Fallstricke bei der Diagnose

PARKINSONSYNDROME Fallstricke bei der Diagnose as idiopathische Parkinsonsyndrom (IPS) ist mit einer Prävalenz von 100–200/ 100 000 Einwohnern in Deu...
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PARKINSONSYNDROME

Fallstricke bei der Diagnose as idiopathische Parkinsonsyndrom (IPS) ist mit einer Prävalenz von 100–200/ 100 000 Einwohnern in Deutschland nach der Demenz vom Alzheimertyp die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Bei den über 65-Jährigen liegt die Prävalenz bei 1 800/100 000. Mit der Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung ist in Zukunft mit einer weiter steigenden Zahl von Betroffenen zu rechnen (1). Aus diesem Grund wird das IPS auch aus volkswirtschaftlichem Interesse zunehmend an Bedeutung gewinnen. Das IPS ist dabei in der klinischen Praxis für etwa 75 Prozent der Parkinsonsyndrome (PS) verantwortlich. Die übrigen Patienten leiden entweder an einem symptomatischen (sekundären) PS oder einem PS im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen (atypischen PS) mit jeweils unterschiedlicher klinischer Symptomatik und Prognose. Mit einer Prävalenz von 0,4 Prozent der älteren Bevölkerung tritt dabei die Demenz mit Lewy-Körpern (DLK) noch relativ häufig auf, seltener sind die Multisystematrophie (MSA, Prävalenz circa 5–10/100 000), die progressive supranukleäre Parese (PSP, Prävalenz circa 5–10/100 000) und die kortikobasale Degeneration (CBD, Prävalenz circa 1/100 000) zu diagnostizieren (2). Zur Begriffsklärung sei ergänzt, dass Bewegungsstörungs-Experten von einem kortikobasalen Syndrom sprechen, wenn einer der vier klinischen Phänotypen vorliegt, von einer kortikobasalen Degeneration erst, wenn die typische Pathologie bestätigt wurde (2, 3). Eine regelmäßige klinisch-syndromale und bildgebende Untersuchung von Patienten mit atypischen PS an spezialisierten Zentren sollte heute eine hinreichend gute Zuordnung zu diesen neuropathologisch definierten Krankheitsentitäten erlauben. Vielversprechend erscheinen dabei auch molekular basierte Diagnoseverfahren wie die Tau-Positronenemissionstomografie (vergleiche dazu die aktuelle Übersicht 2). In der Abgrenzung zur Parkinsonkrankheit haben neben den häufig bereits routinemäßig durchgeführten bildgebenden Verfahren (in erster Linie SchädelMagnetresonanztomographie, cMRT) in den letzten Jahren zunehmend auch einfach und rasch durchzu-

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Foto: Bernstein Center Freiburg, Gunnar Grah

Die Diagnose der verschiedenen Parkinsonsyndrome ist zunehmend sicherer geworden. Die Möglichkeit der Fehldiagnose besteht am ehesten in der Frühphase der Erkrankung.

führende, nicht invasive und kostengünstige Zusatzuntersuchungen wie die Hirnparenchymsonografie und Riechtests in der Früh- und Differenzialdiagnose von PS an Bedeutung gewonnen. Benchmark für die Diagnosestellung bleibt aber weiterhin die klinische Einschätzung des mit Bewegungsstörungen erfahrenen Experten, der den Betroffenen regelmäßig befragt und standardisiert untersucht. Die hierfür vorgeschlagene Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und aktuelle Vorschläge einer internationalen Expertengruppe sollen im Folgenden besprochen werden.

Definition und Klassifikation Ein Parkinson-Syndrom ist nach den derzeit gebräuchlichen Kriterien der „United Kingdom Parkinson᾽s Disease Society Brain Bank“ (4–7) definiert durch die obligate Akinese (besser: Hypo-/Bradykinese) und mindestens eines der folgenden, in unterschiedlicher Gewichtung auftretenden Kardinalsymptome: Rigor, Ruhetremor (4–6 Hz, selten bis 9 Hz, Auftreten in Ruhe, Abnahme bei Bewegungen) und/oder Posturale Instabilität Fakultative Begleitsymptome können sensorisch, vegetativ, psychisch und kognitiv sein (Tabelle 1). Parkinson-Syndrome werden in vier Gruppen unterteilt, die in Tabelle 2 zusammengestellt sind. Die neurodegenerativen PS werden heute auch nach pathologischen Kriterien in Synucleinopathien (IPS, MSA, DLK) und Tauopathien (PSP, CBD) klassifiziert. Die aktuell gültige Definition der ParkinsonKrankheit sah die oben genannte internationale Expertengruppe (8) durch folgende Punkte herausgefordert: ● Bislang galt als klassische Pathologie des IPS der Verlust dopaminerger Neurone mit häufig typi-

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Was im Gehirn eines Parkinsonpatienten geschieht, beschäftigt auch Ingenieure am Bernstein Center Freiburg. Sie haben ein mathematisches Modell entwickelt, das die veränderte neuronale Aktivität bei Parkinson erklären kann.

schen intrazytoplasmatischen Einschlusskörpern (Lewy-Körper). Diese Lewy-Körper enthalten verschiedene Proteine, darunter auch Alpha-Synuclein. Nun gibt es aber auch Patienten, insbesondere mit genetisch bedingten PS, bei denen keine Alpha-Synuclein-Ablagerungen nachgewiesen wurden. Andererseits fand man auch eine hohe Prävalenz von Lewy-Körpern als Zufallsbefund in den Gehirnen klinisch gesunder Patienten. ● Problematisch erscheint die Unterscheidung zwischen Parkinsondemenz und der Demenz mit Lewy-Körpern. Hier könnte überlegt werden, ob die Demenz als Ausschlusskriterium für eine Parkinsonkrankheit herauszunehmen wäre. ● Offensichtlich gibt es eine deutlich höhere Heterogenität von IPS-Subtypen, die man zukünftig auch formal diagnostisch klarer fassen sollte. ● Auch das zunehmende Wissen über nicht motorische Zeichen in Prodromal- und Frühstadien des IPS erfordert neue diagnostische Kriterien. Daher schlug man folgendes Vorgehen vor: ● Eine internationale Organisation von Experten für Bewegungsstörungen entwickelt formale diagnostische Kriterien für die klinische Diagnosestellung eines IPS. ● Parkinsonismus sollte als Kernsymptom, basierend auf den weiter oben unter „Begriffsdefinition“ genannten Kardinalzeichen weiter bestehen bleiben. Diese Kardinalsymptome sollten aber klar definiert werden und Anleitungen zu standardisierten Untersuchungen entwickelt werden. ● Benchmark für die Diagnosestellung sollte die klinische Untersuchung durch einen Experten sein und der diagnostische Prozess sollte soweit standardisiert werden, dass er auch für weniger Erfahrene beziehungsweise zwischen Ärzten spezialisierter Zentren reproduzierbar ist.

● Diagnosekriterien ● ● ●



sollten sowohl klare Ausschlusskriterien als auch die Diagnose positiv unterstützende Punkte beinhalten. Diese Kriterien sollten gewichtet werden, so dass hochspezifische Kriterien von „Red flags“ abgegrenzt werden können. Die Diagnosekriterien sollten eine zeitliche Komponente beinhalten; dabei steigt die Diagnosesicherheit mit der Dauer der Erkrankung. Die Kriterien sollten verschiedene Grade der Diagnosesicherheit beinhalten, zum Beispiel „klinisch definierte Parkinsonkrankheit“ oder „mögliche Parkinsonkrankheit“. Als Zusatzdiagnostik sollten solche Tests Berücksichtigung finden, die als spezifische diagnostische Marker gelten und ausreichend gut geprüft sind.

Die klinische Diagnose erfolgt in fünf Schritten 1. Diagnose eines Parkinsonsyndroms: Die motorischen Kardinalsymptome der Parkinsonkrankheit können vor allem zu Beginn klinisch nicht immer zuverlässig von den Symptomen atypischer PS (vgl. dazu 3. Schritt) unterschieden werden. Auch die anfängliche klinische Manifestation verschiedener heterogener genetisch determinierter neurodegenerativer Syndrome kann zu differenzialdiagnostischen Problemen führen. Erwähnenswert sind hier in erster Linie die Frontotemporale Demenz mit Parkinsonismus (FTDP-17) mit Mutation auf dem Tau-Gen (Chromosom 17) und den klinischen Leitsymptomen einer Verhaltensauffälligkeit mit Desinhibition, affektiver Verflachung, gestörter sozialer Interaktion und progredienter Demenz. Auch die HuntingtonKrankheit kann sich bei frühem Krankheitsbeginn (Westphal-Variante) mit einem progredienten akine-

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tisch-rigiden Syndrom präsentieren, ebenso einige Formen der heredodegenerativen Ataxien (10). Häufig bereitet im klinischen Alltag auch die Abgrenzung von anderen Tremor-Erkrankungen, insbesondere dem essenziellen Tremor, Schwierigkeiten. Vor allem wenn sich die Patienten mit einem einseitigen Halte- und Aktionstremor ohne eindeutige Bradykinese oder Rigor präsentieren beziehungsweise wenn Patienten mit – im Vorfeld klassischem essenziellen Tremor – zusätzlich einen Ruhetremor zeigen. Bei diesen Patienten kann ein Dopamintransporter-SPECT zur weiteren Erklärung hilfreich sei. Ganz aktuell (11) postulierte nun auch die Kieler Arbeitsgruppe, den altersassoziierten Tremor bei Patienten über 70 Jahren als eigene Entität vom essenziellen Tremor abzugrenzen. Letzterer ist in typischer Weise durch einen frühen Krankheitsbeginn, eine erbliche Komponente, mögliche zerebelläre Mitbeteiligung und recht benignen Krankheitsverlauf charakterisiert. Den postulierten altersassoziierten Tremor grenzen die Kieler Kollegen als neu aufgetretenen Tremor bei Patienten über 70 Jahren ab und vermuten eine neurodegenerative Erkrankung. Gründe dafür sehen sie in einer rascheren Progredienz der Symptomatik sowie der Assoziation mit einem schnelleren Alterungsprozess, gemessen an vermehrten kognitiven Defiziten, Kraftverlust und erhöhter Mortalität. 2. Anamnestische Kriterien, die auf ein symptomatisches PS oder häufige Differenzialdiagnosen hinweisen können: Entscheidend ist in diesem Schritt die gezielte Anamneseerhebung, in der speziell auch die Medikamentenanamnese beziehungsweise Exposition gegenüber Toxinen in zeitlichem Zusammenhang mit der Erstmanifestation der Parkinsonsymptome eruiert werden sollte. Nach rezidivierenden Schädel-Hirn-Traumata in der Vorgeschichte, einer diagnostisch gesicherten Encephalitis

oder wiederholten zerebralen ischämischen Insulten, die mit einer stufenweise Verschlechterung der Parkinsonsymptomatik assoziiert waren, sollte unbedingt gefragt werden. Remissionen über längere Perioden weisen auf die sehr selten psychogenen PS hin. Bei jedem Patienten sollte zur Diagnosestellung eine Basis-Laborchemie gehören (zum Beispiel Hypothyreose als mögliche Ursache einer Bradykinese und/oder Depression, Hyperthyreose als möglicher Auslöser/Verstärker einer Tremorsymptomatik). Bei Erkrankungsbeginn vor dem 50. Lebensjahr und Verdacht auf Morbus Wilson können die Bestimmung von Kupfer- und Coeruloplasmin im Serum sowie die Bestimmung der Ausscheidung von Kupfer im 24-Stunden-Sammelurin sinnvoll sein. Auch der augenärztliche Ausschluss eines Kayser-FleischerKornealrings gehört dann zur Abklärung. Jeder Patient sollte außerdem zu Erkrankungsbeginn einmalig eine zerebrale Bildgebung, mindestens eine cCT, besser eine cMRT erhalten. Hintergrund ist der Ausschluss strategischer vaskulärer oder anderer Läsionen in den Basalganglien, frontaler Tumoren oder des – häufig im Alter auftretenden – Normaldruckhydrozephalus. Die MRT-Diagnostik weist zusätzlich besser Ausmaß und Verteilung mikrovaskulärer Veränderungen nach und zeigt sensitiver und früher Atrophiezeichen beziehungsweise Hirnstamm- und infratentorielle Pathologien. Im Einzelfall kann auch die Abgrenzung neuropsychiatrischer Symptome der Parkinsonkrankheit von einer Majordepression schwierig sein. Interessenverlust und Apathie sind zentrale Symptome des depressiven Syndroms der Parkinsonkrankheit ebenso wie Ängstlichkeit und Panikattacken, während zum Beispiel die traurige Verstimmung, Suizidgedanken, Schuldgefühle und Suizidalität bei Parkinsonpatienten eher seltener auftreten (10, 12).

GRAFIK Bewegungsstörungen können das Bild einer Frontotemporalen Demenz (FTD) ergänzen oder prägen

Lewy-KörperchenDemenz

ParkinsonDemenz

Lewy-KörperchenErkrankungen

Bewegungsstörungen mit Demenz

PSP

CBD

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mit Sprechapraxie

Taupathien

Während die Lewy-Körper-Erkrankungen ein eigenes Erkrankungsspektrum zeigen, gibt es klinisch und histopathologisch Überlappungen im Bereich der Tauopathien und der TDP-43 Proteinopathien. PSP: Progressive Supranukleäre Paralyse

Primär nicht flüssige Aphasie

ohne Sprechapraxie

Frontotemporale Demenz

vFTD

SD

FTDALS

TDP-43 Proteinopathien

CBD: Kortikobasale Degeneration vFTD: Verhaltensvariante einer Frontotemporalen Demenz SD: Semantische Demenz FTD-ALS: Frontotemporale Demenz mit einer Motoneuronerkrankung

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(Quelle: modifiziert nach Josephs et al. 2008, 15).

Bewegungsstörungen mit Demenz

TABELLE 1

TABELLE 2

Klinisches Spektrum nicht motorischer Symptome bei Patienten mit idiopathischem Parkinsonsyndrom

Parkinsonsyndrome werden in 4 Gruppen unterteilt (DGN-Leitlinie)

Störungen von Affektivität und Stimmung

1. Idiopathisches PS (IPS, Parkinsonkrankheit, ca. 75 % aller PS) wird hinsichtlich der klinischen Symptome in folgende Verlaufsformen eingeteilt:

Anhedonie Apathie

akinetisch-rigider Typ

Angst und Panikattacken

Äquivalenz-Typ

Depression

Tremordominanz-Typ

Kognitive Dysfunktion

Monosymptomatischer Ruhetremor (seltene Variante)

Kognitive Verlangsamung („Bradyphrenie“)

2. Genetische Formen des PS

Frontal-dysexekutives Syndrom Demenz

3. PS im Rahmen anderer neurodegenerativer Erkrankungen (atypische PS):

Psychose

Demenz mit Lewy-Körpern (DLK)

Störungen der Schlaf-Wach-Regulation Einschlafstörung, Schlaffragmentierung

Multisystematrophie (MSA): Parkinsontyp (MSA-P) oder zerebellärer Typ (MSA-C)

REM-Schlaf-Verhaltensstörung

Progressive supranukleäre Parese (PSP)

Pathologische Tagesmüdigkeit

Kortikobasale Degeneration (CBD)

Dysautonomie

4. Symptomatische (sekundäre) PS:

Orthostatische Hypotonie

Medikamenteninduziert:

Neurogene Blasenentleerungsstörung (leichtgradig)

- klassische Neuroleptika, Antiemetika, Reserpin

Störungen der Sexualfunktion

- Lithium

Obstipation

- Kalziumantagonisten: Cinnarizin, Flunarizin

Temperaturdysregulation mit Schweißausbrüchen

- Valproinsäure

Seborrhö

Tumorbedingt

Schmerzen

Posttraumatisch

Störungen der Sensorik

Toxininduziert (z. B. durch Kohlenmonoxid, Mangan)

Riechstörungen (Schwelle, Diskrimination, Identifikation)

Entzündlich (AIDS-Enzephalopathie oder seltene Enzephalitiden)

Visuelle Dysfunktion (Farbwahrnehmung, Kontrastsensitivität, verminderte Sehschärfe)

Metabolisch (z. B. Morbus Wilson, Hypoparathyreoidismus)

Unspezifische und variable somatische Parästhesien Auswahl; modifiziert nach Poewe 2005

Auswahl; modifiziert nach 4

3. Warnsymptome, die auf ein atypisches PS hinweisen: Grundsätzliche Charakteristiken eines atypischen PS, die hellhörig machen sollten, sind eine nur vorübergehende, unzureichende oder fehlende Antwort auf Levodopa (L-Dopa) auch in ausreichenden Dosen, eine rasche Progredienz der Erkrankung, verbunden mit einer deutlich verkürzten Lebenserwartung sowie krankheitsspezifische Zeichen und Beschwerden, die das klinische Bild prägen und zum Teil diesen Erkrankungen ihre Namen gegeben haben. So weisen frühzeitig im Krankheitsverlauf auftretende Störungen des autonomen Nervensystems, zerebelläre Zeichen oder ein ausgeprägter Antekollis auf eine MSA hin. Aufgrund der Verlagerung des Körperschwerpunkts (unter anderem durch den Antekollis und die Kamptokormie) stürzen diese Patienten schon früh im Krankheitsverlauf immer nach vorne und werden häufig in den unfallchirurgischen Notfallambulanzen vorstellig. Früh im Krankheits-

verlauf auftretende posturale Instabilität und Stürze, insbesondere nach hinten, sind dagegen charakteristisch für die PSP, für die ja auch die supranukleäre vertikale Blickparese namensgebend war. Bei dieser Erkrankung prägen auch eine deutliche Dysphagie und Dysarthrie sowie lebhafte Muskeleigenreflexe und typischerweise ein positives Zeichen nach Babinski das klinische Bild. Tritt innerhalb des ersten Erkrankungsjahres eine Demenz auf, fallen Fluktuationen in Wachsamkeit und Aufmerksamkeit oder wiederholt visuelle Halluzinationen auf, ist an eine Demenz mit Lewy-Körpern (DLK) zu denken (vergleiche Tabelle 3). Bewegungsstörungen gehen häufig mit einer Demenz einher. Während die DLK ein eigenes Erkrankungsspektrum zeigt, gibt es klinisch und histopathologisch Überlappungen im Bereich der Tauopathien und der TDP-43 Proteinopathien. Interessant ist, dass in einigen Fällen einer Frontotemporalen Demenz

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● Nicht durch neurologische Zusatzsymptome zum

TABELLE 3

Beispiel im Sinne einer pyramidalen oder zerebellären Beteiligung oder Störungen der Okulomotorik (siehe oben) komplizierter klinischer Verlauf von zehn oder mehr Jahren. Daraus ergibt sich nun aber auch schlüssig, dass ein Patient mit einem PS mindestens halbjährlich fachärztlich klinisch-neurologisch untersucht und ein Staging durch entsprechende Skalen (UPDRS, Hoehn-&-Yahr-Stadium, Skala zur Erfassung nichtmotorischer Symptome) erhoben werden sollte. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe fakultativer Tests (L-Dopa-Test, Apomorphin-Test) und Untersuchungen wie zum Beispiel die funktionellen bildgebenden Verfahren des zentralen dopaminergen Systems, Hirnparenchymsonografie, olfaktorische Testung, autonome Testung oder quantitative Tremortestung), die in der Facharztpraxis oder in Spezialambulanzen Neurologischer Kliniken angeboten werden.

Warnsymptome, die auf ein atypisches PS hinweisen können (DGN-Leitlinie) 1. Nichtansprechen auf hohe Dosen L-Dopa (1 000 mg/d), sofern keine Malresorption (z. B. im Dünndarmbereich) vorliegt 2. Frühzeitig im Verlauf auftretende schwere Störungen des autonomen Nervensystems (orthostatische Hypotension, Synkopen, Impotenz oder verringerte genitale Erregbarkeit, Urininkontinenz oder -retention, Anhidrose) 3. Zerebelläre Zeichen 4. Positives Babinski-Zeichen, soweit nicht anderweitig erklärt (z. B. Schlaganfall) 5. Ausgeprägter Antekollis 6. Deutliche Dysphagie 7. Deutliche Dysarthrie 8. Supranukleäre vertikale Blickparese 9. Frühe posturale Instabilität und Stürze (insbesondere nach hinten) 10. Apraxie und/oder Aphasie 11. Innerhalb des ersten Jahres auftretende Demenz mit Sprach- und Gedächtnisstörungen 12. Stark fluktuierende Vigilanz und Müdigkeit

Diskussion und Ausblick

13. Innerhalb des ersten Jahres auftretende fluktuierende visuelle Halluzinationen

Die oben genannten klassischen Schritte zur Diagnosefindung bewähren sich gut im klinischen Alltag. Allerdings hat sich seit der Erstbeschreibung der Parkinsonkrankheit das Wissen über nichtmotorische Zeichen und über die Bedeutung von Umwelt- und genetischen Faktoren, Biomarkern und das Konzept neurodegenerativer Prozesse oft Jahre beziehungsweise Jahrzehnte vor Erstmanifestation motorischer Symptome deutlich erweitert. Diese wissenschaftlichen Fortschritte haben das Verständnis der Parkinsonkrankheit so grundsätzlich verändert, dass eine Neudefinition notwendig erscheint. Eine Task Force der International Parkinson and Movement Disorders Society (MDS) brachten 2014 diesen Diskussionsprozess in Gang (8). Sie lud dazu ein, auf ihrer Website über ihre Vorschläge zur Neudefinition des IPS zu diskutieren und eigene Ideen einzubringen. Diese wurden im August 2015 in der Zeitschrift Movement Disorders publiziert (16). Interessierte finden dort auch eine Checkliste, in der unter anderem unterstützende Diagnosekriterien, absolute Ausschlusskriterien und „Red flags“ angekreuzt und in ihrer Wertigkeit zusammenfassend gewürdigt ▄ werden können.

14. Somnolenzphasen, spontan oder nach Neuroleptikagebrauch

(FTD) auch Bewegungsstörungen das klinische Bild ergänzen oder prägen können. So findet sich eine Bewegungsstörung als Plussymptomatik der FTD zum Beispiel bei der Verhaltensvariante der Frontotemporalen Demenz (vFTD), die mit einem Parkinsonsyndrom einhergehen kann, der primär nichtflüssigen Aphasie, die häufiger mit den Symptomen einer PSP oder CBD vergesellschaftet ist und der Verbindung aus einer FTD und Amyotrophen Lateralsklerose (FTD-ALS). Dabei hat die histopathologische Klassifizierung der FTD in den letzten Jahren durch die Entdeckung der TDP-43 Proteinopathien (13) einen erheblichen Fortschritt gemacht (Abbildung 1). 4. Vorliegen einer familiären Form des IPS: Diese Diagnose ist möglich beziehungsweise wahrscheinlich, wenn der Patient von einer positiven Familienanamnese berichtet beziehungsweise bei besonders frühem Krankheitsbeginn vor dem 40. Lebensjahr. Sie kann gesichert werden durch eine nachgewiesene pathogene Mutation für eine familiäre Form der Parkinsonkrankheit. 5. Unterstützende Kriterien für ein IPS: Wenn mindestens drei der folgenden Symptome gegeben sind, spricht dies im Erkrankungsverlauf für ein klinisch sicheres IPS: ● Einseitiger Beginn und/oder persistierende Asymmetrie im Krankheitsverlauf einschließlich L-Dopa-induzierter Dyskinesien ● Ruhetremor ● Eindeutig positives Ansprechen auf L-Dopa mit Verbesserung von über 30 Prozent motorisch in der sogenannten Unified Parkinson᾽s Disease Rating Scale (UPDRS) Teil 3

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DOI: 10.3238/PersNeuro.2016.04.15.01 Priv.-Doz. Dr. med. Birgit Herting Klinik für Neurologie und Gerontoneurologie, Diakonie-Klinikum Schwäbisch Hall Prof. Dr. med. Heinz Reichmann Klinik und Poliklinik für Neurologie der TU Dresden Interessenkonflikt: Frau Herting erhielt Vortragshonorare von Zambon GmbH, reha team Nordwürttemberg GmbH, Merz Pharmaceuticals, Thomashilfen GmbH & Co. Medico KG, Abbvie, UCB Pharma, Medtronik GmbH, ProStrakan Pharma und Licher MT GmbH.

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Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit1516

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Fallstricke bei der Diagnose Die Diagnose der verschiedenen Parkinsonsyndrome ist zunehmend sicherer geworden. Die Möglichkeit der Fehldiagnose besteht am ehesten in der Frühphase der Erkrankung.

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