Basismodul gemäß WBVO Orale Substitution Wien 11.Nov. 2016
Entstehung von Suchterkrankungen Ursachen, Risikofaktoren, Früherkennung
Gerhard Rechberger Ärztlicher Leiter, Dialog Gudrunstraße
Definition der Abhängigkeit nach ICD-10 * Es handelt sich um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens oder kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer
Substanz für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewertet w urden.
* Ein entscheidendes Charakteristikum der Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente (ärztlich
verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak zu konsumieren
Diagnostische Kriterien der Abhängigkeit (Abhängigkeitssyndrom) nach ICD-10 1.
Ein starker Wunsch/Zwang die Substanz zu konsumieren
2.
Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. Beginn, Beendigung und Menge des Konsums
3.
Körperliches Entzugssyndrom
4.
Nachw eis einer Toleranz
5.
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen
6.
Anhaltender Konsum trotz Nachw eises eindeutig schädlicher Folgen
Davon mindestens 3 Kriterien im letzten Jahr erfüllt
Modell der Suchtentstehung
Konsum Missbrauch Gewöhnung
Sucht / Abhängigkeit
Neurobiologische Aspekte * Neurotransmitter die beim Konsum psychoaktiver Substanzen beteiligt sind: Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, endogene Opioide, endogene Cannabinoide, GABA; Glutamat * Synaptische Plastizität: Neurotransmitterkonzentration, Rezeptorzahl (Anstieg, Reduktion)
Limbisches System und „Belohnungssystem“ * Aufgabe: Verstärkung arterhaltender Verhaltensw eisen * Amygdala: emotionale Bew ertung * Hippocampus: Speicherung erfahrungsbedingter Gedächtnisinhalte * Ventrales Tegmentum: Informationen über Befriedigungsgrad v. Grundbedürfnissen * Aktivierung Schaltkreis VT - NA * Wichtige Handlungen w erden ermittelt, verstärkt und in ähnlichen Situationen w iederholt * Neurotransmitter: Dopamin
DOPAMIN zentraler Botenstoff des Belohnungssystems * Aktivität des Dopaminergen Systems stark erhöht bei Belohnung die nicht vorhersehbar w ar * Bei Belohnung in erw artbarem Ausmaß ist auch die Dopaminaktivität im normalen Ausmaß * Bleibt eine Belohnung aus verringert sich die Dopaminaktivität (Affenexperimente von Schulz, Cambridge 1998, 2000) * Dopamin das vom Gehirn bei einer positiven und unvorhergesehenen Konsequenz eines Verhaltens in einer bestimmten Situation ausgeschüttet w ird, entspricht einem regelrechten Lernsignal. Auf diese Weise erhöht das Gehirn die Auftretensw ahrscheinlichkeit dieses Verhaltensmusters
(Neurow issenschaften und Sucht, Societe Access, 2009)
Wechselwirkungen Suchtmittel Dopaminsystem Meth (green) fools the cell into dumping lots of dopamine (red) into the synapse, causing a surge of exhilaration
* Suchtmittelkonsum führt zu vermehrter Dopaminausschüttung im Belohnungssystem * Dopaminausschüttung unabhängig von positiver und v.a. überraschender Konsequenz!
www.learn.genetics.utah.edu
* Starkes Lernsignal, das erneuten Konsum fördert
Toleranzentwicklung www.learn.genetics.utah.edu
* Wiederholter Konsum führt zu Anpassungsmechanismen des dopaminergen Belohnungssystems: * Verringerung der Rezeptorenzahl
Normal
Meth Abuser
Red indicates the presence of dopamine receptors. The meth abuser has severely reduced receptor levels. Other drugs such as alcohol, cocaine and heroin have been shown to have this same effect
* Rezeptordesensibilisierung * Reduktion der Ausschüttung von Neurotransmittoren
Folgen der Toleranzentwicklung * Folge der Toleranz: Dosissteigerung und/oder
neue, zusätzlich konsumierte psychoaktive Substanzen * Bei fehlendem oder nicht ausreichendem Substanzkonsum negative psychische Zustände - Entzugssyndrome * Substanzkonsum um (zumindest vorübergehend) Normalzustand zu erlangen
Hinweisreize und Gedächtnis * Substanzinduzierte Dopaminfreisetzung > > > natürliche Erlebnisse „verzerrte Entscheidungen“ * Suchtmittel und „ Hinw eisreize“ erhalten besondere Bedeutung („ Mittelpunkt v. Denken und Handeln” ) * Abnahme der Lernsignale auch in Lebenssituationen in denen kein Substanzkonsum vorliegt „zu den Drogen gegenläufigen Prozess“ (Koob et. Le Moal 2008)
Suchtkonzepte: Theoretische Modelle zur Erklärung von Abhängigkeit * Biologisch begründete Suchtkonzepte Konditionierung, genetische Modelle * Sozialw issenschaftliche Konzepte Mileu, Kultur und Subkultur * Individualpsychologische Konzepte
(Stress-)Bew ältigungsstrategie,“ Sensation Seeking“ , Befindlichkeitssteuerung * Psychopathologische Konzepte
Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen, PTSD, Depressionen, Psychosen – Versuch einer Selbstmedikation
Integrative Konzepte - Multikausaler Ansatz Soziales Umfeld
Persönlichkeit
(Familie, Schule, Arbeit, Peer Group)
Selbstwert, Konfliktfähigkeit Psych. Störungen
*
Suchtmittel Verfügbarkeit / Preis Suchtpotential Konsummuster
Gesellschaftliche Bedingungen KonsumLeistungsorientierung
Integrative Konzepte Risiko und Schutzfaktoren * Risikofaktoren: die Wahrscheinlichkeit von Substanzkonsum und Abhängigkeit w ird durch bestimmte Umstände und Faktoren erhöht. Diese sind bei abhängigen Personen überdurchschnittlich häufig zu beobachten. * Schutzfaktoren: sollen im Gegenzug dazu in der Lage sein das Risiko der Entstehung einer Sucht zu reduzieren. * Risikofaktoren können durch Schutzfaktoren neutralisiert w erden und Vice Versa.
Risikofaktoren für Suchtmittelkonsum und Suchtentwicklung (nach A. Uchtenhagen) Faktor
Konsumerhöhung
Suchtförderung
Soziale Schicht
o
o
Sozialer Auf/Abstieg
o
+
Soziokultureller Umbruch
+
+
Erziehungsmileu
+
+
Aktuelles soziales Umfeld (Peers)
+
(+ )
Risikoberufe
+
+
Genetische Disposition
o
+
Missbrauch im Kindesalter
o
+
Persönlichkeitsstörung
+
+
Psychosen
+
+
Umw eltfaktoren
Individuelle Faktoren
Schutzfaktoren Umweltfaktoren
* Zugang zu Information, Bildung, Gesundheitseinrichtungen * Wohnqualität * Klima in der Schulklasse, am Arbeitsplatz
* Soziale Unterstützung * Soziale Kontrolle Individuelle Faktoren
* Risikobew usstsein * Gesundheitsverhalten * Erfahrung im Bew ältigen von Problemen
* Fähigkeit Hilfe anzunehmen * Selbstständige Urteilsbildung, Durchsetzungsfähigkeit
Risikoeinschätzung und Früherkennung Wer konsumiert? (Bio-Psycho-Soziale Risiko und Schutzfaktoren)
Was wird konsumiert? (Substanzen, Applikation)
Wie und Warum wird konsumiert? (Häufigkeit, Intensität, Motivation)
Gefährlichkeit von Suchtmittel (nach Natt, King, Saulsbury & Blakemoore)
Physical Harm Dependence Social Harm
Risikoeinschätzung und Früherkennung Wer konsumiert? (Bio-Psycho-Soziale Risiko und Schutzfaktoren)
Was wird konsumiert? (Substanzen, Applikation)
Wie (Häufigkeit, Intensität) Warum (Motivation) wird konsumiert?
Konsummuster / Konsumstadien
Probier-/ Experimentier-Konsum
Regelmäßiger, nicht problematischer Konsum
Zusätzliche Risikofaktoren : Kurze/fehlende Abstinenzphasen Frühes Einstiegsalter Riskante Applikationsformen Substanzen mit hohem Suchtpotential Abhängigkeit Kombination mehrerer Substanzen
Problematischer Konsum
Bio – Psycho – Soziale Risiko/Schutzfaktoren
Konsum Risikofaktoren
Konsumstadien
Beurteilung von Suchtmittelkonsum
Behandlungs-/Betreuungsempfehlungen
Behandlungs/Betreuungsempfehlungen * Probier / Experimentierkonsum: keine
* bei psychosozialen Belastungsfaktoren: ev. nicht suchtspezifische Betreuungsempfehlung * Regelmäßiger nicht problematischer Konsum: keine
* bei psychosozialen Belastungsfaktoren: nicht suchtspezifische Betreuungsempfehlung * bei Konsum-Risikofaktoren: suchtspezifische Betreuung, zumindest Kontrolltermin vereinbaren * Problematischer Konsum/Abhängigkeit: * Suchtspezifische Betreuung/Behandlung
* Immer Aufklärung: rechtliche Situation, Substanz und Konsumrisiken
es hängt davon ab…..
Danke für ihre Aufmerksamkeit ! Kontakt: Dr. Gerhard Rechberger Tel: 01 / 604 11 21 gerhard.rechberger(at)dialog-on.at www.dialog-on.at