GESICHTER EUROPAS. Samstag, 03. Juni Uhr KW 22 DLF 2017

GESICHTER EUROPAS Samstag, 03. Juni 2017 – 11.05 – 12.00 Uhr KW 22 DLF 2017 Von Mäusen und Galliern: Disneyland Paris und Parc Asterix – Zwei Welte...
Author: Heinrich Kaiser
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GESICHTER EUROPAS

Samstag, 03. Juni 2017 – 11.05 – 12.00 Uhr KW 22

DLF 2017

Von Mäusen und Galliern: Disneyland Paris und Parc Asterix – Zwei Welten in friedlicher Koexistenz

Mit Reportagen von Suzanne Krause Moderation und Redaktion: Marcus Heumann Musikauswahl und Regie: Babette Michel

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar –

DESIGN „Gesichter Europas“

"In Europa sind die Gäste, anders als in Disneyparks auf anderen Kontinenten, einfach rebellischer. Individualistischer. Da waren wir gezwungen, unser Design anzupassen."

Die künstlerische Direktorin eines sehr amerikanischen Vergnügungsparks an der östlichen Peripherie von Paris…

"Die Geselligkeit, der launische Charakter, die Tatsache, dass man permanent unzufrieden rummäkelt, dass man sich ständig amüsieren, feiern will: All das sind französische Werte. Jedenfalls sehe ich das so. Und das wollen wir unseren Besuchern vermitteln: hier sind Sie in Frankreich, auch wenn dies das Gallien der AsterixVäter Uderzo und Goscinny ist.“ … und der künstlerische Referent eines sehr französischen Vergnügungsparks im Pariser Norden

Gesichter Europas: Von Mäusen und Galliern: Disneyland Paris und Parc Asterix – Zwei Welten in friedlicher Koexistenz. Eine Sendung mit Reportagen von Suzanne Krause. Am Mikrofon ist Marcus Heumann.

Reportage 1: Serpentinenartig windet sich die Besucherschlange die Rampe zum überdachten Anlegesteg von 'It's a small world' hinunter. Ein Publikumsrenner im Disneyland Park, der im April 1992 im Osten von Paris eröffnete. Mit Bötchen geht es hier durch die pastellfarbene Kulisse, in der niedliche Puppen leicht klischeehaft Länder und Kulturen rund um den Globus darstellen. Gerade ist auf dem schmalen Wasserkanal, flankiert von zwei Plattformen, ein vollbesetzter kleiner Kahn herangeschippert, steigen die Insassen nach rechts aus. Linkerhand steht ein Anfang 20-Jähriger, adrett gekleidet in eine Art blauer Livree, einen Strohhut auf dem Kopf, die Haare kurz, das Gesicht glattrasiert. Fast im Sekundentakt schleust er Wartende durch.

'Clement' steht auf dem Namensschild mit dem Micky-Kopf an seinem Revers. Sein Nachname, Poizot, interessiert hier keinen. So ist es Usus bei den Cast Members, wie Disneys Angestellte genannt werden. Denn sie sind Teil der großen Show. Da nickt die junge Frau von der Pressestelle, die das Interview überwacht, zustimmend. Da nickt auch Clement Poizot mit dem Kopf.

"Meine Aufgabe besteht darin, den Besuchern einen Platz in den Bötchen anzuweisen. Und jeden einzelnen so zu begrüßen, wie Disney es vorgibt: höflich, mit ein bisschen Show. Mir gefällt die Arbeit, denn man hat mit Leuten aus aller Herren Länder zu tun."

Um sieben Uhr morgens ist Clement Poizot heute angetreten, für die Sicherheitstests des Fahrbetriebs. Zwei Stunden später sind dann die ersten Besucher eingetrudelt. Seitdem reißt der Menschenstrom nicht ab. Im ersten Vierteljahrhundert seiner Existenz hat der Freizeitpark schon 320 Millionen Besucher empfangen europaweit ein Rekord. Der Asterixpark, der eine Stunde Autofahrt gen Norden entfernt liegt und drei Jahre vor Disneyland Paris aufmachte, zählt knapp zwei Millionen Touristen. In 'Its a small world' hat Clément Poizot alleine heute hunderte Gäste für eine Tour durch die Puppenwelt platziert. Er rückt mechanisch seinen Strohhut zurecht.

"Von Zeit zu Zeit lösen mich Kollegen ab. Dann wechsele ich zum nächsten Posten, immer in 'Fantasyland'. Nachher bin ich vielleicht beim 'Labyrinth von Alice' oder im 'Märchenland'. Eigentlich hatte ich diesen Sektor anfangs nicht gewählt. Mittlerweile fühle ich mich hier sehr wohl. Die Stimmung ist super. 'It's a Small World' ist die beliebteste Attraktion im Park, die auch die meisten Kinder anzieht. Und mit Kindern ist der Austausch am leichtesten. Sie tauchen voll in den Disneyzauber ein."

In Endlosschleife dudelt die Musik, mal chinesisch angehaucht, mal orientalisch oder hawaiianisch. Ein Ohrwurm. Clement Poizot hört gar nicht mehr hin. Er war noch nicht geboren, als der Freizeitpark aufmachte.

Nach einer Ausbildung im Tourismus-Sektor siedelte Clement von seiner Heimat Burgund nach Marne-la-Vallee um - von Kindesbeinen an wollte er nichts anderes als bei Disneyland Paris arbeiten. In seinem Voilà! schwingt Zufriedenheit mit.

"Seit fünf Jahren bin ich nun dabei und wahrscheinlich noch für sehr lange. Es stimmt, es ist laut hier, aber daran gewöhnt man sich schnell. Schließlich habe ich immer im Hinterkopf, dass es an uns Cast Membern ist, dem Zauber von Disney täglich Leben einzuhauchen. Und die Reaktionen der Besucher geben uns immer wieder neue Energie. Denn sie kommen her, um einen schönen Augenblick zu erleben. Wir haben dafür zu sorgen, dass sie wirklich eine gute Zeit haben."

Sein Kopfnicken verrät: Clement Poizot hat seine Rolle als Botschafter des Disney-Universums verinnerlicht. Ebenso geht es all seinen Kollegen. Der Park beschäftigt 15.000 Menschen. Fast jeder siebte ist seit Anfang an dabei, was in der Tourismusbranche eher ungewöhnlich ist. Auch Tomás Feier-Fröhlich ist seinem hiesigen Job überaus treu. Zwei Katzensprünge von 'It's a Small World' entfernt ist der stämmige hochgewachsene Mittfünfziger gerade auf Inspektionstour im Disneyland Hotel. Ein Fünf-Sterne-Haus mit 500 Zimmern, Feier-Fröhlich ist der Boß. Vor 15 Jahren stieß er zum hiesigen Team, zuvor hatte er in Nobelhotels rund um den Globus gearbeitet. Nun führt der Manager in die Presidential-Suite, das Dornröschen-Reich. 180 Quadratmeter Luxuswelt – glänzender Marmorboden, schwere Teppiche, Stilmöbel, hohe Decke. Feier-Fröhlich eilt quer durch das riesige Wohnzimmer zur bodentiefen Fensterfront. Mit entzücktem Blick weist er auf das rosafarbene Märchenschloß gegenüber.

"Es gibt beeindruckende Szenen auf dieser Welt, die Opera von Sidney, Eiffelturm, Brandenburger Tor. Das ist auch sehr beeindruckend. Ich krieg nicht zuviel davon, ich hab jeden Tag zu wenig, wenn ich nach Hause komme."

Fast wie ein Gutsherr führt er in das benachbarte Schlafgemach mit Baldachin-Bett.

"Die Suite ist sehr begehrt von unserer Klientel, viele Gäste kommen nach Paris, aber schlafen lieber in der Presidential-Suite vom Disneyland Hotel als in einer Suite in Paris, wegen dieser Ambiance, diesem Touch, den wir unseren Zimmern geben. Mit diesem Disney-Difference, wenn man das sagen darf. Wo es immer ganz diskrete Bildchen gibt, wie Sie hier sehen, auf dem Fernsehschrank, da haben wir Dornröschen mit ihrem Prinzen. Dahinter haben wir unseren Fernseher versteckt. Alles ganz kleine, sehr taktvolle.. des Clins d'oeil, wenn man das sagen darf. Ich glaube, das geht auf Deutsch auch? Nein – naja, auf jeden Fall, Kleinigkeiten, die eben an unsere Geschichten erinnern, so wie Dornröschen. Und das wird halt von unseren Gästen sehr geschätzt, dass das nicht voll im Auge ist, aber immer diskret, ganz leicht, ganz zart werden die Geschichten in unseren Zimmern erzählt so wie auch im Hotel."

Mit zwei Schritten ist der Hoteldirektor im Bad. Dreht zum Test die Wasserhähne auf, kontrolliert, ob die flauschigen Handtücher akkurat gestapelt sind. Auch in der Küche schaut er nach dem Rechten und im Esszimmer mit dem antiken Intarsientisch für zwölf Personen. Im Sommer mieten sich hier immer Prinzen und Prinzessinnen aus den Golfstaaten ein. Für 12.000 Euro pro Nacht - ein Preis für Märchenprinzen. Trotzdem ist die Suite jährlich zu 90 Prozent belegt. Pariser Palasthotels blicken neidvoll auf diesen Erfolg. Tomás FeierFröhlich reibt sich zufrieden die Hände: die Gäste kämen her, um im Kreise der Familie Spaß zu haben. Genau das habe Walt Disney gewollt, als er in Kalifornien im Juli 1955 sein erstes 'Zauberreich' eröffnete.

"Er hat ja Anaheim damals kreiert, weil damals die Frauen anfingen zu arbeiten, um Frau, Mann, Kinder zusammen einen Moment in Familie zu haben im Disneyland Park in Los Angeles. Und das Leitmotiv ist immer noch dasselbe. Und das sehen Sie, wir kucken immer noch auf Main Street USA und die Familien stehen unter uns. Und das ist einfach fantastisch, dass man das heute doch noch machen kann. Und dass die Menschen Freude daran haben.Und wenn man so im Hotel rumläuft und Sie sehen die Kinder, die die Figuren ankucken,

wenn dann die Sterne in den Augen sind – was wollen Sie noch mehr. Das kann Geld nicht zahlen, die Freuden!" Wenn man mit dem Auto nach Euro Disneyland fährt, ist es zuerst die Landschaft, die für Aufregung sorgt. Fern, wie plötzlich aus dem Horizont hervorgebrochen, aber dennoch schon nah - eine analoge visuelle Erfahrung zu der andernorts, wo man mit einem Blick den Mont Saint-Michel oder die Kathedrale von Chartres entdecken kann - hebt sich das Dornröschen-Schloß vom Himmel ab, mit seinen Türmen und Kuppeln, ähnlich, so erstaunlich ähnlich den Fotos, die man schon in der Presse gesehen hat und den Bildern im Fernsehen. Der heute 81jährige französischer Soziologe und Anthropologe Marc Augé leitete in den 1990er Jahren die renommierte Hochschule für Sozialwissenschaften EHESS in Paris und ist Autor vieler Fachbücher. Im Juli 1992, drei Monate nachdem Disneyland Paris, damals noch Euro Disneyland genannt, seine Pforten geöffnet hatte, ging Augé dort auf Entdeckungstour - im Auftrag der Monatszeitung 'Le Monde Diplomatique'.

Darin bestand zweifelsohne das erste Vergnügen von Euro Disneyland: man bot uns ein Spektakel in jeder Hinsicht identisch mit dem, was uns angekündigt worden war. Keinerlei Überraschung: Es war wie im Museum of Modern Art in New York, wo man es nicht gar nicht fassen kann, wie sehr die Originalwerke ihren Kopien gleichen. In Disneyland ist es das Spektakel selbst, was als Spektakel dargeboten wird: Die Kulissen reproduzieren, was schon Kulisse und Fiktion ist. Sei es das Haus von Pinoccio oder das Raumschiff von Star Wars. Nicht nur, dass wir durch den Bildschirm hineintreten, und nicht heraus wie im Woody Allen-Film ‚Purple Rose of Cairo‘. Zudem befindet sich hinter dem Bildschirm nichts anderes als ein weiterer Bildschirm. Die Reise nach Disneyland wird damit zu einem Tourismus-Trip im Carre, zur Quintessenz des Tourismus: was wir besichtigen, existiert nicht. Wir entdecken dort nichts als die Erinnerung an unsere Träume. Wir machen dort die Erfahrung purer Freiheit, objektlos, grundlos, bar jeder Herausforderung. Disneyland, das ist die heutige Welt mit dem Schlimmsten und dem Besten, das sie zu bieten hat: der Erfahrung von Leere und der Erfahrung von Freiheit.

Reportage 2: Das Reich der Imagineers, denen die künstlerische Gestaltung von Disneyland Paris obliegt, befindet sich direkt neben dem Park, auf dem abgeschirmten Betriebsgelände. In einem einstöckigen Containerblock mit Baustellencharme. Beth Clapperton eilt durch den schmalen Gang rechts herum in ihr Büro. Mit routinierter Geste zieht sie den Rolladen hoch, nun flutet Morgenlicht in den winzigen Raum. Clappertons Reich wird beherrscht vom Arbeitstisch entlang der Fensterfront. Rechts steht der Computer, links stapelt sich Krimskrams. Die Wände sind vollgepinnt mit Fotos und Zeichnungen von neuen Projekten. Ihren Projekten. Den Clapperton ist als Art Director bei Disneyland Paris tätig. Um ihr herzförmiges Gesicht mit den Lachfältchen ringeln sich honigblonde Locken. Gekleidet ist sie burschikos, in eine derbe Arbeitshose, T-Shirt, Sicherheitsschuhe. Und deutet nun mit einer Kinnbewegung auf den offenen Aktenschrank: dorthin, wo sich Kekspackungen türmen.

"Das sind meine Essensreserven. Denn meine Arbeitstage sind ziemlich ausgefüllt und lang. Wegen dem Vorratslager hat der Raum was von einem Wohnbüro."

In einer Ecke liegt ein Bauhelm. Beklebt mit Plastikfigürchen, Symbole der 'Piraten der Karibik', Clapperton untersteht die Renovierung der Attraktion. Den Helm hätten ihr Kollegen zum Geburtstag offeriert, sagt die Art Directorin und strahlt. Ihre rechte Hand beschreibt einen Halbkreis über den Wirrwarr auf dem Arbeitstisch.

"Hier häufen sich die Arbeitsproben. Denn jedes Mal, wenn wir eine Attraktion um- oder neu bauen, lassen wir von jedem Objekt Proben herstellen. Da sehen Sie eine Schatzkarte für die Piraten der Karibik, daneben liegen Modelle von Goldmünzen für die Piraten-Schatzkiste."

Dass sie eines Tages Piratenschätze entwerfen würde, daran dachte die Neuseeländerin nicht einmal im Traum, als sie 1986 in Auckland ihr Architektur-Diplom machte. Drei Jahre später, bei einem Europatrip, erfuhr sie, dass Disney für das Projekt nahe Paris Show Set Designer suchte. Ihre Bewerbung war der Einstieg in eine lange Karriere im Haus. Nun stülpt sich die Endvierzigerin ihren goldfarbenen Bauhelm über und schnappt ihr Handy: sie wird auf der Baustelle erwartet.

"Ich gehe mit fast leeren Händen los, ich brauche nur noch meinen Taschencomputer, Smartphone genannt. Früher schleppten wir uns mit Papierunterlagen ab. Heute arbeiten wir zumeist mit elektronischen Dokumenten. Die habe ich im Handy. Und den Rest im Kopf. Vor allem meine Augen: die sind mein wichtigstes Werkzeug."

Von ihrem Bürocontainer bis zum Abenteuerland hat Beth Clapperton gute fünf Minuten mit dem Dienstwagen gebraucht. Von der Rückseite entpuppt sich die verwunschene Heimat der Karibikpiraten als langer hoher Betonbau. Dessen Innenleben wird gerade rundum erneuert. Die frischverlegten Parkettbahnen sind noch mit Planen abgedeckt, die neuen Deckenlampen plastikverhüllt, glänzende Stromkabel winden sich die Wände entlang. Mit kritischem Blick prüft die Art Directorin jedes noch so kleine Detail. Alles muss passen, damit die Technik funktioniert. Damit die Kulisse überzeugend wirkt für die Geschichten, mit denen man bei Disney die ganze Familie in Bann ziehen möchte. Mit Zeigefinger und Daumen reibt sich Beth Clapperton die Nasenspitze.

"Es gibt Gemeinsamkeiten bei all den Geschichten, die wir erzählen. Es geht häufig um den Underdog, der gewinnt, allen Widrigkeiten zum Trotz. Oft drehen sich die Geschichten um einen jungen Menschen, mutterseelenallein, dem es gelingt, sich durchzusetzen, weil er an sich glaubt oder auch an seinen Traum. Jemand, der es schafft, positiv auf den Gang der Dinge einzuwirken. Unsere Geschichten erzählen von Freundlichkeit, Mitgefühl und Selbstvertrauen."

Aus der halbdunklen Piratenhöhle tritt Clapperton hinaus auf einen sonnigen Innenhof. Hinter ihr rauschen Wasserfälle von einem Felsen. Rundum ziehen sich brusthoch Mauern, davor knien zwei Maler, die die groben grauen Steine in Brauntönen anpinseln. Ganz nach der Vorgabe von Beth Clapperton. Sie hebt die Hand zum Gruß.

"Wir haben die Mauern höhergezogen, denn uns ist aufgefallen, dass vor allem Kinder gerne darauf rumklettern. Nun ist sie vor Klettermaxen sicher."

Die Endvierzigerin schaut auf die Uhr: sie muss weiter. Unterwegs fällt ihr eine Anekdote ein. Aufgestockt werden mussten auch die Geländer, die die Warteschlangen leiten: die Besucher sprangen einfach darüber hinweg. Clappertons Hände gestikulieren mal wieder wild.

"In Europa sind die Gäste, anders als in Disneyparks auf anderen Kontinenten, einfach rebellischer. Individualistischer. Da waren wir gezwungen, unser Design anzupassen."

Clapperton ist auf dem Weg zu Ratatouille. Der Welt der Seine-Ratte Rémy, die sich als Meisterkoch entpuppt. Vor drei Jahren erbaut von Clapperton und ihrem Team, ganz im Geist des Kino-Blockbusters der von Disney aufgekauften Pixar-Studios. In Disneyland Paris schlägt Ratatouille eine Brücke zur nahegelegenen SeineKapitale. Vor der Fahrgeschäfthalle entstand ein Pariser Platz wie von Touristen erträumt. Drinnen schunkeln Ratmobiles genannte Wägelchen Besucher schwungvoll kreiselnd durch Rémys Küchenreich. Ein Fest der Sinne, dank modernster Technik. In den riesigen Kulissen fühlt sich der Mensch so winzig wie die Ratte Rémy.

Jetzt stoppt Beth Clapperton kurz, ihr Blick wird schwärmerisch. Vertreter von 500 Berufen sind für den schönen Schein des Disney-Parks zuständig, sagt sie und streckt den Zeigefinger wie ein Ausrufezeichen in die Luft.

"Dies ist der schönste aller Disney-Parks. Weil wir hier Kunsthandwerker einsetzen, die noch Blattgold auflegen können. Sie arbeiten beim staatlichen Denkmalschutz. Wir haben Steinmetze. Handwerker, die allesamt hohe Qualität einbringen und unser Design mit Details ausstatten. Das sorgt für eine Authentizität, die den Park bereichert."

Beth Clapperton nickt stolz mit dem Kopf und macht sich wieder auf den Weg. Was Disneyland für die (…) Besucher leistet, ist ein Aufbauen, ein Auf-andere-Gedanken-bringen, ein Entdecken, „dass das Leben noch mehr und anderes bietet, als die im Augenblick verengte eigene Perspektive das wahrnimmt.“ Das Erfahrene weist über sich selbst hinaus! Disneyland kann auf diese Art und Weise eine heilsame und somit sinngebende Wirkung für seine Besucher haben. Florian Fuchs ist Lehrbeauftragter für Evangelische Theologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und leitete im Herbst 2016, im Rahmen eines religionswissenschaftlichen Seminars, eine Exkursion ins Pariser Disneyland. Im danach entstandenen Beitrag für einen kulturwissenschaftlich-theologischen Sammelband definiert Fuchs den Freizeitpark als eine Pilgerstätte in religiösem Sinne.

Wie im Christentum ist die Botschaft aller Erzählungen Disneys ein Happy End – Alles wird gut! Glaubt man an diese Botschaft und übernimmt sie für das eigene Leben, kann sie auch dazu beitragen, die Welt in einem anderen Licht zu sehen und somit Ängste zu nehmen. Eine andere typische Botschaft Disneys ist: Das Gute siegt über das Böse. Auch wenn dieses Schwarz-Weiß-Denken zunächst realitätsfern und banal erscheint, kann es dennoch für ein Individuum, das sich in einer wie auch immer negativen Situation befindet, eine tröstliche Botschaft sein: Das Leid, das mir gerade widerfährt, geht wieder vorbei! Ich weiß, dass mein Leben eigentlich besser ist oder besser sein könnte als es jetzt gerade scheint!

Reportage 3: Mit der S-Bahn geht Dominique Desjeux heute auf Studienreise. Desjeux, Soziologie und Sorbonne-Professor für soziale und kulturelle Anthropologie, arbeitet seit Jahrzehnten zu den Veränderungen im französischen Alltag. Er ist gerade im Pariser Zentrum in die Linie RER A gestiegen, die schnurgerade gen Osten fährt, direkt zu Disneyland Paris. Die Endstation Marne-la-Vallée wurde 1992 gleichzeitig mit der gigantischen Vergnügungsstätte eröffnet. Ein Vierteljahrhundert ist seither vergangen, der Wissenschaftler spürt der Entwicklung nach. Vincennes. Die RER A fährt aus den Pariser Tunneln heraus wieder ins Tageslicht. Dominique Desjeux hat einen Fensterplatz gewählt. Seine 71 Jahre sind dem unauffällig wirkenden Mann trotz der Silbermähne nicht anzusehen, die Augen blicken hellwach. Desjeux zieht eine kleine Digitalkamera aus der Tasche und schaltet sie ein.

"Ich filme, wie wir aus Paris herausfahren. Im Pariser Zentrum konzentriert sich die Macht, politisch, wirtschaftlich und kulturell. Nun sind wir unterwegs zu den nordöstlichen Randgebieten, die zum Restrukturierungsprojekt 'Großes Paris' gehören. Dazu zählt auch Marne-la-Vallée. Selbst vom S-Bahnwaggon aus entdeckt man nach und nach Spuren einer unglaublichen kulturellen und religiösen Vielfalt. Man sieht unzählige Graffiti rundum. Und man entdeckt, dass das Ballungsgebiet um große Kommerzzentren herum organisiert wurde: Freizeitanlagen, Vergnügungsparks wie Disneyland Paris und Asterixpark und natürlich Einkaufszentren."

Das Phänomen der Centres commerciaux hat der Forscher vor gut 25 Jahren erstmals studiert. Weil damals alle Nase lang ein großes Einkaufsparadies aufmachte, vor den Toren der Städte. Mittlerweile sind die Städte drum herum gewachsen. Erwünschter Effekt der Raumordnungspolitik. Vor allem rund um Paris entlastenmittlerweile neue Lebens- und Wirtschaftspole die Hauptstadt. Unterwegs gen Osten fährt die RER A durch unterschiedlichste Welten: vorbei an alten kleinen Villen. An modernen Einfamilienhäuschen mit handtuchgroßen Gärten. An endlosen betongrauen und betagten Mietskasernen. Dominique Desjeux hat seine Kamera sinken lassen. Beim Anblick eines gelb-blauen Werbeplakats reisst er sie wieder hoch: Es zeigt einen Tisch unterm Sonnenschirm, darauf ein Glas mit dem klassischen französischen Anisschnaps. Die Augen des Forschers funkeln.

"Der Werbespruch lautet: 'So einfach wie Ricard'. Da steckt der kulturelle Boden Frankreichs drin. Mich fasziniert immer wieder, wie sich hier die Zeichen vermischen - die Graffiti entlang der Schienen mit dieser Werbung, die das bodenständige Frankreich symbolisiert, während rundum Moscheen aus dem Boden wachsen. Und auf den Straßen rundum können wir sicher auf tief verschleierte Frauen treffen."

Der kulturelle Boden, der für Desjeux in der Anisschnaps-Werbung steckt, ist heute mancherorts entwurzelt. Allein schon, weil verschleierte Frauen, praktizierende Muslime insgesamt keinen Alkohol trinken. Zur Primetime laufen nun auf allen TV-Kanälen amerikanische Serien. Als Disneyland Paris öffnete, beschimpfte ihn Theatermacherin Ariane Mnouchkine noch als 'kulturelles Tschernobyl'. Zum 25. Geburtstag des Parks lobte ihn der damalige Staatspräsident François Hollande als 'französische Erfolgsstory'. Die S-Bahn nähert sich dem vorletzten Halt, Val d'Europe. Ein Zusammenschluß von sechs Dörfern rund um das damalige Projekt von Disneyland Paris. Bei dessen Eröffnung lebten hier knapp 5.000 Menschen. Heute sind es 32.568. Die S-Bahn hält, Dominique Desjeux verstaut rasch seine Kamera in der Tasche und steigt aus. Die Glasfront der modernen Bahnhofshalle gibt den Blick frei auf das umliegende Viertel. Es wurde vor gut zwei Jahrzehnten aus Rübenackern hoch gestampft. Denn im Rahmen einer beispiellosen öffentlich-privaten Partnerschaft hatte das Disney-Unternehmen Vorkaufsrecht für 2.000 Hektar Land erhalten. Im Gegenzug wurde es mit der Erschließung des Territoriums beauftragt. So kann Disney auch heutigen Bauherren seinen Geschmack diktieren - ein maßgeschneidertes Umfeld für den Freizeitpark. Nach einigen Schritten steht Dominique Desjeux vor dem Bahnhof und lässt den Blick schweifen. Die Straße säumen uniforme Häuserzeilen: helle Steinfassade, fünfstöckig, Zinkdach. Fast wie die historischen Prachtbauten Haussmanns in Paris, irgendwie. Mittendrin erhebt sich ein runder Bau, eine Eisenkonstruktion mit viel Glas. Darin residiert ein Pub. Der Forscher kratzt sich kurz am Kinn.

"Das wirkt ganz wie ein Bau von Gustave Eiffel, aber schwach imitiert. Uns Franzosen erscheint das gefälscht. Amerikanern und Chinesen hingegen echt. Für sie ist es belanglos, wie alt ein Bau, der auf historisch macht, wirklich ist. Es reicht, dass er die Epoche rekonstituiert, um bei ihnen als authentisch durchzugehen."

In Desjeuxs Augen spiegelt sich das auf alt getrimmte neue Stadtviertel.

"Letztendlich weiß ich hier gar nicht, was echt und was falsch ist. Natürlich immer aus französischer Sicht. Mich amüsiert das sehr. Ich mag das Alte, ich mag das Neue. Und Gefälschtes wie hier, das ist für mich reinster Kitsch. Kitsch ist ein Stil, weder alt noch neu, er ist barock, künstlich, modern. Und auch ein Zeichen dafür, dass wir voranschreiten. Kitsch ist für mich nichts Negatives. Kitsch ist Kitsch."

Beim Disney-Unternehmen, das Auflagen für den hiesigen Baustil erteilt, ist der Begriff Kitsch selbstverständlich verpönt. Viel lieber verweist man dort auf die wirtschaftliche Bilanz: acht Milliarden Euro hat Disney investiert. Mit seinen Aktivitäten fast 70 Milliarden Euro an Mehrwert generiert. Da verstummt mancher Kritiker von selbst. Soziologe Desjeux ist vor einem langgezogenen fensterlosen Flachbau angekommen. Das Einkaufszentrum von Val d'Europe, eines der größten in ganz Europa. Aufmerksam mustert er die Stahl-Glaskonstruktion der hohen Eingangshalle. Ein Nachbau der historischen Pariser Passagen, Vorläufer aller heutigen Einkaufszentren. Selbst der nordamerikanischen Malls. Die habe im Übrigen ein in den 1940er Jahren in die Staaten emigrierter Deutscher erfunden, sagt Desjeux in fast dozierendem Ton.

Am Eingang kontrollieren zwei Wachleute die Taschen der Passanten. Mittags sind hier sind junge Familien mit Kinderwagen unterwegs, Teenager-Cliquen, mancher Angestellte, der dank der 35-Stunden-Woche seinen Freizeitausgleich zum Schaufensterbummel nutzt. Der Wissenschaftler nimmt seine Brille ab, putzt sie und setzt sie wieder auf.

"Ich liebe den Anblick all dieser endlosen Gänge, in denen sich eine Boutique an die andere reiht. Das ist für mich Ausdruck der Globalisierung. In diesem Fall der glückbringenden Globalisierung, die vereinend ist. Solche Einkaufszentren stehen heute in den unterschiedlichsten Städten rund um den Globus. Und überall finden wir etwas, was uns vertraut erscheint. Ob man das nun mag oder nicht - diese Einheit existiert. In gewissem Sinne gehören wir alle derselben Welt an. In Frankreich, wo man bei Thema Shoppen die Nase rümpft, erscheint der Gedanke bizarr, dass man hier Einheit findet. Für mich aber ist es genau so."

Dominique Desjeux ist an einer weitläufigen Seitenhalle mit weiteren Läden und Restaurants angelangt, eingeweiht pünktlich zum 25. Jubiläum des Disneyparks. Unter der hohen Glaskuppel funkeln hier abends tausende Birnchen wie Sterne - der Ort heißt 'Sternenplatz'.Ein Konsumtempel nach Disney-Manier. Zwar nur 50 Kilometer Luftlinie, dafür aber Welten entfernt vom gallischen Dorf im Parc Asterix.

Reportage 4: Von weither ist der riesige Asterix zu sehen, der auf einem hohen Betonfelsen thront. Willkommen im gleichnamigen Park mit seinen 33 Hektar Gelände, von Wäldern umringt, 30 Kilometer nördlich von Paris. Und eine Autostunde entfernt vom zehn mal größeren Disneyland Paris. Der weltberühmte Gallier regiert über ein sehr französisches Reich. Davon träumte Albert Uderzo, der Zeichner der Asterix-Bände, seit er 1981 den kalifornischen Disneypark besucht hatte. Acht Jahre später, da war Disneyland Paris noch eine gigantische Baustelle, wurde der Parc Asterix eingeweiht - ein damals pionierhaftes Unterfangen, sagt dessen künstlerischer Referent Thierry Bourgois.

"Damals gab es in Frankreich nur ein paar kleine Freizeitanlagen, die weit weniger zu bieten hatten als wir. Das waren Orte, die Familien zum Sonntagsspaziergang anzogen, mehr nicht."

Durch eine versteckte Tür ist er vom Kulissenbereich direkt in der Welt der alten Griechen gelandet. Die gleicht, wie auch die anderen Parkzonen, den Bildern in den Asterix-Comics aufs Haar. Das antike Griechenland wird beherrscht von Zeus, dem Obergott der griechischen Mythologie. Thierry Bourgeois, ein stämmiger Endfünfziger in saloppem schwarzen Outfit und mit silbergrauem Kinnbart, strebt auf die gigantische Statue gegenüber zu: ein lindgrüner Zeus in kurzer Toga, der sich mit breitgespreizten Beinen anschickt, einen güldenen Blitz zu schleudern. Von fern erscheint Zeus so majestätisch wie eine Skulptur aus der Zeit der alten Griechen oder ein Bronzedenkmal des 19. Jahrhunderts. Bourgeois ist am Sockel angelangt, weist mit der rechten Hand nach oben, schaut dem Herrscher des Olymp unter die Toga und lacht.

"Wir haben ihm einen geblümten Slip angezogen. Dabei wirkt die Statue aus der Ferne doch ungemein seriös. Und das inkarniert den Geist des Asterix-Parks. Es gibt hier nichts, wo wir nicht eine Spur Humor eingebaut hätten. Denn wir wären gar nicht in der Lage, eine stinknormale Attraktion zu bauen. An irgendeiner Stelle läuft das bei uns immer humorvoll aus dem Ruder. Unser Witz bleibt politisch korrekt. Aber wir sind unfähig, solche Schelmereien zu unterlassen."

Bourgeois kehrt Zeus den Rücken und flaniert durch das weiß-blaue Dorf, das einem griechischen TourismusProspekt entsprungen sein könnte. Wären da nicht Details wie die Pommes-Bude mit dem Namen Fritapopoulos. Direkt vor dem Eingang des gallischen Dorfes, dem historischen Herzstück des Parks, machen Asterix und Obelix vor einer Hütte Faxen. Groß und klein stehen Schlange für ein Erinnerungsbild.

"Mach mal Muckis", ruft Fotografin Marine Matthieu einem schmalen Teenager zu.

"Hier herrscht eigentlich immer Trubel. Die Besucher sind stolz, sich mit Obelix und Asterix fotografieren zu lassen. Ihre Freude ist ansteckend. Und indem wir sie fotografieren, tauchen wir mit ihnen richtig in die hiesigen Geschichten ein."

Amüsiert sieht Thierry Bourgeois dem Rummel vor der Hütte zu. Schon als Kind hat er die Asterixbände verschlungen: die Serie und er sind gleich alt, schmunzelt der 58-Jährige.

"Asterix repräsentiert den Mut, er ist der tapfere Krieger, der, wenn es sein muss, auch ganz alleine das ganze Dorf verteidigt. Obelix, der dicke, sympathische Kerl, steht für die Freundschaft. Sein Herz ist genauso groß wie sein Bauch. Und er rennt ständig seiner geliebten Falbala nach. Trotz seines Leibesumfangs, trotz seiner Riesenkraft ist er eigentlich nur darauf aus, sich zu amüsieren. Den anderen macht er Angst, dabei handelt es sich um einen Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Gäbe es die Römer nicht, würden er und die Seinen niemanden verkloppen.

Bourgeois legt die Stirn in Falten - fast wirkt er ernst. "Ohne die Römer geht es nicht. Unsere Gallier brauchen die Römer, um sich zu amüsieren. Dabei sind sie keineswegs bösartig oder nachtragend. Fast könnte man sagen: sind die Römer nicht da, dann fragen sich die Gallier: wo sind bloß unsere Kumpel?"

All das sei doch typisch französisch, sinniert der Projektchef. Mechanisch krault seine rechte Hand im Kinnbart.

"Die Geselligkeit, der launische Charakter, die Tatsache, dass man permanent unzufrieden rummäkelt, dass man sich ständig amüsieren, feiern will: All das sind französische Werte. Jedenfalls sehe ich das so. Und das wollen wir unseren Besuchern vermitteln: hier sind Sie in Frankreich, auch wenn dies das Gallien der AsterixVäter Uderzo und Goscinny ist. Aber es handelt sich auch um das wahre Frankreich, mit den wahren Werten Frankreichs. Das lassen wir Sie hier mit unseren Darstellern und Geschichten erleben."

Nach ein paar Hundert Metern ist Thierry Bourgeois im 'Wald von Idefix', einer vor drei Jahren eingeweihten Anlage für Kinder. Hoch über den Köpfen der Besucher dreht eine Bimmelbahn in gemütlichem Tempo Runden. Bourgeois lässt sich in ein Wägelchen gleiten und schaut dann, kaum dass das Gefährt den Bahnhof verlassen hat, aufmerksam in die Tiefe.

"Den 'Wald von Idefix' haben wir als Kinderspielplatz konzipiert. Als einen Ort, an dem alle Kinder miteinander spielen. Und wo sie gerne wieder hinkommen wollen. Wir möchten gemeinsame Erlebnisse fördern. Unsere Besucher sollen nicht gewissermaßen auf Egotrip einfach alle Attraktionen abklappern. Wir wollen, dass sie Gelegenheit haben, mit anderen Gästen zusammenzukommen, sich auszutauschen, ihr Vergnügen mit allen um sie herum zu teilen."

Den 'Wald von Idefix' hat sich die Parkleitung komplett ausgedacht. Allerdings ließ man sich das Projekt vom Comics-Verlag, Hüter des Asterix-Universums, absegnen. Genau wie andere künstlerische Freiheiten, die sich der Themenpark zunehmend erlaubt. Gerade kommt die Hochbahn an der Hütte von Etamine vorbei: ein kleines Fahrgeschäft, das wild um seine Achse rotiert. Thierry Bourgeois reibt sich vergnügt die Hände.

"Wir haben Druidenfiguren erfunden, um neue Geschichten erzählen zu können, die es nur bei uns gibt. Darunter ist eine Druidin, so etwas findet man in keinem Asterixband. Unsere Druidin Etamine ist eine richtige Gallier-Mama, die Zaubertränke herstellt. Da sie über denselben überschwänglichen Elan verfügt wie unsere anderen gallischen Helden, rührt sie den Trank so heftig an, dass nicht nur der Kessel mitschwingt, sondern gleich die ganze Hütte. Und aus dieser Idee heraus ist unsere neue Attraktion mit dem rotierenden Haus entstanden.“

Das Wägelchen trifft wieder im Bahnhof ein. Thierry Bourgeois klettert heraus und eilt davon. Zurück in sein Büro, um neue typisch gallische Projekte auszufeilen. Reportage 5: Im Parc Asterix residieren die Römer im Windschatten des gallischen Dorfes. Das Zentrum der alten Rom bildet ein stilvoller Rundbau, der eine überdachte Arena beherbergt. Rundum erschallt aus Lautsprechern die Ansage für die nächste Live-Show.

"Gallische Freunde, kommt zum allerletzten Gefecht zwischen Galliern und Römern. Wir erwarten Euch in dreißig Minuten in unserer Arena."

In der Arena probt ein Stuntman noch eine Flugnummer. Während sich in der engen Loge hinter der Bühne eine junge Frau auf ihre Auftritt vorbereitet.

"In der Arena verkörpere ich Lea Jactaest, Moderatorin einer illustren TV-Show, in der Gallier und Römer gegeneinander antreten."

Sichtlich genußvoll lässt Schauspielerin Lucie Redinger ihren Rollennamen auf der Zunge zergehen: Lea Jactaest ist die Verballhornung eines Spruchs, den angeblich Cäsar im Jahr 49 vor Christi Geburt prägte: Alea iacta est die Würfel sind gefallen. Gerade ist die Maskenbildnerin eingetroffen, um Lucie in Lea zu verwandeln. Die zierliche 35-Jährige mit dem ebenmäßigen Gesicht trägt ein luxuriös wirkendes güldenes Kostüm, winziges enges Oberteil, hochgeschlitzter Wallerock. Im Gesicht und auf den nackten Armen funkeln Pailletten. Nun reicht ihr die Maskenbildnerin eine lange dunkle Lockenperücke. Lucie Redinger stülpt sich die Mähne über. "Das ist nur die erste Perücke. Bei der Liveshow trage ich insgesamt drei. Und fünf verschiedene Kostüme. Dabei dauert die Aufführung gerade mal 25 Minuten. Da muss man sich ganz schön sputen mit dem Umziehen." Großzügig verteilt die Maskenbildnerin goldfarbene Pailletten auf der künstlichen Lockenpracht.

"So funkelt Lea wie tausend Sterne".

Mit einer Dosis Haarspray wird die Pracht fixiert. Lucie Redinger mustert ihr Spiegelbild und nickt zufrieden: die Person ihr gegenüber ist eine wahre Diva. Lea Jactaest ist beileibe nicht ihre erste Rolle im Parc Asterix. Seit nunmehr acht Jahren war sie in jeder Saison dabei. Ihr Blick schweift kurz in die Ferne.

"Als Kind habe ich viel Asterix gelesen, ich habe die Comicserie geliebt. Das hat mit auch sehr dabei geholfen, mich in meine hiesigen Rollen einzufühlen. Denn ich habe auch schon Personen gespielt, die in den Comics wirklich vorkommen. Da kannte ich die Personen und ihre Charaktere dann schon, mit all ihren Anekdoten."

In der Loge geht es fast ein bisschen zu wie in einem Taubenschlag. Der Tontechniker bringt Lucie Redinger das Mikro am umhängbaren Gestell. Ein Kollege steckt den Kopf herein. Noch zehn Minuten bis zum Auftritt. Lampenfieber habe sie weiterhin, jedes Mal, verrät die Mittdreißigerin. Und, dass der schräge Humor im Asterixpark einfach einmalig sei. Sie drapiert ihre dunkle Mähne effektvoll um die nackten Schultern.

"Im gallischen Dorf habe ich vor zwei Jahren eine Ansagerin gespielt, die Lady Dagda hieß. Eine Referenz an Lady Gaga. Und gleichfalls an den Druidengott. Im vorigen Stück hier in den Arenen war ich eine Gallierin, die alleine gegen eine ganze römische Garnison antrat. Dank des Zaubertranks habe ich natürlich gewonnen. Allen Spektakeln gemeinsam ist dieser schräge, verrückte Humor. Wir nehmen uns selbst nicht so ernst. Dabei arbeiten wir überaus strikt. Wir proben sehr viel. Aber nach außen hin soll einfach alles nur verrückt und kreativ wirken."

Lucie Redinger hat auch andere Engagements, außerhalb des Asterixparks. Derzeit parallel bei einem Musical in Paris. Doch dank der Arbeit im Freizeitpark beherrsche sie nun auch akrobatische Szenen wie Einlagen am Trapez, sagt die Komödiantin. Sie runzelt die Stirn: auch der Auftritt als Lady Dagda im gallischen Dorf bedeutete eine Herausforderung. "Das war reinstes Straßentheater, das habe ich zuvor noch nie gemacht. Da steht man mitten im Publikum und muss in alle Richtungen agieren - ganz anders als auf einer Theaterbühne. Manchmal reagiert ein Zuschauer sehr merkwürdig. Das zwingt uns, völlig in unserer Rolle aufzugehen, um aus dem Stand antworten zu können. Selbst wenn jemand sich nicht nett verhält - wir lernen, das einfach wegzustecken." Jetzt müsse sie wohl bald auf die Bühne, meint Lucie Redinger, erst in fünf Minuten, beruhigt sie die Maskenbildnerin. Die Schauspielerin atmet tief durch und zieht die Schultern nach hinten. Im Asterixpark sei sie für ausländische Touristen ja ein bisschen Botschafterin ihrer Heimat Frankreich. Als römische TV-Diva Lea Jactaest allerdings weniger, sagt sie und lächelt "In dieser Rolle bin ich ja keine nette Person, eher die Böse. Aber was die Gallier anbelangt: das Bild, dass sie abgeben wollen, ist das von Lebenslustigen, von sympathischen Leuten, die ungekünstelt sind, die gerne lachen. Und die gleichzeitig zusammenhalten, weil sie sich ja schließlich den römischen Eroberern widersetzen. Sie geben sich als geeinte Familie, in der man sich gegenseitig unterstützt, um das Leben voll auszukosten. Das ist wohl die Botschaft, die wir hier vermitteln wollen." Nun muss Lucie Redinger aber wirklich los, ab in die römische Arena. Dort werden, wie immer, die tapferen Gallier siegen.

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