Erstsprachlicher Erwerb von W-Fragen: Theorie der Produktion Fallstudien

Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt, Institut für Linguistik, Seminar “Produktion und Interpretation von W-Fragen” Dozentin: Prof. Dr. Schulz...
Author: Helge Kaiser
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Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt, Institut für Linguistik, Seminar “Produktion und Interpretation von W-Fragen” Dozentin: Prof. Dr. Schulz Referentin: Gemma Stegmann 5. Mai 2014

Erstsprachlicher Erwerb von W-Fragen: Theorie der Produktion – Fallstudien

Generativ orientierte Grundlagen zur Produktion von W-Fragen ● Wh-Kriterium (Rizzi 1996): Im Englischen haben W-Fragen eine Inversion (I-to-C genannt). Rizzi formuliert die Bewegung als Well-formedness-Bedingung, wobei Ziel der Bewegung ist, dass das W-Wort und das Verb direkt nebeneinander stehen (adjacency), in einer Head-Specifier Beziehung. W-Bewegung kann overt oder covert sein. W-Wort bewegt sich auf C, und W-Merkmal auf SpecCP. A) A wh-operator must be in a specifier-head relation with a head carrying the wh-feature B) A head carrying the wh-feature must be in a specifier-head relation with a wh-operator ● Verletzungen des Wh-Kriterium wie z.B. * What John has done? sind ein Schritt im Erwerb (Stomswold 1990), wo I-to-C optional ausgelassen werden kann, vermutlich aufgrund sprachspezifischer Faktoren ● Parameter:

Parametersetzung für Englisch, Italienisch:

1) Overt movement of vs in-situ wh-element

Overt wh-movement

2) Application vs non-application of I-to-C

Application I-to-C

● Fragen, in denen Aux fehlt, sind ein Erwerbsschritt. Unter Annahme, dass das W-Kriterium besteht, stellen Guasti und Rizzi die Null-Auxiliary Hypothese auf. Durch Null-Aux wird das W-Kriterium erfuellt. ● Null-Auxiliary Hypothesis (Guasti & Rizzi 1996, Guasti 2000): Strukturen, wo das Aux fehlt, wo im Englischen z.B. das Verb im Infinitiv oder Progressiv erscheint (-ing), haben ein Null-Aux. Als Motivation fuer das Null-Aux wird eine Parallele zum Null-Subjekt gezogen, das in der Root erscheint. Null-Subjekte stehen in Specifier-Position der Root (Rizzi 1994), weil sie nur dort vom ECP isoliert sind, d.h. nur in der Root koennen keine Abgleichungen mit Antezedenten (Referenten wie Eigennamen oder NP) stattfinden, die clause-interne Identifikation muss nicht stattfinden. Variation im Gebrauch von Aux wird erklaert als Resultat einer Schichtung (layering) innerhalb der CP (Rizzi 1997), wo ForceP die hoechste Projektion ist (und FocusP CP ersetzt). Null-Aux koennen nur in der Root auftreten, und folglich nur dort erscheinen wo I-to-C/Foc stattgefunden hat. ● (Guasti & Rizzi 1996) schlagen vor, dass Kindersprache Truncation unterhalb von ForceP aufzeigt, was Aux-lose Saetze erklaert. Eine Konsequenz von Null-Aux ist.

Fallstudie 1: Zuckerman and Hulk 2001 ● Fragestellung: Wie sieht der Erwerb von W-Fragen mit optionalem W-Movement aus? Wie ist der Erwerb von Optionality gestaltet? ● W-Fragen im Franzoesischen: optionales W-to-SpecCP, optionale pre-subject or post-subject position des Verbs/Aux ● Methode: - Eine Vergleichsstudie Kindersprache – Erwachsenensprache

- Kriterium Markedness zur Klassifizierung der alternativen Fragestrukturen: Franzoesisch: in situ, dann wh-movement ohne Inversion, danach wh-movement mit Inversion, zuletzt Inversion - Hypothese H1: Kinder erwerben zuerst die weniger markierte Struktur Zuckermann 2001: wenn movement optional ist, dann wird zuerst in situ erworben, als Folge des Economy Principles (Chomsky 1995) -Hypothese H2: Kinder benutzen weniger Inversion und weniger ESK als Erwachsene; Kinder benutzen mehr in situ als Erwachsene

Experiment:

● Probanten: 33 Kinder im Alter 4 bis 5,9 Jahre, 22 Erwachsene aus dem Grossraum Paris ● 32 W-Fragen (KES-Fragen als w-fronting-Fragen klassifiziert), mit sieben W-Woertern: que/was (7) où/wo (7) comment/wie (6) quel/welcher (5) pourquoi/warum (4) quand/wann (2) combien/wieviel (1). Die eingebetteten Fragen wurden von einer Marionette gestellt, die die Frage nicht direkt an den Adressaten stellen kann. ‘Je veux savoir où il est allé.’

Où est –il allé?

Inversion

Où est-ce qu’il est allé?

ESK

Où il est allé?

Fronting

Il est allé où?

In situ

Erwachsene mussten der Puppe die Frage direkt stellen. ● Befund für Kinder: - Inversion (0 vs 62 Prozent) und ESK (0 vs 5 Prozent) werden gar nicht benutzt - mehr wh-fronting als Erwachsene - Unterschied KESK vs ESK: KESK von beiden praeferiert (82 resp. 51 Prozent), Kinder benutzen W-ESK gar nicht - keine relevanten Unterschiede für in situ (aber ggf. Sprecher-individuelle Präferenz), nach outlierKorrektur Präferenz für in situ. Starke Variation zwischen den W-Woertern - que/KES/quoi für ‘was’ Kinder machen keine Strukturfehler, Erwachsene benutzen in situ nicht - pourquoi (niemals in-situ oder fronting-only), von Kindern korrekt, von Erwachsenen falsch gebraucht - Erwachsene benutzen mehr W-fronting als Kinder - Kinder benutzen weniger in situ W-Elemente als Erwachsene

● Interpretationen: - Asymetrien zwischen Erwachsene und Kinder widerlegen Annahme, dass Kinder allein vom Modell der Erwachsenen/mit externen Stimuli erwerben - Zuckerman und Hult vermuten, dass die Art des W-Wortes einen Effekt hat. Erklärung: Economy: jedes Wh-Wort wird separat gelernt - Inversion wird gehört und gelernt

Fallstudie 2 : Hamann 2006 ● Fragestellug: Wie sieht die spontane Produktion von drei Tyoen von W-Fragen aus? Im Vergleich normaler vs. nicht-normaler Erwerb? Werden vorherige Befunde bestaetigt? Wie kann man die Befunde mit dem Economy Principle erklaeren? W-Fragen: in situ, wh ohne Inversion, wh mit Inversion Il va où?

In situ

Où il va?

Fronted

Où va-t-il?

Fronted mit Inversion

Où est-ce qu’il va?

“periphrastic”, “fronted w-questions without inversion”

● Wh-Kriterium für Französisch: Merkmal kann in C oder in T sein, keine Truncation fur T (Rizzi 1991, 1995; Chomsky 1995) ● Structural Economy Principle (Rizzi 2000): Use the minimum of structure consistent with wellformedness constraints ● Methode: Analyse des Genf-Korpus Normale Probanten: drei Kinder des Korpus, Alter 1,8 bis 2,10 ● Hypothese: Infinitive in wh-Fragen nicht möglich, Null-Subjekte nur bedingt (in in situ)

Experimente ● Experiment 1: 6 Items, Kartenspiel bei dem eine Eigenschaft des Charakters erfragt werden muss drei Bedingungen: Ja-Nein-Frage freier Wahl, ESK, Inversion Befund: starke Praeferenz fuer in situ ● Experiment 2: Marionettenmethode, 12 Items, Eingebettete Fragevorgaben m. Stimulus – umformulierte direkte Frage Befund: ueber den Beobschtungszeitraum nimmt die (Null) Praeferenz von in situ zu, und die starke Praeferenz fuer Fronting ab fuer zwei der Kinder, beim dritten Kind ist es umgekehrt

● Experiment 3: 16 Items, Wiederholung einer gegebenen Frage ● Gesamtbefund: - Inversion wird am meisten vermieden. Interpretaton: die markierteste Struktur - Wh-Fronting ohne Inversion ist eine markierte Struktur - Es werden keine Infinitive gebraucht und nur selten Partizipien “où ranger ça?”, “où cachés?” - Null-Subjekte nur mit pourquoi-fronting; vorübergehend Null-Subjekte in in situ wh-Fragen ● Interpretation: Befunde sind in Einklang mit Truncation Hypothesis und Economy Principle ● Vorschlag: Befunde für pourquoi-Fälle passen zur Annahme von zwei Phrasen IntP (interrogative p) und Wh-phrase (Rizzi 1991), wo IntP höher als Wh liegt. Truncation unterhalb von ForceP.

Literatur: Guasti, M.T. 2004. Language Acquisition. The Growth of Grammar. Cambridge: MIT Press. Hamann, C. 2006. Speculations about early Syntax: the production of wh-questions by normally developing French children and French children with SLI. Catalan Journal of Linguistics, 5:143-189.

Zuckermann S., A. Hulk 2001. Acquiring optionality in French wh-questions: an experimental study. Revue Québécoise de Linguistique, 30, 2:71-94. Übung: Zeichnen Sie den Baum für die folgenden Sätze: a) Tu as fait ça comment? You Aux do that how b) Comment as-tu fait ça? How Aux you do that