Geiz ist geil oder My home is my castle?

9. Internationales Holzbau-Forum 2003 „Geiz ist geil“ oder „My home is my castle“? Dr. Thomas Gensicke Infratest Sozialforschung München Deutschland,...
Author: Rudolph Roth
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9. Internationales Holzbau-Forum 2003

„Geiz ist geil“ oder „My home is my castle“? Dr. Thomas Gensicke Infratest Sozialforschung München Deutschland, München

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„Geiz ist geil“ oder „My home is my castle“? 9. Internationales Holzbau-Forum 2003

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„Geiz ist geil“ oder „My home is my castle“? 9. Internationales Holzbau-Forum 2003

„Geiz ist geil“ oder „My home is my castle“? Jugendliche zwischen Konsumlust und Sparsamkeit Vortrag von Dr. Thomas Gensicke, Infratest Sozialforschung München, auf dem 9. Internationalen Holzbau-Forum am 10.12.2003 in Garmisch-Partenkirchen •

Wie Vorträge peppig aufgemacht werden

Vortragstitel sollen peppig sein und Geschmack auf die Sache machen. Darum hat man mir nahe gelegt, doch jene zwei Sprüche in die Überschrift zu übernehmen. Ich hoffe, dass der gewünschte Aufmerksamkeits-Effekt auch eingetreten ist. Natürlich haben Sie beim genaueren Nachdenken erkannt, dass das „oder“ nur scheinbar plausibel ist. „Geiler Geiz“ kann durchaus zum eigenen „Castle“ beitragen. Ich denke, die psychologische Spannungslinie zwischen Konsumlust und Sparsamkeit, die ich im Untertitel andeute, ist die wirkliche. Es klingt aber natürlich nicht so peppig. Die Jugend gilt allgemein als lebens- und damit auch konsumlustig. Die Wertewandelsforschung zeigte seit den 80er Jahren den Vormarsch des Neomaterialismus und den Rückgang der „konservativen“ Haltungen der Sparsamkeit, des Sicherheitsbedürfnisses und der Leistung. Vorausgesagt war schon seit den 70ern ein immer weitergehendes Umsichgreifen der Haltung der Selbstverwirklichung, die zunächst eher im idealistisch-kreativ-engagierten Gewand daher kam, dann aber zunehmend ins Hedonistische und schließlich ins Materialistische sich wandelte. Nicht Geiz war Mitte der 90er geil, sondern Konsumieren. Nun ist Geiz geil. „Ich bin doch nicht blöd!“ (zu hohe Preise zu zahlen), lautet ein anderer populärer Werbeslogan. Das Geniale an der Losung vom „geilen Geiz“ ist vor allem, wie die Werbemacher die bittere Pille unserer Zeitläufte in eine jugendgemäße Anmachsprache verpackt haben und damit versüßt verabreichen.



Bittere Pillen

Zunächst fragt man sich, warum „bittere Pillen“? Die Haushaltsnettoeinkommen sind in den letzten 12 Jahren in Deutschland kräftig gestiegen. Die deutsche Gesellschaft lebt im Wohlstand, sagen die meisten Deutschen auch 2003 - nach 3 Jahren Einkommensstagnation bzw. -rückgang. Auch die Jungen sehen das so. Aber es bröckelt allenthalben: Trotz nur leicht rückläufiger Einkommen sank zwischen 2001 und 2003 der Anteil der Menschen, die ihre wirtschaftliche Lage als gut einschätzen, deutlich von 56% auf 44% ab. Viel fataler freilich eingetrübt hat sich in diesem Zeitraum die Einschätzung der wirtschaftlichen Großwetterlage. Diese wurde bereits die ganzen 90er Jahre lang mehrheitlich nur als durchwachsen gesehen. Aber seit 2001 ging der Indikator so richtig auf Talfahrt. Ende 2001 sahen erst 25% die wirtschaftliche Lage als schlecht an, Ende 2003 waren es schon 62%! Der Wohlstand der deutschen Gesellschaft ist in den Augen der Bevölkerung rapide in Gefahr. Das Bemerkenswerte ist, dass nunmehr immer weniger Leute daran glauben, dass sie, selbst wenn es der Wirtschaft gut gehen würde, davon auch etwas hätten. Das war früher noch die Überzeugung vieler. Mit Argusaugen wird vor allem die Entwicklung der sozialen 3

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Sicherungssysteme beäugt. Nur 5% der Deutschen beurteilen diese noch als wirklich funktionstüchtig, dagegen sehen 39% die Systeme kurz vor dem Zusammenbruch. Für die meisten Deutschen ist somit Geiz nicht geil, sondern bitter nötig, um sich von dem Niedergang der Sozialsysteme abzukoppeln. Indem die SPD die Union inzwischen rechts überholt, fällt sie als die „soziale“ politische Hoffnung weitgehend aus. Manche schauen inzwischen sogar zu Stoibers und Seehofers CSU, um potenzielle soziale Alternativen auszuspähen. Da hilft nur Sparen, Sparen, Sparen, was natürlich die deutsche Wirtschaft auch nicht gerade ankurbelt.



Jugend - eine schrumpfende Zielgruppe mit längerfristigem Horizont

Die Jugend hat heute gleich in mehreren Hinsichten Glück. Sie hat einen langfristigen Zeithorizont: Werden die Sozialsysteme und das Steuersystem so umgebaut, wie geplant, trifft sie die große soziale Transformation, die das bedeutet, am wenigsten - vorausgesetzt, sie sorgen vor. Und sie werden immer weniger - der Wohlstand verteilt sich (oder vererbt sich später) auf immer weniger junge Köpfe. Und es hat sich viel Wohlstand angesammelt in Deutschland. Die Jugendlichen werden außerdem die Zeiten noch erleben, wo aus demografischen Gründen Arbeitskräfte knapp werden. Die Jugendlichen haben im Elternhaus nicht unbedingt das Gefühl, dass Sparsamkeit auf der Top-Position der Lebenshaltung steht, auch wenn die Älteren da ganz anderer Meinung sind. Aber Sparsamkeit ist für sie nicht unwichtig, wenn auch weniger wichtig als für die Älteren. 48% der Jugendlichen sparen regelmäßig, vor allem für größere Anschaffungen. Das sind nicht viel weniger als bei den Älteren auch. Nur 14% sparen gar nicht. Dennoch sind die Jugendlichen eine besonders konsumfreudige Gruppe. Sie geben gern schon einmal etwas aus, ohne den Euro dreimal umzudrehen. Diese zwiespältige jugendliche Haltung - das eine tun, ohne das andere zu lassen - wäre verallgemeinert wahrscheinlich heilsam und die richtige Medizin für ein kräftigeres deutsches Wirtschaftswachstum, wie etwa in Amerika. Amerika, du hast es besser: Du brauchst nicht einmal zu sparen, weil die ausländischen Investoren weiterhin in großer Menge ihr Geld nach Amerika tragen. Es krankt der deutsche Standort ja nicht an Produktionsschwäche, unsere Waren werden uns ja in aller Welt aus der Hand gerissen. Da der deutsche Konsument sich jedoch zurückhält, klemmt es bei der Binnennachfrage. Der deutsche Psycho-Begriff „Angst“, den wir dem Englischen geschenkt haben, hätte im ökonomischen Begriff des „Angstsparens“ seinen würdigen Nachfolger. Das deutsche politische Hin-und-Her und Hick-und-Hack hat zumindest für die Baubranche den kurzfristigen Effekt der Angstbausparverträge und Angstbauherren. Die Jugend wird wohl auch in nächster Zeit nicht der Hemmschuh der gebeutelten deutschen Konjunktur sein. Zwar ist sie deutlich „konservativer“ geworden, wenn wir Leistung und Sicherheitsbewusstsein unter dieses Label fassen wollen. Dennoch lässt sie sich das gute Leben nicht vermiesen, ist zufrieden und optimistisch, will sich erproben und selbst verwirklichen. „Geiz ist geil“, vielleicht um das clever gesparte Geld in einen Bausparvertrag zu stecken oder auch, um davon gut essen zu gehen. Sein Leben als Selbstbewusster Macher in den Griff zu kriegen, als Pragmatischer Idealist sich für eine gute Sache zu engagieren, als Robuster Materialist zu konsumieren und seinen Spaß zu haben oder als Zögerlicher Unauffälliger auch mal einen resignativen Durchhänger zu durchleben, diese Haltungen kann jeder Jugendliche immer wieder einnehmen. Wer sich beim Erwachsenwerden dauerhaft als Macher oder Idealist etabliert, ist sicher auch für die Holzbaubranche ein attraktiver Zielgruppenvertreter.

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Quelle: Politbarometer FG Wahlen

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Quelle: Mikrozensus

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Quelle: IPOS

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Quelle: IPOS

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Quelle: IPOS

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* Fett gedruckt: auf (eher) hohem Niveau, ansonsten auf niedrigem/ mäßigen Niveau

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