Es ging ihm also nicht um das Verhalten

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 6.10.2010, 20.15 Uhr Dr. Dorit Feddersen-Petersen Verhaltenswissenschaftlerin, ...
Author: Stefanie Kopp
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks

Sendung vom 6.10.2010, 20.15 Uhr

Dr. Dorit Feddersen-Petersen Verhaltenswissenschaftlerin, Forschungsschwerpunkt Wölfe/Hunde im Gespräch mit Dr. Ellen Norten Norten:

Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Bei uns geht es heute um Hundeforschung. Unser Studiogast ist Frau Dr. Dorit Urd FeddersenPetersen von der Universität Kiel. Wie sind Sie denn auf den Hund gekommen?

Feddersen-Petersen: Ganz zufällig, ich habe im Grunde genommen mit Hunden nur wenig im

Sinne gehabt. Ich war zoologisch interessiert, hatte aber aus privaten Gründen zunächst die Tiermedizin vorgeschoben. Ich wollte dann gerne über Katzen arbeiten, also über Feliden, am liebsten über Wild- und Hauskatzen. In einer Zeitschrift, ich glaube, es war der "Stern", wurde ich dann aber über die Pudelwölfe informiert, die in Kiel an der Universität herumliefen, gezüchtet von Professor Wolf Herre. Der Name war Programm! Das waren also Kreuzungen zwischen Wolf und Großpudel, an denen er morphologische und anatomische Untersuchungen machte. Norten:

Also über das Aussehen.

Feddersen-Petersen: Ja, es ging um das Aussehen und um bestimmte relative Gewichte von

Organen wie z. B. das relative Hirngewicht. Norten:

Es ging ihm also nicht um das Verhalten.

Feddersen-Petersen: Ja, aber es ging um die Domestikation: Was verändert sich auf dem Wege

von einem Wildtier zur Hausform, zu den vielen Haustierformen? Das fand ich spannend. Dann wurde ich auf die Arbeit von Erik Zimen aufmerksam, der ebenfalls in Kiel über Wölfe arbeitete und eigentlich einen Vergleich zwischen Pudel und Wolf und Pudelwölfe durchführen sollte, sich dann aber auf den Wolf "einschoss" und dann auch tatsächlich sehr viel über Wölfe gearbeitet hat. Ich habe mir gedacht, dass das da in Kiel genau das Richtige für mich sei, weil ich das als hochinteressant empfand. Ich habe dann gefragt, ob ich dort promovieren könnte. Das konnte ich tatsächlich und so habe ich dort eine Arbeit gemacht über Pudel-Goldschakal-Hybriden bzw. Kreuzungen. Norten:

Diese Kreuzung interessiert mich, denn man kann sich ja sehr wohl die Frage stellen, woher der Hund, wie wir ihn kennen, eigentlich kommt, dieser Haushund, dieser "beste Freund" des Menschen. Sie haben soeben gesagt, dass man den Pudel mit dem Wolf kreuzen kann. Sie haben nun aber auch den Goldschakal ins Gespräch gebracht. Wer ist denn nun der Urahn unseres Hundes?

Feddersen-Petersen: Das ist eindeutig der Wolf, obwohl das damals vielleicht noch nicht ganz

so eindeutig gewesen ist. Aber durch die molekulargenetischen Untersuchungen ist das dann immer eindeutiger und klarer geworden, ebenso durch archäologisch-zoologische Untersuchungen. Aber auch durch die Verhaltungsuntersuchungen ist das ziemlich deutlich und klar geworden. Das, was zu einer Art gehört, "das scharet und paaret sich", und zwar unter den Bedingungen der freien Gattenwahl, also ohne Zwang. Und das passiert eben bei diesen Wölfen und Hunden, d. h. es gibt da immer wieder Verpaarungen in freier Wildbahn. Das war bekannt. Dass sich aber Schakale und Hunde paaren, dass sie einander so positiv gegenüberstehen, hatte man bis dahin nie mitbekommen – auch dann nicht, wenn sie ein kleines bisschen unter sexuellem Notstand leiden. Darüber gab es jedenfalls keine Mitteilung. Es herrschte damals aber ganz einfach die Meinung von Konrad Lorenz vor, dass die meisten Hunde auf den Schakal zurückzuführen sind, auf den Canis Aureus, also aureus-blütig sind, und nur einige wenige auf den Wolf, wie die Chow-Chows, wie er sie hatte. Der Fuchs war seiner Meinung nach nur ein entfernter Verwandter und spielte hier keine Rolle. Ich sollte daher im Hinblick auf das Verhalten überprüfen, wie das überhaupt aussieht, ob es überhaupt klappen könnte zwischen Hunden und Schakalen. Das mit dem "Klappen" ist eben bereits der eine Punkt. Wölfe und Haushunde haben eine soziale Affinität: Sie mögen einander, weswegen man sie sehr gut aneinander gewöhnen, aneinander sozialisieren kann. Sie bilden daher auch Gruppen miteinander. Das ist bei Schakalen und Hunden jedoch überhaupt nicht der Fall. Sie weichen den Pudeln oder überhaupt den Haushunden aus – selbst dann, wenn sie von Menschenhand aufgezogen wurden und mit Hunden zusammen aufwuchsen. Die Pudel sind ja sehr kontaktfreudig, aber die Schakale versuchten immer auszuweichen. Die Pudel wurden ihnen zunehmend lästig, weswegen sie sie dann auch bedroht haben. Ich habe diese Gruppe daher dann trennen müssen. Das Verhalten der Schakale, die mehr Einzelgänger sind und paarweise leben, ist in der Tat ganz anders. Norten:

Der Wolf ist also der Urahn unseres Hundes.

Feddersen-Petersen: Ja. Norten:

Wahrscheinlich geschah das aber schon vor sehr langer Zeit. Wann haben denn die Menschen und die Wölfe angefangen, sich aufeinander zuzubewegen, sodass am Ende der Hund entstand? Wie kam es dazu? Ich meine, Sie waren zwar nicht mit dabei, aber Sie wissen das sicher.

Feddersen-Petersen: Genau, es war niemand dabei, es hat auch keiner Protokoll geführt,

obwohl wir darüber natürlich sehr viel reden. Das, was wir haben, sind die Knochenfunde. Und es gibt eben auch die genetischen Untersuchungen. Gemäß diesen genetischen Untersuchungen sieht der heutige Kenntnisstand bei der Datierung folgendermaßen aus: heute vor 15000 Jahren. Das stimmt auch recht gut überein mit den Ausgrabungsfunden. Norten:

Sie beschäftigen sich zwar auch mit den Urahnen der Hunde, aber eben vor allem mit Hunden und deren Verhalten. Sie haben ein Buch über Hundepsychologie geschrieben; in diesem Buch bin ich auch auf Bilder gestoßen, die Sie selbst malen, um das Ganze zu illustrieren. Kann man denn die Hundepsychologie mit der Menschenpsychologie vergleichen? Kann man die Mimik eines Hundes übertragen?

Feddersen-Petersen: Die Menschenpsychologie umfasst natürlich sehr, sehr viel mehr und in

dieser Richtung möchte ich mein Buch auch nicht verstanden wissen. In meinem Buch geht es auch nicht in dem Sinne um eine Hundepsychologie. Stattdessen ist das ein Buch über die Hunde-Ethologie, also über das Verhalten der Hunde, in dem ich mich bemühe, auch ein wenig hinter die hundliche Stirn zu gucken. Wir haben auch Untersuchungen zum kognitiven Verhalten von Hunden gemacht, also zu deren Lernmöglichkeiten, Problemlösungsmöglichkeiten usw. Es ist aber auch von den Emotionen der Hunde die Rede, weil eben auch schon über die Emotionen der Hunde geforscht worden ist. Insofern bietet sich der Begriff "Psychologie" schon so ein bisschen an. Auf jeden Fall ist es so, dass ich hier über einen objektiven Vergleich von Hunderassen oder auch von Hunden und Wölfen hinausgehe. Aber mit der Humanpsychologie würde ich das dennoch nicht vergleichen. Dieser psychologische Ansatz ist vielleicht auch deswegen ganz gut und auch der Vergleich mit dem Menschen, weil Hunden und Menschen etwas gemeinsam ist. Da werden die "Katzen-Leute" nun sagen, dass das nicht stimmen kann, aber es stimmt eben doch irgendwo. Norten:

Und das sagen Sie, obwohl Sie selbst Katzenliebhaberin sind?

Feddersen-Petersen: Ja, obwohl ich nach wie vor Katzenliebhaberin bin. Es gibt nämlich sehr

viele Ähnlichkeiten zwischen Wölfen und Menschen und noch mehr zwischen Hunden und Menschen im Sozialverhalten, die sich aber selbstverständlich nicht auf genetische Verwandtschaft zurückführen lassen, denn in diesem Sinne sind wir Menschen mit dem Hund nur sehr weitläufig verwandt. Dennoch gibt es hier größere Ähnlichkeiten als z. B. mit den Schimpansen, also denjenigen lebenden Tieren, die uns genetisch am verwandtesten sind. Norten:

Einen Schimpansen trifft selten jemand von uns, einen Hund hingegen sehr, sehr oft.

Feddersen-Petersen: Diese Ähnlichkeiten kommen sicherlich daher, dass wir schon so lange mit

Hunden zusammenleben und dass sich in diesen 15000 Jahren so etwas wie eine Koevolution ereignet hat, also eine Veränderung von Menschen – die natürlich nur schwer beweisbar ist – und von Hunden, sodass die beiden immer besser zur Passung kamen. Norten:

Was passt denn so gut?

Feddersen-Petersen: Die Kommunikation passt so gut, das Sozialverhalten passt so gut. Wir

Menschen sind hoch sozial und Hunde sind hoch sozial, Wölfe übrigens auch, aber die Schimpansen nicht ganz so stark. Wir Menschen arbeiten z. B. zusammen, um Probleme zu lösen. Das machen bei uns bereits die Kinder. Wenn sie irgendetwas nicht schaffen, dann gucken sie sich um und sagen zu einem anderen Kind: "Hey, hilf mir doch mal!" Das geht ganz lustvoll und mit Optimismus, dass man das gemeinsam schaffen wird. Bei den Hunden ist das ebenso, denn die arbeiten auch zusammen. Bei anderen Tieren ist hingegen nach einer Zusammenarbeit auch oft Streit vorhanden. Wenn z. B. Futter erarbeitet wird, dann fangen sie an, sich zu streiten: Der eine will es und der andere will es auch. Bei den Hunden hingegen geht das relativ problemlos – und zwischen Hunden und Menschen auch. Das sind ganz interessante Ähnlichkeiten: Das sind natürlich Anpassungsähnlichkeiten an eine ähnliche Umwelt. Und es war

eben auch kein Zufall, dass es Wölfe waren, die domestiziert wurden, denn auch sie sind uns ähnlich in ihrer hohen Sozialität. Norten:

Ich habe mir mal so ein Wolfsgehege mit heulenden Wölfen angesehen: Ich hätte Angst gehabt, da überhaupt nur rein zugehen. Einen Wolf empfinde ich im Gegensatz zum Hund als sehr fremd.

Feddersen-Petersen: Gemeint ist ja auch die Art und Weise der Vergesellschaftung unter den

Wölfen, das soziale Miteinander, das Bilden von Untergruppen, die Etablierung von Beziehungen, von Bindungen und die vielen weiteren Möglichkeiten des Aufbaus eines solchen feinen sozialen Geflechts, um miteinander in Gruppen zu leben. Das haben die Wölfe genau wie wir auch; vielleicht fehlt uns Menschen das heutzutage sogar manchmal. Auf jeden Fall ist es das, was uns mit den Wölfen verbindet. Norten:

Sie haben sich auch mit Katzen beschäftigt. Die Feindschaft zwischen Hunden und Katzen ist ja sogar sprichwörtlich geworden. Kann es funktionieren, dass Hunde und Katzen auch Freunde werden, dass sie also aufeinander zugehen und trotz der vorhandenen Kommunikationsprobleme miteinander warm werden?

Feddersen-Petersen: Ja, natürlich. Das sind beides Haustiere und Haustiere kann man leichter

miteinander vergesellschaften, denn sie sind anderen Tieren gegenüber offener. Es gibt ja auch etliche Beispiele dafür, dass Hunde und Katzen sogar sehr gut miteinander auskommen, obwohl diese Beziehungen doch nicht ganz so eng und intensiv werden wie zwischen Mensch und Hund. Das heißt, das ist eine andere Qualität. Norten:

Ich habe in Ihrem Buch "Ausdrucksverhalten beim Hund", das Sie erst vor Kurzem geschrieben haben, auch ein bisschen weitergeschmökert. Dabei bin ich auf den Fall gestoßen, dass ein Huhn mit einem Hund in Kontakt getreten ist. Wie ist das denn zustande gekommen?

Feddersen-Petersen: Das ist so eine kleine Geschichte, die aufgenommen worden ist. Dieses

Huhn lebt mit Hunden zusammen, d. h. sie kennen einander. Es ist durchaus möglich, dass sogar Tiere, die ganz klar in das Beutespektrum dieser Caniden, dieser Haus-Caniden, also der Hunde, fallen, toleriert werden. Ich würde allerdings für das, was dort zu sehen ist – dieses gemeinsame Picken hier und Fressen dort –, nicht die Hand ins Feuer legen, denn ich könnte mir vorstellen, dass dann, wenn das Huhn plötzlich laut flatternd und gackernd davon läuft, beim Hund möglicherweise doch sein Beutefangverhalten durchbricht und der Hund hinterhergeht. Aber bis zu einem gewissen Grad können die beiden eben doch miteinander auskommen. Norten:

Es gibt Hunde, die sind Schoßhunde und freundlich und lieb, und es gibt Hunde, die einen ganz schlechten Ruf haben. In diesem Zusammenhang muss ich eben auch auf die Kampfhunde zu sprechen kommen. Leider ist das ja ein immer wieder aktuelles Thema, wenn Menschen – meistens Kinder – durch Kampfhunde zu Tode kommen, weil sie von ihnen regelrecht totgebissen werden. Sie sind selbst Gutachterin in solchen Fällen gewesen und kennen sich aus auf diesem Gebiet. Sie haben dazu auch eine sehr dezidierte Meinung.

Feddersen-Petersen: Sie sagten soeben, dass Kinder von Kampfhunden totgebissen worden

wären. Natürlich muss man da sofort fragen, was ein Kampfhund ist. Gibt

es eine Kampfhunderasse? Laut den Gesetzen der einzelnen Bundesländer in Deutschland gelten als Kampfhunde vorwiegend Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier, Pit Bull Terrier und etliche weitere Exoten wie z. B. Fila Brasileiro, Kangal usw. Das sind eigentlich sehr viele Rassen, die bei uns aber nur selten vorkommen oder doch zumindest nicht zum normalen Haushundspektrum gehören. Die Hunde, die wir bei uns hingegen sehr gut kennen, auch die großen und kräftigen Rassen, kommen weniger häufig vor in dieser Aufzählung. Manchmal wird auch ein Rottweiler dazu gerechnet, denn in Hamburg ist auch er in die Kampfhundeliste aufgenommen worden. Da muss man wirklich fragen, ob das tatsächlich diese Rassen sind, die zubeißen, und wie hier die Statistik aussieht. Norten:

Ich habe gerade zwei Bilder gesehen von Staffordshire Bull Terriern: Die sahen eigentlich ganz lieb aus – vor allem einer an seinem 10. Geburtstag, als er ein Schleifchen um den Hals gebunden hatte.

Feddersen-Petersen: Das sind Brenda und Macho, die sehr ruhig und freundlich in einer Familie

leben, die sehr gut sozialisiert sind und mit denen es ganz bestimmt keine Probleme gibt. Diese Hunde sind selbstverständlich auch auf der Kampfhundeliste, denn das sind eben Staffordshire Bull Terrier. Die Statistik gibt es einfach nicht her, sagen zu können, dass eine bestimmte Hunderasse eine Kampfhunderasse ist: Es sind nicht immer Angehörige dieser Rassen, die fürchterliche Dinge anstellen. Es sind in aller Regel ganz normale Haushunde und eben auch Mischlinge, die zugebissen haben. Die Kausalität ist eine viel, viel verzwicktere, viel problematischere. Ursächlich verantwortlich ist immer der Mensch, der Züchter, derjenige, der die Hunde verwirrt, sodass sie sich nicht adäquat entwickeln. Sie sind nicht in der Weise an Menschen gewöhnt, dass sie sich in der Kommunikation mit Menschen entwickeln könnten. Ursache dafür ist der Mensch, der die Hunde einsperrt, der sie zu reizarm hält, der sie nicht erzieht, der sie vermenschlicht und einfach so laufen lässt, also dem Hund sozusagen die Entscheidungshoheit in der Familie überlässt. Norten:

Beim Thema Vermenschlichung muss ich jetzt aber sofort wieder an diesen Hund mit dem Schleifchen denken. Denn aus meiner Laiensicht wäre das doch auch eine Vermenschlichung.

Feddersen-Petersen: Ja, aber das ist nur der oberflächliche Eindruck, denn diese Hunde dürfen

durchaus Hunde sein: Sie toben herum usw. Sie sind aber auch erzogen und belästigen daher niemanden, sie ängstigen niemanden und sie beißen niemanden. Hunde, die vielleicht keine Schleifchen tragen, die aber überhaupt nicht erzogen sind und die vom Besitzer in ihrem Verhalten überhaupt nicht beeinflusst werden können, belästigen sehr wohl Menschen. Sie sind es, die in bestimmten Situationen dann eben auch eine Gefahr darstellen. Ein Restrisiko ist immer vorhanden, das ist klar. Aber das gilt ja für unser gesamtes Leben. Norten:

Ich selbst habe keinen Hund, aber ich stelle mir mal vor, ich bekäme einen Hund. So ein kleiner Welpe ist ja ungeheuer niedlich. Was muss ich denn da machen, um mir nicht von vornherein ein aggressives Tier heranzuzüchten?

Feddersen-Petersen: Sie müssen von vornherein daran denken, dass das ein soziales

Lebewesen ist und dass man es daher in diese Sozietät namens

Hausstand – zu der mindestens ein Mensch und möglicherweise auch noch andere Tiere gehören – so einbringt, dass es von vornherein Tabuzonen kennen und respektieren lernt. Norten:

Wie bringe ich einem Hund bei, dass etwas tabu ist?

Feddersen-Petersen: Das geht ganz einfach und das kann man durchaus sozusagen im Spiel

machen. Kleine Hunde dürfen ja häufig alles Mögliche: Sie dürfen aufs Sofa springen usw. Wenn man später nicht mehr will, dass ein Hund aufs Sofa springt, dann wird das schon schwierig. Wenn wir also mit dem noch jungen Tier spielen und es dabei etwas macht, was wir nicht wollen, dann müssen wir das Spiel unterbrechen und sagen: "Nein!" Das reicht für viele Hunde bereits. Denn das ist ja etwas sehr Unangenehmes für einen Hund: Spiele sind toll und machen Freude, machen Spaß und ein Hund möchte gerne spielen. Oder man wendet sich ab und lässt den Hund alleine. Manche Hunde sind ein bisschen dickfelliger und brauchen daher ein bisschen deutlichere Zeichen. Sie müssen daher etwas geräuschhafter, etwas lauter angesprochen werden: in einem Ton, der in den Ohren eines Hundes wie ein böses Knurren wirkt. Norten:

Knurren Sie Ihre Hunde an?

Feddersen-Petersen: Nein, nein, das ist einfach ein tiefes, geräuschhaftes "Nein!", das reicht

durchaus. Wenn man jedoch mit einer absolut liebevollen Stimme zu einem Hund sagt: "Ich möchte nicht so gerne, dass du das jetzt machst, weißt du!", dann ist das dummes Zeug. Wortsprache verstehen nämlich Hunde definitiv nicht. Stattdessen muss man hier als Mensch auch die eigene Körperlichkeit einsetzen. Norten:

Wortsprache verstehen Hunde nicht?

Feddersen-Petersen: Nein, das heißt, man muss Zeichen setzen. Norten:

Der Hund guckt also darauf, was wir machen.

Feddersen-Petersen: Ja, er interpretiert unser Ausdrucksverhalten. Auch die Modalität unserer

Stimme ist wichtig. Ist sie tief, ist sie geräuschhaft, ist sie hoch, ist sie lieb, ist sie klanghaft usw.? All das bedeutet etwas für den Hund. Eine klanghafte, liebe Stimme bedeutet für ihn z. B. Wärme und "komm her, es ist alles in Ordnung". Ein tiefe, geräuschhafte Stimme signalisiert ihm: "Hey, da ist irgendetwas nicht in Ordnung." So muss der Hund also durch bestimmte Rituale kennenlernen, was er nicht zu tun hat: Er hat nicht Leute anzuspringen; er hat bestimmte Dinge nicht zu machen, die vielleicht gefährlich werden könnten. Und ganz wichtig ist: Er muss viele Menschen kennenlernen, denn dabei lernt er, wie man mit Menschen umgeht. Das heißt, er hat keine Angst vor Menschen, weil er sie kennt, weil er z. B. auch kleine Menschen und auch Kleinkinder kennt. Er wird also über die Familie in die Gesellschaft des Menschen eingeführt. Norten:

Kann man das alleine leisten? Denn es gibt ja auch die sogenannten Hundeschulen. Wenn ich mir z. B. einen Schäferhund anschaffen wollte, der ja auch ordentlich Kraft hat, dann sollte ich mir wohl doch eher vergegenwärtigen, dass ich ja noch nie einen Hund gehabt habe und deswegen mit ihm besser in die Hundeschule gehen sollte. Da werden ja z. B. auch Welpenspielstunden angeboten.

Feddersen-Petersen: Ja, da wird allerlei angeboten, aber da ist nicht alles gut. Das heißt, man

sollte sich eine Hundeschule oder auch eine Welpenspielstunde aussuchen, in der die Hunde auch wirklich etwas lernen können, in der die Leute nicht irgendwo herumstehen und Kaffee trinken, während die Hunde irgendetwas machen: Sie jagen meinetwegen im Rudel einen kleineren Hund und versetzen ihn in Angst und Schrecken. Für viele ist das ein großer Spaß, aber der kleine Hund hat dabei Todesangst. Solche Dinge soll ein Hund also definitiv nicht lernen. Ein Hund muss also in so einer Stunde lernen, dass er sich anfassen lässt, dass er sich die Füße sauber machen lässt, was sie ja vielfach nicht wollen und deswegen krätzig werden. Hier fängt ja in der Regel das erste Aufbegehren eines Hundes an, aber sie müssen lernen, dass sie sich kämmen lassen, dass sie sich waschen lassen, dass sie sich ins Maul schauen lassen, dass sie sich in die Ohren schauen lassen usw. Sie müssen lernen, dass auch das Hundeleben nicht immer nur aus Sonnenschein besteht, dass man auch mal frustriert ist und trotzdem nicht giftig werden darf. Der Hund muss lernen, dass auch solche Situationen mit zum Leben gehören, damit er später mit ihnen besser umgehen kann. So ein kleiner Kerl wird eben auch mal irgendwo angebunden und von Frauchen oder Herrchen ein bisschen alleine gelassen. So ein kleiner Hund tobt dann herum und ist womöglich böse. Norten:

Das ist dann keine Tierquälerei?

Feddersen-Petersen: Nein, ganz und gar nicht. Er wird dabei ganz einfach mit Situationen

konfrontiert, die sich später immer wieder ereignen werden. Es wird also sozusagen ein kleines bisschen das gelernt, was später gekonnt werden muss oder was später zu vermeiden ist. Diese Einführung ins Leben ist wichtig. Norten:

Das bezieht sich jetzt auf die Welpenschule. Was aber, wenn der Hund schon größer ist. Ich habe mal einen Hund getroffen, der mir die Pfote gegeben hat und mich sozusagen wie ein Mensch begrüßt hat. Ist so etwas sinnvoll?

Feddersen-Petersen: Es schadet nicht, aber es muss nicht sein, keineswegs. Aber mein Gott,

wenn es den Menschen Freude macht, dem Hund schadet es jedenfalls nicht. Der Beziehung zwischen dem Hund und seinem Herrchen wird das auch nicht schaden. Die Tugenden wie "sitz!" und "platz!" kann man einem Hund ganz, ganz schnell beibringen, denn das ist wirklich einfach. Die Schwierigkeiten liegen hingegen öfter im sozialen Bereich: dass die Menschen nicht rüberbringen können, was sie von ihrem Hund eigentlich nicht so gerne wollen, dass ein Hund also nicht so genau weiß, was der Mensch eigentlich von ihm will, weil sich dieser Mensch indifferent verhält. Das heißt, die Klarheit in der Kommunikation ist ganz, ganz wichtig. Norten:

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Feddersen-Petersen: Ja. Man kann da z. B. sehr gut mit Distanzen arbeiten, wenn man auf

keinen Fall will, dass der Hund immer im Mittelpunkt steht bei allem, was man macht, was in der Familie gemacht wird – denn oft ist ja der Hund tatsächlich der vielbeachtete Mittelpunkt der Familie. Der Hund soll mit uns Menschen leben, aber wir Menschen machen sozusagen unser Ding, wir leben unser Leben – und da steht der Hund nicht permanent im Mittelpunkt, weil wir eben auch anderes zu tun haben. Das heißt, wir gehen auch mal einfach an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten, und unterhalten uns mit

anderen Menschen, ohne ihn zu beachten. Er kommt dann wahrscheinlich an und will Aufmerksamkeit haben, aber er bekommt dann eben keine Antwort, denn er muss nicht immer eine Antwort bekommen, er muss nicht immer Feedback bekommen. Wenn wir aber dieses Feedback haben wollen, gehen wir ganz konkret zu ihm hin. Das ist in Ordnung so. Norten:

Hundeerziehung und Kindererziehung: Haben sie etwas gemeinsam?

Feddersen-Petersen: Unendlich viel. Die Kinder, die so eine ganz freie Erziehung genießen, die

ja eigentlich gar keine Erziehung ist, haben es in ihrem Leben später ja auch schwer. Bei Hunden ist das ganz genauso. Stellen wir uns folgende Situation vor: Das Wartezimmer eines Arztes und darin mehrere Menschen und z. B. auch ein Kind von ungefähr vier Jahren. Dieses Kind beschließt nun quasi, einen der Menschen im Raum nicht zu mögen und ihm Holzklötzchen an den Kopf zu werfen, die im Wartezimmer vorrätig sind, damit sich die Kinder beschäftigen können. Oft ist es so, dass der Vater oder die Mutter des Kindes dieses Verhalten ihres Kindes zunächst einmal einfach ignorieren. Derjenige, der beschmissen wird, wird dann aber irgendwann sagen: "Was ist denn hier los? Das gefällt mir nicht!" Und dann sagt die Mutter meinetwegen mit sanfter Stimme: "Hänschen, komm doch mal zur Mama und überleg dir doch mal, ob das, was du da mit dem Onkel machst, wirklich so gut ist." "Ja," sagt das Kind und wirft dem Mann weiter Bauklötze an den Kopf. So geht es natürlich nicht und so ist es mit dem Hund auch. Es muss also auch negative Reize geben, wobei "negativer Reiz" nicht heißt, dass dem Hund etwas Schlimmes passiert. Da geht es nicht um das Schlagen des Hundes, nein auf keinen Fall. Aber es muss ganz klar und deutlich sein: "Ich will nicht, dass du das tust! Und ich werde dafür sorgen, dass du das nicht tust!" Aber es geht dann nicht darum, dass man für den restlichen Tag dem Hund gegenüber stinkig und böse ist, nein, hinterher kann man wieder ganz normal mit ihm umgehen und mit ihm spielen, denn es ging ja nur ganz konkret um diesen einen Fall, um das "Klötzchen werfen" im hundlichen Sinne, das wir nicht wollten. Norten:

Ich nehme an, dass man da sofort reagieren muss.

Feddersen-Petersen: Ja, sofort, ganz schnell. Norten:

Erst zu Hause zu sagen, "so, jetzt bekommst du keine Wurst", das versteht ein Hund nicht.

Feddersen-Petersen: Ja, das versteht ein Hund selbstverständlich nicht. Wie denn auch? Norten:

Leider geht die Hundeerziehung eben auch schief, denn sonst würde es ja diese traurigen Fälle nicht geben, in denen Hunde wirklich zum Angreifer werden und Menschen teilweise sogar totbeißen. Sind das nur misslungene Sozialisationen bzw. Erziehungen? Oder steckt mehr dahinter?

Feddersen-Petersen: Es steht mehr dahinter. Es steckt dahinter, dass in sehr, sehr vielen Hund-

Mensch-Beziehungen eine ganz starke Naturentfremdung vorhanden ist, dass viele Menschen nicht wissen, was ein Hund überhaupt ist. Sie finden einen Hund schön, holen ihn sich ins Haus, weil so ein Hund womöglich gut zum Mobiliar oder zum Auto passt – vielfach ist es ja tatsächlich so. Oder sie vermenschlichen einen Hund sehr konsequent und sagen: "Ich mag die Menschen nicht mehr, ich hole mir jetzt einige Hunde, mit denen ich zusammenleben möchte." Und das, obwohl diese Menschen von Hunden und deren Bedürfnissen überhaupt keine Ahnung haben. Das sind dann

vielfach auch Hunde, die besondere Ansprüche haben, wie z. B. Laufhunde oder Jagdhunde oder Schutzhunde, die wirklich eine sehr gute Erziehung brauchen. Es ist vielfach so grotesk, wie Hunde gehalten werden, dass man sich fragt, wieso eigentlich nur so wenig passiert. Es kommt sehr, sehr häufig vor, dass ein Hund gar nicht erzogen wird und stattdessen im Stile von Laisser-faire mit ihm umgegangen wird. Es kommt auch sehr häufig vor, dass Hunde sozial verkommen, was ebenfalls ganz, ganz schlimm ist: Sie werden alleine gelassen, häufig zu mehreren, und man macht nur ab und zu etwas mit ihnen. Norten:

Bei mehreren Tieren würde ich aber annehmen, dass sie das untereinander regeln. Denn der Wolf hat ja ursprünglich auch ohne den Menschen gelebt, brauchte den Menschen also nicht.

Feddersen-Petersen: Ja, schon, aber Hunde brauchen den Menschen, denn sie sind aufgrund

ihrer genetischen Veranlagung ungeheuer intensiv an den Menschen gebunden. Wenn man sie einander überlässt, dann etablieren sie untereinander eine Rangordnung, das stimmt schon. Diese Hunde untereinander arbeiten dann auch tatsächlich zusammen, um ein Ziel zu erreichen. Aber das kann sehr, sehr gefährlich werden, wenn sie an Menschen nicht sozialisiert sind. Denn wenn sie dann irgendwann einmal rauskommen und dabei auf Menschen stoßen, die sie nicht kennen, wenn sie auf kleine Menschen stoßen, die schreiend weglaufen, dann ist die Katastrophe da. Hunde müssen also an Menschen gewöhnt werden. Da vielen Leuten solche Grundlagen aber häufig nicht geläufig sind, muss man ihnen das abfordern – oder sie bekommen dann eben keine Hunde. Norten:

Wenn ein Mensch einen Hund oder mehrere Hunde hat, ist er dann immer der Boss? Oder kann sich ein Hund auch zum Boss aufschwingen?

Feddersen-Petersen: Es ist leider so und es ist oft nicht ganz ungefährlich, wenn sich der Hund

zum Boss aufschwingt. Vielfach ist das Ganze nur nervig, aber das kann eben auch gefährlich sein: je nachdem, was das für ein Hund ist, wie die ganze Geschichte im sozialen Bereich zusammengestrickt ist. Der Mensch soll durchaus die Fäden in der Hand haben, ohne immer bestimmen zu müssen oder immer alles regeln zu müssen oder dem Hund sein Leben mies zu machen, ganz im Gegenteil. Aber er sollte derjenige sein, der dem Hund die Sicherheit gibt, dass ihm der Mensch die Grenzen setzt und ihm dadurch Freiheit gibt. Norten:

Wie sollte man sich denn vorbereiten, wenn man noch nie einen Hund hatte und als Kind vielleicht auch nicht mit Hunden aufgewachsen ist? Reicht es, wenn man sich entsprechende Literatur besorgt? Sollte man da noch anderen Rat einholen?

Feddersen-Petersen: Ich finde, das Lesen von Büchern ist nicht schlecht. Aber es gibt ja nun

eine ganze Flut an Hundebüchern, in denen z. T. auch ganz widersprüchliche Ratschläge gegeben werden. Insofern würde ich es für gut halten, wenn man sich, bevor man sich einen Hund holt – einen Hund "anschaffen" hört sich in meinen Ohren so instrumentalisiert an – kundig macht und mit Leuten spricht, die eine Ahnung von Hunden haben, wenn man also mit Verhaltensberatern, mit Hundeausbildern, mit Hundetrainern oder mit Tierärzten spricht, die z. B. die Zusatzbezeichnung "Verhaltenstherapie" haben. Das fände ich sehr sinnvoll.

Norten:

Wie ist das mit der Hunderasse? Wenn man also nicht zum Tierheim geht oder sich einen Mischling anschafft, sondern stattdessen eine bestimmte Rasse haben möchte, was sollte man da beachten? Denn es ist ja vermutlich schon so, dass bestimmte Verhaltensweisen an bestimmte Rassen gekoppelt sind?

Feddersen-Petersen: Ja, das ist richtig. Man sollte also in dieser Richtung wirklich Bescheid

wissen und nicht nur danach gehen, dass der Hund schön aussieht, dass einem der Hund gefällt. Stattdessen sollte man beachten, dass er in seinem Verhalten bestimmte Spezialitäten haben kann. Und wenn dem so ist, dann muss man sich fragen, ob man diesen Spezialitäten auch gerecht werden kann: Kann man dem gerecht werden, will man dem gerecht werden? Hat man die Zeit und die Möglichkeiten dafür? Wenn dem nicht so ist, dann sollte man davon absehen, sich genau so einen Hund zu holen. Norten:

Nehmen wir als Beispiel mal eine typische Familie mit zwei Kindern, die in einer Wohnung lebt, aber die Möglichkeit hat, nach draußen in die Natur zu gehen. Dürfen sie einen Hund haben? Wenn ja, welche Rasse würden Sie empfehlen?

Feddersen-Petersen: Das ist furchtbar schwierig, weil es hier schon wieder um dieses

Tabellarische geht. Wenn ich hier ein paar Tipps gebe, dann wird meine Aussage sofort extrapoliert auf eine ganze Rasse, auf eine ganze Familie, wobei dann aber die Individualität des jeweiligen Hundes unberücksichtigt bleibt. Denn eigentlich kann man nie sagen, "ich rate das und das", weil der Einzelfall von dieser statistischen Norm immer wieder abweicht. Das ist die Problematik dabei, weil eben auch bestimmte Menschen mit bestimmten Hunden hervorragend harmonieren können und andere Menschen mit demselben Hund gar nicht. Insofern kann das mit sehr vielen Rassen sehr gut gehen, d. h. es kommt auf die Menschen an. Norten:

Die Gene, die Erbanlagen sind also nicht alles. Ich habe mal gehört, dass sich bei einer sauberen Zucht die Tiere in genetischer Hinsicht, also in ihren Erbanlagen kaum unterscheiden. Die Umwelt spielt dann wohl eine ganz große Rolle.

Feddersen-Petersen: Die Umwelt spielt eine ganz große Rolle. Bei den Hunden wie bei allen

anderen Säugetieren, die viel lernen können, ist das Genetische sozusagen ein Angebot an die Umwelt, und über das Lernen wird das Ganze dann differenziert. Natürlich gibt es von Rasse zu Rasse Unterschiede. Es gibt z. B. Laufhunde, die viel stärker laufmotiviert sind, die also ein größeres Laufbedürfnis haben. Es stellt sich hier aber auch die Frage, ob man diese hochspezialisierten Rassen überhaupt braucht, wenn diese Hunde letztlich Begleithunde, also Sozialpartner sein sollen. Norten:

Welche Rasse wäre z. B. hochspezialisiert?

Feddersen-Petersen: Jagdhunde zum Jagen, zum Apportieren. Oder die Barsois, die wirkliche

Laufhunde sind und sehr viel laufen. Gut, alle Hunde laufen viel, aber diese Hunde laufen eben noch mehr. Da muss man sich dann fragen, ob man das wirklich braucht? Oder hat man hinterher einen Hund mit diesen vielen, vielen Talenten, die man nicht befriedigen kann, sodass die Hunde unzufrieden werden und daher motiviert sind, etwas anderes zu tun, als man ihnen bieten kann. Das ist die Schwierigkeit dabei bzw. das kann eine sein. Denn das muss keine Schwierigkeit sein, weil so etwas auch durchaus

gut gehen kann. Aber ich würde sagen, dass man dann, wenn man das nicht braucht, doch lieber einen sogenannten Allrounder nehmen sollte, der von allem ein bisschen was kann und der gut in die Familie passt. Für mich wäre das z. B. ein Pudel. Norten:

Aha.

Feddersen-Petersen: Ein großer Pudel, der sehr sozial ist. Auch er war ja mal ein

Wasserjagdhund, was sich aber seit Langem geändert hat. Er ist – im Allgemeinen – wirklich außerordentlich sozialverträglich und er ist leicht zu erziehen. Norten:

Aber der Pudel ist ja im Moment enorm unmodern.

Feddersen-Petersen: Ja, er ist ganz unmodern. Man kann einen Pudel aber auch ganz kurz

abscheren und muss ihn nicht mit diesen merkwürdigen Frisuren herumlaufen lassen. Oder man nimmt einen Retriever oder einen Beagle oder, oder … Man kann selbstverständlich auch Mischlinge nehmen. Norten:

Wenn man sich aus dem Tierheim einen Mischling holt, dann weiß man ja nicht, wie er erzogen worden ist, und man weiß auch nicht, was da alles an Erbanlagen drinsteckt. Ist das dann, wenn ich das so böse ausdrücken darf, eine tickende Zeitbombe?

Feddersen-Petersen: Nein, sicherlich nicht per se und auch nicht häufig. Man weiß zwar vieles

nicht, aber man weiß eben auch bei einem Rassehund vieles nicht. Man weiß auch bei einem erwachsenen Rassehund nicht, wie er durch die sensible Phase, also zwischen der 3. und der 8. bis 10. Lebenswoche gegangen ist. Meistens spielte sich diese Zeit beim Züchter ab. Dort, beim Züchter, lernen sie ungeheuer viel und werden sozusagen auf ein bestimmtes Leben eingestellt – auch wenn sie später durchaus noch etwas lernen können. In so einem Fall weiß man eben nicht, wie das konkret abgelaufen ist: Hat der Züchter die Welpen überwiegend alleine gelassen? Hat er sich gekümmert? Hat er ihnen die entsprechenden sozialen Inputs gegeben, die sie zur Entwicklung ihres Sozialverhaltens brauchen? Es empfiehlt sich, zu diesen Züchtern hinzugehen und sich das anzuschauen. Wenn man sich anmeldet, hat man jedoch auch nicht die Gewissheit, ob er sich immer so verhält, wie er sich nun im Moment des Besuchs zeigt. Das heißt, so ein Hund ist schon auch so ein bisschen eine Wundertüte. Bei einem Tierheimhund ist das natürlich noch mehr der Fall. Norten:

Sie haben Züchtern über die Schulter geschaut, und dies auch bei Zuchten, die wohl nicht mehr legal waren, bei denen Kampfhunde speziell auf dieses aggressive Verhalten trainiert wurden. Wie hat das funktioniert?

Feddersen-Petersen: Das war auch wieder so ein Zufall. Ich habe ein Gutachten gemacht und

habe dabei gesehen, dass der Mensch, der in diesem Gutachten vorkam, kämpfende Hunde hielt. Das waren keine Hunde einer bestimmten Rassezugehörigkeit, aber Hunde, die in der Pit, im Hundekampf eingesetzt wurden, was selbstverständlich verboten ist. Das ist bereits eine ganze Weile her und das macht dieser Mann heute auch nicht mehr. Die Hunde, mit denen er das machte, waren Kreuzungen, und zwar Kreuzungen, die man nur sehr schwer auseinanderdividieren kann. Es waren jedenfalls sehr große, sehr kräftige Hunde. Dieser Züchter hat einfach dafür gesorgt, dass aus sozialen Lebewesen Lebewesen werden, die nicht mehr sozial sind, die gestört sind, die aufeinander losgehen, die aber vom Menschen selbst sehr

gut gehandhabt werden können. Denn er selbst konnte mit diesen Hunden alles machen: Er ist immer von vornherein auf sie zugegangen, hat sie auf den Arm genommen, hat sich mit ihnen beschäftigt … Norten:

Haben diese Hunde ihm gegenüber denn auch eine Demutshaltung gezeigt?

Feddersen-Petersen: Sie haben ihm gegenüber ein sehr ausgeprägtes Verhalten gezeigt und

dabei sicherlich auch demütige Verhaltensweisen. Von Hund zu Hund jedoch ging es bereits mit vier Wochen los, dass er sie aufeinander hetzte. Er hielt sie isoliert voneinander in kleinen Cages, sodass sie anderen Hunden gegenüber nur eines kannten: drauflos gehen und richtig beißen, also nicht ritualisiertes Verhalten zeigen, sondern Ernstkampf. Wenn man Hunde in ihrer sensiblen Entwicklungsphase dermaßen darauf drillt, dann zerstört man damit diese Hunde. Norten:

Könnte man so einen Hund noch einmal umerziehen?

Feddersen-Petersen: Nein, ganz sicherlich nicht, das ist irreversibel. Diese Hunde waren wirklich

außerordentlich gestört. Norten:

Kommen wir zu fröhlicheren Hunden, die so etwas nicht erleiden müssen, denn so etwas ist ja auch Tierquälerei.

Feddersen-Petersen: Natürlich, das ist Tierquälerei und hochgradig tierschutzrelevant. Norten:

Sie haben sich mit den Ausdrucksweisen beim Hund intensiv beschäftigt und beim Lesen Ihrer Bücher bin ich auf eine Stelle gestoßen, die mich sehr amüsiert hat, nämlich das Hundelachen. Kann ein Hund lachen?

Feddersen-Petersen: Das Lächeln des Hundes wird zurzeit untersucht, denn sie können das

wirklich. Von dem, was ich jetzt sage, ist noch vieles hypothetisch, weil die Studie noch nicht endgültig fertig ist. Aber es gibt Angehörige auch bestimmter Rassezugehörigkeit, die bei der Begrüßung des Menschen diesen Menschen anlächeln. Das, was ich jetzt sage, kann missverständlich sein bzw. man kann sich alles Mögliche darunter vorstellen. Es ist auch nicht gemeint, dass der Hund ganz entspannt dasitzt und ihm die Kiefer ein bisschen nach unten fallen, sodass er lacht. Nein, er kommt vielmehr auf den Menschen zu und zieht dabei die Mundwinkel nach hinten, was sozusagen zu einem breiten Grinsen wird: Das sieht auch ein bisschen aus wie ein submissives, also unterwürfiges Grinsen. Und dann hebt der Hund mehrfach hintereinander die Oberlippe hoch und zeigt die Schneide- und Eckzähne. Das macht er, während er um den Menschen herumspringt und ihn begrüßt. Er ist sehr entspannt dabei, d. h. das hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Drohausdruck. Dieses Lächeln wird also überwiegend in Begrüßungssituationen gezeigt. Die meisten Menschen freuen sich darüber: "Mein Gott, der lacht ja!" Und dann fangen sie selbst auch an zu lachen, geben als ein positives Feedback, was sich dann gegenseitig verstärkt. Aber es können nicht alle Hunde lächeln. Gemessen an all den Hunden, die es gibt, sind es nur einige wenige, die das können. Dieses Lächeln hat sich vor allem bei bestimmten Rassen ausgebreitet: Dalmatiner machen das oft. Warum? Warum ist dieses Verhalten ganz offensichtlich mit einer genetischen Wurzel vorhanden? Sicherlich deshalb, weil sich die Menschen darüber gefreut haben und Hunde, die lächelten, behalten haben und zur Verpaarung gebracht haben. Das muss so gewesen sein.

Norten:

Ein Hund kann aber auch bellen und knurren. Was will er denn mit dem Bellen sagen?

Feddersen-Petersen: Die Lautäußerungen der Hunde sind relativ übersteigert im Vergleich zu

den Lautäußerungen der Wölfe, die sehr viele feine Laute haben und die vor allem optisch sehr viel ausdrücken, d. h. bei den Wölfen wird sehr viel über den optischen Kanal kommuniziert. Das Bellen ist sozusagen das Lautäußerungssystem der meisten Hundeformen oder Hunderassen. Wölfe bellen, wenn sie aggressiv sind, wenn sie kämpfen: Sie bellen also ganz sparsam. Norten:

Die meisten Hunde jedoch bellen, wenn sie einen begrüßen.

Feddersen-Petersen: Sie bellen in allen möglichen Situationen. Sie bellen auch harmonisch, was

Wölfe nicht können. Hunde können auch sehr tief und geräuschhaft bellen, sie bellen im Spiel, bei der Begrüßung, bei der Kontaktaufnahme usw. Sie bellen als Aufforderung, gestreichelt zu werden, gegroomt zu werden, also z. B. soziale Fellpflege zu erfahren. Das heißt, Hunde nähern sich uns sehr stark über Lautäußerungen. So verfahren sie aber auch untereinander. Das hat sicherlich damit zu tun, dass wir Menschen sehr viel reden, dass wir verbalisieren, dass wir Hunde früher – womöglich gar nicht bewusst – bevorzugt haben, die viel vokalisieren. Zudem ist es so, dass sie bei der Bewachung von Haus und Hof mit dem Bellen anzeigen, wenn Fremde kommen, d. h. das ist ein territoriales Bellen. Daneben gibt es noch ein Drohbellen, ein Warnbellen usw. Das Bellen ist also das Lautäußerungssystem der Hunde. Norten:

Wir haben nun bereits von so vielen Hunderassen gehört und deren unterschiedlichem Verhalten, deren unterschiedlicher Größe usw. Weiß eigentlich der kleine Hund im Vergleich zum großen Hund, dass er viel kleiner ist? Oder haben sie alle das gleiche Gefühl: "Ich bin Hund, ich bin Wolf!"?

Feddersen-Petersen: Wir haben wirklich überhaupt keine Anzeichen dafür, dass der kleine Hund

Kenntnisse über seine relative Kleinheit hat. So wie er sich großen Hunden nähert, zeigt er, dass er davon keine Kenntnis hat. Es gibt außerordentliche selbstbewusste kleine Hunde, die einem großen Hund durchaus mal schnell sozusagen ans Bein fahren. Einige kleine Hunde haben ja die Markierhaltung, sich auf die Vorderbeine zu stellen, um ihre Urinmarke möglichst hoch setzen zu können. Daraus haben einige Forscher die Hypothese entwickelt: Sie würden das machen, um größer zu erscheinen, als sie eigentlich sind. Ich jedoch glaube das nicht, denn dafür müssten sie ja die Überlegung anstellen: "Ich bin klein, ich habe Nachteile dadurch. Die anderen Hunde sind größer und haben deswegen Vorteile." So eine Überlegung wäre ungeheuerlich. Ich glaube daher nicht, dass sie eine solche Überlegung anstellen können. Ich denke, sie machen das deswegen, um hochstehende Urinmarken großer Hunde erreichen zu können, denn sie machen ja tatsächlich einen "Handstand". Kleine Hunde sind sich also ihrer Kleinheit nicht bewusst und verhalten sich wie andere Hunde auch. Das heißt, wenn sie vernünftig sozialisiert sind, verhalten sie sich wie große Hunde. Norten:

Vergleichen wir mal das ganze Spektrum der Hunderassen mit all den verschiedenen Katzenrassen. Bei Katzen gibt es da im Vergleich eigentlich nur wenig Unterschiede: Bei Katzen ist das Fell immer mal wieder anders

und die Größe variiert ein wenig. Bei Hunden jedoch sind die Unterschiede extrem groß. Sie haben vorhin gesagt, dass es vor 15000 Jahren angefangen hat, dass der Mensch mit dem damaligen Wolf diese Hundeentwicklung eingeleitet hat. Sind denn alle Hunderassen schon so alt? Feddersen-Petersen: Nein, die Hunderassen sind jung. Hunderassen gehören immer in

Hochkulturen; es hat im alten Rom z. B. Hunderassen gegeben. Als das alte Rom zusammenbrach, brachen auch diese Rassen zusammen. Oft sind diese Rassen dann später nachgezüchtet worden: Die Rassen, die wir heute haben, sind so ungefähr 200, 300 Jahre alt. Norten:

Kommt der Pekinese denn wirklich aus Peking?

Feddersen-Petersen: Auch er ist nachgezüchtet worden. Es gibt daher keinen

Rassestammbaum, den man über lange, lange Jahre hinweg zurückverfolgen könnte, weil immer wieder Rassezuchten zusammenbrechen, weil andere Rassen eingekreuzt worden sind, um ein bestimmtes äußeres Bild zu erhalten. Aber im Verhalten waren das dann natürlich ganz andere Tiere. Norten:

Es gibt ja auch ein Phänomen, das man als "Qualzucht" bezeichnet: Hunde werden dabei so gezüchtet, dass sie von vornherein auf eine Behinderung zulaufen: Eine Zeitlang war das bei den Schäferhunden mit dem abfallenden Rücken so, wodurch die Hunde ganz schnell Hüftprobleme bekommen. Im Moment sind der Mops und die Französische Bulldogge sehr modern: Diese Hunde schnaufen ja ziemlich.

Feddersen-Petersen: Ja, sie schnaufen ordentlich, aber sie sollten möglichst wenig schnaufen.

Diese Möpse sollten daher auch wirkliche Nasen haben. Im Augenblick ist das zum Glück nicht mehr so in Mode bzw. die Menschen sind einfach stärker zur Vernunft gekommen, aber vor einiger Zeit noch war es so, dass man von Konkav-Nasen gesprochen hat, dass also dort, wo die Nase ist, durch Züchtung sozusagen eine Höhlung entsteht. Das ist natürlich ganz schlimm für die Hunde und hier ist das, was erlaubt ist bei der Züchtung von Hunden, überschritten. Der Mensch denkt sich nämlich alles Mögliche aus, was ihm gefällt. Und dann schöpft er eben neue Formen, züchtet Hunde, die dem Menschen z. B. auch möglichst ähnlich sind: Diese Hunde haben einen runden Kopf, einen kleinen Gesichtsschädel und große Augen. Was ist das? Das Kindchenschema des Menschen. Und das ist der Mops. Das sind richtig deftige, aber kleine Molosser. Aber sie müssen sorgsam gezüchtet werden, damit sie vernünftig Luft bekommen und auch mit anderen Hunden interagieren können. Das heißt, sie müssen über den Fang beißen können, d. h. es muss überhaupt ein Fang da sein, denn er gehört zum hundlichen Verhalten dazu. Es geht nicht an, dass es in der Rasse selbst die Motivation gibt, ein bestimmtes Verhalten auszuführen, das dann aber nicht ausgelebt werden kann, weil der entsprechende Körperteil fehlt. So etwas zu züchten ist also eine Qualzucht. Norten:

Sie beschäftigen sich nun schon in Ihrem ganzen wissenschaftlichen Leben mit Hunden. Haben Sie denn eigentlich selbst einen Hund?

Feddersen-Petersen: Wir haben immer Hunde gehabt, vor allem Pudel und zum Schluss einen

Rauhaardackel. Im Augenblick ist meine Lebenssituation so, dass es nicht geht, denn das wäre für einen Hund nicht gut. Denn ich kann z. B. den

Hund nicht mit zur Arbeit nehmen. Ihn jedoch zu Hause alleine zu lassen, möchte ich auch auf keinen Fall. Also lebe ich jetzt ohne Hund. Norten:

Was lieben Sie denn an Rauhaardackeln?

Feddersen-Petersen: An dem Rauhaardackel, den wir hatten, liebte ich seine intellektuellen

Möglichkeiten, denn er war außerordentlich pfiffig. Und er war sehr eigensinnig, wenn ich das mal so ein wenig vermenschlichend ausdrücken darf. Und ich mochte seine Persönlichkeit, denn er war eine ausgeprägte Persönlichkeit, ein ausgeprägter Charakter. Norten:

Wie stellte sich das dar?

Feddersen-Petersen: Das stellte sich so dar, dass er sein ganz individuelles Sosein immer

wieder durchgesetzt hat, d. h. dass man mit ihm einfach häufiger ein bisschen reden musste: über Tabuzonen, über dieses und jenes. Gut, das mussten wir dann eben und er nahm es auch hin, irgendwie murrend, aber es war dann auch in Ordnung für ihn. Die Pudel hingegen brauchten nicht so viel Unterstützung: Sie haben sich mehr uns angepasst und sind vielleicht auch ein bisschen so geworden wie wir in dieser oder jener Situation. Beim Dackel war die Angleichung vielleicht anders herum, d. h. da haben wir uns möglicherweise eher an den Dackel angeglichen. Ja, er hat sehr starke Spuren hinterlassen. Das war sehr interessant, sehr aufregend, sehr eindrucksvoll und sehr spannend. Norten:

Würden Sie denn nach all diesen Jahren der Auseinandersetzung mit dem Hund sagen, dass der Hund interessanter ist als die Katze? Kann man das überhaupt so werten?

Feddersen-Petersen: Nein, das kann man ganz sicher nicht werten. Das sind einfach ganz

andere Tiere, die sich auch ganz anders verhalten. Katzen sind genauso faszinierend und spannend wie Hunde und viele andere Tiere. Klar, ich liebe Hunde, aber ich liebe auch Katzen. Ich würde das also auf keinen Fall so einseitig sehen. Norten:

Wir haben heute viel erfahren über Haustiere, vor allem über Hunde, über verschiedene Hunderassen, über Kampfhunde und dass es ganz stark auf den Menschen ankommt, darauf also, wie er mit dem Tier umgeht. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Frau Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen von der Universität Kiel für diese Informationen zum Thema "Hund". Herzlichen Dank.

Feddersen-Petersen: Herzlichen Dank auch an Sie.

© Bayerischer Rundfunk

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