Geheime Schriften und geheime Lehren?

Geheime Schriften und geheime Lehren? Zur Selbstbezeichnung von Texten aus dem Umfeld der frühchristlichen Gnosis unter Verwendung des Begriffs ἀπόκρυ...
Author: Leander Lehmann
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Geheime Schriften und geheime Lehren? Zur Selbstbezeichnung von Texten aus dem Umfeld der frühchristlichen Gnosis unter Verwendung des Begriffs ἀπόκρυφος (bzw. ϩⲏⲡ) Hans Förster (Evangelisch-Theologische Fakultät, Schenkenstr. 8–10/5/5, 1010 Wien, Österreich; [email protected])

Einleitung Weil sich in jüngster Zeit »die Tendenz, pseudepigraphische Schriften als eigene theologische Entwürfe wahrzunehmen und zu würdigen«2, verfestigt, scheint es sinnvoll, die Frage zu stellen, aus welchen Gründen einige in diesem Kontext zu verortende Schriften sich selbst als ἀπόκρυφος (bzw. ϩⲏⲡ) bezeichnen3. Es darf bereits einleitend die Hypothese aufgestellt werden, dass diese Texte durch eine derartige Selbstbezeichnung zu einer Sondergruppe innerhalb dessen, was als »neutestamentliche Pseudepigraphen« bezeichnet werden kann, gehören4. Immerhin handelt es sich beispielsweise beim Thomasevangelium eindeutig um pseudepigraphische Pseudonymität5 bei gleichzeitiger Selbstbezeichnung als »apokryph«, während eine wichtige Funktion des Begriffs »apokryph« im

1 Der Beitrag entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Austrian Science Fund / FWF-Projekt P22017-G15). Peter Gemeinhardt (Göttingen) danke ich für einen anregenden Austausch, der Anlass für die Beschäftigung mit diesem Thema war. 2 Vgl. M. Janßen / J. Frey, Einführung, in: J. Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen (Pseudepigraphy and Author Fiction in Early Christian Letters) (WUNT 246), Tübingen 2009, 3–24, hier 12. 3 Insofern stellt diese Auseinandersetzung auch den Versuch dar, der Aufforderung von Marco Frenschkowski zu einer stärkeren Differenzierung bei den dem Frühchristentum zuzurechnenden pseudepigraphischen Schriften zu folgen; vgl. M. Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie? Ein Essay über Fiktionalität, Antike und Christentum, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 181–232, hier 215: »Langfristig wird die Forschung eine Typologie von Formen von Pseudepigraphie entwickeln müssen … Theologische und literaturgeschichtliche Unterschiede wären dabei deutlich zu trennen.« 4 Janßen/Frey, Einführung (s. Anm. 2), 12: »Damit zusammen hängt das Bewusstsein, dass es die neutestamentliche Pseudepigraphie nicht gibt. Vielmehr gerät die Eigenständigkeit und Unterschiedlichkeit der einzelnen neutestamentlichen Schreiben verstärkt in den Blick.« 5 Vgl. zur pseudepigraphischen Pseudonymität M. Wolter, Art. Pseudonymität II. Kirchengeschichtlich, TRE 27 (1997) 662–670, hier 663–666. ZNW 104. Bd., S. 118–145 © Walter de Gruyter 2013

DOI 10.1515/znw-2013-0005 Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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apologetischen Kontext die Kennzeichnung von pseudepigraphen Werken als »unkanonisch« ist6. Der griechische Begriff ἀπόκρυφος, der grundsätzlich sowohl »versteckt« oder »geheim« wie auch »unauthentisch« bzw. »verurteilt« bedeuten kann7, wird sowohl in (im weitesten Sinne) gnostischen bzw. einem der Gnosis nahe stehenden Umfeld zuzurechnenden Texten zur Selbstbezeichnung wie auch von Kirchenvätern zur Beschreibung zahlreicher, darunter auch gnostischer Texte verwendet. An dieser Stelle darf die Diskussion um die Problematik der Verwendung des Begriffs »Gnosis« zur Beschreibung einer Gruppe (oder auch verschiedener Gruppen) vorausgesetzt werden8. Ob es sich bei der »Gnosis« als »eine« homogene Bewegung überhaupt nur um ein Konstrukt ihrer Gegner gehandelt hat, ob also tatsächlich eine Vielzahl verschiedener Gruppierungen existierte, ist für die Frage, was unter der Selbstbezeichnung der Texte, die im weitesten Sinne9 einem gnostischen Entstehungskontext zugeordnet werden können, mit dem griechischen Begriff ἀπόκρυφος und seinem koptischen Äquivalent zu verstehen ist, ohne Belang10. Der Begriff ἀπόκρυφος wurde in der Folge zu einer Sammelbezeichnung für viele höchst unterschiedliche Texte, deren Gemeinsamkeit (meist11) darin be6 Siehe auch L.G. Perdue, Pseudonymity and Graeco-Roman Rhetoric. Mimesis and the Wisdom of Solomon, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 27–59, hier 27: »Pseudepigraphic texts at times were identified as apocryphal, although the two terms, pseudepigraphy and apocrypha, were not viewed to be identical in meaning.« 7 Vgl. F. Bovon, Art. Apokryphen / Pseudepigraphen III. Neues Testament, RGG4 1 (1998) 602–603. 8 Vgl. hierzu grundsätzlich M.A. Williams, Rethinking »Gnosticism«. An Argument for Dismantling a Dubious Category, Princeton 21999. 9 In diesem Sinn ist auch das Thomasevangelium der »Gnosis« zuzuordnen, selbst wenn offen bleiben muss, wie sehr dieser Text im eigentlichen Sinne »gnostisch« war; siehe hierzu J. Dummer, Das Thomasevangelium auf dem Hintergrund des Epiphanios gelesen, in: J. Frey / E.E. Popkes / J. Schröter (Hg.), Das Thomasevangelium: Entstehung – Rezeption – Theologie (BZNW 157), Berlin / New York 2008, 318–325, hier 324–325. 10 Siehe auch C. Markschies, Gnosis und Christentum, Berlin 2009, 13: »Inzwischen war die wissenschaftliche Diskussion auch um die konstruktivistische Variante bereichert worden, daß ›Gnosis‹ eigentlich nur ein permanentes Konstrukt ihrer antiken Gegner und modernen Erforscher darstelle und die Fülle unterschiedlicher Entwürfe und Gruppen nicht unter einem einzigen Begriff subsumiert werden dürfe – eine heilsame Provokation gegen die oft allzu stark von neuzeitlichen Fragen überformten Bilder der ›Gnosis‹, aber letztlich keine Position, die es erlaubt, Geistes- und Ideengeschichte zu schreiben, in der nun einmal die bunte Fülle des gelebten Lebens in Modelle eingefangen werden muß.« 11 Für die Problematik des Begriffs »Apokryphen« vgl. C. Markschies, »Neutestamentliche Apokryphen« – Bemerkungen zu Geschichte und Zukunft einer von Edgar Hennecke im Jahr 1904 begründeten Quellensammlung, Apocrypha 9 (1998) 97–132, hier 117–118: »Die Abgrenzung zwischen ›apokrypher‹ und hagiographischer Literatur fällt m.E. deswegen so schwer, weil die Grenzlinie je nach Gattung und Entstehungszeit eines Apokryphons sehr verschieden streng zu ziehen ist. … Jedenfalls wird die nämliche Grenze zwischen ›apokrypher‹ und ›hagiographischer‹ Literatur nicht – wie Schneemelcher meint – durch Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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steht, dass sie – in stärkerer oder schwächerer Form – bereits zu einem frühen Zeitpunkt nicht unumstritten waren12 und keinen Eingang in den Kanon der Schriften fanden, auch wenn sie, wie Fred Lapham dies ausdrückt, für einige einen »spirituellen Wert« besessen hätten13. Eindeutig ist, dass zumindest von einem Teil dieser Schriften der Anspruch erhoben wurde, ein normativer religiöser Text zu sein14. Ein Teil dieser höchst heterogenen Gruppe von Texten fand relativ weite Verbreitung, während die Existenz anderer Texte nur durch kurze Notizen bei altkirchlichen Häresiologen bezeugt ist. Dies galt lange Zeit für zahlreiche Texte aus dem Kontext der Gnosis. Teilweise wurden diese Texte durch Handschriftenfunde in der Neuzeit wiederentdeckt, so dass es nun möglich ist, ein ausgewogeneres Bild gerade früher gnostischer Werke zu gewinnen, da man nicht mehr nur auf die Aussagen der Häresiologen angewiesen ist. So verwendete eine Reihe von einem gnostischen bzw. gnostisierenden Umfeld zuzurechnenden Schriften den erwähnten Begriff als Selbstbezeichnung. Man kann hier als Beispiele unter anderen auf das in griechischen Fragmenten sowie auf Koptisch überlieferte Thomasevangelium sowie das bisher nur in koptischer Sprache bezeugte Judasevangelium verweisen, die im jeweiligen Prolog ἀπόκρυφος (bzw. ϩⲏⲡ) zur Bezeichnung der Sammlung einzelner Logien im Thomasevangelium bzw. zur Bezeichnung des Berichts15 im Judasevangelium verwenden. Eine fundamentale Frage ist, warum dieser Begriff in den erwähnten (und noch weiteren) Texten als Selbstbezeichnung begegnet. Eine mögliche (und weit verbreitete) Antwort ist, dass diese Texte damit darauf hinweisen möchten, dass sie nur für ausgewählte Leser gedacht seien16, dass sie also »Geheimlehren«

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einen Formenwandel anläßlich des Abschlusses der Kanonisierung eindeutig und nachweisbar markiert, sondern wohl eher durch weitgehend zeitunabhängige Gattungsdifferenzen bei gleichzeitigen Gattungsanalogien (Hervorhebungen CM) verunklart.« Wobei oftmals auch der »unbekannte Ursprung« eine Rolle spielte. Vgl. G. Bardy, Art. Apokryphen, RAC 1 (1950) 516–520, hier 518. Vgl. F. Lapham, An Introduction to the New Testament Apocrypha, London / New York 2003, 3: » [T]he word ›apocrypha‹ … is derived from a Greek word meaning ›hidden‹ or ›secret,‹ and is used at one level to describe those scriptural texts which, though regarded by some to be spiritually valuable, nevertheless failed to meet the criteria set by the early Christian scholars who settled the ›canon‹ of the New Testament.« Vgl. J.B. Bauer, Art. Apokryphen, in: LThK3 1 (1993) 824–825, hier 824: »A. sind ›geheime‹ Schriften, die nicht in den Bibelkanon gelangten, aber dem Titel bzw. der angebl. Herkunft nach (atl. od. ntl. Person) dahin zu gehören beanspruchen (können).« Zur Übersetzung des Prologs vgl. H. Förster, Zur Bedeutung von ⲗⲟⲅⲟⲥ im Prolog des Judasevangeliums, ZAC 14 (2010) 487–495. Siehe z.B. T. Nicklas, Art. Apocrypha, Apocryphal Writings: II. New Testament, EBR 2 (2009) 384–392, hier 384: »The prologue of the Gospel of Thomas, e.g., states that the ›apocryphal,‹ i.e., the ›secret‹ sayings of Jesus are to follow, and the Gospel of Judas calls ›secret word of declaration that Jesus spoke in conversation with Judas Iscariot (Hervorhebungen TN).‹ These texts characterize themselves as ›apocryphal‹ because they do not want to be accessible to everybody but to appeal only to a certain elite.« So auch U.K. Plisch, Was nicht in der Bibel steht. Apokryphe Schriften des frühen Christentums (Brennpunkt Bibel 3), Stuttgart 2006, 14: »Manche frühchristliche Texte waren von vornherein Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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vermitteln würden17. Hierfür kann man sich auch auf eine Stelle bei Clemens von Alexandrien berufen18. Diese Annahme wird teilweise sogar bei der Exegese nicht für ein allgemeines, sondern für ein ausgewähltes, elitäres Publikum bestimmt. Solche Texte führen den Begriff apokryph gelegentlich auch direkt im Titel, dann bedeutet apokryph geheim (Hervorhebung UKP).« Vgl. auch H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 2002, 8: »Mit der Bezeichnung ›apokryph‹ werden geheime Offenbarungen bezeichnet, die nicht in dem allgemein akzeptierten Bestand an Offenbarungsurkunden enthalten sind, für bestimmte Gruppen aber weit höhere Relevanz besitzen als die in der kirchlichen Öffentlichkeit bekannten und akzeptierten Lehren. … Im Gegenzug wird von den Anhängern der großkirchlichen Orthodoxie, die einen klar umrissenen Schriftenkanon verteidigen, ›apokryph‹ mit ›gefälscht‹, ›unzuverlässig‹ gleichgesetzt (Hervorhebungen HJK).« Vgl. z.B. R. Bauckham, Pseudo-Apostolic Letters, in: ders. (Hg.), The Jewish world around the New Testament. Collected Essays (WUNT 233), Tübingen 2008, 123–149, hier 138: »[…the] content is explicitly intended for a readership wider than the recipient himself and he is to pass it on to others, but the Gnostic concern for a secret message for the few means that the wider readership is not a very wide readership, but a deliberately restricted one.« Siehe auch B. D. Ehrman, The Lost Gospel of Judas Iscariot. A New Look at Betrayer and Betrayed, Oxford 2006, 89: »The entire point of the secret knowledge, or the mysteries of salvation, is that they are not easily accessible or intelligible to the normal person. They are reserved only for the Gnostics, for those in the know.« 17 Vgl. H.-J. Klauck, Die apokryphe Bibel. Ein anderer Zugang zum frühen Christentum (Tria Corda 4), Tübingen 2008, 7: »Ein in Nag Hammadi mehrfach vertretener, programmatischer Traktat trägt den Titel ›Das Apokryphon des Johannes‹, was hier soviel besagt wie ›Die Geheimschrift des Johannes‹. … Diese ursprüngliche, zugleich elitäre und esoterische Konnotation von ›apokryph‹ ging später verloren, weil sie ganz vom Gebrauch von ›apokryph‹ als ›unecht‹ oder ›nicht kanonisch‹ in den Kanonsverzeichnissen und der sie begleitenden Diskussion überlagert wurde.« Siehe auch O. Ehlen, Leitbilder und romanhafte Züge in apokryphen Evangelientexten. Untersuchungen zur Motivik und Erzählstruktur (anhand des Protevangelium Jacobi und der Acta Pilati Graec. B) (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 9), Stuttgart 2004, 71: »Das griechische Wort ἀπόκρυφος bedeutet verborgen, versteckt, dunkel bzw. verborgen gehalten wegen der Kostbarkeit oder Verwerflichkeit des Inhalts und dann verborgenen Ursprungs (Hervorhebungen OE). In diesem Sinne ist auch der gnostische Gebrauch des Begriffes zu verstehen. Die gnostischen Richtungen schufen esoterische Geheimlehren und hielten in der Regel ihre Schriften geheim.« S. auch H.R. Drobner, Lehrbuch der Patrologie, Frankfurt am Main 2004, 70: »Sie übernahm damit einen Begriff, den die Gnosis in Nachfolge esoterischer Mysterienreligionen der Antike für ihre eigenen heiligen Schriften verwandte. Sie schätzte sie nämlich so hoch, daß nur die eingeweihten Vollmitglieder der gnostischen Gemeinden von ihnen Kenntnis erlangen durften, vor allen anderen wurden sie geheim (ἀπόκρυφος) gehalten.« Vgl. ferner Lapham, Introduction (s. Anm. 13), 4: »Many of these books purported to contain esoteric or ›secret‹ teachings of Jesus which only the elect could understand; and it was thought necessary by the author, or by those who later came to treasure the works, to shield them from the eyes of undiscerning and unscrupulous critics.« R. McLachlan Wilson, Art. Apokryphen II. Apokryphen des Neuen Testaments, TRE 3 (1978) 316–362, hier 318: »In einem gnostischen Zusammenhang ist der Begriff daher anerkennend gemeint; er bezieht sich auf Werke, die für zu heilig gehalten wurden, als daß sie jedermann zugänglich waren.« 18 Vgl. Clemens v. Alexandrien, Strom I,15,69.6 (ed. L. Früchtel / U. Treu, Clemens Alexandrinus. Stromata I–VI [GCS4 Bd. 2]), 44,5–7: βίβλους ἀποκρύφους τἀνδρὸς Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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des Johannesevangeliums herangezogen19. Um sie zu stützen, kann man auf den griechisch-hellenistischen Gebrauch des Begriffs ἀπόκρυφος verweisen20. Allerdings besteht, was die gnostische »Geheimlehre« betrifft, ein augenscheinlicher Widerspruch, auf den bereits Martin Krause hingewiesen hat: »Diese christlich-gnostischen Werke werden einesteils als Geheimlehren bezeichnet, die nur den Vollkommenen bekannt werden sollen, andererseits enthalten sie die Aussage, daß die Jünger, nachdem sie diese Lehren gehört haben, zur Mission aufbrechen, also Mission treiben«.21 Eine Möglichkeit, die jedoch nicht allen Belegen gerecht wird, wäre die Deutung des Begriffs im Sinne von »schwer verständlich«22. Deswegen scheint es geboten, sich mit frühen Bezeugungen die-

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τοῦδε οἱ τὴν Προδίκου μετιόντες αἵρεσιν αὐχοῦσι κεκτῆσθαι. Übersetzung vgl. C. Mondésert, Clément d’Alexandrie, Les Stromates I (SC 30), Paris 1951, 100: »[Et] les tenants de la secte de Prodicos se vantent de posséder des livres secrets de ce Mage.« Vgl. Nicklas, Apocrypha (s. Anm. 16), 384: »Clement of Alexandria (Strom. 1,15,69) uses the term to denote esoteric writings which are accessible only to well informed circles. In this context, characterizing a text as ›apocryphal‹ does imply a certain appreciation.« Aufgrund dieser Annahme wird sogar in der Exegese des Johannesevangeliums teilweise erwogen, dass die Betonung des Umstandes, dass Jesus öffentlich in den Synagogen und im Tempel gelehrt habe (Joh 18,20f), eine Auseinandersetzung mit gnostischen Geheimlehren darstellen könnte. Vgl. E. Haenchen, Das Johannesevangelium. Aus den nachgelassenen Ms. hg. v. U. Busse, Tübingen 1980, 523: »Aber Jesus liefert die verlangte Information nicht. Er verweist darauf, daß er offen zur Welt gesprochen hat, daß er immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt hat, wo alle Juden zusammenkamen. Geheimlehren hat er nicht übermittelt (ist hier an gnostische Geheimlehre gedacht?).« Vgl. Bardy, Apokryphen (s. Anm. 12), 516: »Besonders wenn es sich um Mysterienreligionen handelt, sind nur die Eingeweihten zugelassen, die ›verborgenen‹ Geheimnisse kennenzulernen oder die ›geheimen‹ Bücher zu lesen. Ein griech. Ausdruck für ›verborgen‹, ›geheim‹ ist ἀπόκρυφος. Es scheint, daß die Griechen diesen Ausdruck besonders dann gebrauchen, wenn sie von der ägyptischen Religion u. den ägyptischen Büchern sprechen, die in hieratischen Zeichen geschrieben waren u. eifersüchtig von der Priesterkaste gehütet wurden.« M. Krause, Christlich-gnostische Texte als Quellen für die Auseinandersetzung von Gnosis und Christentum, in: ders. (Hg.), Gnosis and Gnosticism. Papers Read at the Eighth International Conference on Patristic Studies (Oxford, September 3rd–8th 1979) (NHS 17), Leiden 1981, 47–65, hier 59. Vgl. jedoch M. Janßen, »Evangelium des Zwillings?« Das Thomasevangelium als ThomasSchrift, in: Frey u. a. (Hg.), Thomasevangelium (s. Anm. 9), 222–248, hier 240: »Der Hinweis auf den verborgenen Charakter der Jesus-Worte dient im Thomasevangelium (Hervorhebung MJ) vielmehr als ein hermeneutisches Signal: Erst das Aufspüren des eigentlichen ›verborgenen‹ Sinns führt zur vollen Erkenntnis.« So bereits T. Zöckler, Jesu Lehren im Thomasevangelium (NHMS 47), Leiden u.a. 1999, 106: »Auch ist durch diese Anknüpfung an den Prolog in Form einer Einladung schon angedeutet, daß es sich bei den ›geheimen, verborgenen‹ Worten nicht, wie man gelegentlich gemeint hat, um der Öffentlichkeit entzogene, ›geheim gehaltene‹ Aussprüche handelt, sondern um schwer verständliche, um Worte tiefgründigen Sinns.« Man könnte jedoch darauf hinweisen, dass das richtige Verständnis der Texte ein zentrales Anliegen der Gnosis ist, so dass gerade die Spruchsammlung eines »richtigen Verständnisses« bedarf. Deswegen kann der Hinweis Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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ses Begriffs auseinanderzusetzen und die Frage nach der genauen Funktion des Begriffs zu stellen. 1. Die Verwendung des Begriffs als Selbstbezeichnung der Schriften Der Begriff ἀπόκρυφος bzw. seine koptische Übertragung unter Verwendung des Stativs ϩⲏⲡ23 begegnet in einer ganzen Reihe von Schriften, die dem Umfeld der frühchristlichen Gnosis zugeordnet werden können, an exponierter Stelle als Selbstbezeichnung der Texte bzw. als Beschreibung der Art ihrer Weitergabe. So heißt es am Beginn des Thomasevangeliums, dass dieses die »verborgenen Worte« seien24, die Jesus gesprochen und Thomas aufgezeichnet habe25. Im Prolog des Judasevangeliums wird der gesamte Bericht26 als »geheim« bezeichnet27. In der Epistula Jacobi Apocrypha wird der Begriff gleich mehrfach im formalen Briefpräskript verwendet, der als sekundärer Briefrahmen der gnostischen Lehrschrift gesehen wird28. Es klingt fast schon ein wenig paradox, wenn der Verfasser an den Empfänger schreibt, dass dieser ihn gebeten

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am Anfang des Thomasevangeliums selbstverständlich auch auf dieses grundsätzliche Anliegen gnostischer Exegeten verweisen; vgl. hierzu Krause, Christlich-gnostische Texte (s. Anm. 21), 52: »Sie konnten sich auf das Neue Testament berufen, denn Lukas 24,45 lesen wir, daß der Auferstandene seinen Jüngern ›das Verständnis öffnete, daß sie die Schrift verstanden‹. Entscheidend war das richtige Verständnis, die ἑρμενεία, des Bibeltextes.« Bei der Übersetzung ins Koptische wird das griechische Adjektiv ἀπόκρυφος durch einen Relativsatz übertragen, dessen Verb im Stativ steht. Zur Frage einer möglichen Abhängigkeit des Prologs des Thomas-Buches vom Beginn des Thomasevangeliums vgl. H.-M. Schenke, Das Thomas-Buch (Nag-Hammadi-Codex II,7) (TU 138), Berlin 1989, 61. Vgl. P. Oxy 654,1–3 (zitiert nach D. Lührmann, Fragmente apokryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache [MThSt 59], Marburg 2000, 113): οὗτοι οἱ λόγοι οἱ [ἀπόκρυφοι οὓς ἐλά]λησεν Ἰη(σοῦ)ς ὁ ζῶν κ[αὶ ἔγραψεν ᾿Ιούδας ὁ] καὶ Θωμᾶ. Siehe auch P. Nagel, Papyrus Oxyrhynchus 654, 1–5 und der Prolog des Thomasevangeliums, ZNW 101 (2010) 267–293, hier 293: οτοι οἱ {οι} λόγοι οἱ [ἀπόκρυφοι οὓς ἐλά]λησεν Ἰη(σοῦ)ς ὁ ζῶν κ[αὶ ἔδωκεν ᾿Ιούδᾳ ὁ] καὶ Θωμᾷ. Koptische Version des Prooemiums des Thomasevangeliums; EvThom 1a (Vgl. B. Layton [Hg.], NHCod. II,2, Leiden u.a. 1989, 32,10–12): ⲛⲁⲉⲓ ⲛⲉ ⲛ̄ϣⲁϫⲉ ⲉⲑⲏⲡ ⲉⲛⲧⲁ ⲓ̄ⲥ︦ ⲉⲧⲟⲛϩ ⲉϫⲟⲟⲩ ⲁⲩⲱ ⲁϥⲥϩⲁⲓ̈ⲥⲟⲟⲩ ⲛϭⲓ ⲇⲓⲇⲩⲙⲟⲥ ⲓ̈ⲟⲩⲇⲁⲥ ⲑⲱⲙⲁⲥ. Zur Frage, dass im Prolog des Judasevangeliums der Begriff ⲗⲟⲅⲟⲥ mit »Bericht« zu übertragen ist, vgl. Förster, Bedeutung (s. Anm. 15), 494–495. Ev.Jud., incipit (ed. G. Wurst / R. Kasser, The Gospel of Judas. Critical Edition, Washington 2007, 185,1–3): ⲡⲗⲟⲅⲟ[ⲥ] ⲉⲧϩⲏ̣ⲡ ⲛ̄ⲧⲁⲡⲟⲫⲁⲥ̣ⲓⲥ ⲛ̄[ⲧⲁ ⲓ]︥ⲥ̄ ϣ̣ⲁϫⲉ ⲙⲛ̄ ⲓ̈ⲟⲩⲇⲁⲥ [ⲡⲓ]ⲥ̣ⲕ̣ⲁⲣⲓⲱⲧ[ⲏⲥ] ⲛ̄ϩⲏⲧϥ̄. Vgl. G. Röwekamp, Art. Jakobus (d.J.)-Literatur, LACL3 (2002), 366–368, hier 367: »Der apokryphe Brief des Jakobus (Ep. Jac.), auch Apokryphon des Jakobus genannt, findet sich als kopt. Hs. im NHC I (Cod. Jung) und wird sonst nirgends in der frühchr. Literatur erwähnt. … Dabei ist der Briefrahmen, in dem der Verfasser sich als J. ausgibt und seinen visionären Aufstieg schildert, sekundäre Fassung für eine gnostische Lehrschrift.« Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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habe, eine »Geheimlehre« mitzuteilen, die dem Verfasser zusammen mit Petrus offenbart worden sei29. Diese wird niedergeschrieben und dem Empfänger geschickt. Da diese Lehre angeblich ursprünglich in »hebräischer Schrift« verfasst worden ist30, muss es sich bei dem vorliegenden Text um eine Transliteration bzw. Übersetzung (abhängig davon, ob mit »hebräischer Schrift« nur das verwendete Alphabet oder die Sprache gemeint war) der »Geheimlehre« ins Koptische handeln31. Im Folgenden erwähnt der Verfasser dann noch eine weitere derartige Geheimlehre, die er vor zehn Monaten an eben diesen Empfänger geschickt hat32. »Geheimlehren« werden, so darf man festhalten, also niedergeschrieben und als Schriften verbreitet. Eine weite Verbreitung wird durch die Textfunde »geheimer Schriften«, wie sich am Beispiel des Thomasevangeliums zeigen lässt, bestätigt33. Die griechischen Papyrusfragmente entstammen ja verschiedenen Handschriften34 und stellen wohl nur einen Bruchteil der da29 Vgl. Ep. Jac.Apocr. 1,8–11 (ed. D. Kirchner, Epistula Jacobi Apokrypha. Die zweite Schrift aus Nag-Hammadi-Codex I [TU 136,8], Berlin 1989, 8): ⲁⲕⲣ̄ⲁⲝⲓⲟⲩ ⲙⲙⲁⲉⲓ· ⲁⲧⲣⲁⲧⲛ̄ⲛⲁⲩ ⲛⲉⲕ ⲛ̄ⲟⲩⲁⲡⲟⲕⲣⲩⲫⲟ(ⲛ) ⲉⲁⲩϭⲁⲗⲡ ⲁⲃⲁⲗ ⲛ̄ⲛⲏⲉⲓ· [ⲙ]ⲛ̣ ⲡⲉⲧⲣⲟⲥ ϩⲓ̈ⲧⲙ ⲡϫⲁⲓ̈ⲥ. »Du hast mich gebeten, dir eine Geheimlehre zu übermitteln mir [u]nd Petrus vom Herrn offenbart wurde«. 30 Vgl. Ep. Jac.Apocr. 1,13–16 (ed. Kirchner, TU 136,8): ⲛ̄ⲧ̄ⲥⲁⲕ [ⲁ]ⲃ̣ⲁⲗ ⲟⲩⲧⲉ ⲛ̄ϣⲉϫⲉ ϩⲁⲣⲁⲕ [ⲁⲓⲥϩⲁ]ϩϥ̄ ⲇⲉ ϩⲛ̄ ϩⲉⲛⲥϩⲉⲉⲓ ⲙⲙⲛ̣̄ⲧϩⲉⲃⲣⲁⲓⲟⲓⲥ. »Nun konnte ich es dir nicht abschlagen, jedoch auch nicht mit dir reden, so [schri]eb [ich] sie in hebräischer Schrift auf«. 31 Man wird in diesem Zusammenhang die Frage aufwerfen, ob es sich bei der Behauptung, dass ein Text ursprünglich auf Hebräisch überliefert worden sei, um einen literarischen Kunstgriff handelt, der einen Ursprung des Textes im Kreis der Jünger in einem Gebiet, in dem diese Sprache gesprochen wurde, wahrscheinlich machen soll. 32 Vgl. Ep. Jac.Apocr. 1,28–32 (ed. Kirchner, TU 136,8): ⲁϩⲓ̈ⲧⲛ̄ⲛⲁⲩ ⲇⲉ ϣⲁⲣⲁⲕ ϩⲁⲑⲏ ⲙ̄ⲙⲏⲧ ⲛ̄ⲉⲃⲁⲧ· ⲛⲕⲉⲁⲡⲟⲕⲣⲩⲫⲟⲛ ⲉⲁϥϭⲁⲗⲡϥ̄ ⲛⲏⲓ̈ ⲁⲃⲁⲗ ⲛϭⲓ ⲡⲥⲱⲧⲏⲣ. »Ich habe dir aber vor zehn Monaten eine andere Geheimlehre gesandt, die mir der Erlöser offenbart hat«. 33 Vgl. L. Hurtado, The Greek Fragments of the Gospel of Thomas as Artefacts: Papyrological Observations on Papyrus Oxyrhynchus 1, Papyrus Oxyrhynchus 654 and Papyrus Oxyrhynchus 655, in: Frey u. a. (Hg.), Thomasevangelium (s. Anm. 9), 19–32, hier 29: »So, the three copies of GThom suggest a readership interest greater than for many other texts, but it hardly stands out. In fact, GThom ties for thirteenth place along with James, Ephesians, Leviticus, and Acts of Paul, the three copies of GThom suggesting an interest perhaps approximate to that given to these other writings. On the other hand, obviously the three copies place it ahead of many texts, including a number of canonical ones (e.g., Mark)!« Siehe ferner Zöckler, Jesu Lehren (s. Anm. 22), 26: »Die Tatsache einer Vielzahl unterschiedlicher Kopien und Rezensionen – der Grad der Manuskriptbezeugung entspricht durchaus dem der kanonischen Evangelien im 2. und 3. Jh. – spricht nicht nur für eine verwickelte Textgeschichte, er liefert auch einen wichtigen Anhaltspunkt für die weite Verbreitung des EvThom in den ersten Jahrhunderten. Hinweise auf die hohe Präsenz des EvThom im frühen Christentum sind zusätzlich durch die Zeugnisse Hippolyts (Ref. 5,7–20) und des Origenes (Luc. hom. I) sowie die Tatsache, daß eine Reihe von Thomas-Sprüchen in den Schriften der Kirchenväter zitiert werden, gegeben.« 34 Zu den Oxyrhynchus-Fragmenten vgl. auch C. Markschies, Was wissen wir über den Sitz im Leben der apokryphen Evangelien, in: J. Frey / J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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mals in Ägypten existierenden Abschriften dieses Textes dar35. Auch wurde das Thomasevangelium außerhalb eines engen, rein gnostischen Kontexts rezipiert36, wobei unterschiedliche Auffassungen über den Umfang der Rezeption im Manichäismus bestehen37. Auffällig ist, dass das Thomasevangelium trotz seiner frühen und guten papyrologischen Bezeugung Epiphanius von Salamis unbekannt war, obwohl dieser wegen seines Ägyptenaufenthalts grundsätzlich gerade über dieses Land sehr gut unterrichtet war38. Grundsätzlich könnte dieser Widerspruch zwischen der Selbstbezeichnung als »geheim« und der faktischen Verbreitung, der sich in ähnlicher Form auch bei anderen Texten findet, darauf hinweisen, dass trotz der Verwendung des Begriffs »geheim« die »Geheimhaltung« der Lehre bzw. der Texte kein primäres Anliegen war. Auch das in mehreren Versionen39 erhaltene »Apokryphon des Johannes« trägt im Titel40 diese Bezeichnung41. Allerdings wurde es möglicherweise bereits von Irenäus von Lyon ausgewertet, was einmal mehr dafür sprechen würde, dass die Überlieferungssituation auch der Bekanntheit

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verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen (WUNT 254), Tübingen 2010, 61–90, hier 74–79; vgl. auch M. Fieger, Das Thomasevangelium. Einleitung, Kommentar und Systematik (NTA.NF 22), Münster 1991, 2. Hurtado, Greek Fragments (s. Anm. 33), 31: »It is, I think, unlikely that they derive directly from a common archetype. If so, then these several copies of GThom probably derive from a preceding equivalent number of prior copies. Again, this reflects a certain readerly interest in the text that probably pre-dates the time of the extant manuscripts of GThom.« Janßen, »Evangelium des Zwillings?« (s. Anm. 22), 247: »Das Thomasevangelium wurde als ›Evangelium des Zwillings Jesu‹ gelesen. Dies zeigt nicht nur seine Rezeption im Thomasbuch und möglicherweise in den Thomasakten, sondern auch seine hervorgehobene Stellung im Manichäismus …« Siehe P. Nagel, Synoptische Evangelientradition im Thomasevangelium und im Manichäismus, in: Frey u. a. (Hg.), Thomasevangelium (s. Anm. 9), 272–293, hier 293: »Kenntnis und Benutzung des nach Thomas benannten Spruchevangeliums – wenn auch nicht in der Textform des NHC II – bei den Manichäern sind erwiesen und Gemeingut der Mani- und der Apokryphenforschung. Der konkrete Textvergleich zeitigt indessen nur marginalen Gebrauch des Thomasevangeliums bei den Manichäern.« Siehe hierzu Dummer, Thomasevangelium (s. Anm. 9), 320–321: »Das Fehlen des Evangeliums des Thomas im Panarion ist umso auffälliger, als wir dort eine ganze Reihe von Bezeugungen ähnlicher Schriften haben (Hervorhebungen JD).« Vgl. hierzu auch Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie? (s. Anm. 3), 228: »… die Textvarianten der neutestamentlichen Bücher sind um vieles geringer als z.B. die Abstände zwischen den Fassungen des gnostischen Johannesapokryphons oder anderer gnostischer Texte, die wir in mehreren Versionen besitzen. Dieser Sachverhalt geringer Textstabilität ist für die gnostischen Pseudepigrapha sehr auffällig und bedarf der Erklärung.« Zum Titel des Werkes vgl. Markschies, Gnosis und Christentum (s. Anm. 10), 11, Anm. 4: »Vielleicht ist der Titel auch so zu lesen: ›das geheime (Evangelium) nach Johannes‹.« Vgl. M. Waldstein / F. Wisse, The Apocryphon of John. Synopsis of Nag Hammadi Codices II,1; III,1; and IV,1 with BG 8502,2 (NHMS 33), Leiden u.a. 1995. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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des Textes in der Antike entsprechen würde42. Bereits mit dieser kurzen Auflistung der wichtigsten Fälle, in denen der Begriff ἀπόκρυφος mit seinem koptischen Äquivalent begegnet – es kann nicht Aufgabe des vorliegenden Beitrags sein, alle Stellen, an denen ϩⲱⲡ bzw. der Stativ ϩⲏⲡ in koptischen Texten aus dem Umfeld der Gnosis begegnet, zu analysieren –, wird deutlich, dass die Fülle des erhaltenen textlichen Materials alleine dafür spricht, dass die Texte eine gewisse Verbreitung erfahren haben und dass dies sogar – beispielsweise durch eine Weitergabe des Textes, wie aus der Epistula Jacobi ersichtlich – Ziel der Niederschrift war. Falls also mit der Verwendung des Begriffs als Erstes die Geheimhaltung als Ziel beschrieben würde, so hätten die ursprünglichen Eigentümer versagt. Die Texte wurden verbreitet und haben die Jahrhunderte überlebt. Deswegen muss die Frage aufgeworfen werden, ob mit der Verwendung dieses Begriffs auch ein anderer Zweck verfolgt werden konnte. 2. »Geheime« Texte oder »im Geheimen tradierte« Texte? Eine Möglichkeit wäre nun, diese Selbstbezeichnung der Texte als »geheim« bzw. »verborgen« als literarische Technik zu deuten, die erklärt, warum ein Text nicht schon früher bekannt war, auch wenn er vorgibt, aus früherer Zeit zu berichten43. Die Frage lautet also, ob es sich der Fiktion nach um im Geheimen überlieferte Texte handelt, während aber das eigentliche Anliegen der Verfasser gewesen wäre, durch die Fiktion der im Verborgenen erfolgten Überlieferung von Texten, die glaubwürdig über gewisse Ereignisse oder Aussprüche berichten, eine Verbreitung der Texte zu ermöglichen. Die fiktive apostolische Verfasserschaft hätte dann das Ziel, die Texte mit einer entsprechenden Autorität auszustatten – dies ist selbstverständlich das Ziel jeder pseudepigraphischen Verfasserschaft44 –, während die Verwendung des Begriffs ἀπόκρυφος als 42 Vgl. G. Röwekamp, Art. Johannes-Literatur, LACL3 (2002), 372–373, hier 372: »Beim sog. Apokryphon des Johannes … handelt es sich um eine gnostische Offenbarungsschrift, die in drei Nag Hammadi-Hss. (NHC II,1; III,1; IV,1) und im P. Berol. gnosticus 8502 (und in zwei verschieden langen Rezensionen) überliefert ist … Die Datierung der urspr. griech. Schrift schwankt zwischen der ersten Hälfte des 2. Jh. und dem 3. Jh. Ein Teil wurde möglicherweise schon von Irenäus ausgewertet.« 43 Siehe hierzu auch Janßen, »Evangelium des Zwillings?« (s. Anm. 22), 240: »Weil die Worte geheim, verborgen oder in einer geheimnisvollen Sprache abgefasst waren, tauchen sie erst jetzt auf bzw. können erst jetzt zugänglich gemacht werden. Damit lässt sich das plötzliche Erscheinen einer Schrift, die in die Vergangenheit datiert ist, plausibel machen. Dieser Topos nimmt dann im Motiv des Bücherfundes Gestalt an. Hiermit korrespondiert wiederum das Niederlegen einer Offenbarungsschrift an einem Ort, wo sie später gefunden werden kann. Eine solche plausibilisierende Funktion hinsichtlich der ›verborgenen Worte‹ liegt im Thomasevangelium (Hervorhebung MJ) aber nicht vor, zumal viele der Logien ja als Jesussprüche bekannt sind.« Allerdings sind nicht alle Logien bekannt und damit erhalten auch die bereits aus anderen Jesus-Traditionen bekannten Logien durch den Kontext eine neue Bedeutung. 44 Vgl. hierzu auch W. Speyer, Göttliche und menschliche Verfasserschaft im Altertum, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 105–124, hier 118: »Haben jene frühUnauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Selbstbezeichnung dann möglicherweise gerade nicht auf eine Geheimhaltung der Texte und ihrer Inhalte hinwiese, sondern vielmehr auf die dadurch sich manifestierende Auseinandersetzung mit bereits als autoritativ wahrgenommenen Schriften, an denen diese Texte gemessen wurden. Für die Richtigkeit dieser Hypothese können neben textimmanenten Indizien auch die Reaktionen von frühen Vertretern der kirchlichen Überlieferung sowie grundsätzlich der Konflikt zwischen Gnosis und »Großkirche« angeführt werden. Dies ist in den folgenden Abschnitten zu zeigen. 2.1. Textimmanente Indizien für die Deutung von ἀπόκρυφος als »bisher verborgene Überlieferung«

Für eine Reihe von Texten scheint diese Deutung des gegenständlichen griechischen Begriffs wie seiner koptischen Umschreibung die einzig mögliche Erklärung zu sein, da alle anderen Erklärungsversuche zu Aporien führen. So verfolgt beispielsweise das Präskript des Thomas-Buches (NHC II,7) eindeutig den Zweck, eine bisher geheime bzw. im Verborgenen überlieferte Lehre bekannt zu machen. Matthäus hat gehört, was Jesus eigentlich nur zu Judas Thomas, seinem Zwilling45, gesprochen hat46, und schreibt dies nieder47. Er fungiert also als Ohrenzeuge48. Und bereits Judas Thomas spricht in dieser apokryphen

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jüdischen Autoren, die sich der Pseudepigraphie bedient haben, anerkannte Offenbarungsempfänger des Alten Testamentes als Urheber ihrer neuen Schriften ausgegeben, so entsprechend die christlichen Verfasser die Namen Jesu, der Apostel und deren Schüler. In beiden Fällen ging es dabei einmal um den Nachweis einer echten ursprünglichen Überlieferung und damit verbunden um die Werbung für den Glauben an die alttestamentliche bzw. die neue christliche Offenbarung.« Zu Judas Thomas als Zwillingsbruder Jesu vgl. auch A. Siverstev, The Gospel of Thomas and Early Stages in the Development of the Christian Wisdom Literature, Journal of Early Christian Studies 8 (2000) 319–340, hier 329–333. Vgl. LibThom (ed. Schenke, TU 138, 24,1–4 / NHC II, 138,1–4): ⲛ̄ϣⲁϫⲉ ⲉⲑⲏⲡ⳿ ⲛⲁⲓ̈ ⲉⲛⲧⲁϥϣⲁϫⲉ ⲙ̄ⲙⲁⲩ ⲛ̄ϭⲓ ⲡⲥ︦ⲱ︦ⲣ︦ ⲛ̄ⲓ̈ⲟⲩⲇⲁⲥ ⲑⲱⲙⲁⲥ ⲛⲁⲓ̈ ⲉⲛⲧⲁⲓ̈ⲥⲁϩⲟⲩ· ⲁⲛⲟⲕ ϩⲱⲱⲧ⳿ ⲙⲁⲑⲁⲓⲁⲥ ⲛⲉⲉⲓⲙⲟⲟϣⲉ ⲉⲉⲓⲥⲱⲧⲙ̄ ⲉⲣⲟⲟⲩ ⲉⲩϣⲁϫⲉ ⲙ︤ⲛⲛⲟⲩⲉⲣⲏⲩ. »Die geheimen Worte, die der Erlöser zu Judas Thomas sprach und die ich, Matthäus, niedergeschrieben habe; ich war vorbeigekommen und hatte sie miteinander reden hören«. Vgl. auch Schenke, Thomas-Buch (s. Anm. 24), 64: »H.D. Betz macht mich übrigens darauf aufmerksam, daß bei dem so verstandenen Text, wir in dem zufälligen Ohrenzeugen als Verfasser (eines Buches über das Gehörte) ein auch sonst vorkommendes literarisches Motiv vor uns haben.« Siehe auch J.D. Turner, The Book of Thomas and the Platonic Jesus, in: L. Painchaud / P.-H. Poirier (Hg.), Colloque International »L’Évangile selon Thomas et les Textes de Nag Hammadi« (Québec, 29–31 mai 2003) (BCNH Section »Études« 8), Québec/Louvain 2007, 599–633, hier 599–600: »The Book of Thomas … is a post-resurrection dialogue between the risen Jesus and his twin brother Jude, ostensibly recorded by Mathaias (the apostle Matthew?) as he walked with them and recorded their coversation at a time shortly before Jesus’ ascension into heaven.« Vgl. auch Janßen, »Evangelium des Zwillings?« (s. Anm. 22), 244: »Womöglich dient der von Mathaias bezeugte Dialog zwischen Judas Thomas und Jesus der sekundären Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Schrift davon, dass er das, was er hier hört, auch verkünden wird, auch wenn es schwer sei, den Menschen die Wahrheit zu verkünden49. Dass Jesus darauf antwortet, dass Judas Thomas und, wie die Anrede in der 2. Pers. Pl. zeigt, mit ihm auch die anderen Apostel Anfänger seien, die noch nicht die Vollkommenheit erreicht hätten, darf wohl als Abwertung von Überlieferungen, die mit apostolischer Autorität versehen sind, gesehen werden50. Im Folgenden bekräftigt dann Thomas sein Vorhaben, das Gelernte auch weiterzugeben51, während Jesus ein Strafgericht für die ankündigt, die auf das Hören dieser Lehre negativ reagieren52. Diese Ankündigung eines Strafgerichts gipfelt in einem Weheruf

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Autorisierung von Quellen, die nicht ursprünglich der Judas-Thomas-Tradition angehörten.« Vgl. LibThom (ed. Schenke, TU 138, 24,21–27 / NHC II, 138,21–27): ⲡⲁϫⲉϥ ⲇⲉ ⲛ̄ϭⲓ ⲑⲱⲙⲁⲥ⳿ ⲙ̄ⲡϫⲟⲉⲓⲥ ϫⲉ ⲉ̣ⲧ̣ⲃⲉ ⲡⲁⲉⲓ ϭⲉ ϯⲥⲟⲡⲥ̄ ⲙ̄ⲙⲟⲕ⳿ ϫⲉⲕⲁⲁⲥ ⲉⲕⲛⲁϫⲱ ⲛⲁⲓ̈ [ⲛ̄ⲛ]ⲉ̣ϯϣⲓⲛⲉ ⲙ̄ⲙⲟⲕ⳿ ⲉⲣⲟⲟⲩ· ϩⲁⲑⲏ ⲛ̄ⲧⲉⲕ⳿ⲁⲛⲁⲗⲏⲙⲯⲓⲥ [ⲁⲩ]ⲱ ϩⲟⲧⲁⲛ⳿ ⲉⲉⲓϣⲁⲛ⳿ⲥⲱⲧⲙ̄ ⲉⲃⲟⲗ⳿ ϩⲓⲧⲟⲟⲧⲕ⳿ ϩⲁⲡⲣⲁ ⲛ̣̄ⲛⲉⲑⲏⲡ⳿ ⲧⲟⲧⲉ ⲟⲩⲛ̄ ϭⲟⲙ ⲙ̄ⲙⲟⲉⲓ ⲉϣⲁϫⲉ ⲉⲧⲃⲏ⳿ⲧ[ⲟ]ⲩ ⲁⲩⲱ ⲥⲟⲩⲟⲛϩ ⲉⲃⲟⲗ ⲛⲁⲉⲓ ϫⲉ ⲧⲙⲏⲉ ⲥⲙⲟⲕϩ ⲁ⳿ⲁ[ⲥ] ⲛ̄ⲛⲁϩⲣⲛ̄ ⲛ̄ⲣⲱⲙⲉ. »Thomas aber sprach zu dem Herrn: ›Deswegen also bitte ich dich, daß du mir noch vor deiner Himmelfahrt sagst, wonach ich dich frage. [U]nd nur wenn ich von dir (die Wahrheit) über das, was verborgen ist, höre, kann ich darüber auch reden. Und mir ist bewußt, daß es schwer ist, die Wahrheit vor den Menschen zu tun‹.« LibThom (ed. Schenke, TU 138, 24,34–36 / NHC II, 138,34–36): ⲛ̄ⲛⲁϣ ϭⲉ ⲛ̄ϩⲉ ⲉⲩⲛⲁⲙⲟⲩⲧⲉ ⲉⲣⲱⲧⲛ̄ ϫⲉ ⲉⲣⲅⲁⲧⲏⲥ ⲉⲧⲃⲉ ⲡⲁⲓ̈ ⲛ̄ⲧⲱⲧⲛ ϩⲉⲛⲥⲃⲟⲩⲉⲓ ⲁⲩⲱ ⲙ̄ⲡⲁⲧⲉⲧⲛϫⲓ ⲙ̄ⲡⲙⲉⲅⲉⲑⲟⲥ ⲛ̄ⲧⲙ︦ⲛ︦ⲧ⳿ⲧⲉⲗⲉⲓⲟⲥ. »Wie also wollt ihr ›Täter (der Wahrheit)‹ genannt werden? Deswegen (gilt): Ihr seid Anfänger! Und: Ihr habt noch nicht das Maß der Vollkommenheit erreicht.« – Man wird fragen müssen, ob die Verwendung des griechischen Wortes ἐργάτης an dieser Stelle nicht eine direkte Anspielung auf Mt 9,37 (und die Parallelen) darstellt, wo davon die Rede ist, dass zwar die Ernte groß sei, es aber nur wenige Arbeiter gebe. In diesem Fall wäre dann die Deutung des Textes »Täter (der Wahrheit)« sachlich nicht gerechtfertigt. Ferner kann man auch auf Mt 10,24 verweisen, wo es heißt, dass der Schüler nicht mehr als sein Meister sei. In diesem Fall würde mit der Betonung, dass die Apostel keine »vollwertigen Arbeiter«, sondern eben bloß »Schüler« seien, gerade der Anspruch der Apostel und derer, die sich als Nachfolger der Apostel und »Arbeiter« im Weinberg sehen, in Frage gestellt werden. Vgl. zur Erweiterung des Textes zu »Täter der Wahrheit« jedoch auch Schenke, Thomas-Buch (s. Anm. 24), 76: »Man wird ihn vom Nächstliegenden aus, und das ist der hiesige Kontext, verstehen müssen, nämlich als ἐργάτης ἀληθείας, zumal dieser Begriff in dem geistigen Bereich, in dem wir uns befinden, tatsächlich beheimatet ist … Dieser Spruch gehört glücklicherweise zu den auch auf Koptisch erhaltenen, und da lautet er: ⲟ̣[ⲩ]ⲡ̣ⲓⲥⲧⲟⲥ ⲙ̄ⲙⲁⲉⲓϫⲓⲥⲃⲱ [ⲡ]ⲉ̣ⲉⲓ ⲡⲉ ⲡⲉⲣⲅⲁⲧⲏⲥ ⲛ̄ⲧⲁⲗⲏⲑⲓⲁ (NHC XII p. 33,26f.).« LibThom (ed. Schenke, TU 138, 32,22–25 / NHC II, 142,22–25): ⲁⲗⲗⲁ ⲛⲓϣⲁ[ϫⲉ ⲉ]ⲧⲕϫⲱ ⲙ̄ⲙⲟⲟⲩ ⲛⲁⲛ⳿ ϩⲉⲛⲥⲱⲃⲉ ⲛⲉ ⲙ̄ⲡⲕⲟⲥ[ⲙⲟ]ⲥ⳿ ⲁⲩⲱ ϩⲛ̄ⲗ̄ⲕϣⲁⲉⲓ ⲛ̄ⲥⲱⲟⲩ ⲛⲉ⳿ ⲉⲡⲓⲇⲏ ⲥⲉⲥⲟ[ⲟⲩ]ⲛⲉ ⲙ̄ⲙⲟⲟⲩ ⲁⲛ⳿ ⲛ̄ⲁϣ ϭⲉ ⲛ̄ⲣⲏⲧⲉ ⲉⲛⲛⲁϣⲃⲱⲕ⳿ ⲁ⳿[ⲧⲁ]ϣⲉ ⲟⲉⲓϣ ⲙ̄ⲙⲟⲩ ⲉⲡⲓⲇⲏ ϫⲉ ⲥⲉⲱⲡ⳿ ⲙ̄ⲙⲟⲛ [ⲁⲛ ϩ]ⲙ̣̄ ⲡⲕⲟⲥⲙⲟⲥ⳿. »Aber jene Wor[te, d]ie du zu uns sagst, sind für die We[l]t etwas zum Lachen und etwas, worüber man die Nase rümpft, da sie ja nicht verstanden werden. Wie können wir denn hingehen, um sie zu [ver]kündigen, da wir ja [nicht]s gelten [i]n der Welt?« Für den Topos der Verspottung eines Gottesboten siehe Schenke, Thomas-Buch (s. Anm. 24), 154. LibThom (ed. Schenke, TU 138, 32,27–29 / NHC II, 142,27–29): ⲡⲉⲧⲛⲁⲥⲱⲧⲙ̄ ⲁⲡⲉ[ⲧⲛ̄ϣ]ⲁϫⲉ· ⲁⲩⲱ ⲛ̄ϥⲕⲧⲟ ⲙ̄ⲡⲉϥ̣ϩⲟ ⲉⲃⲟⲗ⳿ ⲏ ⲛ̄ϥⲗⲕϣⲉ[ⲉⲓ] ⲛ̣̄ⲥⲱϥ⳿ ⲏ ⲛ̄ⲥⲱⲧⲣ̄ ⲛ̄ⲛⲉϥ⳿ⲥⲡⲟⲧⲟⲩ ϩⲓⲛⲁⲉ[ⲓ]. »Wer Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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darüber, dass die Lehre nicht angenommen worden sei53. Dies setzt voraus, dass die »geheimen Worte des Erlösers« verkündet werden und dabei auf taube Ohren stoßen. Eine Verkündigung einer Lehre widerspricht eindeutig der Annahme, dass es sich bei dem Werk um eine Geheimlehre handelt, so dass im vorliegenden Text die Fiktion des »Geheimen« als integraler Bestandteil einer literarischen Fälschung gedeutet werden muss, so dass die Frage gestellt werden kann (und auch gestellt wird), warum diese Texte überhaupt noch die Bezeichnung »geheim« tragen54. Auch in der Epistula Jacobi Apocrypha lässt sich etwas Ähnliches beobachten. So wird dem Empfänger der niedergeschriebenen Lehre mitgeteilt, dass die Offenbarung auch für ihn ergangen sei55. Der Empfänger soll sie wohl auch selbst weiterverbreiten56. Auch hätten nach der Epistula Jacobi Apocrypha alle Jünger zusätzlich zur öffentlichen Lehre Jesu auch noch Geheimlehren von ihm erhalten57, die von ihnen sehr kurz nach der Auferstehung Jesu von den Toten niedergeschrieben wurden58. Diese Verbindung aus Aufforderung zur Weitergabe der Offenbarung, sobald man diese vollständig verstanden habe, und Niederschrift der Offenbarung zu einem sehr frühen Zeitpunkt, lässt den Eindruck einer literarischen Fiktion entstehen, bei der es wohl eher um die Begründung eines Überlieferungszusammenhanges bzw. um die Konstruktion einer apostolischen Überlieferung und weniger um

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eu[re R]ede hören wird und sein Gesicht abwenden oder die Nase darüber rümpf[en] oder gleichermaßen die Lippen verziehen wird …« LibThom (ed. Schenke, TU 138, 36,37–38 / NHC II, 144,37–38): ⲟⲩⲟ̣[ⲉⲓ ⲛ]ⲏ[ⲧⲛ̄] ϫⲉ ⲙ̄ⲡⲉⲧⲛ̄ϫⲓ ⲛ̄ⲧⲥⲃⲱ· ⲁⲩⲱ ⲛⲉ̣ⲧⲟ̣[ⲩⲱϣⲉ ⲁϫⲓⲧⲥ] ⲥⲉⲛⲁϩⲓⲥⲉ ⲉⲩⲧⲁϣⲉ ⲟⲉⲓ̣ϣ̣⳿. »We[he e]u[ch]! Denn ihr habt die Lehre nicht angenommen. Und die, die [sie annehmen] w[ollen], werden Mühe haben, wenn sie verkündigen.« Vgl. hierzu auch Schenke, Thomas-Buch (s. Anm. 24), 61: »Mit dem Kern des Incipit ›die geheimen Worte‹, hinter dem man sich wohl ebenso wie beim EvThom ein οἱ λόγοι οἱ ἀπόκρυφοι vorzustellen hat, scheint der folgende Text (mit dem EvThom) in die Kategorie der Logiensammlungen bzw. Spruchevangelien eingeordnet zu sein. Und im Prinzip entspricht das Folgende auch der damit geweckten Erwartung des Lesers, obgleich er, wenigstens wenn er auf das EvThom hinüberblickt (mit Log. 1 als seinem ›Schlüssel‹), vielleicht nicht recht versteht, warum die folgenden Worte eigentlich noch ›geheim‹ genannt werden.« Vgl. Ep. Jac.Apocr. 2,1–3 (ed. Kirchner, TU 136,8): ⲉⲛ]ⲧⲁϩⲟ[ⲩ]ϭ̣ⲁ̣ⲗⲡ̣[ϥ ⲁⲛ ϩⲁⲣⲁⲕ ⲙⲛ] ⲛⲉⲧⲉ̣ⲛⲟⲩⲕ [ⲛⲉ …] »[… da] sie [auch für dich und] die Deinen offenbart wurde.« Ep. Jac.Apocr. 2,6–7 (ed Kirchner, TU 136,8): ⲙⲛ̣̄[ⲛⲥⲁ ⲛⲉⲉⲓ ⲧⲏ]ⲣ̣ⲟⲩ̣ [ⲁⲛ] ⲉⲕⲁⲟⲩ̣[ⲁⲛⲉϩϥ]. »Nach alledem sollst du [sie auch] offen[baren!…].« Die Anlehnung an Apg 1,3 ist offensichtlich: οἷς καὶ παρέστησεν ἑαυτὸν ζῶντα μετὰ τὸ παθεῖν αὐτὸν ἐν πολλοῖς τεκμηρίοις, δι’ ἡμερῶν τεσσαράκοντα ὀπτανόμενος αὐτοῖς καὶ λέγων τὰ περὶ τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ. Ep. Jac.Apocr. 2,7–15 (ed. Kirchner, TU 136,8–10): […ⲉⲩϩ]ⲙⲁⲥⲧ̄ ⲛⲇⲉ ⲁϩⲣⲏⲓ̈ ⲧⲏⲣⲟⲩ ϩ̣ⲓ̣ⲟ̣ⲩ̣[ⲥⲁ]ⲡ̣ ⲙⲛ̄ⲛⲉⲩⲉⲣⲏⲩ ⲛ̄ϭⲓ ⲡⲙⲛ̄ⲧ̄ⲥⲛⲁⲟⲩⲥ ⲙ̄ⲙⲁⲑⲏⲧⲏⲥ· ⲁⲩⲱ ⲉⲩⲉⲓⲣⲉ ⲙ̄ⲡⲙⲉⲉⲩⲉ· ⲛ̄ⲛⲉⲛⲧⲁϩⲁⲡⲥⲱⲧⲏⲣ ϫⲟⲟⲩ ⲁⲡⲟⲩⲉⲉⲓ ⲡⲟⲩⲉⲉⲓ ⲙ̄ⲙⲁⲩ ⲉⲓⲧⲉ ⲙ̄ⲡⲉⲧⲑⲏⲡ· ⲉⲓⲧⲉ ⲙ̄ⲡⲉⲧⲟⲩⲁⲛϩ̄ ⲁⲃⲁⲗ ⲁⲩⲱ ⲉⲩⲣ̄ⲧⲁϣ̣[ⲉ ⲙ̄]ⲙⲁⲩ ⲁϩⲛ̄ϫⲱⲱⲙⲉ. »[…Als] aber alle zwölf Jünger zug[lei]ch beieinander saßen und sich an das erinnerten, was der Erlöser jedem einzelnen von ihnen, sei es im Verborgenen, sei es in Offenheit, gesagt hatte, und es zu Büchern ordneten …«. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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die Verbreitung einer Geheimlehre geht. Die Fiktion der Geheimlehre scheint nötig, um zu begründen, warum die Lehre bisher geheim war, warum also im Letzten ein Unterschied zwischen dem sich herausbildenden Kanon der biblischen Bücher und den hier interessierenden Werken existiert. Auch die Aufforderung an die Jünger, »nüchtern zu werden und nicht im Irrtum zu bleiben«59 kann in dem Kontext einer literarischen Fälschung als Versuch der Etablierung einer konkurrierenden Überlieferung gesehen werden. Auch fordert der Auferstandene selbst in der Epistula Jacobi Apocrypha die Jünger zur Verkündigung auf60 und Jakobus bezeichnet die Weitergabe dessen, was er empfangen hat, als »heilsnotwendig«61. Am Ende der Epistula Jacobi Apocrypha wird dann sogar eine ganze Gemeinde spürbar62. Im Judasevangelium darf man den erzählenden Teil am Anfang des Textes, der möglicherweise erst später hinzugekommen ist63, als Auseinandersetzung um die Frage der Autorität der Jünger werten: Das Lachen Jesu über die Danksagung der Apostel über das Brot und die ärgerliche Reaktion der Apostel auf Jesu Lachen zeigt dem Leser des Textes, dass die Apostel unvernünftig handeln und impliziert damit, dass auch die, die sich auf diese Apostel berufen, ebenfalls unvernünftig handeln64. Mit anderen 59 Ep. Jac.Apocr. 8,27–29 (ed. Kirchner, TU 136,20): ⲉⲧⲃⲉ · ⲡⲉⲉⲓ ϯϫⲟⲩ ⲙ̄ⲙⲁⲥ ⲛ̄ⲛⲏⲧⲛ̄ ϫⲉ ⲉⲣⲓⲛⲏⲫⲉ· ⲙ̄ⲡⲱⲣ’ ⲁⲣ̄ⲡⲗⲁⲛⲁ. »Deswegen sage ich euch: Werdet nüchtern! Verweilt nicht mehr im Irrtum!« 60 Ep. Jac.Apocr. 10,12–13 (ed. Kirchner, TU 136,24): ⲁⲩⲱ ⲛ̄ⲧⲉⲧⲛ̄ⲧⲁϣⲉ ⲁⲉⲓϣ ⲙ̄ⲡ︦ⲡⲉⲧⲛⲁⲛⲟⲩϥ. »Aber verkündet die gute Nachricht …« 61 Ep. Jac.Apocr. 16,14–16 (ed. Kirchner, TU 136,34): ⲧⲉ ⲑⲉ ⲉϯⲛⲁϣ ⲟⲩϫⲉⲓ̄ ϩⲱⲥ ⲉⲣⲉⲛⲉⲧⲙ̄ⲙⲉⲩ ⲛⲁϫⲓ ⲟⲩⲁⲉⲓⲛ ⲛ̄ϩⲣⲏⲓ̈ ⲛ̄ϩⲏⲧ· ϩⲛ̄ ⲧⲁⲡⲓⲥⲧⲓⲥ. »Denn (nur) so kann ich erlöst werden, wie jene Licht empfangen werden durch mich, durch meinen Glauben ...« 62 Ep. Jac.Apocr. 16,26–30 (ed. Kirchner, TU 136,34): ⲉⲛⲧⲁϣⲉ ⲁⲉⲓϣ ⲙⲉⲛ ⲛ̄ⲛⲟⲩⲙⲉⲣⲟⲥ ⲙⲛ̄ ⲛⲉⲉⲓ ⲛ̄ⲧⲁϩⲟⲩⲧⲁϣⲉ ⲁⲉⲓϣ ⲛⲉⲩ ⲛⲉⲉⲓ ⲛ̄ⲧⲁϩⲁⲡϫⲁⲉⲓⲥ ⲉⲉⲓⲧⲟⲩ ⲛⲉϥ ⲛ̄ϣⲏⲣⲉ. »Wir verkünden jedoch Anteil (am Heil) zusammen mit denen, die (ihrerseits) angekündigt wurden (als) diejenigen, die der Herr sich zu Kindern gemacht hat.« 63 S. Emmel, The Presuppositions and the Purpose of the Gospel of Judas, in: M. Scopello (Hg.), The Gospel of Judas in Context. Proceedings of the First International Conference on the Gospel of Judas (Paris, Sorbonne, October 27th–28th, 2006) (NHMS 62), Leiden/ Boston 2008, 33–39, hier 36: »… one might wonder at least if these opening six lines were not once meant somehow to be the ›title‹ of a work that originally did not include the ›gospel framework‹ of Gospel of Judas 33,6–21 and 58,9–26, but only the conversations between Jesus and Judas (and occasionally the other disciples) that are the main substance of this gospel.« 64 Vgl. Ev.Jud. 33,26 – 34,2 (ed. Wurst/Kasser 2007, 185): ⲛⲧⲉⲣⲉϥ̣ⲧ[ⲱⲙ]ⲧ̣ ⲉ̣ⲛⲉϥⲙⲁⲑⲏⲧⲏⲥ ⲉⲩⲥⲟⲟⲩϩ ⲉⲩϩⲙ̣ⲟⲟⲥ [ⲉ]ⲩ̣ⲣ̄ ⲉⲩⲭⲁⲣⲓⲥⲧⲓ ⲉϫⲛ ⲡⲁ̣ⲣ̣ⲧⲟ̣ⲥ̣ [ⲁϥ]ⲥⲱⲃ̣ⲉ »When he [approached] his disciples, gathered together and seated and offering a prayer of thanksgiving over the bread, [he] laughed.« Dass das Gelächter, das hier erwähnt wird, von den Jüngern negativ aufgefasst wird, wird im Verlauf der Erzählung deutlich. Vgl. Ev.Jud. 34,15–22: ϩ̣̣ⲛ̣̄ ⲟⲩ [ϩ]ⲁⲙⲏⲛ [ϯ]ϫⲱ ⲙⲙ̣ⲟⲥ ⲛ̣ⲏ̣ⲧ̣ⲛ̣̄ ϫ[ⲉ] ⲙⲛ ⲗⲁⲟ̣[ⲩ]ⲉ ⲛⲅⲉⲛⲉⲁ ⲛⲁ̣ⲥⲟⲩⲱⲛⲧ̄ ϩⲛ̄ ⲛ̄ⲣⲱⲙⲉ ⲉ̣ⲧ̣ⲛ̣ϩ̣ⲏ̣ⲧ̣ ⲧⲏⲩⲧⲛ̄ ⲛⲧⲉⲣⲟ̣ⲩ̣ⲥ̣ⲱ̣ⲧ̣ⲙ̣ [ⲇ]ⲉ̣ ⲉⲡⲁⲓ̄ ⲛ̄ϭⲓ ⲛⲉϥⲙⲁⲑⲏⲧⲏⲥ ⲁ̣[ⲩ]ⲁ̣ⲣⲭⲉⲓ ⲛⲁⲅⲁⲛⲁⲕⲧⲉ̣ⲓ̣ : ⲁⲩⲱ̣ ⲉ̣[ . . ]ⲟⲣ̣ⲅ̣ⲏ ⲁⲩⲱ̣ ⲉ̣ϫ̣ⲓ̣ⲟⲩⲁ ⲉⲣⲟϥ ϩⲛ̄ ⲡⲉⲑϩⲏϥ »Truly [I] say to you, no generation of the people that are among you will know me. And when his disciples heard this, [they] started getting angry and infuriUnauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Worten: Diese Jünger gehören nicht zum Kreis der Erwählten65. Beim Apokryphon des Johannes findet sich gleich zweimal die Aufforderung, dass die Worte des Erlösers niedergeschrieben und an Gleichgesinnte weiterverbreitet werden sollen, einmal als direkte Rede66 und dann noch einmal teils als direkte Rede67 und teils als Bestandteil der möglicherweise sekundären68 Rahmenerzählung69. Es geht bei der Niederschrift dem Sinn des koptischen Texts nach darum, dass diese Worte Jesu sicher bewahrt werden mögen. Gerade die Verwendung des griechischen Begriffs ⲁⲥⲫⲁⲗⲉⲓⲁ (dieser Begriff bezeichnet in koptischen dokumentarischen Texten eine »Urkunde«, d.h. ein durch Zeugen in seiner Echtheit gesichertes Schriftstück70) in einer der erhaltenen Versionen dieses Textes zeigt wie auch das koptische Äquivalent ⲧⲁϫⲣⲟ (dieses Wort bezeichnet die

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ated, and began blaspheming against him in their hearts.« Bereits die Editoren weisen auf die Darstellung der Jünger in diesem Text hin. Vgl. R. Kasser / G. Wurst (Hg.), The Gospel of Judas. Together with the Letter of Peter to Philip, James, and a Book of Allogenes from Codex Tchacos, Washington 2007, 180: »Already in this first scene, Judas is portrayed by the author as the only disciple who knows the true identity of Jesus.« Zum Gelächter Jesu vgl. auch Ehrman, Lost Gospel (s. Anm. 16), 89: »Jesus finds it laughable that the god who provides bread – the material creator of this material world – should be praised. For as we learn later in the text, this god is an inferior, ignorant deity. … Even though they don’t understand what he’s talking about, the disciples know that he doesn’t think highly of them, and so they react by ›getting angry and infuriated‹, and they begin to blaspheme against him.« Ehrman, Lost Gospel (s. Anm. 16), 89: »The disciples, strikingly, are not members of the elect – with the exception of Judas.« Vgl. BG 75,15–19 (s. auch NHC III, 39,14–17, NHC II, 31,28–30; NHC IV, 49, 9–12; Waldstein/Wisse, Synopsis 82,5–9): ⲁⲛⲟⲕ ⲇⲉ ⲉⲉⲓϫⲱ ⲛ̄ⲛⲁⲓ̈ ⲉⲣⲟⲕ ϫⲉ ⲉⲕⲁⲥⲁϩⲟⲩ ⲛⲅ︥ⲧⲁⲁⲩ ⲛ̄ⲛⲉⲕϩⲟⲙⲟⲡⲛ︦ⲁ ϩⲙ ⲡⲡⲉⲑⲏⲡ. »And (δέ) I am saying these things to you that you might write them down and give them secretly to your fellow spirits (ὁμοπνεῦμα).« Vgl. BG 76,7–9 (siehe auch NHC III, 39,22–24; Waldstein/Wisse, Synopsis 82,14–16): ⲕⲁⲓ ⲅⲁⲣ ⲁⲓ̈ϯ ⲛⲁⲓ̈ ⲛⲁⲕ ⲉⲥⲁϩⲟⲩ ⲛⲥⲉⲕⲁⲁⲩ ϩⲛ̄ ⲟⲩⲧⲁϫⲣⲟ (NHC III, 24 bietet anstelle des koptischen Wortes ⲧⲁϫⲣⲟ das griechische Wort ⲁⲥⲫⲁⲗⲉⲓⲁ). »For indeed (καί γάρ) I presented these things to you that (you) might write them down and that they be kept secure.« Zu den Problemen dieser Deutung siehe auch G.P. Luttikhuizen, Gnostic Revisions of Genesis Stories and Early Jesus Traditions (NHMS 58), Leiden/Boston 2006, 17: »It is usual in scholarly literature to distinguish the actual mythical teaching of our text from its narrative frame story speaking about a revelation of the exalted Christ to his disciple John. I have no doubt that this distinction makes sense, although in some cases it might be difficult to determine where the earlier teaching ends and where the secondary frame story begins.« Vgl. NHC II, 31,32–34 (siehe auch NHC IV, 49,13–16; Waldstein/Wisse, Synopsis 82,14– 16): ⲁⲩⲱ ⲁϥϯ ⲛⲁⲉⲓ ⲛⲁϥ ⲛ̄ϭⲓ ⲡⲥ︤︦ⲱ︦ⲣ̄ ϫⲉⲕⲁⲁⲥ ⲉϥⲛⲁⲥⲁϩⲟⲩ ⲁⲩⲱ ⲛ̄ϥⲕⲁⲁⲩ ϩⲛ̄ ⲟⲩⲧⲁϫⲣⲟ. »And the savior (σωτήρ) presented these things to him that he might write them down and keep them secure.« Vgl. H. Förster, Wörterbuch der griechischen Wörter in den koptischen dokumentarischen Texten (TU 148), Berlin / New York 2002, 118 s.v. ἀσφάλεια. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Sicherstellung bzw. sichere Aufbewahrung von etwas71), dass es dabei nicht so sehr um die Geheimhaltung der Überlieferung, sondern um die Sicherheit der Aufbewahrung geht. Der sich anschließende Fluch, der die Weitergabe der Schriften im Austausch für lebensnotwendige Dinge wie Essen, Trinken oder Kleidung verbietet72, deutet in eben diese Richtung, dass man diese Lehre und die sie bewahrenden Schriften nicht für Alltägliches eintauschen darf. Auch das Thomasevangelium diente möglicherweise missionarischen Zwecken73. 2.2. Die Reaktionen der Kirchenväter Einmal vorausgesetzt, dass es sich um »geheime« Texte gehandelt hätte, die nur einem esoterischen Zirkel zugänglich gewesen wären, wirkt der Umstand befremdlich, wie viele von diesen »geheimen Texten« und wie viel über ihren Inhalt den Kirchenvätern bekannt war. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass z.B. das Apokryphon des Johannes besser bezeugt ist als die meisten Werke des Irenäus von Lyon. Dabei ist festzuhalten: Eine Religion, die auf Geheimhaltung in der Antike geachtet hat, hat dies auch tatsächlich geschafft. Es sei nur auf den Mithraskult verwiesen, von dem sehr wenige schriftliche Quellen erhalten sind74, auch wenn er eine relativ weite Verbreitung im ganzen Römischen 71 Vgl. W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, Heidelberg 22000 (= 1965/1977), 261, bietet als Bedeutungen »Festigkeit«, »Stärke«, »Zuverlässigkeit«. Es handelt sich um den Kausativ von ⲱⲣϫ; dieses Wort ist von seiner Bedeutung ebenfalls (ebd., 294) dem Bereich der »Sicherheit« und nicht der »Geheimhaltung« zuzuordnen. 72 Vgl. NHC II, 31,34 – 32,1 u. par. (Waldstein/Wisse, Synopsis 82,17–83,1): ϥⲥϩⲟⲩⲟⲣⲧ⳿ ⲛ̄ϭⲓ ⲟⲩⲟⲛ ⲛⲓⲙ⳿ ⲉⲧⲛⲁϯ ⲛⲁⲓ̈ ϩⲁ ⲟⲩⲇⲱⲣⲟⲛ ⲏ ⲉⲧⲃⲉ ⲟⲩϩⲛⲉ ⲟⲩⲱⲙ ⲏ ⲉⲧⲃⲉ ⲟⲩⲥⲱ ⲏ ⲉⲧⲃⲉ ⲟⲩϣⲧⲏⲛ ⲏ ⲉⲧⲃⲉ ⲕⲉϩⲱⲃ⳿ ⲛⲧⲉⲓⲙⲉⲓⲛⲉ. »Cursed be everyone who will exchange these things for a gift (δῶρον), whether (ἤ) for food or (ἤ) for drink or (ἤ) for clothing or (ἤ) for any other such thing.« 73 Vgl. U.K. Plisch, Das Thomasevangelium. Originaltext mit Kommentar, Stuttgart 2007, 71: »im Thomasevangelium ist … die Mission in ländlichem Gebiet ins Auge gefasst, deutlich akzentuiert in der Wendung ›von Ort zu Ort‹.« Siehe ferner W.E. Arnal, The Rhetoric of Marginality: Apocalypticism, Gnosticism, and Sayings Gospels, HThR 88 (1995) 471–494, hier 490: »One can find indications that a larger audience is nevertheless in mind. Logion 3 refers to ›your leaders‹, logion 14 assumes travel and contact with diverse outsiders, sayings such as logia 16 and 22 imagine contact with functional families.« Siehe auch W. Rebell, Neutestamentliche Apokryphen und Apostolische Väter, München 1992, 13: »Aber wollten die Gnostiker wirklich ihr Wissen vor anderen ›apokryph‹ (verborgen) halten? Für gewisse gnostische Schriften, etwa das Thomasevangelium, wird im Gegenteil eine missionarische Absicht (Hervorhebung WR) diskutiert.« Vgl. auch Fieger, Thomasevangelium (s. Anm. 34), 76: »Der zweite Teil des Log 14 erinnert die Gemeinde an ihren Missionsauftrag und polemisiert zugleich gegen die Speisevorschriften der Juden.« Vgl. ebd., 44 (zu Log 7): »Aus dem ersten Teil dieses Log wird auch der missionarische Auftrag der Thomasgemeinde deutlich. Die Bekehrung eines Nichtgnostikers kann nur von einem Gnostiker ausgehen – ›der Mensch wird den Löwen fressen‹. Diese Bekehrung besteht darin, den Nichtgnostiker von den Gefahren der materiellen Welt zu überzeugen.« 74 Vgl. C. Colpe, Griechen – Byzantiner – Semiten – Muslime (WUNT 221), Tübingen 2008, 215: »Die Mithras-Mysterien, an deren Anfang wohl eine bewußte Stiftung am Ende des Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Reich (selbstverständlich mit regionalen Unterschieden) erfahren hat. Dies bezeugt ja auch der archäologische Befund, während zum Inhalt der Mysterien trotz ihrer Verbreitung sehr wenig gesagt werden kann75. Bereits im zweiten Jahrhundert hingegen wird von Mitgliedern der »Mehrheitskirche« auf sich als »geheim« bezeichnende Texte Bezug genommen, so dass ein Wissen um diese Texte (und teilweise auch eine Kenntnis der Texte) vorausgesetzt werden muss. Eine der wichtigsten Reaktionen in diesem Zusammenhang ist wohl Irenäus von Lyon, der die »apokryphen« Schriften als νόθος bezeichnet76. Natürlich darf man diesen Begriff als gefälscht übertragen77. Man kann sich 1. Jahrhundert vor Christus in Kleinasien stand, hatten schon eine lange und wechselvolle Geschichte hinter sich, als sie sich im römischen Reich, vor allem unter den Soldaten, verbreiteten. Trotz ihrer weiten Verbreitung und der außerordentlich reichen archäologischen Überlieferung ist uns kein einziger liturgischer Text überliefert.« Siehe auch W. Burkert, Antike Mysterien, München 42003, 45: »In gewissem Sinn entsprechen die Mithras-Mysterien weit mehr dem Normaltyp der ›Geheimen Gesellschaft‹ mit ihren Initiationen, wie er in der Ethnologie beschrieben worden ist, als die eigentlichen griechischen Mysterien. Die Geheimhaltung erscheint vollkommen im Bereich des Mithras; die Mithräen dürften zu ihrer Zeit weit weniger bekannt und zugänglich gewesen sein als im heutigen Zustand der Ausgrabung. Dafür spricht vor allem auch die im Kontrast zu den Ergebnissen der Ausgrabungen so erstaunliche Spärlichkeit der Zeugnisse über Mithras in der erhaltenen Literatur. Die literarischen Quellen zu Eleusis sind im Vergleich dazu geradezu üppig zu nennen.« 75 Siehe auch R. Beck, The Mysteries of Mithras: A New Account of Their Genesis, JRS 88 (1998) 115–128, hier 116: »At the present juncture, the study of Mithraism shows signs of taking a rather positivistic turn, in which the hard data of epigraphy and archaeological Realien are privileged and the supposedly softer data of iconography discounted. Valid inferences, it is thought, may be drawn from the former, while the fruits of the latter are largely speculative. As a result, the inner life of the Mysteries, including their doctrine, is downplayed by some as largely irrecoverable.« 76 Vgl. Irenaeus, Haer. I, 20,1 (ed. A. Rousseau, Irénée de Lyon, Contre les Hérésies. Livre 1 [SC 264], Paris 1979, 288): πρὸς δὲ τούτοις ἀμύθητον πλῆθος ἀποκρύφων καὶ νόθων γραφῶν, ἃς αὐτοὶ ἔπλασαν, παραφέρουσιν εἰς κατάπληξιν τῶν ἀνοήτων, καὶ τὰ τῆς ἀληθείας μὴ ἐπισταμένων γράμματα. Super haec autem inenarrabilem multitudinem apocryphorum et perperum scripturarum, quas ipsi finxerunt, adferunt ad stuporem insensatorum et quae sunt ueritatis non scientium litteras. Die französische Übersetzung gibt das Griechische νόθος korrekt mit »bâtardes« wieder, während das Adjektiv perperus in der lateinischen Übersetzung dieser Passage »falsch« bedeutet. Für eine Übersetzung dieses Begriffs, der sich an der lateinischen Übersetzung orientiert, vgl. auch Bardy, Apokryphen (s. Anm. 12), 518: »sie bringen eine unzählige Menge von apokryphen u. unechten Schriften (ἀποκρύφων καὶ νόθων) vor, die sie selbst erdichtet haben, um die Unverständigen u. die, welche die Schriften der Wahrheit nicht kennen, in Erstaunen zu setzen.« Siehe auch N. Brox, Irenäus von Lyon: Epideixis Adversus Haereses. Darlegung der apostolischen Verkündigung gegen die Häresien I (FC 8/1), Freiburg u.a. 1993, 271: »Noch dazu bringen sie eine riesige Menge von apokryphen und gefälschten Schriften daher …« 77 Vgl. auch Nicklas, Apocrypha (s. Anm. 16), 384: »The term could also be used in a contrary sense, for example in the developing proto-Catholic church where ›apocryphal‹ was Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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hierfür zum Beispiel auf die Parallele bei Tertullian berufen, der »apocrypha und falsa als synonyme Begriffe«78 verwendet. Allerdings ist doch auffällig, dass dieses Wort nur ein einziges Mal im Neuen Testament verwendet wird79. Auch ist die Grundbedeutung des Begriffs das illegitime Kind. Es geht somit um ein Kind, das außerhalb einer ehelichen Beziehung geboren wurde, also um ein Kind einer Sklavin oder einer Konkubine. Der Gegensatz zu diesem Begriff ist γνήσιος. Davon leitet sich dann im Weiteren die Bedeutung »gefälscht« bzw. »verfälscht« für diesen Begriff ab80. Dies ist umso auffälliger, als sich dieser Begriff dann in der Folge nicht als Bezeichnung für apokryphe Schriften durchsetzen konnte. Das Besondere dieser Bezeichnung darf nun in den bisher nicht weiter in der Diskussion berücksichtigten juristischen Implikationen, die mit der Verwendung des Begriffs verbunden sind, gesehen werden. Ein uneheliches Kind ist gegenüber seinem Vater nach römischem Recht nicht erbberechtigt81. Gerade die Betonung des »Erbes« als Bezeichnung der Überlieferung ist ja biblischer Sprachgebrauch82. Der »Sohn der Magd« soll nicht erben83. Auch in der weisheitlichen Literatur wird der Begriff νόθος in diesem Sinn verwendet84. Dass der Abfall des Volkes Israel bereits bei den Propheten als »Ehebruch« gedeutet wird85, kann ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnt werden, ist doch damit ein Bruch der Überlieferung bzw. der Weitergabe des Erbes impliziert. Auf dem Hintergrund der Tatsache, dass die Überlieferung im biblischen Sprachgebrauch mit dem Begriff des »Erbes« um-

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used to mean ›forged‹ or ›invented.‹ Accordingly, Irenaeus of Lyon (Haer. 1.20.1) accuses his gnostic adversaries of adducing as proof of their doctrines an ›unspeakable number of apocryphal and spurious writings, which they themselves have forged‹ …« Vgl. Ehlen, Leitbilder (s. Anm. 17), 71, unter Verweis auf Tertullian, Pudic. 10,12. Vgl. Hebr 12,8. Vgl. LSJ s.v. νόθος. Vgl. M. Kaser, Das römische Privatrecht. Erster Abschnitt: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht (HAW 10/3/3/1), München 1955, 298–299: »Mit ihrem Erzeuger gelten sie weder als agnatisch noch als kognatisch verwandt. Mit ihrer Mutter sind sie kognatisch verwandt, doch ist die Frau unfähig, eine Familiengewalt zu haben oder zu vermitteln, so daß sie auch nicht in die Gewalt des mütterlichen Großvaters fallen. Ein Intestaterbrecht besteht nur zwischen dem unehelichen Kind und seiner Mutter und deren Verwandten.« Für das nachklassische Recht vgl. M. Kaser, Das römische Privatrecht. Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen (HAW 10/3/3/2), München 21975, 219: »Für die unehelichen Kinder bleibt es bei dem Rechtszustand, daß sie nur mit der Mutter und den mütterlichen Verwandten verwandt sind und auch nur mit der Mutter und deren Vorfahren in einem Verhältnis gegenseitiger Unterhaltspflicht stehen.« Vgl. z.B. Hebr 6,17, wo von den »Erben der Verheißung« (τοῖς κληρονόμοις τῆς ἐπαγγελίας) die Rede ist. Vgl. Gal 4,30–31: ἀλλὰ τί λέγει ἡ γραφή; ἔκβαλε τὴν παιδίσκην καὶ τὸν υἱὸν αὐτῆς, οὐ γὰρ μὴ κληρονομήσει ὁ υἱὸς τῆς παιδίσκης μετὰ τοῦ υἱοῦ τῆς ἐλευθέρας. 31διό, ἀδελφοί, οὐκ ἐσμὲν παιδίσκης τέκνα ἀλλὰ τῆς ἐλευθέρας. Vgl. Weish 4,3: πολύγονον δὲ ἀσεβῶν πλῆθος οὐ χρησιμεύσει καὶ ἐκ νόθων μοσχευμάτων οὐ δώσει ῥίζαν εἰς βάθος οὐδὲ ἀσϕαλῆ βάσιν ἑδράσει. Es sei auch nur auf die Zeichenhandlung des Propheten Hosea verwiesen. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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schrieben werden kann, erhält die Bezeichnung νόθος für »apokryphe Worte« eindeutig die Konnotation, dass diese »Worte« bzw. »Evangelien« keine berechtigten Erben der Überlieferung sind. Mit anderen Worten: Irenäus scheint durch die Wortwahl die Frage, ob diese Texte Repräsentanten einer legitimen Überlieferung sind, ablehnend zu thematisieren. Damit wäre jedoch impliziert, dass die apokryphen Texte aus Sicht des Irenäus diesen Anspruch erheben. Gerade deswegen wären sie aber umgekehrt für Irenäus, der ja derartige Texte kennt, nicht »verborgene« bzw. »geheime« Texte für einen Zirkel von Eingeweihten, sondern vielmehr Texte, die in der Lehre Verwendung finden und dort unter Berufung auf eine »geheime Überlieferung« den Anspruch auf Authentizität der Überlieferung erheben. Und für das Thomasevangelium kann man ja doch eine pointierte Neuakzentuierung zentraler Elemente des Christentums konstatieren86. Deswegen scheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt zu sein, dass der unbekannte Verfasser das Thomasevangelium durch dieses Incipit als eine autoritative Schrift für eine bestimmte Gruppierung etablieren wollte87. Die Rahmenerzählung des Apokryphon des Johannes gehört wohl ebenfalls in den Bereich einer Auseinandersetzung zwischen Christen und Gnostikern christlicher Prägung88.

86 Vgl. Fieger, Thomasevangelium (s. Anm. 34), 74–75 (zu Logion 14): »Der erste Teil dieses Log bezeichnet ein an die Gemeindemitglieder gerichtetes Verbot. Inhalt dieses Verbotes ist die Ablehnung der jüdischen Trias (Almosengeben; Beten; Fasten). Diese Trias wird als Gesamtgröße verurteilt. Normen, die aus der jüdischen oder jüdisch-christlichen Tradition stammen, dürfen in der gnostischen Thomasgemeinde kein Echo finden und werden sogar als sinnlos erachtet. Diese Beobachtung unterstreicht erneut das hohe Selbstbewußtsein der Gemeinde und läßt das spannungsgeladene Verhältnis zwischen gnostischer Gemeinde und Synagoge, aber auch zwischen der Thomasgemeinde und der Großkirche erkennen.« Zu antijüdischen Tendenzen im Thomasevangelium vgl. auch C. Gianotto, Quelques aspects de la polémique anti-juive dans l’Évangile selon Thomas, in: Painchaud/ Poirier (Hg.), Colloque International (s. Anm. 47), 157–173. 87 Gianotto, Quelques aspects (s. Anm. 86), 157–173, hier 172–173: »… le groupe de l’Évangile selon Thomas, d’un côté, prend ses distances par rapport à d’autres groupes qui se réclamaient de Jésus et critique leur travail inutile d’interprétation et d’utilisation des Écritures juives, qualifiées comme ›mortes‹, qui les amène à oublier l’enseignement ›vivant‹ de Jésus; de l’autre, il oppose les véritables disciples de Jésus aux juifs, incapables de tenir ensemble la personne de Jésus et son enseignement.« 88 Vgl. Luttikhuizen, Gnostic Revisions (s. Anm. 68), 28: »The appeal to the authority of Christ in the (secondary) frame story proves that at least in the present versions, the polemical passages were levelled by Christians at other Christians. It is not difficult to connect this controversy with a specific situation in second-century Christianity. … In discussions with other Christians, Gnostic Christians quoted, corrected, and rejected biblical texts with a view to demonstrating the superiority of their ideas and the superficiality of a Christian belief based on a literal understanding of the Old Testament.« Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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2.3. »Geheime« Schriften und missionarische Tätigkeit von Rezipienten dieser Schriften Auch wenn die Gnosis oftmals als »Geheimlehre« bezeichnet wird, so waren ihre Anhänger doch anscheinend offen missionarisch tätig, wobei sie im Rahmen ihrer Glaubenswerbung auch im Umfeld christlicher Gemeinden tätig wurden89. Auch hat zum Beispiel Basilides offensichtlich, wie aus dem Lukas-Kommentar des Origenes hervorgeht, ein eigenes Evangelium im Rahmen seiner Lehrtätigkeit verwendet, wobei fraglich bleiben muss, ob es sich bei diesem Text tatsächlich um ein »Evangelium nach Basilides« oder um ein (von den vier kanonischen Evangelien verschiedenes) Evangelium, auf das sich Basilides berufen und das er ausgelegt hat90, gehandelt hat91. Ähnlich wie auch für Valentin92 gilt zwar für Basilides, dass er selbst viel weniger gnostisch war als seine Schüler93. Die Berufung eines (möglicherweise erst in der häresiologischen Auseinandersetzung) der Gnosis zugerechneten Lehrers auf ein eigenes Evangelium und auf von den bekannten Evangelien unabhängige »geheime« Überlieferungen – und dass sich Basilides auf eine derartige Überlieferung berufen habe, davon berichtet Hippolyt94 –, zeigt jedoch die Funktion derartiger »apokrypher« Evangelien bei der Glaubenswerbung. Offensichtlich behauptete Basilides von Matthias »geheime Worte« erhalten zu haben, die dieser wiederum vom Erlöser im Rahmen einer Belehrung gehört habe. Das ist wohl ebenfalls weniger eine im eigentlichen Sinn »geheime« (in der Bedeutung von »geheim zu haltende«), sondern vielmehr eine »bisher geheim überlieferte« Lehre, wird sie doch von Basilides im Rahmen seiner Lehrtätigkeit verwendet. 89 Vgl. Markschies, Gnosis und Christentum (s. Anm. 10), 13: »Theologen, die sich selbst der ›Erkenntnis‹ zurechneten oder von ihren Gegnern der Bewegung zugerechnet wurden, wirkten als freie Lehrer in den Großstädten der Antike und sammelten gegen Bezahlung oder gratis Schüler und Schülerinnen um sich, teils in den christlichen Gemeinden, teils über sie hinausreichend.« 90 So Agrippa Castor bei Eusebius, Hist. Eccl. IV, 7,7. 91 Vgl. Origenes, Hom. in Luc. I (ed. M. Rauer, Origenes Werke 9, Berlin 1959 [GCS 49 = 35], 5,2–4): ἤδη δὲ ἐτόλμησε καὶ Βασιλείδης γράψαι κατὰ Βασιλείδην εὐαγγέλιον. In der Übersetzung des Hieronymus lautet die Stelle: Ausus fuit et Basilides scribere evangelium et suo illud nomine titulare. Siehe hierzu H.C. Puech / B. Blatz, Andere gnostische Evangelien und verwandte Literatur, NTApo I6 1990, 285–329, hier 317–318 (Das Evangelium des Basilides). 92 Vgl. C. Markschies, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins (WUNT 65), Tübingen 1992, 406. 93 Vgl. C. Markschies, Art. Basilides, LACL3 (2002), 112: »B. gehört in den Kontext der alexandrinischen Theologiegeschichte des 2. Jh. Das Prädikat ›gnostisch‹ trifft weit mehr auf die sekundären Berichte bei Irenäus und Hippolyt als auf die authentischen Fragmente bei Clemens zu.« 94 Vgl. Hippolyt, Haer. VII,20,1 (ed. M. Marcovich, Hippolytus: Refutatio Omnium Haeresium, Berlin / New York 1986 [PTS 25], 286): Βασιλείδης τοίνυν καὶ Ἰσίδωρος, ὁ Βασιλείδου παῖς γνήσιος καὶ μαθητής, φασὶν εἰρηκέναι Ματθίαν αὐτοῖς λόγους ἀποκρύφους, οὓς ἤκουσε παρὰ τοῦ σωτῆρος κατ’ ἰδίαν διδαχθείς. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Auffällig ist nun, dass eigentlich bereits relativ früh sehr harte Reaktionen auf diese Lehre zu finden sind – vor allem wenn man die vermutete zahlenmäßige Größe der Christenheit im zweiten und beginnenden dritten Jahrhundert betrachtet. Es mag sein, dass die Anhänger der Gnosis im Verhältnis zur Gesamtheit der Christen in der Minderheit waren, so dass von einer Kritik durch die »Mehrheitskirche« gesprochen werden kann95, doch auch die »Mehrheitskirche« war – zahlenmäßig96 – bis weit in das dritte Jahrhundert hinein eine (fast schon erschreckend) kleine Minderheit97: Nach Hopkins gab es um das Jahr 178 im gesamten Römischen Reich rund 100.000 Christen. Stark sieht diese Zahl um das Jahr 180 erreicht98. Bei einer Gesamtbevölkerung von geschätzten 60 Millionen im Römischen Reich entspricht dies gerade einmal rund 0,167 Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung99, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass gerade in Städten wie Alexandria gegen Ende des zweiten Jahrhunderts mehrere Tausend Christen lebten100. Es darf also bei einem derartigen Zahlenverhältnis bezweifelt werden, dass Gnostiker nur zufällig mit dem Christentum zusammentrafen. Wenn man nun einmal voraussetzt, dass es um das Jahr 175 rund 9000 Christen in Ägypten gab101, dass eine christliche Gemeinde zu je etwa 30 Prozent aus Männern und Frauen sowie zu 40 Prozent aus Kindern bestand102 und dass rund 10–20 Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung schreiben

95 Vgl. Markschies, Gnosis und Christentum (s. Anm. 10), 13–14: »Ob sie von Anfang an auch eigene Hausgemeinden bildeten und separate Gottesdienste feierten, ist schwer zu entscheiden; spätestens als die christliche Mehrheitskirche der Theologie dieser Gruppen gegenüber immer kritischer wurde, wanderten sie auch in separate Kultgemeinden aus und trennten sich allmählich von der Großkirche.« 96 Zur Problematik der Ermittlung von Zahlen aus antiken Schriften vgl. K. Hopkins, Christian Number and Its Implications, Journal of Early Christian Studies 6 (1998) 185– 226, hier 188: »As a result, to put it bluntly, most ancient observations about Christian numbers, whether by Christian or pagan authors, should be taken as sentimental opinions or metaphors, excellently expressive of attitudes, but not providing accurate information about numbers.« 97 Hopkins, Christian Number (s. Anm. 96), 195: »Such estimates imply that, practically speaking, for the whole of this period, Christians were statistically insignificant.« 98 Vgl. R. Stark, The Rise of Christianity. How the Obscure, Marginal Jesus Movement Became the Dominant Religious Force in the Western World in a Few Centuries, San Francisco 1997, 9: »By 180, when I project that the total Christian population first passed the 100,000 mark…« 99 Hopkins, Christian Number (s. Anm. 96), 193, Figure 1. 100 Ebd., 206. 101 Für diese Zahl vgl. R.S. Bagnall, Early Christian Books in Egypt, Princeton/Oxford 2009, 20. 102 Vgl. Hopkins, Christian Number (s. Anm. 96), 204 unter Verweis auf A.J. Coale / P. Demeny, Regional Model Life Tables, Princeton 1996, table west, level 3, stationary population und R. Bagnall / B. Frier, The Demography of Roman Egypt, Cambridge 1994, 95. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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konnten103, so erhält man zwischen 270 und 540 Christen in Ägypten, die fähig gewesen wären, überhaupt zu lesen und teilweise zu schreiben. Ob sie deswegen alle in der Lage gewesen wären, ein Buch in der Form abzuschreiben, in der die antiken Codices von Nag Hammadi erhalten sind, darf bezweifelt werden. Die Zahl derer schließlich, die tatsächlich in der Lage gewesen wären, eines der erwähnten apokryphen Werke abzufassen, darf noch einmal als viel geringer angesehen werden, da es sich um Personen handelte, die den weniger als 2 Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung angehört haben müssen, die tatsächlich selbstständig Texte verfassen konnten104 – das wären dann aber wohl weniger als 50 Personen gewesen, die in dieser Zeit in Ägypten dem Christentum zuzurechnen gewesen wären und die diese höheren literarischen Fähigkeiten gehabt hätten. Wenn man sich ferner vor Augen hält, dass derart umfangreiche Codices, wie sie die Nag Hammadi-Texte darstellen, eine nicht unbeträchtliche Investition darstellen, so ist unter Berücksichtigung dieser Umstände einmal mehr erstaunlich, wie zahlreich diese »geheimen Schriften« sind und wie gut sie bezeugt sind105. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen, die selbstverständlich bis zu einem gewissen Grad spekulativ sind, da genauere Zahlen nicht existieren, die jedoch trotz aller Unschärfe die extrem kleine Zahl an Personen aufzeigen, die in Ägypten im Umfeld des Christentums zur Abfassung theologischer (und damit auch gnostischer) Werke in der Lage waren, ist eine Reihe von Dingen auffällig: Zum einen wäre – rein statistisch – eine Begegnung von Christen und gnostisierenden Gruppierungen eher überraschend, falls sich gnostisierende Gruppierungen tatsächlich als esoterische Zirkel, in denen eine den Mysterienkulten ähnliche Geheimreligion praktiziert wurde, zurückgezogen hätten. Es scheint jedoch, dass sie vielmehr in christlichen Gemeinden werbend aktiv waren106. Ferner müsste erklärt werden, warum die »geheimen« – und auf der 103 Für die Annahme einer weit besseren Alphabetisierung vgl. G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Heidelberg, 2007, 159: »Da in der Antike vielleicht nur ein relativ kleiner Teil (20%? bis 30%?) der Bevölkerung schreiben konnte und noch sehr viel weniger literarische Kompetenz besaßen, gehörten die Literaturfähigen einer verschwindenden Minderheit an.« 104 Hopkins, Christian Number (s. Anm. 96), 209: »… the proportion of sophisticated literates may seem low, at < 2% of adult males, but it is also, I think, a generous estimate, if they constituted between a fifth and a tenth of all literates at whatever level (and if literates constituted 10–20% of the male population).« 105 Vgl. W.V. Harris, Ancient Literacy, Cambridge (Mass.) 1989, 194–195: »Papyrus was extensively used by the elite, and all well-to-do Romans were familiar with it. But in spite of some assertions to the contrary it must have been quite expensive for most people’s purses, certainly outside Egypt, which remained the main source of supply. The price at Tebtunis in the period 45–49 seems normally to have been four drachmas a roll, and a single sheet might cost two obols – this at a time when skilled labourers earned about six obols a day, unskilled three.« 106 Krause, Christlich-gnostische Texte (s. Anm. 21), 51 (unter Verweis auf Epiphanius, Haer. 26,4f): »Dieser Bericht zeigt m.E., daß die Gnostiker an den Gottesdiensten der Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Textebene teilweise auch »geheim zu haltenden« – Werke so zahlreich aus der Antike erhalten sind107. Wie bereits erwähnt: Der Kult des Mithras war ein Mysterienkult, der sich mit dem Heer verbreitete. So war dieser Kult auch in Ägypten präsent108, auch wenn er dort vielleicht nicht ganz so viele Anhänger hatte wie im Westen des Römischen Reiches109. Im Gegensatz zu den zahlreichen gnostischen Texten sind die schriftlichen Quellen zum Mithraskult zu vernachlässigen. Dies zeigt, dass der Begriff ἀπόκρυφος nicht ohne Vorbehalte als Beleg für die These einer »Geheimhaltung« der Texte bzw. einer »Geheimlehre« herangezogen werden sollte. Ergebnis Zahlreiche Aspekte deuten darauf hin, dass es sich bei der Verwendung des Begriffs ἀπόκρυφος (bzw. des koptischen Äquivalents) im Incipit, der Rahmenerzählung oder dem Titel von Texten aus dem Umkreis der frühchristlichen Gnosis um die literarische Fiktion einer »verborgenen Überlieferung«110 handelt, wobei – gerade beim Thomasevangelium – möglicherweise auch noch die

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Großkirche teilnahmen und versuchten, Christen – wie im Falle des Epiphanius – für ihre in Konventikeln praktizierten Lehren zu gewinnen.« Siehe auch Stark, Rise of Christianity (s. Anm. 98), 9: »it must also be noted that the survival of Christian archaeological evidence would have been roughly proportionate to how much there could have been to start with. The lack of anything surviving from prior to 180 must be assessed on the basis of the tiny number of Christians who could have left such traces. Surely it is not surprising that the 7,535 Christians at the end of the first century left no trace (Hervorhebungen RS).« Vgl. H. Koester, Einführung in das Neue Testament, Berlin / New York 1980, 383, der bezüglich des 3. Jh. n. Chr. bemerkt: »Mithrasheiligtümer gab es während dieser Zeit an vielen Orten des Ostens, u.a. auch in Ägypten.« Vgl. M. Clauss, Cultores Mithrae. Die Anhängerschaft des Mithras-Kultes (Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien 10), Stuttgart 1992, 254: »Der Mithras-Kult ist folglich von Italien aus sowohl an den Rhein wie an die Donau gelangt. Es waren in Italien rekrutierte Soldaten, Angehörige des Personals italischer Zollpächter oder sonstige römische Bürger aus dem Mutterland, die den neuen Kult in die Provinzen trugen.« Für den griechischen Osten des Römischen Reiches vgl. ebd. 243–244: »Insgesamt betrachtet sind die Zeugnisse aus dem griechischen Osten spärlich, sieht man einmal von dem Mithräum in Dura-Europos ab. Zudem sind sie häufig in ihrer Interpretation als Dokumente des römischen Mithras-Kultes umstritten. Charakteristisch für das Fundmaterial ist, daß sich die Zahlen für griechische und lateinische Inschriften die Waage halten. Die darin zum Ausdruck kommende Verbindung zum Westen des Reiches wird noch deutlicher, betrachtet man die wenigen Namen der Kultanhänger.« Hierzu kritisch Wilson, Apokryphen II (s. Anm. 17), 317–318: »Das Wort stammt von dem griechischen ἀπόκρυφος ab, das ›verborgen‹ oder ›geheim‹ bedeutet. Eine mögliche Erklärung für die Verwendung ist die Tatsache, daß diese Werke Personen aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit zugeschrieben wurden und so vermeintlich verborgen geblieben waren und erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder an das Licht gebracht wurden. Diese Vermutung trifft tatsächlich im Fall der Paulusapokalypse zu …, läßt sich aber Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Thematik des »schwer Verständlichen«, das »erklärt werden« muss, impliziert ist. Die pseudepigraphische Ausgestaltung des Thomasevangeliums ist nur rudimentär111. Allerdings scheint das Incipit des Thomasevangeliums Teil dieser Spruchsammlung gewesen zu sein112, und so wird man die Frage aufwerfen müssen, ob nicht die Kürze der pseudepigraphischen Ausgestaltung vor allem für eine vergleichsweise frühe Datierung des Thomasevangeliums im Verhältnis zu den anderen in diesem Beitrag erwähnten Texten sprechen dürfte. Es geht, so scheint es, um einen Autoritätsanspruch im Rahmen der Verkündigung, der durch ein entsprechendes Alter der Überlieferung113 verstärkt werden soll. In diesem Fall ist es nicht mehr widersprüchlich, dass ein »geheim überliefertes« (und in diesem Sinne sich selbst im Incipit als ἀπόκρυφος bezeichnendes) Evangelium vieles enthält, was eben nicht »geheim« war114. Wenn nicht die Geheimhaltung, sondern die Begründung der Autorität des Textes durch die geheime Überlieferung das vorrangige Ziel einer derartigen Selbstbezeichnung ist, so ist auch nicht verwunderlich, dass sich bereits bei Irenäus von Lyon viele Informationen über diese »geheimen« Texte finden, obwohl eigentlich bereits aus statistischen Gründen ein direkter Kontakt zwischen Christen und einer Gruppe, die sich in eine esoterische Geheimlehre zurückzieht, höchst unwahrscheinlich war – schließlich war zur Zeit dieses Autors etwa einer von sechshundert Einwohnern des Römischen Reiches überhaupt im weitesten Sinne dem Christentum zuzurechnen. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen

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für die übrigen neutestamentlichen Apokryphen nicht aufrechterhalten, in denen dieser Anspruch nicht erhoben wird.« Janßen, »Evangelium des Zwillings?« (s. Anm. 22), 242: »Wie marginal die pseudepigraphische Plausibilisierung im Fall des Thomasevangeliums ist, zeigt schließlich ein Vergleich mit dem Thomasbuch (Hervorhebungen MJ).« Vgl. H. Löhr, Jesus und die Tora als ethische Norm nach dem Thomas-Evangelium, in: Frey u. a. (Hg.), Thomasevangelium (s. Anm. 9), 363–379, hier 366: »Das heißt, ich sehe das EvThom als eine redaktionell geformte Texteinheit, nicht als bloß zufälliges Konglomerat von Einzelstücken – eine Annahme, die mindestens durch das Incipit, aber z.B. auch durch gestalterische Elemente im Textcorpus wie thematische Gruppierungen oder Textanschlüsse ausreichend gestützt wird (Hervorhebungen HL).« Siehe hierzu auch z.B. Bauckham, Pseudo-Apostolic Letters (s. Anm. 16), 138: »The point of this letter form is to authenticate one of the chains of secret tradition by which Gnostic teaching was held to have passed down from the risen Christ to later Gnostics. The Apocryphon of James is a ›secret book,‹ revealed by Christ only to James and Peter (1:11–12, 23–24, 35; 2:34–37) and communicated to the recipient, ›a minister of the salvation of the saints‹ (1:19–20), so that he may pass it on to others but not to ›many‹ (1:21–22) (Hervorhebung RB).« Vgl. zu diesem Widerspruch Plisch, Thomasevangelium (s. Anm. 73), 39: »Mit der Bezeichnung der im Evangelium enthaltenen Jesusworte als ›verborgen‹ (oder: ›geheim‹) gibt sich der Text gleich zu Anfang als apokryphes (also verborgenes bzw. geheimes) Evangelium zu erkennen, dessen Inhalt nicht für jedermann bestimmt ist – und den zu verstehen auch nicht jedem gegeben ist … Das steht allerdings im Widerspruch dazu, dass ein großer Teil der anschließend gebotenen Jesusworte auch schon zur Abfassungszeit des Thomasevangeliums allgemein bekannt gewesen sein dürfte, also keineswegs ›apokryph‹ ist. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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scheint dann die Gegenüberstellung von apocrypha zur sacra scriptura als einander konkurrierende Textgruppen115, die sich beispielsweise bei Filastrius von Brescia findet, sogar dem Anliegen der Texte zu entsprechen, die sich selbst als ἀπόκρυφος bezeichnen, und gerade mit dieser Selbstbezeichnung gelesen und verbreitet werden wollten116. Um es mit Walter Rebell zu formulieren: Apokryphe Texte sind meist »[…] von ihrer theologischen und soziologischen Funktion her […] faktisch Konkurrenztexte zum Neuen Testament, ob sie explizit diesen Anspruch erheben oder nicht.«117 Man darf also wohl gerade die Bezeichnung ἀπόκρυφος im Titel oder Incipit bzw. im Prolog von »Apokryphen christlichen Inhalts« dahingehend deuten, dass hierdurch ein Anspruch auf ein den zur damaligen Zeit bereits bekannten und im Umlauf befindlichen Texten118 gleiches Alter der Überlieferung erhoben wird. Damit darf wohl gerade diese Selbstbezeichnung als ausdrückliches Kennzeichen dafür gesehen werden, dass es sich bei diesen Texten um eine konkurrierende Überlieferung handelt119. Mit anderen Worten: Gerade weil das Thomasevangelium sich bei dieser Deutung der Situation auf Schriften bezieht120, die bereits in gewisser Weise einen au115 Vgl. Markschies, »Neutestamentliche Apokryphen« (s. Anm. 11), 101–102: »Das entsprach zunächst der Praxis einzelner altkirchlicher Autoren, den Begriff apocrypha als Gegenbegriff zu scriptura canonica zu verwenden – so findet man es beispielsweise bei dem spätantiken Häresiologen Filastrius, Bischof von Brescia am Ende des vierten Jahrhunderts; ähnlich schon bei Hieronymus (Hervorhebungen CM).« 116 Letztlich bestätigt auch die religionsgeschichtliche Verortung des Thomasevangeliums, wie sie von Popkes aufgrund einer Analyse des Textes vorgeschlagen wird, eine derartige Deutung des Begriffs ἀπόκρυφος; vgl. E.E. Popkes, Das Menschenbild des Thomasevangeliums. Untersuchungen zu seiner religionsgeschichtlichen und chronologischen Einordnung (WUNT 206), Tübingen 2007, 357: »Das Thomasevangelium setzt vielmehr einen bereits fortgeschrittenen innerchristlichen Identitätsfindungsprozeß voraus. In ihm spiegeln sich die Bemühungen einer gnostischen bzw. gnostisierenden Gruppierung, ihren Standort gegenüber bzw. innerhalb ausgeprägter hierarchischer Gemeinschaftsstrukturen zu reflektieren. Etablierte Organisationsstrukturen werden zwar prinzipiell anerkannt, aber es wird ihnen keine geistliche Autorität zugestanden.« 117 Vgl. Rebell, Neutestamentliche Apokryphen (s. Anm. 73), 16. 118 Auf die Probleme der Kanongeschichte kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, es ist jedoch offensichtlich, dass die Berufung auf eine bisher »verborgene« und dadurch »unbekannte« schriftliche Überlieferung bereits eine vorhandene schriftliche Überlieferung und damit entsprechende Texte voraussetzt. 119 Vgl. Markschies, Gnosis und Christentum (s. Anm. 10), 16: »Ob man freilich tatsächlich die ›Geheimschrift nach Johannes‹ und andere Texte an die Stelle der Evangelien und anderer Schriften der christlichen Bibel setzen wollte, eine eigene ›Bibel der Häretiker‹ zusammenzustellen versuchte, darf eher bezweifelt werden: Man ergänzte die in der Großkirche zirkulierenden öffentlichen Schriften durch weitere, die öffentlichen Schriften des Christentums durch geheime (oder solche, die mit dem Nimbus des Geheimen versehen waren).« 120 Zur Bezogenheit der Schriften aufeinander vgl. auch Janßen/Frey, Einführung (s. Anm. 2), 15: »Dass die einzelnen neutestamentlichen Pseudepigraphen keine isolierten Schriften, sondern auf andere Schriften innerhalb des Kanons bezogen und möglicherweise durch Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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toritativen Charakter haben, muss die durch diesen Text unter Berufung auf apostolische Autorität behauptete Authentizität durch die Zusatzbezeichnung einer »geheimen Überlieferung« verstärkt werden, da die eindeutige Ablösung von jüdisch-christlichen Traditionen als nicht mit anderen Schriften der neutestamentlichen Überlieferung vereinbar erkannt werden könnte121. Dies würde bedeuten, dass das Thomasevangelium in der heute vorliegenden Gestalt auf bereits bestehende Texte bezogen ist, so dass es vor diesem Hintergrund höchst schwierig und vielleicht sogar unmöglich ist, »nach dem Wert (und dem Alter) der einzelnen im Thomasevangelium aufbewahrten Traditionen zu fragen«122. Ob tatsächlich unabhängige Traditionen isolierbar sind, auch wenn diese selbstverständlich theoretisch im Thomasevangelium überliefert sein können, muss fraglich bleiben123. Als Ganzes scheint diese Kombination aus Selbstbezeichnung und pseudepigraphischer Verfasserschaft im Sinne der antiken Bewertungsmaßstäbe auf eine vergleichsweise hohe sachliche Distanz zwischen dem Text und der Überlieferung, mit der er sich auseinandersetzt, hinzuweisen124. Für eine derartige Funktion des Begriffs ἀπόκρυφος spricht einerseits die in den Texten teilweise vorausgesetzte Missionssituation bzw. die Aufforderung zur Verbreitung der Texte, ferner die angesichts der Tatsache, dass es sich um »geheime Texte« handeln soll, erstaunlich große Zahl überlieferter Texte bzw. Versionen einzelner Texte sowie auch die eindeutige Konkurrenzsituation zwischen Personen wie Irenäus oder Hippolyt und (im weitesten Sinne) gnostisierenden Gruppen, die sich auf »geheime Worte« beriefen. Wenn jedoch tatsächlich die Selbstbezeichnung mit dem Begriff ἀπόκρυφος auf eine Konkurrenz

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sie motiviert sind, zeigt allein das Verhältnis zwischen Judasbrief und Zweitem Petrusbrief.« Siehe hierzu auch Popkes, Menschenbild (s. Anm. 116), 356: »Auch wenn es durchaus möglich ist, daß einzelne Logien des Thomasevangeliums alte Jesusüberlieferungen erhalten haben …, so weist dieses Werk in seiner vorliegenden Gestalt bereits eine große Distanz zu den alttestamentlich-frühjüdischen Vorgaben frühchristlicher Traditionsbildungen auf.« Plisch, Thomasevangelium (s. Anm. 73), 17. Dagegen jedoch Plisch, Thomasevangelium (s. Anm. 73), 17: »Es ist offensichtlich, dass das Thomasevangelium Traditionen bewahrt hat, die eine gegenüber der synoptischen Tradition teils ältere, teils jüngere Stufe der Überlieferung repräsentieren, teils von dieser gänzlich unabhängig sind.« Siehe auch P. Pokorný, Pseudepigraphie I. Altes und Neues Testament, TRE 27 (1997) 645–655, hier 646: »Wie Weitergabe und Gestaltung von Tradition in einigen christlichen Gruppen in die Nähe der Pseudepigraphie führt, wird am Thomasevangelium (NHC II/2) deutlich, wo eine alte Tradition der Jesuslogien mit enkratitisch oder direkt gnostisch geprägten Sprüchen verbunden ist …« Vgl. hierzu M. Janßen, Antike (Selbst-)Aussagen über Beweggründe zur Pseudepigraphie, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 125–179, hier 177: »Das bedeutet übertragen auf die neutestamentliche Pseudepigraphie: Pseudopaulinisch ist nicht gleich pseudopaulinisch. Es wäre – im Sinne der antiken Bewertungsmaßstäbe – also immer die sachliche Nähe zu Paulus und damit verbunden die Angemessenheit der Inanspruchnahme des Pseudonyms zu prüfen.« Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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zu bereits existierenden Schriften hindeutet, legt dies auch für das Thomasevangelium, das z.B. von Koester sehr früh datiert wird125, ein eher spätes Datum der Zusammenstellung dieser Logien nahe, denn immerhin dürfte dieser Begriff bereits in P.Oxy 654 bezeugt gewesen sein126, der wohl in das dritte Jahrhundert eingeordnet werden muss127. Für eine eher späte Datierung in das zweite Jahrhundert würden dann auch die Bezüge des Thomasevangeliums zu den kanonischen Evangelien sprechen128. Dies ist umso wichtiger, als Pseudepigraphie für sich allein genommen kein sicheres Argument für eine zeitliche Distanz zwischen dem Verfasser und dem, dem der Text zugeschrieben wird, ist129, auch wenn eine derartige Distanz grundsätzlich in vielen derartigen Fällen besteht. Im Zusammenhang des Diskurses um die neutestamentlichen Pseudepigraphen stellt die Tatsache, dass eine Reihe pseudepigraphischer Texte in den Kanon aufgenommen wurden, gerade auf dem Hintergrund des Problems der ethischen Bewertung von »Fälschungen«, eine gewisse Herausforderung für die theologische Beurteilung des Phänomens dar130. Eine Möglichkeit des 125 Vgl. H. Koester, History and Literature of Early Christianity. II. Introduction to the New Testament, Berlin / New York 22000, 157: »It is therefore quite likely that an early version of the Gospel of Thomas was composed as a sayings gospel around the year 50 CE, probably also in the area of Syria/Palestine.« 126 Zum Prooemium des Thomasevangeliums und den Ergänzungen von Z. 1 vgl. Nagel, Papyrus Oxyrhynchus 654 (s. Anm. 25). 127 Und dabei handelt es sich um ein Fragment, das wohl in das dritte Jahrhundert einzuordnen ist; vgl. Zöckler, Jesu Lehren (s. Anm. 22), 25. 128 J. Frey, Die Lilien und das Gewand: EvThom 36 und 37 als Paradigma für das Verhältnis des Thomasevangeliums zur synoptischen Überlieferung, in: Frey u. a. (Hg.), Thomasevangelium (s. Anm. 9), 122–180, hier 178: »Eine frühe Ansetzung des Gesamtwerks noch im ersten Jahrhundert lässt sich nicht wirklich begründen. Die an einigen Stellen erkennbare Beeinflussung durch die synoptische Redaktionsebene schließt eine solche ebenso aus wie die Beobachtung zahlreicher Tendenzen der Weiterinterpretation bzw. der Reaktion auf Erfahrungen der frühchristlichen Geschichte.« Vgl. auch Fieger, Thomasevangelium (s. Anm. 34), 7: »Es ist manchmal schwierig zu entscheiden, ob die Redaktoren des ThEv aus der Erinnerung zitieren oder ob sie Handschriften oder Florilegien verwendet haben. Auf jeden Fall wurde die synoptische Überlieferung für die speziellen Bedürfnisse der gnostischen Theologie verändert bzw. umstilisiert.« 129 Frenschkowski, Erkannte Pseudepigraphie? (s. Anm. 3), 196–197: »Das dürfte auch für die neutestamentlichen Pseudepigraphen interessant sein: Sie könnten also problemlos bereits zu Lebzeiten des Apostels entstanden sein (natürlich existieren in vielen Fällen Argumente für spätere Datierungen, aber Pseudepigraphen sind nicht grundsätzlich ›spät‹).« 130 Diese Schwierigkeit besteht beispielsweise nicht in dieser Form bei den jüdischen Apokalypsen, da die meisten keinen Eingang in den Kanon gefunden haben; vgl. K.M. Hogan, Pseudepigraphy and the Periodization of History in Jewish Apocalypses, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 61–83, hier 61: »The lower stakes may account for the relative lack of interest in the ethical dimension of apocalyptic pseudepigraphy, or at least less direct engagement with the question of whether or not the apocalypses are ›forgeries‹ intended to deceive their audiences.« Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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Umgangs mit diesem Problem ist, einen Ausleseprozess vorauszusetzen, der letztlich implizit eine Gleichwertigkeit einer relativ großen Gruppe pseudepigraphischer Schriften mit den bereits existierenden Schriften, an denen sie gemessen werden, postuliert. Dies wird auch impliziert, wenn von »apokryph gewordenen Evangelien«131 gesprochen wird. Die sachliche Angemessenheit dieser Bezeichnung muss jedoch in Zweifel gezogen werden, gerade weil einer der zentralen Texte, die in diesem Zusammenhang immer genannt werden, das Thomasevangelium ist. Es scheint auf dem Hintergrund der vorliegenden Ausführungen sachlich angemessener, gerade bei pseudepigraphisch verfassten Texten aus den ersten Jahrhunderten des Christentums die Formulierung »kanonisch geworden« – so sie in den Kanon aufgenommen wurden – zu verwenden, bzw. davon zu sprechen, dass Texte eben nicht »kanonisch wurden«132, da die gegenständliche Formulierung »apokryph geworden« eine zeitliche Abfolge einer Anerkennung und danach einer nachträglichen negativen Beurteilung zu implizieren scheint. Auch waren Evangelien grundsätzlich wohl zuerst vor allem lokal verbreitet. Die allgemeine Anerkennung – und damit die Aufnahme in den Kanon – wird gewährt oder eben verwehrt. Und damit scheint es sachlich angemessener von einem »kanonisch werden« bzw. »nicht kanonisch werden« zu sprechen, da diese Sprachregelung keine impliziten Urteile über das Geschehen enthält. Wenn dann, wie im Fall des Thomasevangeliums, bei pseudepigraphischen Texten grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit und Bezogenheit auf sich bereits etablierende Überlieferungen konstatiert werden kann, so muss in besonderer Weise festgehalten werden, dass die Formulierung »apokryph geworden« zumindest bei diesem sich selbst als »geheim« bezeichnenden Text einen falschen Eindruck von den historischen Vorgängen erweckt. Man könnte in diesem Zusammenhang von Texten sprechen, die »in Konkurrenz mit den kanonisch gewordenen apokryph geblieben sind«133. Bei der Selbstbezeichnung mit dem Begriff ἀπόκρυφος ist somit als Kontext »die Konkurrenz der frühchristlichen Konfessionen und Gruppen um die Berechtigung ihres jeweiligen Anspruchs auf authentische Bewahrung der identitätsstiftenden Tradition«134 vorauszusetzen, dieser historische Kontext jedoch dahingehend zu präzisieren, dass es sich – am eindrücklichsten sicher im Fall des Thomasevangeliums – bei der Verknüpfung einer Pseudonymität mit der Selbstbezeichnung als ἀπόκρυφος im Sinne der geheimen Überlieferung 131 Vgl. Lührmann, Fragmente apokryph gewordener Evangelien (s. Anm. 25). 132 H.Y. Gamble, Pseudonymity and the New Testament Canon, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 333–362, hier 346, formuliert: »A number of writings explicitly claiming apostolic authorship failed to gain canonical standing …« 133 Vgl. D. Lührmann, Die apokryph gewordenen Evangelien. Studien zu neuen Texten und neuen Fragen (NT.S 112), Leiden 2004, xi: »Mir geht es jedoch im Kern nicht um das 1. Jh., sondern immer wieder um das 2. als die Entstehungszeit solcher Evangelien, die in Konkurrenz mit den kanonisch gewordenen apokryph geblieben sind.« 134 Wolter, Pseudonymität (s. Anm. 5), 664. Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM

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eben gerade um eine Identitätsstiftung in Abgrenzung zu bereits bestehenden Traditionen handelt. Kanonisch gewordene Pseudepigrapha waren – bei aller Neupositionierung – wohl doch im Vergleich mit dem Thomasevangelium tiefer in bereits etablierte Schulen eingebettet135. Für die zeitliche Einordnung und theologische Deutung des Thomasevangeliums scheint dieser Befund ebenso wichtig wie für die Frage der Entwicklung des Kanons. Da das Thomasevangelium bereits auf bestehende, als verbindlich empfundene Überlieferung durch die Fiktion der verborgenen Überlieferung in Verbindung mit einer fingierten apostolischen Verfasserschaft zu reagieren scheint, zeigt dies einmal mehr das enge Wechselspiel von apostolischer Überlieferung, apostolischem Amt und apostolischen Schriften bei der Entstehung des Kanons136. Dies gilt offensichtlich bereits für die Zeit der Entstehung des Thomasevangeliums137, das sich mit als autoritativ verstandenen Überlieferungen auseinandersetzt, obwohl zahlreiche Gemeinden zu dieser Zeit wohl nur ein einziges Evangelium in ihrem Besitz hatten138.

135 Vgl. hierzu auch J. Herzer, Fiktion oder Täuschung? Zur Diskussion über die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 489–536, bes. 531–536; siehe auch J. Leonhardt-Balzer, Pseudepigraphie und Gemeinde in den Johannesbriefen, in: ebd., 733–763, hier 763: »Das Ungewöhnliche ist jedoch, dass der hier dargelegte Befund nahelegt, dass sie wahrscheinlich schon zu Lebzeiten des Presbyters und in seinem engen Umfeld geschrieben worden sind. Dies drückt die enge Verbundenheit des Umfeldes des Presbyters aus und belegt, dass innerhalb der johanneischen Gemeinde die Wahrheit des Zeugnisses über die Autorschaft entscheidet und nicht die Person, die sie niederschreibt.« 136 Gamble, Pseudonymity (s. Anm. 132), 347: »It did so by developing and relying upon three closely correlative conceptions: apostolic tradition (teaching), apostolic succession (office) and apostolic writings (authoritative scriptures), all of which became effectively operative, even if not fully formalized and consolidated, during the second century.« 137 Selbst eine Datierung des Thomasevangeliums in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts würde dieses wohl in eine Zeit legen, in der ein Kanon von vier Evangelien noch nicht etabliert war; vgl. D.E. Aune, Reconceptualizing the Phenomenon of Ancient Pseudepigraphy, in: Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie (s. Anm. 2), 789–824, hier 795: »A collection of the fourfold Gospel, first mentioned by Irenaeus (ca. 180), was probably made no earlier than the middle of the second century.« 138 Vgl. hierzu Gamble, Pseudonymity (s. Anm. 132), 341: »Moreover, as Irenaeus acknowledges (Haer. 3.1.7), various Christian groups had been accustomed to use only single Gospels. Thus it appears that a collection of four Gospels attributed to Matthew, Mark, Luke and John did not come into being before about the middle of the second century.« Unauthenticated Download Date | 9/8/17 10:58 PM