Elektrische Energiesysteme

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   Eidgenössische    Technische Hochschule    Zürich

Ecole polytechnique fédérale de Zurich Politecnico federale svizzero di Zurigo Swiss Federal Institute of Technology Zurich

Prof. Dr. K. Fröhlich, EEH - High Voltage Laboratory. E-mail: [email protected] (Tel.: 01/632 27 77)

Elektrische Energiesysteme

Vorlesungsteil Technologien

Systemtechnologie

Prof. Dr. K. Fröhlich

Version: 12. Dezember 2002

Kapitel 1 Durchschlagsmechanismen Ein Aufgabenbereich der Hochspannungstechnik ist die Beschreibung und das physikalische Verständnis des Durchschlagverhaltens von Isolierstoffen. Gebräuchliche Isolierstoffe sind: • Gase (Luft, SF6 , N2 ) • Flüssigkeiten (Mineralöle, synthetische Öle) • Feststoffe (Glas, Porzellan, Glimmer, Thermoplaste, Duroplaste, Silikonkautschuk, etc.) • Vakuum (Luft bei sehr niedrigem Druck < 10−7 mbar) Die in diesem Kapitel behandelten Durchschlagmechanismen beschreiben den dielektrischen Durchschlag im Gas. Ein dielektrischer Durchschlag entsteht infolge einer hohen elektrischen Feldstärke im Raum zwischen Elektroden und unterscheidet sich deshalb vom Schaltlichtbogen (s. Kap. 2), der sich wegen sehr hoher Temperatur ausbildet.

1.1 Gasphysikalische Grundlagen Das physikalische Verständnis der verschiedenen Durchschlagmechanismen gründet sich auf physikalische Modelle der kinetischen Gastheorie und der Gaselektronik, von denen einige relevante Grundlagen in diesem Abschnitt in kurzer Form beschrieben werden. 7

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

8

1.1.1 Geschwindigkeitsverteilung und Energie der Teilchen In der kinetischen Gastheorie geht man vereinfacht davon aus, dass die Atome bzw. Moleküle eines Gases sich wie elastische Kugeln verhalten, die sich geradlinig bewegen, bis sie entweder an eine Wand oder ein anderes Gasteilchen stossen (Ideales Gas). Infolge der Brownschen Wärmebewegung stellt sich eine Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen ein, die durch die Boltzmann-Maxwell-Verteilung (Abb. 1.1) beschrieben wird. Im thermischen Gleichgewichtszustand haben alle Teilchen, unabhängig von ihDichtefunktion:

dN(v)/N dv/vw 4/eÖp

ϕ( vvw ) =

j(v/vw)

dN (v)/N dv/vw

=

√4 π

Parameter: vm vw

0

1.0 1.13

v/vw

=

veff vw

1.22

vm/vw veff/vw

=

R∞ 0

x · ϕ(x) dx =

qR

∞ 0



v vw

2

    2 exp − vvw

√2 π

x2 · ϕ(x) dx =

q

3 2

Abbildung 1.1: Boltzmann-Maxwell-Geschwindigkeitsverteilung

rer Art und Masse, die gleiche thermische Energie. Je Freiheitsgrad der Teilchenbewegung ist die mittlere Bewegungsenergie 12 kT . Im idealen Gas gibt es nur translatorische Bewegung in drei Bewegungsrichtungen. Die mittlere Energie eines Teilchens ist daher 2 m · veff 3 Wkin = · k · T = , (1.1) 2 2 mit der Boltzmannkonstante k = 1.38 · 10−23 Ws/K und wird also allein durch die absolute Temperatur T bestimmt. Man spricht deshalb auch von der Teilchentemperatur als Äquivalent zur Teilchenenergie. Zu beachten ist, dass für die energetische Betrachtung das Mittel des Geschwindigkeitsquadrates – also die effektive Geschwindigkeit veff – massgeblich ist. Aus Gleichung (1.1) ergeben sich die Parameter der Geschwindigkeitsverteilung wie folgt: veff =

s

3kT , m

vw =

s

2kT , m

vm =

s

8kT πm

(1.2)

Die Geschwindigkeit der Gasmoleküle lässt sich also aus der Temperatur und der Molekülmasse berechnen. Auch freie Elektronen, die sich im Gas befinden, unterliegen der gleich Geschwindigkeitsverteilung. Deren Masse ist jedoch wesentlich geringer, als die Molekülmasse, so dass sie sich mit deutlich grösserer Geschwindigkeit bewegen. Die Geschwindigkeiten für einige Gase und Elektronen bei 0 °C sind in Tab. 1.1 angegeben. Die thermische Bewegung ist ungeordnet, da die Teilchen infolge zahlreicher Stösse immer wieder ihre Richtung ändern.

1.1. GASPHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN Gasart N2 O2 H2 H2 O (Dampf) CO2 SF6 Elektronen

Rel. Molekülmasse mM 28 32 2 18 44 146 1/1840

9 vm in mm/µs 0.45 0.42 1.70 0.55 0.36 0.2 100

Tabelle 1.1: Relative Molekülmasse und mittlere Molekülgeschwindigkeit verschiedener Gase bei 0 °C

1.1.2 Allgemeine Gasgleichung Der mittlere Druck auf die Gefässwand, der dem messbaren Druck entspricht, ist eine Funktion der kinetischen Energie der Teilchen, die gemittelt über viele Einzelstösse eine mittlere Kraft auf die Gefässwand ausüben. 1N 2 p = p¯ = mveff (1.3) 3V Gleichung (1.2) eingesetzt in (1.3) ergibt das universelle Gasgesetz (1.4)

pV = N kT

mit der Teilchenzahl N in einem Gasvolumen V . Anstelle der Teilchenzahl ist ein anders Mass, die Stoffmenge µ mit der Basisinheit mol, gebräuchlich. Diese kann aus g ) oder die relative der Masse m des Gases über die Molare Masse M (Einheit: mol Molekülmasse mM (Tab. 1.1) und die atomare Masseneinheit u (Tab. 1.2) berechnet werden. m N µ= = M Na

mit

M = N a · u · mM = N a · u ·

X X

mAx

(1.5)

x=1

Die relative Molekülmasse setzt sich zusammen aus der Summe der relativen Atommassen der einzelnen am Molekül beteiligten Elemente. Ein mol eines Gases enthält ule unabhängig von der Gasart immer die gleiche Teilchenzahl N a = 6.022 · 1023 Molek¨ mol (Avogadrosche Konstante oder Loschmidtsche Zahl). Mit Gl. (1.4) und der allgemeiW·s nen Gaskonstante R0 = Na · k = 8.314 mol·K lässt sich die thermische Zustandsgleichung des idealen Gases formulieren. p · V = µ · Na · k · T = µ · R0 · T

(1.6)

Eine konstante Gasmenge nimmt also bei gleicher Temperatur und gleichem Druck immer das gleiche Volumen ein. Erhöht sich die Temperatur, hat das zwangsläufig eine Erhöhung des Druckes und/oder des Volumens zur Folge. Diese Gleichung ist die Grundlage thermodynamischer Kreisprozesse. In der Gasentladungsphysik ist insbesondere die Druck– und Temperaturabhängigkeit der Teilchendichte von Bedeutung. In Tab. 1.2 sind nochmal wichtige Naturkonstanten zusammengefasst.

10

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN Boltzmannkonstante Avogadrosche Konstante Elektronenmasse Protonenmasse Neutronenmasse Atomare Masseneinheit

k = 1, 38066 · 10 −23 WsK−1 Na = 6, 02204 · 1023 mol−1 me = 9, 1095 · 10−31 kg mp = 1, 67265 · 10−27 kg mn = 1, 67495 · 10−27 kg u = 1, 66057 · 10 −27 kg

Tabelle 1.2: Wichtige Naturkonstanten der Gasphysik

1.1.3 Mittlere freie Weglänge Betrachtet man einen gerichteten Teilchenstrom der Teilchenart A durch ein Gas mit der Teilchenart B, so trifft ein Teichen A genau dann auf ein Teilchen B, wenn es sich ihm auf weniger als rA +rB nähert, seine Bahn also innerhalb des Wirkungsquerschnittes as = π(rA + rB ) (1.7) liegt. Bei einer Teilchendichte nB = NB /V gibt es in einem Volumenelement der Fläche A und der Tiefe ds in Strömungsrichtung nB Ads Gasteilchen. Die Wahrscheinlichkeit dw, dass ein Teilchen A auf dem Weg ds auf ein Teilchen B stösst, entspricht dem Verhältnis der Flächen (nB Ads) · as /A, also dw = nB as ds =

1 ds λm

(1.8)

Den Weg λm den ein Teilchen A zwischen zwei Stössen im Mittel zurücklegt bezeichnet man als mittlere freie Weglänge. λm =

1 , (nB · as )

(1.9)

kT pas

(1.10)

Unter der Vorraussetzung, dass nur sehr wenige Teilchen A im Gas vorhanden sind, ist die gesamte Teilchendichte N/V = n etwa gleich der Teilchendichte n B . Mit n ≈ nB und den Gleichungen (1.4) und (1.9) ergibt sich für die mittlere freie Weglänge λm =

Ausgehend von Gleichung (1.10) sind zwei Grenzfälle interessant. Sind die strömenden Teilchen Elektronen, so ist rA  rB und die mittlere freie Weglänge der Elektronen 1 kT (1.11) λme = 2 πrB p Im Gegensatz dazu haben Ionen etwa den gleichen Molekülradius. Mit r A ≈ rB folgt für die mittlere freie Weglänge von Ionen λmi =

1 kT 4πrB2 p

(1.12)

1.1. GASPHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN

11

Bei der Verallgemeinerung auf die ungerichtete rein thermische Bewegung von Teilchen gleicher Molekülgrösse (rA ≈ rB ), reduziert sich die mittlere freie Weglänge √ nochmals um 1/ 2 kT 1 λmg = √ 2 (1.13) 4π 2rB p weil die gerichteten Geschwindigkeiten der Stosspartner im statistischen Mittel senkrecht aufeinander stehen. Infolge des wesentlich geringeren Wirkungsquerschnittes, Gasart H2 N2 O2 H2 O CO2 SF6

λmg in m 0.11 0.058 0.064 0.041 0.039 0.025

λme in m 0.63 0.33 0.36 0.23 0.22 0.13

Tabelle 1.3: Mittlere freie Weglängen für Gasmoleküle und Elektronen in verschiedenen Gasen bei 0 °C und 1 bar.

haben Elektronen also etwa die vierfache freie Weglänge gegenüber Ionen und die fast sechsfache gegenüber neutralen Gasatomen in rein thermischer Bewegung.

λme

λme ≈ 4λmi √ ≈ 4 2λmg = 5, 66λmg

Die mittleren freien Weglängen von Gasmolekülen und Elektronen in einigen wichtigen Gasen sind Tab. 1.3 zu entnehmen.

1.1.4 Clausiussches Weglängengesetz Die Gleichung (1.8) gibt die Stosswahrscheinlichkeit dw auf dem Weg ds an. An der Stelle x seien NA Teilchen des Teichenstromes vorhanden und die Teichen, die mit einem Gasmolekül zusammenstossen, scheiden aus dem Teilchenstrom aus, dann ist die Ausfallrate dNA beschrieben durch dNA (x) = −NA (x)dw = −NA (x)

dx λm

Die Lösung der Differentialgleichung ergibt das Clausius-Weglängengesetz. P =



NA (x) x = exp − NA (0) λm



(1.14)

Dieses beschreibt den Anteil P der Teilchen, deren freie Weglänge λ grösser oder gleich x ist. Für ein einzelnes Teilchen (NA (0) = 1) ist P die Wahrscheinlichkeit dafür,

12

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

ob seine freie Weglänge den Wert x erreicht. Eine Schlussfolgerung aus dem ClausiusWeglängengesetzt ist, dass 37 % aller Teilchen eine freie Weglänge grösser λ m haben. Das Gesetz ist bei der mathemathischen Betrachtung der Stossionisation (Abs. 1.2.3) von tragender Bedeutung.

1.1.5 Ladungsträgerbewegung im elektrischen Feld Auf ein geladenes Teilchen mit der Ladung Q wirkt im elektrischen Feld eine Kraft ~ F~ = QE Durchläuft das Teilchen eine Potentialdifferenz U , wird die potentielle Energie des Feldes in kinetische Energie des Teilchens umgewandelt. Die Energiebilanz ergibt m 2 v = QU 2 Startet das Teilchen mit der Startgeschwindigkeit Null, beträgt die Endgeschwindigkeit nach Durchlaufen der Potentialdifferenz v=

s

2QU m

(1.15)

Im technischen Vakuum sind Stossvorgänge mit Molekülen vernachlässigbar. Freie Elektronen können daher sehr hohe Teilchenenergien erreichen. Solche Beschleuniger finden sich beispielsweise in der Röntgentechnik (8. . . 100 kV) und Bildröhren (15. . . 35 kV). Bestrahlungsanlagen in der Medizin und der Kernphysik arbeiten mit Linearbeschleunigern mit bis zu 25 MV Beschleunigerspannung. Mehrfachbeschleuniger erzeugen Teilchenstrahlen mit Energien im Bereich mehrerer GeV (Tevatron am Fermilab in Illinois(USA): 1000 GeV p¯ p; SPS am CERN in Genf(CH): 450 GeV p; HERA am DESY in Hamburg(D): 30 GeV e− , 920 GeV p). Im Gas wird die Bewegung durch Kollisionen mit den Gasmolekülen behindert. Die Ladungsträger durchlaufen auf ihrem Weg eine Zick-Zack-Bahn und werden zwischen den Stössen auf der jeweiligen freien Weglänge beschleunigt. Es stellt sich daher ein Teilchenstrom mit einer mittleren gerichteten Driftgeschwindigkeit ein. Mit Einführung die Teilchenbewglichkeit b ist der Ansatz vD = bE

(1.16)

gebräuchlich. Unter der Bedingung, dass nur sehr wenige Ladungsträger im Gas vorhanden sind (in der Entstehungsphase der Entladung sinnvoll) und keine Anregungsoder Ionisationprozesse auftreten, lassen sich die Teilchen näherungsweise als elastische Kugeln auffassen. Aus der Impuls- und Energieerhaltung lassen sich zwei wesentliche Grenzfälle für die Beweglichkeit ableiten.

1.1. GASPHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN

13

1. Die aus dem elektrischen Feld über eine freie Weglänge aufgenommene Energie ist kleiner als die Energie, die durch Stösse infolge der thermischen Bewegung übertragen wird. Diese Annahme ist für Ionen im Bereich üblicher Feldstärken durchaus gültig. Dann ergibt sich eine feldunabhängige Beweglichkeit b=

1 Qλm √ 2 3kT m

(1.17)

2. Ist hingegen die aus dem Feld bezogene Energie dominierend, das ist für relevante Feldstärken im wesentlichen für Elektronen gültig, ergibt sich 1 b= 2

s√

δQλm 1 √ m E

(1.18)

die Beweglichkeit veringert sich demzufolge mit wachsender Feldstärke. Der Stossfaktor δ ist für den Elektronenstoss wegen der Masseverhältnisse δe = 2

me m2

Ionen haben näherungsweise die gleiche Masse, wie die Gasmoleküle selbst. Daher ist der Stossfaktor für den Ionenstoss etwa δi =

1 2

Nachstehend sind Richtwerte für die Beweglichkeiten in Luft und SF 6 angegeben: Elektronen: Ionen: Gross-Ionen (Staub, Tröpfchen):

be vDe bi vDi bGI

Luft SF6 500 cm2 /Vs 150 cm2 /Vs 150 mm/µs 45 mm/µs 1 . . . 2 cm2 /Vs 0, 7 cm2 /Vs 0, 3 . . . 0, 6 mm/µs 0, 2 mm/µs 10−4. . . 10−1 cm2 /Vs

Tabelle 1.4: Beweglichkeiten und Driftgeschwindigkeiten in Luft bei 1 bar, 0 °C und 30 kV/cm

Wenngleich die ermittelten Werte auf einem sehr einfachen Modell beruhen, geben sie ausreichend Auskunft über die Unterschiede zwischen Elektronen– und Ionenbewegung beim Entladungsaufbau. Bei elektrischen Kurzzeitbeanspruchungen mit Stossspannung mit Anstiegszeiten im Bereich 1. . . 250 µs können Ionen in erster Näherung als vergleichsweise ruhend angesehen werden. Mit der Beweglichkeit können die Teilchenbewegung Teilchenenergie und Stromfluss ermittelt werden.

14

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

1.1.6 Ionisation, Anregung und Anlagerung Nach dem Bohrschen Atommodell ist die Bindungsenergie eines Elektrons in einem Atom der Ordnungszahl z auf dem n-ten Energieniveau näherungsweise bestimmbar mit z2 (1.19) We = −13.61 eV · 2 n Diese Energie ist mindestens notwendig, um ein Atom aus dem Grundzustand zu ionisieren. Bei der Rekombination von Ion und Elektron wird diese Energie in Form von Strahlung wieder frei. WI = −We Neben der Ionisation haben Atome auch kurzzeitstabile Anregungszustände, bei denen ein Elektron durch Energien kleiner WI auf ein höheres Energieniveau angehoben wird. Für die Anregungsenergie zwischen den Energieniveaus n 1 und n2 gilt 1 1 − 2 WA = 13.61 · z · 2 n1 n2 2

!

,

mit

n2 > n 1

(1.20)

Beim Rückfall der Elektronen wird WA als Strahlung der Frequenz ν (bzw. Wellenlänge λ) frei: c0 WA = h · ν , ν = (1.21) λ Dabei ist h das Plancksche Wirkungsquantum und c0 die Lichtgeschwindigkeit. (h = 6.625 · 10−34 Ws2 = 4.135 · 10−15 eVs). Wie aus Gleichung (1.20) ersichtlich, gibt es nur diskrete Werte für die Anregungsenergie. Es wird demzufolge auch nur Strahlung bestimmter Wellenlängen emittiert. Die einzelnen Elemente haben daher charakteristische Linienspektren, mit deren Hilfe es beispielsweise möglich ist, die Zusammensetzung von Plasmen zu ermitteln. Die Strahlung durch Rekombination und Anregung kann ihrerseits wieder Ionisations- und Anregungsprozesse auslösen und hat deshalb einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung und Ausbreitung der Gasentladung.

1.2 Raumionisationsprozesse Das elektrische Feld wirkt nur auf Ladungsträger. Damit eine Gasentladungen überhaupt zünden kann, müssen im Gas bereits Ladungsträger vorhanden sein oder über die Elektroden eingebracht werden. Damit sich ein hochleitender Gasentladungskanal ausbilden kann, bedarf es weiterhin einer Ladungsträgervermehrung. Man unterscheidet zwei Arten von Prozessen: Raumionisationsprozesse (im Gasraum) und Oberflächenemissionsprozesse (an der Elektrodenoberfläche). Erstere sollen in den folgenden Abschnitten näher behandelt werden.

1.2. RAUMIONISATIONSPROZESSE

15

1.2.1 Thermische Ionisation Die thermische Ionisation eines Gases setzt ein, wenn die kinetische Energie der thermischen Teilchenbewegung ausreicht, die Gasmoleküle bei Zusammenstössen zu ionisieren. Die Thermoionisation beginnt nennenswert bei Temperaturen von einigen 1000 K. Der Ionisationsgrad eines Gases mit der Ionisierungsenergie W I (s. Abs. 1.1.6) wird durch die SAHA-Gleichung beschrieben.   √ WI χ2 T 5 − k·T (1.22) = 0.182 · · e 1 − χ2 p

Abbildung 1.2: Thermischer Ionisierungsgrad χ verschiedener Gase

Wie auch aus Abb. 1.2 ersichtlich, ist der Ionisierungsgrad stark nichtlinear von der Temperatur abhängig. Die Thermoionisation kommt erst in der Schlussphase des Gasdurchschlages zum Tragen und ist für die Ausbildung des hochleitfähigen Kanals verantwortlich.

1.2.2 Photoionisation Photoionisation nennt man die Ionisierung eines Gases durch Strahlung. Ist die Energie der Photonen grösser oder gleich der Ionisierungsenergie (hν ≥ W I ), wird das Photon absorbiert, und es entsteht ein Ion-Elektron-Paar. Überschüssige Energie wird wiederum als Strahlung frei. Direkte Ionisierung in normalen Gasen erfordert sehr harte Strahlung (λ < 65 . . . 100 nm) Die Ionisierung kann aber auch über mehrere Anregungsstufen erfolgen. Kurzwelliges Licht im UV-Bereich genügt normalerweise höchstens für die Anregung, kann das Gas aber trotzdem über einen solchen mehrstufigen Prozess ionisieren. Die Strahlung führt einerseits zur Emission von Elektronen aus der Kathode (Fernwirkung) und andererseits zur Ionisation von Molekülen und Atomen (Nahwirkung). So reicht etwa die Strahlung von angeregten N 2 -Molekülen in Luft aus, um O2 -Moleküle zu ionisieren. Die Photoionisation beeinflusst die Gasentladung im allgemeinen nur, wenn sehr hohe Strahlungsdichten erreicht werden. Sie

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

16

ist jedoch der massgebliche Mechanismus bei der Bereitstellung von Anfangselektronen, die für den Beginn einer Entladung notwendig sind. Die energiereiche Strahlung entstammt zum einen dem Erdinneren (γ), zum anderen auch der Atmosphäre, wie dem radioaktiven Zerfall gasförmiger Isotope (α, β) oder Wechselwirkungsprodukten kosmischer Strahlung mit den höheren atmosphärischen Schichten (z.B. µ-MesonenHöhenstrahlung). Insbesondere die Höhenstrahlung ist so energiereich, dass sie auch in geschlossenen oder gekapselten Anlagen wirksam ist.

1.2.3 Stossionisation Der wesentliche Prozess zur Ladungsträgervermehrung beim Gasdurchschlag ist die Stossionisation. Im idealen Gas und unter Annahme eines unelastischen, zentralen Stosses gilt: ∆W m2 = W m1 + m 2

(1.23)

Dabei ist ∆W die an das ruhende Teilchen 2 übertragene Energie und W die kinetische Energie von Teilchen 1. Ist Teilchen 1 ein Elektron, gilt: me = m1  m2 ⇒ ∆W = We

(1.24)

Im Gegensatz zum elastischen Stoss wird die Elektronenenergie vollständig an den Stosspartner abgegeben. Ist Teilchen 1 ein Ion, gilt: mi = m1 ≈ m2 ⇒ ∆W = Wi /2

(1.25)

Hier wird wie beim elastischen Stoss 50% der Ionenenergie abgegeben. Einfache, direkte Ionisation (Ablösung eines Elektrons) tritt ein, wenn ∆W ≥ WI ist. Es aber ebenfalls eine stufenweise Ionisierung möglich. Zum einen ist die Energie der Elektronen wegen der grösseren freien Weglänge höher als die der Ionen und zum anderen geben sie diese vollständig an den Stosspartner ab. Elektronen sind daher für die Stossionisation deutlich wirksamer als Ionen. Bei der Ladungsträgervermehrung wird aus diesem Grund nur der Elektronenstoss (der sogenannte α-Prozess) berücksichtigt (Ausnahme: Feststoffgrenzbereich). Entscheidend für die Ladungsträgervermehrung ist die kinetische Energie der Elektronen. Im Fall, dass die mittlere aus dem Feld aufgenommene kinetische Energie λ m eE gleich der beim Stoss abgegebenen Energie δW (δ. . . Stossfaktor s. Abs. 1.1.5) ist, muss die Energie der Elektronen vor dem Stoss W =e·E·

λm = e · E · λ∗m δ

(1.26)

1.2. RAUMIONISATIONSPROZESSE

17

Abbildung 1.3: Ionisierungskoeffizient α und Rekombinationskoeffizient η in SF 6 in Abhängigkeit von der Feldstärke E und vom Druck p

gewesen sein. λ∗m bezeichnet man als wirksame freie Weglänge, die bei Elektronen (δ  1) deutlich grösser als die wahre mittlere freie Weglänge ist. Erreicht diese Energie die notwendige Ionisationsenergie WI , soll es in jedem Fall zur Ionisation kommen. Anregungsprozesse und stufenweise Ionisation seien vernachlässigt. Damit ein Elektron die Ionisierungsenergie aus dem Feld aufnehmen kann, muss seine freie Weglänge λ mindestens den Wert λI . Dann gilt: δWI (1.27) eE Nach dem Clausius-Weglängengesetz (1.14) ist die Wahrscheinlichkeit für freie Weglängen grösser λI ! λI P (λ ≥ λI ) = exp − (1.28) λm λI =

Von im Mittel 1/λm Stössen wird ein Elektron demzufolge 1 λI α= exp − λm λm

!

(1.29)

Ionisationsprozesse je Längeneinheit auslösen. α ist der 1. Townsendsche Stossionisationskoeffizient. Mit (1.10) und (1.27) wird C2 α = C1 exp − p E/p

!

, mit

(1.30)

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

18

C1 = as /kT ,

C2 = as δWI /ekT

Parallel zur Erzeugung neuer Ladungsträger werden immer auch Elektronen mit Ionen rekombinieren. Eine ähnliche Argumentation wie für den Stossionisationskoeffizienten α führt auf den Anlagerungskoeffizienten "

C4 η = C3 1 − exp − p E/p

!#

(1.31)

Für den Entladungsaufbau ist der effektive Stossionisationskoeffizient (1.32)

α∗ = α − η

entscheidend. Der effektive Stossionisationkoeffizient für verschiedene Gase wurde im Laufe der Jahre von zahlreichen Wissenschaftlern experimentell ermittelt und Näherungsgleichungen für unterschiedliche Bereiche (E/p) angegeben (s. [6]). Luft

SF6

25 < (E/p) < 80 "

kV mm·bar

E E α∗ =k − p p p

! #2 M

89 < (E/p) < 124 "

α∗ E E =k − p p p

−A

k = 0, 16053 cm · bar · kV−2 (E/p)M = 21.65 kV · cm−1 bar−1 A = 2.873 mm−1 · bar−1

kV mm·bar

! # cr

k = 0, 279 kV−1 (E/p)cr = 89.246 kV · cm−1 bar−1

Abbildung 1.3 zeigt den Verlauf von α, η und α∗ in Abhängigkeit von E/p für SF6 .

1.2.4 Lawinenbildung Geht man vereinfachend davon aus, dass nur Elektronen wegen der höheren Beweglichkeit und Energie zur Stossionisation beitragen, dann beträgt der Zuwachs an Elektronen auf dem Weg dx an der Stelle x entlang einer Entladungsstrecke (1.33)

dNe = α∗ Ne dx

wenn an der Stelle x bereits Ne Elektronen vorhanden sind. α∗ ist der in Abs. 1.2.3 beschriebene effektive Stossionisationskoeffizient. Die Lösung der Differentialgleichung führt auf   Ne (x) = Ne0

· exp 

Zx 0

α∗ dx

(1.34)

mit der Anfangsbedingung, dass es an der Stelle x = 0, in der Regel die Kathode, Ne0 Anfangselektronen gab.

1.3. HOMOGENES UND SCHWACH INHOMOGENES FELD

19

Im homogenen Feld ist der effektive Ionisationskoeffizient α ∗ konstant und (1.34) vereinfacht sich zu ∗ Ne (x) = Ne0 · eα ·x (1.35)

Wenn α∗ > 0 werden sich die Elektronen also lawinenartig vermehren. Ist α ∗ ≤ 0, ist keine Ladungsträgervermehrung möglich. Für α ∗ = 0 ergeben sich also theoretische Grenzfeldstärken (aus [6]): Luft: α∗ = 0 für

(E/p)0 = 25.8

SF6 :

(E/p)0 = 89.3

α∗ = 0 für

kV cm·bar kV cm·bar

1.3 Durchschlagsmechanismen im homogenen und schwach inhomogenen Feld 1.3.1 Streamerdurchschlag Wenn, wie im Abs. 1.2.4 beschrieben, eine Elektronenlawine entsteht, bilden die Elektronen einen negativen Lawinenkopf, und die vergleichsweise langsamen Ionen einen positiv geladenen, langgezogenen Schwanz. Die hohe Ladungsdichte im Lawinenkopf erzeugt ein Raumladungsfeld, dass sich dem Homogenfeld überlagert (s. Abb. 1.4). Die Feldanhebung im Lawinenkopf führt zu verstärkter Ionisation, einem Anstieg der Vorwachsgeschwindigkeit vSt und erhöhter Strahlungsemission. Hinter dem Lawinenkopf entsteht durch Feldaufhebung ein Dunkelraum. Auf beiden Seiten des Dunkelraumes bilden sich durch die emittierte Strahlung neue Anfangselektronen, die neue Lawinen auslösen. Dies führt zum raschen Aufbau eines Entladungskanals, der Streamer genannt wird. Der Streamer wächst in beide Richtungen auf die Elektroden zu. Die Vorwachsgeschwindigkeit eines Streamers in Luft bei Normaldruck ist etwa v St = 10 . . . 100 cm/µs. Wenn der Streamer die Elektroden überbrückt, heizt sich der Entladungskanal auf und es kommt zu erhöhterThermoionisation im zunächst noch schwach leitenden Streamerkanal. Der Kanal wird hochleitfaehig und die Spannung bricht zusammen. Neue Lawinen werden nur dann gebildet, wenn das Feld im Lawinenkopf etwa gleich gross ist wie das Grundfeld. Das ist etwa bei einer kritischen Elektronenzahl N cr = 104 . . . 108 der Fall. Mit der kritischen Elektronenzahl lässt sich nach (1.35) die kritische Länge xcr des Streamers berechnen. Sind weniger als Ncr Elektronen im Lawinenkopf, wenn die Lawine die Anode erreicht, werden die Elektronen aufgesaugt und es kommt nicht zum Durchschlag. Sei s die Schlagweite, dann lässt sich, unter der Annahme, dass die Lawine an der Kathode mit nur einem Anfangselektron gestartet ist, folgendes Durchschlagskriterium für den Streamerdurchschlag formulieren xcr

R

e0

α∗ dx

= Ncr ;

xcr ≤ s ;

Ncr = 104 . . . 108

(1.36)

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

20 bzw. logarithmiert: Zxcr 0

α∗ dx = ln Ncr = Kcr ;

xcr ≤ s ;

KSt = 10 . . . 18, 4

(1.37)

Im homogenen Feld ist α∗ = const. und es gilt vereinfacht: α∗ · xcr = KSt . Nicht alle tatsächlich im Streamer ablaufenden Prozesse (z.B. Photoionisation, mehrstufige Ionisation) sind durch dieses einfache Modell (nur 1-dimensional!) erfasst. In Experimentellen Untersuchungen zur Anwendbarkeit des Streamerkriteriums mit den im Abs. 1.2.3 aufgeführten Approximationsfunktionen für den Stossionisationskoeffizienten ist eine kritische Elektronenzahl KSt ≈ 10 für Luft und SF6 ermittelt worden.[6]

Abbildung 1.4: Entladungslawine im homogenen Feld und Feldverlauf E in der Zentralachse durch die Lawine beim Erreichen der kritischen Elektronenzahl im Lawinenkopf. Verzerrung des elektrischen Grundfeldes E0 durch die Raumladungen einer Entladungslawine in der Lawinenachse

Mit Hilfe des Streamerkriteriums ist es möglich die Einsetzspannung Ui (Entladungsbeginn) von Elektrodenanordnungen zu berechnen. In homogenen und schwach inhomogenen Feldern führt das Einsetzen der Entladung auch zum Durchschlag.

1.3.2 Paschensche Abhängigkeit Paschen hat experimentell nachgewiesen, dass im homogenen Feld bei einem Elektrodenabstand s und dem Druck p die Durchschlagsspannung U d nur vom Produkt p · s

1.4. STARK INHOMOGENES FELD

21

abhängig ist. Aus dem Durchschlagskriterium für den Streamerdurchschlag im homogenen Feld lässt sich die Paschensche Abhängigkeit ableiten. ∗

α · s ≥ KSt

und

α∗ E = f1 p p

KSt Ud = f1 p·s p·s

!

= f1

U ps

!

!

(1.38)

Oder anders ausgedrückt Ud = f (p · s). Für ein bestimmtes Gas ist also die Durchschlagspannung Ud alleinig eine Funktion vom Gasdruck p und der Schlagweite s. Für die Praxis ergibt sich daraus die Möglichkeit, für kleinere Bauformen grössere Gasdrücke einzusetzen. Die Paschenkurve hat aber auch ein Minimum, was bedeutet, dass die Durchschlagsfestigkeit im Hochvakuum bzw. sehr kleinen Abständen wieder zunimmt (s. Abb. 1.5). Diese Eigenschaft wird beispielsweise in Vakkumschaltern, Relais und Gasableitern technisch genutzt.

Abbildung 1.5: Durchschlagsspannungen als Funktion von Druck (p) und Abstand (s) für verschiedene Gase

1.4 Durchschlag im stark inhomogenen Feld Im homogenen Feld ist die Zündbedingung wenn überhaupt, dann im ganzen Feldraum erfüllt, da die Feldstärke überall gleich gross ist. Im stark inhomogenen Feld bestimmt die räumliche Feldstärkeverteilung das Durchschlagsverhalten wesentlich mit.

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KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

1.4.1 Stabile Vorentladungen und Polaritätseffekte Im stark inhomogenem Feld, beispielsweise einer Spitze-Platte-Anordnung, kommt es zur lokalen Streamerbildung im Bereich hoher Feldstärke an der Spitze. Da die Feldstärke mit zunehmendem Abstand von der Spitze sehr stark abnimmt, werden dem Streamer von dort keine Ladungsträger nachgeliefert und er kann nicht weiter in den Raum vorwachsen. Es entsteht eine stabile Vorentladung, eine sogenannte Koronaentladung. Die Spannung Ui , bei der die Entladung beginnt, nennt man Einsetzspannung. Ein Durchschlag erfolgt erst bei weiterer Steigerung der Spannung bis zur Durchschlagsspannung Ud .

Abbildung 1.6: Polaritätseffekt im stark inhomogenen Feld bei positiver Spitze (links) und negativer Spitze (rechts)

Die Ausbildung einer Raumladungszonen an der Spitze bewirkt eine Feldverzerrung, die polaritätsabhängig ist. Im Fall der positiven Spitze (Abb.1.6 l.) entsteht eine positive Raumladung, da die Elektronen rasch von der negativen Spitze abgesaugt werden, wohingegen positive Ionen zurückbleiben, die vergleichsweise langsam in den Feldraum wandern. Die Elektrode erscheint deshalb virtuell in den Raum vorgeschoben, was die Durchschlagsentwicklung begünstigt. Die Elektronen wandern in ein stärker werdendes Feld und werden auf dem kurzen Weg zu Spitze stark beschleunigt. Die Ionisationszone ist daher räumlich sehr klein in direkter Umgebung der Spitze als bläuliches Glimmen zu beobachten. Im Fall der negativen Spitze (Abb.1.6 r.) werden die Anfangselektronen im wesentlichen durch Emission aus der Spitze bereitgestellt. Die Elektronen wandern relativ

1.4. STARK INHOMOGENES FELD

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schnell in den Feldraum ab und es verbleibt eine positive Raumladungszone aus langsamen Ionen vor der Spitze. Die Feldstärke unmittelbar vor der Spitze wird deshalb deutlich grösser. Die negative Raumladung im Feldraum führt zu einer laichten Anhebung der Feldstärke im an der Anode (Platte). Insgesamt wird aber das Feld homogener, d.h. die Durchschlagsentwicklung wird behindert. Die Elektronen wandern in ein schwächer werdendes Feldgebiet von der Spitze weg. Die Ionisationszone ist daher räumlich ausgedehnter als bei der positiven Spitze aber die emittierte Strahlung ist weniger Energiereich. Sie erscheint als rötliches Glimmen wie eine Wolke vor der Spitze. Die Durchschlagsspannung einer stark inhomogenen Anordnung ist daher von der Polarität abhängig. Es gilt stets: Ud |positive Spitze < Ud |negative Spitze

(1.39)

Daraus folgt, dass bei Wechselspannungsbeanspruchung ein Durchschlag vorzugsweise im positiven Scheitelwert auftritt.

1.4.2 Streamerdurchschlag im inhomogenen Feld Ist die Feldstärke einer inhomogenen Anordnung genügend hoch, entwickelt sich aus der Vorentladung eine Streamerentladung. Auch im inhomogenen Feld ist die Stärke der Ladungsträgervermehrung ausschlaggebend für die Ausbildung des Streamers. Zusätzlich müssen jedoch der hohe Feldstärkegradient, die Feldabhängigkeit des effektiven Ionisationskoeffizienten und der Polaritätseffekt berücksichtigt werden. Im stark inhomogenen Feld muss daher zwischen positivem Streamer (positive Spitze) und negativem Streamer (negative Spitze) unterschieden werden. Positiver Streamer Setzen wir vorraus, dass im spitzennahen Bereich die kritische Verstärkung erreicht wird. Eine von einem natürlich gebildeten Anfangselektron gestartete Lawine läuft auf die positive Spitze zu, die deren Elektronen rasch absaugt. Zurück bleibt eine positive Raumladungszone, die dass Feld unmittelbar an der Spitze abschwächt, so dass unmittelbar an der Spitze keine Entladung mehr möglich ist. Zwischen positiver Raumladungszone und Kathode wird die Feldstärke jedoch angehoben (s. Abb. 1.6). Infolge der von der Lawine der ersten Generation emittierten Strahlung starten im Feldraum vor der Raumladungszone neue Lawinen, die auf die Raumladunszone zulaufen. Die Elektronen in den Lawinenköpfen sorgen für eine Neutralisation der Raumladungszone und es entsteht eine weiter vorlagerte positive Raumladungszone, die den Streamerkopf bildet, und in deren Umgebung wiederum neue Lawinen nach dem eben

KAPITEL 1. DURCHSCHLAGSMECHANISMEN

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Abbildung 1.7: Entwicklung der positiven Streamerentladung: 1 . . . Streamerkopf, 2 . . . Streamerkanal, 3 . . . Photonenbahn, 4 . . . Anfangselektron, 5 . . . Lawine, 6 . . . Streamerkopf, neu

beschrieben Mechanismus starten. Diese laufen wiederum in den Streamerkopf hinein, neutralisieren diesen und bilden einen wieder einen weiter vorgelagerten positiven Streamerkopf. Es bildet sich also ein nahezu neutraler, schwach leitfähiger Kanal (passive Zone), mit einem positiven Kopf, in dessen Umgebung neue Ionisationsprozesse ausgelöst werden (aktive Zone). Der Streamer wächst soweit in den Feldraum hinein, bis die Feldstärke in der aktiven Zone einen kritischen Wert erreicht, unter dem nicht mehr genügend Folgelawinen erzeugt werden. (Abb. 1.7) Damit sich ein positiver Streamer entwickeln kann, ist ein Grundfeld von etwa 4 kV/cm notwendig. Zum Vorwachsen benötigt der positive Streamer ein Spannungsgefälle (Streamerspannungsbedarf) von etwa 4 . . . 5 kV/cm und seine Vorwachsgeschwindigkeit beträgt einige 10 cm/µs. Negativer Streamer Der Entwicklung der negativen Streamerentladung liegt prinzipiell der gleiche Mechanismus zugrunde, wie beim positiven Streamer. Jedoch haben die Elektronen im negativen Streamerkopf eine höhere Beweglichkeit, so dass diese infolge radialer Diffusion stärker streuen. Die Ladungsdichte im negativen Streamerkopf ist daher geringer und

1.4. STARK INHOMOGENES FELD

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die Feldanhebung schwächer als beim positiven Streamer. Deshalb benötigt der negative Streamer auch ein stärkeres Grundfeld von etwa 13 . . . 18 kV/cm und hat einen höheren Spannungsbedarf im Bereich von 7 . . . 15 kV/cm. Die Vorwachsgeschwindigkeit des negativen Streamers ist etwas kleiner als diejenige des positiven Streamers, liegt aber in der gleichen Grössenordnung.