Energie aus der Tiefe ERNST HUENGES

Geothermische Stromerzeugung Energie aus der Tiefe E RNST H UENGES Die Erde kann genug Wärme für geothermische Grundlastkraftwerke liefern – und zwar...
Author: Gert Müller
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Geothermische Stromerzeugung

Energie aus der Tiefe E RNST H UENGES Die Erde kann genug Wärme für geothermische Grundlastkraftwerke liefern – und zwar überall, nicht nur in vulkanischen Gebieten. Allerdings erfordert das Bohrungen von einigen Kilometern Tiefe. nspruchsvolle energie- und umweltpolitische Zielsetzungen stellen die Energieversorgung vor neue Herausforderungen: Der Energiemix der Zukunft soll ökologisch verträglich, ressourcensicher, wettbewerbsfähig und vor allem nachhaltig sein. Das erfordert eine Minderung von Emissionen und eine deutliche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung. Das Ziel der Europäischen Union, bis zum Jahr 2010 den Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch der EU mindestens zu verdoppeln, macht die hohen Erwartungen an diese Energieträger deutlich. Die Geothermie wird dabei immer interessanter: Anders als Wind und Sonne steht sie rund um die Uhr zur Verfügung, weshalb sie für Grundlast-Kraftwerke interessant ist. So stellt sie eine ökologisch beispielhafte und sinnvolle Alternative zur Kernkraft und zu fossilen Energieträgern dar. Aus Erdwärme kann Energie in Form von technisch nutzbarer Wärme oder elektrischem Strom bedarfsgerecht hergestellt werden. Die Erde birgt ein hohes, energiewirtschaftlich interessantes Potenzial an Wärme. Ihr Wärmeinhalt resultiert aus der Gravitationsenergie durch die Kontraktion von Gas und Festkörperpartikeln während ihrer Entstehung sowie aus einer eventuell noch vorhandenen Ursprungswärme und aus der Energiefreisetzung beim Zerfall radioaktiver Isotope. Nach heutigen Vorstellungen sind die Wärme produzierenden Isotope des Urans, des Thoriums und des Kaliums in der kontinentalen Kruste angereichert, die vorwiegend aus granitischen und basaltischen Gesteinen besteht (siehe „Wärme aus der Erde“, S. 285). Die geothermische Fündigkeit ist deshalb auch nicht auf ausgeprägt vulkanische Gebiete beschränkt. Im Prinzip gibt es Erdwärme überall, auch in Mitteleuropa. Allerdings muss man dort in Tiefen von vier bis fünf Kilometern bohren, um ein Temperaturniveau zu erschließen, das hoch genug ist, um über Dampfturbinen effektiv elektrische Generatoren antreiben zu können. Dieses Potenzial kann erst dann genutzt werden, wenn die Kosten und Risiken der Erschließung nachhaltig gesenkt werden. Die Herausforderung liegt in der Entwicklung von Technologien, die die Ergiebigkeit geothermischer Lagerstätten steigern und die Risiken bei der Lagerstättenerkundung senken.

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DOI:10.1002/piuz.200401050

Das Geothermielabor Groß Schönebeck.

Geothermie ist noch exotisch Im weltweiten Maßstab ist Erdwärme noch eine exotische Energiequelle. Nur 0,35 % der global erzeugten Wärmeenergie stammt nach UN-Statistiken aus der Geothermie. Bei der installierten elektrischen Leistung kamen im Jahr 2000 alle geothermalen Kraftwerke zusammen auf knapp 8 GW [1]. Das entspricht etwa 1,6 % der Weltstromproduktion aus erneuerbaren Energien, die von der Wasserkraft dominiert werden [2]. Zum Vergleich: 2003 lag die installierte Gesamtleistung aller Windenergie-Anlagen der Welt bei knapp 40 GW [3]. Allerdings hängt die Windkraft vom Wetter ab, weshalb alle Windanlagen auf dem Globus praktisch nie zusammen die maximale Leistung bringen. Bei der Geothermie ist das dagegen im Prinzip möglich. Anders als etwa in Island spielt die Geothermie in Mitteleuropa noch eine untergeordnete Rolle. Nur Italien kann in der Toskana ein bedeutendes geothermisches Kraftwerk vorweisen, das immerhin 750 MW elektrische Leistung bringt: Lardarello ist auch der Geburtsort der Gewinnung von elektrischer Energie aus Erdwärme. 1904 installierte dort Graf Piero Ginori Conti einen Dynamo, der von Dampf aus dem vulkanischen Boden angetrieben wurde. Er brachte im Dorf fünf Glühbirnen zum Leuchten. In Deutschland erlebte die Nutzung der Erdwärme in den vergangenen Jahren verhältnismäßig große Zuwachsraten. Ende 1999 waren 400 MWth Wärmeleistung aus der hydrothermalen Geothermie installiert. Davon verteilten sich 55 MWth auf 27 größere Anlagen, weitere 340 MWth stammen aus Erdwärmesonden: Das sind Wärmequellenanlagen für Wärmepumpen, die typische Ein- oder Mehrfamilienhäuser beheizen. Damit kommt insgesamt 6 ‰ der © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

GEOTHERMIE

für die Deckung des Wärmebedarfs in Deutschland erforderlichen Endenergie aus der Geothermie, was immer noch sehr wenig ist. Im Herbst 2003 ging im mecklenburgischen Neustadt-Glewe das erste Erdwärmekraftwerk Deutschlands mit einer Leistung von etwa 200 kW in Betrieb.

Geothermische Energiequellen Wärme lässt sich auf unterschiedliche Weise aus dem Boden gewinnen. Relativ verbreitet ist in Mitteleuropa die Oberflächen nahe Geothermie: Wärmepumpen nutzen Boden und Grundwasser in wenigen Metern Tiefe als Wärmequelle für die Versorgung von Häusern. Solche Anlagen brauchen nur einen geringen Temperaturhub von wenigen Grad, um für Heizzwecke ausreichend Wärme zu produzieren. Eine zweite Wärmequelle ist heißes Wasser aus der Erde. Solche hydrothermalen Systeme befinden sich in vulABB. 1

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kanischen Gebieten, aber auch in nichtvulkanischen Regionen. Heute nutzen noch die meisten größeren geothermischen Kraftwerke der Welt, die elektrischen Strom produzieren, heißes Wasser aus vulkanisch aktiven Gebieten. Ein typisches Beispiel für die Vor- und Nachteile dieser Art der Energieerzeugung ist das 60-MW-Kraftwerk auf dem Vulkan Krafla in Island: Aus knapp zwanzig Bohrungen in bis 2200 Meter Tiefe fördert es eine anfangs fast 400 °C heiße hydrothermale Sole, die sich beim Aufstieg im Bohrloch entspannt, abkühlt und schließlich als Dampf mit 170 °C in das Kraftwerk gelangt. Da diese Sole viel Kohlensäure, Schwefelwasserstoff, Salze und Schwermetalle enthält, ist sie korrosiv. Sie droht, die Bohrlöcher zuzusetzen und erzeugt Abwasser, das die Umwelt belastet, sofern es nicht wieder in die Tiefe zurück gepumpt wird (wird derzeit auf Krafla getestet). Wegen der Zusammensetzung der hydrothermalen Sole emittieren solche Kraftwerke neben

G EOT H E R M I S C H E S T RO M E R Z E U G U N G

Kraftwerksprozess Generator Turbine Verdampfer

~

> 120 °C M

Kondensator

Injektionsbohrung

Förderbohrung Hydraulische Stimulation

3-5 km

101 - 10 2 m

ca. 0,5-1 km Durch eine Produktionsbohrung fördert eine Pumpe heißes Tiefenwasser nach oben. Mit der Wärme wird über einen Verdampfer im Kraftwerkskreislauf eine Turbine zur Stromgenerierung betrieben. Der Turbinenkreislauf enthält ein organisches Arbeitsmedium mit einer niedrigen Siedetemperatur, um die Effizienz zu steigern (Organic Rankine Cycle). Das abgekühlte Wasser wird über eine Injektionsbohrung (blau) wieder in die Tiefe gepresst, falls dort nicht genügend Wasser vorhanden ist. In diesem Fall handelt es sich um ein Hot-Dry-Rock-System. (Grafik: GFZ)

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BOHRUNG GROSS-SCHÖNEBECK

Dazu braucht es Injektions- und ProSchwefelwasserstoff auch Kohlenduktionsbohrungen (Abbildung 1). dioxid – wenn auch in deutlich Oft haben diese Felsformationen geringeren Mengen als beim Verjedoch zu kleine natürliche Risse. brennen fossiler Energieträger frei Damit ist der Wasserdurchsatz zu werden. gering und die Fläche für einen efHydrothermale Systeme, die fektiven Wärmeaustausch zu klein. nicht direkt mit einem Vulkan in Mit speziellen StimulationsmethoVerbindung stehen, bereiten erhebden müssen dann künstliche Risse lich weniger Probleme. Im süderzeugt und die bestehenden erdeutschen Raum und in der Nordweitert werden. deutschen Tiefebene gibt es zum Eine solche Methode ist die hyBeispiel einige Regionen mit hydrodraulische Stimulierung der Klüfte thermalen Niederdrucklagerstätten und Risse: Das Hydraulic Fracturing in Tiefen bis etwa 3000 Metern. Dieist in der Erdöl- und Erdgasindustrie se hydrothermalen Nutzhorizonte ein gängiges Verfahren. In den sind Warm- oder Heißwasser füh1940er-Jahren entwickelt und stänrende Grundwasserleiter (Aquifedig weiter verbessert, wird es dort re), aus denen über Tiefbohrungen eingesetzt, um die Produktivität von das meist salzhaltige Wasser entBohrungen gezielt zu erhöhen. Dem zogen. Hydraulic Fracturing kommt zuDa dieses Wasser Temperaturen nehmend auch in der Erdwärmezwischen 60 und 120 °C hat, eignet nutzung eine Schlüsselrolle zu. Mit es sich kaum für eine effektive Proihm soll die natürliche Wasserduktion von elektrischem Strom. durchlässigkeit des ReservoirgeDeshalb wird es vorwiegend zur steins durch aktive Stimulation so Gebäudeheizung eingesetzt. Dazu erhöht werden, dass die geotherwird dem Tiefenwasser an der Erdmische Energieproduktion ökonooberfläche mit Wärmeübertragern misch interessant wird. Allerdings die Wärme entzogen, die in Nah- Lithologie und Temperaturprofil in der Bohrung Groß Schönebeck. Für die geothermische sind die Stimulationsmethoden der oder Fernwärmenetze eingespeist Stromerzeugung ist besonders die RotliegendKohlenwasserstoffexploration für werden kann. In diesen Tempera- Schicht interessant, weil sie heißes Wasser turbereichen bietet sich – auch oh- führt und mit der Tiefe die notwendige Tempe- die geothermische Nutzung von Warmwasservorkommen nur bene Stromproduktion – eine Vielzahl ratur besitzt. grenzt anwendbar. Für die Anwenvon Nutzungsmöglichkeiten für die dung in Geothermiebohrungen müssen sie weiterentgeothermische Wärme. Typische Beispiele sind Heizzentrawickelt und angepasst werden. len zur Bereitstellung von Nah- und Fernwärme für HausDie Entwicklung geeigneter Technologien zur Nutzung halte, Kleinverbraucher und Industrieanwendungen. Klasder Untergrundwärme bildet seit einigen Jahren einen der sisch ist die direkte Nutzung der Thermalwässer als HeilForschungsschwerpunkte am GeoForschungsZentrum Potsund Badewasser. dam (GFZ). Im europäischen Rahmen wird sie auch im elsässischen Soultz-sous-Forêts zur Entwicklung des HDRHeiß und tief Verfahrens vorangetrieben. Diese Forschungs- und EntAb 4 000 m Tiefe stößt man praktisch überall im Unterwicklungsarbeiten verbinden interdisziplinäre Grundlagengrund auf über 150 °C heiße Gesteinsformationen. Sie entforschung zur Charakterisierung potenzieller geothermihalten das bei weitem größte Reservoir an geothermischer scher Lagerstätten mit wirtschaftlichen und verfahrensEnergie, das derzeit technisch zugänglich ist. Hydrothertechnischen Betrachtungen des Betriebs geothermischer malsysteme oder trockenere Hot-Dry-Rock-Systeme (HDRAnlagen. Die Forscher des GFZ können vor allem bei der Systeme), wie diese Formationen je nach Wasserführung Untersuchung geologischer, geochemischer, geophysikaligenannt werden, stellen deshalb ein großes Zukunftsposcher und geomechanischer Aspekte der Lagerstättenertenzial für die Geothermie dar. schließung ihre Stärken ausspielen. Hinzu kommt die AnaTrocken bedeutet hier, dass nicht ausreichend natürlyse und Bewertung des Gesamtsystems. liches Wasser vorhanden ist, um es wie bei den hydrotherFür hydraulische Experimente und Bohrlochmessungen malen Lagerstätten über einen längeren Zeitraum an die verfügt das GFZ über ein In-situ-Forschungslabor in einer Oberfläche zu fördern. Ein geothermisches Kraftwerk muss 4,3 km tiefen Geothermiebohrung im Nordosten Brandendeshalb selbst Wasser in die Tiefe pumpen, durch das heiße burgs. Im November 2003 wurde dort in einem GroßexGestein pressen und es nach seinem Weg durch den natürperiment die Methode des massiven „Wasserfracs“ erstmals lichen Wärmetauscher wieder an die Oberfläche fördern. 284

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in 150 °C heißen sedimentären Tiefengesteinen im Norddeutschen Becken getestet. Mit Erfolg: Nach dieser Rissstimulierung stieg die Produktivität der Bohrung erstmals in einen Bereich hinein, der die geothermische Stromerzeugung im Norddeutschen Becken nicht nur generell möglich, sondern energiewirtschaftlich interessant macht.

Das Geothermielabor Groß Schönebeck Diese aufwendigen Versuche, die ich im Folgenden vorstelle, konnte die Projektgruppe Geothermie des GFZ in Groß Schönebeck nur in Teamarbeit mit anderen Experten erfolgreich durchführen: Beteiligt waren Forscher der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoff, des Instituts für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben in Hannover und der Technischen Universität Berlin, WasserExperten der Neubrandenburger Firmen GTN GmbH und Boden Wasser Gesundheit GbR sowie Spezialisten der Bochumer Firma MeSy GEO-Meßsysteme GmbH. Für Groß Schönebeck als Standort der Forschungsbohrung entschied sich das GFZ auf Basis von geologischen und bohrtechnischen Datenanalysen. Da eine Kilometer tiefe Bohrung sehr teuer ist, kamen nur bereits existierende Altbohrungen in Frage: Ihre erneute Öffnung durch „Aufwältigen“, also das Ausbohren der Zementverfüllung, kostet erheblich weniger als eine komplett neue Bohrung. Außerdem haben Altbohrungen den Vorteil, dass ihre Bohrakten bereits detailliert Auskunft über den Untergrund geben. Diese Akten umfassen Informationen über angetroffene Schichten, Gesteinsparameter, Zementationsprotokolle, Bohrberichte und andere wichtige Informationen. Die Forscher des GFZ recherchierten die Bohrakten von mehr als fünfzig Altbohrungen, die zunächst geeignet schienen. Ihre Wahl fiel schließlich auf die 1990 abgeteufte Erdgasexplorationsbohrung E GrSk 3/90 in Groß Schönebeck. Beim Aufwältigen wurde die Bohrung um 54 Meter auf 4 294 Meter vertieft. Danach stand die Bohrung als In-situVersuchs- und Messlabor für die Durchführung von Bohrlochmessungen und Experimenten bereit. Sie erschließt geothermisch interessante Horizonte des Norddeutschen Beckens in Tiefen zwischen 3 900 und 4 300 Metern bei Temperaturverhältnissen um 150 °C (Abbildung 2). Bis zur Tiefe von 3 873 Metern ist sie teleskopartig verrohrt. An der Erdoberfläche hat sie einen Durchmesser von rund 24,5 cm und ganz unten 12,7 cm. Im Oktober 2003 wurde die Bohrung nochmals etwas vertieft, die Endteufe liegt nun bei 4 309 m. Vor der Stimulation des Gesteins war es zunächst wichtig, den Ausgangszustand der Bohrung zu bestimmen. Dazu fanden 2001 hydraulische Tests und Bohrlochmessungen statt. Außerdem mussten Gesteinsproben anhand von Laborstudien und Bohrlochmessungen charakterisiert werden.

Stimulation steigert Produktivität Die wirtschaftliche Wandlung von Erdwärme in elektrischen Strom erfordert Temperaturen von mehr als 150 °C, die in weiten Regionen des Norddeutschen Sedimentbeckens in © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

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Die Sonne strahlt zwar 20000-mal mehr Energie auf die Erdoberfläche ein als in Form von Wärme aus der Tiefe der Erde hinauf strömt. Trotzdem ist die Geothermie eine nach menschlichem Maßstab unerschöpfliche Energiequelle. Die Erdwärme kommt aus drei Quellen [4]: • die im Erdinneren gespeicherte Gravitationsenergie, • die im Erdinneren gespeicherte Ursprungswärme und • der Zerfall radioaktiver Isotope. Als die Erde durch Zusammenballung von Materie, also Gesteinsbrocken, Staub und Gasen aus dem protoplanetaren Nebel entstand, wuchs ihre Masse und damit ihr Gravitationsfeld. Deshalb prallte die weiter einstürzende Materie mit steigender Wucht auf die werdende Erde, und diese Gravitationsenergie wandelte sich dabei weitgehend in Wärme um. Ein Großteil dieser Wärme

strahlte zwar wieder ins Weltall ab, nach Schätzungen verblieb jedoch eine Energie zwischen 15 und 35 ⋅1030 J in der Ursprungserde. Hinzu kommt ein weiterer Anteil aus der Wärme, die die Materie aus dem protoplanetarischen Nebel zur werdenden Erde mitbrachte. In der kontinentalen Erdkruste liefert der Zerfall radioaktiver Isotope einen bedeutenden Beitrag zur Erdwärme. Vor allem in den oberflächennahen Erdschichten reichern sich in den granitischen und basaltischen Gesteinen 40K, 232Th, 235U, 238U und andere natürlich vorkommende Isotope an. In den basaltischen Gesteinen liegt die radiogene Wärmeproduktionsleistung bei etwa 0,5 µW/m3, in Graniten sogar bei 2,5 µW/m3. Seit der Entstehung der Erde hat diese Wärmequelle immerhin geschätzt 7⋅1030 J freigesetzt. Aus diesen drei Quellen resultiert nach gegenwärtigen Schätzungen eine in der Erde gespeicherte Gesamtwärme, die zwischen 12 und 24⋅1030 J liegt. Die äußerste Erdkruste bis 10 km Tiefe enthält danach etwa 1026 J. Daraus resultiert ein Wärmestrom zur Erdoberfläche von rund 65 mW/m2. Mit jedem Kilometer Weg in die Tiefe steigt die Temperatur in der äußeren Kruste um durchschnittlich 30 Kelvin an. RW In der kontinentalen Kruste produziert die natürliche Radioaktivität kräftig Erdwärme. (Grafik: Roland Wengenmayr)

Tiefen zwischen 4 000 und 5 000 Metern zu finden sind. Neben diesen Mindesttemperaturen ist – wie schon erwähnt – die stabile Förderung großer Mengen von Thermalwasser eine weitere Voraussetzung für die Energiegewinnung. Damit das funktioniert, muss der Gesteinskörper hoch porös und gut durchlässig sein, also einen hohen Anteil hydraulisch verbundener Poren besitzen (Hot Fractured Rock). Das gewährleistet eine gute Durchströmung und einen hohen Wasserzufluss zur Bohrung. Allerdings ist in Tiefen mit Mindesttemperaturen um 150 °C die natürliche Permeabilität (Durchlässigkeit) der Gesteine nur gering. Sie müssen deshalb durch Stimulation künstlich aufgebrochen, um eine ungehinderte Wasserzirkulation zu erreichen. NeNr. 6 35. Jahrgang. 2004

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weg und als untertägiger Wärmetauscher mit großer Kontaktfläche.

Stimulation der Sandsteine

Die Grafik zeigt, wie die Stimulation einen vertikalen Riss in der Bohrung erzeugt. Ein künstlicher Riss richtet sich in der Tiefe nach dem Spannungsfeld aus: Er wächst parallel zur Hauptspannung.

ben der Erzeugung eines weitreichenden Risssystems soll ein Stimulationsexperiment wie das unsere auch einen Anschluss an wasserführende Klüfte herstellen, die von Natur aus vorhanden sind (Abbildung 3). Dazu wird in kurzer Zeit und unter hohem Druck ein Fluid in eine Bohrung verpresst. Meist ist es Wasser wie in unserem Fall. Bei der Stimulation überschreitet der Druck des Fluids die im Gebirge vorherrschenden Spannungen. So erweitert es vorhandene Risse im Gestein, verbindet sie und erzeugt INTERNET neue Klüfte (Hydraulic Fracturing). Die Injektionsraten werden stufenGeothermieprojekte am GFZ Potsdam www.gfz-potsdam.de/pb52 weise erhöht und das Fluid gegebenenfalls mit Europäische Pilotanlage (Hot-Dry-Rock-Verfahren) hochviskosen Zusätzen www.soultz.net versetzt. Falls nötig, wird es zur Sicherung der RissInformationen und Verweise auf andere Websites www.geothermie.de öffnung mit Stützmitteln versetzt – zum Beispiel Geothermal Energy Association Keramikkügelchen von www.geo-energy.org etwa 1 mm Durchmesser. Diese lagern sich in den Geothermische Energieerzeugung weltweit in Zahlen www.geo-energy.org/worldwidecontrihydraulisch erzeugten Risbution.htm sen im Gestein ein und halten sie offen, wenn der International Geothermal Association Druck nachlässt. iga.igg.cnr.it Durch die Stimulation Geothermie in der Schweiz entsteht so ein weit verwww.geothermal-energy.ch zweigtes Kluftsystem, das dem Thermalwasser neue Erdwärme-Kraftwerk Neustadt-Glewe Fließwege zur Förderbohwww.erdwaerme-kraft.de rung schafft: Nun funktioniert es als Transport-

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Die ersten – relativ sanften – Stimulationsexperimente in den Sandsteinhorizonten in 4 200 Metern Tiefe wurden in Groß Schönebeck noch weitgehend konventionell ausgeführt, also auf Basis von Erfahrungen aus der Erdöl- und Erdgas-Exploration. Dabei injizierten wir mehrere Hundert Kubikmeter einer hochviskosen Flüssigkeit, einem Spezialgel, bei einem Überdruck von 17 MPa und brachten Stützmittel ein. Tatsächlich zeigten Messungen nach der Stimulation einen erhöhten Wasserzufluss an Grundwasser aus dem umgebenden Gestein. Ein Produktionstest wies entsprechend höhere Fließ- und Förderraten nach, ein erstes Indiz für den Erfolg des Experiments. Es bewies, dass schon geringe Druckanregungen Risse im Gebirge initiieren können. Neben diesem Erfolg gelangen uns im offenen und unverrohrten Bohrlochbereich im tiefsten Abschnitt weitere Experimente, die dort hohe Risiken bergen. Dazu gehört der erstmalige Einbau eines so genannten Packers in über 4 km Tiefe. Ein Packer ist ein Abdichtungssystem für das Injektionsrohr. Im Prinzip funktioniert er wie ein Verschlusskorken für geöffnete Sektflaschen, der sich durch Schrauben oder einen Hebel verdickt und so den Flaschenhals fest verschließt. Wichtig war vor allem nicht nur das Setzen des Packers: Nach dem Experiment, bei dem das System unter hoher Belastung stand, musste er auch erfolgreich wieder geborgen werden. Wäre er in der Tiefe verblieben, hätte er sonst das weitere Vorgehen verhindert. Anschließend wurde zur Abschätzung der hydraulischen Parameter, die durch die Stimulation verändert wurden, über rund zwei Monate ein Langzeitpumptest mit einem Fördervolumen von insgesamt 700 m3 Thermalwasser ausgeführt. Über diesen Zeitraum bestimmten wir die DurchläsABB. 4

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FMI-RISSBILD

Die FMI-Messungen vom November 2003 in der Bohrung Groß Schönebeck 3/90 zeigen die „aufgerollte“ Bohrlochwandung. Auf ihnen ist in Tiefen zwischen 4150 und 4200 m ein Riss zu erkennen, der sich nach der ersten massiven WasserfracBehandlung über 120 m Länge öffnete. Die Farbskala verläuft vom hohen elektrischen Widerstand (hell) zu geringem (dunkel).

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Die Stimulation zeigt Wirkung. Nach jeder Stimulationsbehandlung wurde die Produktivität getestet und daraus die hier dargestellten Indizes ermittelt. Der Produktivitätsindex vom Februar 2003 konnte nur als Mindestwert bestimmt werden. Er liegt wahrscheinlich höher. Der Wert vom Dezember wurde beim Rissschließungsdruck bestimmt.

sigkeit der unterschiedlichen Gebirgshorizonte unter moderaten Ansaugbedingungen, die Ausdehnung des Reservoirs und die chemische Zusammensetzung des zu fördernden Tiefenwassers. Durch Vergleich mit den Daten vor den ersten Stimulationsversuchen konnten wir so abschätzen, wie sich die Produktivität der Sandsteine durch die Stimulation verändert hat. Allerdings erwies sich die Produktivität, die wir durch die Sandsteinstimulation erzielen konnten, als noch nicht ausreichend für eine wirtschaftliche Stromerzeugung. Daher entschieden wir uns, die Experimente mit einer massiven Stimulation fortzusetzen.

Massive Stimulationsexperimente Im Verlauf der massiven Stimulationsexperimente wurden insgesamt 14 000 m3 Wasser mit sukzessive steigender Injektionsrate und steigendem Druck in den Untergrund injiziert: Bei den höchsten Injektionsraten lag der Druck weit oberhalb der früheren 17 MPa. Um hohe Fließraten bis 80 l/s realisieren zu können, wurden spezielle, leistungsfähige Pumpaggregate bereitgestellt. Die übertägigen Anlagenteile mit dem Bohrkopf und den Zuleitungen mussten dabei einem Druck von 50 MPa standhalten können, das entspricht dem 500-fachen Atmosphärendruck. Das Wasser kam aus drei etwa 80 Meter tiefen Brunnen und wurde in Behältern mit einer Kapazität von 1 500 m3 zwischengespeichert. Dort wurde es auch chemisch aufbereitet, um es mit dem Tiefengestein und den Tiefenwässern verträglich zu machen – etwa durch Ansäuern, um Eisenhydroxyd-Ausfällungen im Tiefenreservoir zu vermeiden. Im Januar 2003 starteten wir zunächst einen Stufeninjektionstest. Dabei erhöhten wir die Injektionsrate zunächst bis 24 l/s, der Druck stellte sich bei 17 MPa ein. Dabei konnten wir beobachten, dass bereits ab einer Injektionsrate von 8 l/s sich der Druckanstieg mit weiter an© 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

steigender Injektionsrate abnahm. Entsprechend erhöhte sich die Injektivität: Es wurde also mehr Flüssigkeit je Druckeinheit im Untergrund verpresst, demnach öffneten sich dort bereits Risse und Klüfte. Im Anschluss untersuchten wir, ob die Injektivitätssteigerung auch mit einer Produktivitätssteigerung verbunden ist. Wir konnten während eines fünfstündigen Tests nun immerhin 250 m3 Wasser aus der Tiefe fördern, das war eine vielfach höhere Produktivität im Vergleich zu den Pumptests vom vorangegangenen Sommer 2002. Mit physikalischen, also elektrisch, seismisch und die Radioaktivität aufzeichnenden Bohrlochmesssonden führten wir dann struktur- und gesteinbestimmende Messungen im offenen Bohrlochabschnitt durch. Als spezielle Messmethode setzten wir einen Formation-Micro-Imager (FMI) ein, der den elektrischen Widerstand der Bohrlochwand mit einer örtlichen Auflösung im Zentimeterbereich vermessen kann. Er ergab ein Bild, das deutlich einen vertikalen Riss von etwa 150 m Länge im unteren, unverrohrten Abschnitt des Bohrlochs zeigt (Abbildung 4). Weitere Messungen belegen, dass die Bohrung im tiefsten Abschnitt das Rotliegend (Schicht des frühesten Perm) durchteuft hat (Abbildung 2). Um das Risiko auszuschließen, dass bei weiteren massiven Stimulationsexperimenten das Bohrloch im noch unverrohrten Abschnitt im Tiefenbereich von 3 985 m bis 4 300 m einstürzt, installierten wir nun auch dort einen Schutzstrang aus Rohren. Diese sind im so genannten Speicherbereich gelocht, damit dort das Wasser durch die Wand der Bohrung fließen kann. In der gesicherten Bohrung setzten wir dann das Testprogramm mit Stimulation, Fördertest und Stufeninjektion fort (Abbildung 5). Diese Tests konnten eine beachtliche Produktivität von etwa 14 m3/(h MPa) Wasser nachweisen (Abbildung 6). Rechnerisch folgt daraus, dass im Dauerbetrieb bei einem saugenden Betriebsdruck von 5 MPa immerhin 70 m3 Wasser pro Stunde gepumpt werden kann. Beim Stand heutiger Technik wären die 5 MPa durch eine Unterwasserpumpe er-

Abb. 6 Produktionstest in Groß Schönebeck. Zu sehen sind Wasserbecken, die im Verlauf des Testes sehr schnell gefüllt wurden.

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reichbar, die im Bohrloch etwa 500 m unter dem Wasserspiegel eingebaut werden müsste. Für eine normale Produktion ist das ein durchaus realisierbares Szenario. Unser Experiment konnte also nachweisen, dass die geothermische Stromerzeugung im Norddeutschen Becken nicht nur möglich, sondern energiewirtschaftlich interessant ist.

Ausblick

Zum Thema

Energie aus Erd wärme. M. Kaltschmitt, E. Huenges und H. Wolff (Hrsg.), Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999, XII, 265 Seiten, Broschur. 49,95 f. ISBN 3-827-41206-4

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Die Stimulation ist ein erster Schritt. Nun muss bewiesen werden, dass das Risssystem auch längere Zeit offen bleibt und den Transport einer ausreichenden Wassermenge garantiert. Der nächste Schritt zu einer geothermischen Energieerzeugung ist die erfolgreiche Zirkulation des Wassers zwischen zwei räumlich getrennten Bohrungen, die im Bereich des Reservoirs etwa einen Kilometer auseinander liegen. Dazu werden wir in Groß Schönebeck ein zweites Bohrloch abteufen. Danach soll ein mehrere Monate dauerndes Zirkulationsexperiment zeigen, ob sich das erzeugte Risssystem zum dauerhaften Transport und Wärmeaustausch des im Untergrund vorhandenen Wassers eignet: Nur langfristig gesicherte Produktionsraten erlauben eine nachhaltige Nutzung eines Heißwasserreservoirs, erst dann lohnt sich die Investition in die Stromerzeugung. In Groß Schönebeck soll die vorhandene Altbohrung nicht als Förder- sondern als Injektionsbohrung verwendet werden. Die bisherigen Experimente zeigten, dass sie sich wegen ihrer Injektivitätswerte gut dazu eignet. Zudem sprechen geometrische Gründe dafür, die neu abzuteufende Bohrung zur Förderung zu nutzen: Sie kann so angelegt werden, dass sie nicht senkrecht durch den Speicherbereich stößt, sondern darin abgelenkt wird. Das sorgt für einen längeren Verlauf in dieser für die Produktion entscheidenden Schicht und damit für größere Zuflussflächen. Kann eine ausreichende Produktivität nachgewiesen werden, dann soll in Groß Schönebeck in Kooperation mit Industriepartnern eine Strom produzierende Forschungsanlage errichtet werden. Sie soll vor allem verfahrenstechnische Fragen klären, wobei die Wirtschaftlichkeit geothermischer Stromerzeugung im Vordergrund steht. Die langfristige Zukunft der Geothermie in Mitteleuropa darf durchaus optimistisch eingeschätzt werden. Die kürzlich in Neustadt-Glewe in Betrieb genommene geothermische Kraft-Wärmekopplung-Anlage zeigt, dass Stromerzeugung aus Erdwärme unter hiesigen geologischen Bedingungen realisierbar ist. Die Entwicklung der Geothermie in Deutschland kann zu einem wichtigen Beitrag für den weltweiten Ausbau regenerativer Energien werden, denn der geologische Untergrund ist typisch für Mitteleuropa und damit repräsentativ für viele Gebiete. Funktioniert diese Technologie also in Deutschland erfolgreich, dann kann sie weltweit auf Gebiete ähnlicher geologischer Struktur übertragen werden.

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Zusammenfassung Die Erde birgt überall genug Wärme für die geothermische Erzeugung elektrischen Stroms, die allerdings Wassertemperaturen von über 150 °C braucht. So warme Gesteinsschichten liegen in Mitteleuropa in mindestens 4 km Tiefe. Ein Kraftwerk muss also beim Betrieb über tiefe Bohrungen Wasser durch das Tiefengestein zirkulieren und dort erhitzen. Von Natur aus ist das Gestein jedoch dafür meist zu wenig porös. Deshalb soll das Einpressen von Fluiden unter hohem Druck die natürlichen Risse im Reservoirgestein künstlich vergrößern. Diese Stimulationstechnik erprobte das GeoForschungsZentrum Potsdam erfolgreich an einer 4309 m tiefen Bohrung im Geothermielabor Groß Schönebeck. Eine zweite Bohrung soll nun eine langfristige Wasserzirkulation im Untergrund erforschen. Funktioniert sie stabil, dann soll eine Demonstrationsanlage Strom erzeugen.

Danksagung Für die Förderung wichtiger Teilprojekte danke ich dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (jetzt BMWA) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Stichworte Geothermie, hydrothermales System, Hot Dry Rock, Stimulation, Norddeutsches Becken, Geothermielabor Groß Schönebeck.

Literatur [1] G. W. Hutterer, Status of world geothermal Power Generation, Proc. World Geothermal Congress 2000; Kyushu-Tohoku (Japan) 2000. [2] Geothermal Energy Association, Worldwide Contribution of Geothermal Power Generation, www.geo-energy.org/ worldwidecontribution.htm. [3] The European Wind Energy Association, Pressemitteilung vom 10. März 2004, www.ewea.org. [4] Energie aus Erdwärme. M. Kaltschmitt, E. Huenges und H. Wolff (Hrsg.), Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999.

Der Autor Dr. rer. nat. Ernst Huenges, Diplom-Physiker und Diplom-Verfahrensingenieur, leitet die Sektion Geothermie am GeoForschungsZentrum Potsdam. Derzeit ist er Sprecher der deutschen HelmholtzZentren für Geothermische Technologie. Er war an vielen Bohrprojekten beteiligt, zum Beispiel am kontinentalen Tiefbohrprogramm Deutschlands. Anschrift Dr. Ernst Huenges, GeoForschungsZentrum Potsdam, Telegrafenberg, D-14473 Potsdam. [email protected]

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