Erosion der Normalarbeit und soziale Ungleichheit Andreas Diekmann und Ben Jann Professur für Soziologie, ETH Zürich Kontakt:
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Einleitung Erosion der Normalarbeit in CH und D „Atypische“ Arbeit und soziale Ungleichheit Diskussion
Erosion der Normalarbeit und soziale Ungleichheit. Andreas Diekmann / Ben Jann
München, 5.10.04, 1
Einleitung: Rege Diskussion über die These der „Erosion der Normalarbeit“ in den letzten 20 Jahren: – In Zuge der Individualisierung und der Flexibilisierung der Arbeitswelt würden Normalarbeitsverhältnisse schrittweise durch „atypische“ Arbeitsformen – d.h. neue, flexible und moderne, aber auch prekäre und ungeschützte, nicht am traditionellen Leitbild ausgerichtete Formen von Arbeit – abgelöst. – Unter „Normalarbeit“ wird i.d.R. eine Vollzeitbeschäftigung mit unbefristetem Arbeitsvertrag, Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit vom Arbeitgeber sowie sozialversicherungspflichtigem Einkommen verstanden.
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Kommission für Zukunftsfragen 1998: „Noch Anfang der siebziger Jahre standen (. . . ) einem Nicht-Normbeschäftigten fünf Normbeschäftigte gegenüber. Anfang der achtziger Jahre lag das Verhältnis bei eins zu vier, Mitte der achtziger Jahre bereits bei eins zu drei. 1996 lag es bei eins zu zwei. (. . . ) Bei Fortschreibung dieses Trends wird das Verhältnis von Norm- und Nicht-Normarbeitsverhältnissen in wenigen Jahren bei eins zu eins liegen. Nur die Hälfte der abhängig Beschäftigten hätte dann noch dauerhafte, arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Vollarbeitsplätze, ohne dass die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt zugenommen hätte.“
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Dass neue Arbeitsformen wie z.B. Teilzeitarbeit zugenommen haben, ist unbestritten. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass diese Zunahme auf Kosten der Vollzeitarbeitsplätze geht. Zwei Hypothesen: 1. Substitution: Normarbeitsverhältnisse werden durch atypische Beschäftigungsformen verdrängt. 2. Expansion: Der relative Rückgang der Normalarbeit kommt durch eine überproportionale Zunahme von atypischen Arbeitsverhältnissen (und der damit einhergegenden Ausweitung der Erwerbspartizipation) zu Stande. Absolut gesehen (bzw. relativ zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) nimmt der Stellenwert der Normalarbeit jedoch nicht ab.
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Erosion der Normalarbeit in der Schweiz: Erwerbsstatus: Schematische Darstellung Bevölkerung Nichterwerbspersonen
Erwerbspersonen Erwerbstätige
Arbeitslose
Abhängig Erwerbstätige
Selbständige
Auszubildende
Vollzeit
Teilzeit
Geringfügig
Normalarbeit
Befristet
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Normalarbeit: Männer (16−64) 100
Normalarbeit: Frauen (16−64) 100
97.8
97.1
96.2
90
93.5
90
80
80
70 73.2
70
71.1
75.3
69.0
67.4
60
60
60.1
59.5 50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
52.0
30.5
28.9
29.3
27.0
Quelle: Eidg. Volkszählungen 0
0 1970
1980
1990
2000
an abhängig Erwerbstätigen
1970
1980
1990
2000
an Bevölkerung
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Normalarbeit: Männer 100 Quelle: Eidg. Volkszählungen 90 80
Prozent
70 60 50 40 30 20 10 0 15
20
30 1970
40 1980
50 Alter
60 1990
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70
80
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Normalarbeit: Frauen 100 Quelle: Eidg. Volkszählungen 90 80
Prozent
70 60 50 40 30 20 10 0 15
20
30 1970
40 1980
50 Alter
60 1990
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70
80
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Erosion der Normalarbeit in (West-) Deutschland: Normalarbeit: Männer (25−55) 100 93.8
93.2
Normalarbeit: Frauen (25−55) 100 90.1
90
90
80 73.8
75.8
80 70.4
70
70
60
60
50
50
40
40
30
30 26.3
20
20
10
10
52.8
52.1 47.3
30.5
29.9
Quelle: GSOEP, gewichtet 0
0 858687888990919293949596979899000102
an abhängig Erwerbstätigen
858687888990919293949596979899000102
an Bevölkerung
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Zusammenfassung 1. Teil: Bis Ende der 80er Jahre: „Erosion“ der Normalarbeit hauptsächlich aufgrund des starken Wachstums der Frauenerwerbsquote (Hypothese 2)
Seit Anfang der 90er Jahre: Deutliche Anzeichen für eine tatsächliche Verdrängung von Normalarbeitsverhältnissen durch „atypische“ Beschäftigungsformen bei den Männern (Hypothese 1)
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„Atypische“ Beschäftigung und soziale Ungleichheit: Befürchtet wird u.a., dass der Prozess der Erosion der Normalarbeit zu erhöhter sozialer Ungleichheit führt.
Zwei Fragen: – Hat die soziale Position einen Einfluss auf die Beschäftigungsform? Ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit atypischer Arbeit grösser für Personen mit tiefer Bildung? – Steigt bei Erosion der Normalarbeit die soziale Ungleichheit? Erhöht beispielsweise atypische Beschäftigung das Armutsrisiko?
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Männer N = 9477
Atypische Arbeit (nur abhängig Beschäftigte)
Modell 1
Modell 2
Konstante
−1.428∗∗∗
−1.859∗∗∗
Bildung (Obligatorische Schule): Berufslehre u.Ä. −0.912∗∗∗ Matura u.Ä. 0.785∗∗∗ Höhere Berufsausbildung −0.766∗∗∗ Hochschule 0.205
−0.544∗∗∗ 0.874∗∗∗ −0.239 0.472∗∗
Ausländer/in
−0.036
Zivilstand (verheiratet): Ledig Geschieden/verwitwet
Frauen N = 9740 Modell 1 0.797∗∗∗ −0.030 0.235∗ −0.073 −0.047
Modell 2 1.776∗∗∗ 0.255∗∗ 0.706∗∗∗ 0.358∗∗ 0.297∗ −0.819∗∗∗
0.650∗∗∗ 0.148
−1.810∗∗∗ −1.250∗∗∗
Berufl. Position (ohne Vorgesetztenfunktion): In Unternehmensleitung −0.957∗∗∗ Mit Vorgesetztenfunktion −0.806∗∗∗
−0.883∗∗∗ −0.714∗∗∗
Wirtschaftsabschnitt (tertiärer Sektor): Primärer Sektor Sekundärer Sektor
0.628 −0.606∗∗∗
−0.246 −0.799∗∗∗
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ISCO-Berufe (Bürokräfte): Führungskräfte Akademiker Techniker u.Ä. Dienstleistung/Verkauf Landwirtschaft Handwerker u.Ä. Anlagen/Maschinenbediener Hilfsarbeitskräfte
−0.002 0.618∗∗∗ 0.065 0.469∗∗ 0.529 0.001 −0.465∗ 0.536∗∗
−0.440∗∗ 0.344∗∗ −0.052 0.287∗∗∗ −0.331 −0.444∗∗ −0.971∗∗∗ 0.844∗∗∗
Altersgruppen (35-39): Alter 15-19 Alter 20-24 Alter 25-29 Alter 30-34 Alter 40-44 Alter 45-49 Alter 50-54 Alter 55-59 Alter 60-64
2.286∗∗∗ 0.752∗∗∗ 0.205 0.008 0.110 0.087 −0.174 0.197 1.055∗∗∗
0.646∗∗ −0.678∗∗∗ −0.834∗∗∗ −0.333∗∗∗ 0.024 −0.112 −0.206∗ −0.046 0.539∗∗∗
Pseudo R2
0.053
0.169
0.002
0.186
Quelle: SAKE 2003, gewichtet, nur abhängig Beschäftigte Erosion der Normalarbeit und soziale Ungleichheit. Andreas Diekmann / Ben Jann
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Armutsrisiko Atypische Beschäftigung Bildungsjahre Ausländer/in Verheiratet Atypische Besch. × verheiratet Konstante Pseudo R2
Männer (N = 7328)
Frauen (N = 6592)
2.109∗∗∗ (8.07) −0.149∗∗∗ (−3.75) 0.654∗∗ (3.27) 0.174 (0.78) −0.981∗ (−2.54) −2.649∗∗∗ (−5.07)
1.714∗∗∗ (8.14) −0.183∗∗∗ (−4.17) 0.602∗∗ (3.09) −0.878 (−1.89) −0.423 (−0.88) −1.717∗∗ (−3.07)
0.073
0.077
Quelle: SAKE 2003, gewichtet, nur abhängig Beschäftigte; Abhängige Variable: Haushaltseinkommen < Median-Haushaltseinkommen/2 (stratifiziert nach Haushaltsgrösse)
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Zusammenfassung 2. Teil: „Atypische“ Beschäftigung ist keineswegs nur ein notwendiges Übel für Personen am unteren Ende der sozialen Hierarchie, sondern auch ein Privileg besser Gebildeter. Die Frage ist, wie man zwischen „guten“ und „schlechten“ atypischen Jobs unterscheiden kann.
Trotzdem kann ein Einfluss der Beschäftigungsform auf das Armutsrisiko ausgemacht werden. Inwieweit die soziale Ungleichheit insgesamt durch die Ausweitung atypischer Beschäftigung beeinflusst wurde, ist in einer Längsschnittbetrachtung noch zu klären.
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