GESICHTER EUROPAS. Widerstand im Wisent-Land Polnische Umweltgruppen zwischen Naturschutz und Polit-Protest

1 Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 27. November 2010 - 11.05 – 12.00 Uhr Widerstand im Wisent-Land Polnische Umweltgruppen zwischen Natur...
Author: Waltraud Haupt
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Deutschlandfunk

GESICHTER EUROPAS Samstag, 27. November 2010 - 11.05 – 12.00 Uhr

Widerstand im Wisent-Land Polnische Umweltgruppen zwischen Naturschutz und Polit-Protest Eine Sendung von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Redaktion: Norbert Weber

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Design: Deutschlandfunk – Gesichter Europas. Les visages….

Haus-Sprecher: Ein polnischer Atomkraft-Gegner auf der Suche nach Verbündeten:

O-Ton Natürlich ist das frustrierend. Seit mehr als einem Jahr versuche ich hier etwas auf die Beine zu bringen. Und bis heute hat es nicht geklappt, die Leute vor Ort zu motivieren. Ich habe das Gefühl, sie wollen das Problem nicht sehen.

2 Oder sie wollen einfach abwarten, bis die Arbeiten am Atomkraftwerk beginnen. Aber wenn es hier los geht, dann ist es zu spät…

Haus-Sprecher: Und eine Wolfschützerin über ihre alltägliche Arbeit...

O-Ton Jeden Tag gibt es andere Herausforderungen. Gestern habe ich an einem Deutsch-Polnischen Treffen auf Ministerebene teilgenommen. Wir haben über die Zukunft der Wolfspopulation gesprochen. Heute bin ich auf WolfsSpurensuche. Und morgen erkläre ich Straßenbauern wie man Autobahnen für Wildtiere passierbar macht.

Sprecher: Gesichter Europas: „Widerstand im Wisent-Land. Polnische Umweltgruppen zwischen Naturschutz und Polit-Protest.“ Eine Sendung von Anja Schrum und Ernst-Ludwig v. Aster

Beitrag 1):

Allein gegen das Atomkraftwerk

Geräusch-take

Sprecher: Schnurgerade zieht sich die Straße durch die Landschaft, ein sanftes auf und ab über Hügel, die sich hier wie große grüne Wellen aneinanderreihen…

Geräusch-take hoch

3

Sprecher: Die Ostsee liegt nur zehn Kilometer entfernt, Danzig 70. Doch weder von Meer noch von Großstadt ist hier etwas zu spüren. Uralte Eichen stehen am Straßenrand, links und rechts weite Felder, ab und zu ein kleiner Ort. Die Storchennester auf Häusern und Masten sind verlassen. Der Wind treibt Herbstlaub über die Straße.

Geräusch-take

Sprecher: Filip Duda wartet an der Haltestelle. Zweimal am Tag kommt hier in Klanino ein Bus vorbei. Der schlaksige Student in Jeans und blauer Winterjacke grüßt kurz, zwängt sich ins Auto, auf den Beifahrersitz. Sagt „Prosto“, das bedeutet geradeaus…

Take 1: Duda poln Ich wurde hier in Klanino geboren, in diesem kleinen Örtchen. Das ist meine Heimatgemeinde…

Sprecher: „Ich wurde hier in Klanino geboren“, sagt Duda, und zeigt auf ein paar Häuser hinter einer Baumgruppe. „Das ist mein Heimatort“, Zurzeit studiert der 22Jährige in Danzig Geographie…

Geräusch-take

Sprecher: Die Landstrasse geht es entlang. Nur langsam geht es auf der Landstraße voran. Nach einigen Kilometern erscheint ein alter, mächtiger Backsteinbau, das

4 Benediktinerkloster. Dutzende Gläubige strömen gerade zum Gottesdienst. „Das ist Zarnowiec“, sagt Duda, greift in seine Jackentasche und holt einen Stapel Postkarten hervor.

Geräusch-take:

Sprecher: „Zarnowiec“ steht blutrot unterlegt am Rand. Hinter Stacheldraht ragen vier Kühltürme in den grauen Himmel, davor verrotten Fässer mit Radioaktivitätszeichen. In Zarnowiec scheiterte vor 20 Jahren Polens erstes Atomprojekt, erzählt Duda. Jetzt steht der Ort wieder ganz oben auf der Liste der Standorte für den Bau eines neuen Reaktors.

Geräusch-take

Sprecher: Weiter geht es auf einer Holperpiste, an einem riesigen See entlang, Holzhütten stehen am Ufer, auf dem Wasser schaukeln vereinzelt Boote. Tourismus-Idylle.

Geräusch-take

Sprecher: Duda steigt aus, streckt sich. Kniehohes Gras wächst neben dem Schotterweg, große Gullys mit verrotteten Deckeln ragen hüfthoch aus der Landschaft. Links drei große Plattenbauten, mal drei-, mal vierstöckig, ohne Fenster, ohne Türen

5 Take 2 : Duda poln / Übersetzung Das gehört alles zu dem Kernkraftwerk. Das da hinten waren die Gebäude für die Verwaltung und dort drüben waren die Unterkünfte für die Arbeiter

Sprecher: Heute sind es Ruinen. Ein alter verrosteter Maschendrahtzaun zieht sich Kilometer lang durch die Landschaft. Hinter dem Zaun liegen riesige Betonteile, meterhoch, massiv, eine graue Landschaft aus Stein und Stahl. Dazwischen wachsen Birken und Kiefern.

Take 3 Duda poln / Übersetzung Hier sollte der Atomreaktor entstehen. Wir sehen hier die riesigen Betonteile, aber hinter diesen Betonwänden, da gibt es es noch ein großes Areal. Alles ist betoniert. Ich schätze, es sind 80 Hektar. Dort sollten die Reaktorblöcke errichtet werden

Geräusch-take

Sprecher: „Teren Budowy“ – „Baustelle“ steht auf einem schmuddeligen Schild, das am verrosteten Eisentor hängt. Und: „Betreten verboten“. Duda muss grinsen. Das Schild ist fast so alt wie er. Vor 20 Jahren war Feierabend auf der Atombaustelle. Tausende Demonstranten gingen damals in Danzig auf die Straße, schrieben „Zarnobyl = Tschernobyl“ auf ihre Plakate. In Gdynia blockierten Arbeiter den Hafen und verhindernten Materiallieferungen. Ein Referendum beendete schließlich Polens Pläne für seinen ersten Reaktor. Nach mehr als 18 Jahren Bauzeit ...

6 Geräusch-take

Sprecher: Die Scheinwerfer eines Wagens blitzen am Ende des Schotterweges auf, kommen langsam näher. „Ochrona“ –steht in großen Lettern an der Seite. Der Sicherheitsdienst. Duda wartet bis der Wagen zum Stehen kommt, tritt ruhig ans Fahrerfenster. Grüßt freundlich.

Geräusch.take: Gespräch Duda / Wachmann

Sprecher: „Wir werden das Gelände nicht betreten“, beruhigt er den schwarz gekleideten Wachmann. „Dafür bräuchten sie auch eine Genehmigung“, antwortet dieser. Duda nickt verständnisvoll. Der Sicherheitsmann fährt weiter, wendet am Ende des Weges, bleibt da stehen…

take 5 poln/Übersetzung Ich war ein paar Mal hinter dem Zaun. Dort waren jede Menge Hobby-Abenteurer und Entdecker unterwegs, die sich für Polens Industrieruinen interessierten. Mal legal, mal halblegal, mal illegal ….

Sprecher: In letzter Zeit aber war er öfter hier. Seit die polnische Regierung beschlossen hat, zwei Atomkraftwerke zu bauen. 28 Standorte wurden untersucht, dann eine Liste veröffentlicht. Zarnowiec steht wieder ganz oben. Als Nuklearstandort. Für Duda war das ein Schock

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Take 6 poln / Übersetzung Zuerst habe ich mit meinen Freunden an der Universität über die Atom-Pläne der Regierung gesprochen. Doch das war wirklich frustrierend: Kaum einer hat sich dafür interessiert. Es gab kaum Reaktionen, Meinungen. Dann habe ich nach anderen Mitstreitern gesucht.

Sprecher: Filip Duda fand sie im Internet: Die „Inicjatywa Antynuklearna“. Ein kleine Anti-AtomInitiative, deren Mitglieder vornehmlich aus Warschau, Breslau und Krakau stammen. Nun versucht er mit ihrer Hilfe den Widerstand vor Ort zu organisieren.

Geräusch-take:

Sprecher: In Zarnowiec ist der Gottesdienst mittlerweile zu Ende. Die Kirchgänger haben sich auf dem Vorplatz versammelt und unterhalten sich. Filip Duda versucht mit einigen von ihnen ins Gespräch zu kommen. Doch die meisten winken ab. Andere sehen das Projekt eher pragmatisch.

Take 7 Die sollen das Kernkraftwerk ruhig bauen, dann haben wir Jobs und Energie. Und die Regierung sagt, es wird sicher sein…

Sprecher „Die sollen das Atomkraftwerk ruhig hier bauen“, sagt ein Rentner. Seine Frau nickt zustimmend: „Dann haben wir hier Jobs und billige Energie“. Außerdem sagt die Regierung: „alles wird sicher sein“…

8 Take 8 Ich weiß nicht, sie eh machen, was sie wollen

Sprecher: Ihre Nachbarin ist sich da nicht so sicher. Eine richtige Meinung hat sie aber auch nicht. Eines jedoch steht für sie fest. Die Regierung wird eh machen, was sie will. Filip Duda schüttelt den Kopf, steigt ins Auto, fährt noch einmal zur Reaktorruine…

Geräusch-take

Sprecher: Feucht grau liegen die riesigen Betonelemente hinter dem rostigen Metallzaun. Am Ende des Weges leuchten immer noch die Scheinwerfer des Wachschutz-Wagens...

Take 12 poln / Übersetzung ) Natürlich ist das frustrierend. Seit mehr als einem Jahr versuche ich hier etwas auf die Beine zu bringen. Und bis heute hat es nicht geklappt, die Leute vor Ort zu motivieren, um gegen die Planung vorzugehen… Ich habe das Gefühl, die Leute wollen das Problem nicht sehen. Oder sie wollen einfach abwarten, bis die Arbeiten beginnen. Aber wenn es hier losgeht, dann ist es zu spät…

Geräusch-take

Sprecher: Der Student öffnet eine schwere Metall-Luke. Eine rostige Leiter führt nach unten in einen Meter tiefen Betonschacht. „Vielleicht ein Versorgungskanal“, sagt Duda...

9 Geräusch-take hoch

Sprecher: Dunkelheit legt sich über Zarnowiec.. Langsam verschwimmt die betongraue Silhouette der Reaktor-Ruine. Der Student schließt die schwere Metall-Luke. Er wird weitermachen, sagt er. Informationen sammeln, Postkarten verteilen. Gegen die nukleare Renaissance in Zarnowiec...

Musik

Sprecherin:

Die Schönheit der Natur und die Abgründe der menschlichen Gier – das waren zwei Themen, die Ryszard Kapuscinski immer wieder beschäftigten. Der 2007 verstorbene Journalist und Schriftsteller war einer der großen polnischen Chronisten der Gegenwart. Er berichtete aus Asien und dem Mittleren Osten, aus Lateinamerika und Afrika.Immer wieder aber kehrte der Weltenbummler nach Polen zurück. Zum Beispiel nach Naleczów. In „Die Welt im Notizbuch“ beschreibt Kapuscinski die üppige Natur des kleinen Kurorts im Südosten des Landes.

Literatur 1 „Es ist Anfang Sommer, und Naleczòw ertrinkt in Grün. Ja, es ertrinkt, man hat den Eindruck einer grünen Flut, die uns verschlingt. Eines fällt ins Auge: Wie viele Schattierungen dieses Grün besitzt. Das Grün des Ahorns und der Tanne sind farblich ganz verschieden ! Und diese Schattierungen von Grün verändern sich je nach Tageszeit. Und je nachdem, wo die Sonne steht, in welchem Winkel ihre Strahlen einfallen und mit welcher Intensität. Das Grün des Vorfrühlings und das Grün des Frühlings sind ganz unterschiedlich. Das Grün des reifenden Sommers ist wieder anders. Und dann das erlöschende Grün des Herbstes. Und sein Verschwinden gegen Ende des Jahres. Wo ist es eigentlich hingekommen? Was

10 geschieht mit ihm während des Winters? Es welkt, verwischt, verschwindet. Für ein paar Monate versinkt es in einem weißen Winterschlaf.“

Beitrag 2: Ein alter Umweltschützer und die neue Bewegung

Geräusch-take Straße vor Universität in Stettin

Sprecherin: Steinerne Blumen winden sich um das Eingangsportal .Daneben ist das Wappen der Universität Stettin in rotes Mauerwerk eingelassen. Ein großes Schild verweist auf die Unterstützung durch die Europäische Union. Die Fakultät für Geographie und Tourismus in Stettin ist erst zwei Jahre alt. Hier lernen die Studenten den Wert der Natur zu schätzen. Und ihre Schätze zu vermarkten…

Geräusch-take Diskussion / schimpfen

Sprecherin: Marek Dutkowski geht im Vorzimmer auf und ab. Der Professor gestikuliert, diskutiert mit einer Mitarbeiterin. Ein Gutachten muss vorbereitet werden und die Zeit drängt. Der Wirtschaftsgeograph greift sich einen Stapel Unterlagen, eilt in sein Büro in Zimmer 14. Auf dem Besprechungstisch und vor den Fenstern liegen kleine Steinsammlungen, an den Wänden hängen Ölbilder, Hafen- und Naturszenen. Landschaftsbilder, die Dutkowski schon als Kind in den 60er Jahren bewunderte.

Take 1: Dutkowski (deutsch) Es gab die Zeitschrift „Erkenne die Welt, und das „Eigene Land“. Das war eigentlich ein Element der patriotischen Erziehung: Das schöne Land, die Natur, unsere Wälder, unsere Vögel, das Ganze gehört zu uns

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Sprecherin: So ist er aufgewachsen, in der Region rund um Danzig. Naturschutz als Schulthema, die Vielfalt von Flora und Fauna als nationales Erbe. Einerseits. Andererseits.

Take 2 Dutkowski (deutsch) Man muss sich industriealisieren und das kostet die Natur. Wir hatten auf den Banknoten Kamine, Schornsteine. Staub, Industrie - das war der Wohlstand. Alles was nach der Natur stank, das war ländlich, dörflich nicht so attraktiv

Sprecherin: 1980 bricht das System zusammen. Da studiert Dutkowski in Danzig, die Arbeiter besetzen die Lenin-Werft, Solidarnosc entsteht. Das sozialistische System wankt, alles scheint möglich. Dutkwoski und einige Kommilitonen und Dozenten gründen in dieser Zeit ihre erste ökologische Bürgerbewegung:

Take 3 Dutkowski (deutsch) da hatten wir nur eine einzige Sitzung und dann kam der Kriegszustand. Und wie alle wurden wir verboten..

Sprecherin: Es war das abrupte Ende der jungen polnischen Umweltbewegung, für die sich damals noch nicht einmal der Geheimdienst interessierte. Dutkowski geht zu seinem großen Bücherschrank, beginnt zu suchen:

Geräusch-take

Sprecherin: Ganz oben links, zwischen dicken Fachbüchern steht ein dünnes grünes Heftchen.

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Take 4 Dutkowksi Ja, ... Seite 150, ... das ist ja 1984, Kriegszustand ja, schon abgeschlossen,

Sprecher: Eine Art polnischer Umweltatlas, erstellt von Wissenschaftlern im Jahr 1980, veröffentlicht vier Jahre später, nach Ende des Kriegsrechts:

Take 5 Dutkowski (deutsch) Das ist das Original, nicht. Und daraus wurde gemacht: die Gebiete der ökologischen Katastrophe. Und da sieht man eigentlich ist alles schwarz.

Sprecherin: Duktowski verzieht das Gesicht. Er hasst diese Karte, sagt er. Die Kollegen haben damals sauber gearbeitet, die Oppositions-Politiker die Daten dann für den Machtkampf instrumentalisiert.

Geräusch-take

Sprecherin: Dutkowski stellt das dünne Heftchen wieder zurück auf seinen Platz. Nach der Wende 1989 engagiert er sich wieder beim Ökologischen Klub.

Take 6 Dutkowski (deutsch) Dieser Ökologische Klub befand sich in einer Situation, wo man wirklich an die Demokratie geglaubt hat. Demokratie plus Markt. Jeder vernünftige Mensch hat das geglaubt.

Sprecherin: Dass Demokratie wirtschaftlichen Wandel bringt, und damit auch den Umweltschutz. Eine Hoffnung, die in den ersten Jahren aufgeht. Die größten Dreckschleudern

13 gehen Pleite, Filter und Kläranlagen verbessern Luft-und Wasserqualität. Die Vertreter des Ökologischen Klubs sind gerne gesehen. Die Türen der Politiker stehen offen:

Take 7 Dutkowski (deutsch) Der Staat war dumm, schwach, unerfahren. Die waren auch naiv. Und die Investoren, da kamen nicht die Kapitalisten, da kamen die Investoren, da hat sich ja jeder als Konsument, als Arbeitgeber, als Bürger gefreut. Und die Umwelt ist auf der Strecke geblieben damals, eigentlich...

Sprecherin: Die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung überrollt die kleine Umweltbewegung. Dutkowski ist zu dieser Zeit Chef des ökologischen Klubs in Danzig, arbeitet gleichzeitig als Berater der Stadtregierung für Raumplanung. Dort sieht er sich immer wieder mit Projekten konfrontiert, die er als Umweltschützer nicht unterstützen kann. Die Kwiatkowski-Trasse zum Beispiel. Eine Schnellstraße zum Hafen von Gdynia, mitten durch ein geschütztes Waldgebiet:

Take 8 Dutkowski (deutsch) Es ging ums Prestige. Ich habe das gespürt im Gespräch mit der Präsidentin: „Ich will das !“ „Ich werde das durchsetzen !!“ „Ich muss, das“, also dieser Maggy Thatcher Approach, „wir müssen es,,“,

Sprecherin: Das Signal war klar: Widerstand zwecklos. Vorfahrt für die Wirtschaft. Umwelt aufs Abstellgleis. Trotzdem unterschreibt Dutkowski eine Resolution gegen den geplanten Trassenbau:

Take 9 Dutkowski (deutsch) 37.00 ich fand diese Lösung einfach dumm. Da habe ich ein Papier dagegen unterzeichnet. Natürlich habe ich sofort als Berater der Stadt irgendwelche Probleme bekommen. Das hat mich auch Geld gekostet, vielleicht auch ein bisschen Karriere.

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Sprecherin: Dutkowski lehnt sich zurück, faltet die Hände. Der Konflikt Ökonomie-Ökologie zwingt auch ihn letztendlich zu einer Entscheidung. Er konzentriert sich auf seine Forschung an der Universität, untersucht weiter Raumnutzungs- und Umwelt-Konflikte, arbeitet für ein Marktforschungsinstitut und lässt die Arbeit für den ökologischen Klub ruhen. Seitdem beobachtet er von außen die Aktivitäten der polnischen Umweltbewegung.

Take 10 Dutkowski (deutsch) Sehr viele Leute, die wir versucht haben an der Universität sensibel zu machen, die haben inzwischen Macht, die haben das etwas gelernt. Und die können das. Das ist, würde ich sagen, die Ökologiebewegung 3.0…

Musik Literaturmusik LITERATUR 2 Ein offener Raum, das ist es, wonach sich das Auge sehnt. Daß nichts den Blick behindert, begrenzt, einsperrt. Daß dieser nichts registrieren, beurteilen, auswählen, entscheiden muß, daß er frei und ungehindert bis zum Horizont schweifen kann, wo am äußersten Rand der Welt eine kaum sichtbare, in Dunst gehüllte Naht die Erde mit dem Himmel verbindet. Vor allem aber macht der offene Raum uns selber frei und größer. Befreit vom Gewühl der Straßen, der Autoschlangen, von Autobussen und Metro, von der Enge der Ämter und Warteräume, vom Getriebe der Stadt-Maschine, das uns zu verschwitzten, erschöpften, anonymen Teilchen einer gigantischen Menschenmasse zermalmt, schöpfen wir wieder Atem, gewinnen wir unsere Freiheit, Gestalt, Identität zurück.

Beitrag 3) Von Spuren und Straßen – die Wolfsschützerin Sabina Nowak

Geräusch-take Straßenbau, Stau

Sprecher:

15 Von der Ostseeküste führt die E 65 nach Süden. Eine Fernstraße auf der sich unzählige Pkw und Lkw drängen. Unweit der E 65, gleich hinter Gorzów liegt die „Puszcza Notecka“, ein über 1.000 Quadratkilometer großes, nur von wenigen Straßen durchzogenes Waldgebiet

Geräusch-take 1

Sprecher: Am Rande einer einsamen Wald-Kreuzung der „Puszcza Notecka“ klettert Sabina Nowak aus ihrem dunkelgrünen Jeep. Hinter ein paar Birken liegt versteckt ein verlassener Rastplatz mit Bänken aus halbierten Baumstämmen. An einem Pfahl hängt verloren ein grüner Mantel.

Geräusch-take 2

Sprecher: Die Biologin breitet eine Karte der „Puszcza Notecka“ auf der Motorhaube ihres Jeeps aus. Gemeinsam mit ihren Helfern Patricia und Antoni, mit denen sie sich hier verabredet hat, studiert sie das Gelände. Sabina Nowak ist Chefin der NaturschutzOrganisation WILK, zu deutsch: Wolf.

Geräusch-take 3 Sabina: Na, dobrze... strategie...

Sprecher: „Wie sollen wir vorgehen?“, fragt Sabina Nowak. „Was ist unsere Strategie?“ Ein paar Minuten geht es hin und her. Dann haben sich die drei Wolfsschützer geeinigt:

Geräusch-take 4

16 leise Autotür aufmachen, wühlen... Take 1 (auf Englisch, ohne overvoice) rumwühlen... So the Plan is to go along this road and we have got some information from yesterday that there are tracks, many tracks in the nearest area…

Sprecher: „Der Plan ist, dem Weg hier zu folgen“, sagt Sabina Nowak und deutet auf eine schmale Sandpiste, die tiefer in den Kiefernwald hinein führt. „Wir haben Informationen, dass es hier in der Nähe viele Spuren gibt“, fügt sie hinzu und zerrt ihren Rucksack aus dem Jeep. Die zierliche Biologin zieht noch schnell eine zweite Fleece-Jacke über, bindet die Schnürsenkel ihrer Wanderstiefel fester und streicht ihre hell-roten Haare hinters Ohr. Dann wirft sie den Rucksack über die Schulter und eilt Patricia und Antoni hinterher.

Take 1 (Nowak)

Sprecher: „Die beiden kooperieren mit uns. Patricia arbeitet als Wissenschaftlerin an der Universität. Antoni in der Forstverwaltung“, erzählt die Biologin und bleibt abrupt stehen.

take 2 (Nowak)

Sprecher: Sabina Nowak beugt sich nach vorn, studiert den von Fuß- und Pfoten-Abdrücken durchzogenen Sandweg. „Große und kleine“ murmelt sie vor sich hin. Es könnten Wölfe sein, aber auch Hunde.

Geräusch 5

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Sprecher: Weiter geht es den Spuren nach. Immer dem Sandweg entlang, tiefer in den Wald hinein. Kiefern-Schonungen mit ausgedehnten Moosflächen wechseln mit dichtem Mischwald. Sonnenstrahlen glitzern durch buntes Herbstlaub. Sabina Nowak hat jetzt kein Auge dafür. Den Blick auf den Boden gerichtet, erzählt sie von ihrer Arbeit bei WILK - mit Begeisterung, auch nach 15 Jahren noch.

Take 3 (Nowak) Übersetzung: Jeden Tag gibt es neue Herausforderungen. Gestern habe ich an einem DeutschPolnischen Treffen auf Ministerebene teilgenommen. Wir haben über die Zukunft der Wolfspopulation gesprochen. Heute bin ich auf Wolfs-Spurensuche. Und morgen erkläre ich Straßenbauern wie man Straßen für Wildtiere passierbar macht, wo man am besten Übergänge baut. Dann werde ich wieder Wölfe suchen und so weiter und so fort. Es ist ein aufregendes Leben.

Sprecher: Mittlerweile streifen mehr als 550 Wölfe in über 130 Rudeln durch das Land. Nowak und ihre Kollegen verfolgen die Wanderrouten der Tiere, beobachten, wie sie Lebensräume wiederbesiedeln. Nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, wie Sabina Nowak betont, sondern vor allem,

um zur rechten Zeit die richtigen

Argumente zu haben.

Take 4 (Nowak) Übersetzung: In den nächsten Jahren werden hunderte von Kilometer Fernstraßen gebaut werden. Diese Straßen werden auf beiden Seiten eingezäunt. Eine kaum zu überwindende Barriere für alle Tiere. Es ist sehr wichtig, rechtzeitig Empfehlungen zu geben und alle Daten über Wolfsvorkommen in Westpolen beisammen zu haben. Denn diese Daten liefern uns Argumente. Wir können dann sagen: Wenn ihr die Straße hier plant, dann müsst ihr Rücksicht nehmen auf die geschützten Arten, die hier leben, und die Straßen so bauen, dass sie die Tiere auf ihren Wanderungen nicht behindern. Sprecher:

18 Die meisten Wölfe leben in den Wäldern Ostpolens. Doch auch im Westen konnten Sabina Nowak und ihre Kollegen in den letzten Jahren immer neue Rudel nachweisen. Wie etwa hier, im Notecka-Wald. Die Tiere wandern aus den östlichen und südlichen Gebieten gen Westen. Doch genau diese Routen sind gefährdet, durch den massiven Ausbau von Straßen- und Schienenwegen, von Industrie- und Wohngebieten.

Geräuch-take 6

Sprecher: Sabina Nowak bleibt plötzlich stehen. Deutet begeistert auf den Boden, streift ihren Rucksack ab und beugt sich über einen Daumen großen, braunen, vertrockneten Klumpen.

Geräusch-take 7

Sprecher: Sie greift nach einem Stöckchen, stochert in dem Klumpen herum. „Das ist sicher Wolfs-Kot“, freut sich die Biologin und schränkt ein: „Leider ein wenig zu alt für unsere genetischen Untersuchungen, aber noch frisch genug, um zu ermitteln, was der Wolf gefressen hat“. Deshalb bugsiert Sabina den getrockneten Haufen mit Hilfe des Stöckchens in einen DinA4-Umschlag, auf dem sie zuvor den Fundort notiert hat. Den Umschlag schiebt sie in die Außentasche ihres Rucksacks. Dann markiert sie den Ort per GPS.

Geräusch-take 8

Sprecher:

19 Weiter geht’s. Einen Hang hinauf, über einen Kahlschlag. An solchen Tagen läuft Sabina Nowak zwischen 15 und 25 Kilometer, redet dabei, ohne außer Atem zu geraten. Bevor Sabina Nowak WILK gründete, koordinierte sie Anfang der 90er Jahre die erste Kampagne zur Rettung des Bialowieza Urwaldes im Osten des Landes. Mit Erfolg: Die Nationalparkfläche wurde damals - auf Drängen der Umweltschützer verdoppelt. Druck übt Sabina Nowak heute noch aus, nur anders. „Vielleicht weil ich zu alt bin, um auf Bäume zu klettern“, sagt sie und lacht:

Take 5 (Nowak) Übersetzung: Wir nutzen die Möglichkeiten, die wir als EU-Mitglied haben. Denn laut EU-Recht gibt es eine ganze Reihe von Regelungen, die die Regierung dazu anhalten, die Umwelt oder Lebensräume bedrohter Arten zu schützen. Sprecher: Sabina Nowak verhandelt mit Straßenplanern und Straßenbauern, mit Behörden und Investoren. Damit sie die Wanderkorridore und Lebensräume von Wölfen, Luchsen und Bären bei ihren Planungen berücksichtigen.

Take 6 (Nowak) Übersetzung: Es ist schwer, alle Wünsche durchzusetzen. Nicht alle Wildtierpassagen, die wir empfehlen, werden gebaut. Meist finden wir einen Kompromiss. 80 Prozent der Passagen werden gebaut, manchmal nur 70 Prozent. Manchmal müssen wir jeden Meter dieser Passagen verhandeln. Es ist ganz schön harte Arbeit. Aber meist sind wir zufrieden, es gibt nur wenige Orte, wo wir unser Ziel nicht erreicht haben.

Musik Literatur 3 Eine Diskussion über das weitere Schicksal des Urwaldes von Bialowieza. Zwei Lager prallen dabei aufeinander, mehr noch – zwei Kulturen, zwei Mentalitäten. Da sind einmal die Nachfahren der Menschen aus der Epoche der Jäger und Sammler: Für sie ist die Natur die Dienerin des Menschen. Wenn da ein Wald ist, dann muss er abgeholzt werden, wenn es Tiere gibt, muss man die schießen. Wenn der Stamm dann alle Wälder abgeholzt und alle Tiere getötet hat, zieht er auf der Suche nach neuer Beute weiter. Das ist die Mentalität von Menschen, für die unsere Erde grenzenlos ist, versehen mit unermesslichen, unerschöpflichen Reichtümern. Das

20 zweite Lager bilden die Menschen, die in der Natur keine Beute sehen, sondern etwas ganz anderes – unseren Bundesgenossen und Verwandten, dessen Dasein erst unsere Existenz möglich macht. Wenn da ein Wald ist, dann muss dieser wachsen, wenn es Tiere gibt, müssen sie leben. Der Mensch ist nicht allein, er ist Teil der Natur: Wenn er die Natur umbringt, vernichtet er sich selber. Das ist der Kern des Streits um den Urwald, von dem noch große Teile intakt sind…

Beitrag 4)

Der Politik aufs Dach steigen - Greenpeace in Polen

Geräusch-take 1 Hunde bellen, Krähe entfernt

Sprecherin: Die Ulica Lirowa liegt in einem Wohngebiet am westlichen Stadtrand Warschaus. Frisch errichtete Apartment-Blocks überragen windschiefe Häuschen. Das neue, schnelle, moderne Warschau verdrängt hier das alte, beschauliche. Die Ulica Lirowa ist eine ungeteerte Sandstraße. Das Haus Nr. 13 eine repräsentative dreigeschossige Villa mit schmiedeeisernem Treppengeländer. Greenpeace steht klein und unauffällig über der Klingel.

Geräusch-take 2

Sprecherin: Jacek Winiarski kommt die Treppe hinunter gestürmt. Der 34-Jährige in orangener Fleece-Jacke und Outdoor-Hose ist seit der Gründung von Greenpeace-Polen dabei. 2004 ging es los. Mit vier Leuten und vier Computern in einem einzigen Raum, erinnert sich Winiarski.

Take 1 (Winiarski) Übersetzung: Wir hatten ein wunderbares Haus in Mokotòv, dicht am Zentrum. Aber wir sind gewachsen und gewachsen und wir konnten nichts anderes finden als das hier. Es ist fürchterlich.

21 Sprecherin: Heute arbeiten bei Greenpeace-Polen 29 Leute, die sich jeden Morgen durch den dichten Warschauer Berufsverkehr hierher an den Stadtrand kämpfen. „Manchmal kriegen wir hier sogar ungebetenen Besuch“, scherzt Winiarski. Unlängst tauchten ein paar Männer mit CO2-Flaschen auf, erzählt er.

Take 2 (Winiarski)

Sprecherin: „Befreit das CO2“, skandierte eine Handvoll Demonstranten, erinnert sich Winiarski an den Auftritt einer neo-liberalen Splitter-Partei, die den Klimawandel für kompletten Unsinn hält. Die Aktion hat der Greenpeace-Sprecher unter kurioser PolitPerformance verbucht. Winiarski schüttelt den Kopf und lädt zu einem Rundgang durchs Haus...

Geräusch-Take

Sprecherin: Der 34-Jährige eilt die Treppe nach oben, in den 3. Stock. Dort gibt es eine Küche und einige Etagenbetten, um Greenpeace-Aktivisten zu beherbergen. Die zwei Ebenen darunter teilen sich Kampagnenleiter und Spenden-Einwerber. Rund 10.000 umweltbewusste Menschen spenden regelmäßig für den polnischen GreenpeaceAbleger. Dennoch ist man auf finanzielle Unterstützung aus dem Westen angewiesen. „Viele Polen sind Umweltverbänden gegenüber misstrauisch“, klagt Winiarski.

Take 3 (Winiarski) Übersetzung: Es gab ein paar Skandale. Das waren kleine, unbekannte Gruppen, ich würde sie einfach Betrüger nennen. Sie haben zum Beispiel den Bau eines neuen

22 Einkaufszentrums blockiert, weil sie dort angeblich irgendeine seltene Tierart gefunden haben. Und dann haben sie Geld kassiert, dafür dass sie aufgeben. Es gab zwei oder drei solcher Fälle in den letzten Jahren. Das waren schlicht Betrüger. Aber sie haben den Ruf aller grünen Gruppen in Polen geschädigt.

Sprecherin: Einzelfälle, die von den Medien aufgegriffen und aufgebauscht wurden, ärgert sich Jacek Winiarski während er ins Besprechungszimmer führt:

Take 4 (Winiarski)

Sprecherin: „Das sind unsere Geheimpläne, die sollten sie eigentlich nicht sehen“, lacht der 34Jährige. An der Wand hängt ein DinA3-Zettel, vollgekritzelt mit Notizen.

Take 5 (Winiarski) Übersetzung: Das ist unsere aktuelle Kampagne. Bei der geht es um den Urwald von Bialowieza. Wir haben mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt, um eine Gesetzesänderung durchzusetzen, damit der Nationalpark erweitert werden kann. Wir sind auf gutem Weg, das Gesetz zu ändern und den letzten Urwald Europas zu retten. Sprecherin: Die Kampagne ist sehr erfolgreich, sagt Jacek Winiarski, weil sie – anders als zum Beispiel die Klimaschutz-Kampagne – an nationale Symbole anknüpft - an Wald und Wisent. Eine erprobte Mischung, die schon vor drei Jahren polnische Politiker das Fürchten lehrte, als die Proteste im Tal der Rospuda landesweit für Aufruhr sorgten.

Take 6 (Winiarski)

Sprecherin: “Rospuda – mein, Gott. Das war eine aufregende Zeit“, bricht es aus Jacek Winiarski hervor. „Ich könnte stundenlang davon erzählen“, sagt er.

23 Take 7 (Winiarski) Sprecherin „Das war ein Riesenprotest und der größte Erfolg für die grüne Bewegung in Polen,“ sagt der 34-Jährige, springt auf und eilt zu seinem Laptop.

Take 8 (Winiarski)

Sprecherin: Jacek Winiarski klickt sich durch die Bild-Dateien.

Take 9 (Winiarski)

Sprecherin: Die Bilder zeigen ein verschneites Zelt-Camp im Wald und Menschen, die auf Plattformen in Bäumen hocken, um zu verhindern, dass diese gefällt werden. Ein Vielzahl polnischer Umweltverbände kämpfte damals gemeinsam gegen den Bau der Via Baltica durch das Tal des Flüsschens Rospuda im Nordosten Polens. Durch ein europaweit einmaliges, unberührtes Moorgebiet, das viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten beherbergt.

Take 10 (Winiarski)

Sprecherin: „Es gab damals ein paar wirklich unheimliche Momente“, sagt Jacek Winiarski und klickt auf ein Video.

Geräusch-take

Sprecherin:

24 Einige hundert ältere Damen mit Wollmützen und Männer mit Hüten und Schnauzbärten recken Holzkreuze in die Höhe, brüllen und singen.

Take 11 (Winiarski) Übersetzung: Sehen sie sich diese Leute an: Alte radikale katholische Fanatiker. Wissen sie, was die getan haben: Mit Kreuzen in der Hand haben sie geschrien:“ Verschwindet aus unserem Wald“. Dann haben sie halb-religiöse, halb-nationalistische Lieder gesungen. Mein Gott, ich werde immer noch wütend, wenn ich daran denke… Sprecherin: Am Ende aber setzten sich die Umweltverbände durch, nicht zuletzt, weil die EUKommission in Brüssel den polnischen Politikern die gelbe Karte zeigte. Das war ein historischer Moment für die Umweltbewegung in Polen, sagt Winiarski, ein Erfolgserlebnis, auf das die grünen Gruppen lange warten mussten.

Take 12 (Winiarski) Übersetzung: Die polnische Gesellschaft steht in Sachen Umweltbewusstsein heute dort, wo die Deutschen und Niederländer in den 60er Jahren waren. Man will so viel wie möglich so schnell wie möglich haben. Und vielleicht denkt man in Zukunft mal daran, etwas zurück zu geben. Aber jetzt möchte jeder nur mehr und mehr Geld. Das ist eben der übliche Weg.

Musik

Beitrag 5)

Aufräumen für die Zukunft – eine Schulklasse und die Umwelt

Geräusch-take : Straße / Solidarnosc...

25 Sprecher: An der Ausfallstraße stehen riesige Werbetafeln. Auf zwei Spuren donnert der Verkehr Richtung Zentrum, auf zwei Spuren Richtung Stadtrand. Eine alltägliche Blechkarawane am Rande von Poznan, der westpolnischen 600tausend-Einwohner Metropole ...

Geräusch-take:

Sprecher: Die neunjährige Amelia, den Schulranzen auf dem Rücken, redet auf ihre Mutter ein. „Wir müssen den Käfig mit heißem Wasser sauber machen“, sagt sie. „Nur so fühlt sich das Tier wohl“. Ania Woch nickt geduldig. Seit einigen Monaten lebt bei ihnen in der eineinhalb-Zimmer-Wohnung noch ein Chinchilla. Amelia hat das Nagetier aus der Schule mitgebracht. Eigentlich nur für eine Woche...

Geräusch-take Verkehr

Sprecher: Die beiden warten am Zebrastreifen. Mit hoher Geschwindigkeit donnern die Wagen stadtein und -auswärts. Niemand hält. Ungeduldig tritt Amelia von einem Bein aufs andere

Take 1 Amelia poln Wenn wir zur Schule gehen hält niemand, wir müssen manchmal 5 Minuten hier stehen…

Sprecher drüber:

26 Sprecher: „Wenn wir zur Schule gehen, hält hier niemand“, sagt Amelia. „Manchmal müssen wir fünf Minuten warten. Die sehen uns einfach nicht“

Geräusch-take

Sprecher: Plötzlich tut sich eine Lücke zwischen den Autos auf. Amelia und ihre Mutter sprinten über die Straße. Zehn Minuten später sitzt die Neunjährige in ihrer Klasse. Die Mutter eilt weiter, auch sie muss zur Schule. Sie unterrichtet drei Kilometer weiter:

Take 2 Ania/deutsch Als vor 30 Jahren, das Hochhaus in dem ich wohne, gebaut wurde, hatten vielleicht 30 Leute ein Auto. Und jetzt: 20 Leute vielleicht haben kein Auto

Sprecher: Die Straßen können den Verkehr kaum fassen. Stau gehört heute zum Alltag in Poznan, wie auch in jeder anderen polnischen Großstadt.

Geräusch-take: Schulhof.

Sprecher: Eine halbe Stunde später ist Ania Woch an ihrer Schule angekommen. Auf dem Schulhof zeigt sie auf unbenutzte Fahrradständer…

Take 3: Ania / deutsch Das ist der Abstellplatz für Fahrräder. Siehst Du ein Fahrrad hier ?... Kein einziges, und das bei diesem schönen Wetter…

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Sprecher: Missbilligend schüttelt sie den Kopf und betritt das Schulgebäude. Ihr Klassenzimmer liegt im zweiten Stock. Einige Schüler grüßen. Auf dem Flur hängen zwei alte DIN-A 3-Poster, herausgegeben vom polnischen Naturschutzbund: Vom Aussterben bedrohte Säugetiere. Und Reptilien...

Geräusch-take

Sprecher: In Raum 28 warten ihre Schüler bereits. 17 und 18 Jahre sind sie alt. Umweltschutz in Polen steht heute auf dem Lehrplan. Nicht offizielle Verlautbarungen, sondern ihre persönliche Meinung ist gefragt.

Geräusch-take

Sprecher: Dominik, lange dunkel Haare, Sweatshirt und Jeans, die Cola-Dose vor sich auf dem Tisch, meldet sich. Vor zwei Jahren war hier der Klimagipfel, sagt er. Tausende Delegierte aus aller Welt kamen nach Poznan, um über die CO 2-Reduzierung zu beraten:

Take 4 (Schüler) poln Sprecher drüber Sprecher: „Damals mussten wir den Müll in den Parks und in den Straßen wegräumen, damit die Stadt sauber aussah“, sagt er. „Und in unserer Siedlung gab es neue Mülltonnen,

28 für jeden Haushalt eine eigene“. Grinsen in der Runde. Die meisten erinnern sich an ihren Großeinsatz zur Klimakonferenz.

Geräusch-take hoch:

Sprecher: Lukasz meldet sich schon die ganze Zeit. Runde Brille, Hemd, Pullunder – das Heft ordentlich vor sich, sitzt er als einziger in der ersten Reihe...

Take 5 (Schüler) poln Sprecher drüber

Sprecher: „Die illegale Müllentsorgung“, das ist heute unser Problem, sagt er, „und die Abgase“. Viele Mülldeponien im Land sind verrottet. Mit Hochdruck wird zurzeit versucht eine neue Entsorgungsstruktur aufzubauen. Und dass Polen 90 Prozent seines Stroms mit Kohlekraftwerken produziert, findet der Schüler, ist auch schädlich für die Umwelt. „Darum brauchen wir auch die Atomkraft“, wirft Dominik ein

Take 6 (Schüler)

Sprecher: „Aber der Atommüll, das wird das Problem der Zukunft“, kontert Simon. Niemand weiß doch wohin mit dem strahlenden Zeug. „Das allergrößte Problem ist doch, das sich von den Politikern niemand um die Umwelt kümmert“, wirft sein Nachbar ein. Zustimmend nicken alle.

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take 7 (Schüler) poln... Es gibt zwei Themen, die in Polen die Politik beschäftigen, das ist einmal der Euro und die Katastrophe von Smolensk

Sprecher: „Es gibt heute nur zwei Themen, die in der Politik eine Rolle spielen:“, sagt Dominik: „Die ewige Diskussion über den Flugzeugabsturz von Smolensk und die Fußballeuropameisterschaft 2012“. Und beides, da sind sie hier alleine einig, können sie schon lange nicht mehr hören.

Musik Literatur 4: ….Man braucht nur stehenzubleiben und sich umzusehen. Wie viel es hier von allem gibt. Im Getreide wiegen sich blaue Kornblumen. Am Boden schlängeln sich rosa Winden. Und über ihnen schwanken weiße Kamillen. Und flauschiger Löwenzahn, und stechende Diesteln. Und bösartige Brennnesseln, und nahrhafter weißer Gänsefuß, Salbei, Johanniskraut und Gelbwurz. Doch am meisten gibt es von den verschiedenen Gräsern über den ganzen Boden verstreut, auf Lichtungen, Böschungen der Schluchten, schattigen Wegstücken.

Musik hoch

Beitrag 6)

Praxis statt Protest – eine Familie sieht grün

Geräusch-take 1

Sprecherin: Über hundertjährige Eichen säumen die Landstraße hinter dem Dörfchen Skòrzyn im äußersten Westen Polens, unweit der Oder. Rechts grasen ein paar robuste, rotbraune Rinder, links schlängelt sich ein Zaun aus ungeschälten Birkenstämmen.

30 Dahinter wuchern Heckenrosen. An einer Tordurchfahrt aus Holz steht: „Institut Ekologii Stosowanej“. Zu deutsch: Institut für angewandte Ökologie.

Geräusch-take 2

Sprecherin: Die Pforte aus massiven Holzbohlen lässt sich nur mit Kraft aufdrücken. „Manche sagen Panzertor dazu, weil es so schwer ist“, sagt Beata Halicka mit einem Lachen. Vor acht Jahren hat sie das Institut gemeinsam mit ihrem Mann Wojtek gegründet.

Take 1 (Beata) Das Institut ist unten. Das sind unsere Büros und das Holzteil, also die erste Etage und die Dachwohnung, das ist unsere Wohnung, mit unseren Kindern wohnen wir da zu viert. Sprecherin: Über einen kleinen Teich hinweg deutet Beata Halicka auf ein honig-gelb leuchtendes Holzhaus mit großer Freitreppe. Das kombinierte Instituts-und Wohnhaus hat ihr Mann Wojtek selbst entworfen und gebaut.

Take 2 (Wojtek) Die Säulen sind beide aus Erlen, die hier gewachsen sind. Aber der Rest, das sind Eichen… Beata: Aus dem Odertal… Sprecherin: Der von großen Steinen eingefasste Teich vor dem Haus liefert nicht nur Entspannung sondern auch das Trinkwassser.

Geräusch 3

Take 3 (Wojtek) Das Regenwasser wird über die Bodenpassage zu Grundwasser und das Grundwasser wird hier zum Oberflächengewässer mit Gewässergüteklasse eins. Und von diesem Gewässer - das ist wie ein sauberer See - wird das Wasser nur ein bisschen filtriert und sofort ins Haus gezogen.

31 Sprecherin: Die Familie ist weder an die örtliche Wasser- noch an die Strom-Versorgung angeschlossen. Dafür steht im Garten eine Solarpaneele und ein einfaches Windrad. „Wie auf einer Insel“ beschreiben die Halickis ihr autarkes Leben. Trotzdem sind die beiden keine Aussteiger oder Ökospinner. Im Gegenteil. Beata lehrt an der EuropaUniversität Viadrina in Frankfurt/Oder. Ihr Ehemann ist Ingenieur und Erfinder. Haus und Grundstück sind sein grünes Versuchslabor. Ehefrau und die beiden Söhne inklusive. Akribisch wird zum Beispiel der Stromverbrauch gemessen und an der Universität Vechta, wo Halicki habilitierte, ausgewertet.

Take 4 (Beata) Ob ich bügele oder die Waschmaschine angeschaltet habe – das weiß er alles. Lachen. Und wenn wir nachts nicht schlafen, sondern etwas anderes machen, weiß das er auch. Wenn das Licht an ist oder etwas anderes angeschaltet ist, weiß er das auch. Wojtek: Und dann schreibt er: Wieso verbraucht ihr so viel Strom? Es ist doch Mitternacht! Sprecherin: Beata Halicka zieht fröstelnd die Schultern unter der roten Fleece-Jacke hoch. Schlägt vor, ins Haus zu gehen, um sich bei einer Tasse Tee aufzuwärmen.

Geräusch-take 4 Take 5 (Wojtek) Und dieser Tee, den wir jetzt trinken, zubereitet mit dem Wasser, in dem vor zehn Minuten noch die Frösche… – Sie: frisch gefiltert. Er: Ja, frisch gefiltert.

Sprecherin: Und garantiert ohne Frosch-Geschmack. - In den Büroräumen im Tiefparterre des Wohnhauses stehen massive Holzregale. An der Wand hängen Pläne von Pflanzenkläranlagen, die Wojtek Halicki entwickelt hat, und für die er ein Patent besitzt.

32 Take 6 (Wojtek) Allein in diesem Jahr werden in Polen etwa 650 solcher Anlagen gebaut. Aber das war ein paar Jahre richtige Arbeit. Es entstand ein Produkt, eine Technologie und dadurch, dass sie billig ist, schön ist und den Leuten gefällt, setzen sie sie ein.

Sprecherin: 16 Mitarbeiter beschäftigt Halicki heute. Und der Umwelt-Pionier sprüht voller neuer Ideen. In den 90er Jahren, als die beiden im nahe gelegenen Zielona Gòra studierten, gründeten sie die „Öko-Insel“, einen studentischen Umweltklub. Heute haben die beiden für solche Aktivitäten keine Zeit mehr.

Take 7 (Beata) Unser Einsatz ist es eben, durch unser Leben, durch unsere konkrete Arbeit zu zeigen, dass man anders leben kann. Also nicht von Ökologie reden, sondern Ökologie leben.

Sprecherin: Wojtek Halicki nickt zustimmend. Ökologie leben! Regelmäßig kommen Schulklassen, um zu sehen, wie das geht. Praxis statt Protest. Halickis neuestes Projekt ist die Entwicklung einer ökologischen, bäuerlichen Landwirtschaft, die ohne EU-Förderung auskommt.

Take 8 (Wojtek) Natürlich kann man hinter dem Schreibtisch sitzen und sagen: Ihr Bauern müsst das so und so machen. Aber mir kam die Idee: Ich muss selbst einen Betrieb schaffen und damit Vorbild sein.

Sprecherin: Die Halickis haben 400 Hektar Feld, Wald und Wiesen gekauft. Dort weiden jetzt ganzjährig Rinder. Hinter dem Haus bauen sie Gemüse an. Im letzten Jahr wurde ihnen den Preis für den besten Bauernhof in der Wojwodschaft Lubuskie verliehen.

33 Noch einmal geht es nach draußen. Zur Weide auf der anderen Seite der Eichenallee

Geräusch-take

Sprecherin: Die Rinderzucht allein ist nicht rentabel genug, sagt Wojtek Halicki. Deshalb will er die Verarbeitung und Vermarktung künftig selbst in die Hand nehmen. Für den Aufbau entsprechender Strukturen hat er sich zwei Jahre Zeit gegeben.

Take 9 (Wojtek) Wenn wir das schaffen, dann können an uns 5, 10,15 kleine Landwirte mitproduzieren und auch über uns vermarkten. Mein Ziel ist: Wir haben 3.000 Gemeinden in Polen und 3.000 solcher Betriebe sollen entstehen…

Sprecherin: Eine grüne Vision aus dem Institut für Angewandte Ökologie. Der Praxistest in Skòrzyn. Für einen Großeinsatz in Polen.

Musik

Haussprecher / Abmoderation: Das waren Gesichter Europas: „Widerstand im Wisent-Land. Polnische Umweltgruppen zwischen Naturschutz und Polit-Protest“. Eine Sendung von Anja Schrum und Ernst-Ludwig v. Aster. Die Literaturauszüge entstammen dem Buch „Die Welt im Notizbuch“ von Ryszard Kapuscinski, erschienen im Eichborn- Verlag, Frankfurt am Main, im Jahr 2000. Sprecher war Andreas Thieck. Die Redaktion der Sendung hatte Norbert Weber.

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