Freie evangelische Gemeinde unser Name ein Programm

Hartmut Weyel Freie evangelische Gemeinde – unser Name ein Programm Einleitung Die Tatsache, dass es in unseren Städten und Dörfern nicht nur eine Ge...
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Hartmut Weyel

Freie evangelische Gemeinde – unser Name ein Programm Einleitung Die Tatsache, dass es in unseren Städten und Dörfern nicht nur eine Gemeinde oder Kirche, sondern eine verwirrende Vielfalt christlicher Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften gibt, wird von manchen nicht als Reichtum verstanden, sondern eher als Belastung. Nun ist seit 150 Jahren eine weitere christliche Gemeinde mit dem Namen „Freie evangelische Gemeinde“ in dieser verwirrenden Vielfalt aufgetaucht und man fragt sich: War das denn nötig? Und wenn das vielleicht damals nötig war, ist das aber heute noch nötig? Wäre es mit dem christlichen Zeugnis nicht besser bestellt, wenn es nur eine Kirche gäbe und wir alle zu einer Kirche gehörten? Und ganz konkret für Brühl gefragt: Musste man wirklich vor zehn Jahren eine vierte christliche Gemeinde in Brühl gründen? Oder hätte man sich nicht in einer der bestehenden Kirchen engagieren können? Es gibt sicherlich eine Reihe von Antworten auf diese Fragen. Die entscheidende Antwort hat mit dem Namen zu tun, für den sich die Gründerinnen und Gründer vor zehn Jahren entschieden, nämlich „Freie evangelische Gemeinde“. Damit stellten sie sich in eine Tradition von Gemeinden, die ein bewusstes Gemeindeverständnis und eine feste (frei)kirchliche Struktur hatten, die alternativ zu den Volkskirchen bestand. Warum taten sie das? Ist mit dem Namen „Freie evangelische Gemeinde“ auch ein Programm gemeint? Die Entstehung der Freien evangelischen Gemeinden in Deutschland Als am 22. November 1854 die erste Freie evangelische Gemeinde auf deutschem Boden im Wuppertal (Elberfeld/Barmen) ins Leben trat, war diese Gemeindebildung nicht der Akt irgend eines besonders frommen Menschen, der eigenbrötlerisch seine eigene Gemeinde haben wollte. Sie war auch nicht das Ergebnis einer plötzlichen Eingebung vom Himmel, die ein prophetisch begabter Mensch etwa in Form einer Vision oder Audition empfangen hätte. Sie hatte auch keine religions-politischen oder sozialen Hintergründe. Vielmehr ging ihr eine jahrelange innere Gewissensauseinandersetzung verschiedener durch die Erweckungsbewegung geprägter Christen voraus, die sich um die Frage drehte, wie die Gemeinde oder Kirche Jesu Christi nach dem Willen Gottes beschaffen sein solle.

Sie waren auf diese Frage gestoßen, weil sie im Zeitalter der beginnenden industriellen Revolution eine Entfremdung vieler Menschen vom Glauben und den Kirchen wahrnahmen und zu oft erlebten, dass die Volkskirchen dieser Herausforderung nicht nachkamen, etwa mit einer entsprechenden Verkündigung und Gemeindestruktur. Außerdem hatten sie die Bibel gelesen und die erheblichen Unterschiede festgestellt zwischen den urchristlichen Gemeinden und wie sich Kirche seither grundlegend verändert hatte. Sie fragten daher: Wenn die vorhandenen Landes- oder Volkskirchen im grundsatzlichen Aufbau nicht mehr dem Bauplan Gottes entsprechen, soll und darf man dann eine neue und andere Gemeinde gründen? Deshalb tat man sich mit der Gemeindegründung schwer. Nicht wegen sachlicher Zweifel, sondern aus Angst vor einer Zertrennung des Leibes Christi. Schwerwiegende Fragen mussten daher eine Antwort finden: • Rechtfertigen noch so starke Bedenken, die man einer Staatsund Volkskirche gegenüber hat, die Bildung einer unabhängigen freikirchlichen Gemeinde? • Darf man sich von Mitchristen trennen, die in der Landeskirche bleiben wollen? • Steht das Einheitsgebot Christi aus Johannes 17 nicht über allem? • Sind genügend überzeugte Christen da, die bereit sind, diesen Weg, der damals von Misstrauen, Diffamierungen, Anfeindungen und persönlichen Nachteilen in Beruf, Gesellschaft und Familie begleitet war, mitzugehen? Wenn es dann doch zur Gemeindebildung kam, wird man fragen müssen, was den Ausschlag gab. Ärger oder gar Streit mit Pfarrern oder Kirchenmitgliedern waren es nicht. Auch nicht der Ärger über zeitbedingte Mängel oder Fehlverhalten in der Kirche gab den Ausschlag. Solche Mängel gab und gibt es mehr oder weniger in allen Gemeinden und Kirchen, auch in freikirchlichen Gemeinden. Ebenso wenig war es der idealistische Wunsch nach der berühmt-berüchtigten reinen oder vollkommenen Gemeinde. So waren auch die neutestamentlichen Gemeinden nicht beschaffen. Nein, die Gründe, die alle Bedenken überwanden, lagen darin, dass den Beteiligten klar geworden war: Auch in der Frage nach der Gemeinde, wie Gott sie geschaffen und gewollt hat, müssen wir dem Wort Gottes folgen. Die Bildung der Gemeinde und der Austritt aus der Volkskirche bedeutete deshalb für sie ein „Akt des Gewissens“, wie sie es in ihrem Kirchenaustrittsschreiben vom 30. Nov. 1854 formulierten. „Es handelt sich für uns nicht um herrschende Übelstände, um eine mangelhafte Praxis in der Kirche, die mit der Zeit und nach Umständen besser werden könnte, es handelt sich für uns vielmehr um die Grundlage der bestehenden Volkskirche, in welcher der Ungläubige mit dem Gläubigen auf Grund einer Massenkonfirmation dasselbe Recht genießt.“

Im Unterschied dazu sahen sie „die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens, um Christus anzugehören“ und folgerichtig auch die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens, um der Gemeinde anzugehören und am Abendmahl teilnehmen zu dürfen. Es handelte sich also bei der Entstehung der Freien evangelischen Gemeinde um eine Grundsatzentscheidung bezüglich der Frage nach dem Wesen der Kirche Jesu Christi und wie sie dem Wesen entsprechend ihre konkrete Gestalt in der Gemeinde vor Ort finden soll. Die entscheidende Ausgangsfrage dabei lautete: •



Ist die Kirche Jesu Christi und damit auch die Ortsgemeinde grundsätzlich eine Gemeinde nur der Glaubenden, wobei sich der Glaube, wie ihn die Bibel beschreibt, durch Wort und Tat (Bekenntnis mit dem Mund; Glaube, der durch die Liebe tätig ist; Früchte des Geistes) zu erkennen gibt? Oder ist die Kirche bzw. Gemeinde Jesu Christi zusammengesetzt aus einer Mischung von Glaubenden und Nichtglaubenden, weil der Glaube und der Nichtglaube weder erkannt noch unterschieden werden können? Können deshalb alle, die, wie auch immer, zu einer Kirche gehören, als Christen angesprochen werden und entsprechend gleichberechtigt an den Angeboten, Entscheidungen, Tätigkeiten und Verantwortungen der Kirche teilnehmen?

Wenn nach dem Bauplan Gottes die Gemeinde grundsätzlich Gemeinde der Glaubenden ist und sein soll, dann können ihr nur solche angehören, die den Ruf Gottes durch die Verkündigung des Evangeliums gehört und ihm Glauben geschenkt haben, die durch Gottes gnädiges Handeln bekehrt und wiedergeboren und somit in den Leib Christi eingegliedert wurden. Da die Väter und Mütter der FeG diesen Bauplan Gottes in den Volkskirchen vielleicht partiell, aber nicht strukturell angelegt und praktiziert sahen, gab es für sie keinen anderen Weg, als dem Wort Gottes und ihrem Gewissen zu folgen und eine anders geartete Gemeinde zu gründen. Der Name der Gemeinde ist ein Programm Die Gründer der Gemeinde überlegten und diskutierten einige Zeit, wie sie die zu gründende Gemeinde benennen sollten. Schließlich entschieden sie sich nach dem schweizerischen und französischen Vorbild, durch das sie wesentlich inspiriert worden waren, für den Namen „Freie evangelische Gemeinde“. Sie sahen in diesem Namen sowohl das innere, biblisch-theologische Programm der Gemeinde beschrieben als auch die für Staat und Gesellschaft wichtigen Kennzeichen der Gemeinde ausgedrückt. Die Gemeinde wurde nicht nach einem Menschen benannt, etwa nach dem herausragenden Gründer Hermann Heinrich Grafe. Auch nicht nach einer konfessionellen Eigenart oder irgendeinem

Schwerpunkt der Lehre. Die Männer und Frauen der ersten Stunde meinten offenbar mit der Namensgebung: • Die Gemeinde soll „frei“ sein. Denn ihr besonderes Merkmal ist Freiheit. • Die Gemeinde soll „evangelisch“ sein. Denn ihr entscheidendes Merkmal ist das Evangelium. • Die Gemeinde soll „Gemeinde“ sein. Denn ihr wesentliches Merkmal ist die Gemeinschaft der Glaubenden. 1. Das Merkmal "frei" Nun ist gerade das erste Merkmal „frei“ bzw. „Freiheit“ mit vielen Missverständnissen behaftet. Manche glauben, damit sei „freireligiös“ oder „freidenkerisch“ gemeint. Andere vermuten dahinter eine Freiheit, bei jeder tun und lassen könne, was er wolle, bei der jeder glauben könne, was er wolle, leben, wie er wolle, kommen und gehen, wann er wolle. Im Ergebnis wäre das dann eine bindungslose und überspitzte individualistische oder sogar egoistische Freiheit. So aber sieht diese Freiheit nicht aus. Es ist die Befreiung, die ein Mensch erfährt, wenn er Gott begegnet und dabei erlebt, dass er Gottes Gnade durch nichts verdienen musste, sondern dass sie ganz und gar freie, unverdiente Gnade ist. Wer das erlebt, erkennt plötzlich, dass Gott auch keine religiöse Zeremonie oder kirchliche Handlung als Vorleistung von ihm fordert, um ihm erst dann gnädig zu sein. Er oder sie sieht sich dadurch zu einer mündigen Persönlichkeit befreit, die nicht mehr irgendwelchen kirchlichen oder staatlichen Vorgaben folgen muss, sondern aus freier Entscheidung heraus der Wahrheit und dem Gewissen folgen kann. Das ist die Freiheit, wie sie Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth formuliert: „Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2.Kor. 3,17). Es geht also um die Freiheit, die von Gottes Geist gewirkt wird, und nicht um solche, die uns von anderen zugestanden wird oder die wir uns selbst nehmen. Die Freien evangelischen Gemeinden bezeichnen sich als „frei“, weil sie bestrebt sind, aus dieser Erfahrung der freien und befreienden Gnade Gottes die Konsequenzen für die Gestaltung des Gemeindelebens zu ziehen. Das heißt dann im einzelnen: • Zur Gemeinde gehört jemand nicht deshalb, weil Eltern, Großeltern oder sonstwer über ihn verfügen, solange er oder sie noch unmündig ist. Zur Gemeinde gehört ein Mensch aus einer eigenen Glaubensentscheidung heraus, die er frei und mündig dann treffen soll, wenn ihn Gottes Ruf trifft. • Dazu gehört die freie und eigene Entscheidung zur Taufe dann, wenn Gott dem Menschen Umkehr und Glauben geschenkt hat. Erst muss Gott an einem Menschen gehandelt haben, dann kann der Mensch frei darauf antworten. • In der Tauffrage sind Freie evangelische Gemeinden so frei, dass sie auch solchen Christen die volle Gemeindemitgliedschaft ermöglichen, die sich auf die an ihnen vollzogene Kleinkindertaufe zurückbeziehen und sie als für sich gültig geschehen ansehen.











Freiheit leben sie so, dass die Tür zur Gemeindemitgliedschaft so weit ist, dass alle an Christus Glaubenden Mitglied werden können, unabhängig davon, welche zweitrangigen Auffassungen sie sonst bevorzugen. Die Tür zur Gemeindemitgliedschaft soll aber gleichzeitig so eng sein, dass nur Glaubende hindurchfinden. Freiheit praktizieren Freie evangelische Gemeinden als Toleranz des Glaubens, die die persönliche Geschichte und Gewissensüberzeugung des Einzelnen vor Gott achtet. Entsprechend stehen sie für Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Gemeinde wie in der Gesellschaft ein. Eine Freie evangelische Gemeinde zu sein, bedeutet für sie auch, ihre Freiheit gegenüber jeder kirchenbehördlichen oder staatlichen Bevormundung zu wahren. Sie lebt als freie Gemeinde frei im Staat und frei vom Staat. Sie verzichtet auf jede vorgeschriebene oder zwanghafte Kirchensteuer und erbittet statt dessen freiwillige Gaben und Beiträge zum Unterhalt der Gemeinde. Freiheit bedeutet für sie, frei zu sein auch in der Ausübung, Form und Gestaltung der Gottesdienste, der Predigt, der Organisation ohne an feste Liturgien, Dogmen oder Kirchenordnungen gebunden zu sein. Freie evangelische Gemeinden bejahen das besondere Amt des Pastors und das der Gemeindeleitung, aber sie sind frei, jeden Christen entsprechend seiner Begabung zur Mitarbeit, zur Mitverantwortung und zur Mitbestimmung innerhalb des allgemeinen Priestertums zu berufen, ohne von einem ordinierten Amt abhängig zu sein.

Die Freien evangelischen Gemeinden möchten frei sein und bleiben, um dem Geist Gottes, der weht, wo er will, möglichst weiten Raum zu schaffen. 2. Das Merkmal "evangelisch" Eine solche Freiheit kann nur Freiheit bleiben, wenn sie evangelische Freiheit bleibt. Die Freien evangelischen Gemeinden stellen deshalb in die Mitte ihres Namens das Wort „evangelisch“. Das ist nicht so sehr konfessionell gemeint, obwohl sie sich zu den evangelischen oder protestantischen Kirchen und Gemeinden zählen. Damit ist vielmehr gemeint, dass sie ihren Glauben, ihr Leben, ihre Verkündigung, ihre Lehre und ihre Hoffnung allein auf das Evangelium gründen. Mit Evangelium ist alles das gemeint, was Gott durch Jesus Christus für das Heil und Wohl der Menschen getan hat, damit sie befreit und sinnvoll leben können. Zum Evangelium gehört nicht nur die gute Nachricht, dass wir Menschen durch den persönlichen Glauben an Christus zu neuen Menschen wiedergeboren und Kinder Gottes werden, sondern auch die gute Nachricht, dass Gott seinen Kindern eine Gemeinde geschaffen hat, in der sie leben und

Gott loben, sich einbringen und entfalten können, in der sie gefördert und bewahrt werden. „Evangelisch sein“ bedeutet für Freie evangelische Gemeinden, sowohl bei der Frage nach dem Glauben als auch bei der Frage nach der Gemeinde, die ständige Rückfrage nach der Bibel zu stellen, besonders nach dem Neuen Testament. Sie möchten nicht nur zeitgemäß sein, sondern auch schriftgemäß. Sie berufen sich damit auf die Reformatoren, die gegenüber allen Fehlentwicklungen in der Kirchengeschichte deutlich hervorhoben: Die Schrift allein! Christus allein! Die Gnade allein! Der Glaube allein! Darin wollen sie reformatorisch und evangelisch sein. Die Freien evangelischen Gemeinden möchten die reformatorische Entdeckung des Evangeliums aber nicht nur auf den einzelnen Glaubenden bezogen wissen, sondern den Schritt folgerichtig weitergehen mit der Darstellung von Gemeinden von Glaubenden. Sie wollen nicht nur evangelisch sein in der Rechtfertigungslehre, sondern auch in der Gemeindelehre. Das Evangelium soll auch der Grund und Maßstab für den Aufbau, die Strukturen und Ordnungen der Gemeinde vor Ort bilden. Dabei kann es nicht darum gehen, auf biblizistischem oder fundamentalistischem Weg die neutestamentlichen Gemeinden zu kopieren. Es geht nicht ums Kopieren, sondern ums Kapieren! Freie evangelische Gemeinden versuchen zu kapieren, welche Grundstrukturen von Gemeinde Gott in der biblischen Urkunde offenbart hat. Entsprechend versuchen sie auf dem „Grund der Apostel und Propheten, wobei Christus Jesus der Eckstein ist“ (Eph. 2,20) Gemeinde zu bauen, „denn einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1.Kor. 3,11). Deshalb sollen keine außerbiblische Lehre und keine Sondererkenntnisse irgendwelcher Menschen die Gemeinde bestimmen. Keine kirchengeschichtliche Tradition soll maßgebend werden. Freie evangelische Gemeinden wollen schlicht und einfach evangelisch sein, d.h. das Evangelium verkündigen, vom Evangelium her leben und dem Evangelium gemäß Gemeinde bauen, also den biblischen Verheißungen und Leitlinien entsprechend Gemeinde gestalten. 3. Das Merkmal "Gemeinde" In der Reformation sehen die Freien evangelischen Gemeinden Ansätze, wie tatsächlich eine evangelische Gemeinde oder Kirche aussehen könnte. Der junge Luther entwarf in seiner "Vorrede zur Deutschen Messe", die 1526 erschienen war, eine Vision von Gemeinde, wie sie der Vorstellung von Freien evangelischen Gemeinden nahe kommt. Aber, so Luther: „ich kann und mag noch nicht eine solche Gemeinde oder Versammlung ordnen oder einrichten. Denn ich habe noch nicht Leute oder Personen dazu und sehe auch nicht viele, die dazu drängen.

Kommt es aber, dass ich es tun muss und dazu gedrungen werde, dass ich es aus gutem Gewissen nicht lassen kann, so will ich das meine gerne dazu tun und das beste, so ich vermag, helfen.“ Luther meinte, er müsse aber noch so lange warten, „bis dass die Christen, so mit Ernst das Wort meinen, sich selbst finden und dazu anhalten, damit nicht eine Rotterei daraus werde, wenn ich es mit meinem Kopf dahintreiben wollte. Denn wir Deutschen sind ein wildes, rohes, tobendes Volk, mit dem nicht leicht etwas anzufangen ist, es treibe denn die höchste Not.“ (W.A. 19,74-75). Luther hat leider nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass sich damals eine reformatorische Gemeindebewegung bildete (die vereinfachend "Täuferbewegung" genannt wird), deren Vorstellung von Gemeinde vielfach dem entsprach, was Luther skizziert hatte. Sie nahmen Luther beim Wort und hielten ihm vor, dass genügend Leute vorhanden seien, die nicht nur „mit Ernst“ Christen sein wollten, sondern auch auf die Verwirklichung eines biblischen und evangelischen Gemeindemodells drängten. Es ist und bleibt bei aller Größe Luthers seine persönliche Tragik, in der Frage nach der Reformation der Gemeinde oder Kirche inkonsequent auf halbem Weg steckengeblieben zu sein oder sich gar wieder zurück entwickelt zu haben. Freie evangelische Gemeinden setzen da an und versuchen, die Reformation auch in der Gemeindefrage weiterzuführen und zu vollenden. Weil sie Gemeinden der Glaubenden sein möchten, verstehen sie sich nicht als Volkskirche, obwohl sie Gemeinde für das Volk sein möchten. Sie nennen sich auch nicht „Freie evangelische Kirche“, sondern verwenden – wie übrigens auch Luther – für den neutestamentlichen Begriff „ecclesia“ das Wort „Gemeine“ (heute: Gemeinde), um deutlich zu machen, dass es dabei um ein Gemeinwesen von Glaubenden geht. Das Wort „Gemeinde“ sagt nämlich aus, dass alle, die zu ihr gehören, das eine gemein (= gemeinsam) haben, nämlich das Bekenntnis des persönlichen Glaubens an Jesus Christus, die gemeinsame Zugehörigkeit zu ihm und zu seinem Leib, der Gemeinde. Gemeinde sehen die Freien evangelischen Gemeinden so definiert, wie es in der Apostelgeschichte von der Urgemeinde in Jerusalem berichtet wird: „Alle, die gläubig geworden waren“, heißt es dort, „bildeten eine Gemeinschaft. Alle kamen einmütig zusammen. Sie hielten an der Lehre der Apostel fest, an der Gemeinschaft, am Mahl des Herrn und an den gemeinsamen Gebeten. Sie waren ein Herz und eine Seele. Von den übrigen wagte niemand, sich ihnen anzuschließen“ (Apg. 2, 42.44; 4,32; 5,12.13). An dieser Beschreibung wird ganz deutlich, dass die Gemeinde kein beliebiges, unverbindliches Sammelsurium ist, sondern eine Gemeinde derer, „die gläubig geworden“ sind. Sie lebt wie ein menschlicher Körper, dessen Teile fest mit ihm und miteinander verbunden sind, die alle zusammengehören und zusammenwirken (Eph. 4, 15.16). Man kennt sich, kann sich umeinander kümmern, kann miteinander Freude und Leid teilen. Man

hört gemeinsam das Wort Gottes und pflegt gemeinsam Umgang mit der Bibel, um im Glauben zu wachsen. Man kann gemeinsam der missionarischen und sozialen Verantwortung für die Gesellschaft nachkommen und ein Zeichen für die Wirklichkeit des Reiches Gottes in unserer Welt setzen. So ist die Gemeinde das Volk Gottes und der Leib des Christus und der Tempel des Heiligen Geistes. Schlussbemerkung Die Freien evangelischen Gemeinden sind bestrebt, sich diese Wahrheit über die biblische Gemeinde immer wieder zu eigen machen und sie zu verwirklichen. Deshalb verstehen sie ihren Namen auch als Programm. Sie sind keine Kirche, deren Nachwuchs garantiert ist. Deshalb werden sie nur bestehen, wenn sich Menschen durch Gott zum Glauben an Jesus Christus rufen lassen. Der Ruf zu Jesus ist aber immer auch der Ruf zur Gemeinde Jesu, denn zu Jesus gehört nicht nur der Kopf, sondern auch der Leib. Und der Leib ist die Gemeinde. „Freie evangelische Gemeinde – unser Name ein Programm“ hieß das Thema heute Abend. Ich hoffe sehr, dass es mir gelungen ist, Ihnen deutlich zu machen, worum es bei den drei Begriffen „frei“, „evangelisch“ und „Gemeinde“ geht: Nicht nur um einen Namen, sondern um ein Grundverständis von Gemeinde, das sich lohnt, immer wieder in die Realität umgesetzt zu werden.