Gibt es einen Himmel? Vortrag in der Volkshochschule Bingen e.v. am Donnerstag, 13. November 2008

Gibt es einen Himmel? Vortrag in der Volkshochschule Bingen e.V. am Donnerstag, 13. November 2008 Einleitung Vielleicht ist Ihnen das Lied bekannt: „W...
Author: Hartmut Kohler
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Gibt es einen Himmel? Vortrag in der Volkshochschule Bingen e.V. am Donnerstag, 13. November 2008 Einleitung Vielleicht ist Ihnen das Lied bekannt: „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel – weil wir so brav sind.“ Meist wird es mit einem Augenzwinkern gesungen. Ein wenig Unsicherheit ist aber auch dabei. Himmel, gibt es das überhaupt? - Wie sieht er aus, der Himmel? – Wie kommen wir hin? – Und, angenommen, wir kommen in den Himmel, was dann? Befragen wir aber erst einmal die, die durch Umfragen etwas mehr zu wissen scheinen, zumindest an dem Punkt, was die Leute denn heute an Hoffnungsthemen nennen können wie Auferstehung von den Toten, Himmel oder Jüngstes Gericht. Mit starken Unterschieden zwischen Ost und West wird insgesamt noch von einem knappen Drittel der Bevölkerung der Bundesrepublik mehr oder weniger entschieden angenommen, dass es ein Weiterleben nach dem Tode gebe. Ein weiteres Drittel ist unentschieden; das letzte Drittel sagt deutlich: „Mit dem Tod ist alles aus.“ So sieht der reale gesellschaftliche Hintergrund aus, wenn wir vom Himmel als einem Zustand endgültigen Heils für den Einzelnen und die ganze Welt sprechen. Also auch unter den getauften Christen und damit auch unter denen, die in irgendeiner Weise in einem engeren oder lockeren Kontakt zur Kirche stehen, bildet sich eine Minderheit heraus, die die kirchliche Aussage vom Leben der kommenden Welt fraglos übernimmt. Es ist eine Tatsache: Der Mensch ist sterblich. Viele Menschen werden heute in unseren Breiten älter und alt. Die Medizin mit ihren Fortschritten in der Bekämpfung von Krankheiten hat es erreicht und wird das Erreichte noch weiter ausbauen können, dass Menschen immer älter werden. Hundertjährige und darüber hinaus sind heute keine Seltenheit mehr. Aber bei allem medizinischen Fortschritt wissen wir doch auch: Es gibt Grenzen, Grenzen nach innen und nach außen. Die Einsamkeit ist so eine Grenze nach innen. Die Altersgebrechen,

2 die Krankheiten und das damit verbundene doch Immer-Schwächer-Werden, die Demenz, sie machen uns deutlich, der Mensch kommt innerlich und äußerlich an ein Ende. Er nähert sich der Schwelle des Todes. Die Frage, wie das Sterben denn zu bewältigen sei, die akut diskutierte Frage, in welcher Form Sterbehilfe erwünscht und in welcher sie erlaubt sei, die Diskussion um die Patientenverfügung, die Notwendigkeit von Vorsorge, Vollmacht, all dies hat damit zu tun, dass wir um die Begrenzung unseres Lebens wissen und um die Unausweichlichkeit des Todes, weil wir wissen, dass der Mensch sterben muss. Weil es zum Menschenrecht gehört, in Würde sterben zu dürfen, haben sich neben unseren Senioreneinrichtungen und selbstverständlich den Krankenhäusern Palliativstationen herausgebildet und mit ihnen das Fachgebiet der Palliativmedizin wie auch – und hier ist Bingen in einer besonderen Vorzeige- und Vorreitersituation – die Hospize ambulant und stationär, die eine segensreiche und zum großen Teil ehrenamtlich getragene Arbeit leisten, um Schwerstkranken und besonderes denen, die sterbend sind, zur Seite zu stehen. Der Tod ist unausweichlich. Wenn wir von der Tatsache des Todes sprechen, dann sprechen wir davon, dass der Mensch vom Tod keine unmittelbare Erfahrung hat, denn was wir bei einem Sterbenden erfahren, ist nicht der Tod in seiner Wirklichkeit, sondern nur der Blick von der Schwelle auf die Tatsache, dass es den Tod gibt, über den uns aber niemand aus eigener Erfahrung etwas sagen kann. Wir dürfen auch keine entscheidende Antwort von Menschen erwarten, die dem Tod einmal ganz nahe standen oder die bereits von ihrer Umgebung für tot gehalten wurden. Ebenso wenig können all die, die mit Sterbenden zu tun haben, uns weiterhelfen. Sie haben tiefe Einsichten in das menschliche Sterben gewonnen und in den menschlichen Todeskampf, den eigentlichen Übergang vom Leben zum Tod aber kann ein Lebender nicht sehen. Jeder Mensch stirbt seinen Tod allein und er begegnet ihm nur ein einziges Mal. Der Arzt kann beobachten, wie die Flamme des Lebens beim Sterbenden kleiner wird. Er kann durch Eingriffe das dahinschwindende Leben vielleicht noch eine gewisse Zeit vor dem Tod zurückhalten, aber dann hören die wesentlichen Körperfunktionen auf, der Organismus fängt an, sich zu zersetzen. Auch wenn dann Organe entnommen und künstlich weiter gezüchtet werden, damit sie anderen Menschen transplantiert werden,

3 ist das Leben doch als Ganzes unmöglich geworden. Der Mensch ist gestorben. Bedeutet dies aber, dass er schon tot ist? Dass der Mensch gestorben ist, sagt der Arzt zum Beispiel mit dem Blick auf die Physiologie des Menschen? Was wir als Außenstehende aber nicht feststellen können ist, wann sich die Seele vom Körper trennt. Dies muss nicht mit dem Aufhören der Lebensfunktion zusammenfallen. Wiederbelebungsversuche können ja erfolgreich sein, zeigen, dass das Leben sich nur langsam zurückzieht und dass dieses Leben eventuell durch Herzmassage oder andere medizinische Möglichkeiten wieder in Gang gesetzt werden kann. Es gibt aber dann den Schnitt, bei dem all diese Versuche versagen. Wir sagen, wenn die Seele sich vom Leib getrennt hat, ist dies der Fall und sprechen in diesem Zusammenhang von einem metaphysischen Tod. Intensiv und mit großer Tragik wird die Endgültigkeit des Todes dort erfahren, wo der Tod plötzlich zugeschlagen hat, wo ein Leben sozusagen mitten im Lauf vernichtet wurde durch eine heimtückische Krankheit oder durch einen Unfall. Und ein besonderes Fragezeichen entsteht in dem Schmerz derer, denen der Tod eines geliebten Menschen mit einer solchen Wucht widerfährt, dass sie den Eindruck haben, als ob ihr Schmerz ihr eigenes Leben zerstört habe. Menschen, die solche Schicksalsschläge erlitten haben, sind vielleicht unter uns oder sie sind uns bekannt. Ich will stellvertretend für eine solche Situation auf den Kirchenlehrer und Bischof Augustinus zurückgreifen, der den Tod eines Freundes auf eine Weise erfahren hat, die ihn plötzlich den letzten Fragen des Daseins gegenüberstellte. Er schreibt: „ In jenen Jahren, da ich in meiner Vaterstadt erstmals zu lehren begann, hatte ich in der Gemeinsamkeit der Studien mir einen treuen Freund gewonnen, gleichaltrig mit mir und wie ich erblühend in der Blüte der Jugend. Er war von Kindheit an mit mir aufgewachsen. Wir waren in dieselbe Schule gegangen und hatten dieselben Spiele gespielt. Diese Freundschaft war überaus innig, gereift in der Wärme gleicher Liebesneigungen.“ Eines Tages jedoch entreißt ihm der Tod den Freund und jene Leere, die er nach dem Hinscheiden zurücklässt, öffnet Augustinus den Weg des tieferen Nachdenkens. „Aus Schmerz wurde es dunkel in meinem Herzen und was ich sah, wurde zum Bild des Todes. Selbst die Vaterstadt ward mir zur Qual, das Elternhaus zu unsagbarer Pein. Überall suchten ihn meine Augen, sie fanden ihn aber

4 nicht mehr. Und alle Dinge wurden mir verhasst, denn sie waren ja nicht er, und ich selber wurde für mich ein großes Rätsel.“ (Confessiones, IV,4;7-9 – PL 32 964f.) „Ich wurde für mich selbst ein großes Rätsel“, sagt Augustinus, denn durch den Tod des Freundes wurde das eigene Leben fragwürdig im wahrsten Sinn des Wortes. Es wurde unsicher, bedenklich und unentschieden. Er ist desorientiert in der Welt, in der er lebt, sie schien ihm plötzlich voll von ungewissen Dingen. Ein solcher Schmerz kann so stark sein, dass wir nur sehr schwer allein sein können. Wir fühlen uns dann wie verloren und erfahren unser eigenes Dasein wie ein Spielzeug undurchschaubarer Ereignisse. Wir leben und funktionieren weiter, aber das einschneidende Ereignis wie der Tod eines geliebten Menschen haben uns wie zu Fremden in der Welt gemacht, so als ob wir nicht mehr wüssten, wohin wir gehören, als ob wir selbst namenlos geworden wären. Unumstößlich bleibt die Erkenntnis, dass der Tod eine Tatsache ist, die ich mit dem Verstand allein nicht entschlüsseln kann, die mich aber als Tatsache und in der Verlusterfahrung in eine bestürzende Sinnleere führen kann, in eine große Unsicherheit in der Welt des Gewohnten. Die Verlusterfahrung durch den Tod kann uns sehr deutlich machen, wie heimatlos wir im Grunde sind. Dann werden Ängste und Befürchtungen wach, wie wir überhaupt das Leben weiter meistern und es richtig einrichten sollen. Der Schmerz, den ich in einem Verlust ertragen muss, ist ein Kampf, der mir meine eigene Kraftlosigkeit deutlich macht. Diese Kraftlosigkeit führt mich dahin zuzugeben, dass ich mit meinen Ansprüchen dem Leben gegenüber zu maßlos war, so als ob es keine Grenzen geben könnte. Nun spüre ich durch den Tod die harte Grenze, die mir die Vorläufigkeit meines Lebens bewusst macht, mich aber auch gleichzeitig danach Ausschau halten lässt, ob es nicht etwas Endgültiges geben könnte. Der Mensch im Tod – Annäherung eines Unerfahrenen an Unvorstellbares Um die Tatsache des Todes näher zu erfassen, lasse ich mich zunächst einmal von den Dichtern an die Hand nehmen. Sie beschreiben die unbegreifliche Nacht des Todes als ein In-die-Ferne-Gehen, um der Welt näher zu sein. „Ein Freundliches muss ferner nahe mir sein“, sagt Hölderin in „Menons Klagen um Diotima“. Das, was der Tod verbirgt vor dem Auge des Zurückbleibenden, ist zugleich Enthüllung für den Verstorbenen. Da, wo für den Lebenden das Dunkel des Todes nur ausmachbar ist, ist

5 dieses Dunkel im Tod Licht. Die Verborgenheit als Schmerz für die Zurückbleibenden ist Schönheit für den, der im Tode ist. Ich will Stefan Zweig für das eben Gesagte mit seiner Legende „Die Augen des ewigen Bruders“ als Zeugen anführen. Er beschreibt den Zustand eines Menschen, der freiwillig die Abgeschiedenheit eines Bergkerkers hinunterstieg und dort die Entstehung einer neuen Welt erfuhr. Ein dichterisches Erfassen also für die Vorstellungen, die wir mit dem Tod verbinden. „Am zweiten Tag konnte er sich schon erheben und sein kaltes Geviert abtasten mit den Händen. Er fühlte, wie eine Welt neu wuchs mit jedem Schritt, den er tat, und am dritten Tag narbten die Wunden, Sinn und Kraft kehrten zurück. Nun saß er still und spürte die Stunden an den Tropfen nur, die niederfielen von der Wand und das große Schweigen teilten in viele kleine Zellen, die still wuchsen Tag und Nacht wie ein Leben aus Tausenden von Tagen selbst wieder wächst zu Mannheit und Alter. Niemand sprach auf ihn ein, Dunkel stand starr in seinem Blut, aber von innen stieg nun bunt Erinnerung in leisem Quell, floss mählich zusammen in einen ruhenden Teich der Schau, darin sein ganzes Leben gespiegelt war. Was er verteilt erlebt, rann nun in eines und kühle Klarheit ohne Wellenschlag hielt das gereinigte Bild in der Schwebe des Herzens. Nie war sein Sinn so rein gewesen wie in diesem Gefühl reglosen Schauens in gespiegelte Welt.“ (Stefan Zweig, Die Augen des ewigen Bruders. Eine Legende – Insel-Bücherei Nr. 349, S. 31-32) Der Tod, so sagt der Dichter, ist also nicht das schwarze Loch, sondern jener Vorgang, der den Menschen ganz sammelt, der alle Facetten seines Lebens zusammenfließen lässt in eine Ganzheitlichkeit, in der sein eigenes Leben genauso gesammelt ist wie die Welt insgesamt, in eine Einheit geführt durch die Gegenwart Gottes. Gott, Mensch und Welt finden zur Endgültigkeit, zu einer umfassenden Einheit. Der Tod ist der Anbruch der Endgültigkeit Wenn der Mensch durch den Tod gegangen ist, erreicht er den Zustand der Endgültigkeit. Seine Grundeinstellung kann dann nicht mehr geändert werden. Der Mensch ist in seine Endgestalt gekommen. Richtungsändernde Entscheidungen können nun nicht mehr gefasst werden. Der Tod ist der Schritt über jene Schwelle, bei der der Mensch seine unwiderrufliche Entscheidung trifft, er trifft sie Gott gegenüber,

6 und er gelangt mit dieser Entscheidung dann in sein endgültiges Ziel. Der Mensch erhält seine letzte Gestalt von ewiger Gültigkeit und dies ist unwiderruflich entweder Gott zugekehrt, den er nicht mehr verlassen kann und will, oder Gott abgewandt oder auch für den Reinigungsort bestimmt und damit schon so auf Gott ausgerichtet, dass er davon nicht mehr abgelenkt werden kann. Ein solches Entschiedensein ist nicht zusammenhanglos, sondern Frucht des in diese Entscheidung vor Gott hineingereiften Lebens. Das irdische Leben ist und bleibt ein Sein zum Tod und damit ist jede Entscheidung, die mit unserem Leben hier auf dieser Erde zu tun hat, auch eine Entscheidung, die für die Lebensrichtung und den Lebensstil seine Bedeutung hat und als eine solche Teilentscheidung des Lebens fließt sie dann ein in die letzte Entscheidung, die der Mensch im Tod zu treffen hat, um sein Leben, das er verantwortet, auch im Maß dieser Verantwortlichkeit in die Endgültigkeit hineinzuführen. Muss es denn so endgültig sein? Wäre Reinkarnation nicht doch ein denkbarer Weg? Dem Grundgedanke liegt der Reinkarnationslehre zugrunde: Im Menschen ist etwas Göttliches angelegt. Dieser göttliche Kern hütet die wahre Natur des Menschen und so muss der Mensch sich auf der relativen Ebene von Zeit und Raum solange entwickeln, bis er seine wahre Natur gefunden hat, bis das in ihm Schlummernde sich entfalten kann und die göttliche Bestimmung, die von allem Anfang seines Seins in ihm vorhanden war, der Wesensbestimmung des Menschen in seinen Endzustand verholfen hat. Es genügt daher dem Menschen nicht, nur einen Tod zu sterben, denn er bedarf einer Reihe von Leben. Der Geist umkleidet sich mit immer neuen Hüllen. Er geht durch immer neuere Erfahrungen hindurch, findet immer neue und bessere Ausdrucksmöglichkeiten, bis er aus allen Hüllen herausgewachsen in seiner Unendlichkeit angelangt ist. Dieser grob skizzierte Kern der Reinkarnationslehre ist noch einmal sehr viel differenzierter im Osten als im Westen. Im Westen ist sehr viel stärker damit eine Heilsbotschaft verbunden. Der Mensch gelangt zu seinem eigentlichen Selbst. In dieser Botschaft lebt eine Kultur der Hoffnung über den Tod hinaus.

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In der östlichen Tradition ist die Erfahrung des Leidvollen im Vordergrund. Der Mensch ist dem kosmischen Gesetz von Werden und Vergehen unterworfen. Auch das glückliche Leben im Jenseits bietet keine Beständigkeit. Es kann durch einen wiederholten Tod verloren gehen, darum muss die Seele nach einem neuerlichen Tod noch einmal neu geboren werden. Das Ziel allen Lebens besteht darin, irgendwann zu einem Nicht-Wieder-Geboren-Werden zu gelangen, also die endgültige Befreiung aus dem Kreislauf von Sterben und Geborenwerden zu erreichen. Für viele Menschen legt sich ein solcher Rhythmus aus der Erfahrung der Natur nahe. Die Natur zeigt den Kreislauf von Werden und Vergehen und Wieder-Neu-Wachsen, dass sie Lebens- und Selbstheilungskräfte hat, in denen die Überwindung des Todes im Gehirn eingepflanzt ist. Auch der Mensch wird mit seinem Leben und seinem Sterben in diesen Kreislauf miteinbezogen. Er stirbt und gelangt zu neuem Leben. Anhänger der Wiedergeburtslehre verweisen auf außergewöhnliche Phänomene wie das sogenannte Déjà-vu oder die Wiedererinnerung an ganz vergangene Zeiten oder weit entfernte Orte oder die Kenntnis von fremden Sprachen oder die Erfahrung von Rückführungstherapien, in denen Menschen über ihre Geburt und Empfängnis hinaus zurückgeführt werden, sozusagen in ein Leben vor diesem Leben. Christlicher Glaube und Reinkarnationslehre An der Frage der Wiedergeburt erhitzen sich die Gemüter bis heute. Auch unter Christen gibt es eine Reihe von Menschen, die der Wiedergeburtslehre nahe stehen oder sie auch vertreten. Und doch ist vom christlichen Glauben her eine Basis für eine Reinkarnationslehre nicht vorhanden. Gemeinsam ist die Hoffnung über den Tod hinaus, der Zusammenhang zwischen dem Handeln im irdischen Leben und dem Leben nach dem Tod. Die Betonung der sittlichen Verantwortung für das eigene Leben, die Einsicht, dass sich gutes wie schlechtes Handeln auf das ganze Leben auswirkt, das Motiv einer sittlichen Läuterung, all dies sind Gemeinsamkeiten, aber die Unterschiede sind ebenso deutlich vorhanden und diese sind so ausschlaggebend,

8 dass im Kern eine Unvereinbarkeit zwischen dem christlichen Jenseits-Glauben und der Reinkarnationslehre deutlich ist. Christlicher Glaube ist Schöpfungsglaube. Der ganze Mensch ist geschaffen, er ist endlich, nicht göttlich. Es gibt einen unendlichen Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Gott und Welt. Durch keine Wiedergeburt kann ein Mensch göttlich vollkommen werden. Der Mensch bleibt eben Geschöpf. Er hat eine unsterbliche Seele. Diese Unsterblichkeit hat er aber nicht von Natur aus und aus sich selbst, sondern sie ist ihm geschenkt, er ist deswegen unsterblich, weil Gott ihn in seiner unendlichen Liebe an seinem ewigen Leben teilhaben lassen möchte. Wenn der Mensch mit seiner ganzen von Gott geschenkten Fähigkeit mit „ganzem Herzen und ganzer Seele und all seinen Kräften“ (Mk 12,30) Gottes Liebe empfängt und sie erwidert, dann wird er in seinem ganzen Menschsein vor Gott unsterblich. Die klinisch Toten – Boten aus dem Jenseits? Wir haben nun Berichte von sogenannten klinisch toten Menschen, die nach einem Herzstillstand, dem Aussetzen der Atmung, dem Abfall des Blutdrucks, der Weitung der Pupillen im Absinken der Körpertemperatur, dem Ausfall von Hirnstromwellen, dennoch von Ärzten wieder ins Leben zurückgerufen wurden und Erstaunliches von ihrem Leben dazwischen erzählen konnten. Sie erzählen vom Heraustreten aus dem Bewusstsein ihres Körpers, dass sie wie von außen beobachten konnten, was mit ihnen geschah. Sie erzählen vom Durchlaufen einer längeren Strecke der Dunkelheit, berichten von der Begegnung mit verstorbenen Bekannten, sind wie geblendet von einem großen Licht, vom blitzartigen Überblick über das ganze Leben, berichten vom Bewusstsein ihrer Schuld und der Erfahrung eines großen Friedens, ja vom Widerstand gegen das Zurückkehren in den Körper. Es gibt keine Gründe, an diesen Erfahrungen zu zweifeln. An den Folgerungen, die Elisabeth Kübler-Ross zieht, darf jedoch gezweifelt werden. Unbestritten sind ihre hohen Verdienste im Bereich der Sterbebegleitung, im Erforschen des Umgangs mit Tod und Trauer in der Entdeckung der verschiedenen Sterbephasen, die ein Mensch zu durchschreiten bzw. zu durchleiden hat. Die Deutung der Berichte der klinisch toten Patienten jedoch lassen bei ihr Fragen zu. Sie behauptet aufgrund ihrer medizinischen Erkenntnisse zu wissen,

9 dass es den Tod nicht gibt, bzw. dass der Tod nur eine Umwandlung bedeutet, so wie der Schmetterling, der aus dem Raupenkokon ausschlüpft, so verlässt der Mensch im Tod die körperliche Hülle, um ganz frei zu sein, um dann endlich vollkommen zu Gott heimzukehren. Die sogenannten klinisch toten Menschen sind jedoch Menschen, die in äußerster Todesnähe sind, nicht aber jenseits der definitiven Todesgrenze. Sie berichten von Erfahrungen in dieser unmittelbaren Nähe des Todes, aber nicht von Erfahrungen im endgültigen Tod selbst. Der Tod ist die Grenze unseres Erkennens. Wir können von todesnahen Menschen die Zeichen der Hoffnung, die sie in dieser Nähe erfahren, durchaus aufnehmen und sie auf Gottesnähe und seine rettende Treue im Leben und im Sterben deuten, sie können unsere Hoffnung gelassener machen, festzuhalten ist jedoch, dass es den Erfahrungsbericht eines endgültig Toten nicht gibt. Das Leben der kommenden Welt Der Tod ist höchstpersönlich, aber er ist nicht nur ein punktuelles Ereignis ohne einen größeren Kontext. Daher lohnt es sich, näher auf die Bilder der sogenannten Apokalyptik einzugehen. Von der Wortbedeutung heißt Apokalyptik: Enthüllung. Sie geht vom Endpunkt der Geschichte und des Kosmos aus und spricht in oft unfassbaren Bildern vom endgültigen Heil für die Gerechten. Dass sie dieses Heil jetzt schon ankündigt und für die jetzt Lebenden auch Bilder des Heils wie auch Bilder des Schreckens und Erschreckens aufzeichnet, ist insgesamt als Aufruf zur Hoffnung zu verstehen und als Hinweis, gegenwärtig zu leben, um die Gegenwart immer auch so zu sehen, dass sie eine Entscheidungszeit ist. Entscheiden muss sich der Mensch, ob er Gott als den Herrn der Geschichte ansieht und damit auch seiner persönlichen Geschichte, um im Gehorsam Gott gegenüber zu leben, oder ob er diesen Gehorsam verweigert und des neuen Äons, des neuen Himmels, der neuen Erde verlustig geht. Die biblischen Botschaften sind in sogenannten Apokalypsen aufgezeichnet. Im Bund Israels vor allem, in den Visionen des Daniel mit seinen eindrücklichen Bildern, im Neuen Testament in der Offenbarung des Johannes, dem großen Trostbuch, das gegen Ende des ersten Jahrhunderts in der Zeit der Verfolgung durch den römischen Kaiser

10 Domitian (81-96 n.Chr.) besonders für die sehr bedrängten kleinasiatischen Christen geschrieben wurde. Jesus durchbricht den Vorstellungshorizont der alttestamentlichen Apokalyptik an einem entscheidenden Punkt: Für ihn ist die gegenwärtige Geschichte Israels nicht Unheilsgeschichte, sondern der Beginn des Heils von Gott her. Dieses Heil wird jedoch nicht durch kleinliche Gesetzesbefolgungen erlangt, sondern durch die Nachfolge auf dem Weg Jesu. Christen erkennen in Jesus von Nazaret den Christus, die Gestalt des Heils in seinen Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen, in der Verkündigung der Frohen Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes, in der Mahlgemeinschaft mit Sündern und Verachteten. In der Vollmacht der Vergebung der Sünden offenbart Gott sein neues Reich, seine befreiende Liebe im Handeln Jesu. In unscheinbar menschlicher Art geht er seinen Weg und verkündet die Hoffnung auf die Vollgestalt des Reiches Gottes am Ende der Zeiten. Er spricht vom Kommen des Menschensohns, von der neuen Lebensordnung für die ganze Menschheit und vom Offenbarwerden des Gerechtigkeits- und Friedenswillens Gottes in dem vollendeten Reich (vgl. Mt 24 u. Mk 13). Deutlich wird in seiner Verkündigung, dass die Weltgeschichte nicht einfach weiterläuft. Der Glaube, es könnte immer so weitergehen und es gäbe kein Ende, ist ein Märchen. Der bekannte evangelische Theologe Jürgen Moltmann schreibt dazu in seinem Buch „Eschatologie“ sehr treffend: „Jeder Zurechnungsfähige kennt die drohenden nuklearen, ökologischen und ökonomischen Katastrophen der modernen Welt ... Wer die moderne Welt zu einem Millenium, zu seinem goldenen Zeitalter erklärt, in welche es nur noch um die Verfeinerung der Machtmittel und die immer bessere Annäherung an die Vollendung geht, macht sie in Wahrheit für andere zum „Tier aus dem Abgrund“ zur „Hure Babylon“ zum gefräßigen „Drachen“ aus Offenbarung 13 und bereitet ihren Untergang vor.“ (Jürgen Moltmann – Das Kommen Gottes – Christliche Eschatologie, München 1995, 155) Gott, der Bleibende und Kommende

11 In dem Lebensweg Jesu, beginnend bei seiner Geburt in Bethlehem und endend bei seinem Tod und seiner Auferstehung in Jerusalem, offenbart Gott seine ganze Liebe zum Menschen. Jesus ist in die Finsternis des Todes gegangen und er hat den Kreuzestod auf sich genommen und mit ihm die Verlassenheit von Gott und Mensch. Aber auch in seinem Tod hat Jesus nicht von seinem Vertrauen auf Gott gelassen. Er hat die Macht des Todes gebrochen. Der Tod hat über den Menschen keine Macht mehr. Durch den Tod hindurch ist er in die Fülle des Lebens Gottes eingetreten. Diese Fülle hat er uns in seiner Auferstehung geoffenbart. Er hat diese Offenbarung nicht als einen Hinweis verstanden auf ein exklusives Privileg, das nur ihm zuteil geworden wäre, sondern das allen zuteil wird, die an ihn glauben. Die Katastrophe des Untergangs ist nicht das Ende unseres Planetensystems, sondern ist die Entmachtung des Bösen und des Todes. Der Anfang einer neuen Schöpfung hat in Jesu Tod und Auferstehung stattgefunden. Wir brauchen, so heißt seine Botschaft, keine heillose Angst mehr zu haben, auch da nicht, wo wir persönlich in eine Ölbergsituation hineingeraten. Wir haben Anteil an seiner begnadeten Angst, dürfen in einem Glauben leben, dass die rettende Nähe Gottes vertrauenswürdig ist. Der endgültige Himmel Es gibt eine sehr schöne Erzählung, die der Biograph des Heiligen Martin Sulpicius Severus etwa um 400 verfasst hat. Sie erzählt von einer Vision des Heiligen auf folgende Weise: „Ich darf nicht übergehen, auf welch schlaue Weise der Teufel damals Martinus versuchte. Eines Tages stand er vor ihm in der Zelle während er betete. Purpurlicht strahlte er vor sich her und war auch selbst ganz davon umflossen. Mit diesem erborgten Lichtglanz hoffte er, um so leichter täuschen zu können. Ein Königsmantel umwallte ihn, er trug ein edelsteinfunkelndes goldenes Diadem auf dem Haupt, seine Schuhe golddurchwirkt, gewinnend war seine Miene, freundlich sein Antlitz, so dass man eher alles andere als den Teufel in ihm vermuten musste. Auf den ersten Anblick war Martinus höchlichst überrascht. Beide schwiegen geraume Zeit. Dann begann der Teufel zuerst: „Erkenne, wen du vor dir erblickst, ich bin Christus. Da ich im Begriff bin, auf die Erde niederzusteigen, wollte ich mich dir zuerst offenbaren.“ Martinus schwieg und antwortet mit keiner Silbe. Da hatte der Teufel die Frechheit, sein

12 frevelhaftes Bekenntnis zu wiederholen. „Martinus, warum zweifelst du? Glaube doch, da deine Augen es ja schauen: Ich bin Christus.“ Jetzt ward es Martinus durch eine Geistesoffenbarung kund, der Teufel stehe vor ihm, nicht Gott. Daher sprach er: „Jesus, unser Herr, hat nicht gesagt, dass er im Purpur und im Glanz einer Krone wiederkommen werde. Ich kann nicht glauben, dass Christus anders gekommen wäre als in jener Haltung und äußeren Gestalt als mit den Wundmalen des Kreuzes.“ Bei diesen Worten verschwand der Teufel plötzlich wie Rauch und erfüllte die Zelle mit üblem Geruch. Auf diese Weise hinterließ er das untrügliche Zeichen dafür, dass er wirklich der Teufel gewesen.“ (Sulpicius Severus – Das Leben des Heiligen Martinus, Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 20 – Kempten/München 1914, 49f) Die Geschichte ernüchtert. Das Kommen in Herrlichkeit ist nicht der Glanz und die Krone, es ist nicht das Schwert, das mit Gewalt dreinschlägt. Die erste Ankunft Gottes auf dieser Erde in Bethlehem in einem Stall in einer Krippe wird nicht durch seine Wiederkunft korrigiert. Christus offenbart sich am Ende von Zeit und Geschichte allen Geschöpfen als Sinn und Ziel derselben. Das Geschehen ist jenseits von Raum und Zeit. Es ist wie bei der Schöpfung, auch diese ist im ewigen, unsichtbaren Willen grundgelegt vor aller Zeit. Der Kosmos ist mit der Zeit geschaffen worden, nicht in der Zeit. Dem widersprechen nicht Theorien vom Anfang der Welt. Diese berichten von datierbaren Ereignissen im Werden des Kosmos. Die Sprache des Glaubens deutet auf den Schöpfer und seinen Schöpfungswillen hin, aus dem Raum und Zeit entstanden sind. Genauso müssen wir es uns mit dem anderen Pol von Raum und Zeit vorstellen, mit dem, was wir endgültigen Himmel und was Christen Wiederkunft Christi nennen. Auch diese Wiederkunft wird nicht in Raum und Zeit sich ereignen, sondern mit ihr werden Raum und Zeit vollendet, in das ewige Leben Gottes hinein verwandelt und aufgehoben. Die Vollendung der Welt ist daher etwas anderes als eine mögliche Naturkatastrophe, die das Ende unserer Erde einläutet. Diese kann menschlich verschuldet sein. Die Vollendung der Welt ist die Innenseite von Raum und Zeit und diese ist dann nur mit verwandelten, mit vollendeten Augen wahrnehmbar, mit Augen, die durch den Tod hindurch gegangen sind, die Gottes endgültiges Licht und die vollendete Herrlichkeit Christi wahrnehmen können. Wer meint, hier auf unserer Erde

13 ein Datum dafür ansetzen zu können, wie es manche apokalyptischen Gruppen und auch Sekten versucht haben und versuchen, wird und muss enttäuscht werden. Der Himmel – die Vollendung mit Leib und Seele Nach christlicher Auffassung geschieht im Tod die Begegnung eines jeden einzelnen Menschen mit dem wiederkommenden Christus. In dieser Begegnung wird er sogleich in den gemeinsamen Lebensraum des Heils aufgenommen. In den Leib Christi, des Auferstandenen, mit anderen Worten nennen wir es die Gemeinschaft der Heiligen, die zusammengefügte Einheit aller Menschen, die in einem gelingenden Miteinander leben, die sich von der Liebe Christi erreichen ließen und darum in ihrem Tod an seinem Leben, an seinem Leib Anteil erhalten. Das unzerstörbare Leben des Menschen Was kann denn, wenn das irdische Leben ein- für allemal zu Ende geht, im Tod, in seinem Untergang aber vom Menschen noch erhalten bleiben? Erhalten bleibt das, was wir Seele nennen. Diese ist nicht nur ein hervorgehobener Teil des Menschen, Sitz der Emotion oder der Personalität oder der Sittlichkeit. Gemeint ist mit Seele der ganze Mensch, der von Gott dazu befähigt ist, sein Dialogpartner zu sein, also mit Gott in eine hörende, antwortende und liebende Beziehung eintreten kann. Seele ist so aufgefasst, wie es der Beter im Psalm 103 im Vers 1 meint: „Lobe den Herrn meine Seele und alles in mir seinen heiligen Namen.“ Der ganze Mensch ist hier in dem Begriff Seele umfasst. Ebenso meint es Maria im Magnificat, wenn sie Gottes Größe preist und zu Gott als Gegenüber spricht: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ (Lk 1,46 ff) Wenn wir dann von der Seele als Prinzip des ganzen Menschen sprechen, ist dann der Leib unerheblich? Was heißt dann, der Mensch werde mit Leib und Seele der Herrlichkeit Gottes teilhaftig, er werde also mit Leib und Seele in den Himmel kommen? Unbestritten ist, dass mit Leib etwas anderes gemeint ist als unser jetziger Körper. Dieser Organismus wird schon während des längeren Lebens in seinen stofflichen Bestandteilen mehrmals völlig ausgewechselt. Im Tod fällt er der

14 Verwesung anheim. Somit wird unser organischer Körper im Himmel nicht einfach wieder zusammengelesen. Der Heilige Paulus spricht vielmehr von einem neuen, einem geistgewirkten Leib. (1 Kor 15,44) Haut und Knochen sind eine Hülle, aber in unserem Leib, in unserem Gesicht, in unseren Augen nehmen wir mehr wahr als nur die biologische Masse. Wir nehmen die Spuren unseres Lebens darin wahr, Freude und Leid, Zufriedenheit und Unzufriedenheit, Verschlagenheit, Verlogenheit, Ehrlichkeit und vieles andere mehr. Eine Stimme kann wärmend, kalt oder abweisend sein. Diese Akzente weisen auf das, was wir mit Auferstehung des Leibes meinen. Eine solche Auffassung von Leib des Menschen rückt nahe an das, was wir gerade eben auch mit Seele bezeichnet haben. Beide Male handelt es sich um den ganzen Menschen, der nach dem Tod als er selbst mit seinem ganzen Leben vollendet werden soll. Mit Leib und Seele, weswegen mit dem Leib auch der Aspekt der bleibenden Verbundenheit mit dem irdischen Leben, auch mit dem irdischen Körper festgehalten wird. Gottoffenheit in der Seele und Erdverbundenheit im Leib, beides gehört zum ganzen Menschen, beides ist für den Himmel bestimmt, für das ewige Leben, beides wird ins Leben Gottes mithineingenommen in den vollendeten Leib Christi. Und das Gericht? Für jeden Menschen wird es ein Gericht geben. Christus der Rettende ist auch der Richtende. Allerdings kennt der richtende Christus aus seinem Leben, Tod und Auferstehung nur die unbedingte Zuwendung zum Menschen, den Vergebungs- und Versöhnungswillen Gottes. Der Mensch kann sich dem verweigern und kann sich somit sein endgültiges Urteil im Gericht Gottes sprechen. Gericht ist die richtende Liebe Gottes. In diesem Licht erkenne ich, wie lieblos ich oft war und wie sehr ich an dieser Liebe Gottes vorbeigegangen bin. Ein entsprechendes Beispiel ist das Gerichtsgleichnis bei Mt 25,31 ff, genauso ist es die Bergpredigt bei Mt 5-7. Himmel heißt, Gott richtet sein Recht auf, die menschlichen Verhältnisse werden wieder richtig gestellt. Missachtete und Unterdrückte erfahren Gottes ausgleichende

15 Gerechtigkeit, und die größten im Himmel sind die, die sich ganz und gar wie ein Kind auf diese rettende Liebe Gottes verlassen und sich von ihr beschenken lassen. Wenn wir also vom Himmel sprechen, meinen wir das Aufgehobensein in der Gemeinschaft mit Gott und dem ganzen Leib Christi, ja mit der ganzen Schöpfung. Im Himmel wird die versöhnende Liebe Gottes ganz wirksam. Wir sind also in einem erfüllten Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche, wenn wir in den Himmel kommen. Diese auf Erden nicht erfüllten Wünsche spielen im Himmel keine Rolle, denn sie werden übertroffen von der nicht vorstellbaren Fülle des Lebens, das Gott für uns bereit hält. Werden wir denn im Himmel unsere Lieben wiedersehen? Als dem großen evangelischen Theologen Karl Barth diese Frage gestellt wurde, antwortete er: „Nicht nur unsere Lieben“. Der Salzburger Theologe Gottfried Bachl beschreibt den Himmel folgendermaßen: „ ... Die Möglichkeit der Geschöpfe, ein Fest zu feiern, ohne den Tod zu brauchen, ohne einander zu fressen ... Es ist die Befreiung vom Zwang des Nutzens, von der Nötigung, andere Geschöpfe zum Mittel machen zu müssen, um die eigene Identität erhalten zu können. An die Stelle des tödlichen Gebrauchens tritt die Freude am nutzlosen Dasein und die dunkle zwingende Materie wird ganz zum Ort der Freiheit.“ (G. Bachl – Verlockung Himmel? Vortrag im Katholischen Bildungswerk Bonn, Manuskripte, neue Folge 14, Bonn 1996) Wenn wir im Himmel sind, können wir unser vorbehaltloses Ja sagen, weil wir dann erfahren, dass nichts verloren gegangen ist, was uns auf Erden mit dankbarer Freude erfüllt hat, und dass auch das Schmerzliche sich in seiner Auflösung zeigen wird im Licht der versöhnenden Liebe Gottes, in dem alle Wunden heilen können. So können wir einstimmen in das, was wir Lob Gottes nennen, wir sind dann offen auf die Teilhabe am Leben des Dreieinigen Gottes. Und die Hölle?

16 Wer vom Himmel spricht, wird auch nach der Hölle gefragt. Ganz schnell sagen die einen: Gibt es nicht, denn sie vertrage sich nicht mit der unendlichen Liebe Gottes. Die anderen sagen: Und es gibt sie doch, aus Gründen der Gerechtigkeit muss es sie geben, denn es gibt Menschen, so fahren sie fort, die im Zustand ewiger Verdammnis sein müssen. Die kleine Therese hat diese Dilemmafrage einmal folgendermaßen beantwortet: „Ich glaube, dass es die Hölle gibt – aber sie ist leer!“ Wichtig ist mit Paulus darauf hinzuweisen (1 Kor 13,7), dass Jesus Christus durch seinen Tod am Kreuz auch in die Höllen der menschlichen Gottverlassenheit gegangen ist. Ob ein Mensch sich wirklich dieser bis in die äußerste Verlassenheit gehende Liebe Gottes durch ein endgültiges Nein widersetzen kann, bleibt in der Schwebe. Klar ist, dass unser Leben der Ernstfall ist, der nach unserer Gottes- und Nächstenliebe fragt. Ebenso klar ist, dass im Tod des Menschen eine letzte Entscheidung fällt. Gottes Heilswille ist klar, er will die Erfüllung unserer Sehnsucht, die Teilhabe an der Fülle seines Lebens. Die Hölle eines Lebens ist nicht dem Himmel gleichrangig, denn diese völlige Zerstörung durch ein totales Nein, dieses Bleiben im Tod ist eben nicht Erfüllung, sondern Vernichtung. Eins ist klar, die Kirche darf mit unfehlbarer Gewissheit Menschen Heilige nennen, das heißt, Menschen, die in der Fülle Gottes angekommen sind. Davon gibt es viele und sie haben alle einen Namen. Sie darf aber von keinem Menschen sagen, dass er in der Hölle ist. Lassen Sie mich mit einem Gedicht von Marie Luise Kaschnitz schließen: Ein Leben nach dem Tode Glauben Sie fragte man mich An ein Leen nach dem Tode Und ich antwortet: ja Aber dann wusste ich Keine Auskunft zu geben Wie das aussehen sollte Wie ich selber Aussehen sollte Dort

17 Ich wusste nur eines Keine Hierarchie Von Heiligen auf goldenen Stühlen sitzend Kein Niedersturz Verdammter Seelen Nur Nur Liebe frei geworden Niemals aufgezehrte Mich überflutend Kein Schutzmantel starr aus Gold Mit Edelsteinen besetzt Ein spinnwebenleichtes Gewand Ein Hauch Mir um die Schultern Liebkosung schöne Bewegung Wie einst von tyrrhenischen Wellen Wie von Worten die hin und her Wortfetzen Komme du komm Schmerzweb mit Tränen besetzt Berg- und Talfahrt Und deine Hand Wieder in meiner So lagen wir Lasest du vor Schlief ich ein Wachte auf Schlief ein Wache auf Deine Stimme umfängt mich Entlässt mich und immer So fort Mehr also, fragen die Frager Erwarten Sie nicht nach dem Tode? Und ich antworte weniger nicht. (Marie Luise Kaschnitz – Gesammelte Werke Band V, Insel Verlag Ffm, 1985, 504)

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