Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz Ingeborg Hoffstadt „Die Dynamik des kulturellen Erbes“ 25. Juli 2014 Campus im Stift Neuzelle, Bran...
Author: Leander Fuchs
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Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz Ingeborg Hoffstadt „Die Dynamik des kulturellen Erbes“ 25. Juli 2014

Campus im Stift Neuzelle, Brandenburg

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir treffen uns zum zweiten Mal, um über neue Strategien zur Vermittlung des kulturellen Erbes zu diskutieren. Ich möchte mit meinem Vortrag „Die Dynamik des kulturellen Erbes“ auf europäische Entwicklungen eingehen, die unterstreichen, wie hoch der Stellenwert des kulturellen Erbes in der europäischen politischen Debatte ist. Mein Ziel ist dazulegen und zu begründen, dass neue Vermittlungsstrategien deutlich über sogenannte denkmalpädagogische Ansätze hinausgehen sollten. Aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich dies nur schlaglichtartig tun; ich hoffe dennoch, dass mein Ansatz klar werden wird.

Beim Start des Projektes „Ein neues Leitmotiv für Europa“ am 23. April 2013 hatte EUKommissionspräsident Barroso erklärt: „Ein neues Leitmotiv für Europa – das ist keine Abkehr von Sinn und Zweck der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Union, die selbstverständlich Bestand haben! Es ist vielmehr die zu Beginn des 21. Jahrhunderts notwendige Fortschreibung der Geschichte Europas für eine junge Generation, die sich weniger mit dem identifiziert, was Europa bisher ausgemacht hat... Darum brauchen wir ein neues Leitmotiv für Europa.“ Die Europäische Kommission hatte Kulturschaffenden, Intellektuellen und Wissenschaftlern die Möglichkeit geboten, eine langfristig angelegte Debatte über das Europa der Zukunft zu führen und "ein neues Leitmotiv für Europa" zu entwickeln. Ich möchte Ihnen einen Auszug aus „A New Narrative for Europe“ kurz vortragen:

„Als Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler, aber vor allem als Bürgerinnen und Bürger, müssen wir uns an der Debatte über die Zukunft Europas beteiligen – gerade jetzt, wo so viel auf dem Spiel steht. Das Vertrauen in Europa muss zurückgewonnen werden. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen globalen Trends müssen wir Werte wie Menschenwürde und Demokratie behaupten und dürfen nicht populistischen und nationalistischen Lesarten das Feld überlassen. Körper und Geist Europas ist unsere Antwort auf die Forderung des Europäischen Parlaments und des Präsidenten der Europäischen Kommission, ein neues Leitmotiv für Europa zu entwerfen, das alle Bürgerinnen und Bürger Europas anspricht. Dieses Dokument ist keine Bilanz, sondern versteht sich als Katalysator, der den Anstoß zu weiteren Diskussionsbeiträgen geben soll. Im Interesse eines funktionierenden politischen Körpers in Europa müssen wir ein Verständnis dafür entwickeln, was den Geist Europas ausmacht. Es ist uns bewusst, dass ein Narrativ, das den Brückenschlag von Europas fernerer und jüngerer Vergangenheit zur Gegenwart vollzieht und daraus eine Zukunftsvision ableitet, gleichermaßen wichtig ist.“ Unter der Überschrift „Renaissance und Weltoffenheit – Europa erneuern“ findet sich folgender Passus:

Ich möchte Ihnen an weiteren Beispielen darlegen, dass das Thema Kulturerbe auf europäischer Ebene längst von einem randständigen Thema zu einem zentralen Themenkomplex avanciert ist.

EU-Ratspräsidentschaft Belgien: Reflection Group EU and cultural heritage Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft Belgiens rückte das Thema Kulturerbe 2010 in den politischen Fokus der EU. In der Deklaration von Brügge im Dezember 2010 wurde die Schaffung einer Gruppe vereinbart, die sich aus national zu benennenden Experten zusammensetzen sollte. Die Expertengruppe erhielt den Auftrag, einen kontinuierlichen proaktiven Dialog mit allen relevanten EU-Gremien und europaweit tätigen NGOs, wie z.B. Europa Nostra zu pflegen, um das Themenspektrum Kulturerbe in allen relevanten Politikbereichen zu verankern. Ich habe die Ehre, für die Kultusministerkonferenz der Länder in dieser Gruppe mitzuarbeiten. Das Hauptaugenmerk der Reflection Group liegt auf folgenden Aktivitäten und Zielen:  

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Intensivierung der Zusammenarbeit von Experten auf europäischer Ebene und Verbesserung von Synergieeffekten zwischen laufenden Initiativen. Stärkung aller relevanten Aspekte des Kulturerbes bei politischen Entscheidungen („mainstreaming“) durch Verbesserung des Dialogs mit der Europäischen Kommission; Entwicklung und Etablierung einer dauerhaften Kommunikation mit allen relevanten EU-Stellen durch Einrichtung einer Kontaktstelle. Förderung des politischen Verständnisses auf EU-Ebene, dass das Kulturerbe ein Mehrwert in vielen Politikfeldern darstellt. Gemeinsame Erarbeitung eines strategischen Dokuments mit den EU Präsidentschaften 2013-2014. Sammlung von verlässlichen und vergleichbaren Daten über die wirtschaftlichen Effekte des Kulturerbes.

EU-Ratspräsidentschaft Litauen Im Rahmen der Präsidentschaft Litauens im Rat der Europäischen Union fand im November 2013 die Konferenz „Cultural heritage and the EU-2020-strategy – towards an integrated approach“ statt.

Nach zweitägiger, intensiver Debatte verabschiedete die Konferenz eine Schlusserklärung, aus der ich einige wenige Gedanken zitieren möchte: Auszug aus der Schlusserklärung Die Konferenz Anerkennt, 

dass das Kulturerbe einen erheblichen Wert für die Gesellschaften Europas in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht darstellt, dessen Bedeutung im 21. Jahrhundert wachsen wird. Das kulturelle Erbe steht in enger Beziehung zu unterschiedlichen Sektoren und politischen Handlungsfeldern. Durch seine Querschnittseigenschaft (transversale Dimension) hat eine große Zahl an EU-Politikfeldern und EU-Programmen Auswirkungen auf das kulturelle Erbe bzw. hat Einfluss auf dessen Entwicklung. Zur gleichen Zeit hat das kulturelle Erbe als Ressource ein erhebliches Potenzial für die Ziele der Politik, zum Beispiel im Bereich Kohäsion, Landwirtschaft, Umwelt, Tourismus, Bildung, Forschung, Innovation etc. Bewahrung, Vermittlung und nachhaltige Entwicklung des Kulturerbes bringen Chancen mit sich; daher müssen die Belange des kulturellen Erbes in unterschiedlichen Politikfeldern und Entscheidungsebenen – von lokal zu europäisch und international – wirksam werden.

EU- Ratspräsidentschaft Griechenland Die EU-Konferenz „Heritage First! Towards a Common Approach for a Sustainable Europe“ fand im Rahmen der Präsidentschaft Griechenlands im Rat der Europäischen Union im März 2014 in Athen statt.

Wie schon die belgische und litauische Ratspräsidentschaft nutzte auch Griechenland seine Präsidentschaft dazu, dem Themenspektrum „Kultur und Kulturerbe“ einen herausragenden Stellenwert einzuräumen. Im EU-Kulturministerrat hatte die griechische Delegation verkündet, dass sie während ihrer Ratspräsidentschaft das kulturelle Erbe zu einem Schwerpunktthema machen werde. Zudem wurden Ratsschlussfolgerungen angekündigt. Auf die Ratsschlussfolgerungen mit dem Titel „Council conclusions on cultural heritage as a strategic resource for a sustainable Europe“ werde ich später noch kurz eingehen. Die Konferenzen im Rahmen von EU-Ratspräsidentschaften unterstreichen, dass sich das Thema „Kulturerbe“ auf europäischer Ebene längst etabliert hat. Stand die Konferenz in Vilnius im Kontext der europapolitischen Strategie 2020 und der Bedeutung des kulturellen Erbes im Rahmen dieser Strategie, so wurde in Athen die integrative Rolle von Kultur und kulturellem Erbe vor allem für die wachsenden europäischen Großstädte hervorgehoben. Im Mai 2014 verabschiedete der EU-Ministerrat die „Council conclusions on cultural heritage as a strategic resource for a sustainable Europe“. Dies stellt einen europapolitischen Quantensprung für das kulturelle Erbe dar. Aus Zeitgründen kann ich das umfangreiche Dokument nicht im Einzelnen vorstellen. Ich konzentriere mich also auf die Schwerpunkte, die sich mit der Vermittlung des kulturellen Erbes auseinandersetzen.

Cultural heritage plays an important role in creating and enhancing social capital because it has the capacity to: a) inspire and foster citizens' participation in public life; b) enhance the quality of life and the well-being of individuals and their communities; c) promote diversity and intercultural dialogue by contributing to a stronger sense of “belonging” to a wider community and a better understanding and respect between peoples; d) help to reduce social disparities, facilitate social inclusion, cultural and social participation and promote intergenerational dialogue and social cohesion; e) offer possibilities to develop skills, knowledge, creativity and innovation; f) be an effective educational tool for formal, non-formal and informal education, life-long learning and training. Ich habe diese Schwerpunkte ausgewählt, um deutlich zu machen, dass mit dem Themenkomplex Vermittlung ein weites Feld verbunden ist. Hier möchte ich lediglich die Stichworte aufgreifen: Partizipation, soziale und kulturelle Inklusion, Wissenserwerb, Fortschritt, Kreativität, lebenslanges Lernen, nachhaltige ökologische und ökonomische Entwicklung u.a. Kommende Ratspräsidentschaften und das Thema Kulturerbe Auch Italien wird im Rahmen seines Ratsvorsitzes zu einer Kulturerbe-Konferenz unter dem Titel “Heritage Commons: Towards a participative heritage governance in the third millennium” im Herbst 2014 nach Turin einladen. Italien bezieht sich mit diesem Thema auf die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die gezeigt hat, dass gemeinschaftliches Eigentum erfolgreich sein kann. Der Schwerpunkt der Konferenz wird daher auf einem neuen Governance-Ansatz liegen. Ebenso hat Lettland bereits erklärt, im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2015 zu einer Heritage-Konferenz nach Riga einzuladen, die sich mit der Beziehung zwischen Kulturerbe und zeitgenössischer Architektur sowie zeitgenössischem Design auseinandersetzen wird.

Zusammenfassung: Ich habe Ihnen einige der vielfältigen Entwicklungen auf europäischer Ebene im Zusammenhang mit dem kulturellen Erbe vorgetragen, um zu unterstreichen, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Frage ist, wie wir das gemeinsame kulturelle Erbe Europas besser vermitteln können. Mit unserer bundesweit ausgerichteten Arbeitsgruppe leisten wir einen wichtigen Beitrag zur europäischen Debatte. Ich habe jedoch versucht, Ihr Augenmerk darauf zu lenken, dass das Thema „Vermittlung des kulturellen Erbes“ ein deutlich weiteres Feld als „Denkmalpädagogik“ umfasst. Denkmalpädagogik ist zwar eine zentrale Säule der Vermittlung; wir sollten uns aber auch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir – stärker als bisher – die Bedeutung des kulturellen Erbes für eine nachhaltige Entwicklung in Europa kommunizieren können. Die gegenwärtige Entwicklung Europas zeigt durchaus erhebliche Krisensignale. Damit meine ich nicht nur die Finanzkrise. Ich meine vielmehr das schwindende Vertrauen vieler Menschen in europäische Politik und europäische Institutionen. Wie die aktuelle Debatte deutlich macht, wird vor allem in diesem Zusammenhang auf die identitätsstiftende Kraft des kulturellen Erbes geschaut. Aber auch im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung kommt dem politischen Querschnittsthema Kulturerbe eine zentrale Rolle zu. Ich weiß, dass Nachhaltigkeit ein schillernder Begriff ist. Im Zusammenhang mit dem kulturellen Erbe lässt er sich jedoch konkret fassen: Das kulturelle Erbe schafft und stützt soziale Bindungen und es fördert Identifikation sowie Integration; es leistet einen erheblichen Beitrag zur Bildung weiter Bevölkerungskreise. Das kulturelle Erbe ist auch im ökologischen Sinne nachhaltig, da Schutz und angemessene Nutzung von Kulturlandschaften, von Denkmälern und historischen Quartieren Ressourcen schont. Das kulturelle Erbe ist ebenso im ökonomischen Sinne nachhaltig, da durch Schutz und Erhalt des Kulturerbes qualifizierte Arbeitsplätze auf Dauer geschaffen, erhalten sowie erhebliche Investitionen

getätigt werden. Und nicht zuletzt leistet das Kulturerbe einen erheblichen ökonomischen Beitrag durch Kulturtourismus. Ich möchte also eine Diskussion darüber anstoßen, ob und wie wir diese vielfältigen Aspekte des kulturellen Erbes besser kommunizieren können. Mir erscheint es von großer Bedeutung, diese Wirkungen des kulturellen Erbes in eine aktive Vermittlungsstrategie einzubinden. Mein Vortrag soll auch als Ermutigung verstanden werden, dass wir uns einem Austausch auf europäischer Ebene öffnen. Die europäischen Programme bieten vielfältige Projektmöglichkeiten, die wir nutzen sollten. Aus Erfahrung weiß ich, dass ein solcher Austausch sehr fruchtbar sein kann. Europa stellt für das kulturelle Erbe eine große Chance dar. Lassen Sie uns diese Chancen nutzen.