsprinzips haben würde, kann nicht kontrafaktisch antizipiert werden.

4. Schluss Das zwischenstaatliche Ordnungssystem demokratischer Staaten ist zwar polyzentrisch und heterarchisch, aber keineswegs eine pazifistisch-herrschaftsfreie Utopie. Die Staatsgewalt ist in diesem System präsent. Aber sie konstituiert sich nicht zentralstaatlich und auch nicht unbedingt bundesstaatlich, sondern durch eine funktional differenzierte Koppelung oder Integration nationalstaatlicher demokratischer Gewaltmonopole. Das

Zwischenstaatliche Integration als Vorbild neuer Weltordnung

201

Sicherheitsdilemma ist ein Strukturmerkmal des Etatismus und Internationalismus. Es wird durch die Bildung von übergeordneten etatistischen Gewaltmonopolen nicht überwunden, sondern vergrößert. Zwischenstaatliche Integration bietet die Möglichkeit einer zivilisatorischen Überwindung des Sicherheitsdilemmas durch funktional differenzierte Integration. Zwischenstaatliche Integration überwindet nicht nur das Sicherheitsdilemma, sondern sie bietet eine allgemeine Perspektive zivilisatorischen Fortschritts. So wirkt sie durch die Beitrittsperspektive auch positiv auf die demokratische Nationenbildung an ihrer Peripherie ein. Sie erzeugt eine positive Dialektik zwischen demokratischer Staatsbildung und zwischenstaatlicher Integration. Sie ist ein in Ansätzen erfolgreiches und vorbildhaftes Strukturmerkmal einer friedlicheren Weltordnung.

Studia philosophica 64/2005

NORBERT CAMPAGNA

L’intervention punitive ou De l’extension du droit pénal aux relations internationales The creation of ad hoc international penal tribunals and of a permanent international penal court symbolizes the will to extend penal law from the national state to international relations, thus giving rise to the concept of a punitive intervention. This contribution seeks to establish whether this extension of penal law to international relations should be strictly modeled on national penal law or whether it should follow a paradigm of its own. This could well be the same paradigm, which some authors have suggested for the national level, i. e. the paradigm of reconstructive justice. Though it does not radically exclude the penal dimension of justice, reconstructive justice nevertheless relativizes this dimension, thus leaving room for a more constructive reaction to crime.

1. Introduction Dominante pendant des siècles dans le cadre des relations entre États, l’idée de la souveraineté nationale – et des droits qu’elle implique pour l’État souverain – a été plus ou moins radicalement remise en question au cours de ces dernières décennies, de manière volontaire ou involontaire. Ainsi, certains États ont librement décidé de collaborer d’une manière très étroite dans des questions de politique économique ou sociale et ont, pour ce faire, créé des organisations internationales, dont l’Union Européenne n’est qu’un exemple parmi tant d’autres. Dans le cadre de telles organisations ou institutions, les différents États-membres se sont mis d’accord sur des politiques à suivre et ont également très souvent institué des organes judiciaires ayant pour tâche de veiller au respect des engagements réciproques – la Cour de Justice des Communautés Européennes, dont le siège est à Luxembourg, est un exemple d’une telle institution judiciaire. De tels organes judiciaires supranationaux peuvent intervenir dans la politique nationale des États et rappeler ces derniers à l’ordre s’ils n’ont pas respecté leurs engagements. Les États-membres ne sont donc plus absolument souverains, mais doivent, sous peine de condamnation, poursuivre une

204

Norbert Campagna

politique qui est conforme aux engagements qu’ils ont pris. Notons toutefois que dans la très grande majorité des cas, les tribunaux supranationaux ne savent pas à qui exactement s’adresser pour obliger, par la force s’il le faut, un État condamné à exécuter le verdict prononcé contre lui – et qui peut par exemple lui enjoindre à revenir sur une loi jugée contraire au principe de libre concurrence. Ils doivent donc compter sur la bonne volonté des États et éventuellement sur l’opinion publique. Dans la très grande majorité des cas, les tribunaux supranationaux ne jugent toutefois pas des hommes ou des gouvernements, mais des politiques. Si un gouvernement a fait voter une loi contraire au principe de libre concurrence garanti par tel ou tel traité, les membres du gouvernement – ou les membres du parlement qui ont voté la loi – ne sont pas sanctionnés.1 Si sanction il doit y avoir pour eux, elle devra venir des électeurs lors des prochaines élections. Au cours de ces dernières années toutefois, le droit international a eu tendance à intégrer une dimension pénale, et c’est d’elle qu’il sera question dans cette contribution. Je distinguerai l’intervention pénale de l’intervention préventive d’une part, et de l’intervention humanitaire de l’autre. Dans les trois cas, il s’agit d’une intervention extérieure, c’est-à-dire qui est l’œuvre d’un État, d’une organisation interétatique ou d’une organisation non étatique qui se situe à l’extérieur des frontières physiques de l’État dans lequel l’intervention a lieu. Une instance extérieure à l’État A se permet donc d’intervenir sur le territoire de l’État B ou du moins de s’immiscer dans des affaires qui, en principe, ne devraient que concerner les citoyens de l’État B. Dans la plupart des cas – mais pas nécessairement –, l’intervention est en rapport avec la violation – à venir, en cours ou passée – de normes juridiques ou morales. Alors que l’intervention préventive a lieu avant que ne se produise une violation de normes et dans le but de l’éviter, l’intervention humanitaire a lieu pendant que se produit la violation et a pour but d’y mettre fin. Le second type d’intervention fera l’objet de la première partie de cette contribution – pour des questions de place, je serai obligé de laisser de côté le problème de l’intervention préventive. L’intervention punitive, pour sa part, a lieu après qu’une violation se soit produite et a pour but de (faire) juger et surtout de (faire) sanctionner les personnes que l’on estime être coupables de la violation en question. Si dans le passé c’était très 1

C’est toujours l’État en tant que personne morale qui est condamné et non pas des individus.

L’intervention punitive

205

souvent toute la nation qui était jugée coupable, le 20e siècle est passée d’une logique collective à une logique individualisante de la culpabilité. La création, d’abord, des tribunaux pénaux internationaux ad hoc – pour la Yougoslavie (TPIY, siégeant à La Haye aux Pays-Bas) et pour le Rwanda (TPIR, siégeant à Arusha en Tanzanie) – et ensuite celle de la Cour Pénale Internationale (CPI, avec La Haye pour siège) ont mis à l’ordre du jour la question du droit d’intervention pénale. Dans le préambule du Statut de Rome, qui institue une Cour Pénale Internationale et qui est entré en vigueur il y a trois ans, les États-parties se déclarent déterminés à punir ceux qui se seraient rendus coupables de crimes contre l’humanité – peu importe où ils ont eu lieu – et ils rappellent que chaque État n’a pas seulement le droit d’exercer sa juridiction contre les auteurs de tels crimes, mais qu’il en a le devoir. Pour sa part, la CPI peut, si elle le juge opportun, se substituer aux juridictions nationales pour juger et condamner les auteurs de violations du droit humanitaire.2 Cette contribution veut avant tout attirer l’attention sur un problème qui se pose, et par là aussi sur un choix qu’il faut effectuer, lorsqu’on veut appliquer le droit pénal aux relations internationales. Voulons-nous modeler le droit pénal international sur le modèle du droit pénal national, tel qu’il s’est développé au cours des derniers siècles, ou bien voulons-nous lui conserver un aspect sui generis ? Voulons-nous, en d’autres termes, une justice internationale strictement rétributiviste et qui enlève, le cas échéant, tout pouvoir de décision aux victimes directement concernées, ou bien voulons-nous une justice internationale qui, bien qu’elle n’abandonne peut-être pas complètement le modèle rétributiviste, accorde une place plus grande à d’autres dimensions de la justice, de sorte que parfois il est concevable, sinon même moralement légitime, de laisser impunis des violations du droit humanitaire ? Cette question, il est important de le noter, se pose devant l’arrièrefond d’une tendance, encore certes faible, à restructurer le droit pénal national en accordant un rôle plus important à la victime et en laissant de la place pour d’autres réponses au crime que la punition, au sens traditionnel, du criminel. Certains auteurs estiment que la victime d’un crime ou d’un délit devrait avoir la possibilité d’influer sur le cours de la procédure pénale et que son éventuelle volonté de pardonner devrait être prise en 2

La notion de droit humanitaire recouvre notamment les crimes dits contre l’humanité.

206

Norbert Campagna

compte par l’État. Au lieu de construire le crime comme un stigmate qu’il s’agit pour le coupable d’expier à travers la peine qui lui est infligée par l’État – et dans le droit pénal classique, la peine est due à l’État et non à la victime, à laquelle sont tout au plus dues des réparations –, il s’agirait plutôt de le considérer comme un acte destructurateur des relations sociales et appelant toutes les parties à renouer ou raffermir les liens ainsi rompus. Une telle conception du crime et de la manière adéquate d’y réagir permet, selon nous, de développer une conception de la justice pénale – mais ne devrait-on pas plutôt parler de justice reconstructive3 ou reconstructrice – qui ne trouve pas seulement sa place sur la scène interne, mais qui peut aussi servir de contrepoids aux deux tendances extrêmes qui occupent le devant de la scène dans le débat sur la justice pénale internationale, à savoir d’une part la conception ultra-souverainiste qui refuse toute intervention extérieure et d’autre part la conception que nous pourrions qualifier d’ultra-internationaliste et qui veut entièrement soumettre le jugement des crimes dits contre l’humanité à un tribunal international, indépendamment de ce que pourraient décider les personnes directement concernées par la question. Plutôt que de prôner de manière catégorique une intervention punitive – toute atteinte contre le droit international humanitaire doit être punie, et si une communauté nationale refuse de la punir, la communauté internationale doit le faire –, il serait peut-être plus judicieux de mettre en avant l’idée d’une intervention reconstructive, c’est-à-dire d’une intervention permettant à une communauté nationale de panser ses plaies, de reconstruire de nouveaux liens et d’avancer vers le futur sans être constamment hantée par les démons du passé.

2. L’intervention humanitaire L’intervention humanitaire au sens strict du terme présuppose l’existence actuelle de ce que l’on pourrait appeler une catastrophe ou une crise humanitaire. Elle présuppose donc aussi l’absence ou l’inefficacité d’une intervention préventive.4 L’intervention se fait dans le but de mettre fin à 3

4

Au sujet de l’idée de reconstruction, voir Jean-Marc Ferry, L’éthique reconstructive, Paris, Cerf, 1996. Une intervention humanitaire a presque toujours aussi une dimension préventive, car elle permet d’éviter que le nombre de victimes n’augmente encore

L’intervention punitive

207

cette catastrophe ou crise. Cette dernière peut être d’origine naturelle ou humaine. Les gigantesques raz-de-marée qui ont déferlé sur les côtes de certains pays d’Asie en décembre dernier nous livrent un exemple pour une catastrophe du premier type, alors que le génocide rwandais ou le génocide cambodgien peuvent faire figure d’exemples pour le deuxième type de catastrophe. Si l’intervention humanitaire est explicitement demandée par l’État affecté par la catastrophe, elle ne pose pas de problème de principe, chaque État ayant le droit de permettre l’accès à son territoire à qui bon lui semble. La souveraineté de l’Iran, par exemple, n’a pas été remise en question par l’autorisation que le gouvernement de Téhéran avait donnée à des équipes françaises et autres pour venir en aide aux victimes du tremblement de terre de Bam. L’intervention humanitaire devient toutefois problématique lorsque l’État où a lieu la catastrophe refuse – le plus souvent pour des raisons politiques – l’accès de son territoire à des États ou organisations – comme la Croix-Rouge ou Médecins sans Frontières – qui voudraient venir en aide aux victimes. Le recours au principe d’un droit d’intervention humanitaire5 se fait alors comme réponse à l’invocation du principe de souveraineté – qui repose sur le droit d’un peuple, représenté par son gouvernement, de déterminer lui-même qui il laissera pénétrer sur son territoire et ce qu’il y laissera faire – par l’État sur le territoire duquel l’intervention doit se faire. Cessant d’être une valeur supplantant toutes les autres valeurs, la souveraineté se voit ainsi concurrencer par une autre valeur : l’intervention doit se faire pour mettre fin aux souffrances des victimes, voire pour leur sauver la vie. D’un côté la souveraineté de l’État, de l’autre la vie ou les droits des individus : que doit-on sacrifier ? Si nous supposons que les victimes ont le droit à une intervention salvatrice, le discours du droit d’intervention humanitaire se double d’un discours relatif à un éventuel devoir d’intervention humanitaire. Ce devoir d’intervention serait alors ni plus ni moins qu’un devoir d’assistance à personnes ou même à peuple en danger. Dans ce contexte, il faut distinguer deux cas.

5

plus. Il me semble néanmoins opportun de distinguer entre une intervention purement préventive, qui a lieu avant même qu’il y ait une victime, et une intervention humanitaire, qui n’a lieu que lorsqu’il y a déjà eu des victimes. On parle aussi de « droit d’ingérence ». Voir à ce sujet Mario Bettati, Le droit d’ingérence. Mutation de l’ordre international, Paris, Odile Jacob, 1996.

208

Norbert Campagna

Dans le premier cas, les victimes de la catastrophe humanitaire sont des nationaux de l’État qui veut intervenir. Ils peuvent soit se trouver de façon permanente sur le territoire de l’autre État – c’est par exemple le cas de ce que l’on appelle souvent les minorités nationales –, soit s’y trouver pour un certain laps de temps – songeons ici au personnel d’une ambassade. Dans la mesure où nous supposons l’existence d’un lien entre la citoyenneté nationale et la protection – en conférant la nationalité à quelqu’un, un État accepte implicitement de protéger la personne en question –, un État A a une obligation prima facie de venir en aide à ses nationaux qui se trouvent sur le territoire de l’État B lorsque celui-ci ne veut pas leur prêter son aide, voire est à l’origine de leur statut de victimes.6 Il s’agit là d’un devoir d’assistance politiquement fondé, qui trouve son origine dans le pacte social originaire. En répondant à ce devoir d’assistance politique, l’État devra toutefois faire preuve de prudence. Il ne saurait être question de mettre en péril l’existence même de l’État en venant en aide à des nationaux persécutés dans un pays voisin. En ce sens, l’obligation n’est que prima facie : l’assistance doit se faire dans la mesure du possible et sans que le préjudice que souffrirait la communauté ne soit plus grand que celui que souffriraient les victimes si l’intervention n’avait pas lieu. L’État est, si l’on peut s’exprimer ainsi, soumis à une obligation de démarche, non à une obligation de résultat. Dans le second cas, les victimes ne sont pas des nationaux. Et ici, il faut distinguer deux sous-cas. Dans le premier de ces deux sous-cas, les victimes appartiennent à un groupe non universel auquel appartiennent aussi les habitants de l’État qui veut intervenir. Un exemple serait celui d’un État protestant qui intervient pour mettre fin à l’extermination de protestants par un État catholique. L’intervention humanitaire serait dans ce cas fondée sur le devoir religieux de venir au secours des coreligionnaires et nous pourrions parler d’un devoir d’assistance religieusement fondé. Ce devoir n’est pas universel pour l’État protestant dans la mesure où il ne vaut pas pour le cas où ce seraient des musulmans, des hindous, etc. qui 6

Au XVIIIe siècle, le grand juriste anglais William Blackstone donnera une formulation concise de cette idée : « As therefore the prince is always under a constant tie to protect his natural-born subjects, at all times and in all countries, for this reason their allegiance due to him is equally universal and permanent » (Commentaries on the laws of England. Volume 1 : Of the rights of persons, Chicago, London, The University of Chicago Press, 1979, p. 358, italiques ajoutées).

L’intervention punitive

209

seraient massacrés. Au lieu de la religion, nous pourrions aussi avoir l’appartenance ethnique ou encore l’appartenance sociale – la classe, comme dirait un marxiste. Le deuxième sous-cas fait abstraction de toutes les identités particulières, aussi englobantes soient-elles, pour ne retenir que l’humanité de l’autre. L’intervention ne se fonde donc plus sur un fait institutionnel ou social, comme le sont l’appartenance politique ou religieuse, mais sur un fait naturel. Il s’agit de venir en aide à l’autre parce qu’il est un être humain comme nous, peu importe le Dieu qu’il vénère ou la classe sociale à laquelle il appartient. Nous pourrons dès lors parler d’un devoir d’assistance humanitairement fondé. Au cours des dernières décennies, ce dernier type de devoir d’assistance a été souvent évoqué. Lorsque l’OTAN est intervenue militairement au Kosovo, il ne s’agissait pas de secourir des citoyens de l’un des pays membres de l’OTAN, ni des coreligionnaires, mais tout simplement des êtres humains qui étaient victimes d’une épuration ethnique. Le droit et le devoir d’assistance étaient ainsi détachés de toute référence particulière, pour ne plus se fonder – du moins si nous acceptons la vérité de la rhétorique officielle – que sur une identité générique et universelle. Au nom du principe du respect de la dignité de la personne humaine, dignité qui transcende toutes les identités particulières, les troupes de l’OTAN sont intervenues militairement sur le territoire d’un État souverain afin de sauver une population en proie à des persécutions d’une nature inconnue en Europe depuis les années trente et quarante du 20e siècle. Des interventions comme celle au Kosovo ont mis à l’ordre du jour le principe que tout État, quel qu’il soit – ou toute organisation interétatique –, a le droit, sinon le devoir de venir en aide à n’importe qui, n’importe où, indépendamment de l’identité spécifique de la victime. L’éthique du droit d’intervention a donc cessé d’être une éthique particulariste pour se transformer en éthique universaliste.7 Remarquons toutefois que ce droit ou devoir ne sont mis en avant que pour des phénomènes d’une certaine ampleur, comme par exemple le génocide. Ou pour être plus précis : l’idée d’une intervention humanitaire au sens strict ne devient pensable qu’à 7

Sur l’idée d’une éthique du droit d’intervention, voir notamment Véronique Zanetti, « Ethik des Interventionsrechts », in Christine Chwaszcza, Wolfgang Kersting (Hg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1998.

210

Norbert Campagna

partir de l’idée de crime contre l’humanité – de violation grave de la loi naturelle, comme l’on avait coutume de dire aux XVIIe et XVIIIe siècles. L’intervenant doit se concevoir comme possédant une caractéristique commune avec la victime, quelle qu’elle soit, et il doit en outre percevoir le crime commis contre la victime comme un crime visant spécifiquement cette caractéristique commune, afin qu’il puisse se prévaloir du droit d’intervention humanitaire au sens strict.8 Une telle extension du droit d’intervention humanitaire n’est pas sans poser problème. Le risque est grand que le principe du devoir d’intervention humanitaire erga omnes serve de prétexte pour intervenir dans la politique intérieure d’États que l’on veut contrôler.9 Ce risque existait certes déjà aussi du temps où le droit et le devoir d’intervention étaient liés au principe de nationalité ou au principe de religion, mais le fait de les lier au principe d’humanité augmente le risque, et ce pour deux raisons. Il y a d’abord le risque, que l’on vient d’évoquer, d’un interventionnisme humanitaire tous azimuts – comme il y a des hommes partout, on pourra intervenir partout. Le recours au principe de l’intervention humanitaire risque alors de nous plonger dans une guerre généralisée,10 aucun pays ne se sentant plus à l’abri d’une intervention militaire en faveur des droits de l’homme – les rapports annuels d’Amnesty International ne nous montrent-ils pas que les droits de l’homme sont violés dans pratiquement tous les pays ?11 Aussi noble que soit la cause de la défense des 8

9

10

11

Notons que pour Vitoria entre autres, le fait que toutes les personnes concernées acceptent volontairement les violations de la loi naturelle commises contre elles ne remet pas en question le droit d’intervention : « Y no es obstaculo él que todos los bárbaros consentian en tales leyes y sacrificios, y que no quieran ser en esto defendidos por los españoles » (Francisco de Vitoria, Relectio de Indis, (traduit du latin), Madrid, Consejo Superior de Investigaciones Cientificas, 1967, p. 94). Lorsque Sepúlveda dit que les Espagnols ont le droit et le devoir de sauver les Indiens destinés aux sacrifices humains, il ne pense pas tant à sauver des hommes qu’à sauver de futurs chrétiens sur lesquels les Espagnols pourront exercer leur contrôle. Voir Juan Ginés de Sepúlveda, Tratado sobre las justas causas de la guerra contra los Indios (traduit du latin), Mexico, Fondo de cultura economica, 1987 (2e réimpression), p. 129 sq. Voir à ce sujet Tullio Scovazzi, Corso di diritto internazionale. Parte I, Milano, Giuffrè, 2000, p. 174. Il convient bien entendu de faire une distinction entre des violations ponctuelles et des violations systématiques ou des violations qui n’ont d’autre source

L’intervention punitive

211

droits de l’homme, il serait irresponsable de payer n’importe quel prix pour le respect de ces droits – et notamment un prix qui équivaudrait à la mort de millions de personnes. Ensuite, il y a le risque d’une diabolisation de l’autre.12 En effet, si l’on intervient pour mettre fin à des crimes contre l’humanité, ceux qui se rendent coupables de tels crimes peuvent rapidement se transformer en êtres inhumains, en monstres sanguinaires qu’il faut exterminer.13 Le droit d’intervention humanitaire devient alors prétexte à un massacre de ceux que l’on aura déclaré ne plus appartenir à l’espèce humaine.14 Le double risque d’un abus du droit d’intervention humanitaire et d’une diabolisation de l’ennemi, notamment dans le cas d’une intervention à caractère militaire, ne constitue pas, loin s’en faut, un argument décisif contre le principe d’une telle intervention. Il existe des situations où une intervention humanitaire pourrait très bien être justifiée dans l’absolu. Là ne me semble pas vraiment être le problème le plus important pour la bonne décision à prendre face à une situation réelle. Ce problème se situerait plutôt au niveau de l’identité de l’intervenant et de ses intentions réelles.15 Mais il y a encore un autre problème à considérer, qui naît souvent suite à une intervention humanitaire, et dont il sera question dans ce qui

12

13

14

15

que la volonté d’individus isolés d’une part, et des violations qui s’inspirent directement des lois du pays. Cette distinction se trouve d’ailleurs déjà clairement énoncée chez Sepúlveda, op. cit. p. 125. Carl Schmitt a insisté sur ce risque, et sa notion d’ennemi – et rappelons qu’il fait de la relation ami-ennemi l’essence du politique – doit précisément permettre d’éviter une telle diabolisation de l’ennemi. Ce dernier doit rester un ennemi politique que l’on respecte et ne pas se transformer en ennemi théologique que l’on doit exterminer. Voir à ce sujet Norbert Campagna, Carl Schmitt – Eine Einführung, Berlin, Parerga, 2004 et Le droit, le politique et la guerre. Deux chapitres sur la doctrine de Carl Schmitt, Québec, Laval, Presses Universitaires Laval, 2004. En 1944, Churchill avait proposé d’exécuter sans procès les principaux dirigeants nazis après la victoire alliée. Il décida de revenir sur son idée lorsque Staline dressa une liste de quelques dizaines de milliers de personnes à liquider. Voir également à ce sujet, Danilo Zolo, Chi dice umanità, Torino, Einaudi, 2000. Selon Zolo, le prétexte de l’intervention humanitaire devient un instrument stratégique de la guerre même, une arme qui permet de vaincre moralement l’ennemi en attendant ou en espérant de le vaincre par les armes matérielles. L’intervention humanitaire peut être évaluée selon les mêmes catégories que la guerre juste : autorité légitime, cause juste, intention droite, moyens légitimes.

212

Norbert Campagna

suit. Admettons qu’un État soit intervenu sur le territoire d’un autre État pour mettre fin à une pratique généralisée de crimes contre l’humanité. Quel sort doit-on réserver à ceux qui se sont rendus coupables de tels crimes ? Et d’ailleurs, qui est à considérer comme coupable : ceux qui ont ordonné les crimes, ceux qui ont transmis l’ordre de les commettre, ceux qui les ont commis, ceux qui les ont laissé commettre… ? Les coupables, une fois identifiés, doivent-ils être appréhendés par l’instance intervenante et traduits devant un tribunal extranational ou international, ou bien l’instance intervenante doit-elle se restreindre à intervenir pour sauver et ne pas s’occuper de la question d’éventuelles sanctions ? Ce problème ne se pose d’ailleurs pas seulement suite à une intervention humanitaire à caractère militaire. Il se pose chaque fois qu’un régime s’étant rendu coupable de ce que jadis on appelait des violations graves de la loi naturelle et qu’aujourd’hui on appelle des crimes contre l’humanité se trouve en place quelque part et est remplacé par un nouveau régime qui prétend incarner des valeurs démocratiques. Quelle attitude la communauté internationale doit-elle adopter lorsque le nouveau régime ne veut pas intenter de procès contre les anciens gouvernants et lorsqu’il ne veut donc pas les punir pour les crimes qu’ils ont commis – des crimes qui, comme ils ont été commis « contre l’humanité », semblent concerner l’humanité dans son ensemble et non seulement cette partie de l’humanité qui vit sur le territoire sur lequel ils ont été commis ?16 L’absence 16

Pierre-Marie Dupuy fait allusion à une distinction intéressante entre délits et crimes à l’échelle inter- ou transnationale. Par délits, il faudrait entendre des « faits illicites ordinaires, c’est-à-dire ceux qui n’établissent un lien de responsabilité que dans le cadre strictement bilatéral des relations entre l’État auteur du fait et celui qui en est la victime », alors que les crimes correspondent à la « méconnaissance d’une obligation que la communauté internationale dans son ensemble considère comme essentielle pour la sauvegarde de ses intérêts fondamentaux » (Pierre-Marie Dupuy, Droit international public, Paris, Dalloz, 2000 (5e édition), p. 441). En adoptant cette définition du crime, ce dernier devient une chose qui intéresse la communauté internationale dans son ensemble et il s’ensuit que la question de poursuites pénales devient aussi une question qui n’intéresse plus seulement l’État sur le territoire duquel le crime a été commis, mais la communauté internationale dans son ensemble. Surgit ainsi l’idée d’un droit qu’aurait la communauté internationale à exiger la punition du criminel. Sur la distinction entre crimes et délits, voir aussi M. Cherif Bassiouni, Le fonti e il contenuto del diritto penale internazionale, Milano, Giuffrè, 1999, notamment p. 161 sq.

L’intervention punitive

213

de volonté punitive de la part des autorités locales justifie-t-elle une intervention punitive de la communauté internationale ou du moins l’application d’un droit pénal à caractère international ?

3. L’intervention punitive Se démarquant de Hugo Grotius, qui dans son De iure belli ac pacis de 1625 avait prôné l’idée d’une intervention punitive dans le cas de crimes énormes, le jurisconsulte suisse Emer de Vattel note : On est surpris d’entendre le savant & judicieux Grotius, nous dire qu’un souverain peut justement prendre les armes pour châtier les nations qui se rendent coupables de fautes énormes contre la loi naturelle, qui traitent inhumainement leurs peres & leurs meres, comme faisoient les Sogdiens, qui mangent de la chair humaine, comme faisoient les anciens Gaulois, &c. Il est tombé dans cette erreur, parce qu’il attribue à tout homme indépendant, & par-là même à tout souverain, je ne sais quel droit de punir les fautes qui renferment une violation énorme du droit de la nature, même celles qui n’intéressent ni ses droits, ni sa sûreté. […] Grotius ne s’est-il point apperçu que, malgré toutes les précautions qu’il apporte dans les paragraphes suivans, son sentiment ouvre la porte à toutes les fureurs de l’enthousiasme & du fanatisme, & fournit aux ambitieux des prétextes sans nombre ?17

Distinguons ici clairement le droit d’intervention humanitaire du droit d’intervention punitif.18 Comme nous l’avons dit, le recours au premier

17

18

Emer de Vattel, Le droit des gens ou Principes de la loi naturelle appliqués à la conduite & aux affaires des nations et des souverains, t. 2, Neuchâtel, 1778, p. 14. Vattel renvoie à Grotius, Livre II, ch. 20, § 11 pour le passage cité. Dans notre édition du livre de Grotius (Hugo Grotius, Le droit de la guerre et de la paix (traduit du latin), Caen, Publications de l’Université de Caen, 1984), le passage en question se trouve à Livre II, ch. 20, § 40, point 3. Selon Grotius, des êtres qui commettent de telles graves violations de la loi naturelle, « tiennent plus de la Bête que de l’Homme » (ibid.). Certains auteurs ne font pas toujours la différence. Un auteur qui la fait est Juan Roa Davila, qui estime que lorsqu’on est en face de graves violations de la loi naturelle, « no cabe duda de que en estas condiciones tiene derecho un soberano o alguna otra persona suficientemente poderosa a invadir y ocupar tales territorios, sin que por ello nadie pueda escandalizarse, para defender sobre el terreno y de un modo duradero a los oprimidos, no solo para castigar [a los culpables] » (De regnorum iustitia, (traduit du latin), Madrid, Instituto Fran-

214

Norbert Campagna

présuppose que ce que Vattel appelle « une violation énorme du droit de la nature » a déjà commencé et est toujours en train d’être perpétrée, l’intervention humanitaire ayant pour but de mettre un terme à cette violation. L’intervention punitive ne suppose pas nécessairement que la violation soit encore en train d’être perpétrée, mais seulement qu’elle ait eu lieu. Il ne s’agit pas de mettre fin à une violation, mais de punir ou de faire punir ceux qui s’en sont rendus coupables. Il ne s’agit donc pas de sauver des êtres humains qui se trouvent dans une situation de danger flagrante et qui sont en train de se faire massacrer, mais de faire rendre des comptes à des personnes qui ont commis des massacres et qui ne sont plus nécessairement dans une situation qui leur permettrait d’en commettre de nouveaux. Si les Gaulois, dont parle Grotius, avaient du jour au lendemain cessé de manger de la chair humaine – et je laisse ouverte la question de savoir si nos ancêtres gaulois en mangeaient vraiment –, la raison pour une intervention humanitaire aurait disparu, mais non pas d’éventuelles raisons pour une intervention punitive. Si le cannibalisme constitue la violation d’une loi qui, parce que naturelle, concerne tout le monde, tout le monde devrait aussi être concerné par la sanction à infliger à celui qui aura violé cette loi. Dans le passage de Vattel que nous venons de citer, l’intervention punitive du souverain A contre telle ou telle nation ne se fait pas pour punir cette nation d’une action dont aurait été directement ou indirectement victime le souverain A, l’un de ses représentants ou l’un de ses sujets auxquels il doit protection. Le scénario n’est donc pas le suivant : une nation B a massacré les ressortissants d’une nation A qui se trouvaient sur son territoire, et le souverain de A punit la nation B.19 Ou encore : les troupes de B ont tenté d’envahir le territoire de A, et pour les punir de cet acte, le souverain de A lance une opération punitive contre le territoire de B. Le scénario auquel fait allusion Vattel est plutôt le suivant : Des membres de la nation B ont massacré d’autres membres de la nation B – des Gaulois ont mangé

19

cisco de Vitoria, 1970, p. 16-17). Davila distingue donc d’une part la protection, qui fait l’objet d’une intervention humanitaire, et la sanction, qui est l’objet d’une intervention punitive et qui présuppose que l’on se soit emparé du territoire. Un type d’action dont certains estimaient qu’il méritait une punition exemplaire étaient les crimes contre les ambassadeurs. Voir à ce propos Alberico Gentili, De legationibus libri tres, New York, Oxford University Press, 1924, livre II, ch. 14 : « Si ius legationis contemnitur ». À l’époque de Gentili, la protection des ambassadeurs était l’une des priorités du droit international public – ou droit des gens, comme on l’appelait alors.

L’intervention punitive

215

des Gaulois, pour reprendre l’exemple de Grotius –, et il s’agit de savoir qui a le droit de punir ou au moins d’exiger la punition des coupables. Nous devons donc distinguer une intervention punitive de A contre B faisant suite à une violation des droits de A par B, et une intervention punitive de A contre B ne faisant pas suite à une violation des droits de A, mais à une violation des droits d’autres entités par B ou à la violation par B d’une norme. Dans ce dernier cas, la juridiction punitive de A ne s’étend donc pas seulement à ses propres sujets ni à ceux qui ont commis des crimes contre ses propres sujets, mais elle s’étend à tout individu qui s’est rendu coupable d’un crime, et plus particulièrement d’un crime énorme, tellement énorme que le criminel ne mérite peut-être même plus d’être compté parmi les hommes. Il y aurait donc des crimes qui devraient être punis dans tous les cas, peu importe par qui et surtout peu importe la relation – politique, sociale, religieuse, ethnique… – entre la victime et celui qui punit. C’est précisément cette dernière approche que Vattel attribue à Grotius.20 Nous la retrouverons chez Locke, qui au paragraphe 8 du Second Traité sur le Gouvernement Civil affirme que dans l’état de nature, c’est-àdire en l’absence d’un État justicier, chaque individu est juge et exécuteur de la loi de nature, établie par Dieu, et dont l’objet principal est la sauvegarde de l’espèce humaine. Quiconque viole cette loi, se déclare ennemi du genre humain en général et partant de chaque membre du genre humain en particulier. Chaque membre du genre humain ayant, selon Locke, le droit de préserver le genre humain dans son ensemble, il peut imposer une sanction pénale à quiconque aura violé la loi de nature : « Every Man hath a Right to punish the Offender, and be Executioner of the Law of Nature. »21 Lors de l’institution de la société civile, les individus abandonnent ce droit naturel de punir ceux qui ont violé la loi naturelle pour le céder à l’État. Notons toutefois qu’entre les États, l’état de nature perdure, ce qu’affirme d’ailleurs aussi Vattel. Dans la logique lockéenne, il s’ensuit que 20

21

Citons le passage de Grotius : « Il faut savoir encore, que les Rois, & en général tous les Souverains, ont droit de punir, non seulement les injures faites à eux ou à leurs Sujets, mais encore celles qui ne les regardent point en particulier, lors qu’elles renferment une violation énorme du Droit de la Nature ou de celui des Gens, envers qui que ce soit » (Grotius, op. cit. point 1). John Locke, The second treatise of government. An essay concerning the true original, extent, and end of civil government, in Two treatises of government, Cambridge, Cambridge University Press, 1993 (reprint), § 8.

216

Norbert Campagna

chaque souverain conserve le droit de punir quiconque aura violé la loi de nature. Le droit qu’avait chaque individu devient un droit qu’a chaque État. D’après Locke, il est nécessaire de présupposer un droit universel de punir, car sinon il serait impossible de concevoir « how the Magistrates of any Community can punish an alien of another Country ».22 Or un étranger qui s’est rendu coupable de crimes sur notre territoire peut être puni – et ce, pourrions-nous ajouter, même s’il a tué un autre étranger. Donc le souverain doit avoir un droit universel de punir, car sinon il ne pourrait pas punir l’étranger qui n’est pas son sujet. Cette universalité est conçue par Locke comme à la fois personnelle et territoriale : le droit d’intervention punitive du souverain s’étend à tous les individus et au monde entier. Il n’est donc pas lié au lieu du crime – le territoire national – ni à l’identité de la victime – un concitoyen –, mais au crime en tant que tel. Le lier au territoire national équivaudrait à empêcher le souverain de rendre justice à ses sujets qui auraient été molestés ailleurs, et le lier à l’identité de la victime équivaudrait à empêcher le souverain d’intervenir lorsque des non citoyens commettent des crimes ne concernant qu’eux sur le territoire national. En nous inspirant de ce qui a été dit jusqu’ici – et en nous limitant aux violations de la loi naturelle –, nous pouvons distinguer les quatre positions suivantes : Position 1 : Tout souverain n’a le droit de punir que des violations de la loi naturelle commises sur le territoire de son État et commises par des nationaux. Position 2 : Tout souverain n’a le droit de punir que des violations de la loi naturelle commises sur le territoire de son État, qu’elles soient commises par des nationaux ou par des individus ayant une autre nationalité. Position 3 : Outre le droit de punir des violations de la loi naturelle commises sur le territoire de son État, tout souverain a aussi le droit de punir des violations de la loi naturelle commises sur le territoire d’un autre État si ses propres sujets ont été victimes de ces violations. Position 4 : Outre le droit de punir des violations de la loi naturelle commises sur le territoire de son État ou contre ses propres sujets, tout souverain a le droit de punir toute violation de la loi naturelle, peu importe l’identité des victimes et le lieu où la violation a été perpétrée. En passant de chacune de ces positions à la suivante, le droit de punir du souverain devient de moins en moins restreint, la dernière de ces posi22

John Locke, op. cit. § 9.

L’intervention punitive

217

tions nous amenant aux théories de Grotius et de Locke. Notons que dans la théorie de ce dernier, l’abandon par les individus de leur droit naturel de punir est motivé par le fait que l’exercice de ce droit peut conduire à un état de guerre permanent. Pour échapper à cette situation, ceux qui veulent former une société doivent se soumettre à un juge commun dont ils acceptent le verdict et ainsi renoncer eux-mêmes à exercer leur droit naturel. L’exercice de ce dernier est ainsi délégué au souverain. Aux quatre positions que nous venons de distinguer, il est possible d’en ajouter une cinquième, qui s’inspire du principe de subsidiarité : Position 5 : Si un souverain national ne s’acquitte pas de la tâche de punir ceux qui ont violé la loi naturelle sur son territoire, soit qu’il ne veuille pas le faire, soit qu’il ne puisse pas le faire, un autre souverain peut se substituer à lui et se charger de punir les coupables. Dans cette cinquième position, l’intervention punitive n’est pas admise comme droit absolu ou inconditionnel, mais comme droit conditionnel : l’exercice du droit n’est permis que si le souverain national reste inactif. Le présupposé de départ est que toute violation de la loi naturelle doit être punie – nous avons donc un devoir de punition –, de sorte que si celui qui devrait en principe se charger de la punition ne le fait pas, il permet implicitement à tout autre souverain de s’acquitter du devoir de punir. À ces cinq positions pourrait encore s’ajouter une sixième, à savoir : Position 6 : Considérant qu’une violation de la loi naturelle concerne tout le genre humain, toute violation de la loi naturelle ne saurait être punie que par un souverain supranational et représentant le genre humain.23 23

Au Moyen-Âge, le pape avait parfois tendance à être considéré comme juge suprême de l’empereur et des rois – du moins chrétiens. Guillaume de Viterbe écrit par exemple au 13e siècle : « For the spiritual power has the task of judging the temporal power because it can and must correct and guide it, punish it, and impose on it a penalty not only spiritual, but temporal also, in the event of its sin and transgression, and proceed even to the point of deposing it if the quality of its fault so requires » (James of Viterbo, On Christian Government (traduit du latin), Woodbridge, The Boydel Press, 1995, p. 104). L’auteur ajoute que ce pouvoir de sanctionner ne touche pas la fonction royale, mais son détenteur. Nous trouvons donc déjà au Moyen-Âge l’idée d’une responsabilité pénale individuelle. À l’extrême opposé des thèses papalistes de Guillaume, nous trouvons les thèses royalistes et impériales de son contemporain Jean de Paris, selon lequel « the emperor has primary right to correct the pope without any intermediary for any crime » (John of Paris, On royal and papal power (traduit du latin), Toronto, The pontifical institute of medieval studies, 1971, p. 158).

218

Norbert Campagna

Le souverain supranational n’intervient pas ici comme agent subsidiaire, mais comme agent principal. Cette sixième position affirme donc que les sanctions relatives à des violations de la loi naturelle ne sont pas de la compétence des juridictions nationales, mais que le caractère d’universalité qui leur est propre – un caractère qui apparaît encore mieux lorsque l’on remplace la notion de violation de la loi naturelle par celle de crime contre l’humanité – appelle une juridiction ayant le même caractère d’universalité.24 4. Droit pénal national et droit pénal international Cette sixième position correspond mutatis mutandis à la situation à l’intérieur de nos États de droit modernes. Peu importe à l’État qu’un père décide de punir lui-même son fils qui a commis un meurtre ; le coupable devra être traduit devant les tribunaux. La justice pénale de l’État n’est donc pas subsidiaire d’une justice pénale privée, c’est-à-dire qu’elle n’intervient pas que dans les cas où la justice pénale privée n’intervient pas – la position 5. Pour certains actes, la justice pénale étatique est seule compétente. Qui plus est, même si la famille de la victime décidait de pardonner au coupable, cela ne le sauverait pas du procès pénal et d’une sanction. La machinerie du droit pénal de nos États de droit modernes ne peut pas être arrêtée par un acte de pardon de la victime ou de ses proches.25 La réconciliation entre la victime et le coupable ne met donc pas un cran d’arrêt aux poursuites pénales. Et ce qui vient d’être dit ne vaut d’ailleurs pas seulement lorsque la victime est un individu qui n’appartient pas à la famille, mais cela vaut aussi lorsque la victime et le coupable sont membres d’une seule et même famille. Si quelqu’un tue son frère, il n’appartient pas au paterfamilias ou à un quelconque conseil de famille de se prononcer sur le cas et de décider ou non d’une sanction, mais c’est l’État, et lui seul, qui est compétent pour juger et punir. À l’intérieur des États de droit modernes, la justice pénale

24

25

Il ne s’agit pas, notons-le bien, de prévoir une double punition, l’une infligée par la juridiction nationale et l’autre par la juridiction internationale. Le principe juridique du non bis in idem interdirait une telle pratique. À ce sujet, voir par exemple Christian Bourguet, « Entre amnistie et imprescriptible », in Olivier Abel (dir.), Le pardon. Briser la dette et l’oubli, Paris, Seuil, 1991, p. 49.

L’intervention punitive

219

est entièrement entre les mains de l’État. Aucune instance ne peut se substituer à lui et juger à sa place et aucune instance ne peut – par exemple par un pardon ou par l’acceptation de réparations – empêcher qu’il ne mette en route la procédure pénale.26 Notons toutefois que les membres d’une famille peuvent décider d’appliquer certaines sanctions autres que la sanction pénale proprement dite. Mais il s’agira alors de sanctions informelles. Ainsi, le coupable pourra être mis au ban de la société familiale, être tenu à l’écart des réunions de famille, etc. Précisons également qu’il faut ici distinguer entre sanction pénale et réparations. Dans nos États de droit modernes, l’aspect pénal est, comme nous venons de le dire, du seul ressort de l’État. Il en va autrement de l’aspect civil. Indépendamment de la sanction pénale qui lui est infligée, le coupable peut en effet aussi se voir infliger une sanction civile, qui consistera généralement dans le versement de réparations / dommages-intérêts à la victime ou à sa famille. La décision concernant le versement ou non de telles réparations respectivement concernant d’éventuelles poursuites civiles appartient à la victime ou à sa famille. Si ni la victime, ni ses proches ne mettent en route la procédure devant un tribunal civil, l’État n’interviendra pas pour la mettre en route à leur place27 – à moins, bien sûr, qu’il ait aussi subi un dommage qui peut faire l’objet d’une réparation. La logique pénale internationale devrait-t-elle suivre en tous points la logique pénale nationale, c’est-à-dire la CPI devrait-elle se substituer aux juridictions nationales, tout comme l’État s’est jadis substitué à la potestas du paterfamilias, et non seulement agir de manière subsidiaire, en n’intervenant par exemple que lorsque la justice pénale nationale ne veut pas ou ne peut pas se mettre en action ? Ou de manière encore plus géné26

27

Sur la naissance du droit pénal moderne qui remplace l’idée de réconciliation/ réparation par celle de sanction, on consultera notamment les livres suivants : Jean-Marie Carbasse, Histoire du droit pénal et de la justice criminelle, Paris, PUF, 2000 ; André Laingui, Arlette Lebigre, Histoire du droit pénal. Tome I : Le droit pénal, Paris, Cujas, s.d. ; Renée Martinage, Histoire du droit pénal en Europe, Paris, PUF, 1998. En matière pénale, seul l’État décide des poursuites, des peines et d’une éventuelle grâce. En matières civiles, seule la victime décide des poursuites, d’une éventuelle grâce – en refusant par exemple les dommages-intérêts que le coupable aura été condamné à verser et en partie aussi de la sanction, car la victime peut faire arrêter le procès.

220

Norbert Campagna

rale, n’intervenir que lorsqu’on peut estimer que le procès, s’il a lieu dans la cadre des juridictions pénales nationales, est susceptible d’être inéquitable ou injuste – pour la victime ou ses proches d’une part, ou pour le coupable de l’autre ? Ne vaut-il pas mieux faire le procès à Milosevic devant le TPIY à la Haye que devant une juridiction pénale serbe à Belgrade28 ou musulmane dans un Kosovo que nous supposerons indépendant ?29 L’article 9 du statut du TPIY stipule : 1. Le tribunal international et les juridictions nationales sont concurremment compétents pour juger les personnes présumées responsables de violations graves du droit international humanitaire commises sur le territoire de l’exYougoslavie depuis le 1er janvier 1991. 2. Le tribunal international a la primauté sur les juridictions nationales. À tout stade de la procédure, il peut demander officiellement aux juridictions nationales de se dessaisir en sa faveur conformément au présent statut et à son règlement.30

Alors que le premier point de cet article pourrait laisser penser que nous nous situons dans la logique de la cinquième position, le deuxième point nous fait basculer dans la sixième position. Il n’y est certes pas dit que les violations graves du droit humanitaire ne peuvent être jugées que par le TI, mais il est dit d’une manière on ne peut plus claire que le TI « a la primauté sur les juridictions nationales ». 28

29

30

À la fin de la Première Guerre mondiale, des militaires allemands ont été traduits devant des tribunaux allemands qui se sont référé au droit pénal militaire allemand, droit qui autorisait toute action militairement nécessaire. Résultat : la plupart des accusés ont été blanchis et les Alliés étaient outragés. Voir à ce sujet : Gerd Hankel, « Deutsche Kriegsverbrechen des Weltkrieges 1914-18 vor deutschen Gerichten », in Wolfram Wette, Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001. À Nuremberg et Tokyo, ce sont les vainqueurs qui ont jugé les vaincus, et dès 1947 des voix se sont faites entendre, y compris dans le camp des Alliés, pour dénoncer ce qui apparaissait comme une justice de vainqueurs. C’est précisément pour éviter que la justice internationale n’apparaisse comme une justice des vainqueurs – qui ne serait au fond qu’une forme de vengeance – que de nombreux auteurs plaident en faveur d’une cour pénale internationale vraiment indépendante – aussi et surtout du Conseil de Sécurité des Nations-Unies. Voir à ce sujet Hans Köchler, Global Justice or Global Revenge ?, Wien, Springer, 2003. Cité in Pierre Hazan, La justice face à la guerre. De Nuremberg à La Haye, Paris, Stock, 2000, p. 278.

L’intervention punitive

221

Lorsque la procédure pénale n’a pas encore été entamée devant une juridiction nationale, le TI pourra se saisir de l’affaire comme bon lui semble. Lorsque la procédure a déjà été entamée devant une juridiction nationale, l’accusé ne pourra être traduit devant le TI que si : a) Le fait pour lequel il a été jugé était qualifié crime de droit commun ; ou b) La juridiction nationale n’a pas statué de façon impartiale ou indépendante, la procédure engagée devant elle visait à soustraire l’accusé à sa responsabilité pénale internationale, ou la poursuite n’a pas été exercée avec diligence.31

Ici se trouve proclamée l’idée d’une responsabilité pénale internationale : l’accusé n’a pas seulement à répondre de ses actes devant les juridictions de sa propre nation, mais devant une juridiction représentant la communauté internationale. Et s’il semble certes implicitement admis qu’une juridiction nationale peut incarner la communauté internationale, il est donné à entendre qu’une juridiction internationale est mieux capable de l’incarner. Si nous passons maintenant du statut du TPIY au statut de la CPI, nous noterons d’abord que son préambule affirme entre autres les points suivants :32 – des crimes graves concernant la communauté internationale doivent être punis – chaque État doit exercer sa juridiction contre les auteurs de tels crimes – la CPI est complémentaire aux juridictions pénales nationales Cette complémentarité est réaffirmée à l’article premier. L’article 17, pour sa part, énonce certaines conditions sous lesquelles la CPI pourra se saisir d’une affaire en passant en quelque sorte par dessus les juridictions nationales. Ainsi, s’il est établi que les juridictions nationales ne veulent pas ou ne peuvent pas correctement s’occuper de l’affaire, la CPI pourra intervenir. De même, s’il apparaît que les juridictions nationales ont voulu mettre le coupable à l’abri des sanctions prévues pour les crimes tombant sous la juridiction de la CPI, cette dernière pourra également intervenir. Si nous comparons l’état actuel du droit pénal international à celui du droit pénal national, nous pouvons retenir le point suivant. Dans le cadre du droit pénal national, l’État poursuit tous les crimes et délits et ne laisse pas la juridiction sur quelques-uns à la famille ou aux personnes directement 31 32

Ibid. p. 279. Le texte du Statut de Rome portant institution d’une cour pénale internationale se trouve in Adam Roberts, Richard Guelff (ed.), Documents on the Laws of War, Oxford, Oxford University Press, 2000 (3e édition), p. 667 sq.

222

Norbert Campagna

concernées. Si le droit pénal est le droit qui s’occupe des crimes et délits, il n’y a pas de droit pénal familial à l’échelle du droit national. Les parents ont certes le droit de punir leur enfant si celui a menti ou s’il n’a pas été sage, mais ces actes de l’enfant ne sont ni des crimes, ni des délits – mais tout au plus des actes de désobéissance vis-à-vis de l’autorité parentale. Dans le cadre du droit pénal international, la CPI ne se déclare compétente que pour certains crimes et délits, à savoir ceux énumérés à l’article 5 et spécifiés dans les articles 6 à 8 du Statut de Rome, à savoir le génocide, les crimes contre l’humanité, les crimes de guerre et le crime d’agression. Tous les autres crimes restent de la compétence exclusive des juridictions nationales. Et même pour les crimes énumérés à l’article 5, la CPI n’a qu’un rôle complémentaire, n’intervenant que si les juridictions nationales ne peuvent ou ne veulent pas intervenir. Dans le cadre du droit pénal national, les tribunaux pénaux ont donc une juridiction universelle sur tous les crimes et délits et eux seuls l’ont, alors que dans le cadre du droit pénal international, la CPI n’a pas de juridiction universelle sur tous les crimes et délits et n’est pas la seule instance à pouvoir juger des crimes et délits sur lesquels elle a le droit de juridiction.33 Cette asymétrie donne lieu a deux questions : Question 1 : Le droit pénal international ne devrait-il pas s’inspirer de l’état actuel du droit pénal national et attribuer à la CPI – ou mieux : à une multitude de CPI – une juridiction universelle sur tous les crimes et délits, ou alors au moins donner à la CPI l’exclusivité de la juridiction sur les crimes tombant dans son domaine de compétence, c’est-à-dire ceux énumérés à l’article 5 ? Question 2 : Le droit pénal national ne devrait-il pas s’inspirer de l’état actuel du droit pénal international et donc laisser, et ne serait-ce que partiellement, la juridiction sur certains crimes ou délits aux personnes directement concernées ? Si l’on veut, il s’agit de savoir qui peut et doit apprendre de qui. Pour répondre à cette question, il est intéressant de s’arrêter un instant au phénomène de l’amnistie et à sa place dans le cadre du droit pénal international.

33

Et il faudrait aussi noter que certains États, les États-Unis en tête, refusent de faire juger leurs ressortissants par la CPI.

L’intervention punitive

223

5. La justice pénale internationale et le problème de l’amnistie Pour les principaux théoriciens du droit de la nature et des gens, il ne faisait pas de doute que toute guerre – civile ou interétatique – devait nécessairement donner lieu à une amnistie si l’on voulait une paix durable. 34 Pour le dire en un mot, l’amnistie – pénale – consiste principalement en un oubli juridique,35 c’est-à-dire que les parties à l’amnistie s’engagent à faire comme si personne ne remplissait les conditions pouvant donner lieu à une procédure pénale, et ce alors que de facto ces conditions sont remplies par un grand nombre de personnes. Il s’agit donc de faire comme si on avait oublié que des crimes ont été commis par telles ou telles personnes. L’amnistie – pénale – met les coupables à l’abri de poursuites pénales.36 D’une actualité brûlante aux 17e et 18e siècles – notamment en raison de la Guerre de Trente ans qui s’est terminée avec les Traités de Westphalie qui prévoyaient une amnistie37 –, l’amnistie redevient un sujet de discussion déjà après la Première, mais surtout après la Seconde Guerre mondiale. Ces deux guerres mettent fin à l’idée d’irresponsabilité pénale des principaux dirigeants politiques. Si en 1918 l’ex-empereur allemand Guillaume II échappe aux poursuites pénales en s’exilant à Doorn aux PaysBas, après 1945, plusieurs des principaux dirigeants nazis et japonais sont traduits devant des tribunaux internationaux – composés, il faut le préciser, de juges nommés par les Alliés – à Nuremberg et Tokyo, et certains 34

35

36

37

L’amnistie est mentionnée et préconisée e.a. par Grotius, Vattel, Wolff ou encore Kant. Même la reine Christine de Suède reconnaît que « le remède des rébellions est le pardon », le pardon impliquant l’oubli (Christine de Suède, Apologies, Paris, Cerf, 1994, p. 229 et 230). Le mot et la chose sont d’origine grecque, la première grande amnistie ayant été proclamée après la guerre du Péloponnèse. Voir à ce sujet Nicole Loraux, La cité divisée, Paris, Payot, 1997. Sur l’amnistie, on consultera notamment Sandrine Lefranc, Politiques du pardon, Paris, PUF, 2002 (aperçu assez général) ; Stéphane Gacon, L’amnistie, Paris, PUF, 2002 (livre surtout axé sur la situation française). Sur le pardon de manière plus générale, mais en rapport avec le droit pénal, on pourra consulter Jacques Ricot, Peut-on tout pardonner?, Nantes, Pleins Feux, 2001 (2e édition) ; Jeffreie G. Murphy, Jean Hampton, Forgiveness and mercy, Cambridge, Cambridge University Press, 2002 (reprint). Sur ce sujet, voir Claire Gantet, La paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale XVIIe-XVIIIe siècles, Paris, Berlin, 2001.

224

Norbert Campagna

d’entre eux sont condamnés à mort et exécutés. Du moins pour les principaux responsables, le principe de l’amnistie ne vaut plus. Si le débat concernant le principe de l’amnistie a été occulté pendant les années de Guerre Froide, il sera relancé au cours des années 80 et 90, lorsque de nombreux États, notamment de l’Amérique centrale et méridionale, émergent de longues années de dictature. Le nouveau régime doit alors décider s’il poursuivra pénalement ou non ceux qui, pendant la dictature, se sont rendus coupables de graves violations du droit humanitaire. Dans ce qui suit, nous voudrions nous pencher plus particulièrement sur deux exemples, à savoir d’une part celui de l’Uruguay,38 et de l’autre celui de l’Afrique du Sud.39 En 1989, une majorité de 53% de la population de l’Uruguay s’est prononcée par référendum en faveur de la Ley de Caducidad – il y avait une participation de 80% et 41% ont refusé d’approuver la loi. Cette loi commence par les mots : « Il est reconnu qu’a cessé l’exercice de la prétention punitive de l’État pour les délits commis avant le 1er mars 1985 ». Cette dernière date marque l’arrivée au pouvoir d’un gouvernement civil, et la loi vise à exempter de poursuites pénales les militaires qui détenaient le pouvoir de 1973 à 1985 et qui s’étaient rendus coupables de crimes et délits de nature politique – les auteurs de crimes non politiques restent passibles de poursuites pénales. Estimant que cette loi acceptée par référendum lésait son droit à un procès équitable, un citoyen uruguayen déposa une plainte devant le Comité interaméricain des droits de l’homme, qui décida que la loi en question était contraire à certaines obligations que l’État uruguayen avait contractées en signant le Convention américaine des droits de l’homme. Selon cette Convention, l’Uruguay se devait d’accorder à chacun de ses ressortissants le droit de saisir les juridictions nationales. Or la loi 38

39

Voir le chapitre sur l’Uruguay dans Neil J. Kritz (ed.), Transitional justice. How emerging democracies reckon with former regimes. Volume II. Country studies, Washington, United States Institute of Peace Press, 1995. L’amnistie sud-africaine a fait l’objet de nombreuses études. N’en retenons que quelques-unes : Russell Daye, Political forgiveness. Lessons from South Africa, Maryknoll (NY), Orbis Books, 2004 ; Lyn S. Graybill, Truth and reconciliation in South Africa. Miracle or model ?, Lynne Rienner, Boulder, London, 2002 ; Richard A. Wilson, The politics of truth and reconciliation in South Africa. Legitimizing the Post-Apartheid State, Cambridge, Cambridge University Press, 2001 ; Sophie Pons, Apartheid. L’aveu et le pardon, Paris, Bayard, 2000.

L’intervention punitive

225

d’amnistie empêchait précisément la saisine de ces juridictions. En ce sens, elle violait un droit élémentaire de tout citoyen uruguayen et devait de ce fait être abrogée. Dans sa réponse, le gouvernement uruguayen affirme que la justice pénale ne devait pas être gouvernée par la logique de l’intérêt privé, mais par celle de l’intérêt public. Dès lors, si une majorité des Uruguayens estimait qu’il était dans l’intérêt de la communauté nationale de ne pas punir les militaires, cette décision devait prévaloir sur les revendications individuelles. Il ne fallait donc pas donner suite au fiat iustitia de l’individu si cela devait conduire à un pereat communitas – entendons : si l’absence d’amnistie risquait de provoquer une réaction d’autodéfense chez les militaires, réaction qui risquait de déboucher sur une guerre civile ou sur une nouvelle prise de pouvoir par les militaires. Un autre exemple où a prévalu la logique communautaire est celui de l’Afrique du Sud. Suite à l’amnistie décidée par les négociateurs de la nouvelle constitution sud-africaine, plusieurs personnes et organisations introduisirent une plainte devant la Cour Constitutionnelle d’Afrique du Sud, arguant que cette amnistie violait certains de leurs droits. Dans un arrêt mémorable40 – où il est notamment fait référence à Grotius –, cette Cour rejeta la plainte, estimant que les négociateurs de la nouvelle constitution avaient préféré la réconciliation à la vengeance. L’amnistie est présentée comme un instrument nécessaire pour refonder la société sudafricaine, pour établir des liens de confiance et de coopération entre les différentes communautés. Plutôt que de faire perdurer le conflit entre les différentes communautés et ainsi attiser de nouvelles haines et rancunes, il valait mieux tourner la page et regarder de l’avant. Notons toutefois que dans le cas de l’Afrique du Sud, l’amnistie n’était pas inconditionnelle : pour en bénéficier, il fallait reconnaître publiquement son implication dans les actes imputés et il fallait divulguer tout ce que l’on savait à leur sujet. L’amnistie était donc offerte en échange contre la vérité.41 Certains des crimes commis par le gouvernement militaire uruguayen et ceux commis par le régime blanc au pouvoir en Afrique du Sud – mais

40

41

Que j’ai pu trouver sur Internet : www.truth.org.za/legal/azapo.htm (consulté le 11 juin 2001). D’où l’importance de la Commission Vérité et Réconciliation. Sur ce genre de commissions, voir notamment Robert I. Rothberg, Dennis Thompson (ed.), Truth v. Justice. The morality of truth commissions, Princeton, Oxford, Princeton University Press, 2000.

226

Norbert Campagna

aussi, ne l’oublions pas, par les communautés noires – appartiennent à la catégorie de crimes pour lesquels la CPI est aujourd’hui compétente. À l’époque des deux amnisties en question, cette cour n’existait pas encore. Et comme elle ne peut aujourd’hui être saisie de plaintes se référant à des crimes antérieurs à son entrée en fonction, ses portes restent closes tant aux victimes uruguayennes que sud-africaines. Mais supposons un instant qu’elle ait déjà existé au moment de l’amnistie sud-africaine. Aurait-elle dû pouvoir contraindre l’État sudafricain à ne pas mettre en œuvre une politique d’amnistie et à juger et sanctionner toutes les personnes qui s’étaient rendus coupables de crimes contre l’humanité pendant la période de l’apartheid ? Et si cet État n’avait pas voulu juger et sanctionner lui-même, aurait-on dû l’obliger à livrer à la CPI toutes les personnes que cette dernière lui aurait réclamées – selon le célèbre principe du dedere aut iudicare ? Et si l’État sud-africain avait refusé d’accéder à cette demande, la cour aurait-elle pu ordonner une intervention armée pour se saisir des personnes qu’elle estimait devoir juger ou aurait-elle pu ordonner des sanctions d’un autre type, comme par exemple des sanctions économiques, analogues à celles qu’a connues l’Afrique du Sud pendant les années de l’apartheid ? Admettons pour les besoins de l’argumentation que toutes les victimes aient été de nationalité sud-africaine et qu’elles aient toutes décidé de pardonner et de tourner la page. Et ce qui vaut des victimes vaut aussi pour les proches des victimes. Et admettons en outre que cette décision de pardonner n’ait pas été prise sous la contrainte, de quelque nature qu’elle soit. Animée par une logique de pardon inconditionnelle, toute la population décide de tourner la page et de donner une nouvelle chance à ceux qui se sont rendus coupables de graves violations du droit humanitaire – mais aussi et surtout une nouvelle chance au pays de se remettre de décennies de haine. Nous aurions donc une situation où aucune demande de sanction pénale n’émane des personnes directement concernées, ni de leurs proches. Celles-ci et ceux-ci décident unanimement de tourner définitivement la page et de regarder vers l’avant plutôt que de se laisser poursuivre par les démons du passé.42 Dans une telle situation, doit-on néanmoins les obliger à engager des poursuites pénales ou à livrer les criminels afin que des poursuites pénales 42

Un tel cas ne se présentera bien sûr jamais, mais cela ne doit pas nous empêcher de voir ce qu’il en serait s’il se présentait.

L’intervention punitive

227

soient engagées devant une juridiction autre que nationale ? Un État tiers peut-il vraiment encore s’arroger le droit d’intervenir punitivement ? Si au lieu d’un État membre de la communauté internationale nous avions affaire à la famille Lambda, membre d’une communauté nationale, les choses seraient on ne peut plus claires. Si les membres de la famille Lambda se sont rendus coupables de crimes les uns contre les autres – quatre morts, huit blessés graves et une dizaine de blessés légers lors d’une gigantesque dispute familiale –, l’État interviendra, même si les membres de la famille ont tous décidé de se pardonner et de faire table rase du passé. Et il interviendrait même s’il n’y avait eu que des blessés – les morts posent bien sûr problème dans la mesure où ils ne sont plus capables d’exprimer leur pardon. Y a-t-il de bonnes raisons de refuser la souveraineté juridictionnelle pénale de la famille dans le cadre du droit national, tout en acceptant cette même souveraineté dans le cadre du droit international ? Doit-on la refuser dans les deux cas ? Ou l’accepter dans les deux cas ? La question ne se pose d’ailleurs pas seulement dans le cadre d’une situation telle que celle qu’a connue l’Afrique du Sud, mais elle peut aussi se poser dans le contexte d’une guerre interétatique, lorsque les deux États belligérants décident de s’accorder une amnistie mutuelle. À supposer que lors de cette guerre des crimes contre l’humanité ont été commis de part et d’autre, doit-on exiger que les coupables soient tous traduits en justice ?

6. Justice pénale et /ou réconciliation Lorsqu’un crime a été commis, la première chose qui vient à l’esprit est qu’il faut absolument s’emparer du coupable pour le punir.43 Dans nos sociétés modernes, ces tâches incombent à l’État et la victime n’est d’une certaine manière que l’occasion de mettre en route la machine pénale. La procédure et le procès pénal tel que nous les connaissons aujourd’hui ne visent pas à réconcilier la victime et le coupable ou à tenter d’amorcer un dialogue entre les deux, mais à punir le coupable. Au cours des dernières 43

Dans cette contribution, je n’ai malheureusement pas pu m’étendre sur la question de la raison d’être de la sanction pénale. Est-elle purement rétributive ou doit-on aussi, sinon même exclusivement lui reconnaître un caractère préventif – particulier ou général? Est-elle expiatoire et sert-elle à l’amendement du coupable?

228

Norbert Campagna

années toutefois, de nombreux auteurs ont remis en question cette conception d’une justice pénale prioritairement rétributive et qui avait tendance à ne concevoir le criminel que comme « un corps sur lequel appliquer la condamnation » 44. Certes, le criminel a commis un crime et de ce fait il a porté atteinte à la dignité de la victime – et au sentiment de sécurité de la population dans son ensemble. Par son crime, il s’est implicitement arrogé le droit de traiter autrui comme un pur instrument. Mais en se contentant de le punir, l’État ne le transforme-t-il pas à son tour en un pur instrument, comme le suggère Eusebi, que nous venons de citer ? Et le procès ne perpétue-t-il pas aussi le statut d’instrument de la victime ? Le tribunal ne se sert-il pas de la victime et de ses dires pour pouvoir juger de la culpabilité de l’accusé ? Lorsque la victime a déposé à charge, elle peut s’en aller et ce sont les juges et/ou les jurés qui s’occupent de la suite de l’affaire. Il ne s’agit pas, entendons-nous bien, de ne plus réagir du tout aux crimes et délits, mais de remettre en question un modèle qui conçoit le crime prioritairement comme la violation d’une norme étatique – et où il incomberait donc prioritairement sinon même exclusivement à l’État d’intervenir –, alors qu’il faudrait aussi et peut-être même avant tout le concevoir comme la violation d’un lien de confiance entre personnes. Le crime nécessite certes une réaction, mais cette réaction ne doit pas nécessairement être une réaction exclusivement ou prioritairement punitive, qui réaffirme le pouvoir de la norme et de l’État, qui est le garant de son respect, mais qui peut aussi être une réaction reconstructive qui cherche à rétablir un lien de confiance ou du moins le dialogue entre la victime et le coupable. Les partisans de la justice reconstructive plaident donc en faveur d’un certain désinvestissement de l’État et de sa logique rétributive afin de laisser d’abord les parties directement concernées trouver un moyen de

44

Luciano Eusebi, « La riforma del sistema sanzionatorio penale : una priorité elusa ? », in Lorenzo Picotti, Giorgio Sapnger (dir.), Verso una giustizia penale ‹ conciliativa ›, Milano, Giuffrè, 2002, p. 33. Sur le sujet, voir aussi Antoine Garapon, « La justice reconstructive », in Antoine Garapon, Frédéric Gros, Thierry Pech, Et ce sera justice. Punir en démocratie, Paris, Odile Jacob, 2001. Et également John Braithwaite, Philip Pettit, Not just deserts. A republican theory of criminal justice, Oxford, Clarendon, 2000 (reprint), et Heather Stran, John Braithwaite (ed.), Restorative justice and civil society, Cambridge, Cambridge University Press, 2001.

L’intervention punitive

229

reconstruire le lien de confiance rompu.45 Ce qui est important, ce n’est donc pas que le coupable soit puni, mais que la victime acquière à nouveau le sens de sa dignité et que le coupable reconnaisse à nouveau cette dignité. La justice reconstructive a donc pour objectif la réconciliation à travers la reconnaissance réciproque. Si la victime et le coupable sont prêts à se reconnaître mutuellement et à se réconcilier librement, l’État doit se dessaisir de sa prétention punitive. Sur le plan de la juridiction nationale, la justice reconstructive veut donc imposer des limites à l’intervention punitive de l’État. Le principe que tout crime doit nécessairement être puni est ainsi remis en question. Or au moment où certains mettent en question ce principe au niveau national, il est affirmé de manière quasi-catégorique au niveau des relations internationales. Comme nous l’avons vu, le préambule du statut instituant la CPI affirme clairement que les violations du droit humanitaire doivent être punies, que l’impunité des responsables politiques doit donc disparaître, et le texte du statut laisse aussi entendre que si les États ne veulent pas punir ces violations, la CPI pourra le faire. La justice pénale internationale s’inspire d’un modèle purement rétributiviste de la justice et semble implicitement accepter le principe fiat iustitia pereat mundus. Si la punition de toutes les violations du droit humanitaire est un devoir catégorique, les principaux responsables de la politique d’apartheid en Afrique du Sud auraient dû être traduits en justice et punis, et l’accord des négociateurs concernant l’amnistie aurait dû être considéré comme nul et non avenu. De même, les juges suprêmes auraient dû accéder à la demande des parties et déclarer contraire sinon à la constitution, du moins aux principes éternels du droit la loi d’amnistie. Quel aurait été le résultat ? Probablement la guerre civile entre les communautés noires et blanches. L’amnistie était le prix à payer pour repartir de l’avant et pour espérer établir un État de droit. Vouloir appliquer de manière stricte la justice pénale rétributive aux relations internationales, c’est parfois risquer de plonger le pays dans une nouvelle époque de non droit généralisé. Loin de permettre d’aller de l’avant et de reconstruire un espace politique commun, une application stricte et sans nuances de la justice pénale pourrait avoir des effets polémogènes et empêcher la reconstruction nationale. 45

L’État peut certes être important pour créer le cadre institutionnel permettant de renouer des relations de confiance.

230

Norbert Campagna

Comme l’acceptation d’un recours systématique au principe de l’intervention humanitaire telle que définie plus haut, le recours systématique au principe de l’intervention punitive pourrait risquer de provoquer un état de guerre généralisée, chaque nation s’estimant en droit de punir telle ou telle nation qui aurait commis ou laissé commettre des crimes contre l’humanité. Burlamaqui notait déjà il y a deux siècles et demi : Le bien de la Société vouloit ainsi que l’on suivît ces maximes : car si ceux qui demeurent neutres étoient autorisés à connoître des actes d’hostilité exercés dans une guerre étrangère, & en conséquence à punir ceux qu’ils jugeroient en avoir commis d’injustes & à prendre les armes pour ce sujet, au lieu d’une guerre il s’en éleveroit nécesairement plusieurs, & ce seroit une source féconde de querelles & de troubles.46

Dire cela, ce n’est pas, loin s’en faut, nier l’existence des victimes et laisser de côté leur exigence de justice. Encore faudrait-il s’entendre sur ce qu’exigent exactement ces victimes ou leurs proches. Certes, elles exigent la punition des coupables, mais l’exigent-elles comme fin ultime ou comme moyen ? S’agit-il simplement de faire souffrir celui qui a fait souffert – et nous serions alors plutôt dans un scénario de justice vindicative ou vengeresse47 – ou bien ne s’agirait-il pas plutôt de rétablir un équilibre qui a été rompu, un équilibre que nous pourrions qualifier de « dignitaire » ? En faisant souffrir la victime, le bourreau a nié la dignité de la victime et la souffrance du bourreau permet éventuellement à la victime de considérer que la dignité du bourreau est aussi niée. Cette double négation de la dignité ne conduit toutefois pas à un rétablissement de la dignité – il y a des cas où deux moins ne font pas un plus. Plutôt que de concevoir la justice comme impliquant une descente vers l’égalité dans la violation de la dignité, il serait plus opportun de la concevoir comme visant prioritairement à rétablir la dignité de la victime. Comme le dit justement Nigel Biggar : « Justice is primarily not about the punishment of the perpetrator but about the vindication of victims ».48 46

47

48

Jean-Jacques Burlamaqui, Principes du droit politique. Tome second, Caen, Centre de philosophie politique et juridique de l’Université de Caen, 1984, p. 85. Pour une défense – modérée – du sentiment de vengeance, voir Charles K. B. Barton, Getting even. Revenge as a form of justice, Open Court, Chicago, Lasalle (Ill.). Nigel Biggar, « Burying the past : Making peace and doing justice after civil conflict », in Societas Ethica (Hg.), Vergangenes Unrecht vergeben? Jahresbericht 2000, Arhus, 2001, p. 142.

L’intervention punitive

231

Sans remettre radicalement en question la dimension purement pénale de la justice, il faut dans certains cas aussi tenir compte d’autres dimensions.49 La juste réponse suite à un crime, fut-il un crime horrible, ne doit pas nécessairement être une réponse pénale. Et surtout, il faut permettre à la communauté nationale directement concernée de rechercher sa propre réponse aux violations du droit humanitaire dont ses membres ont été victimes. Parfois, cette communauté placera l’exigence d’une nouvelle harmonie sociale au-dessus de l’exigence d’une punition des coupables. Est-ce à dire que l’exigence de justice des victimes doit quand même être sacrifiée sur l’autel de la paix sociale ? Que les individus doivent se taire lorsque le bien de la communauté l’exige ? Que la logique individualiste qui a conduit à la Déclaration Universelle des Droits de l’Homme doit céder le pas à une logique collectiviste ou communautaire ? Que l’individu ne vaut plus rien lorsque la survie de la communauté est en jeu ? Vivat communitas pereat iustitia ? Répétons-le : la dimension purement rétributive n’est qu’une dimension de la justice et le fait de laisser certains crimes impunis ne signifie pas un abandon de la justice en tant que telle. Rendre justice à la victime, c’est d’abord et avant tout reconnaître officiellement son statut de victime. Mais il ne faut pas l’enfermer dans ce statut. Ce dont la victime a besoin avant tout, c’est de pouvoir s’affirmer à nouveau dans et sur l’espace public. La victime doit à nouveau pouvoir se concevoir comme un agent que l’on respecte. En ce sens, l’amnistie ne doit pas être un oubli généralisé. De même qu’il faut distinguer plusieurs dimensions de la justice, il convient aussi de distinguer plusieurs dimensions de l’amnistie.50 Ainsi, l’amnistie pénale doit être distinguée de l’amnistie civile. Exempter quelqu’un de poursuites pénales n’implique pas qu’il doive également être exempté de poursuites civiles ou que la victime, si elle n’a pas « droit » à la punition du coupable n’a pas non plus droit à un geste de la communauté lui permettant de retrouver sa dignité. Ces deux types d’amnistie juridique doivent être distingués d’autres formes d’amnistie, comme par exemple ce que l’on pourrait appeler 49

50

Voir à ce sujet Rama Mani, Beyond retribution, Cambridge, Cambridge University Press, 2002. J’ai tenté esquisser une telle typologie dans Norbert Campagna, « Amnestie : Wenn das Vergessen zur staatsbürgerlichen Pflicht wird », in Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, vol. 90, cahier 4, 2004, p. 530-549.

232

Norbert Campagna

l’amnistie aléthéique, c’est-à-dire l’oubli de la vérité. On peut très bien se rappeler les faits et les victimes sans pour autant désigner aussi chaque fois les auteurs de ces faits. Comme le note Ruti Teitel, « adoption of amnesty policies do not necessarily mean forgetting the underlying past wrongs ».51 Faire passer ce message n’est certes pas facile dans le cadre d’une société qui se juridiciarise de plus en plus et qui, plutôt que de rechercher des solutions négociées, visant à la réconciliation et à l’apaisement, a de plus en plus tendance à se servir de l’instrument judiciaire en inscrivant ce dernier dans une logique de la confrontation.52 Il ne s’agit pas, loin s’en faut, de nier « la vertu du conflit », pour reprendre le titre d’un livre de Mark Hunyadi,53 mais il y a conflit et conflit. Un conflit qui s’inscrit exclusivement dans une logique de la vengeance et qui n’a pour but que de punir ou de faire punir le coupable n’est pas un conflit constructif, contrairement à un conflit qui s’inscrit dans une logique de la reconstruction et qui a pour but de définir une politique qui empêchera que de nouveaux crimes soient commis. Malgré l’étymologie du mot, l’amnistie n’exclut pas nécessairement tout effort de mémoire. Il s’agit, en gros, de réinvestir le politique par opposition au juridique. Un tel réinvestissement implique nécessairement qu’une marge de manœuvre assez large soit laissée à la communauté politique afin qu’elle puisse trouver la réponse adéquate aux crimes dont ses membres auront été les victimes.54 Prévoir une intervention quasi-automatique d’une institution judiciaire internationale, à l’instar de ce qui se passe dans le contexte national, peut être contre-productif. La CPI – ou toute autre instance judiciaire internationale – doit être, comme le note très justement Antoine Garapon, « un instrument dans le but ultime de réveiller la souveraineté, de la stimuler 51 52

53

54

Ruti Teitel, Transitional justice, Oxford, Oxford University Press, 2000, p. 59. Pendant que je rédigeais cet article, j’ai entendu sur Europe 1 et sur RTL que chaque année, environ 2000 jeunes traduisaient leurs parents en justice pour les obliger à payer leurs études. Le Code Civil prévoit en effet que les parents doivent subvenir aux besoins de leurs enfants tant que ceux-ci n’y subviennent pas par eux-mêmes. Selon la jurisprudence, le devoir des parents ne s’éteint que le jour où les enfants auront un emploi stable. Mark Hunyadi, La vertu du conflit. Pour une morale de la médiation, Paris, Cerf, 1995. Nous nous limitons ici au cas où il n’y a pas de victimes originaires d’une autre communauté politique. Ce cas pose des problèmes spécifiques que nous ne traiterons pas ici.

L’intervention punitive

233

et non de l’étouffer, de responsabiliser les peuples et non de continuer, sous les meilleurs prétextes du monde, un colonialisme insidieux ».55 Un tel colonialisme se traduirait par exemple par la volonté d’imposer une solution exclusivement ou prioritairement pénale à un pays comme l’Afrique du Sud. Otfried Höffe n’a certes pas tout à fait tort lorsqu’il affirme que le droit pénal se rencontre dans toutes les cultures et que certains crimes sont aussi punissables dans toutes les cultures.56 Mais il n’empêche que la priorité que notre culture accorde à la dimension rétributive de la réponse au crime, priorité qui est depuis longtemps établie dans le droit national et qui est en train de s’établir également dans le droit international, n’est pas universelle et n’est pas toujours le meilleur moyen de répondre à une situation donnée. Prenons le cas du Rwanda.57 On estime à 500’000 le nombre de personnes impliquées dans les massacres. Environ 100’000 coupables ont été arrêtés. Il faudrait plusieurs décennies pour qu’ils puissent toutes être jugés.58 Les autorités rwandaises ont donc décidé de recourir à la pratique du gacaca, une sorte de reddition de comptes informelle se déroulant au sein des communautés villageoises et ayant pour objectif principal le rétablissement des liens communautaires rompus. Le gacaca s’inscrit dans une logique de palabre, telle que la décrit Jean-Godefroy Bidima. Par la palabre, nous dit l’auteur, « c’est la relation qu’il faut sauver et non une vengeance qu’il faut assouvir ».59 La très grande majorité des Rwandais ayant participé au génocide se verront confrontés à leur communauté villageoise réunie de manière informelle plutôt qu’à un tribunal pénal.60 55 56

57

58

59 60

Des crimes qu’on ne peut ni punir ni pardonner, Paris, Odile Jacob, 2002, p. 318. Otfried Höffe, Gibt es ein interkulturelles Strafrecht?, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1999. Voir Ramesh Thakur, « Dealing with guilt beyond crime : The strained quality of universal justice », in Ramesh Thakur, Peter Malcontent (ed.), From sovereign impunity to international accountability. The search for justice in a world of states, Tokyo, New York, Paris, United Nations University Press, 2004. Dans la mesure où le droit pénal exige l’absence de tout doute, il est souvent difficile de faire condamner pénalement quelqu’un. Moghalu parle même de deux siècles. Voir Kingsley Chiedu Moghalu, « Reconciling fractured societies : An African perspective on the role of judicial prosecutions », in Ramesh Thakur, Peter Malcontent (ed.), op. cit. p. 203. Jean-Godefroy Bidima, La palabre, Paris, Michalon, 1997, p. 31. Comme le notent Ratner et Abrams, il faudra bien entendu veiller à ce que formes traditionnelles et informelles de justice soient compatbles « with mini-

234

Norbert Campagna

Devant le tribunal d’Arusha – le Tribunal Pénal International pour le Rwanda, un tribunal ad hoc –, d’autre part, ne comparaissent que les principaux responsables du génocide. Ce tribunal emploie quelques 800 personnes et a un budget annuel d’environ 90 millions de dollars. En sept ans, il a prononcé neuf verdicts. Le calcul est vite fait : 630 millions divisés par 9 égal 70 millions de dollars par verdict. Le prix à payer pour un verdict correspond donc au prix de revient de dizaines d’écoles. Dans ce contexte, on est en droit de se demander quels investissements devraient être considérés comme prioritaires, de sorte que la question de la justice pénale s’inscrit dans un contexte plus large de justice distributive. Accorder une place prioritaire à la justice pénale rétributive pourrait bien parfois équivaloir à négliger d’autres aspects de la justice. Que diraient les victimes ou leurs proches ?61 Ne préféreraient-elles pas que l’on construise des écoles et des hôpitaux avec l’argent dépensé pour des procès qui, pour certains, débouchent sur une relaxe pour manque de preuves ? 62

61

62

mal human-rights standards » (Steven R. Ratner, Jason S. Abrams, Accountability for human rights atrocities in international law, Oxford, Oxford University Press, 2001 (2e édition), p. 184). Il s’agit donc d’éviter des exécutions sommaires, telles que celles qu’ont connues certains pays d’Europe après la Seconde Guerre mondiale – ainsi, Guido Crainz estime à 10’000 les exécutions en Italie de collaborateurs ou des fascistes après la chute du régime de Mussolini (Guido Crainz, « La giustizia sommaria in Italia dopo la seconda guerra mondiale », in Marcello Flores (dir.), Storia, verità, giustizia, Milano, Mondadori, 2001, p. 162). La question est par exemple posée par Leonard Mc Carthy : « Should the limited resources of the South African state be expended on trials when, for example, the demand for poverty relief is waiting to be addressed? » (« Prosecutorial discretion », in Charles Villa-Vicencio, Erik Doxtader (ed.), The provocations of amnesty. Memory, justice and impunity, Trenton (N.J.), Africa World Press, 2003, p. 15). Comme ce fut le cas lors du procès de Marcus Malan en Afrique du Sud : 1 an et demi de procédures, 3 millions de dollars à charge de l’Afrique du Sud et un acquittement au bout du compte. On pourra certes toujours affirmer avec Mark Osiel que de tels procès ont avant tout une fonction pédagogoque, dans la mesure où ils permettent à la communauté de faire retour sur ses normes et croyances fondamentales (Mark Osiel, Mass atrocity, collective memory and the law, New Brunswick, London, Transaction Publishers, 2000, p. 2). Mais on se demandera si un discours public ne peut pas produire le même effet. Je trouve à ce propos que Carlos Santiago Nino s’avance un peu trop loin lorsqu’il affirme que « the quality of narration in an adversarial trial cannot be fully repli-

L’intervention punitive

235

7. Conclusion Dans cette contribution, nous avons voulu attirer l’attention sur certains risques et inconvénients liés à l’extension du paradigme classique de la justice pénale aux relations internationales. Selon ce paradigme classique, tout crime ou délit doit être puni, l’État se chargeant du procès et de la punition. Cette punition n’était pas tant due à la victime directement concernée ou à ses proches – à ceux et à celles qui avaient souffert dans leur chair –, mais soit à la norme abstraite qui avait été violée, soit à l’État – garant de la norme et donc aussi bafoué dans sa fonction de garant –, soit encore à la communauté dans son ensemble, dans la mesure où la violation de la norme l’a ébranlée dans sa confiance à l’égard de la norme et de l’État. Dans le cadre des relations internationales, la communauté internationale ou l’humanité – prise extensivement (tous les êtres humains) ou intensivement (ce qui en moi fonde ma dignité) – ont remplacé la communauté nationale du droit pénal national et la CPI a remplacé les tribunaux pénaux nationaux – et a par ailleurs réinvesti une fonction qu’occupait jadis, du moins pour les tenants de la thèse papaliste, le souverain pontife. S’il est certes encore admis que les juridictions pénales nationales peuvent juger les auteurs de crimes contre l’humanité, il est néanmoins affirmé que si elles ne le font pas ou si elles ne le font pas comme elles devraient le faire, la CPI peut se subsister à elles et demander à ce que les coupables lui soient livrés. Pour l’instant, la CPI ne dispose pas encore d’une police pour aller appréhender les coupables, mais gageons que dans certains cas au moins, les États-Unis, même s’ils ne reconnaissent pas la juridiction de la CPI, pourraient être prêts à assumer ce rôle. Une telle substitution de la justice pénale internationale à la communauté nationale pourrait se justifier dans des cas où l’État concerné ne fait pas le moindre effort, de quelque nature que ce soit, pour digérer son passé et si elle ne fait rien du tout pour les victimes. Mais il faut remettre en question son bien-fondé lorsque l’État concerné laisse reconnaître une volonté claire et ferme de rendre justice aux victimes – et rappelons que cette justice ne doit pas nécessairement être de nature pénale – et d’aller cated by other means » (Carlos Santiago Nino, Radical evil on trial, New Haven, London, Yale University Press, 1996, p. 146). Nino étant mort en 1993 – le livre dont nous venons de citer à être publié à titre posthume par Owen Fiss –, il n’a pas pu intégrer dans sa réflexion l’expérience de l’Afrique du Sud.

236

Norbert Campagna

vers la consolidation de la démocratie et de l’État de droit. Si le choix est entre la justice pénale et rien, le choix de la première est justifié, mais si le choix est entre la justice pénale et d’autres formes de justice, c’est-à-dire si les victimes et/ou leurs proches – mais aussi la communauté dans son ensemble – reçoivent des biens – dans un sens très large du terme, n’incluant pas seulement des biens matériels – susceptibles de rétablir le sens de leur dignité, le choix de la justice pénale ne devrait pas toujours s’imposer.63 Si l’impunité de certains auteurs de crimes contre l’humanité peut réveiller en nous un sentiment de révolte, celui-ci ne doit toutefois pas nous faire oublier que le fait de suivre l’adage fiat iustitia pereat mundus nous donnera peut-être la justice dans un cas précis ici et maintenant, mais que cette justice ponctuelle pourrait bien faire disparaître les conditions de possibilité de la justice pour le futur. Dans un mundus où un voile est parfois jeté sur la justice – pénale –, il peut à nouveau y avoir place, si nécessaire, pour cette justice,64 mais lorsque le mundus aura disparu, il n’y aura plus de place pour la justice, quelle qu’elle soit.

63

64

Dans ce sens, mais de manière fort prudente, Bruce Broomhall : « It is possible that adequate acknowledgement, compensation and bona fide efforts at institutional reform might render acceptable a partial and non-discriminatory failure to punish individuals through the criminal justice system » (Bruce Broomhall, International justice and the international criminal court. Between sovereignty and the rule of law, Oxford, Oxford University Press, 2003, p. 99-100). Il ne s’agit pas pour moi de remettre radicalement en question la justice pénale, comme le fait par exemple Klaus Lüderssen (Abschaffen des Strafens?, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1995).

Studia philosophica 64/2005

VÉRONIQUE ZANETTI

Entre Charybde et Scylla ? Les dilemmes du droit d’intervention The moral dilemma at the heart of the theory of just war stems from the contradiction between two opposing duties: on the one hand, the duty to provide aid, as far as possible, to those whose lives are endangered; and, on the other hand, the duty not to endanger the lives of the innocent. The theory of just war resolves this dilemma, firstly by privileging one of these two duties over the other; and secondly, by imposing conditions on justification concerning the principle of discrimination against civilian populations and the principle of proportionality. The principle of proportionality thus acts as a moral constraint on justification. Nevertheless, the notion of proportion still remains vague. The present paper examines the sense and function of this notion, and analyses the underpinnings of its ethical foundation.

Après avoir victorieusement résisté au chant des Sirènes, Ulysse et ses compagnons se trouvèrent aux prises avec un danger plus grand encore. Devant eux, la mer formait un étroit passage gardé d’un côté par Scylla, un monstre hurlant, crachant par six bouches des flammes et des cendres, et de l’autre par Charybde, un rocher surplombant devant lequel les flots formaient un vaste tourbillon engloutissant la mer. Aucun navigateur n’était parvenu jusque-là à franchir les deux obstacles et les carcasses de vaisseaux échoués jonchaient les rives. « Tu ne sauveras ton navire et ton équipage que si tu es prêt à sacrifier un de tes compagnons à chacune des gueules de Scylla » avait dit Circé. Ulysse dut s’y résoudre et perdit ainsi six de ses meilleurs guerriers. Pleurant leurs camarades morts, les membres de l’équipage, une fois franchi l’abîme, se retournèrent pour voir Charybde avaler les flots de sa gueule béante. Ulysse se trouve devant un véritable dilemme moral. S’il veut sauver son vaisseau et son équipage, il doit sacrifier la vie de six de ses compagnons. S’il refuse de céder à ce chantage et qu’il considère n’avoir pas le droit de jouer la vie de quelques-uns contre celle d’un plus grand nombre, il met en danger la vie de tous. Pourtant, il doit traverser la gorge (à moins de revenir en arrière, ce qui équivaudrait probablement aussi à un suicide collectif).

238

Véronique Zanetti

Malgré certaines dissimilitudes,1 le dilemme moral dans lequel se trouve Ulysse rappelle celui qui est au coeur de la théorie de la guerre juste. Le dilemme réside dans le fait que, quelle que soit l’action entreprise, des personnes devront mourir et leur mort est une conséquence de la décision prise. Le dilemme naît de la collision entre deux devoirs. Dans le cas d’Ulysse : entre le devoir de ramener ses compagnons à Ithaque, d’une part, et celui de ne pas mettre leur vie en danger, de l’autre. Dans le cas de l’intervention qui nous intéresse, le dilemme naît de la collision entre le devoir de venir en aide, dans la mesure des possibilités, aux personnes dont la vie est en danger et celui de ne pas porter atteinte à la vie de personnes innocentes. Chacun sait qu’il y aura des victimes innocentes quelle que soit la décision prise. Toute intervention militaire, en effet, s’accompagne à notre époque inévitablement de victimes civiles dans la mesure où les combats ne se s’effectuent pas sur un front permettant une distinction claire entre les combattants et les non combattants. Aucune intervention militaire ne présente la garantie d’une « opération chirurgicale » parfaitement réussie. Des victimes civiles sont inévitablement à déplorer et ce risque, même si les nouvelles technologies militaires parvenaient à le réduire à son minimum, ne sera jamais équivalent à zéro.2 Inexorablement donc, Scylla prendra sa part. D’un autre côté, sans intervention extérieure – et donc 1

2

L’épisode dramatique ne présente en réalité qu’une analogie restreinte avec le type de cas qui nous occupe. En effet, aucun destin ni aucune obligation matérielle ne contraignent une force d’intervention à engager ses forces militaires entre les gorges de Charybde et de Scylla. L’intervention n’est pas un acte d’auto-défense, contrairement au combat contre les deux puissances naturelles. De plus, les forces intervenantes ne prendront vraisemblablement la décision d’entreprendre une action militaire que si elles sont dans la position d’une claire supériorité stratégique et technologique. Enfin, par leur intervention militaire, les forces intervenantes ne mettent pas seulement en danger leurs propres combattants mais également ceux des forces opposées et surtout des civils innocents dans le camp adverse. Il n’est pas exclu que dans le futur les guerres ne se fassent plus avec des moyens militaires classiques et que les attaques se concentrent sur l’infrastructure technologique d’un pays (qu’elle infecte p. ex. les différentes banques de données sur lesquelles repose l’organisation d’un pays) plutôt que sur les personnes et les choses. Néanmoins, même si une telle évolution est probable (et infiniment moins coûteuse pour l’agresseur), il est peu vraisemblable qu’elle se substitue entièrement à la stratégie militaire classique.

Entre Charybde et Scylla ?

239

sans la prise en compte du sacrifice de la vie de certains (des soldats comme des civils) – un nombre important de personnes perdra la vie. Certes, on peut s’imaginer qu’Ulysse refuse d’assumer le dilemme moral et que, en faisant marche arrière, il conteste la pertinence de son devoir : il n’y a aucune obligation de ramener ses compagnons à tout prix à Ithaque. Parallèlement, on peut nier qu’il y ait un devoir de venir en aide à ceux qui sont dans une situation de détresse, surtout si les victimes ne se trouvent pas dans une proximité immédiate. Sans obligation d’aide, il n’y a pas de responsabilité morale face aux victimes de l’inaction.3 On ne sacrifie rien à Charybde, et Scylla se serait servi de toute façon. Comme Ulysse, je crois néanmoins qu’il n’y a pas de voie qui passe outre au dilemme moral. Nous ne pouvons pas tourner le dos à la détresse d’autres peuples sous prétexte de n’avoir envers eux que l’obligation négative de ne pas leur porter atteinte. Je suis consciente que ce point est hautement controversé. J’y reviendrai plus loin. Comme Ulysse, donc, je m’engage dans les gorges, entre Charybde et Scylla. Et comme Ulysse, je considère que, « toutes proportions gardées », la prise en compte des victimes potentielles peut être moralement justifiée. La justification fait donc intervenir la notion de proportion : quelle que soit la justice du but recherché, l’action ne se justifie pas à n’importe quel prix. La proportion place une contrainte morale à la justification. Malgré cela, la notion de proportionnalité reste une notion très peu claire. Dans ce qui suit, je tenterai d’examiner de plus près sa fonction ainsi que le fondement éthique dont elle dérive.

1. Signification et fonction du principe de proportionnalité La formulation légale du principe de proportionnalité est contenue dans le premier Protocole des conventions de Genève. Le Protocole fait dériver le principe de proportionnalité du principe de discrimination – ou d’immunité – en vertu duquel il est établi une distinction du point de vue du droit inter3

Le dilemme moral en question ainsi que le jeu des alternatives est très bien analysé par Thomas Schramme dans son article « Humanitäre Intervention : eine contradictio in adjecto ? », in Michael Anderheiden, Stefan Huster, Stephan Kirste (Hg.), Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit und Steuerungsfähigkeit des Rechts, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2001, p. 97-119.

240

Véronique Zanetti

national humanitaire entre la protection dont jouit la population civile et la protection des combattants. La population civile jouit du droit d’immunité, c’est-à-dire qu’elle ne doit pas faire l’objet d’attaques directes ou de menace de violence (art. 51 (5)). Les termes du Protocole sont les suivants : Among others, the following types of attacks are to be considered as indiscriminate : (a) an attack by bombardment by any methods or means which treats as a single military objective a number of clearly separated and distinct military objectives located in a city, town, village or other area containing a similar concentration of civilians or civilian objects ; and (b) an attack which may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated.4

Deux principes sont donc ici énoncés : – le principe de proportionnalité, selon lequel les moyens utilisés doivent être adéquats par rapport au but poursuivi et selon lequel les effets positifs d’une action doivent excéder ses effets négatifs ; – le principe de l’immunité morale des non-combattants, qui exige que ces derniers ne soient jamais la cible directe et intentionnelle des combats. Les deux principes opèrent étroitement l’un avec l’autre (ils sont complémentaires). Le principe d’immunité, en posant une limitation substantielle et non seulement quantitative au principe de proportionnalité, met un frein aux calculs conséquentialistes. En effet, du strict point de vue conséquentialiste, il est possible de soutenir qu’une action qui sacrifie la vie d’un nombre considérable de personnes par des moyens radicaux est acceptable si elle permet de sauver ce faisant un nombre plus important de personnes qu’elle n’en sacrifie.5 C’est ainsi que l’on a justifié les bombar4 5

Je souligne. James Tuner Johnson défend une position quasi-conséquentialiste en posant qu’une guerre est justifiée lorsque la somme du bien obtenu outrepasse la somme des maux engendrés : « The overall good achieved by the use of force […] be greater than the harm done » (Morality and Contemporary Warfare, New Haven, 1999, p. 27-28). Cette position n’est toutefois pas parfaitement conséquentialiste dans la mesure où elle dénie la légitimité d’une guerre qui,

Entre Charybde et Scylla ?

241

dements massifs des villes allemandes à la fin de la deuxième guerre mondiale ou l’usage de la bombe atomique à Hiroshima et à Nagazaki, en affirmant qu’en portant atteinte au moral de la population et des troupes, on contraindrait ainsi l’ennemi à s’avouer vaincu. Or, s’il se peut que ce genre de pronostic s’avère correct – pour autant qu’il soit possible de le vérifier –, un tel calcul est moralement inacceptable car il fait des êtres humains des entités dont seul le nombre compte et qui servent uniquement de moyen en vue de l’accomplissement d’une fin. Le principe d’immunité impose donc une restriction de principe au calcul de proportionnalité. D’autre part, inversement, le principe de proportionnalité introduit lui aussi une limite nécessaire au principe d’immunité ou de discrimination. Dans la théorie classique de la guerre juste, le principe d’immunité est en effet évalué essentiellement du point de vue de l’intention de l’action. Ce qui est condamnable selon le jus in bello, c’est de tuer intentionnellement des civils ou de les utiliser comme moyens dans la stratégie de guerre. Si les victimes ne sont en revanche pas intentionnelles, si elle le sont « par accident », elles ne contreviennent pas aux règles du jus in bello.6 Cette distinction entre les faits intentionnels et les faits non intentionnels ouvre toutefois la porte à de nombreux abus. La mort de civils peut être justifiée comme étant due à un accident (on ne « savait pas » qu’un lieu considéré comme stratégique abritait des civils, mais on aurait pu le savoir si l’on s’était informé) ou comme étant l’effet non intentionnel d’une action militaire jugée indispensable. Il ne suffit donc pas de considérer une action militaire du point de vue de ses intentions. Elle doit être évaluée à la lumière de ses résultats, ce que fait le principe de proportionnalité. En résumé, le principe d’immunité opère comme une contrainte morale par rapport aux actions proportionnellement acceptables et, inversement, le

6

tout en atteignant des résultats optimaux, ne combattrait pas pour la bonne cause. Cf. Thomas Hurka, « Proportionality in the Morality of War », in Philosophy & Public Affairs, 2005, 33/1, p. 39. La théorie de la guerre juste introduit encore d’autres critères que je ne peux discuter ici. Ces critères sont les suivants : 1) L’acte est bon en lui-même ou, au moins, indifférent ; 2) l’effet direct de la guerre (p. ex. l’attaque des soldats ennemis) est moralement acceptable ; 3) L’intention des acteurs est bonne, c’est-à-dire qu’il ne recherche que des fins acceptables. Les effets déplorables ne sont pas voulus ; 4) Les effets positifs sont suffisants pour compenser les effets négatifs. Cf. Michael Walzer, Just and Unjust Wars, New York, 1977, p. 153 ; cf. également Robert Holmes, On War and Morality, Princeton, 1989, p. 163 sq.

242

Véronique Zanetti

principe de proportionnalité établit une limite aux actions intentionnellement justifiées. Avant d’examiner de plus près le principe de proportionnalité, il est utile de revenir sur la nature du rapport qui existe entre le droit dans la guerre (jus in bello) et le droit de faire la guerre (jus ad bellum).

2. Rapport entre jus in bello et jus ad bellum Ce qui peut paraître surprenant dans le texte du Protocole, c’est qu’il fait dépendre l’indiscrimination de l’action du respect de la proportionnalité mais non pas de la justice de la cause. En effet, formulée positivement, la citation du Protocole donne à comprendre qu’une attaque militaire n’est pas indiscriminée – elle n’est donc pas condamnable du point de vue du droit humanitaire – si la perte en vies civiles (ou en objets civils) est causée par des dommages collatéraux (donc non intentionnels) qui n’excèdent pas les avantages militaires directs recherchés. Tant que la proportionnalité est respectée, l’attaque peut donc être considérée comme non indiscriminée. Comment doit-on comprendre cela ? On peut juger l’indiscrimination de l’action uniquement en fonction des résultats escomptés et donc indépendamment de la justice du but poursuivi. C’est ce que suggère l’expression « avantage stratégique militaire anticipé ». Une telle lecture nous conduit toutefois à des conclusions moralement inacceptables voire absurdes. Une guerre d’agression par exemple peut respecter les règles du jus in bello (en respectant par exemple le principe d’immunité des civils et de proportionnalité et en traitant les prisonniers conformément au droit humanitaire). Elle n’en deviendra pas juste pour autant. Cette interprétation est moralement inacceptable. Elle est même absurde dans la mesure où, telle qu’elle est formulée, la relation de proportion se présente comme une relation mathématique qui peut être résumée comme suit : plus les avantages militaires attendus sont grands, plus le seuil de tolérance quant au nombre de victimes civiles est élevé. Si l’« avantage militaire » n’est pas à comprendre dans un sens uniquement stratégique, cela signifie qu’il doit être compris en relation avec la justice du but escompté. Dans ce cas, la relation de proportionnalité dépend de la nature de l’intervention. Si l’on retient cette interprétation, faut-il en conclure qu’une guerre juste justifie l’existence de victimes civiles alors qu’une guerre injuste ne la justifie pas ? Les théoriciens de la guerre juste sont partagés sur ce point. Pour certains auteurs, la proportionnalité est nécessairement liée à la nature de

Entre Charybde et Scylla ?

243

l’action (thèse de la dépendance) 7. La doctrine des effets collatéraux n’a-telle d’ailleurs pas pour but d’excuser les effets indésirables, étant donnée précisément la justice de la cause ? En effet, si la cause est elle-même moralement inacceptable, les effets collatéraux négatifs le sont forcément aussi. En revanche, du point de vue de la théorie de la guerre juste, la justice du but recherché permet d’excuser la mort d’innocents pour autant que leur nombre n’excède pas les bénéfices escomptés et que leur mort n’ait pas été intentionnelle. Le dilemme moral se résout du fait de la priorité d’un devoir sur l’autre : le devoir de sauver un grand nombre d’innocents prévaut sur le devoir de ne pas porter atteinte à la vie de civils (les conditions de proportionnalité et d’immunité respectées). Une guerre juste justifie une certaine proportion de victimes innocentes inintentionnelles alors qu’une guerre injuste ne la justifie pas. Le principe de proportionnalité est donc dépendant de la justice de la cause. Cette thèse n’échappe toutefois pas au paradoxe (voir même au cynisme) mentionné plus haut selon lequel plus la guerre est justifiée plus le nombre de victimes innocentes peut être élevé. De plus, du fait que, dans la majorité des conflits, chacune des parties croit agir pour la bonne cause, le nombre de victimes s’élève des deux côtés créant ainsi une spirale de la violence qui, des deux côtés, tend à persuader les acteurs qu’ils ont raison de se battre contre un ennemi ignorant ainsi les règles de la proportionnalité. Ce ne peut pas être dans ce sens que le principe de proportionnalité est envisagé par le droit international puisqu’il est justement chargé de limiter le nombre de victimes innocentes et non pas de l’augmenter. Pour d’autres auteurs au contraire, comme pour Michael Walzer par exemple, l’obligation de discrimination entre combattants et non combattants n’est pas relative à la justice de la cause (thèse d’indépendance). Jus in bello et jus ad bellum sont logiquement indépendants : « In our judgement of the fighting we abstract from all considerations of the justice of the case. » 8 Une des raisons de défendre la thèse de l’indépendance est l’absence d’un point de vue neutre permettant de déterminer quelle est la cause en 7

8

Cf. Jeff McMahan, « Innocence, Self-Defense and Killing in War », in The Journal of Political Philosophy, 1994, vol. 2, n° 3, p. 193-221. Cf. également A. J. Coates, The Ethics of War, Manchester, Manchester University Press. 1997, p. 167 sq. Michael Walzer, op. cit. p. 127.

244

Véronique Zanetti

soi juste. Dans la majorité des cas, les soldats engagés dans une guerre sont persuadés d’agir pour une cause légitime. S’ils ne l’étaient pas, ils n’obéiraient aux ordres que par crainte des sanctions ou par l’attrait du gain, motivations précaires, peu fiables et terriblement coûteuses à longue durée. En l’absence d’un critère objectif pour évaluer la nature du combat, il est alors préférable que les soldats – ainsi que les civils – soient traités des deux côtés de manière identique : « If we are to judge what goes on in the course of a battle, then, we have to treat both combatants […] on the assumption that each believes himself in the right. » 9 Étant donnée la relation d’indépendance, nous sommes donc amenés à conclure que la violation du principe de discrimination et de proportionnalité représente une violation du jus in bello qui n’entame pas pour autant la justice de la guerre. D’autre part, inversement, puisque les critères du jus in bello ont une validité indépendante de celle du jus ad bellum, la justice de la cause ne fournit pas une licence pour revoir le principe de proportionnalité à la hausse. Les droits des innocents ne peuvent pas être simplement suspendus en fonction des résultats escomptés.10 Les droits individuels ont une valeur absolue et leur violation reste moralement fausse, même s’il est moralement justifié d’intervenir et donc de les mettre en danger. Cette interprétation offre une lecture forte du dilemme moral. Comme le résume Nagel : « We must face the pessimistic alternative […] that the world can present us with situations in which there is no honorable or moral course for a man to take, no course free of guilt and responsibility for evil. » 11 Les droits individuels à la vie de personnes innocentes sont des droits absolus et il est moralement répréhensible d’y porter atteinte, quelle que soit la justice de la cause. L’absolutisme des droit individuels prend le contre-pied du calcul utilitariste : la mort d’une personne innocente ne devient pas moralement légitime du fait d’être au service du salut de plusieurs autres. Le dilemme moral ne se résout pas en relativisant les droits de certains en fonction de l’intérêt du plus grand nombre, ni en faisant prévaloir un des deux devoirs sur l’autre. Les deux termes du dilemme demeurent antinomiques. Néanmoins, l’absolutisme des droits ne conduit pas automatiquement à des conclusions pacifistes. Il peut y 9 10 11

Walzer, op. cit. p. 128. Cf. Walzer, op. cit. p. 228. Thomas Nagel, Mortal Questions, ch. 5 : « War and Massacre », Cambridge University Press, 1979, p. 73.

Entre Charybde et Scylla ?

245

avoir des situations extrêmes dans lesquelles il faut se décider pour une action qui coûte la vie à des personnes innocentes. Cette décision, même incontournable, ne constitue toutefois pas une justification à la violation du droit de certains.12 Puisque la thèse de l’indépendance comme celle de la dépendance font toutes deux référence à la relation de proportionnalité, il faut se demander sur quel principe cette relation se fonde.

3. Fondement du principe de proportionnalité La notion de proportionnalité, on le sait, est utilisée dans plusieurs autres domaines que celui de la guerre juste.13 On s’y réfère par exemple dans le droit pénal (une punition doit être proportionnelle à l’intensité du crime commis, une compensation doit être proportionnelle au tort subi) ou dans le domaine de la justice économique (un salaire doit être proportionnel au travail produit ; la répartition des biens doit être proportionnelle aux mérites, etc…). Quelle que soit la différence d’usage entre ces cas d’application, on peut montrer que, dans chacun d’eux, le principe de proportionnalité se réclame de l’idée d’un dû ou d’un mérite. Le criminel mérite sa peine étant donné le tort causé ; la victime mérite la compensation étant donné le tort subi ; le travailleur mérite son salaire, étant donnée sa participation à l’augmentation du capital, etc… Au fondement du principe de proportionnalité, il y a l’idée de réciprocité des droits et des obligations. C’est parce qu’au droit à la vie ou à la propriété des individus correspond l’obligation de respecter ces droits et c’est parce que ces droits et obligations obligent les individus respectivement les uns envers les autres que ces droits sont à honorer ou que leur violation doit être compensée. On le constate immédiatement, cette conception de la notion de proportionnalité n’a rien de commun avec celle qui est retenue par la théorie de la guerre juste. On ne peut pas prétendre, en effet, qu’une intervention est

12 13

Nagel, op. cit. p. 66-67. Cf. David Rodin, « Collateral Harm to Civilians : Puzzles about Proportionality ». Ce texte qui n’est pas encore publié, a été présenté à Melbourne dans le cadre d’une conférence internationale organisée par le « Center for Applied Philosophie and Public Ethics » (CAPPE) sur le thème « Civilian Immunity » en novembre 2003.

246

Véronique Zanetti

juste pour autant que la peine infligée aux victimes civiles n’excède pas ce qui est dû à ces dernières, ou qu’une attaque militaire est proportionnelle étant donnée la punition que les victimes civiles méritent. Certes, on peut imaginer que certaines personnes sont prêtes à soutenir le contraire. C’est ainsi que l’on a par exemple justifié les bombardements des villes allemandes à la fin de la deuxième guerre mondiale, en affirmant qu’un peuple qui a majoritairement élu un des plus grands criminels de l’histoire et qui l’a soutenu jusqu’au bout mérite ce qui lui est arrivé. D’après cette lecture, la hauteur de la proportion ne se justifie pas par l’extrême urgence (par la menace que représente le pouvoir), mais par la faute morale de la population considérée comme un collectif. Penser ainsi revient toutefois à assimiler l’intervention à une expédition punitive. Or le droit international condamne la guerre punitive comme traitant sans discrimination tous les individus en coupables et comme étant incompatible avec l’espoir d’un rétablissement de la paix. Si le principe de proportionnalité de la guerre juste ne peut pas être interprété conformément à l’usage qui en est fait dans le droit pénal ou dans la justice économique, est-ce que cela signifie que le principe de réciprocité morale dont il est dérivé est un principe inadéquat pour la théorie de la guerre juste ?14 Dans ce qui suit je proposerai un modèle d’interprétation qui devrait permettre de maintenir le principe de réciprocité comme base morale du principe de proportionnalité. Je montrerai néanmoins, dans la dernière partie, les limites empiriques de cette conception.

4. L’hypothèse contractualiste Dans la conception traditionnelle de l’ingérence, le droit d’intervention humanitaire est défini comme le droit qu’a un État, un groupe d’États ou une organisation internationale, d’utiliser la force armée ou de menacer d’y recourir contre un État tiers pour protéger les droits des citoyens de cet État ou pour rétablir la paix. La décision d’intervenir est donc prise par les 14

J’ai rejeté plus haut l’interprétation conséquentialiste comme menant à un paradoxe moralement intenable. Cette interprétation, en effet, en établissant une relation directe entre la proportionnalité et la nature du but poursuivi, en arrive à conclure que, plus le but est moralement désirable, plus le nombre de victimes innocentes toléré peut être élevé.

Entre Charybde et Scylla ?

247

agents de l’intervention (les gouvernements), conformément à leur interprétation de l’urgence de la situation et conformément à la relation de proportion qu’ils établissent entre les coûts et les bénéfices escomptés. En reprenant le mythe dont nous sommes partis, c’est comme si Ulysse décidait à lui seul s’il doit ou non traverser les gorges et s’il est légitime de sacrifier la vie de six de ses camarades pour sauver celle des autres. La situation pourrait toutefois être différente. On pourrait s’imaginer qu’Ulysse et ses compagnons conviennent, au début de leur périple, du but de leur voyage et des conditions qu’ils sont prêts à endurer pour l’atteindre. On pourrait par exemple imaginer qu’ils acceptent de prendre en compte la perte de leur vie dans la lutte contre les forces adverses, pour autant que le sacrifice de leur vie ne soit pas prémédité (il faut que le choix des victimes soit le fruit du hasard), que l’équipage ne se mette pas inconsidérément dans une situation dangereuse et que leur sacrifice soit nécessaire à la poursuite du voyage (que l’action soit entreprise en dernier ressort, après épuisement de toute alternative). Cette situation peut sembler peu plausible. Pourtant, nous sommes tous les jours en train d’effectuer des calculs de même nature, même s’ils sont exprimés dans des termes moins dramatiques. Que nous prenions la voiture, le train ou l’avion, que nous décidions que la limite de vitesse sur les autoroutes soit fixée à 120, 130 ou qu’elle soit illimitée, nous sommes prêts à accepter être une victime potentielle parmi un nombre dont le taux statistique de tolérance est fixé en proportion des avantages escomptés. De même, nous sommes prêts à autoriser la police ou les ambulances, dans des circonstances d’urgence, à rouler sans tenir compte des limitations fixées par les règles de la circulation, tout en sachant que cela causera un nombre statistiquement déterminé d’accidents. Le calcul de proportionnalité auquel on a affaire ici est un calcul typiquement conséquentialiste. Toutefois, et c’est le point sur lequel j’aimerais mettre l’accent, dans la situation fictive proposée, le principe de proportionnalité retenu n’est pas le résultat d’une maximisation des bénéfices qui se ferait aux dépens des droits individuels. Il émane d’une décision collective dans laquelle les risques sont librement consentis. Certes, on peut rétorquer que, pour la victime d’une intervention militaire, le mal est fait et son droit individuel à la vie a été violé malgré le consentement tacite donné par la majorité. Néanmoins, cela fait une différence pour un individu si les risques qu’il encourt sont connus et pris en compte pour un but qu’il estime être juste ou s’ils lui sont imposés en fonction d’une cause et d’un calcul proportionnel auxquels il n’a pas

248

Véronique Zanetti

donné son approbation. Il sait alors que le dilemme n’est pas soluble et que ses droits à la vie n’ont pas été annulés en faveur de la justice de la cause défendue.15 Imaginons pour cela une position originale rawlsienne dans laquelle les parties en présence décident des conditions de garantie de leur sécurité. Ces personnes savent qu’elles vont vivre dans un monde dans lequel de nombreux pays sont en proie à des conflits ethniques qui se soldent parfois par des massacres, et dans lequel certains gouvernements se rendent responsables de violations massives des droits de leurs citoyens. Ce que ces personnes ignorent, c’est le pays dans lequel elles vont vivre et la position qu’elles auront dans la société (elles ne savent donc pas si elles seront combattantes ou non). Quelles seraient les démarches que ces personnes entreprendraient pour assurer leur sécurité ? La théorie du contrat social a lié de manière convaincante l’origine de la société civile à la recherche collective d’une meilleure protection des intérêts individuels. C’est entre autres choses parce que les individus ne sont pas capables d’assurer à eux seuls leur sécurité qu’ils renoncent librement à leur droit naturel à l’autodéfense pour le confier à une autorité agissant conformément à des règles valides pour tous. Dans un premier temps, les individus concluent un contrat d’assurance – pour reprendre l’analogie dont Nozick se sert – avec les autorités responsables de leur sécurité. Néanmoins, sachant que les chances sont grandes pour que ces mêmes autorités s’avèrent incapables de les protéger ou qu’elles risquent même d’abuser de leur pouvoir pour violer la propriété ou le droit à la vie des personnes qu’elles sont censées protéger, il serait rationnel pour les membres de l’État de conclure un deuxième contrat avec une police d’assurance supranationale à qui est confiée la tâche subsidiaire d’intervenir lorsque leurs droits à la sécurité sont systématiquement ignorés ou violés par la première assurance responsable de les garantir. Les individus délégueront toutefois à l’assurance supranationale un pouvoir d’intervention sous certaines réserves : sous réserve, en premier lieu, d’une claire détermination des violations par des autorités désignées et reconnues compétentes ; sous réserve, en second lieu, de l’incapacité de 15

C’est dans ce sens que je comprends la tentative de Nagel mentionnée plus haut de relier l’absolutisme des droits à la possibilité de justifier, auprès de la victime, ce qui lui est fait : « To connect absolutist limitations with the possibility of justifying to the victim what is being done to him. » (op. cit. p. 67)

Entre Charybde et Scylla ?

249

leur gouvernement à les protéger ou de sa claire intention de violer les droits d’une partie, d’un groupe ou de la majorité des citoyens ; sous réserve, en troisième lieu, de la volonté exprimée ou visiblement présente de la population du pays concerné d’obtenir une aide extérieure, et sous réserve, enfin, du droit, pour la partie intéressée, de réclamer l’interruption de l’intervention lorsqu’elle considère que le rapport de proportionnalité n’est plus moralement tolérable (ceci malgré tout l’arbitraire que comporte la détermination de ce rapport). Dès lors, dans cette construction, ce sont les individus et non pas les États qui sont les détenteurs du droit d’intervention, dans le sens où le contrat leur confère le droit à ce que l’instance qui les protège (la première ou la deuxième) 16 intervienne en cas de nécessité. De même que les intéressés déterminent les cas dans lesquels une intervention serait souhaitable, de même donnent-ils, théoriquement, leur consentement au principe d’immunité des civils et à un degré de proportionnalité considérée comme rationnellement acceptable. Le principe de proportionnalité ici défendu est fondé sur une conception de la justice articulée autour du respect dû à chacun et donc de l’égale considération de ses intérêts, d’une part, et du principe de réciprocité d’autre part. L’atteinte potentielle à la vie de certains individus que comporte l’intervention humanitaire doit être justifiable auprès des individus qu’elle concerne. Dans ce sens, on ose croire avec Nagel que : « If the justification for what one did to another person had to be such that it could be offered to him specifically, rather than just to the world at large, that would be a significant source of restraint. »17

5. Les nouveaux défis L’internationalisation de la violence organisée privée apporte une nouvelle dimension à la question du droit d’intervention. Les acteurs de la violence organisée sont des acteurs privés. Ils ne représentent pas un État mais agissent au nom d’une idéologie partagée par des fanatiques dispersés à travers le monde. Face à des forces militaires beaucoup plus nombreuses et beaucoup mieux armées qu’eux, les acteurs privés recourent aux stratégies 16

17

Le modèle de sécurité construit ici présente dans les deux cas l’intervention comme une action de police. Cf. Nagel, op. cit. p. 67-68.

250

Véronique Zanetti

typiques de l’asymétrie dans l’emploi la force. Le terrorisme constitue une de ces stratégies. Or une des armes du terrorisme est justement de semer la terreur au sein de la population civile en n’annonçant ni le lieu ni le moment de l’attaque, en choisissant des cibles non militaires et en inversant la relation de proportionnalité dans le sens d’une relation inversement proportionnelle entre le nombre de victimes civiles et l’importance de l’attaque armée. Ce qui importe pour les terroristes, c’est de causer le plus de dégâts et de victimes possibles avec un minimum de moyens. La vaste dispersion géographique des cibles des attaques terroristes s’accompagne de deux phénomènes : d’une part, les actes terroristes de ces dernières décennies ont fait preuve d’un arbitraire dans le choix des victimes qui distingue cette forme de terrorisme de sa forme « traditionnelle ».18 Contrairement aux actes terroristes politiques s’inscrivant dans la lignée de la guerre partisane, les actions du terrorisme international ne dépendent pas de la reconnaissance et du soutien (financier ou idéologique) de sympathisants. En conséquence, les acteurs non seulement ne cherchent pas à épargner les civils, mais ils ne s’inquiètent pas même de faire payer à leurs coreligionnaires le prix de leurs actions. Les attentats de New York, de Bali, de Kerbala en Irak ou de Quetta au Pakistan qui, indistinctement, ont fait mourir des chrétiens, des juifs ou des musulmans, illustrent ce développement. D’autre part, certains attentats, en choisissant des cibles spectaculaires, s’immiscent directement dans le cours des décisions politiques intérieures d’un pays. L’exemple de l’attentat de Madrid est particulièrement parlant à cet égard : en punissant la population madrilène pour l’allégeance de son gouvernement au gouvernement américain, les auteurs ont cherché à impressionner la population et à influencer directement son choix électoral. En résumé, les risques d’une intervention ne sont pas seulement portés par les troupes d’intervention ou par la population des pays où l’on intervient. Si l’on reprend la situation dont nous sommes partis, c’est comme si Scylla, pour punir Ulysse de sa témérité, envoyait des flots vengeurs à travers les océans du monde afin d’engloutir arbitrairement d’autres vaisseaux chargés de passagers ou de se venger sur les marins d’Ithaque. La nouvelle situation de terreur globale ne modifie en rien la description du dilemme moral. Ce qui a changé, c’est la détermination des sujets susceptibles d’évaluer la relation de proportionnalité et envers qui 18

Cf. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg, 2003.

Entre Charybde et Scylla ?

251

l’atteinte potentielle au droit à la vie doit être justifiée. Au lieu d’y avoir, d’un côté, les forces d’intervention et, de l’autre, la population – innocente – du pays où l’on intervient, nous avons des victimes « innocentes » des deux côtés ainsi que, potentiellement, sur un terrain neutre. Cela signifie-til, dès lors, que le modèle contractualiste proposé est, par principe, inadéquat ?19 S’il l’est, nous sommes par la même occasion amenés à rejeter le principe de proportionnalité comme étant également inadéquat. En effet, nous avons montré jusqu’ici que le principe de proportionnalité retenu dans la guerre juste ne peut pas non plus être fondé sur le principe de l’exercice réciproque de la justice (il est étranger à l’idée de mérite) ni sur le principe de conséquence (le principe de proportionnalité devrait limiter le nombre de victimes innocentes et non pas l’augmenter en proportion de la justice du but). Pourtant, à moins d’en conclure à une illégitimité générale de l’intervention humanitaire,20 il serait grave de l’abandonner. L’internationalisation du terrorisme et, par là même, des victimes potentielles de la violence armée, nous met brutalement devant une évidence politique à laquelle l’évolution de la globalisation de ces dernières décennies nous a rendus attentifs : nous ne sommes pas seulement les membres d’une communauté de destin mais également les membres d’une communauté de décision dont l’extension ne se limite pas aux frontières des États. Dans un monde d’interdépendance devenu étroit, nous sommes amenés à supporter aussi bien les conséquences de notre passivité envers les victimes de gouvernements dictatoriaux placés au pouvoir pour servir les intérêts des nations influentes que les conséquences de notre politique économique extérieure et des énormes injustices sociales qu’elle engendre.21 Dans le Traité de paix perpétuelle et dans la doctrine du droit, Kant affir19

20

21

Il se peut qu’ils ne soit qu’empiriquement inadéquat. Dans un contrat original global, on peut toutefois imaginer que les citoyens aient la possibilité de se prononcer sur la relation de proportionnalité acceptable entre les risques encourus et les avantages attendus. Le cadre restreint de cette contribution ne me permet malheureusement pas de discuter cet aspect de la question. Ce que fait p. ex. Rüdiger Bittner. Cf. « Humanitäre Interventionen sind unrecht », in Georg Meggle (Hg.), Humanitäre Interventionsethik, Paderborn, Mentis, 2004, p. 99-106. Thomas Pogge, dans ses diverses publications, est un des avocats les plus convaincants de notre devoir positif à l’échelle globale envers les maux dont nous sommes, par procuration, responsables. Voir en particulier sa monographie : World Poverty and Human Rights, Oxford, Polity, 2002.

252

Véronique Zanetti

me très justement : « Étant donné l’inévitable rapport de voisinage, tu dois avec tous les autres sortir de cet état de nature pour entrer dans un état juridique, c’est-à-dire un état de justice distributive. » 22 « Tous les hommes, qui influent les uns sur les autres, doivent avoir une constitution civile. » 23 Puisque les hommes comme les États influent les uns sur les autres, il appartient à la logique du contrat social d’intégrer dans l’élaboration de ses clauses tous ceux que ses décisions concernent. En liant la légalité de l’intervention à la collectivité de la décision, la Charte de l’ONU, au moins idéalement, place la communauté internationale devant ses responsabilités.24 Puisque tous les hommes peuvent potentiellement être des victimes de Scylla et payer de leur vie les décisions de politique extérieure prises par leurs États, il est temps que les citoyens du monde soient à leur tour représentés au sein des instances supranationales décidant de la légitimité d’intervenir.25

22 23 24

25

Doctrine du droit, AA VI 307. Traité de paix perpétuelle, AA VIII, 349, note. Certes, elle ne le fait que théoriquement puisque la décision d’intervention incombe au Conseil de Sécurité qui, de par sa structure et sa législation, ne représente de fait pas les États d’une manière démocratique. A. J. Coates fait la même constatation, même s’il n’en tire pas les mêmes conclusions : « The proportionality of the war needs to be viewed in relation to the international community as a whole. Nothing less will do, given the universalist principles of just war thinking, according to which the moral context of war is always a global one embracing the community of mankind with a common good that transcends and takes precedence over the goods of particular states. » (op. cit. p. 177-178)

Studia philosophica 64/2005

BARBARA BLEISCH

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe This paper deals with Véronique Zanetti’s contractarian account of humanitarian intervention set forth in her contribution to this volume. The paper focuses on an examination of the consistency of her argument, hence it does not represent a critique of contractualism itself. Although it seems convincing to base the criterion of proportionality on contractualism, as Zanetti does, it is argued that two additional requirements are needed for the criterion to find mutual agreement. First, a long-term obligation to post-conflict reconstruction resting on intervening parties. Second, a condition that no harm be inflicted on involuntary combatants, both among the intervening and among the resident troops. It is further argued that, even with these additions, humanitarian interventions might not be mutually agreeable in the present situation. In terms of considerations of rationality and cost-benefit analysis, it is more rational for the contracting parties to resort to nonviolent interventions instead of military action, which necessarily involves innocent casualties and massive destruction. Given the fact that world poverty represents a humanitarian catastrophy and a far-reaching human rights violation, it is claimed that from a contractualist perspective humanitarian purposes would have to favour nonviolent measures of poverty reduction and conflict prevention. At the beginning of the 21st century, we face a world of extraordinary challenges – and of extraordinary interconnectedness. We are all vulnerable to new security threats, and to old threats that are evolving in complex and unpredictable ways. Either we allow this array of threats, and our responses to them, to divide us, or we come together to take effective action to meet all of them on the 1 basis of a shared commitment to collective security.

1. Einleitung Können Humanitäre Interventionen gerechtfertigt werden? Diese Frage wurde in den vergangenen Jahren – insbesondere im Anschluss an den Krieg im Kosovo und an die unterlassene Intervention in Rwanda – intensiv diskutiert. Die Beantwortung der Frage erfolgte meist zweistufig: In 1

UNO-Generalsekretär Kofi Annan (2004).

254

Barbara Bleisch

einem ersten Schritt wurde jeweils gefragt, ob die Souveränität eines Staates unter bestimmten Umständen verletzt werden darf. Anders als die Autonomie einer individuellen Person ist die Souveränität des einzelnen Staates kein sich selbst genügender und begründender Endzweck. Sie ist vielmehr aus der permanenten Legitimation des Staates durch seine Bürger abgeleitet.2 Werden diese Bürger misshandelt oder verfolgt und nimmt der Staat somit die Schutzaufgaben, die er gegenüber seinen Bürgern innehat, nicht mehr wahr, so ist seine Souveränität nicht länger bedingungslos legitimiert – dies behaupten zumindest jene, die eine Intervention unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt halten. Damit muss freilich nicht gemeint sein, dass Staatsgrenzen über «keine moralische Bedeutung» verfügen,3 sondern es genügt, die Ansicht zu vertreten, dass Staatssouveränität «nicht das höchste Gut» ist und Menschenrechte unter gewissen Umständen stärker wiegen als Souveränitätsrechte von Staaten.4 Diese Meinung vertritt auch Véronique Zanetti in ihrem in diesem Band abgedruckten Beitrag. Doch selbst wenn die Souveränität zum Schutz der Bürger prinzipiell durchbrochen werden darf, so ist noch nicht klar, unter welchen Umständen eine Intervention legitim ist. In einem zweiten Schritt lässt sich nämlich fragen, ob Menschen in Not geholfen werden darf und soll, wenn dies nur noch mit militärischen Mitteln geschehen kann, mit Mitteln also, die selbst notwendigerweise Leid und Zerstörung mit sich bringen. Die Formulierung «ob Menschen in Not geholfen werden darf und soll» ist mit Absicht gewählt, denn in der Tat stellt sich mit der Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Erlaubtheit und der Gebotenheit einer militärischen Aktion ein Problem, das in der Literatur oft unterschlagen wird. Wie hängen die Legitimität einer Intervention und die Verpflichtung zur Intervention zusammen? Im zweiten Abschnitt will ich deshalb kurz auf diese Frage eingehen. Der dritte Abschnitt widmet sich Véronique Zanettis kontraktualistischer Interpretation des Prinzips der Proportionalität, das zur Lösung der Frage sowohl nach der Legitimität als auch nach der Gebotenheit von militärischen Interventionen herangezogen wird. Diese vertragstheoretische Position wird im Folgenden weiterentwickelt und auf deren innere Konsistenz hin befragt. Der vierte Abschnitt fokus2 3 4

Vgl. Merkel (2003), S. 37. Bittner (2004), S. 99. Meggle (2004), S. 35.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

255

siert auf die Frage, wer in Interventionen eigentlich die unschuldigen Todesopfer sind, und es wird eine Ergänzung von Zanettis Kriterien der Legitimität einer Intervention angeregt. Im fünften Abschnitt schließlich werde ich für eine Neuorientierung des Diskurses über Interventionen zu Gunsten jener Hilfspflichten plädieren, die mit friedlichen Mitteln erfüllt werden können. Die völkerrechtliche Dimension der Legitimität Humanitärer Interventionen wird in diesem Aufsatz nicht thematisiert.

2. Erlaubtheit und Gebotenheit der Humanitären Intervention Wer nach der Legitimität Humanitärer Interventionen fragt, will wissen, ob es erlaubt ist, mit militärischen Mitteln gegen grobe Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Dies scheint jedoch in vielen Fällen nicht die angemessene Frage zu sein. Wir fragen uns angesichts der Berichte des Grauens in Rwanda nicht, ob wir dem Morden hätten Einhalt gebieten dürfen, sondern wir wollen wissen, ob wir nicht hätten eingreifen müssen.5 Die Frage nach der Pflicht scheint somit «der eigentliche Nerv des Problems» zu sein.6 Und erst auf dem Hintergrund dieser Frage wird verständlich, wie Georg Meggle den Pazifismus als Verbrechen bezeichnen kann: Weil man unter gewissen Umständen eingreifen muss (und zwar selbst dann, wenn dazu militärische Mittel notwendig sind), ist eine generelle Ablehnung von Waffengewalt in seinen Augen moralisch verwerflich.7 Weshalb werden die Debatten um militärisches Eingreifen dennoch von der Frage nach deren Erlaubtheit dominiert? Eine Antwort liegt auf der Hand: Die Erlaubtheit einer Handlung ist eine notwendige Bedingung für deren Gebotenheit. Wir haben nicht die Pflicht, eine Handlung auszuführen, die nicht erlaubt ist, oder anders gesagt: Wir müssen nicht tun, was wir nicht tun dürfen. Insofern scheint die Frage nach der Legitimität einer Intervention prioritär zu sein. Erst wenn geklärt worden ist, ob Humanitäre Interventionen legitime Handlungen sind, kann darüber diskutiert werden, ob auch eine Pflicht zur Intervention besteht. 5

6 7

Eine hilfreiche Diskussion der Frage, ob Rettungshandlungen unter Hinnahme der Tötung Unschuldiger Pflicht sein können, hat Lothar Fritze vorgelegt; siehe Fritze (2004), S. 172ff. Pfannkuche (2004), S. 139. Vgl. Meggle (2004), S. 36.

256

Barbara Bleisch

Einige Autoren haben jedoch behauptet, dass die Frage nach der Erlaubtheit einer Intervention erst dann auftauche, wenn die Gebotenheit einer Intervention in Frage stehe. Wir sagen etwa: «Angesichts dieser Verbrechen darf die Menschheit doch nicht tatenlos zusehen!», sind uns jedoch uneinig darüber, ob eine Anwendung der Interventionsmittel, die in diesem Moment zur Verfügung stehen, erlaubt ist. Diese Mittel zu ergreifen sei aber unter bestimmten Umständen gerade deshalb erlaubt, so argumentieren sie, weil es geboten sei, die Verbrechen an anderen Menschen zu stoppen. Humanitäre Interventionen sind dieser Argumentation zufolge nur dann erlaubt, wenn sie auch moralisch geboten sind – geboten aus humanitären Gründen eben.8 Die Gebotenheit eines militärischen Eingreifens wird somit zu einer notwendigen und hinreichenden Bedingung für die Legitimität einer solchen Aktion. Als Konsequenz dieser Argumentation verschiebt sich der Fokus der Debatte um Humanitäre Interventionen: Es wird nicht mehr vorrangig diskutiert, ob und unter welchen Umständen eine Ausnahme vom Tötungsverbot gerechtfertigt sei, sondern welche Arten von Menschenrechtsverletzungen zu einer Intervention verpflichten, selbst unter Inkaufnahme von unschuldig Getöteten. Wenn ich auch der These zustimme, dass die Gebotenheit von Interventionen den eigentlichen Nerv des Problems darstellt, so leuchtet mir obige Begründung nicht ein. Die Gebotenheit einer Handlung kann nicht die Bedingung derer Legitimität sein. Vielmehr verhält es sich so, dass wir, wenn wir sagen, eine Handlung sei geboten, bereits voraussetzen, dass diese auch legitim sei, denn die Legitimität einer Handlung ist (wie oben bereits erwähnt) eine notwendige Bedingung für deren Gebotenheit. Wer also für die Gebotenheit einer Intervention plädiert, sagt damit bereits, dass er die Inkaufnahme von unschuldigen Todesopfern unter bestimmten Umständen auch für gerechtfertigt hält – etwa dann, wenn dank der Intervention weitaus schlimmere Übel verhindert werden können. Die Intervention ist dann legitim wegen der Verhinderung schlimmeren Übels – und möglicherweise ist sie auch genau aus diesem Grund geboten. Von der Gebotenheit Humanitärer Interventionen zu sprechen, bringt die Schwierigkeit mit sich, dass letztlich Individuen dazu verpflichtet sind, Handlungen auszuführen, welche zwangsläufig die Tötung Unschuldiger implizieren. Diese Konsequenz könnte allenfalls vermieden werden, indem lediglich Personen in militärische Interventionen einge8

Vgl. ebd. S. 46f.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

257

bunden werden, die freiwillig der Armee beigetreten sind. Ich werde auf diesen Punkt im 4. Abschnitt zurückkommen. Im Folgenden werde ich auf die Frage der Gebotenheit Humanitärer Interventionen fokussieren. Dieser Fokus ergibt sich aus der Anordnung dieses Aufsatzes, der im Wesentlichen eine Diskussion vertragstheoretischer Argumente für Interventionen darstellt. Wie sich zeigen wird, ist gemäß einer kontraktualistischen Position, wie sie Véronique Zanetti vertritt, die Frage nach der Gebotenheit einer Intervention zentral.

3. Proportionalität als Gegenstand eines fiktiven Vertrages Véronique Zanetti versteht die Frage, ob in einer bestimmten Situation eine Humanitäre Intervention geboten sei, als einen moralischen Konflikt, der uns an die Situation des Odysseus erinnere: Am Nordende der Straße von Messina muss sich Odysseus entscheiden, ob er mit seinem Schiff den gefährlichen Strudel Charybdis durchqueren soll, auf die große Gefahr hin, dass seine ganze Mannschaft mitsamt ihm selbst jämmerlich verenden wird, oder ob er dem Ungeheuer Skylla, das auf der anderen Seite der Meerenge thront, sechs seiner Gefährten opfern soll, damit Skylla sein Schiff passieren lasse. Diesen Mythos liest Zanetti als Paradigma für das moralische Dilemma der Intervention, das Thomas Schramme folgendermaßen charakterisiert: Das Dilemma besteht in einer Kollision von Pflichten, denen wir im Falle einer Humanitären Intervention nicht gleichzeitig gerecht werden können. Auf der einen Seite steht die Pflicht, Menschen in großer Not Hilfe zu leisten, auf der anderen Seite die Pflicht, Unschuldigen keinen Schaden zuzufügen, das heißt […] keine zivilen Opfer zuzulassen.9

Es sind also, wie es das Dilemma impliziert, zwei Pflichten im Spiel: Eine Hilfspflicht und eine Pflicht, andere (und insbesondere unschuldige) Menschen im weitesten Sinne nicht zu schädigen. Dass wir im Falle von drohenden Massakern und angesichts des Elends unterdrückter Volksgruppen eine Hilfspflicht haben, dessen ist sich Zanetti sicher: «Nous ne pouvons pas tourner le dos à la détresse d’autres peuples sous prétexte de n’avoir envers eux que l’obligation négative de ne pas leur porter 9

Schramme (2001), S. 107. Von einem Dilemma oder einem Konflikt spricht auch Fritze (2004), S. 4.

258

Barbara Bleisch

atteinte.» 10 Diese Meinung muss man freilich nicht teilen. Immer wieder ist argumentiert worden, wir hätten gegenüber Fremden keine positiven, sondern ausschließlich negative Pflichten.11 Doch gehen wir im Folgenden davon aus, es bestehe eine solche positive Hilfspflicht zumindest dann, wenn wir grausame Menschenrechtsverletzungen verhindern können. Damit ist bereits gesagt, dass im Folgenden die Gebotenheit von Interventionen (und implizit auch deren Legitimität) thematisch ist. Wie ist es aber um eine Hilfspflicht bestellt, wenn von vornherein davon ausgegangen werden muss (wie dies bei einer militärischen Intervention der Fall ist), dass Menschen bei der Erfüllung dieser Hilfspflicht zu Schaden kommen werden? Wie kann es angesichts des Tötungsverbotes gerechtfertigt sein, eine Hilfsaktion durchzuführen, wenn dabei Menschen getötet werden?12 Zwei Antworten sind möglich: Entweder beruft man sich auf das Prinzip der Doppelwirkung und argumentiert, es handle sich bei Interventionen nicht um eine Tötung Unschuldiger, sondern bloß um die Inkaufnahme von nicht beabsichtigten Opfern (so genannten «Kollateralschäden», um das «Deutsche Unwort des Jahres» 1999 zu bemühen), die eine Handlung noch nicht per se illegitim mache. Oder aber man vertritt die These, das Tötungsverbot gelte nicht absolut, sondern menschliches Leben sei in bestimmten Extremsituationen verhandelbar. Die erste Variante – eine Berufung auf das Prinzip der Doppelwirkung – löst das vorher beschriebene Dilemma zwischen einer Hilfs- und einer Nichtschädigungspflicht zu Gunsten der Hilfspflicht (also zu Gunsten der Intervention) auf, weil die Nichtschädigungspflicht durch die Inkaufnahme der Opfer gar nicht verletzt wird und somit kein wirkliches Dilemma besteht. Allerdings ist die Richtigkeit des Prinzips der Doppelwirkung vielfach bezweifelt worden. Zanetti schreibt: «Des victimes civiles sont inévi10 11 12

Zanetti, in diesem Band, S. 239. Siehe beispielsweise Narveson (2003). Es ist notabene auch möglich, die Ansicht zu vertreten, die unschuldigen Todesopfer, die eine Intervention fordern wird, seien nie und unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Humanitäre Interventionen sind dann unter jeden Umständen moralisch falsche Handlungen. Diese Ansicht findet sich etwa in Nozick (1975), S. 43 oder Merkel (2000), S. 73. Wenn ich auch der Meinung bin, solche Positionen ließen sich durchaus erfolgreich verteidigen, werde ich im Folgenden auf kontraktualistische Vorschläge der Rechtfertigung Humanitärer Interventionen fokussieren.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

259

tablement à déplorer et ce risque, même si les nouvelles technologies militaires parvenaient à le réduire à son minimum, ne sera jamais équivalent à zéro.» 13 Wenn es sich aber um voraussehbare Folgen handelt so ist unklar, warum man für diese nicht ebenso verantwortlich sein soll wie für jene, die man beabsichtigt. Ich stimme Rüdiger Bittner zu, der schreibt: «Wirklich rechnen wir uns sowohl die Wirkungen unseren Handelns zu, um die es uns dabei positiv zu tun war, wie auch diejenigen, die wir nur in den [sic!] Kauf genommen haben.» 14 Ist das Prinzip jedoch ungültig und wird die negative Nichtschädigungspflicht durch den militärischen Eingriff verletzt, so muss gezeigt werden, dass eine positive Hilfspflicht eine negative Pflicht zu übertrumpfen vermag – und dies ist in den Augen vieler kontraintuitiv.15 Andrerseits scheint es ebenso kontraintuitiv zu sein, die Misshandlung und Tötung Tausender zu dulden, wenn dem Morden durch Inkaufnahme ein paar weniger Todesopfer Einhalt geboten werden könnte.16 Somit kommt ein quantitatives Moment ins Spiel: Eine Intervention ist sicher nicht unter allen Umständen geboten und legitim, sondern es stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß Todesopfer in Kauf genommen werden zur Rettung wie vieler Menschenleben. Die Frage des legitimen Ausmaßes wird unter dem Stichwort der «Proportionalität» bereits in der Theorie des gerechten Krieges diskutiert.17 Nicht um jeden Preis kann eine Intervention gerechtfertigt werden, sondern nur, wenn die Opfer, die sie mit sich bringt, proportional zum Ziel ausfallen. Véronique Zanetti macht es sich in ihrem Beitrag zur Aufgabe, das Kriterium der Proportionalität genauer zu bestimmen. In der Regel wird Proportionalität so interpretiert, dass die Legitimität einer Intervention unter anderem davon abhängt, wie die potentiellen Angreifer – und mit ihnen politische Gremien, Wissenschaftler und Strategen – die Proportionalität zwischen Kosten und Nutzen, also zwischen Leid der Zivilbevölkerung und dem Nutzen für dieselbe einschätzen. Genauso überlegt und entscheidet der Held Odysseus im Alleingang, was er angesichts der ver13 14 15 16 17

Zanetti, in diesem Band, S. 238 (Hervorhebungen B. B.). Bittner (2004), S. 100. Vgl. z. B. Scheffler (2001). Vgl. dazu Fritze (2004). So schon seit Francisco de Vitoria, der in seinen beiden Vorlesungen (relectiones) «De Indis» und «De iure belli» (1539/1540) entsprechende Überlegungen anstellt; vgl. dazu ausführlich z. B. Justenhoven (1990), S. 87-94.

260

Barbara Bleisch

nichtenden Gefahr tun soll. Zanetti fragt nun, ob man sich die Szene nicht anders ausmalen könnte, indem Odysseus mit seinen Kameraden vor der Reise ausgemacht hätte, was sie zu opfern bereit sind, um das ersehnte Ziel zu erreichen. So könnte sich etwa die ganze Truppe darauf geeinigt haben, dass sie ihren Tod im Kampf mit feindlichen Kräften in Kauf nähmen, vorausgesetzt dass 1. ein solches Opfer dem größten Teil der Truppe das Leben rette, dass 2. nicht von vornherein festgelegt würde, wer geopfert würde, dass sich 3. die Equipe nicht kopflos Gefahren aussetzte und dass 4. die Opfer notwendig wären, um die Reise erfolgreich fortzusetzen. Ähnliche Überlegungen, so Zanetti, stellen wir implizit auch in unserem Alltag an. Die Opfer von Flugzeugabstürzen nehmen wir beispielsweise im Wissen darum in Kauf, dass wir selber Opfer eines solchen Unglücks werden könnten. Wir schätzen die Annehmlichkeiten des Flugverkehrs um ein Vieles höher ein als den hypothetischen Schaden, selbst Opfer eines Absturzes zu werden. Solche Überlegungen resultieren, wie Zanetti betont, aus einer «décision collective dans laquelle les risques sont librement consentis».18 Sie beruhen also auf einem kollektiven Entscheid und nicht auf einem Nutzenkalkül, das von distanzierten Strategen gefällt worden ist. (Der Vergleich mit dem Flugverkehr hinkt allerdings: Jeder kann sich entscheiden, ob er ein Flugzeug besteigen will oder nicht. Insofern handelt es sich hier nicht einmal um einen kollektiven Entscheid, sondern um die individuelle Inkaufnahme von Risiken.) Zanetti rückt somit die Vertragsidee ins Zentrum des Kriteriums der Proportionalität: Weil alle Beteiligten potentielle Opfer von Skylla sind, würden sie gemeinsam einen Vertrag schließen, der besagt, dass Skylla ruhig gestellt werden soll durch die Opferung von Wenigen, wenn sie das Überleben der Meisten bedroht. Auf die Frage nach der Humanitären Intervention bezogen, könnte man formulieren: Hinter einem Rawlsschen Schleier des Nichtwissens wissen wir lediglich, dass unsere Welt so beschaffen sein wird, dass sich in einzelnen Ländern ethnische Konflikte abspielen werden, die in Massaker münden, werden sie nicht gewaltsam beendet. Wir wissen nicht, in welchem Land wir leben werden. Welche Beschlüsse würden wir rationalerweise fällen? Zanetti meint, wir würden uns für eine supranationale Macht entscheiden, die unter folgenden Bedingungen eingreifen würde: 1. Die Verbrechen werden von designierten und kompetenten Autoritäten festgestellt. 2. Die eigene Regierung ist selbst für 18

Zanetti, in diesem Band, S. 247.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

261

die Verbrechen gegen ihre Bürger verantwortlich oder es gelingt ihr nicht, diese zu verhindern. 3. Das Volk selber tut seinen Wunsch kund, dass interveniert werde. 4. Das Volk hat jederzeit die Kompetenz, einen Abbruch der Intervention zu verlangen, wenn es den Kriegsakt als nicht mehr proportional einstuft.19 Mit diesen Überlegungen wird ein entscheidender Schritt vorgenommen: Die Interventionsrechtsinhaber sind nicht länger Staaten, sondern Individuen. Da jeder Opfer von Skylla werden kann, stimmen sie per Vertrag einem internationalen System kollektiver Sicherheit zu,20 das Eingriffe vorsieht, wenn fundamentale Menschenrechte massiv verletzt werden, und das diese Eingriffe rückbindet an ein Kriterium der Proportionalität, das ebenfalls vertraglichen Bestimmungen unterliegt. Das Kriterium der Proportionalität vertragstheoretisch zu interpretieren ist nicht unplausibel. Es macht die Festsetzung von Bedingungen, unter denen das individuelle moralisch und rechtlich geschützte Lebensinteresse einer Gesamtkalkulation von anderen Lebensinteressen geopfert werden darf, vom rationalen Interesse aller abhängig. Regt sich in mir dennoch ein Unbehagen, so deshalb, weil ich bezweifle, dass Verträge, welche die Opferung von Menschen zur Folge haben, moralisch richtig sein können. Dies ist allenfalls ein Argument gegen die Vertragstheorie als solche; das Ziel dieses Aufsatzes hatte ich allerdings so definiert, dass aus einer kontraktualistischen Warte nach der Gebotenheit Humanitärer Interventionen gefragt werden soll. Ich werde mich deshalb im Folgenden auf Einwände gegen das vorgeschlagene Konzept konzentrieren, die sich aus Sicht der Vertragstheorie ergeben, und diese auf ihre innere Konsistenz hin befragen. Der erste Einwand besagt, dass der skizzierte Vertrag um mehrere Elemente ergänzt werden müsste und dass diese Ergänzungen es unwahrscheinlicher werden lassen, dass wir alle diesem Vertrag zustimmen würden (siehe 4.). Der zweite Einwand besagt, dass aus den angestellten Überlegungen folgt, dass wir umfangreiche Hilfspflichten gegenüber Menschen in großer Not haben – so viele, dass wir Prioritäten setzen müssen und es rational ist, mit der Erfüllung jener anzufangen, die nicht die Tötung von Menschen mit sich bringen (siehe 5.). 19 20

Vgl. ebd. S. 248. Vgl. dazu: «[I]l est temps que les citoyens du monde soient à leur tour représentés au sein des instances supranationales décidant de la légitimité d’intervenir.» (Ebd. S. 13)

262

Barbara Bleisch

4. Worauf wir uns einigen könnten: Ergänzungen zur Vertragssituation Die erste Ergänzung der fiktiven Vertragssituation betrifft die Zustände nach der Intervention. Eine Humanitäre Intervention ist ein Krieg, der – wie jeder andere Krieg – Vernichtung und Schaden mit sich bringen wird. Ohne Aufbauhilfe sind viele Länder nach einer Intervention ärmer als vorher, und Armut ist bekanntlich der Herd für neue politische Unruhen. Die Vertragsparteien werden sich darüber Gedanken machen müssen, ob sie eine Intervention auch dann für legitim erachten, wenn die eingreifenden Truppen nach der Kapitulation der Unterdrücker wieder abziehen und die Bevölkerung in einem unsicheren Zustand zurücklassen. Wenn man sich die Bilder der während der Kosovo-Intervention zerstörten Brücke von Novi Sad im heutigen Serbien-Montenegro vor Augen führt, wird einem bewusst, dass mit einer militärischen Intervention nicht nur menschliche Kollateralschäden in Kauf genommen werden müssen, sondern auch andere – beabsichtigte und unbeabsichtigte – Schäden, die wieder gutzumachen beträchtliche Ressourcen verschlingen wird. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass in der Debatte um den gerechten Krieg immer mehr vom Erfordernis weiterer Kriterien die Rede ist, welche die Zeit nach dem Krieg betreffen. Ein Krieg ist, so meinen einige Autoren,21 nur dann legitim, wenn er neben den bisherigen Kriterien des «ius ad bellum» (Gerechtigkeit des Kriegsanlasses) und des «ius in bello» (Gerechtigkeit der Kriegsführung) überdies Kriterien des «ius post bellum» erfüllt, Kriterien also, welche die politische und ökonomische Wiederherstellung eines Staates, der durch den Kriegsakt außer Kraft gesetzt worden ist, betreffen. Vergegenwärtigt man sich die Urzustandssituation, von der Kontraktualisten gewöhnlich ausgehen, scheint es rational zu sein, dass Überlegungen zu den Nachkriegszuständen in die Kosten-Nutzen-Abwägungen einfließen. Ist jene Partei, die durch das Eingreifen einer supranationalen Armee gerettet wird, wirklich besser dran, wenn ihre gesamte Infrastruktur zerbombt ist und rechtslose Zustände das Land beherrschen? Wenn die supranationale Macht jedoch auch noch ‹Aufräumarbeit› leisten muss, so ist das Engagement der Nicht-Betroffenen, die ihre Ressourcen in die Intervenierenden stecken, beträchtlich. Militärische Interventionen werden dann noch teurer werden, als sie es bereits sind. Umso mehr scheint es mir auf der Hand zu liegen, dass weniger aufwändige Inter21

Vgl. z. B. Orend (2001) und jüngst Bass (2004).

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

263

ventionsmöglichkeiten aus Sicht der kosmopolitischen Vertragspartner rationaler sind. Ich komme auf diesen Punkt im 5. Abschnitt noch einmal zu sprechen. Die zweite Ergänzung betrifft die Intervenierenden selbst. Anders als im Mythos von Odysseus vorgestellt, werden die Unschuldigen ja nicht einem Ungeheuer geopfert, sondern einem menschengemachten Krieg. Der Vertrag muss also auch die Streitkräfte mit einbeziehen, die intervenieren. Denn wenn wir als Weltgemeinschaft ein System kollektiver Sicherheit befürworten, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es Personen geben wird, die für diese Sicherheit zu kämpfen haben. Hinter dem Schleier des Nichtwissens sind wir nicht nur unwissend, ob wir dereinst Opfer eines Massakers werden könnten, sondern ebenso, ob wir oder uns Nahestehende dereinst für eine Intervention eingezogen werden könnten. Die Armeeangehörigen der supranationalen Macht werden Handlungen ausführen, die Tod und Zerstörung nach sich ziehen – und laufen Gefahr, selber als Kombattanten verwundet zu werden. Nun ist dies freilich nicht nur bei militärischen Interventionen, sondern bei jedem Krieg so. Einerseits verhält es sich jedoch bei herkömmlichen Kriegen insofern anders, als die Kriegsführenden zugleich die Bedrohten sind, die ihr Recht auf Notwehr ausüben, während bei einer Intervention Nothilfe für Dritte geleistet wird. Andererseits ist der Verweis darauf, dass in herkömmlichen Kriegen ebenso Unfreiwillige in den Krieg ziehen, kein Hinweis darauf, dass dies moralisch richtig ist. Im Gegenteil: Ich halte die Argumentation für durchaus plausibel, dass Humanitäre Interventionen gerade deshalb unrecht sind, weil Kriege unrecht sind, und zwar nicht, «weil Gewalt gegen Menschen grundsätzlich moralisch verwerflich wäre. […] Sondern weil Krieg, jedenfalls in seiner neuzeitlichen Gestalt, es einschließt, dass Unbeteiligten durch Unbeteiligte schweres Leid zugefügt wird.» 22 Menschen in den Krieg zu schicken, die weder eingewilligt haben, Handlungen auszuführen, die Todesopfer mit sich bringen, noch zugestimmt haben, auf ihr Lebensrecht zu verzichten, heißt, mit Rüdiger Bittner gesprochen, sie zu «verheizen».23 Krieg, der mit Berufs- oder 22 23

Bittner (2004), S. 99; vgl. dazu auch ders. (2003). Bittner (2004), S. 100. Die Tatsache, dass jemand als Wehrpflichtiger in den Krieg zieht, sagt natürlich noch nichts über dessen Motivation aus. Unter den Wehrpflichtigen finden sich sicherlich Personen, die auch freiwillig Dienst leisten würden. Im Gegensatz zur Berufsarmee, die aus Personen besteht, die

264

Barbara Bleisch

Freiwilligenarmeen auskommt, wäre demzufolge unter Umständen legitim und könnte auch geboten sein. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Gegenpartei auch mit einer Berufsarmee operiert. Denn wenn auf unfreiwillig rekrutierte Kombattanten geschossen wird, so ist dies ebenso verwerflich, wie wenn unfreiwillig Dienstleistenden befohlen wird, in den Krieg zu ziehen. Gerade in Humanitären Interventionen werden jedoch zum Teil kaum ausgebildete und schlecht bewaffnete Soldaten zum legitimen Ziel der intervenierenden Armee, obwohl diese nie eingewilligt haben, den Kombattanten anzugehören. Nicht nur Kriegsführung gestützt auf Wehrpflichtige, sondern ebenso Kriegsführung gegen Wehrpflichtige ist somit unrecht.24 Aus dem Gesagten folgt, dass es für die Vertragspartner rational ist,25 sich auf zwei weitere Bedingungen für die Legitimität einer militärischen Intervention zu einigen: Einerseits ist eine Spezifikation der supranationalen Macht als Berufsarmee notwendig. Die Rekrutierungsverfahren dieser Armee müssen transparent und fair sein, sodass niemand gezwungen wird, in den Krieg zu ziehen – eine Forderung, die leider selten erfüllt wird. Andrerseits müsste die intervenierende Partei den Armeeangehörigen im intervenierten Territorium die Möglichkeit bieten zu desertieren, bevor die Intervention vonstatten geht, denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Milizangehörigen des unterdrückerischen Regimes, das beseitigt werden soll, freiwillig in den militärischen Dienst dieses Regimes getreten sind. Ich habe in diesem Abschnitt vorgeschlagen, dass der Kriterienkatalog für eine Humanitäre Intervention, auf den wir uns rationalerweise einigen könnten, um mehrere Elemente erweitert werden müsste: Die supranationale Macht muss Wiederaufbauhilfe im intervenierten Staat leisten und als Berufsarmee tätig sein, und den Angehörigen der Gegnerpartei muss jederzeit die Möglichkeit zum Desertieren gegeben werden. Angesichts der Tatsache, dass militärische Interventionen somit äußerst kostspielig wer-

24 25

sich (idealerweise) freiwillig zum Dienst melden, weiss man bei einem Heer, das aus Wehrpflichtigen besteht, jedoch nicht, wie es um die Freiwilligkeit der Dienstleistenden bestellt ist. Vgl. Bittner (2003). Je nach Rationalitätsbegriff wird freilich auch eine hohe Risikobereitschaft als rational eingestuft werden, sodass sich die Vertragspartner auch bei Wehrpflicht auf die Gebotenheit von Interventionen einigen könnten. Zentral scheint mir zu sein, dass die Perspektive der Dienstleistenden in die fiktive Vertragssituation eingebracht wird.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

265

den und sich möglicherweise keine ausreichend große Berufsarmee für Interventionen finden wird, ist es allerdings unsicher, ob die Bedingungen je erfüllt werden und es faktisch überhaupt zur Intervention kommen kann.

5. Nothilfe und Intervention: Plädoyer für eine Neuorientierung der Debatte Ich habe im letzten Abschnitt argumentiert, dass Véronique Zanettis Katalog von Bedingungen, unter denen eine Humanitäre Intervention von einem kontraktualistischen Standpunkt aus legitimiert werden könnte, um einige Punkte ergänzt werden muss. Im Folgenden werde ich argumentieren, dass eine militärische Intervention selbst dann, wenn sie alle Bedingungen erfüllt – zumindest gegenwärtig – gerade aus vertragstheoretischer Perspektive dennoch unterlassen werden sollte und dass in der Debatte um Nothilfe eine Neuorientierung zu Gunsten nicht-militärischer Interventionen anzustreben ist. Lässt man sich auf das kontraktualistische Gedankenspiel ein, in dem Personen, die nichts über ihre spätere Position in der Gesellschaft wissen, über die Regeln befinden, nach denen diese Gesellschaft funktionieren soll, und geht man davon aus, dass sich die fiktiven Vertragspartner darauf einigen würden, dass unter bestimmten Bedingungen eine supranationale Organisation militärisch gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen soll, so muss mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sie sich auch darauf einigen würden, dass bei anderen humanitären Katastrophen wie Hunger, Überschwemmungen, Dürreperioden und Seuchen ebenfalls eingegriffen werden müsste. 18 Millionen Menschen sterben beispielsweise jährlich an den direkten oder indirekten Folgen der Armut. Einige werden an dieser Stelle sogleich einwenden, dass dies zwar ohne Zweifel grauenhaft sei, dass es sich dabei jedoch nicht um eine humanitäre Katastrophe handle, die per definitionem auf aktiven Menschenrechtsverletzungen basiere. Ich werde auf diesen Punkt gleich zurückkommen. Fürs erste genügt es meines Erachtens das Folgende zu sagen: Basieren Humanitäre Interventionen auf humanitären Überlegungen, so ist es inkonsistent, lediglich jene Katastrophen, in denen militärisch interveniert werden könnte, als Rechtfertigung für eine Hilfspflicht zu akzeptieren. Wer also für Humanitäre Interventionen argumentiert, muss aus Konsistenzgründen ebenso für das Eingreifen bei anderen humanitären Katastrophen votieren.

266

Barbara Bleisch

Gegen diesen Schluss lassen sich zwei Argumente vorbringen: Erstens könnte eingewendet werden, dass die Vertragstheorie lediglich zur Bestimmung der Legitimität, nicht jedoch der Gebotenheit einer Intervention tauge. Dass nicht-militärische Hilfsaktionen ebenso legitim seien wie militärische, sei ja völlig klar. Dieser Einwand trifft das hier Diskutierte nicht, weil von Vornherein auf die Gebotenheit von Interventionen fokussiert worden ist (vgl. den 3. Abschnitt). Zweitens könnte argumentiert werden, dass Notsituationen, die Interventionen erfordern, sich in entscheidender Art und Weise von anderen Notsituationen, die keine Hilfspflichten mit sich bringen, unterscheiden. Genau dies behaupten jene, die der Ansicht sind, humanitäre Katastrophen beträfen lediglich aktiv vollzogene Menschenrechtsverletzungen. Das Argument, das dieser Position zu Grunde liegt, besagt, dass sich Interventionspflichten vom Recht auf Notwehr ableiten. Wenn Personen ihr Recht auf Notwehr nicht wahrnehmen können, sind wir verpflichtet, Nothilfe zu leisten, so die Idee.26 Einem Akt der Notwehr geht jedoch stets eine Bedrohung durch eine oder mehrere andere Personen voraus. Georg Meggle charakterisiert Notwehr folgendermaßen: «Wenn mir einer ans Leben will, dann darf ich mich, wenn ich seinen Angriff auf mein Leben nicht anders abwehren kann, auch dadurch zur Wehr setzen, dass, ehe er mich tötet, ich ihn töte.» 27 Weil ein Recht auf Notwehr nur dann bestehe, wenn eine massive Bedrohung von einer Drittperson ausgehe, sei eine Intervention nur dann geboten, wenn ein Volk oder eine Volksgruppe grausam behandelt werde – so könnte argumentiert werden.28 Eine solche Position überzeugt jedoch nicht. Wäre es nicht absurd, einer Person, die am Verdursten ist, kein Recht auf Notwehr zuzugestehen und sich etwa Wasser durch Einbruch oder Diebstahl zu besorgen? Dass in einem solchen Fall gewöhnlich nicht von einem «Recht auf Notwehr» die Rede ist, hat damit zu tun, dass niemand als Bedroher auftritt. Und dass langanhaltende, große Armut nach wie vor von kaum jemandem als Menschenrechtsverletzung anerkannt wird,29 obwohl Menschen ein Recht auf Nahrung haben und die reichen

26 27 28

29

Vgl. etwa Meggle (2004). Ebd. S. 33. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Nothilfe nur in Form von militärischer Hilfe geleistet werden darf. Das Argument besagt lediglich, dass nicht jede Notsituation mit einer Hilfspflicht korreliert. Eine Ausnahme bildet hier etwa Pogge (2002).

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

267

Länder zur Armut im Süden durchaus ihren Teil beitragen, hat denselben Grund: Es scheint der konkrete Akteur zu fehlen, der die Verletzung des Rechts verursacht. Daraus folgt aber meines Erachtens nicht, dass Interventionen nur geboten sind, wenn Menschen misshandelt werden. Die Grausamkeiten, die von einer Naturkatastrophe verursacht werden, können ebenso gravierend ausfallen wie jene, die menschengemacht sind. Erfolgen Interventionen wirklich aus humanitären Gründen, so scheint es keine Rolle zu spielen, was die Ursache der Katastrophe war, sondern allein, wie gravierend diese Katastrophe ist. Vielen Notsituationen wäre überdies nicht mit einem Kriegsakt, sondern mit umfangreichem und anhaltendem Ressourcentransfer beizukommen. Wenn es rational sein soll, einer erzwingbaren Pflicht zuzustimmen, die verlangt, dass Menschen unter Einsatz ihres Lebens Dritten zu Hilfe eilen, so ist es erst recht rational, einer erzwingbaren Pflicht zuzustimmen, die von uns verlangt, einen Teil unserer Ressourcen abzugeben zur Verhinderung oder Linderung humanitärer Katastrophen. Freilich verpflichtet nicht jedes kleinere Malheur zu einem Eingriff. Wie der Ausdruck «humanitäre Katastrophe» bereits sagt, muss es sich dabei um einen Zustand schwer wiegenden Leidens handeln. Lässt sich meines Erachtens auch nicht dafür argumentieren, dass ausschließlich in Bezug auf menschengemachte Katastrophen Hilfspflichten bestehen, so könnte allenfalls die These vertreten werden, es sei moralisch vorrangig, «der aktiven Verletzung von Menschenrechten entgegenzuwirken als bloßen schlimmen Umständen, die gleichwohl zu denselben furchtbaren Konsequenzen führen».30 Die Begründung für die These, dass der Schutz vor der aktiven Verletzung von Menschenrechten vorrangig sei, könnte, so Walter Pfannkuche, lauten, dass dieser Schutz «konstitutiv für das Bestehen eines Rechtssystems überhaupt» sei.31 Wenn in einem Staat mit drei Millionen Mitgliedern 30’000 Morde im Jahr geschehen und die Aufklärungsquote minimal ist, dann lässt uns das eher daran zweifeln, dass in diesem Staat noch das Recht gilt, als wenn im selben Staat jedes Jahr 30’000 Menschen verhungern, die bei gleicherer Verteilung der Ressourcen durchaus hätten überleben können.32

Doch, wie der Autor zu Recht schreibt, folgt aus dieser Feststellung noch nicht, dass die Verhinderung aktiv herbeigeführter Schädigung von Men30 31 32

Pfannkuche (2004), S. 142. Ebd. Ebd.

268

Barbara Bleisch

schen stets Vorrang hat vor der Verhinderung von Leid, das niemand direkt verursacht hat. Denn getötet oder gefoltert zu werden und verhungern zu müssen, sind beides grausame Übel, die mit Nothilfeaktionen unterbunden werden sollten. Gehen wir im Folgenden also davon aus, dass eine supranationale Organisation die Pflicht hat, bei humanitären Katastrophen mit den jeweils passenden Mitteln zu intervenieren. Bei diesen Pflichten handelt es sich um Hilfspflichten. Gehen wir überdies davon aus, dass die Welt so beschaffen ist, dass sich zahlreiche Katastrophen zugleich ereignen und dass sich die supranationale Macht entscheiden muss, welche Pflicht sie zuerst erfüllt, weil sie nicht in allen Regionen gleichzeitig intervenieren kann. 33 Ich würde das Folgende behaupten: Wenn zwei oder mehrere Hilfspflichten bestehen, von denen eine Hilfspflicht negative Folgen haben wird, so soll man zuerst die anderen Hilfspflichten erfüllen. Wenn wir die Pflicht haben, bei humanitären Katastrophen Nothilfe zu leisten, so sollten wir zuerst bei jenen Katastrophen Nothilfe leisten, die weder die Tötung Unschuldiger noch die Zerstörungen eines Krieges mit sich bringen. Wir sollten uns also, bevor wir uns auf militärische Schläge im Namen der Menschlichkeit einlassen, auf Hunger- und Armutsbekämpfung und auf friedensfördernde Entwicklungshilfe konzentrieren. Leider lässt sich für das Gesagte kein eindeutiges Argument formulieren. Warum, so kann man etwa fragen, sollten Nothilfeaktionen, die das Leben Unschuldiger kosten, erst erlaubt sein, wenn alle anderen möglichen Nothilfeaktionen zur Linderung humanitärer Katastrophen durchgeführt worden sind? Notabene ist mit dieser Prämisse nicht gemeint, dass bezüglich einer bestimmten Katastrophe alle friedlichen Interventionsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sein müssen, bevor mit militärischen Mitteln eingegriffen werden darf. Diese Forderung entspricht dem «ultima ratio»-Kriterium der Theorie des gerechten Krieges. Gemeint ist vielmehr die – umstrittenere – These, dass zuerst in jenen Notsituationen Hilfe ge-

33

In etwa präsentiert sich so die aktuelle Weltsituation. Bürgerkriege, Hungerkatastrophen, Massenvertreibungen und verseuchtes Wasser führen jährlich zum – verhinderbaren – Tod von Millionen von Menschen. Die Vereinten Nationen, die als supranationale Organisation die Hilfe koordinieren, sind ständig damit beschäftigt, Prioritäten in der Ressourcenverteilung zu setzen, weil die Hilfsgüter bei weitem nicht ausreichen, sowie diplomatische Verhandlungen zu führen, um Zugang zu den Bedürftigen zu erhalten.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

269

leistet werden soll, in denen dies ohne die Tötung Unschuldiger (und Verwüstungen, wie sie der Krieg hinterlässt) möglich ist. Vielleicht lässt sich dafür wirklich nicht ein Beweis im engeren Sinne führen. Hilfspflichten werden gemeinhin als unvollkommene Pflichten verstanden, die einen nicht zu einer konkreten Handlung verpflichten.34 Wenn militärische Interventionen legitim sind und sie eine Möglichkeit unter anderen darstellen, Notleidenden zu Hilfe zu kommen, so kann nicht gesagt werden, es sei aus moralischen Gründen falsch, dieses Mittel der Intervention zu wählen. Man kann höchstens anfügen, dass es einfach sinnvoller erscheint, die vorhandenen Mittel für Nothilfe dort einzusetzen, wo man nicht zuerst Bomben werfen und töten muss, um Hilfe leisten zu können. Gerade aus einer kontraktualistischen Warte jedoch ist die Forderung, es müssten zuerst jene Hilfspflichten erfüllt werden, für die keine militärischen Mittel notwendig sind, höchst plausibel. Versetzen wir uns noch einmal in den von Véronique Zanetti aufgegriffenen Urzustand: Die Menschen im Urzustand werden sich überlegen, wie die knappen Ressourcen für Hilfsaktionen bestmöglich zu verteilen sind. Dabei werden KostenNutzen-Abwägungen eine prominente Rolle spielen, denn die Chancen, in einer entsprechenden Notlage gerettet zu werden, stehen besser, wenn die Ressourcen so eingesetzt werden, dass möglichst viele mit den vorhandenen Mitteln gerettet werden können. Kosten-Nutzen-Abwägungen werden jedoch bei Wohlinformiertheit nicht für Humanitäre Interventionen sprechen, auch wenn spektakuläre Kriegseinsätze zuweilen einen anderen Eindruck vermitteln. Angesichts der horrenden Kosten jedes Krieges und der unsicheren Prognosen über dessen Ausgang ist es rational, auf friedliche Methoden der Leidverminderung zu setzen – nicht nur weil das Kriegsgeschäft kostspielig ist, sondern auch weil Armutsverminderung als einer der wichtigen Faktoren bei der Bekämpfung von ethnischen Konflikten angesehen wird35 und weil die Chance, dass die Einzelperson Opfer einer Hungersnot wird, weitaus größer ist, als dass sie in einem blutigen Konflikt umkommt. Aus vertragstheoretischen Überlegungen ist somit auch deshalb für ein Primat der Entwicklungshilfe zu votieren, da sie 34

35

Die Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten hat Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten geprägt. Sie wurde vielfach aufgenommen; vgl. etwa Waldron (2003), S. 344. Vgl. dazu etwa Collier (2003).

270

Barbara Bleisch

erwiesenermaßen dazu führen wird, dass blutige innerstaatliche Konflikte seltener werden. Im Jahr 2002 haben die Länder der Welt gemeinsam 52 Milliarden US-Dollar für Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe und friedenserhaltende Maßnahmen ausgegeben – 15 mal weniger als für militärische Ausgaben, denn ganze 784 Milliarden US-Dollar flossen in die Rüstung, in Armeen und in militärische Aktionen.36 Aus Sicht der Vertragstheorie sind diese Zahlen zu kritisieren. Aus dem Gesagten folgt nicht eine Behauptung der grundsätzlichen Illegitimität militärischer Interventionen, sondern lediglich ein Plädoyer für eine radikale Neuorientierung im Diskurs über Humanitäre Interventionen. Ein solches Plädoyer ergibt sich für eine vertragstheoretische Position meines Erachtens zwangsläufig; es scheint mir jedoch auch aus Sicht anderer Moraltheorien akzeptabel zu sein. Wenn Michael Walzer in seinem Vorwort zur dritten Auflage seines Buches Just and Unjust Wars schreibt: «The massacres go on, and every country that is able to stop them decides that it has more urgent tasks [...]»,37 so spricht aus diesen Zeilen Bitterkeit. Bitter werden müssen wir aber meines Erachtens vor allem darüber, dass es bis heute nicht gelungen ist, flächendeckend Malariaprävention zu betreiben und Kleinkinder vor dem Hungertod zu retten. Will ein humanitäres Engagement nicht scheinheilig sein, so muss es sich auch und vor allem jenen Katastrophen zuwenden, an die wir uns längst gewöhnt haben: an das Schicksal von Millionen von Menschen, die in bitterer Armut leben und eine trostlosere Zukunft vor sich haben denn je.38

Literatur Annan, K.: Comment on «A more secure world: our shared responsibility. Report of the High level Panel on Threats, Challenges and Change», in: The Economist, 4th of December 2004. Bass, G. J.: Jus Post Bellum, in: Philosophy & Public Affairs 32/4 (2004), S. 384-412.

36 37 38

Vgl. Stockholm International Peace Research Institute (2004). Walzer (2000), S. XIII. Für wertvolle Hinweise danke ich Jean-Daniel Strub; ebenso gebührt mein Dank Holger Baumann und Peter Schaber für hilfreiche Diskussionen.

Humanitäre Katastrophen und Pflichten der Nothilfe

271

Bittner, R.: Gute Kriege, böse Feinde. Über Michael Walzers Kriterium vom gerechten Krieg, in: Information Philosophie 31/4 (2003), S. 7-14. –– Humanitäre Interventionen sind unrecht, in: G. Meggle (Hg.): Humanitäre Interventionsethik, Paderborn 2004, S. 99-106. Collier, P. et al.: Breaking the Conflict Trap. Civil War and Development Policy, Washington, Oxford 2003. Fritze, L.: Die Tötung Unschuldiger, Berlin 2004. Justenhoven, H.-G.: Francisco de Vitoria zu Krieg und Frieden, Köln 1990. Meggle, G.: NATO-Moral und Kosovo-Krieg. Ein ethischer Kommentar ex post, in: G. Meggle (Hg.): Humanitäre Interventionsethik, Paderborn 2004, S. 31-58. Merkel, R.: Das Elend der Beschützten. Rechtsethische Grundlagen und Grenzen der sogenannten humanitären Intervention und die Verwerflichkeit der NATO-Aktion im Kosovo-Krieg, in: R. Merkel (Hg.): Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt a. M. 2000, S. 66-98. –– Können Menschenrechtsverletzungen militärische Interventionen rechtfertigen?, in: G. Beestermöller (Hg.): Die humanitäre Intervention – Imperativ der Menschenrechtsidee? Rechtsethische Reflexionen am Beispiel des Kosovo-Krieges, Stuttgart 2003, S. 29-52. Narveson, J.: We Don’t Owe Them a Thing! A Tough-minded but Softhearted View of Aid to the Faraway Needy, in: The Monist 86/3 (2003), S. 419-433. Nozick, R.: Anarchie, Staat, Utopia, München 1975. Orend, B.: Justice after War, in: Ethics and International Affairs 16/1 (2001), S. 40-56. Pfannkuche, W.: Humanitäre Interventionen und andere Hilfspflichten, in: G. Meggle (Hg.): Humanitäre Interventionsethik, Paderborn 2004, S. 133145. Pogge, T.: World Poverty and Human Rights, Cambridge 2002. Scheffler, S.: Boundaries and Allegiances. Problems of Justice and Responsibility in Liberal Thought, Oxford 2001. Schramme, T.: Humanitäre Intervention: eine contradictio in adjecto?, in: S. Kirste (Hg.): Globalisierung als Problem von Gerechtigkeit und Steuerungsfähigkeit des Rechts, Stuttgart 2001, S. 97-119. Stockholm International Peace Research Institute: SIPRI Yearbook 2003. Armaments, Disarmament and International Security, Oxford 2004. Waldron, J.: Who is My Neighbor: Humanity and Proximity, in: The Monist 86/3 (2003), S. 331-354. Walzer, M.: Just and unjust wars, New York 32000.

Studia philosophica 64/2005

Buchbesprechungen / Comptes rendus Mark Hunyadi : Je est un clone. L’éthique à l’épreuve des biotechnologies, Paris (Seuil) 2004, 198 pages. Le clonage reproductif est un thème à la mode, et comme il arrive toujours dans ces cas-là, il est l’occasion d’un déchaînement médiatique dont la fécondité va de pair avec la faiblesse de l’argumentation couplée à une éthique des bons sentiments. Que n’a-t-on pas dit sur la violation de la dignité humaine qu’une telle pratique engendrerait ! Bien des auteurs ont montré, en adoptant un point de vue téléologique, que cela n’avait pas de sens. Hunyadi est d’accord avec eux sur le constat – le clonage n’est pas une affaire de dignité –, mais il le fait à partir d’un autre point de vue et en tire des conclusions autres : s’il ne viole pas la dignié humaine, le clonage n’est toutefois pas une pratique qui serait admissible d’un point de vue moral. Afin de le montrer, l’auteur place la question du clonage dans un cadre plus large, celui de la nature de la morale. Pour lui, elle est une construction humaine qui se sédimente lentement au cours de l’histoire et qui, telle qu’elle existe à un moment donné, constitue l’arrière-plan normatif indépassable dans le cadre duquel s’origine et se meut notre réflexion. C’est ce qu’il appelle le « contexte moral objectif », car s’il est subjectif en tant que créé par des sujets humains, il n’en est pas moins objectif au sens que, lorsqu’il est constitué, il s’impose à tous. Certes, il change avec le temps, mais suffisamment lentement pour qu’il ait, pour nous, le poids d’une nature. Que nous dicte ce contecte moral objectif lorsqu’il s’agit du clonage reproductif ? Il faut d’abord remarquer qu’il prend place dans le projet de façonner l’être humain ; or les tentatives de modifier la nature humaine ne datent pas de l’invention des biotechnologies, mais avec elles, et surtout avec le génie génétique, nous sommes à même d’intervenir à un niveau jusqu’ici jamais atteint. Toutefois, ce n’est pas notre identité que le clonage menace, car, cela a été souvent dit, deux clones ne sauraient être plus identiques que deux vrais jumeaux ; non, selon l’auteur, le problème est ailleurs, dans le fardeau ontologique que le clone aura à supporter. En effet, un clone se saura avoir été désiré à l’identique de quelqu’un par quelqu’un d’autre, si bien qu’il est en quelque sorte dépossédé de soi, au point où son autonomie devient une autonomie factice. Il s’agit là d’un cas radical d’instrumentalisation, de perte de ce que l’auteur appelle l’altérité de soi, c’est-à-dire que le clone ne peut pas s’érouver comme autre que les autres. L’auteur examine ensuite, à la lumière des mêmes principes, le génie génétique et ce qu’il rend possible en tant que thérapie (l’eugénisme négatif) et amélioration (l’eugénisme positif ou le méliorisme). Comme le premier ressortit à notre antique projet de combattre la maladie, il ne saurait être condamné sur la base de notre contexte moral objectif, contrairement au second, même s'il existe une zone

274

Buchbesprechungen

d’ombre entre les deux, vu que les concepts de santé et de maladie sont essentiellement flous. La condamnation du méliorisme est facile à comprendre : il viole l’autonomie en ce que cette dernière se nourrit du sentiment de ne devoir ses capacités qu’au libre développement de ce que le hasard génétique a mis entre nos mains. L’auteur examine encore la moralité de deux autres biotechnologies, le diagnostic préimplantatoire (DPI), qu’il estime acceptable, et la production de cellules souches embryonnaires, qui lui paraît admissible dans la mesure où elles sont prélevées sur des embryons dont nous tolérons l’élimination, comme les embryons surnuméraires. Cela dit, derrière cette questions’en profile une autre, plus fondamentale : pourquoi la médecine régénérative, à quelles fins, pour qui et jusqu’où ?, question actuellement occultée par de stériles débats sur le statut de l’embryon, mais qui parviendra en pleine lumière le jour où on pourra disposer de cellules souches prélevées sur les êtres humains adultes ou sur les cordons ombilicaux. En annexe, l’auteur nous propose une réflexion sur le principe de précaution. À son avis, l’interprétation qui en est couramment donnée est inadéquate : il ne s’agit pas de gérer des risques hypothétiques sur le modèle des risques avérés, mais de gérer des risques tels qu’ils sont étayés par des hypothèses. Bernard Baertschi (Genève) Jean-Michel Bovin, Georg Kohler, Beat Sitter-Liver (Hg.) : Gemeinwohl – Bien Commun. Ein kritisches Plädoyer – Un plaidoyer critique, 21. Kolloquium (2002) der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Freiburg (Academic Press) 2004, 453 Seiten. «La notion de bien commun, longtemps laissée de côté par la philosophie sociale […], mérite d’être remise à l’ordre du jour», wie Dembinski (231) konstatiert. Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) nahm dessen Feststellung zum Anlass, im Jahr 2002 eine Tagung zum Thema «Gemeinwohl» zu veranstalten. Dass Gedanken zum «Gemeinwohl» heute wieder aktuell sind, hat politisch-gesellschaftliche sowie philosophiegeschichtliche Gründe. So stellt sich etwa in Anbetracht zunehmender Migration und der Stellung der Nationalstaaten sowohl in Europa wie auch weltweit die Frage nach dem Selbstverständnis unserer Gemeinwesen. Aber auch innerhalb der Nationalstaaten muss aufgrund knapper Ressourcen und einer voranschreitenden Privatisierung öffentlicher Güter und Institutionen die Frage gestellt werden, was uns unser Gemeinwohl wert ist und was es umfassen soll. Innerhalb der Philosophie fördert ein wachsendes Unbehagen an prozeduralistischen Ansätzen die Renaissance der Beschäftigung mit dem Gemeinwohl. Denn solche erweisen sich zunehmend für konkrete – und dringliche – Verbesserungsvorschläge unserer Lebenswelt als inhaltlich wenig effizient und problematisch. Die steigende Zahl von Publikationen zum Thema Gemeinwohl, wie etwa das umfassende Werk der Arbeitsgruppe «Gemeinwohl und Gemeinsinn» der Berlin-Brandenburgischen Akademie

Comptes rendus

275

der Wissenschaften,1 sind Anzeichen für die steigende Tendenz, sich mit dem «Gemeinwohl» interdisziplinär auseinander zu setzen. Der vorliegende Band der SAGW bietet einen hilfreich orientierenden Einblick in die Vielschichtigkeit des Themas. Die Beiträge setzen sich mehrheitlich mit den in der Einleitung von Bovin und Kohler aufgespannten Gegensätzen von Substanzialismus vs. Prozeduralismus, Gemeinwohl- vs. Individualwohlorientierung, absolutem vs. relativem Gut und globaler vs. lokaler Gerechtigkeit auseinander. Systematisch und philosophiegeschichtlich einleitend geben Seelmann und Cheneval die «Koordinaten der heutigen ‹bonum commune›-Diskussion» (Seelmann, 13) vor. Es folgen Vorschläge zum aktuellen Verständnis von Gemeinwohl (Krebs und Kohler) sowie Beiträge, die sich eher am Problemfeld des ‹commune› versuchen (Bonvin, Poltier, Lippe). Aus rechtsphilosophischer Warte werden die Relativität (Losano) und die notwendige Offenheit und Prozessualität rechtlicher Gemeinwohlkonzeptionen (Lendi) betont. Dembinski untersucht die Kohärenz sozialer Systeme, um daraus politische Forderungen abzuleiten, die die «fondements anthropologiques et le rôle de la notion de bien commun» (232) betreffen. Im Zeichen der Zeit stellen die folgenden Beiträge Gedanken zum Thema auf globaler Ebene an: Da geht es um globale Gerechtigkeit (Joób, Zanetti), um «global governance» globaler «common goods» (Lavenex) sowie um das problematische ökonomisch-rechtliche Verhältnis einer profitorientierten Wirtschaft globaler Dimension (Emmert). Perspektiven auf die Gesellschaften am Rande Europas (Giordano), in Kamerun (Gabriel) und in der Mongolei (Kollmar-Paulenz) weiten den Blick auf ungewohnte Gemeinwohlkonzeptionen und konstatieren gewohnte Problemfelder. Der Beitrag von Schefczyk schließlich verdeutlicht anhand von Wiedergutmachungsforderungen historischen Unrechts an der schwarzen Bevölkerung in den USA, dass das Wohl einer Gemeinschaft, die sich auch durch ihr historisches Erbe definiert, eine zeitliche Dimension in sich trägt. Während sich vor allem Krebs, der es «um die Garantie eines humanitären Sockels für alle» geht (58), und Joób, der sich für «naturrechtlich vorgegebene Imperative [ausspricht], die die Unbeliebigkeit der menschlichen Existenz bewusst werden lassen» (225), sowie Zanetti – «die Idee eines Minimalstandarts [ist] notwendig» (258) – für eine substanzielle Gemeinwohlorientierung engagieren, halten Lippe – das Gemeingut ist ein «prozeduraler Raum» (131) – sowie Losano, Lendi und Kohler explizit an einer «notwendig offenen» «formalprozeduralen» (Kohler, 69) Konzeption des Gemeinwohls fest. Losano und Lendi machen dafür rechtsphilosophische Gründe geltend, betonen die permanent mögliche Abänderbarkeit des Gemeinwohls durch den Gesetzessouverän und somit dessen zeitliche und örtliche Relativität. Kohler führt dagegen auch antimetaphysische Gründe ins Feld: Wer einem metaphysischen Begriff des Gemeinwohls folge – worunter wohl auch anthropologische Konstanten, wie sie bei Krebs und Joób anklingen, zu fassen sind –, der gerät «an die letzten Endes unlösbare 1

H. Münkler, H. Bluhm, K. Fischer (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn, 4 Bde., Berlin 2001f.

276

Buchbesprechungen

Schwierigkeit, die privilegierte eigene Einsicht ins ‹wahre Gemeinwohl› beweisen zu müssen» (68). Das Gemeinwohl wird so zum «einigenden Fluchtpunkt» (69), der auf die nunmehr vielfältigen Gemeinwohlbelange in der Gesamtheit der Entscheidungen abzielt. Welche das sind, wird durch Abwägung der Interessen der Mitglieder der Gemeinschaft bestimmt. Dadurch rückt das Verfahren, in dem das jeweilige Gemeinwohl ausgehandelt wird, in den Vordergrund. Solche Verfahren seien aber keinesfalls beliebig, ansonsten erhielten wir das «Problem der Okkasionalität» (70), sondern werden in rechtsstaatlich-demokratischer Selbstbestimmung nach inhaltlich gehaltvollen Kriterien konkretisiert. Dank «begründbaren Einsichten und Notwendigkeiten der kommunikativ-praktischen (Rechts-)Vernunft» erhalten Verfahren Legitimität (70). Dadurch soll dem Prozeduralismus die Möglichkeit zu einem material gehaltvollen Gemeinwohlverständnis gegeben werden, ohne dass diese vorgegeben würden. Kohler zeigt damit, «dass der grundlegende Sinn von ‹Gemeinwohl› – die Verpflichtung auf das Zuträgliche für die gemeinsam in einem Staat Lebenden – bei aller Disponibilität der materialen Gehalte und trotz der prinzipiellen Offenheit jeder diskursiven Normensuche nicht verloren geht» (72). Es fragt sich dann aber, ob wirklich alle materialen Gehalte disponibel sein dürfen. Müssen nicht auch schon die Verfahrensregeln und -bedingungen allgemein anerkannt und unumstößlich sein? Deshalb wohl hält Kohler an der rechtsstaatlichen Gemeinwohlbestimmung fest, die sich in einer «primordialen, aber partikularen (Wir-)Einheit» (74) von Außenstehenden abgrenzt und dadurch ihre Verfahrensregeln bewahrt. Die Frage «Wessen Gemeinwohl?» rückt dadurch in den Mittelpunkt: Wer ist Gemeinwohlaspirant? Kohler sieht diesen vornehmlich in der politischen Einheit i.e.S. Diese wird definiert durch den Ausschluss von Außenstehenden, die Fähigkeit verbindlicher Entscheidungsfällung und deren – notfalls gewaltsame – Durchsetzung. Sie erhält ihren Wert durch ihre stabilisierende Funktion, dadurch also, dass sie im Stande ist, Ordnung herzustellen. Kollektivsubjekte stellen eine Möglichkeitsbedingung von politischen Einheiten dar und benötigen geschichtliche Erfahrung und Traditionen, wodurch sie sich «historisch ebenso kontingent wie determiniert und ergo differenziert» (78) ausgestalten. Gewalt als letzte Wächterin vor inneren und äußeren Bedrohungen wird dabei nur verhindert, wenn ein dauerhaftes und festes Gewaltmonopol errichtet werden kann – «wenn [also] die Staatsgewalt […] übermäßig repressiv ist» (Cheneval, 22) – oder wenn die Aussichten auf Erfolg bei gewaltsamem Handeln nicht gegeben sind – und die Individuen oder die Kollektivsubjekte sich also nicht (nur) egoistisch, sondern (auch) tugendhaft verhalten. Eine weitere Möglichkeit zur Verhinderung äußerer Gewalt bestünde in der institutionellen Etablierung eines einzigen weltweiten Kollektivsubjekts. Kohler stellt sich deshalb der Frage, warum «es eigentlich immer viele Staaten und nicht nur einen einzigen» gibt (80). Er findet ein funktionales, ein normatives und ein kulturalistisches Argument: Gemeinwesen oder politische Einheiten i.e.S. bedürfen eines Zentrums der Entscheidung. Dieses muss demokratisch legitimiert sein, da jene sonst illegitim und instabil sind – wobei auch hier angefügt werden könnte, dass Demokratie ohne Tugend «tot» ist (Joób, 223). Und schließlich ist

Comptes rendus

277

sie unter Berücksichtigung der menschlichen Sozialnatur an eine bestimmte Tradition gebunden. Identität trägt eine kulturalistische Note. Es muss nach Kohler also viele Staaten geben, weil die Gewaltpotenziale vielfältig sind und höchst unwahrscheinlich durch ein Gewaltmonopol beherrscht werden können, sondern von kulturellen und historischen Gegebenheiten abhängen. So kommt Kohler zu dem Schluss, dass «das vorrangige bonum commune der demokratisch-aktionsfähige (Einzel-)Staat ist» (82). Die Frage nach dem Gemeinwohl wird also unauflöslich mit dem PolitischPraktischen einer konkreten Gemeinschaft verknüpft, deren Aufgabe es ist, diese Frage für sich zu lösen und somit ihr Bestehen und das Zusammenleben ihrer Mitglieder zu regeln. Diese Frage ist zwar nicht primär eine moralische – ansonsten müsste sie unabhängig von der Kollektivitätszugehörigkeit beantwortet werden können –, bleibt nach Kohler als politisch-praktische Fragestellung aber dennoch Prinzipien der Moral unterstellt. Denn in die vernünftige Begründung der Frage «Was sollen wir tun?» ist untilgbar der Anspruch eingelassen, gegenüber jeder und jedem Rechenschaft ablegen zu können. Auf diese Weise kommt doch noch der «kosmopolitische Gesichtspunkt» in den Blick. «In der vernünftig konzipierten Struktur der partikularstaatlich geschehenden Gemeinwohlfindung ist darum von Anfang an ein kosmopolitisches, die Absolutsetzung eigener Zwecke und Interessen transzendierendes Element eingebaut.» (86) Es fragt sich allerdings, welche Art von Rechtfertigung ein Gemeinschaftsmitglied Außenstehenden schuldig ist. Denn wenn eine Norm nur dann gerecht ist – und das Gemeinwohl scheint der Gerechtigkeit verpflichtet zu sein –, «wenn alle wollen können, dass sie in vergleichbaren Situationen von jedermann befolgt wird»,2 dann spielt die partikulare Wir-Identität keine (vornehmliche) Rolle mehr und die Gemeinwohlkonzeption hat per se einen universellen und nicht (nur) partikularen Anspruch. Kohlers spannendes Unterfangen, anhand eines partikularstaatlichen Prozeduralismus, in den kosmopolitische Imperative eingebaut sind, zu einem «notwendig offenen» Gemeinwohlkonzept zu gelangen, das global verpflichtet und material gehaltvoll ist, wirft also schwer wiegende Fragen auf. Vielleicht wäre es hilfreich, diese anhand Joóbs – leider nicht weiter ausgeführten – These aufzuschlüsseln, dass den unterschiedlichen Theorietypen eines prozeduralistischen oder substanzialistischen Gemeinwohlverständnisses zwei unterschiedliche Menschenbilder zu Grunde liegen: «ein reduktionistisches und ein tendenziell ganzheitliches» (225). Wenn auch anthropologische Überlegungen in verschiedenen Beiträgen anklingen, so bleibt dies ein Desiderat dieses inhaltlich spannenden und nötigen, in der Erscheinungsweise allerdings etwas mäßig auftretenden Bandes. Was die unterschiedlichen Beiträge jedoch schön zu verdeutlichen vermögen, ist, dass das Gemeinwohl von unbestreitbarer Wichtigkeit für menschliches Zusammenleben ist und dass ein rein prozeduralistisches Ge2

J. Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, Frankfurt 1992, S. 200, zitiert von Kohler, S. 86.

278

Buchbesprechungen

meinwohlkonzept ohne substanziellen Gehalt inhaltlich leer und ein rein substanzialistisches ohne notwendige Offenheit unmenschlich wäre. Sie werden somit der Anforderung eines kritischen Plädoyers gerecht. Marius Christen (Basel)

Regine Munz (Hg.) : Philosophinnen des 20. Jahrhunderts, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2004, 284 Seiten. «Gott macht die Welt und denkt dabei, es könnte ebensogut anders sein»: Kontingenz, wie Robert Musils launige Bestimmung des Möglichkeitssinn im Mann ohne Eigenschaften sie veranschaulicht, ist «Signum der Moderne» (8), so Regine Munz in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband Philosophinnen des 20. Jahrhunderts. Die «Kontingenz des Geschlechtes» (8) ist, das zeigt schon der Titel an, der Leitgedanke, der die Beiträge zusammenführt. Sie gelten Edith Stein, Simone Weil, Simone de Beauvoir, Susanne K. Langer, Iris Murdoch, Hannah Arendt, Judith Butler, Agnes Heller, Seyla Benhabib, Luce Irigaray sowie Lynn Hankinson Nelson und Sandra Harding. Die Erfahrung von Kontingenz als Resultat der Auflösung von festgefügter Ordnung, sei sie theoretischer, kirchlicher oder sozialer Natur, ist überdies das alle Beiträge verbindende Thema des Buches. Dabei geht es nicht nur um Kontingenz als Gegenstand und Modus des Denkens, sondern auch um Kontingenz als Lebenssituation, in der Philosophinnen – aufgrund der patriarchalen Gesellschaftsordnung weniger frei in ihrer Lebensgestaltung – «lange Zeit schreibend nachgedacht, philosophisch gearbeitet und gelehrt haben» (11). Kontingenz auch auf die Lebensgeschichte der Denkerinnen zu beziehen heißt den Stier bei den Hörnern zu packen, denn die Trivialisierung der von Frauen geleisteten Denkarbeit als Appendix biographischer Zusammenhänge ist ein probates Mittel, Philosophinnen in der Philosophiegeschichte zu marginalisieren. Zugleich gehört es aber zum patriarchalen Mythos, «die konkrete, kontingente Situation der Frauen» (10) auszublenden, nicht zuletzt im Bereich der Wissensproduktion. Aus diesem ehrgeizigen Programm ist ein äußerst anregendes, schillerndes Kompendium entstanden, das nicht nur als Nachschlagewerk, sondern auch zur integralen Lektüre empfohlen werden kann, ermöglicht das übergeordnete Thema doch eine sich im Fortgang der Lektüre vertiefende Auseinandersetzung. Die Länge von etwas mehr als 20 Seiten pro Beitrag ist angenehm und die jeden Beitrag abschließende Auswahlbiographie mit Angabe der wichtigsten Werke der jeweiligen Philosophin sowie Sekundärliteratur für Überblick und fortführende Beschäftigung hilfreich kompakt gehalten. Wie gesagt, ist das Programm ehrgeizig und dass es nicht in jedem Beitrag gleich überzeugend umgesetzt wird, bringt es nur auf das Maß des Machbaren zurück: auf zwanzig Seiten eine Werk- mit einer Lebensdarstellung zu verbinden, wie es durch die doppelte Auffassung von Kontingenz nahegelegt wird, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Patricia Purtschert scheint sich der Vorgabe mit einer kleinen List entzogen zu haben, indem sie in ihrem Beitrag zu Judith Butler ein Kapitel «Bi(bli)ographische Skizze» als reine Werkgeschichte gestaltet. Ka-

Comptes rendus

279

thrin Hönig stellt ihre «Biographische Skizze» über die Wissenschaftstheoretikerinnen Hankinson Nelson und Harding der Auswahlbiographie am Ende des Textes zur Seite; eine solche strukturelle Entkoppelung von Werk und Biographie hätte es auch anderen Autorinnen erleichtert, Lebens- und Werkdarstellung nur dort ins Spiel zu bringen, wo es auch systematisch überzeugt. Dem kann entgegengehalten werden, dass aus der Zusammenschau von Leben und Werk eine narrative Qualität entsteht, die zum einen die Rezeption erleichtern kann, zum Beispiel einen allfälligen ersten Einblick in das Werk von Philosophinnen wie Edith Stein (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz) oder Simone Weil (Maja WickiVogt). Zum andern kann Silvia Henke zum Beispiel dank des narrativen Moments anschaulich machen, wie Simone de Beauvoir den dialogischen Brief als Alternative zur monologischen Literatur- und Theorieproduktion, Henke spricht von einem «Schreiben der Kontingenz», einsetzt. Zum feministischen Empirismus Hankinson Nelson gehört die Ansicht, dass auch in der Wissenschaft weniger Individuen als Gemeinschaften die primären Erkenntnissubjekte darstellen. Viele der Autorinnen des Sammelbandes arbeiten an oder stehen in Kontakt mit der Universität Basel. Munz, die wissenschaftliche Mitarbeiterin an deren Theologischem Seminar ist, hat es offenkundig verstanden, die Kontingenz dieser Zugehörigkeit in ein gemeinschaftliches Projekt zu verdichten. Villö Huszai (Zürich, Basel) Paul Vignaux : Philosophie au Moyen Âge, édité, présenté et annoté par R. Imbach, Paris (Vrin) 2004. « L’historien qui a reçu une formation philosophique doit craindre de trop unifier, de systématiser ; il faut qu’il laisse voir la diversité rebelle ». On ne peut laisser croire que la pensée médiévale se déploie comme une morne plaine à l’horizon borné, pas davantage comme un leitmotiv ennuyeux indéfiniment répété. La tentation du système défigure la réalité historique et ne résiste pas à l’épreuve des faits, ou plutôt à une étude impartiale, sans a priori idéologique ou affectivo-imaginaire, des documents disponibles. Cette diversité rebelle dont nous parle Paul Vignaux dans l’avant-propos de la deuxième édition de sa Philosophie au Moyen Âge, comment se propose-t-il de la rendre sensible au lecteur ? Confessant d’une part l’influence déterminante de Léon Brunschvicg, dont il fut l’élève, et nourri d’autre part par la lecture de La philosophie critique de l’histoire de Raymond Aron, il pense qu’il faut privilégier l’étude des modes de pensée, mettre en lumière la manière dont les problèmes sont posés et traités, non sans souligner le milieu institutionnel et humain dans lesquels la quête spirituelle prend son élan. Davantage que les thèses des penseurs médiévaux, c’est bien plutôt le régime mental qui gouverne leurs démarches qui retient la perspicacité du médiéviste. A tout cela s’ajoute, selon notre auteur, ce caractère de technicité qui modèle le discours savant de l’époque et qui peut déconcerter le lecteur non averti d’aujourd’hui.

280

Buchbesprechungen

Paul Vignaux n’hésite pas à parler d’humanisme médiéval pour rassembler en une notion tout ce que cet aevum comporte de foisonnante diversité de pensée. Cela a de quoi surprendre tous ceux qui n’y voient – non sans quelque dédain, ni quelque raison – qu’un âge théologique, perdu dans les brumes de l’histoire et fort éloigné des convulsions et des préoccupations de notre temps. Humanisme ? Comment le nier si l’on considère le rapport fécond de ces siècles à la philosophie grecque – quels qu’en soient les vecteurs de transmission –, le souci de dégager une certaine conception de l’homme le plus souvent héritée de l’aristotélisme ou du néoplatonisme, bref, de développer un humanisme philosophique. Lequel sera considéré comme dépassé, chez les grandes figures de ce temps, vers un humanisme théologique, dans une vision de l’homme transfiguré par la grâce et appelé à une destinée surnaturelle selon la Parole révélée. Il y a plus. En ponctuant son histoire de la pensée médiévale, Paul Vignaux pense pouvoir y repérer deux Renaissances, qu’il situe l’une sous le règne des Carolingiens, à travers le souci d’une transmission de la culture et le réveil de tendances spéculatives ; l’autre au XIIe siècle, à Paris, où triomphe la dialectique célébrée notamment par Pierre Abélard. Aux yeux des maîtres de la Sorbonne, Paris est devenue la nouvelle Athènes, assumant l’héritage de la Grèce philosophique et assurant le règne sans partage, quoique riche en controverses passionnées, de la théologie chrétienne. Le choix des termes humanisme et renaissance n’est certes pas innocent chez notre médiéviste : n’y a-t-il pas là comme une provocation à l’égard de tous ceux qui font profession de rejeter le Moyen Âge tout entier dans un obscurantisme informe, lequel n’enveloppe en réalité que leur propre ignorance ? On nous permettra de regretter en passant que Paul Vignaux reprenne à son compte, en dépit de ses protestations d’indépendance, l’expression philosophie chrétienne, si chère à Etienne Gilson, pour caractériser l’ensemble de la pensée médiévale. Cette désignation hybride cumule, à nos yeux, la double disgrâce non seulement d’être, en toute rigueur de termes, dépourvue de sens mais d’induire, de surcroît, une fâcheuse confusion entre philosophie et théologie tout en teintant la philosophie, ainsi disqualifiée, d’une coloration apologétique indigne de son statut propre de libre exercice de l’activité intellectuelle en quête du vrai. La philosophie ne saurait s’appuyer sur un donné révélé, ni s’inféoder à un quelconque pouvoir. Au cœur du XIIIe siècle déjà, Thomas d’Aquin l’avait bien vu, lui qui discerne sans ambiguïté possible les divers domaines du savoir selon l’ordre des raisons formelles objectives – autant dire selon une clarté intelligible fort peu en vogue – interdisant du même coup toute absorption d’une discipline dans l’autre, voire l’exclusion de l’une par l’autre, dans une touchante réciprocité. L’histoire qui a suivi nous inflige pourtant le navrant spectacle de cette vaine dialectique. Ne demandons pas à Paul Vignaux ce qui est étranger à ses intentions. Son propos est davantage d’exposer que de confronter. Il a fait des choix, il s’en explique. Celui qui serait tenté par l’aventure d’une exploration plus poussée des problématiques médiévales se reportera au choix bibliographique expert proposé en fin de volume. Philosophie au Moyen Âge inaugurait une manière nouvelle d’aborder cette longue période de l’histoire de la pensée occidentale, après les

Comptes rendus

281

contributions retentissantes du maître vénéré, Etienne Gilson, ainsi que celles, malheureusement moins connues, du dominicain Marie-Dominique Chenu. La recherche a, depuis lors, affûté son appareillage critique et affiné son regard. Reste la personnalité étonnante de cet homme, professeur à l’Ecole pratique des hautes études de Paris, figure de proue du syndicalisme français et auteur d’une œuvre impressionnante, parmi laquelle figurent des études révolutionnaires sur Anselme de Canterbury, Jean Duns Scot, Jean de Ripa, Guillaume d’Occam et le nominalisme du XIVe siècle. Ruedi Imbach lui rend un hommage appuyé dans son ample introduction. Yves Page (Genève)

Adressen der Autoren / Adresses des auteurs

Dr. Bernard Baertschi, Université de Genève, Département de philosophie, CH-1211 Genève 4 Barbara Bleisch, Ethik-Zentrum der Universität Zürich, Zollikerstraße 117, CH-8008 Zürich Dr. Susanne Boshammer, Ethik-Zentrum der Universität Zürich, Arbeitsund Forschungsstelle für Ethik, Zollikerstraße 117, CH-8008 Zürich Dr. Norbert Campagna, 3 allée des Marronniers, F-54560 Serrouville Prof. Dr. Francis Cheneval, Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Zollikerstraße 117, CH-8008 Zürich Prof. Dr. Rafael Ferber, Universität Luzern, Postfach 7455, CH-6000 Luzern 7 PD Dr. Thomas Kesselring, Universität Bern, Institut für Philosophie, Länggassstraße 49a, CH-3012 Bern Prof. Dr. phil., lic. iur. Georg Kohler, Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Rämistraße 71, CH-8006 Zürich Prof. Dr. Angelika Krebs, Philosophisches Seminar der Universität Basel, Nadelberg 6-8, CH-4051 Basel PD Dr. Urs Marti, Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Rämistraße 71, CH-8006 Zürich Prof. Dr. William Ossipow, Université de Genève, Département de science politique, CH-1211 Genève 4 Prof. Dr. Véronique Zanetti, Universität Bielefeld, Postfach 10 01 31, D-33501 Bielefeld Prof. Dr. Simone Zurbuchen, Universität Freiburg, Departement der Philosophie, Avenue de l’Europe 20, CH-1700 Freiburg

Redaktion / Rédaction Prof. Dr. Emil Angehrn, Philosophisches Seminar der Universität Basel, Nadelberg 6-8, CH-4051 Basel Dr. Bernard Baertschi, Université de Genève, Département de philosophie, CH-1211 Genève 4

S T U D I A P H I L O S O P H I C A Vol. 63/2004

Menschenwürde La dignité de l’être humain Redaktion: Emil Angehrn Rédaction: Bernard Baertschi 2004. 295 Seiten. Gebunden ISBN 3-7965-2093-6 Inhalt Malte Hossenfelder: Menschenwürde und Menschenrecht Jean-Yves Goffi: La dignité de l’homme: perspectives historiques et conceptuelles Georg Lohmann: Unantastbare Menschenwürde und unverfügbare menschliche Natur Mark Hunyadi: L’autorité des droits de l’homme Peter Schaber: Menschenwürde und Selbstachtung. Ein Vorschlag zum Verständnis der Menschenwürde Ralf Stoecker: Selbstachtung und Menschenwürde Rudolf Ruzicka: Menschliche Würde. Eine Auseinandersetzung mit Kant Kurt Seelmann: Repräsentation als Element von Menschenwürde Guido Löhrer: Geteilte Würde Reiner Manstetten: Wirtschaft und Menschenwürde Bernard Baertschi: Dignité de l’homme et libéralisme démocratique: une mésalliance? Andreas Brenner: Des Menschen Leib und Würde Heinz Schott: Tiermenschen – Menschentiere: Medizinhistorische Anmerkungen zur «Würde» Raffaele Rodogno: De la dignité aux droits fondamentaux en passant par le bonheur

GRUNDRISS DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE BEGRÜNDET VON FRIEDRICH UEBERWEG VÖLLIG NEU BEARBEITETE AUSGABE HERAUSGEGEBEN VON HELMUT HOLZHEY DIE PHILOSOPHIE DER ANTIKE Band 2/1: Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin Herausgegeben von Hellmut Flashar 1998. XIV, 540 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-1036-1 Band 3: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos 2., durchgesehene und erweiterte Auflage Herausgegeben von Hellmut Flashar 2004. XIII, 747 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-1998-9 Band 4/1-2: Die hellenistische Philosophie Herausgegeben von Hellmut Flashar 1994. 2 Halbbände. XXVI, 1272 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-0930-4 In Vorbereitung: Band 1: Frühgriechische Philosophie Herausgegeben von Hellmut Flashar, Dieter Bremer und Georg Rechenauer Band 2/2: Platon Herausgegeben von Hellmut Flashar Band 5/1-2: Die Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike Herausgegeben von Christoph Horn, Christoph Riedweg und Dietmar Wyrwa

GRUNDRISS DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE BEGRÜNDET VON FRIEDRICH UEBERWEG VÖLLIG NEU BEARBEITETE AUSGABE HERAUSGEGEBEN VON HELMUT HOLZHEY DIE PHILOSOPHIE DES 17. JAHRHUNDERTS Band 1/1-2: Allgemeine Themen, Iberische Halbinsel, Italien Herausgegeben von Jean-Pierre Schobinger 1998. 2 Halbbände. LXIII, 1142 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-1034-5 Band 2/1-2: Frankreich und Niederlande Herausgegeben von Jean-Pierre Schobinger 1993. 2 Halbbände. XXXIII, 1144 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-0934-7 Band 3/1-2: England Herausgegeben von Jean-Pierre Schobinger 1988. 2 Halbbände. XXXIV, 874 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-0872-3 Band 4/1-2: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa Herausgegeben von Helmut Holzhey und Wilhelm Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von Vilem Mudroch 2000. 2 Halbbände. XXIV, 1507 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-1035-3

GRUNDRISS DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE BEGRÜNDET VON FRIEDRICH UEBERWEG VÖLLIG NEU BEARBEITETE AUSGABE HERAUSGEGEBEN VON HELMUT HOLZHEY DIE PHILOSOPHIE DES 18. JAHRHUNDERTS Band 1/1-2: Grossbritannien und Nordamerika, Niederlande Herausgegeben von Helmut Holzhey und Vilem Mudroch unter Mitarbeit von Daniel Brühlmeier, Francis Cheneval und Simone Zurbuchen 2004. 2 Halbbände. XXIII, 1328 Seiten. Leinen ISBN 3-7965-1987-3 In Vorbereitung: Band 2: Frankreich Herausgegeben von Johannes Rohbeck und Helmut Holzhey Band 3/1-2: Italien, Iberische Halbinsel und Lateinamerika Herausgegeben von Johannes Rohbeck und Helmut Holzhey Band 4/1-2: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Eidgenossenschaft, Nord- und Ostmitteleuropa Herausgegeben von Helmut Holzhey

SCHWABE PHILOSOP HICA HERAUSGEGEBEN VON HELMUT HOLZHEY UND WOLFGANG ROTHER Vol. I: The Influence of Petrus Ramus. Studies in Sixteenth and Seventeenth Century Philosophy and Sciences. Edited by Mordechai Feingold, Joseph S. Freedman and Wolfgang Rother. 2001. 285 pages. ISBN 3-7965-1560-6 Vol. II: Martin Bondeli: Kantianismus und Fichteanismus in Bern. Zur philosophischen Geistesgeschichte der Helvetik sowie zur Entstehung des nachkantischen Idealismus. 2001. 419 Seiten. ISBN 3-7965-1724-2 Vol. III: Arend Kulenkampff: Esse est percipi. Untersuchungen zur Philosophie George Berkeleys. 2001. 147 Seiten. ISBN 3-7965-1731-5 Vol. IV: Francis Cheneval: Philosophie in weltbürgerlicher Bedeutung. Über die Entstehung und die philosophischen Grundlagen des supranationalen und kosmopolitischen Denkens der Moderne. 2002. 687 Seiten. ISBN 3-7965-1946-6 Vol. V: Philosophie ohne Beynamen. System, Freiheit und Geschichte im Denken Karl Leonhard Reinholds. Herausgegeben von Martin Bondeli und Alessandro Lazzari. 2004. 431 Seiten. ISBN 3-7965-2012-X Vol. VI: Wolfgang Rother: La maggiore felicità possibile. Untersuchungen zur Philosophie der Aufklärung in Nord- und Mittelitalien. 2005. 445 Seiten. ISBN 3-7965-2106-1 Vol. VII: Stefan Rissi: Descartes und das Problem der Philosophie. 2005. Ca. 296 Seiten. ISBN 3-7965-2183-5 Vol. VIII: Fichte lecteur de Machiavel. Un nouveau Prince contre l’occupation napoléonienne. Édité par Ives Radrizzani. 2005. Ca. 164 pages. ISBN 3-7965-2169-X

Das Signet des 1488 gegründeten Druck- und Verlagshauses Schwabe reicht zurück in die Anfänge der Buchdruckerkunst und stammt aus dem Umkreis von Hans Holbein. Es ist die Druckermarke der Petri; sie illustriert die Bibelstelle Jeremia 23,29: «Ist nicht mein Wort wie Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert?»

Klassische Fragen der Politik- und Sozialwissenschaft erscheinen im Zeitalter der Globalisierung in neuem Licht. Dazu zählen Probleme der Demokratie, des Nationalstaats und der Menschenrechte ebenso wie Herausforderungen der Weltgesellschaft durch den technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel.Aus diesem vielschichtigen Komplex werden im vorliegenden Band zwei Themenkreise herausgehoben. Den ersten Brennpunkt bildet die Frage der Gerechtigkeit,die seit Beginn mit im Zentrum der ethisch-politischen Reflexion steht. Sie kann heute nicht mehr abstrakt im Verhältnis zwischen Individuen oder im begrenzten Raum von Gesellschaften oder Staaten erörtert werden, sondern hat den Bedingungen der weltweiten politischen und ökonomischen Verflechtung Rechnung zu tragen. Den zweiten Fokus stellt die Frage nach der (kosmo-)politischen Ordnung dar. Die seit Kants Friedensschrift debattierte Frage nach einer überstaatlichen, weltbürgerlichen Verfassung ist eines der dringendsten Probleme heutiger Politik. Sie hat einerseits mit dem Ausgleich von Macht und Recht auf internationaler Ebene und im Weltmaßstab zu tun und betrifft andererseits die institutionelle Gestalt einer politischen Verfassung jenseits der Nationalstaaten. Emil Angehrn, geb. 1946, studierte Philosophie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre in Löwen und Heidelberg. Er ist seit 1991 Professor für Philosophie an der Universität Basel. Bernard Baertschi, geb. 1949, studierte Philosophie in Freiburg. Er ist seit 1998 Maître d’enseignement et de recherche für Philosophie und Bioethik an der Universität Genf.

Schwabe Verlag Basel

www.schwabe.ch