Frauen und die Krise in Griechenland

Frauen und die Krise in Griechenland „Das Griechenland- und Griechenbild ist bei weitem differenzierter; die griechische Gesellschaft zu verstehen is...
Author: Berndt Schuler
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Frauen und die Krise in Griechenland

„Das Griechenland- und Griechenbild ist bei weitem differenzierter; die griechische Gesellschaft zu verstehen ist keine einfache Sache.“ D.A. Sotiropoulos, The social situation of Greece under the crisis : basic socio-economic data for Greece, 2011 / Dimitri A. Sotiropoulos. - Berlin : Friedrich-EbertStiftung, Department of Western Europa/North America, 2012. - [16] S. = 150 KB, PDF-File. (Study / Friedrich-Ebert-Stiftung) Electronic ed.: Berlin ; Bonn : FES, 2012 ISBN 978-3-86498-282http://library.fes.de/pdf-files/id/09330.pdf

Krisendebatte: Wer ist Schuld an der Krise?   

Die strukturellen Probleme der griechischen Gesellschaft (= Wirtschaft, politisches System, Kultur), sagen die Einen. Die globale Wirtschaftskrise und die Politik der Troika (EU, IMF, EZB), sagen die anderen. Beides, besagt eine dritte Meinung, die ich auch teile.

Diese dritte Meinung wird, so meine Argumentation, auch im Falle der Situation von Frauen, bestätigt. Die Krise und die Frauen: Neue Realitäten? Böses Erstaunen? Erwacht man im Alptraum? Nein! Es werden alte Gespenster sichtbar Alte Sünden rächen sich Aber auch: Die Konsequenzen bekannter Probleme steigern sich extrem wegen der Krise Was ging schon vorher schief? 

Die allgemein niedrige Beteiligung der Bevölkerung am Arbeitsmarkt (2010: 59,6%) ist hauptsächlich auf die traditionelle Rolle der Frau und auf die patriarchalische Kultur zurueckzuführen, die in GR noch herrscht.

Wie könnte man den aktuellen Stand der Dinge beschreiben? 1. 2. 3. 4.

alte Sünden neue Fehltritte akute Drohungen mangelnde Perspektiven

Was sind „alte Sünden“? Man muss z.B. scharf unterscheiden zwischen: • •

Ausländischen Migrantinnen (legal+illegal) und Griechischen Frauen

Wie viele Migrantinnen? In Griechenland leben im Moment etwa 911.929 Ausländer/innen (offiziell angemeldet), in der Realität rechnet man mit ungefähr der doppelten Menge Über 50% kommen aus Albanien Frauen darunter: etwa 45% Gesamtbevölkerung Griechenlands geschätzt rund 11,3 Millionen Einwohner

Griechenland ist ein Transit-Land: UNHCR-Mitarbeiterin: gemäß FRONTEX (= Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) kommen etwa 80% der nach Europa flüchtenden Menschen über Griechenland Für Weltregionen wie • Nordafrika • Länder südlich der Sahara und • Südasien bleibt GR nach wie vor eine Übergangsregion, eine “transit area”; demnach hat die Migrant/innenwelle nach GR nicht nachgelassen. Trafficking [=Human Trafficking bezeichnet das rechtswidrige „Verschicken“ (daher Traffic, der Verkehr) von Menschen. Häufig liegt dem ein Migrationshintergrund zugrunde: Um die Einwanderungsbarrieren der westlichen Wohlfahrtsstaaten zu durchbrechen, begeben sich die Einreisewilligen in die Hände sogenannter Schleuser. Diese Schleuserbanden organisieren gegen entsprechende Bezahlung die unrechtmäßige Einreise ins Zielland, Quelle: wikipedia] , Prostitution,

Prostitution von Kindern, schlecht bezahlte Arbeit, illegale Arbeit ohne Sozialversicherung „alte Sünden“ (weiter) 1. Der Fall Konstantina Kuneva [s. auch unter http://gewerkschafterinnen.amnesty.at/artikel_archiv/Aktivistin_201005.pdf]

Die Arbeitsmigrantin und Gewerkschafterin Konstantina Kuneva aus Bulgarien, die sich für Arbeiterinnenrechte engagierte, wurde am 22. Dezember 2008 schwer verletzt, als ein Mann ihr Schwefelsäure ins Gesicht schüttete. Der Fall Kouneva ist auf das Jahr 2008 zurückzuführen. Die bulgarische Putzfrau Konstantina Kouneva, Sekretaerin der entsprechenden Gewerkschaft, die fuer eine private Firma arbeitete und im oeffentlichrechtlichen ISAP tätig war, wurde mit Gift (Vitriol) attakiert. Der Fall Kouneva brachte dunkelste Aspekte der weiblichen- und der Migrantinnen-Arbeit in die Oberflaeche. Es war 2008. Man kann sich vorstellen, in welchem Masse und Grad die Probleme nun während der Krise eskalierten. 2. Trafficking und Prostitution: die weibliche Version der «blutigen Erdbeeren» von Manolada: Zwangsprostitution, in einem Ort, an dem auch die männlichen Gastarbeiter wie die Sklaven arbeiten: „Die Gegend um Manolada im Nordwesten des Peloponnes ist bekannt für den Erdbeeranbau. Auf den Feldern und in den Gewächshäusern arbeiten überwiegend Migranten, von denen viele illegal und zu Hungerlöhnen beschäftigt sind. Am Mittwochabend (gemeint ist der Mittwoch, 17. April 2013) kam es dort (: in Manolada) zu einem blutigen Zusammenstoss: Drei griechische Vorarbeiter schossen auf eine Gruppe von rund 200 aus Bangladesh und Pakistan stammenden Arbeitern, die protestierten, weil sie offenbar seit sechs Monaten keinen Lohn erhalten hatten. Durch die Schüsse wurden mehrere Arbeiter getroffen. Griechische Medien machten zur Anzahl und Schwere der Verletzungen unterschiedliche Angaben. Es scheint, dass mehr als zwei Dutzend Migranten verletzt wurden. Sie wurden in umliegende Spitäler gebracht. Der staatliche Sender ERT zeigte am Donnerstag Aufnahmen sichtlich traumatisierter Opfer der Schiesserei. Der Besitzer des Betriebs, wo es zu der Schiesserei kam, wurde festgenommen. Bereits im Jahr 2008 war Manolada in die Schlagzeilen geraten, als dort Arbeiter aus Asien und Osteuropa vier Tage lang für bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Entlöhnung streikten. 2009 banden Bauern zwei Männer aus Bangladesh, denen der Diebstahl von Schafen vorgeworfen wurde, an ihre Motorräder und schleiften sie durch den Ort. Letztes Jahr klemmten zwei Einheimische einen aus Ägypten stammenden Arbeiter in der Türe seines Wagens ein und schleiften ihn durch den Ort, bevor sie ihn bewusstlos auf die Straße warfen. Auch diesem Fall soll ein Streit um die Nichtauszahlung von Löhnen vorangegangen sein. Quelle: Neue Züricher Zeitung, April 2013. Wo die männlichen Migranten unter solchen Bedingungen arbeiten, gibt es eine noch niedrigere Stufe in dem Maßstab des menschlichen Elends, nämlich die der Prostituierten, die für diese Männer vor Ort arbeiten. Nach Angaben der griechischen Presse leben und „arbeiten“ diese Frauen – oft auch selbst Opfer des Menschenhandels- unter unvorstellbaren Bedingungen, auf den Feldern.

Rassismus, Populismus, Frauendiskriminierung • •

Ausländische Prostituierte werden für die Ausbreitung des HIV in der griechischen Bevölkerung beschuldigt “Die griechische Familie wird über die illegale Migrantin durch den griechischen Freier angesteckt” (ex-PASOK Gesundheitsminister Andreas Loverdos, Ende April 2012)



Im Mai 2012, kurz vor den Wahlen, werden HIV-positive Prostituierten an den Pranger gestellt



„Gesundheitliche Zeitbomben“, so werden die ausländischen Prostituierten durch die damaligen PASOK-Minister Chryssochoidis und Loverdos bezeichnet.

Die griechischen Frauen in der Zeit vor der Krise • • • •

Hohe Arbeitslosigkeit Sehr begrenzte Arbeitslosenhilfe Prekäre Arbeitsverhältnisse Starke Diskriminierung

Flexible Arbeitsstellen vor allem in den Breichen: Putzen, Kinder- und Altenpflege, Krankenbetreuung aber auch in Tourismus+ Landwirtschaft bleiben NACH WIE VOR nicht reguliert: da arbeiten aber vorwiegend GASTARBEITERINNEN, d.h. ausländische Frauen oft unter mittelalterlichen Bedingungen. Kinderpflege (Quelle: Kambouri, Nelli Gender equality in the Greek labour market : the gaps narrow, inequalities persist / Nelli Kambouri. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, Western Europe/North America, 2013. - 15 S. = 150 KB, PDF-File. Electronic ed.: Berlin : FES, 2013 ISBN 978-3-86498-504-1 http://library.fes.de/pdf-files/id/09822.pdf)

Die Anträge nach öffentlichrechtlicher Kinderpflege für sehr kleine Kinder wuchsen erheblich nach 2009. 24.856 Frauen beantragten solche Pflege im Jahre 2010, ihre Anzahl verdreifachte sich fast auf 78.348 in 2012 ; die entsprechende Anzahl der Kinder wuchs von 30.846 auf 96.130. Im Jahre 2012 wurden nur 47.881 Frauen und 57.534 Kindern diese Pflege eingeräumt. Mehr als 35% der Anträge wurden abgelehnt. Merkmale der griechischen Arbeitslosigkeit • •

Arbeitslosenzahl März 2013: 1.321.000 Empfänger von Arbeitslosenhilfe kaum über 245.000 (15,6% der Arbeitslosen).



Arbeitslosenhilfe für langjährig Arbeitslose dauert höchstens 12 Monate und deckt nur 0,7% der Fälle



Mehr als eine Million Arbeitslose bekommen keine Hilfe ...

• •

Armut unter den Arbeitslosen: 38,5% in 2010 2012: 19,4% der Arbeitslosen lebten dann nicht bloss in Armut sondern: in extremer Armut



Auch vor der Krise stellten die jungen Frauen die große Mehrheit unter den griechischen Arbeitslosen



Jetzt: Junge Frauen: am schlimmsten betroffen.

• • •

3tes Viertel 2012 Frauenarbeitslosigkeit im Alter 20-29: 48,2% [Männer entsprechend 39,2%]



Fast jede 2te junge Frau ist in Griechenland arbeitslos

Auswirkungen: soziale Situation, Politik, Migration bes. der hochqualifizierten Kräfte [Stichwort: „mangelnde Perspektiven“] Akute Drohungen: Armut, extreme Armut Keine Arbeitslosen-Unterstützung, weil: im Bereich der Selbstbeschäftigten sind die Frauen überrepräsentiert: die arbeitslosen Selbstständigen bekommen aber kein Arbeitslosengeld, d.h. es handelt sich dabei um eine indirekte Diskriminierung. Neue Fehltritte • Anti-Diskriminierungsmaßnahmen sind in keiner Fassung der Memorandi vorgesehen/Anpassungsprogrammen (vereinbart zwischen der griechischen Regierung und der sogenannten „Troika“, das sind die Vertreter der EU, des IWF und der EZB) • d.h. die mit der Troika vereinbarte Sparpolitik berücksichtigt die Frauen nicht im geringsten Akute Drohungen Wieder scharf unterscheiden zwischen Griechinnen und Ausländerinnen Frauen und Rassismus/ Ausländerhass in GR •

[z.B. der oben erwähnte Fall Loverdos]

Politische Partizipation •

Verbindliche Frauenquote für die politischen Parteien Griechenlands: 34,73

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Nationalwahlen 2012: Gesamtquote der Frauen, die im Parlament sind, 21% SYRIZA 35,21% ANEL 35% DIMAR 29,41% ND 13,95% PASOK 9,09%

Frauenthemen: verschwiegen in der öffentlichen Krisendebatte • • • • •

ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen Diskriminierung bei Personaleinstellung und beruflichem Aufstieg Sexuelle Belästigung Prekäre Beschäftigung Verletzung des Arbeitsrechts im Bereich der Gleichberechtigung

• •

Feministische Gruppen sind selten beteiligt an der öffentlichen Diskussion, am Prozess der Entscheidungen, an den Massenmedien. Unterrepräsentiert in den Gewerkschaften



…das war auch vor der Krise der Fall…

Wähler der Neo-Nazi-Partei „Goldene Morgenröte“ • •

Männer 76% Frauen 24%

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Alter 18-24 15% Alter 25-34 25% Alter 35-44 24% Alter 45-54 18% Alter 55-64 11% Alter 65+ 7% Bildungsniveau Grundstufe 15% Bildungsniveau höhere Schulbildung 58%

Wahlergebnisse 2012

akute Drohungen • •

Krise der Gleichberechtigung? Krise der Demokratie?

mangelnde Perspektiven • Wird aus der Zukunft ein Rückfall in die Vergangenheit? • Erwartet unsere Töchter das Leben unserer Großmütter? „gemeinschaftlicher Besitzstand“ Die Rechte der Frauen und die Gleichberechtigung sind Teil davon Droht GR zum Trojanischen Pferd zu werden?