Gewalt in Ehe, Partnerschaft und Familie: Was tun?

Gewalt in Ehe, Partnerschaft und Familie: Was tun? Informationen für Ärztinnen und Ärzte Oft sind Sie als Arzt oder Ärztin die erste Anlaufstelle für ...
Author: Inken Kohl
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Gewalt in Ehe, Partnerschaft und Familie: Was tun? Informationen für Ärztinnen und Ärzte Oft sind Sie als Arzt oder Ärztin die erste Anlaufstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt. Häusliche Gewalt ist kein Unglück, sondern ein Unrecht! Sie ist keine Privatsache, sondern geht uns alle an. Was sollten Sie über häusliche Gewalt wissen und was können Sie konkret tun? Merken Sie sich das Wort: SIGNAL

S prechen Sie die Patientin an: Signalisieren Sie Ihre Bereitschaft! I nterview mit konkreten, einfachen Fragen: Hören Sie zu ohne zu urteilen. G ründliche Untersuchung alter und neuer Verletzungen N otieren und dokumentieren aller Befunde und Angaben A bklären des aktuellen Schutzbedürfnisses der Patientin L eitfaden (Notfallkarte) über Hilfsangebote und Notnummern abgeben Fakten und Zahlen Häusliche Gewalt spielt sich im sozialen Nahraum der Partnerschaft und Familie ab, also dort, wo sich die Menschen sich am sichersten fühlen sollten. Opfer sind in der überwiegenden Mehrheit Frauen und Kinder. Gemäss der ersten nationalen Studie von 1997 erfährt jede fünfte Frau im Verlauf ihres Lebens physische und/oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner, bei der psychischen Gewalt sind es ca. 40%. Gemäss einer Studie der Uni Fribourg von 1998 verursacht häusliche Gewalt enorme volkswirtschaftliche Kosten in der Höhe von ca. 410 Mio Franken jährlich, die Folgekosten auf Grund von Invalidität oder Arbeitslosigkeit nicht eingerechnet. Die Kosten im Gesundheitswesen liegen mit ca. Fr. 134'000.— nach denjenigen der Strafverfolgung an zweiter Stelle. Was ist häusliche Gewalt Häusliche Gewalt ist ausgeübte oder angedrohte Gewalt in einer partnerschaftlichen oder familiären Beziehung, unabhängig davon, ob die Beteiligten zusammen leben oder sich in Trennung befinden: - Physische Gewalt: z.B. Schlagen, Treten, Würgen, Einsatz von Waffen - Psychische Gewalt: z.B. permanente Beschimpfungen und Erniedrigungen, Drohungen bis zu Todesdrohungen, Schlafentzug, für verrückt erklären, Kinder als Druckmittel einsetzen - Sexualisierte Gewalt: z.B. Zwang zu sexuellen Handlungen, Vergewaltigung - Soziale Gewalt: z.B. Einsperren, Kontaktverbote, Kontrolle - Ökonomische Gewalt: z.B. Geld verweigern, Verbot der Erwerbstätigkeit, Entzug von Sozialhilfe Woran Sie Gewalt als Krankheitsursache erkennen können Häusliche und/oder sexualisierte Gewalttaten haben vielfältige, teilweise chronische psychische und somatische Beschwerden zur Folge. Viele Krankheitssymptome, aber auch Verhaltensweisen der Patientinnen können ein Hinweis auf erlittene Gewalt sein.

Somatische sind dies beispielsweise: - Prellungen, Quetschungen, Platzwunden, Hämatome oder Narben in verschiedenen Altersstadien - Alte und neue/schlecht verheilte/ungeklärte Frakturen - Verletzungen durch spitze oder stumpfe Gegenstände - Verletzungen im Genitalbereich Psychische und psychosomatische Folgen von Gewalt können sein: - Vegetative Übererregung - Diffuse und konkrete Ängste - Depressionen - Schlafstörungen - Migräne - Ess-Störungen - Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch - Suizidalität Auffallend kann weiterhin sein, dass die Patientin: - gehäuft Unfälle als Begründung für Verletzungen anführt, - Erklärung für die Verletzungen angibt, die nicht der Schwere oder dem Erscheinungsbild der Verletzung entsprechen, - auffallend lange Zeit zwischen Verletzungszeitpunkt und Vorstellung in der Praxis hat vergehen lassen, - mit einem Begleiter in die Praxis kommt, der nicht von ihrer Seite weichen will. Bei Migrantinnen u.U. unter dem Vorwand der Übersetzungshilfe! Halt-Gewalt Die Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt der Abteilung Jugend, Familie und Prävention des Justizdepartements Basel-Stadt „Halt-Gewalt“ erarbeitet seit 1997 mit allen involvierten Behörden und privaten Institutionen im Kanton Basel-Stadt griffige Massnahmen, um die folgenden Hauptziele zu realisieren: • Gewalt stoppen • Opfer schützen • Täter zur Verantwortung ziehen • Sensibilisierung einer breiten Öffentlichkeit Häusliche Gewalt ist strafbar. Sie ist kein Unglück, sondern ein Unrecht! Neben den bisherigen Offizialdelikten (d.h. Delikte, die von Amtes wegen verfolgt werden): Drohung (Art. 180 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), sexuelle Nötigung (Art. 189 StGB) und Vergewaltigung (Art. 190 StGB) sind seit dem 1. April 2004 folgende Delikte im Bereich häusliche Gewalt neu Offizialdelikte: Vergewaltigung in der Ehe (Art. 190 StGB), sexuelle Nötigung in der Ehe (Art. 189 StGB), einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) und wiederholte Tätlichkeiten (Art. 126 StGB). Jedoch kann das Verfahren aus Wunsch des Opfers provisorisch sistiert werden (StGB Art. 66 ter). Die Entscheidung liegt aber bei der Strafverfolgung. Die Polizei handelt konsequent nach der Devise: Ermitteln statt Vermitteln. Verschiedenste Berufsgruppen wurden und werden zum adäquaten Umgang bei häuslicher Gewalt geschult, u.a. auch Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Von Gewalt betroffene Menschen und deren Angehörige werden an die entsprechenden Beratungsstellen verwiesen. Gewaltausübende Personen werden von der Justiz

einem sozialen Trainingsprogramm zugewiesen, wo sie ein gewaltfreies Verhalten in der Partnerschaft lernen sollen. Dieses Trainingsprogramm wird von den beiden Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt BS und BL geleitet. Was können Sie tun? Informationsmaterial im Wartezimmer platzieren Plakate oder Informationsblätter von Hilfeeinrichtungen signalisieren der Patientin, dass in dieser Praxis Kenntnis und Erfahrung im Umgang mit dem Problem der Gewalt gegen Frauen besteht. Dies kann Ihre Patientin ermutigen, von sich aus offen über ihre Situation zu sprechen. Im konkreten Fall Sie erfahren oder vermuten, dass Ihre Patientin oder Ihr Patient Gewalt in der Partnerschaft oder in der Familie erleidet.

S.I.G.N.A.L. (vgl. SIGNAL e.V., www.signal-intervention.de) S prechen Sie die Patientin an: Signalisieren Sie Ihre Bereitschaft! Es kann von der betroffenen Frau als Erleichterung empfunden werden, wenn sie nicht selbst auf die Ursachen ihrer Verletzungen zu sprechen kommen muss, denn oft empfindet sie Angst oder Scham. Sie signalisieren der Frau, dass Sie mit der Problematik vertraut sind.

I nterview mit konkreten, einfachen Fragen Stellen Sie einfache und direkte Fragen. Wenn Sie es einrichten können, sprechen Sie allein in möglichst ungestörter Atmosphäre mit der Patientin. Bei Verständigungsproblemen mit Migrantinnen fragen Sie die Frau nach einer Vertrauensperson als telefonische Übersetzungshilfe. Spricht die Frau über ihre Situation, glauben Sie ihr. Gewaltbetroffene Frauen schildern eher nicht das gesamte Ausmass der Tatgeschehen. Versuchen Sie der Frau zu vermitteln, dass Gewalt nicht in Ordnung ist, dass viele Frauen Gewalt erfahren und sie sich weder schuldig fühlen noch dafür schämen muss. Die Reaktion auf eine gewaltbetroffene Frau, wenn sie über ihre Situation spricht, ist von besonderer Bedeutung. Die Art und Weise, wie ihr begegnet wird, stellt die Weichen für die weitere Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen und dafür, inwieweit sie weitere Hilfeangebote in Anspruch nehmen kann.

G ründliche Untersuchung alter und neuer Verletzung Eine Frau mit Gewalterfahrung kann sich u.U. nicht sofort für eine notwendige Untersuchung entscheiden. Fragen Sie die Frau, bevor Sie mit der Untersuchung beginnen, ob sie dazu bereit ist. Lassen Sie ihr Zeit, die sie braucht, drängen Sie sie zu nichts. Bei der Untersuchung ergeben sich Anzeichen für Misshandlungen, • Wenn Verletzungen unterschiedlich alt sind • Wenn Verletzungen und Erklärungen nicht übereinstimmen • Wenn trotz schwerer Verletzungen erst sehr spät ärztliche Hilfe gesucht wird • Wenn die Patientin psychische und/oder psychosomatische Symptome zeigt

N otieren und dokumentieren aller Ergebnisse und Antworten Dokumentationen sollten besonders unter dem Aspekt der Gerichtsverwertbarkeit verfasst werden, d.h. sie müssen leserlich geschrieben sein ohne zu viele medizinische Fachausdrücke und sollen möglichst genaue Informationen enthalten: • Eine detaillierte Beschreibung der physischen Verletzungen (Anzahl, Grösse, Lokalisierung etc.) und psychischen Verletzungen sowie der Traumageschichte der Patientin. Idealerweise halten Sie die Verletzungen fotografisch fest. • Alle abgegebenen Erklärungen der Patientin über die Ursache der Verletzungen, Tatort und –zeit, Tatperson und Zeugen • Ihre Einschätzung, ob Erklärungen der Patientin mit der Art der Verletzungen/ Symptome übereinstimmen • Ergebnisse der Untersuchungen und Diagnose • Nennung der Beweismittel wie Fotos, Kleidungsstücke etc. • Nennung aller involvierter Institutionen wie Polizei, Frauenhaus etc. A bklären des aktuellen Schutzbedürfnisses der Patientin Die Gefahr, dass die Gewalt eskaliert, ist dann am Grössten, wenn eine Frau ihre Misshandlungen öffentlich macht und/oder sich trennt! Das Ziel jeder Intervention ist Schutz, Sicherheit und die Beendigung der Gewalt. Es ist wichtig herauszufinden, ob die Patientin Angst hat, nach Hause zu gehen oder lieber zu einer Freundin oder ins Frauenhaus gehen will. Fragen Sie, ob sie unversorgte Kinder zurückgelassen hat. Die betroffene Frau kann ihre Situation selbst am besten einschätzen. Ihr Entscheid ist in jedem Fall zu respektieren.

L eitfaden (Notfallkarte) über Hilfsangebote und Notnummern abgeben Sie können die Patientin auf die spezialisierten kostenlosen Opferberatungsstellen weitervermitteln. Geben Sie der Patientin die Notfallkarte (gelb für BS, orange für BL) mit Adressen und Telefonnummern der wichtigsten Beratungsstellen und weiteren wichtigen Institutionen (z.B. Universitäts-Frauenklinik, Polizei-Sozialdienst) und der Telefonnumer des Frauenhauses mit. (Siehe weiter unten) Rechtliche Situation Als Arzt unterstehen Sie der Schweigepflicht. Mit dem Einverständnis der Patientin können Sie aber Anzeige erstatten. Schätzen Sie die Situation derart gravierend ein, dass Handeln nötig ist, können Sie sich durch das Gesundheitsdepartement von Ihrer Schweigepflicht entbinden lassen. In einem laufenden Strafverfahren haben Sie ein Auskunftsrecht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Auf der Website von Halt-Gewalt finden Sie weitere Informationen zu häuslicher Gewalt. Folgende Materialien können Sie kostenlos bestellen: • Plakat (A2 oder A3) „Jede fünfte Frau erlebt Gewalt in der Partnerschaft - Hier können Sie darüber reden“ (Plakat auf Website anschauen) • Broschüre für ÄrztInnen: „Wenn Patientinnen von Gewalt betroffen sind“ • Notfallkarte deutsch für Basel-Stadt: Telefonnummern zum Abtrennen • Notfallkarten in 10 Sprachen (albanisch, deutsch, englisch, französisch, italienisch, kurdisch, portugiesisch, serbo-kroatisch, spanisch, türkisch) für Basel-Stadt und Basel-Landschaft mit Informationen und Adressen • Flyer soziales Trainingsprogramm



Studie „Häusliche Gewalt bei Patientinnen und Patienten. Eine sozialwissenschaftliche Studie am Universitätsspital Basel“ – Autorinnen: Daniela Gloor und Hanna Meier. In der Schriftenreihe des Justizdepartements des Kantons Basel-Stadt 2005. Zu beziehen bei Halt-Gewalt für Fr. 20.--

Website Halt-Gewalt: www.ajfp.admin.bs.ch/halt-gewalt Wichtige Adressen und Telefonnummern: Rund um die Uhr: • Medizinische Notrufzentrale MNZ • Notfallstation des Universitätsspitals: Petersgraben 2 • Notfallstation der Universitäts-Frauenklinik: Spitalstrasse 21 • Frauenhaus Basel (Adresse anonym) • Notruf der Polizei: Weitere wichtige Beratungsstellen • Frauenhaus-Beratungsstelle: Steinenring 53 • Nottelefon-Opferhilfe und Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen: Steinenring 53 • Triangel: Opferhilfe und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche Steinenring 53 • Uni-Frauenklinik, Abteilung für Sozialmedizin und Psychosomatik Spitalstrasse 21 • Eheaudienz des Zivilgerichts Bäumleingasse 4 (Trennung, Wohnungszuweisung, Schutzverfügung etc.) Di + Do 14.00 – 15.00 (Türöffnung 13.45) Für Männer • Männerbüro: Drahtzugstrasse 28 • Opferhilfe beider Basel Steinenring 53

Tel. 061/261 15 15 Tel. 061/265 40 30 Tel. 061/265 91 43 Tel. 061/681 66 33 Tel. 117 Tel. 061/693 05 55, Tel. 061/692 91 11 Tel. 061/683 31 45 Tel. 061/265 93 93 (94) Tel. 061/267 64 01-03

Tel. 061/691 02 02 Tel. 061/693 44 40

Körperliche Gewaltanwendung / Untersuchungsanleitung Personalien

Name:

Datum:

Vorname:

Zeit:

Untersuchung im Beisein von :

Bitte Befunde in gut verständlicher Sprache festhalten Anamnese:

wann / wie / mit welchem Gegenstand ?

Beschwerden:

Psyche / Verhalten:

Körperliche Untersuchung Kopf:

im Besonderen behaarter Kopf, Lippeninnenseite, Conjunktiven

Hals:

im Besonderen Strangulationszeichen, Frage nach Schmerzen, Heiserkeit

Thorax:

im Besonderen Mammae: Bisswunden

Abdomen:

Extremitäten:

im Besonderen Abwehrverletzungen

Persönliche Bemerkungen des Arztes/der Ärztin :

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