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DIG ITALE NOMA DEN

MIT E DEM LAPTOP UM DIE WELT DIGITALE NOMADEN

FOTO: MICHELLE KUTZNER

Sie haben keine Lust mehr aufs Büro. Ihr Arbeitsplatz ist die Welt – heute Bali, morgen Budapest.

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s geht ein bisschen zu wie auf einer Klassenfahrt. Ein Haufen junger Leute, viele Frauen, viele Deutsche, viele Niederländer, viele um die 30, alle duzen sich, alle quasseln Englisch. 13 Tage an Bord der „Zenith“ von Las Palmas, Gran Canaria, nach Santo Domingo, Dominikanische Republik. Morgens Vorträge, mittags Meetups und Workshops, abends Party, bis tief in die Nacht. An der Pinnwand am Eingang zur Disco kleben zig handschriftlich vollgekritzelte weiße Zettel: „I’m good at ...“ oder „I need help with ...“. Man hilft sich, tauscht sich aus, über Coworking-Stations, leidige Visaprobleme und was sonst noch so bewegt. Vor allem die Frage: Was machst du denn, wenn wir in der DomRep sind? Erst mal dableiben, sagen die einen, weiterziehen nach Kuba, Medellín, Brasilien oder in die USA, sagen die anderen. Einfach treiben lassen. Die Sonne knallt über dem Atlantik, Daniel Hünebeck (40) sitzt in Polohemd und Shorts an Deck, in der Hand einen Mojito. „Ich mache mir keine Sorgen.“ Er war lange Mitgeschäftsführer einer Onlinewerbeagentur und bis November Head of Digital Marketing bei der Schweizer Großbank UBS in Zürich. In den nächsten zwei Jahren will er reisen, Südamerika, Südostasien, und nebenbei als Freelancer arbeiten. Gerade so viel, dass es für die Lebenshaltungskosten reicht. Seine Wohnung in Zürich hat er erst mal behalten. Traumschiff, Saison 2017. Die Kreuzfahrt läuft unter dem Titel „Nomad Cruise“ und kostet gerade mal 500 bis 700 Euro all inclusive, weil die „Zenith“ von ihrer spanischen Reederei sowieso über den Atlantik überführt werden muss. Die Gäste: allesamt digitale Nomaden. Selbstständige, die per Laptop und Smartphone von überall auf der Welt arbeiten können – und das auch tun. Der Erfinder der Kreuzfahrt ist selbst einer dieser Streuner: Johannes Völkner (34) aus Halle, Westfalen. Jahrelang ist er durch die Welt gezogen, hat in Kapstadt als Reiseleiter gejobbt, dann als Freelancer für eine Onlinemarketingagentur und hat schließlich einen Travelguide für Nomaden geschrieben. Die Kreuzfahrten veranstaltet er seit 2015. Seine derzeitige Homebase ist Tarifa an der Südspitze Spaniens. Die Stadt ist voll mit digitalen Weltenbummlern: Sie bietet mehr als 300 Sonnentage, selbst im Winter ist es selten kälter als 15 Grad, ein guter Kitesurf-Spot – und sie hat natürlich 2 schnelles Internet.

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WORKSHOP ON SEA Nomaden bekommen mitten auf dem Atlantik eine Einführung in die Blog- und Webseiten-Software WordPress

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Digitale Nomaden werden in der modernen Arbeitswelt mehr und mehr zum New Normal. Blogger, Softwareentwickler, Webdesigner, E-Commerce-Händler, die bei Alibaba Waren einkaufen und sie über Amazon wieder losschlagen, ohne sie jemals gesehen zu haben, Assistenten, Consultants – mit einem schnellen Internetanschluss, Laptop und Smartphone können sie von überall arbeiten. Die Kunden merken nicht, ob ihre Dienstleister in einem Gemeinschaftsbüro in Hamburg sitzen oder am Karibikstrand. Die junge Nomadengeneration ist mit dem Internet groß geworden, sie 2

FOTOS: MICHELLE KUTZNER (2), PR

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fliegt billig (mit EasyJet oder AirAsia) und wohnt günstig (mit Airbnb). Und sie weiß, wie man Arbitrage betreibt – das Geld wird in Euro verdient, ausgegeben wird es in Ländern mit Weichwährungen und niedrigen Lebenshaltungskosten. Digitale Nomaden streben nicht nach fetten Gehältern, sie brauchen keine Statussymbole. Ihr Luxus heißt Freiheit. Die Freiheit, heute hier zu sein und morgen dort. Selbst Unternehmer lenken ihre Firmen heute von unterwegs. Die Horde zieht von Ort zu Ort, stets dahin, wo sie gerade die besten Bedingungen findet: vorzugsweise Bali, Thailand, Vietnam. Manche schwören auf Brasilien und Kolumbien (vor allem die Ex-Terroristenhochburg Medellín). Schwer im Kommen sind Portugal, Spanien (inklusive Kanaren) sowie die osteuropäischen Metropolen Budapest, Prag und, aktueller Geheimtipp, Sofia. Abgesehen von den Kosten interessiert die Nomaden hauptsächlich 110

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IMMER IN ACTION 1 Wanderung auf Gran Canaria während des Szenetreffs Nomad City. 2 Bloggerin Conni Biesalski bei der täglichen Yogaübung in Ubud auf ihrer Lieblingsinsel Bali. 3 Gesundes Essen und viel Sport sind die Maximen der Nomaden. Hier üben sie Surfen am Strand von Las Palmas auf Gran Canaria.

eins: die Internetgeschwindigkeit vor Ort, gemessen in MBps. Wer beim Speedtest durchfällt, wird gemieden. Das Web ist für die Zugvögel die einzige Verbindung zu ihren Auftraggebern, ihren Kunden. Beginn einer Bewegung

Schätzungen zufolge beläuft sich die Zahl der digitalen Nomaden auf eine halbe Million Menschen. Marcus Meurer (39), der in Berlin den DNX Kongress für die Community veranstaltet, sieht darin die „Speerspitze einer Bewegung“. More to come. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens PwC kann sich jeder Fünfte der Generation Y vorstellen, von verschiedenen Orten aus mobil zu arbeiten. Manche der Weltenbummler halten sich gerade so über Wasser, an-

dere verdienen gut, einige wenige werden sogar reich. Die Berlinerin Conni Biesalski (32) arbeitete früher in einer PR-Agentur („Ich hasse Büros“) und gilt heute als eine der erfolgreichsten deutschen Reisebloggerinnen. Anfang des Jahres war sie drei Monate in Südkalifornien, jetzt ist sie zurück im Künstlerdorf Ubud auf Bali, ihrem Lieblingsdomizil. „Erfolgreiche digitale Nomaden reisen langsam“, sagt Biesalski, sie bleiben mindestens drei Monate an einem Ort. Und sie kommen immer wieder an eine Stelle zurück. Ihre Sachen sind verstaut in einer Tasche (42 Liter) und einem Messenger Bag (14 Liter). Solche Volumenangaben kennt jeder Nomade genau. Biesalskis Blog „Planet Backpack“ wird etwa alle zwei Monate aktualisiert und hat mehr als 150 000 Leser. Wo zahle ich als Weltbürger welche Steuern, welcher Rucksack ist der richtige, wie sieht die ultimative Packliste aus? Das sind ihre Themen. Auch ihr über 300 Seiten starkes E-Book „Digital, unabhängig, frei“ verkauft sich gut. Das verbucht sie als „passives Einkommen“. Ihr Nomadenleben hat sie von Beginn an als Business betrachtet. Ziel: so viel zu verdienen, dass sie „jeden beliebigen Flug sofort buchen und morgen fliegen kann“. Zwischen

DIGITALE NOMADEN

TOP 10

Die liebsten Orte der streunenden Techies

1 HO - C H I M I N HSTA DT Vietnam

2 P R AG

Tschechien

3 TA I P E H Taiwan

4 P ORTO Portugal

5 B U DA P E ST Ungarn

6 R I C H M ON D USA

7 MIAMI USA

8 VA NCOUVER Kanada

Auch Pete Hall (41) ist Unternehmer. Er sitzt im „Fresh Fresh Café“ in Cabarete im Norden der Dominikanischen Republik und bestellt einen veganen Burger und einen Smoothie. „Nomaden sollten gesund leben und viel Sport treiben“, sagt er. Vor fünf Jahren reiste Hall zum ersten Mal nach Europa, nach Skandinavien. Er war von dem Trip so begeistert, dass er beschloss, die Welt zu entdecken. Seither führt er seine IT-Firma in New Jersey via Laptop und Smartphone. Ihm fehlt nichts, nur seinen Hund vermisst er. Millionär durch Bloggen

Das große Vorbild vieler Nomaden und die Ikone der Szene ist der Ire Johnny Ward (33). Sein USP: Er ist der jüngste Mensch, der alle Länder bereist hat. Was er geschickt in seinem Blog „onestep4ward“ vermarktet. Mehr als 1,5 Millionen Dollar hat der bereits eingespielt. Ward besitzt jetzt Immobilien in Bangkok und London. Vor allem die Nomaden aus den USA haben es weit gebracht. Die erfolgreichsten unter ihnen haben sich

im Dynamite Circle zusammengeschlossen. Der Klub zählt inzwischen über 1000 Mitglieder, sie helfen sich gegenseitig und sehen sich regelmäßig auf Kongressen in Barcelona oder Bangkok. Rein kommt nur, wer mehr als 5000 Dollar im Monat umsetzt. Gründervater Dan Andrews gibt seine Erfahrungen gern per „Tropical MBA“ Podcast an die Mitglieder weiter. Der ultimative „Place to be“ wird ständig aktualisiert. Das bekannteste Ranking ist die Nomad List. Chiang Mai, die Stadt im Norden Thailands, ist derzeit eine der angesagtesten. Mildes Klima, günstige Preise und Flüge und eine nahezu perfekte Infrastruktur. Wer die Innenstadt mit ihren vielen Tempeln verlässt, kommt auf die Nimman Road. Von ihr gehen alle paar Meter durchnummerierte Sois ab, enge Nebensträßchen. Überall sieht man Ausländer, mit Rucksäcken, auf Motorrollern oder in Cafés vor ihren aufgeklappten Laptops. Gegenüber den ersten Blocks der Nimman Road liegt die schicke 2 2

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9 L A S V EGA S USA

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Indonesien Quelle: Nomad List, Stand 11. April 2017

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VORBILDER 1 Weltenbummler Johnny Ward verdiente mit seinen Reiseblogs schon über 1,5 Millionen Dollar. Er ist die Ikone der Szene. 2 Die beiden Niederländer Gawin und Brenda reisen mit der zweijährigen Eliza und

insgesamt nur 14 Kilo Gepäck um die Welt. 3 Der US-Bestsellerautor Tim Ferriss („Die 4-StundenWoche“) sieht sich als Guru der Bewegung. Manche halten ihn dagegen nur für einen gewieften Verkäufer von Illusionen.

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FOTOS: WIREIMAGE / GETTY IMAGES, PR (2)

3000 und 4000 Euro nimmt Biesalski pro Monat ein. Ihr Blog wird von der DKB gesponsert, weil sie deren Visacard promotet. Und ein wenig Produkt-PR macht sie auch. Krankenversichert ist sie bei der Techniker für 230 Euro im Monat. Eine Altersvorsorge hat sie nicht: „Ich plane nicht, in Rente zu gehen.“ Stefan Klumpp (33) tickt da anders. Der Mann ist Schwabe, geboren und aufgewachsen in Baiersbronn, studiert hat er in Ulm und Edinburgh. Vorsorge liegt ihm quasi in den Genen. Klumpp ruft aus Canggu an der Westküste Balis an. Normalerweise ist er in Europa und im südlichen Afrika unterwegs, seine Freundin stammt aus Zimbabwe. Die beiden haben sich 2015 über Tinder kennengelernt und zum Frühstück getroffen, „ganz modern“. Er war damals für drei Monate in Kapstadt zum Kiten, sie besuchte eine internationale Justizkonferenz. Klumpp lebt in einem 45 000 Euro teuren Camper („Zu Hause ist, wo ich parke“), einem Weinsberg CaraBus 601 MQ auf Fiat-DucatoBasis. WLAN hat er nicht, er loggt sich über sein Smartphone ein, für jedes Land kauft er sich eine lokale SIM-Karte, bis zu einem Gigabyte braucht er am Tag. Vor fünf Jahren hat Klumpp zusammen mit Jordi, seinem spanischen Partner, die Firma Mobile Jazz gegründet. Sie entwickeln Apps, unter anderem für Airbus und Google. Ein virtuelles Unternehmen, die 20 Mitarbeiter sitzen in Barcelona, Irland, Polen, Österreich, Thailand und auf Mauritius. „Sie können selbst entscheiden, wo sie arbeiten wollen“, sagt Klumpp. Ein paarmal im Jahr trifft sich die Belegschaft in Barcelona, zum Skifahren in Österreich oder auf Bali oder Martinique. Das Modell funktioniert. „Wir waren von Anfang an profitabel.“ Klumpp hat nie den Fehler gemacht, den er bei vielen Nomadenanfängern beobachtet: „Die haben einen Traum, aber keine Disziplin.“ Seine Buchhaltung erledigt er weitgehend selbst, denn er hat festgestellt, dass die meisten Berater vom internationalen Steuerrecht kaum Ahnung haben.

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Maya Mall, auf deren fünfter Etage sich das CAMP erstreckt. An den Glaswänden kleben Sprüche von Steve Jobs und Richard Branson. Dahinter hocken an langen Holztischen Thais und Ausländer vor Monitoren, eine Bar versorgt die Jugend mit Essen und Getränken. Solche Coworking-Flure gibt es auch in Bangkok (HUBBA), Ho-ChiMinh-Stadt (Dreamplex) oder Las Palmas (CoworkingC). Für die heimatlosen Nomaden sind sie der zentrale soziale Knotenpunkt. „Nomadenleben kann sehr einsam machen“, weiß Cruise-Veranstalter Völkner aus Erfahrung.

FOTOS: MICHELLE KUTZNER (2), PR

Coaching für Nomaden

In den vergangenen Jahren ist eine regelrechte Serviceindustrie entstanden, die das reisende Laptopvolk umsorgt. Ständig eröffnen neue Coworking-Stationen, die Szene wird mit immer mehr Events umgarnt. Hierzulande gilt der DNX Kongress in Berlin Ende Mai als der 112

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wichtigste. Die 800 Plätze sind schon seit Wochen ausgebucht. Veranstalter sind Marcus Meurer und seine Freundin Felicia Hargarten, beide digitale Nomaden, die selbst bloggen und eine Onlinemarketingagentur betreiben. 5000 bis 6000 Euro verdienen sie so im Monat. Ihre Wohnung in Berlin haben die beiden aufgegeben, sie arbeiten zumeist von der thailändischen Insel Phuket aus. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Nomaden, die davon leben, ihresgleichen zu beraten. Dutzende von Überlebensratgebern sind erschienen, die Bibel stammt von Tim Ferriss: „Die 4-Stunden-Woche“. Darin rechnet der Amerikaner vor, wie man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel verdient. Ferriss lässt sich gern als Guru feiern, für die Reisebloggerin Conni Biesalski ist er ein geschäftstüchtiger Verführer: „Vergiss es, so einfach wie bei Ferriss ist die Welt nicht.“ Das wird einem spätestens klar, wenn man mit Barbara Riedel (29) am Strand von Pigeon Island (St. Lucia) aufs Meer blickt. Auf der einen Seite tobt der Atlantik, auf der anderen liegt ruhig die Karibik. Riedel hat Romanistik studiert, ist Dolmetscherin, auch sie bloggt und schreibt Ratgeber wie „Reisen fürs schmale Portemonnaie“, bei Amazon für 3,99 Euro bestellbar.

TREFFEN DER VAGABUNDEN 1 In Großraumbüros wie dem CoworkingC in Las Palmas können die Nomaden ihrer Einsamkeit entfliehen. 2 Felicia Hargarten und Marcus Meurer umgarnen die Szene mit Events wie dem DNX Kongress in Berlin. 3 Beim NomadCity-Event in Las Palmas tauschen sich die Weltenbummler – hier der Ire Niall Doherty – über ihre Erfahrungen aus.

Sie weiß, worüber sie schreibt. 30 Euro kann sie am Tag ausgeben, mehr nicht. Sie schläft in den Hostels auch schon mal in Mehrbettzimmern oder bei Freunden auf der Couch. Wenn das Geld knapp wird, sucht sie sich einen Job über die Website WorkAway. Moderne Nomaden sind – anders als die traditionellen – Einzelgänger, Paare selten, Familien erst recht. Große Ausnahme: der Niederländer Gawin Brave, der mit Frau Brenda und der zweijährigen Tochter Eliza unterwegs ist. Die Familie lebt vom Housesitting, sie passt auf, solange die Eigentümer der Immobilien verreist sind, oft mehrere Monate lang. Brave gilt in der Szene als der effizienteste Packer. Er kennt von 250 Artikeln die Gewichtsangaben – in Gramm. Vater und Mutter kommen deshalb mit einem Rucksack von exakt sieben Kilo aus. Als man ihn fragt, was da alles so reinpasst, bringt ihn das auf die Idee, schnell mal eine Webseite zu launchen: 7kgchallenge.com. So tickt die Zunft. Was aber auch er nicht einpacken kann: Freunde. Ständig stehen Abschiede von Orten und Menschen an. Wie lange sie das Aus-dem-Rucksack-Leben durchhalten, mag keiner dieser Vagabunden vorhersagen. Tim Chimoy (35) ist aus dem Kreislauf bereits ausgebrochen. Der Architekt aus Köln hat ein Haus in Chiang Mai angemietet, nach rund fünf Jahren auf Tour. Seinen Unterhalt verdiente er sich mit CAD-Zeichnungen für deutsche Kunden. Doch er hatte genug davon, Menschen immer nur virtuell zu treffen. In der zweistöckigen Immobilie hat er nun auf der unteren Etage einen Konferenzraum eingerichtet. Für Nomaden, die er coacht. 1 Wolfgang Hirn