Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

Irmela Wiemann 18.11.2012 Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien Irmela Wiemann Psychologische Psychotherapeutin www.irmelawiemann.de Geschwist...
Author: Claus Egger
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Irmela Wiemann

18.11.2012

Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien Irmela Wiemann Psychologische Psychotherapeutin www.irmelawiemann.de

Geschwisterbindung (1) • Geschwister leben über viele Jahre in großer Nähe und räumlicher Dichte. • Geschwister sind die vertrautesten Verwandten. • Sie sind, wie die Eltern, für immer ein Teil von einem selbst. • Geschwister haben intime Kenntnis voneinander • Sie teilen dieselben Eltern, sie verbringen mehr Lebenszeit miteinander als mit ihren Eltern Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Geschwisterbindung (2) • Oftmals haben sie eine gemeinsame Sprache, Codes, Symbole • Sie haben dieselben Familienregeln verinnerlicht, Normen, Mythen und Rituale etc. • Sie haben einen schnellen Wissensund Gefühlsaustausch • Sie haben gemeinsame Erinnerungen, die verbinden Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Geschwisterbindung (3) • Selbstdefinition und Identitätsfindung, Ausdifferenzierung von Persönlichkeit und Geschlechterrollen, geschieht im Vergleich mit Geschwistern. • In Familien mit hoher Mobilität bleibt das Miteinander der Geschwister konstant. • Soziologen haben in neuester Zeit festgestellt, dass Geschwister im Alter wieder höheren Stellenwert erhalten, wenn Freunde weniger werden. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Biologische und soziale Geschwisterschaft Entscheidend: miteinander gelebte Zeit:

Leibliche Geschwister

Jeden-TagGeschwister

Hoher Zugang oder niedriger Zugang? (Bank und Kahn) Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Hoher Zugang = enge Geschwisterbindung • Geschwister mit geringem Altersabstand • Geschwister mit großer Nähe (gemeinsames Zimmer, gemeinsamer Kindergarten etc.) • hoher Grad an gemeinsamer Erfahrung und gemeinsamer Zeit im Alltag • Geringer Einfluss der Eltern steigert den Zugang unter den Geschwistern • Wenn Eltern sich zurückziehen, werden Geschwister zu den wichtigsten Bezugspersonen Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Niedriger Zugang = schwächere Geschwisterbindung • • • •

Geschwister mit größeren Altersabständen bei Integration in verschiedenen Gruppen bei eigenen Zimmern etc. Geschwister, die getrennt aufwachsen, haben keinen Zugang zueinander, keine Alltagsvertrautheit

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Geschwisterkonstellationen in Pflege- und Adoptivfamilien (1) • Es gibt Kinder, die – ohne Geschwister als Einzelkinder aufwachsen, – mit Adoptiv- oder Pflegegeschwistern leben, – Gemeinsam mit leiblichen Geschwistern derselben Herkunftsfamilie in der neuen Familie zusammenleben, – die gemeinsam mit leiblichen Kindern der Adoptiv- oder Pflegeeltern aufwachsen

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Geschwisterkonstellationen in Pflege- und Adoptivfamilien (2) • Viele angenommene Kinder haben leibliche Volloder Halbgeschwister, die in anderen Pflege- oder Adoptivfamilien leben. • Andere angenommene Kinder haben Voll- oder Halbgeschwister, die in der Herkunftsfamilie leben. • Viele angenommene Kinder suchen später ihre leiblichen Geschwister, und sie genießen es, in ihnen leibliche Verwandte zu finden. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Wichtig für annehmende Eltern von Kindern unterschiedlicher Herkunftssysteme (1) • Adoptiv- und Pflegegeschwister teilen dieselben sozialen Eltern • Wenn sie hohen Zugang zueinander haben, sind sie so vertraut miteinander wie andere Geschwister auch. • Zugleich ist ihnen gegenwärtig, dass sie nicht miteinander verwandt sind. • Sie haben unterschiedliche Herkunftseltern, • unterschiedliche genetische Veranlagungen, unterschiedliche körperliche Konstitutionen. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Wichtig für annehmende Eltern von Kindern unterschiedlicher Herkunftssysteme (2) • Sie haben eine unterschiedliche Biografie, • manchmal einen unterschiedlichen Grad an Wissen über ihre Herkunft. • Das eine Kind hat möglicherweise andere leibliche Geschwister in anderen Adoptiv- oder Pflegefamilien, das andere nicht. • Manche Kinder haben Kontakte zur Herkunftsfamilie, das Geschwisterkind in derselben Familie hat diese nicht. • Bei aller Nähe und Gemeinsamkeiten gibt es mehr Unterschiede als in »Normalfamilien«. Diese Unterschiede sind zumutbar und geben dem Kind Einmaligkeit und Individualität! Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Tipps für annehmende Eltern von Geschwistern aus derselben Herkunftsfamilie (1) • Die Kinder haben miteinander eine ältere Beziehung, eine ältere Geschichte als mit ihren emotionalen Eltern. • Bei den Kindern fallen biologische und soziale Geschwisterschaft zusammen, mit ihren Eltern bindet sie einzig die soziale Bande. • Kinder erleben sich gemeinsam als Repräsentanten ihrer Herkunftsfamilie. • Das jüngere Geschwisterkind kann meist eine intensivere Bindung zu den neuen Eltern aufnehmen Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Tipps für annehmende Eltern von Geschwistern aus derselben Herkunftsfamilie (2) • Manchmal: Abschied vom Anspruch der vollständigen Integration: »Ihr bleibt die Kinder Eurer Familie und wir bieten Euch ein neues Zuhause« • Geschwister bilden ein Subsystem in der neuen Familie, was in den Jugendjahren auch zur »Verschwörung« gegen die annehmenden Eltern werden kann. • Schutzimpfung: So wie bei allen angenommenen Kindern: Der Herkunftsfamilie einen emotionalen Platz einrichten, sie als Bestandteil des Lebens der Kinder anerkennen! Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Gründe für die gemeinsame Vermittlung von Geschwistern (1) • Je mehr Vertrautes aus der alten Umgebung mitgenommen werden kann, desto weniger traumatisch die Trennung. • Wir wissen von jungen Kindern, die von ihren Eltern getrennt wurden, dass sie weniger »bindungsgestört« reagieren, wenn ihnen das vertraute Geschwisterchen bleibt. • Gemeinsame Vermittlung von Geschwistern in eine neue Umgebung wirkt Angst reduzierend. (Rutter) Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Gründe für die gemeinsame Vermittlung von Geschwistern (2) • Kleinkinder sind seit den ersten Lebenstagen an die Stimmen, an die Gesichter, an die tägliche Nähe der Geschwister gewöhnt. • Der Beziehungsabbruch von den Eltern wird durch gemeinsame Vermittlung abgemildert. • Geschwisterkinder sind eher fähig, wieder Bindung auf die neuen Menschen zu übertragen, weil sie nicht alle Bindungen verloren haben. • Durch das gemeinsame Schicksal fühlen sich Geschwister weniger allein bei ihrem schweren Prozess. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Getrennte Vermittlung von Geschwistern ist möglich • Kinder, die nicht miteinander gelebt haben • Kinder, die schon lange getrennt waren • Neugeborene, wenn die älteren Kinder sich vergewissern können, wo das Kind lebt

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Getrennte Vermittlung von Geschwistern ist notwendig • Bei erlittener Gewalt durch ein älteres Geschwisterkind • Bei sexueller Misshandlung durch einen älteren Bruder oder eine ältere Schwester • Bei extrem aggressiven, destruktivem Verhaltensmuster mit geringer Besserungsprognose

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Empfehlungen für Eltern von leiblichen und angenommenen Kindern (1) • Der Status Pflegekind – eigenes Kind darf sich im Lebensalltag spiegeln • Gefühle der annehmenden Eltern gegenüber leiblichen Kindern und Pflegekindern dürfen verschieden sein. • Beide Kinder haben ein sehr unterschiedliches Leben hinter sich. Sie sind und bleiben im Spiel-, Leistungsund Sozialverhalten sehr verschieden. • Die Verantwortung für das angenommene Kind bleibt bei den Erwachsenen und soll nicht auf das leibliche Kind übertragen werden. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Empfehlungen für Eltern von leiblichen und angenommenen Kindern (2) • Annehmende Eltern sollten sich das Vergleichen der Kinder abgewöhnen! • Abgrenzen der Kinder untereinander ohne schlechtes Gewissen ist erlaubt. • Pflegeeltern sollten auch den Kindern dabei helfen, zu ihrer Unterschiedlichkeit Jasagen zu lernen. • Leibliche und angenommene Kinder immer wieder neu ermutigen, dass sie gemäß ihrer Geschichte einzigartige und wertvolle Menschen sind. • Unterschiede akzeptieren Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Leibliche Kinder in Pflege- und Adoptivfamilien • Leibliche Kinder fühlen sich einerseits privilegiert, andererseits auch zurückgewiesen: War ich meinen Eltern nicht genug? • Manchmal bringen seelisch verletzte Kinder das Weltbild der leiblichen Kinder durcheinander. • Leibliche Kinder schämen sich in der Schule oder im Freundeskreis hin und wieder für das »schwierige« Pflegekind. • Manche leiblichen Kinder bilden eine Koalition mit den Eltern und werden »kleine Pädagogen« (Marmann) für das angenommene Kind. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Leibliche Kinder in Pflege- und Adoptivfamilien • Leibliche Kinder mögen nicht, wenn ihre Mutter und ihr Vater wegen des neuen Kindes an ihre Grenzen kommen • In professionellen Pflegefamilien ist das private Zuhause zugleich Arbeitsplatz • Die leiblichen Kinder teilen den Job ihrer Eltern • Das bringt Verzicht und besondere Herausforderungen mit sich!

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Empfehlungen für Eltern beim Zusammenleben mit mehreren Kindern • Gleichbehandlung nicht zum Prinzip machen! Kinder können lernen, dass jeder ein eigenständiger Mensch ist • Streit ist erlaubt. Es ist in Ordnung, dass es widerstreitende Interessen unter den Kindern gibt • Hilfestellung bei Konfliktlösungen • Individualität und Verschiedenheit fördern • Begabungen, Interessen, Ressourcen eines jeden Kindes spezifisch fördern • Nur wenn in der Familie jeder jedem anderen ein Stück Eigenleben, Anderssein und Autonomie zugesteht, kann das Zusammenleben gelingen. Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Kontakte zu Geschwistern, die anderswo leben (1) • Zu wissen, dass es weitere Kinder derselben Mutter oder desselben Vaters gibt, ist für fremdplatzierte junge Menschen interessant. • Mit Geschwistern in anderen Pflegefamilien oder Kinderheimen verbindet kein Alltag. Das befremdet die Kinder. Manchmal sind sie irritiert und hilflos im Kontakt. • Begleitpersonen sollten nicht »erwarten«, dass die Kinder viel miteinander »anfangen« können. • Unverbindliche Rahmenbedingungen anbieten Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Kontakte zu Geschwistern, die anderswo leben (2) • Haben Kinder früher zusammengelebt, so zählen die Kontakte zu den Bindegliedern zur Vergangenheit • Kontakte zu Geschwistern sind wichtige biografische Ereignisse und sollten dokumentiert werden. • Den Kindern sollte unbedingt erklärt werden, wozu die Besuche dienen.

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Kontakte zu Geschwistern: Definitionen für das Kind • »Ruth ist im Bauch derselben ersten Mama gewachsen und hat denselben ersten Papa wie du. Aber du kennst sie nicht mehr. Ihr wohnt jetzt schon lange in zwei verschiedenen Pflegefamilien« • »Ihr trefft euch heute, damit du sehen kannst, wie deine Schwester so ist, wie sie aussieht und wie es ihr geht; und sie kann schauen, wie du aussiehst, wie du so bist und wie es dir geht.« • »Vielleicht seid ihr euch ein bisschen fremd und wollt nicht gleich zusammen spielen. Das ist ganz normal so.« Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Weitere Hilfen für die Kinder • Allen Geschwisterbeziehungen im Leben den ihnen gemäßen Platz geben • Biografiearbeit mit dem Kind: Lebensgeschichte und Gründe für das Getrennt-worden-sein von den leiblichen Eltern oder Geschwistern klar benennen • Fotos der sozialen Familie und der leiblichen Familie • Genogramm für Kinder Irmela Wiemann: Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien

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Präsentation »Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien«

Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien ist eine überarbeitete Fassung der Präsentation zum Seminar vom 18.6.2011 beim Jugendamt des Landkreises Zwickau Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien ist über die Seite http://www.irmelawiemann.de/seiten/Vortraege.htm zu finden. Sie können Geschwister in Pflege- und Adoptivfamilien hier direkt herunterladen. Weitere Seminarunterlagen zu Adoption und Pflegekindern sind über die Seite http://www.irmelawiemann.de/seiten/papiere.htm zu finden. Literaturempfehlungen zu Adoption und Pflegekinder sind unter http://www.irmelawiemann.de/seiten/Literatur-Adoption-Pflegekinder.htm zu finden, Sie können dort die Bücher direkt bei Amazon bestellen.

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