Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers

Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers von Dr. med. dent. Michael Kluck Niedergelassener Zahnarzt mit Praxislabor seit 1972 in Warendorf, EU...
Author: Roland Falk
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Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers

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Dr. med. dent. Michael Kluck Niedergelassener Zahnarzt mit Praxislabor seit 1972 in Warendorf, EU, Germany Spezialgebiete: Prothetik, Totalprothetik, Gerontoprothetik, Funktionsanalyse

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Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers Die Ermittlung des Drehpunktes bzw. der Rotationsachse - technisch auch Scharnierachse genannt - ist messtechnisch wohl sehr schwierig einzuordnen und zu ermitteln. Es ist kaum ein anderer Messpunkt bekannt, der von der Wissenschaft unterschiedlicher angegeben wird. Beispielhaft soll hier der Scherenwinkel [1] mit dem xi-Punkt, der Satowinkel mit der Satoebene, der konstruierte DC-Punkt [1], der Axispunkt des Kondylus (ha) [2,3], der von Gysi angenommene dorsal des aufsteigenden Astes in der Höhe des Processus condylaris liegende terminale Scharnierachsenpunkt [4,5], der palpierte Drehpunkt oder in der Prothetik wohl am häufigsten verwendete Punkt auf der FH in einer Entfernung von 13 mm vom Tragion entfernte Punkt. (Manche Autoren geben diesen Wert auch mit 14 mm an.) Vergessen sollte man auch nicht den Artikel von Rainer Schöttl [6] über „Die Wichtigkeit der Kauebene und Methoden zur Analyse im Artikulator“, der im ICCMO-Brief Jan 2000 über das HIP - Mount System veröffentlicht wurde. Überträgt man alle Punkte aus den unterschiedlichen Theorien auf einen Fall, wird man Abweichungen von 4-5 cm erhalten. Man kann nun die Ansicht vertreten; dass die genaue Lage der Rotationsachse des Unterkiefers von untergeordneter Bedeutung ist. Dieses stimmt auch, wenn die definitive Bisshöhe durch die Bissnahme festgelegt ist und die Artikulatorachse nur zum Öffnen und Schliessen des Artikulators verwendet wird, um besser arbeiten zu können. Jeder noch so hoch entwickelte Artikulator würde damit jedoch zum „Klipp – Klapp Artikulator“ degradiert. Die genaue Lage der Rotationsachse muss jedoch immer dann bekannt sein, wenn am Artikulator Veränderungen der Bisshöhe nach einer vorangegangenen Bissnahme vorgenommen werden. Dieses ist bei vielen prothetischen Arbeiten der Fall, wenn. z. B. nachträgliche Korrekturen nach einer Anprobe notwendig werden oder wenn bei einem Pfeilwinkelregistrat im bezahnten oder teilbezahnten Kiefer eine Absenkung erfolgt. Bei der Herstellung einer Aufbissschiene wird immer im Artikulator die Bisshöhe verändert. Hier ist das genaue Wissen um die Lage der Rotationsachse unabdingbar, da eine pathologische Bisshöhe verändert werden muss. Aber auch in der Kieferorthopädie wäre bei der Herstellung von herausnehmbaren Geräten die Lage der Scharnierachse von großer Bedeutung, da hier in den meisten Fällen Klammern über die Okklusion gefertigt werden, die eine Bisssperrung erzeugen, die ihrerseits die Lage des Gelenks beeinflusst und dieses in der Mehrzahl der Fälle unkontrolliert. Es sind in diesem Zusammenhang auch noch die Aktivatoren und Positioner zu erwähnen. Bedauerlicher Weise wird aber gerade in der Kieferorthopädie bei der Herstellung der Geräte das gesamte Gelenk vernachlässigt. Dieser Umstand führt wahrscheinlich dazu, dass heute in erschreckend hohem Ausmaß bei 30-40 jährigen Patienten bereits Aufbissschienen zur Beseitigung von Gelenkbeschwerden gefertigt werden müssen. Die Lage der tatsächlichen Rotationsachse des Unterkiefers bei der Übertragung auf die Scharnierachse des Artikulators hat immer dann eine entscheidende Bedeutung, wenn im Artikulator Veränderungen vorgenommen werden müssen. Bereits Abweichungen im Millimeterbereich würden keine gesicherte zentrische Okklusion zulassen. Toleranzen im Zentimeterbereich sind absolut inakzeptabel. Um die genaue Lage der Scharnierachse zu bestimmen, wurde zunächst vom Autor eine Untersuchung der Kinematik des Unterkiefers vorgenommen.

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Beim Caput mandibulare handelt es sich in 10 % der Fälle nach Prof. Tillmann [7] um eine reine Walze (Abb. 1), in weiteren 10 % um ein abgerundetes Caput (Abb. 2). In den verbleibenden 80% ist das Caput eine Mischform zwischen den beiden Extremen. Wenn hieraus ein technisches Lager gebaut würde, dann stellt nur der kugelförmige Condylus einen Sonderfall dar, 90 % der Fälle sind als Walzenlager zu Abb.1 Abb.2 betrachten. Beim Unterkiefer handelt es sich als anatomische Besonderheit um ein geschlossenes Gelenksystem. Das bedeutet, das linke Gelenk kann keine Bewegung ohne das rechte Gelenk ausführen. Eine weitere Besonderheit im menschlichen Unterkiefergelenk besteht darin, dass die Achsen der Lager - anders als beim Polarbären - nicht in einer Achse liegen, sondern in einem Winkel von 130 ° 140° angeordnet sind (Abb. 3). Ein solches Gelenk führt bei der Öffnung und Schließung Abb.3 eine dreidimensionale Bewegung durch, die zunächst nicht einfach nachvollziehbar ist. Um diese Bewegung zu verstehen, wurde vom Autor ein Modell

Abb.4

Abb.5

Abb.6

gebaut. Abb. 4 zeigt den Unterkiefer. Abb. 5 stellt das Gegenlager der Schädelbasis dar und in Abb. 6 ist das zusammengesetzte Modell zu sehen. Wird nun der Unterkiefer bewegt, so wird festgestellt, dass die Walzen des Unterkiefers (Caput condylaris) nur in einer Stellung gleichmäßig in voller Breite im Abb.7 Abb.8 Lager anliegen und dadurch eine gleichmäßige Druckverteilung auf die Schädelbasis übertragen (Abb. 7). An dieser Stelle würden wir die physiologische Bisshöhe definieren. Wird der Unterkiefer nun geöffnet, so wird das Walzenlager ausgehebelt. Es entsteht auf der Innenseite der Walze ein punktförmiger Druck senkrecht auf die Schädelbasis bei gleichzeitiger ventraler Entlastung des Gelenklagers (Abb. 8). --------Dr. Michael Kluck: Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers, 2005

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Die Außenseite der Walze wird an der Schädelbasis entlastet und drückt gegen die Hinterwand. Diese Hinterwand entspricht anatomisch der Vorderwand des Porus acusticus externus (Abb. 9/10).

Abb.9

Abb.10

Schließt man nun den Unterkiefer über die physiologische Bisshöhe hinaus, ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Die Innenseite der Walze entlastet sowohl die Schädelbasis wie auch die Rückwand, während der gesamte Druck auf der Außenseite gegen die Schädelbasis und die Wand des Porus acusticus externus aufgebaut wird (Abb. 11). Durch diesen Sprung der Druckvektoren, die den Gesamtdruck auf die Außenseite des Gelenks an die dünnsten Stellen des Skeletts verlagern, sind Schmerzen im Gelenk, die häufig zunächst als Ohrenschmerzen geäußert werden, zu erklären. Beide Fälle (Schließ- und Öffnungsbewegung um die physiologische Bisshöhe) haben jedoch gemeinsam, dass eine horizontale Kraft gegen die vordere Wand des Porus acusticus externus aufgebaut wird. Wenn keine Quetschungen in der Gelenkkapsel erfolgen sollen, muß sich der Processus condylaris nach vorne bewegen. Gleichzeitig wird aber auch ein Kraftvektor Abb.11 gegen die Schädelbasis aufgebaut, die den Processus condylaris nach unten bewegt. Der Processus condylaris kippt somit entlang der Kondylenbahnneigung nach vorne unten (Abb. 12). Errechnet man hieraus die Rotationsachse des Gesamtsystems, so stellt man fest, dass diese nach hinten unten, also dorsal des Processus condylaris, wandern muss (roter Punkt in Abb. 12). Betrachtet man nun (Abb. 9) das Gelenk in seiner Anatomie von lateral, so ist auch keine andere Bewegung skelettal möglich. Diese Überlegungen entstanden rein aus der mechanischen Betrachtung des Bewegungsablaufs der Unterkieferrotation. Die Bewegung wird zusätzlich noch muskulär und geweblich unterstützt, ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich die Rotationsachse dorsal hinter dem Processus Condylaris befindet. Abb.12 --------Dr. Michael Kluck: Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers, 2005

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Als Ergebnis muss somit festgestellt werden, dass bei jeder Bewegung um die physiologische Bisshöhe eine Rotation des Unterkiefers um eine dorsal gelegene Achse erfolgt. Welche pathologischen Auswirkungen eine nicht physiologische Bisshöhe hat, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Zum Beweis dieser Theorie wurde ein freiwilliger Proband ausgesucht. Hierfür wurden zur Fixierung des Gebisses in der retroartikularen Stellung Aufbissschablonen mit einer Bisssperrung von 5 mm und 35 mm gefertigt (Abb. 13, 14). Danach wurden ein Fernröntgenbild in der Zentrik und zwei weitere mit den inkorporierten Schablonen gefertigt (Abb. 15-17). Für all diese Bilder erfolgte eine Auswertung mit einer Abb.13 Abb.14 FRS-Software der Firma GZDS in Warendorf, die in der Lage ist, graphische Vektorzeichnungen zu erstellen und die Bilder nach

Abb.15

Abb.16

Abb.17

Endzerrung überlagern kann. Es wurde zunächst das Bild der Zentrik mit dem 5 mm Schablonenbild überlagert (Abb. 18).und der Drehpunkt des Unterkiefers ermittelt. Das Gleiche wurde mit dem 35 mm Schablonenbild gemacht (Abb. 19).

Abb.18

Abb.19

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Abb. 20 zeigt nun die Überlagerung der drei Bilder. Im roten Kreis befinden sich beide Rotationspunkte, die fast genau übereinanderliegen. Dies bedeutet, dass die Gesamtbewegung des Unterkiefers um diese Achse erfolgt ist. Diese Achse liegt dabei an der gleichen Stelle, die aus der Mechaniktheorie des Unterkiefers hergeleitet wurde. Auch die Anatomen Benninghoff und Goerttler [8] kommen zum gleichen Schluss. Sie beschreiben, dass man durch das Auflegen der Finger auf den Gelenkkopf leicht feststellen kann, dass es nicht möglich ist, den Kiefer zu öffnen, ohne dass der Kieferkopf nach vorne rutscht. Dieses bedeutet, dass die Drehachse dorsal und unterhalb des Axispunktes liegen muss, wie es auch die Abb.12 zeigt. Sie beschreiben weiter, dass eine Drehung um den Axispunkt nur an der Leiche ausgeführt werden kann. Abb.20

Kritische Zusammenfassung: Die Rotationsachse des Unterkiefers liegt dorsal und unterhalb des Axispunktes des Processus condylaris. Jede Rotation im Artikulator zur Korrektur für eine definitive Arbeit führt ohne genaue Positionierung der Modelle zu erheblichen Störungen in der Okklusion oder im Kiefergelenk. Dass die Physiologie des Gelenkes durch Umbau die Ungenauigkeiten ausgleicht, kann nicht der gewünschte Effekt sein, besonders wenn es sich bereits um einen pathologischen Zustand handelt oder wenn das Kauorgan orthopädisch beeinflusst werden soll. Das hier beschriebene röntgenologische Verfahren liefert zwar die Rotationsachse genau, ist aber wohl nur wissenschaftlichen Zwecken vorbehalten. Dieser Aufsatz kann deshalb nur dazu dienen, die wissenschaftliche Diskussion anzuregen und die Übertragungsmöglichkeit von der definitiven Rotationsachse auf die Scharnierachse des Artikulators zu erforschen. Die preiswerte Videotechnik könnte hier eventuell weiterhelfen. Entwicklungen des Softwarehauses GZDS in Warendorf, das bereits einen Videogesichtsbogen entwickelt hat, werden wegen des fehlenden wissenschaftlichen Interesses nur langsam vorangetrieben, obwohl der Verfasser gerade in dieser Technik ein für jeden Zahnarzt anwendbares Verfahren sieht. Korrespondenzadresse: Dr. Michael Kluck Sassenberger Straße 9 48231 Warendorf Tel.:02581/6384-0 Fax.:02581/6384-99 e-mail: [email protected] --------Dr. Michael Kluck: Ermittlung der Rotationsachse des Unterkiefers, 2005

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Literaturverzeichnis: [1] medweb.uni-muenster.de/institute/zmk/einrichtungen/kfo/lehre/bildung/analysen [2] Rakosi Atlas und Anleitung zur praktischen Fernröntgenanalyse, Carl Hauser Verlag [3] Rakosi Kieferorthopädie Diagnostik Farbatlanten der Zahnmedizin Band 8, Thieme Verlag [4] Hofer, Reichenbach, Spreter von Kreudenstein, Wannenmacher Lehrbuch der klinischen Zahn-, Mund-, Kieferheilkunde, Johann Ambrosius Barth, Leipzig [5] Prof Gysi Die Herstellung einer totalen Prothese, De Trey Gesellschaft mbH, Solilahaus Berlin [6] Rainer Schöttl „Die Wichtigkeit der Kauebene und Methoden zur Analyse im Artikulator“, ICCMO-Brief Jan 2000 [7] Rauber/Kopsch Anatomie des Menschen Band 1 Bewegungsapparat, Thieme Verlag [8] Benninghoff-Goerttler Lehrbuch der Anatomie des Menschen, Erster Band, Allgemeine Anatomie und Bewegungsapparat, Verlag Urban & Schwarzenberg München-Berlin

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