Genug ist genug - Über die Kunst des Aufhörens

Genug ist genug - Über die Kunst des Aufhörens Vortrag Fluglehrerfortbildung, Luftsport Verband Bayern, 20.04.2012 1) Genug ist Genug – Über die Kuns...
Author: Monika Solberg
1 downloads 0 Views 205KB Size
Genug ist genug - Über die Kunst des Aufhörens Vortrag Fluglehrerfortbildung, Luftsport Verband Bayern, 20.04.2012

1) Genug ist Genug – Über die Kunst des Aufhörens

These: Unsere Gesellschaft und ihre Individuen sind unfähig aufzuhören. Wir sind oftmals unfähig aufzuhören. Ein einmal eingeschlagener Weg, wird oftmals wider besseren Wissens zu Ende gegangen. "Die Lage erfordert es, die Situation zwingt uns dazu, die Sachzwänge sind unausweichlich", usw., usw. Schuldenkrise, Atiomenergie sind beredte Beispiele dafür. Warum wir trotz absehbaren Unheils immer weitermachen, als Individuen und auch als Gesellschaft, ist nicht leicht einzusehen. Gibt es eine Kunst des Aufhörens? Und wenn ja, wie ließe sich diese Kunst erlernen? 1.1. Aufhören ist eine Stärke, nicht eine Schwäche Ingeborg Bachmann, 1971 in einem Interview befragt, warum sie aufgehört hat, Gedichte zu schreiben, erklärt: ‚Man muss wissen, wann man aufhört.’ Daraufhin der Interviewer: ‚Ja, vielleicht wenn Sie sich zu schwach fühlen, aber das glaube ich nicht...’, womit er zu erkennen gibt, dass er seine Gesprächspartnerin gründlich missverstanden hat, denn, so Ingeborg Bachmann: "Aufhören ist eine Stärke, nicht eine Schwäche." Dies ist vielleicht das erste Umdenken, das uns abverlangt ist, wenn wir uns mit der Kunst des Aufhörens befassen. Das Aufhören ist uns nicht zuletzt deshalb so suspekt, weil wir es als ein Indiz des Scheiterns nehmen. Wer aufhört, gibt auf, gibt, wie wir sagen, klein bei, er hat es eben nicht geschafft oder ist mit seinem Latein, ja vielleicht mit seinem Leben am Ende. Ingeborg Bachmann aber sagt uns etwas ganz Anderes: Wer aufhört, gibt nicht auf, sondern bewältigt eine schwere Aufgabe. Der Doppelsinn des Wortes ,Auf-gabe' ist ein sprachliches Wunderwerk. Ähnlich wie das ,Auf-hören“ (im Sinne von "auf jemanden Hören") selbst, denn es verweist mich darauf, dass ich, um mich einer Aufgabe zu stellen, vieles aufgeben muss. Aber auch darauf, dass die Aufgabe eine Gabe, ein Geschenk ist, das ich empfange, indem die Aufgabe sich mir stellt, das ich aber dann auch mache, indem ich sie erfülle.

1

Aufzuhören heißt aber auch, auf die Zeichen zu hören, auf den Körper, auf die Psyche. Aufzuhören heißt, zu lernen, diese Zeichen richtig zu deuten und eigenständig die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Also beachten wir die doppelte Bedeutung des Wortes „auf-hören“. "Aufhören" bedeutet somit nicht nur "Schluss zu machen" (mit der Fliegerei), sondern kann auch in Sinne von ‚auf jemanden/auf etwas hören’ verstanden werden. 1.2. Aufhören heißt sich zuzuwenden Das Zweite, was sich beim Nachdenken über das Auf-hören unvorhergesehen zeigt, ist, dass die Kunst des Aufhörens nicht darin besteht, von etwas abzulassen, sich abzuwenden, sich loszureißen, sondern darin, sich zuzuwenden, ganz Ohr zu werden, sich einzulassen: Was Erich Fromm über jedwede Kunst sagt, dass sie Konzentration, Disziplin, Geduld und letzten Ernst erfordere, das gilt gewiss auch für die Kunst des Aufhörens. Diese vier Helfer (Konzentration, Disziplin, Geduld, Ernst) sind willentliche Anstrengungen, die von einem selbstbeherrschten Subjekt unternommen werden. Um auf-hören zu können, muss ich aber nicht nur willensstark und diszipliniert sein, sondern empfänglich, gelassen und hellhörig, bereit, etwas an mir geschehen zu lassen. Schwäche und Stärke lassen sich im Akt des Aufhörens nicht so schiedlich und friedlich voneinander trennen, wie wir es gewöhnlich tun, wenn wir sie gegeneinander ausspielen. Natürlich gibt es sehr verschiedene Gemütslagen, aus denen heraus die Entscheidung aufzuhören getroffen wird: aus Bitterkeit, Feigheit, Trägheit, Resignation oder mutig, freudig, einwilligend, Neues erhoffend. Da mögen allerdings die einen Leute uns kunstfertiger erscheinen als die anderen, aber eine Rezeptur für richtiges oder falsches Aufhören kann es nicht geben, wenn doch alles darauf ankommt, dass da jemand ganz und gar hörend wird, um nicht länger hörig sein zu müssen. Das sind Geschehnisse von solcher Konkretheit und Einmaligkeit, dass sie kein Manual, keine Rezeptur, kein Regelwerk, keine Checkliste über einen Leisten schlagen kann. "Auf-hören" (,Auf-ein-anderes-Hören') ist keine einsame Entscheidung eines entschlossenen Subjekts, sondern ein Geschehen zwischen mindestens Zweien, die in Hören und Sagen symbolisch und bedeutsam miteinander verbunden sind.

2

1.3. Aufhören bei Institutionen Lassen Sie mich in diesem Theorieteil noch einige Gedanken übers ‚rechte Aufhören’ bezogen auf Institutionen (Luftamt, LBA, EASA, Luftsportverband etc.) sagen. Institutionen können nicht aufhören. Sie können, ihrer Betriebslogik folgend, ein Vorhaben abblasen, eine Zielvorgabe ab sofort für ungültig erklären, eine veraltete Technik ausmustern, Funktionseinheiten ab- oder ausschalten, sich sogar selbst abschaffen, aber aufhören können sie nicht. 'Auf-hören' können nur lebendige Personen mit Ohren, die hören können. Institutionen können allenfalls dafür Sorge tragen, dass den Menschen im Rauschen der Betriebsamkeit die Gehörgänge nicht vollends verstopft werden, und das wäre immerhin etwas und durchaus der Mühe wert. Ivan Illich hat solche Einrichtungen, Geräte, Arrangements, Prozeduren, Verfahren, Regelwerke, kurz: Institutionen, die es den Menschen erleichtern, sich aufeinander und auf ihre Welt zu beziehen und aufeinander zu hören, ,tools for conviviality' (conviviality = Fröhlichkeit) genannt, ,Werkzeuge für ein lebendiges Miteinander', im Gegensatz zu den lärmenden, aufdringlichen, beherrschenden Apparaten, die die Menschen voneinander isolieren, sie taub und stumm für einander und für die Welt machen und ihre Erfahrung und ihr Tätigsein blockieren. Konviviales Gerät ('frühliche Einstellung') fördert die Kunst des Aufeinander-Hörens und des Auf-hörens. Welch eine grandiose Vorstellung, wenn unsere Institutionen wie Luftfahrtbundesamt, Luftämter und Verbände ‚tools for conviviality’ wären. Da ich keine Hoffnung habe, diese Institutionen, unser System zu verändern, bleibt nur die persönliche Beziehung, die Freundschaft. Ich sehe „ ... in der Kunst des Aufhörens eine Hommage an die Freundschaft, ein Plädoyer für Befreundung statt Bezwingung. Alles, was eine Freundschaft auszeichnen mag: die Zuneigung, das Vertrauen, die Angewiesenheit, die Hoffnung, die Fürsorglichkeit, der Respekt vor der Andersheit, gehört auch zur Kunst des Aufhörens dazu. Aufhören ist ein empathischer Akt. Ist er das nicht, dann ist das Aufhören nur eine Variante des Weiter-so.“ schreibt Marianne Gronemeyerin, emeritierte Erziehungswissenschaftlerin ihrem Buch "Über die Kunst des Aufhörens"

3

Und spätestens jetzt zeigt sich etwas Erstaunliches, was zu Beginn unseres Nachdenkens über das Aufhören keinesfalls erwartbar war. Die Kunst des Aufhörens ist eine Homage an die Freundschaft, ein Plädoyer für Befreundung statt Bezwingung. Alles, was Freundschaft auszeichnen mag: die Zuneigung, das Vertrauen, die Angewiesenheit, gehört auch zur Kunst des Auf-hörens dazu. Auf-hören ist ein empathischer Akt. Diesen empathischen Akt werde ich später noch an einem Beispiel aufzeigen. Zum Abschluss des ersten Teils noch dieses. Mit der Einführung von JAR-FCL wurden die Sachzwänge deutlich, die uns, nicht nur in der Fliegerei, immer mehr an die Kandare legen. Erinnern Sie sich? Anfangs sagte ich, dass in unserer Zeit es sehr oft heißt, "die Sachlage zwingt uns dazu", es ist "alternativlos". Staatliche Gewalt hielt mit Hilfe des neu eingeführten Medicals JAR-FCL deutsch 3.0 viele Piloten vom Fliegen, von ihrem Lebenstraum ab. Jede Vereinheitlichung, jede Zurichtung auf Wiederholbarkeit, jede Anpassung ans Maschinelle führt Sachzwänge im Schlepptau. Je mehr Vielfalt, desto weniger Sachzwang und umgekehrt: je mehr Einheitlichkeit, desto mehr Ausweglosigkeit. Die Globalisierung, die Weltvereinheitlichungsmaschine, führt geradewegs in den Knast des Sachzwangs, der es uns unmöglich macht, den Niedergang zu stoppen. Umgekehrt aber auch hier: jede Wiederbelebung der Vielfalt, jede Kultivierung von Eigenart hat etwas Rettendes an sich und richtet ein Stoppzeichen auf. Die Einführung der EASA-Richtlinien macht mich allerdings diesbezüglich sehr pessimistisch.

2) Anwendung auf den (Segel-)Flugsport 2.1. Das Medical als „Allheilmittel“ ? Nur zu gerne würde sich mancher, vor allem aber die Institutionen, vor einer Lösung des Problems "Wie übe ich mich in der Kunst des Auf-hörens“ durch den Hinweis (oder Verweis!) auf das Medical davonstehlen. Wie eine technische Apparatur werden da Menschen „überprüft“ und „ausgemustert“. Mit Menschlichkeit, Empathie und Eigenverantwortung hat das beileibe nichts mehr zu tun.

4

,Tools for conviviality' ,Werkzeuge für ein lebendiges Miteinander' sehe ich hierin bei Leibe nicht! Beispiel: beim CPL ist/war mit 60 Jahren Schluss, es sei denn, der Arbeitsmarkt, die Wirtschaftslage verlangt es, dass Menschen länger arbeiten müssen. Wie sich diese Mentalität in die Gehirne von Piloten eingefressen hat, erkennt man m.E. gut daran, dass wohl viele Piloten glauben, mit einem Medical in der Tasche seien sie gesund und sie seien „save“, d.h. ihnen könne "nichts passieren"!

2.2. Das amerikanische System Das amerikanische System ist mir da schon wesentlich lieber, wo es, zumindest für Segelflug und Ultralight sowie die LSA Klasse gar kein Medical gibt. Momentan ist die AOPA wieder dabei, einen Vorstoß zu unternehmen, 'Fliegen ohne Medical' auch für Privatpiloten zu erleichtern. In den USA muss jeder für sich eigenverantwortlich genug sein, zu entscheiden, ob er heute fliegt und was er sich heute zumuten will und kann. In einem Segelflugclub in Houston, Texas in dem ich aktiv war, ist es eine Freude, zu sehen, wie ältere Piloten teilweise jenseits der 80 ihre Runden drehen, ob mit oder ohne „Sicherheitspilot". So findet man in USA beim Segelflugsport auch deutlich mehr Alte als Junge! Die US-AOPA berichtete letztes Jahr gar von einem 101-jährigen, der das Fliegen (mit Fluglehrer) immer noch genießt. (siehe Anhang) (http://www.aopa.org/aircraft/articles/2008/080528pilot.html)

Zwei über 80-jährige, zugegeben etwas „klapprige“ Vereinsmitglieder in meinem ehemaligen Club in Texas fragte ich nach ihrer Ansicht bzgl. dem „Auf-hören”. Einer meinte, Zeit zum „Aufhören“ ist es: •

wenn ich meinen Enthusiasmus verloren habe



wenn ich mich selbst nicht mehr sicher fühle



wenn ich mich im Cockpit nicht mehr wohlfühle



wenn mir der Arzt oder Fluglehrer auf Grund von sich verschlechternden körperlichen und/oder fliegerischen Leistungen sagt, es ist besser aufzuhören



und zu guter letzt und vor allem, wenn mir der gesunde Menschenverstand sagt, dass die Zeit zum Aufhören und zum Fischen zu gehen gekommen ist. 5

Das andere Vereinsmitglied, ein inzwischen verstorbener ehemalige Kommandant eines Flugzeugträgers, meinte, wir sollten uns folgende Fragen stellen: •

Wiederholen sich deine Flüge immer öfters, d.h. sehen deine Flüge immer gleich aus?



Sehen deine Alleinflüge so aus, dass du eine Stunde am Hang oder in der Thermik am Platz fliegst – wie viele (Allein)Flüge machst du überhaupt noch?



Wie sieht es mit deiner Gesamtflugerfahrung bzgl. Stunden und Starts aus?



Handelst du verantwortlich anderen gegenüber (dem Verein, deiner Familie)



und ist es fair, weiterhin zu schulen, zu schleppen oder Passagierflüge zu machen?

Unabhängig davon, meinte er, dass die entscheidende Frage nicht ist, ob wir mit einem bestimmten Alter das Fliegen aufgeben müssen oder nicht, sondern, ob wir die Verantwortung akzeptieren, eigenständig zu entscheiden, wann genug genug ist, bevor ein Unfall uns die Entscheidung abnimmt.

6

2.3. Blick über die Grenzen, in die Schweiz

7

8

2.4. Die LVB Regelung Auch Fluglehrer werden älter ………. oder: Der – manchmal – schwere Abschied vom Fluglehrer-Dasein. Der Segelflugsport bietet fast lebenslang die Möglichkeit, sich fliegerisch zu betätigen. Schon mit vierzehn ist der Einstieg möglich und nach oben sind (fast) keine Grenzen gesetzt, sofern die erforderliche Fitness vorhanden ist. Es ist gut, dass der Gesetzgeber hier neben dem Tauglichkeitszeugnis sehr auf Eigenver-antwortung setzt. Problematischer wird die Sache, wenn Fremdverantwortung dazukommt, wie z.B. bei Flügen mit Passagieren oder bei Fluglehrertätigkeiten. Hier stellt sich durchaus die Frage: wann ist’s Zeit zum Aufhören mit dem Schulen ? Eine Lösung wäre – wie z.B. von Fluglinien bzw. von einigen DAeC Landesverbänden praktiziert - das Festlegen einer Altersgrenze. Diese Möglichkeit hat das LVB- Ausbildungsteam (Gruppenfluglehrer) ausführlich diskutiert, aber mit der Feststellung, dass die Fitness eines 70-Jährigen besser sein kann als die eines 50Jährigen (je nach Lebensweise, körperlichem Training usw.), wieder verworfen. Dass aber Handlungsbedarf besteht, zeigen immer wieder an den LVB gerichtete Anfragen bzw. „Hilferufe“ im Zusammenhang mit dieser Thematik. Im Folgenden sind einige Überlegungen aufgeführt, die sowohl den persönlich Betroffenen wie auch den Verantwortlichen in den Ausbildungsbetrieben bei einer Problemlösung Hilfestellung leisten können. - Das Tauglichkeitszeugnis sagt etwas aus über festgelegte medizinische Grundvoraussetzungen für eine fliegerische Tätigkeit, aber nichts über die Zusatzanforderungen, die eine Fluglehrer-Tätigkeit erfordert. - Altersbedingte Defizite (Nachlassen der Reaktionsfähigkeit, schwächere Sinnesleistungen usw.) sind normal und können bis zu einem gewissen Grad durch Erfahrung kompensiert werden. Aber: diese Kompensation ist noch ausreichend für das Führen eines Flugzeuges, doch ab einem gewissen Grad nicht mehr für die Zusatzbelastungen, die bei der Schulung auftreten. Fazit: Das rechtzeitige Beenden der Schulungstätigkeit ist ein Anspruch an die eigene Verantwortung und die des Ausbildungsbetriebs (Verein). Unverantwortlich wäre für alle Beteiligten, erst nach Eintreten eines Vorfalls die Konsequenzen zu ziehen. - Oft fällt es langjährigen, verdienten Fluglehrern schwer, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Schulungstätigkeit zu finden. Noch schwerer ist es für den Vorstand und den Ausbildungsleiter, diese Entscheidung zu fällen. Mögliche Lösungen: - Ein gangbarer Weg ist der „sanfte“ Ausstieg aus der Ausbildungstätigkeit: Der erste Schritt – nach einem gemeinsamen Gespräch Fluglehrer/Ausbildungsleiter/Vorstand - könnte die Beschränkung auf Schüler der Ausbildungsabschnitte B und C sein. Es folgt schließlich eine Beschränkung auf den letzten Ausbildungsabschnitt und schließlich kann der Fluglehrer mit der Erteilung und Überwachung von Flugaufträgen seine Kollegen unterstützen. 9

- Eine Vereinsfeierlichkeit zur Verabschiedung in den verdienten „Fluglehrer-Ruhestand“ könnte das Ganze auf nette Art abrunden. - Belastender für das gesamte Klima im Verein wäre es, wenn der Ausbildungsleiter / Vorstand aus ihrer Verantwortung heraus gezwungen wären, diese Schritte anordnen zu müssen. Bei totaler Uneinsichtigkeit bliebe den Vereinsverantwortlichen nur noch die Möglichkeit, den betroffenen Fluglehrer aus der Ausbildungsgenehmigung herauszunehmen. Dieser Schritt sollte aber die „Ultima Ratio“ sein. Er ist jedoch notwendig, wenn die Sicherheit in der Ausbildung nicht mehr gewährleistet wäre.



Fast befürchte ich, dass ich mit diesen „Checklisten“ und dem, was ich jetzt gesagt habe, mich vielleicht schon zu weit von dem entfernt habe, was ich im ersten Teil versucht habe herauszustellen und nun doch wieder bei den Bürokraten und Technokraten gelandet bin. Deshalb zum Schluss des zweiten Teils eine empathische Sichtweise, die ich übrigens auch im LVB Statement spüre! Wie könnte man Empathie besser vermitteln als in einer Geschichte. 2.5. Das Co-Piloten Programm Burt Compton aus Marfa, Texas, berufsmäßig Segelfluglehrer und Prüfer beschreibt wie das fliegerische Leben von seinem Vater in sehr hohem Alter ausklang. Mein Sohn ist mein Copilot

„Ich betreibe eine kommerzielle Segelflugschule. Mein Vater, Fritz Compton, kam oft zum Schleppen vorbei oder um unsere Segelflugzeuge zu fliegen. Im Frühjahr 2000, er wurde gerade 85, fragte er mich, ob der abgestellte Blanik L-23 frei ist. „Ja, Dad, flieg damit. Zeig’ den anderen Piloten, dass du sie immer noch auskurbeln kannst.“ Er antwortete nicht auf die Bemerkung des Sohnes, der stolz auf die jahrzehntelangen Erfolge seines Vaters auf segelfliegerischem Gebiet ist. Stattdessen fragte er zurück: „Hast du gerade eine Stunde Zeit?“ Ich sagte ihm, dass ich für heute keine Flugschüler mehr habe. „Setzt dich hinten rein“ kommandierte er. Ich wusste, was das bedeutete. Er musste und wollte nicht mehr alleine

10

fliegen. Als Dad langsam zum Flugzeug schlurfte, wusste ich, dass der Kapitän einen Copiloten braucht. Dad war seit 1939 Kapitän bei der Eastern Air Lines. Er hatte über 30.000 Stunden von der Piper Super Cub über die DC-3 bis zur Lockheed L-1011. Am meisten schätze er seine Flugzeit auf Segelflugzeugen wo er jede Minute penibel genau aufschrieb. 1949 begann er mit dem Segelflug und baute unser Haus direkt an einem Segelfluggelände in der Nähe von Miami, Florida. In den Siebzigern war er Wettbewerbspilot und wurde 1958 zum Teammitglied der US-Mannschaft bei den Weltmeisterschaften in Lezno, Polen ausgewählt. Bis zu seinem 83. Lebensjahr hatte er ein Class II Medical. Nachdem er 65 Jahre lang (Motor)Flugzeuge geflogen ist, ließ er 1999 sein Medical einfach auslaufen. Bei manchen Gelegenheiten werde ich gefragt, wie viele Schulstarts ich bis zum ersten Alleinflug gebraucht habe. Normalerweise sage ich „ungefähr 100, es hat nicht geeilt mit dem Alleinflug“. Die Wahrheit ist, dass ich als Junge (zu jung um alleine fliegen zu dürfen) oft auf dem Rücksitz eines Segelflugzeugs stundenlang mit Dad mitgeflogen bin und gespannt zugehört habe, welche Strategie Dad wählte, gerade so, als würde er „den Himmel lesen“. Er lehrte mich zu beobachten, Geduld zu haben, mitzudenken und mit dem Flugzeug eins zu sein. Wir sollten alle danach streben solch gute Lehrmeister zu sein. Als ich mich auf den Rücksitz des besagten Blanikfluges zum letzten Flug meines Vaters setzte, fühlte ich mich wieder wie ein Kind, bereit, mit dem Lehrmeister an der Magie des Segelflugs teilzuhaben. Ich sah seinen Hinterkopf, voll mit silberweißem Haar, fühlte wie wunderschön der Segler auf seine Berührungen reagierte. Ja, das war sein – unser – letzter Flug. Als Dad mich fragte, ob ich ihn im Blanik begleiten möchte erschien es mir als ob hierin die Lösung für einen älteren, bzw. für Piloten jeglichen Alters liegt. Ein junger Pilot, der möglichst schnell seinen Pilotenschein machen möchte mag vielleicht den Flug mit einem alten Hasen genießen. Kein Leistungsdruck, reines Genuss(segel)fliegen nur der Magie des (Segel)Fliegens nachspüren. (Segel)Fliegen ist, wie wenn man ein Musikinstrument spielt. Du und das Instrument muss gestimmt sein und du musst üben. Such dir einen Lehrmeister und höre aufmerksam zu. Wenn wir unsere weisen und talentierten Lehrmeister gegroundet sehen, so ist dies ein großer Verlust. Ihre wundervollen Geschichten und Erzählungen sollten nicht verstummen, während

11

andere Piloten Daten aus dem Internet herunterladen und ihre Flüge als Bits und Bytes auf einen Computer hochladen. Dad hat sich in letzter Zeit vielleicht nicht mehr erinnert, wo er den Autoschlüssel hingelegt hat, aber er kann sich an jedes Detail seines 320 Meilen Fluges von 1957 von Harris Hill, New York nach Plymoth, Massachusetts während der US-Meisterschaften erinnern. Er hätte seinen modifizierten LK-10A Segler noch weiter über das Meer nach Cape Cose fliegen können, aber er hatte dafür keine Karte dabei. In 7.000 ft über Plymoth konnte er wegen des Dunstes nicht nach Provincetown rübersehen und musste landen. Eines Tages werde ich für ihn diesen Flug zu Ende fliegen, das ist gewiss.“ Spüren Sie die Empathie bei dieser Art, „fliegend alt zu werden“?

3) Folgerung für jeden von uns Eigentlich wollte ich mit der Geschichte von Burt Compton mit meinem Vortrag aufhören, wäre ja ein schönes Ende („Wenn sie nicht gestorben sind, dann fliegen sie noch heute“), vielleicht ein zu optimistisches Ende für den Vortrag? Irgendwie war ich noch nicht zufrieden und habe versucht, nochmals hinzuhören. Da fiel mir ein, dass ich immer noch Kontakt zu einem ehemaligen Schüler habe, der Psychologie und Sportwissenschaft studiert hat. Warum nicht den Spezialisten fragen? Nun ist ja, das Thema, unser Thema „Genug ist genug“, zwar doch etwas speziell, was die Fliegerei anbelangt. Wenn jemand mit 14 Jahren in den Alpenverein eintritt, dann kann er bis ins hohe Alter, je nach Leistungsvermögen sicherlich die Angebote des Vereins/Verbandes annehmen und genießen. Und von einem 80-jährigen wird man nicht unbedingt erwarten, dass er Viertausender besteigt. Wenn jemand z.B. sein Leben lang gerne eine Ballsportart betrieben hat, dann wird er weiterhin gerne als Zuschauer die Faszination seines Sportes erleben, auch wenn er ihn nicht mehr aktiv betreiben kann. Bei uns ist es ja aus den bekannten Gründen doch etwas anders. Segelfliegen ist keine „Zuschauersportart“, das vorgeschriebene Medical wird zum Problem und der Flugsport kann sehr schnell gefährlich, ja tödlich werden wenn man ihn ausübt.

12

Einige professionelle Sportler schließen an die Zeit als aktiver Sportler eine Karriere als Trainer oder Sportfunktionär an. Auch das ist bei uns nur sehr eingeschränkt möglich und meiner Erfahrung nach sicherlich nicht die Regel. Aber es gibt doch Parallelen zu „herkömmlichen“ Sportarten, z.B. wenn Leistungssportler aufhören (müssen). Jüngstes Beispiel: Manuela Neuner. Aber jetzt zu Antwort des erwähnten Psychologen und Sportswissenschaftlers: „In der Tat ist das wohl ein Thema im Leistungssport und wohl auch durchaus ein Problem, wenn ehemalige Leistungsträger ausgemustert werden. Allerdings fließen in diese Richtung keine Gelder für Projekte der Betreuung und es gibt wohl auch keine angemessenen Konzepte zur Betreuung. Das Thema wird eher stiefmütterlich behandelt. Ich bekomme es immer wieder mit Sportlern zu tun, die wegen eines Unfalls ihren Sport nicht mehr ausüben können und dann depressiv werden oder zu trinken anfangen. Problem ist meiner Ansicht nach dann in erster Linie, wenn der Sport das einzige Standbein war und nicht rechtzeitig nach alternativen Ressourcen gesucht wurde. Problem kann natürlich auch sein, wenn mit dem Sport ein innerpsychischer Konflikt kompensiert wurde, der dann plötzlich zu Tage tritt, oder wenn der Sport als "Suchtverlagerung" eingesetzt wurde. Spannend ist in diesem Kontext natürlich immer auch zu fragen, was es ist, was einem z.B. das Fliegen gibt (ein Kick, ein Gefühl von Freiheit, Autonomie ...). Das ist ja dann tatsächlich wie bei der Abstinenz: Es bleibt eine Lücke, die es zu füllen gilt. Wenn Menschen aufhören zu arbeiten, werden sie oft depressiv, das geht bis zum "plötzlichen Pensionierungstod", wenn man sich nicht frühzeitig auf die veränderte Lebenssituation einstellen kann.“ Und mit dieser Antwort wurde das mir gestellte Thema plötzlich für mich persönlich äußerst spannend! Und ich denke jeder von uns wird sich jetzt fragen müssen: Wie schaut das bei mir aus? Jetzt und nicht erst in x Jahren, wenn ich alt bin! Zu welcher Kategorie von Sportlern/Piloten gehöre ich?

13

Noch mal die Antwort des Sportpsychologen aufgedröselt und auf unser Thema angewandt: Probleme können sein/werden:



wenn der Sport/die Fliegerei das einzige Standbein war und ist und nicht rechtzeitig nach alternativen Ressourcen gesucht wurde



wenn mit dem Sport/der Fliegerei ein innerpsychischer Konflikt kompensiert wurde, der dann beim Aufhören plötzlich zu Tage tritt



wenn der Sport/die Fliegerei (schon in frühen Jahren) als "Suchtverlagerung" eingesetzt wurde

dann werden wir, werden unsere Angehörigen wird der Verein ein Problem bekommen. Spannend ist dabei immer auch zu fragen, was es ist, was mir das Fliegen gibt ? Wenn es ein Kick, ein Gefühl von Freiheit, Autonomie, etc. ist, dann ist es wie bei der Abstinenz: Es bleibt eine Lücke, die es zu füllen gilt, wenn man damit aufhört. Als Fluglehrer sind wir ja (naturgemäß) sehr in den Verein/die Fliegerei eingebunden, haben vieles am Hals, nicht zuletzt viel Verantwortung und fühlen uns deshalb vielleicht oftmals unfrei in unseren Entscheidungen, z.B. vielelicht auch in der Entscheidung Aufzuhören. Schluss Ich bin von der These ausgegangen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht aufhören kann. Weder privat noch öffentlich sind wir den Kräften, die uns in immer schnellerem Tempo weitertreiben und uns von einer Veränderung in die andere jagen, gewachsen. Weder können wir ihnen Einhalt gebieten, noch können wir aus dem rasendem Vorwärts ausscheren. Ganz und gar scheint darüber in Vergessenheit geraten zu sein, dass unsere Gesellschaft nicht nur daran krankt, dass sie nicht aufhören kann, sondern auch daran, dass sie nicht 'dabei bleiben' kann. Wir werfen weg, wir mustern aus, wir ersetzen, wir erklären für überholt und nicht länger tauglich, wir fühlen uns gelangweilt durch das, was wir zu kennen meinen, wir lassen uns reizen von dem, was Abwechslung verspricht. Konservieren ist eine Museumsdisziplin. Wer treu zu sein gelobt, macht sich lächerlich oder unglaubwürdig. Wer beharrlich ist, ist ein störrischer Esel, starrsinnig, unflexibel und kontraproduktiv. 14

Uns ist ja nicht nur die Kunst des Aufhörens unmöglich geworden, sondern auch die Tugend der Beständigkeit. Darin scheint ein vollends lähmender Widerspruch zu liegen. Man kann doch nicht für beides plädieren, ohne Konfusion zu stiften. Wenn aber die Unmöglichkeit aufzuhören daher rührt, dass wir nicht mehr "hören" können nicht aufeinander, nicht auf die Zeichen der Zeit, nicht auf die Umstände und Bedingungen unseres Daseins - dann zeigt sich, dass beides aus gleichem Geist ist, die Unfähigkeit aufzuhören und die Unfähigkeit, beständig, treu bewahrend zu sein. Zu guter Letzt: Ein guter Ratgeber in der Kunst des Aufhörens ist der Durst nach Freiheit, Freiheit nicht von der Angewiesenheit, sondern von der Abhängigkeit. Der Unterschied zwischen der Angewiesenheit und der Abhängigkeit wurde in den letzten Jahrzehnten verschliffen. Am Beispiel unseres Sports: ja, wir sind aufeinander angewiesen, wir sind auf Technik und Verwaltung angewiesen, um in die Luft zu kommen, um unseren Sport auszuüben, aber wir sind dabei abhängig geworden von einzelnen Personen am Platz, sind abhängig geworden von Institutionen und Behörden. Die Angewiesenheit verweist mich an ein anderes oder einen Anderen, mit dem ich ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit trete. In der Abhängigkeit hänge ich fest wie ein Fisch im Netz. Erst haben wir uns weismachen lassen, die Angewiesenheit aufeinander sei eine besonders schändliche Form der Abhängigkeit, aus der wir uns befreien müssen. Dann haben wir uns die Abhängigkeit, in die wir mit diesem 'Befreiungsmanöver' gerieten, als Freiheit andrehen lassen und gelernt, Freiheit mit Wahlfreiheit des Konsumenten zu verwechseln. Der Freiheitsdurst wurde mit der Warenflut die sich über uns ergießt abgelöscht. Ich möchte mit einem Zitat von der bereits erwähnten Marianne Gronemeyer schließen: "In der Konsumgesellschaft, die allen Überfluss in Knappheit verwandelt und alles Begehren unersättlich macht, lässt sich Freiheit einzig dadurch zurückgewinnen, dass wir uns daran erinnern, dass genug genug ist." Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit

Thomas Wendl, im April 2012

15