Elefanten meiden die Wildnis Von Barbara Reye. Aktualisiert um 12:40 2 Kommentare 

In Sri Lanka leben mehr als 4000 Elefanten ausserhalb der Nationalparks – was zu tödlichen Konflikten mit der Bevölkerung führt. Ein Studie zeigt: Die Umsiedlung der Problemelefanten bringt wenig.

Ursprünglich war Hambantota an der Südostküste der Insel Sri Lanka ein verschlafenes Städtchen mit einem wunderschönen weissen Sandstrand. Im angrenzenden Dschungel gab es abseits der Zivilisation eine offene Mülldeponie, wo der tägliche Abfall landete und ein paar Elefanten sich

überreife Früchte, vertrocknete Palmenwedel und altes Brot schmecken liessen. Doch 2004 kam der Tsunami. Mehrere Hundert Menschen in der Gegend verloren ihr Leben und Tausende ihre Häuser. Um den verzweifelten Betroffenen möglichst schnell zu helfen, wurde etwas nördlich von Hambantota eine grosse Fläche Wald gerodet und darauf Hunderte von Häusern gebaut. Das Neubaugebiet lag jedoch unweit der Abfalldeponie, sodass die acht dort lebenden Elefanten auf einmal zu einem Sicherheitsrisiko für die Menschen wurden. Elefanten brechen in Häuser ein In Sri Lanka spitzt sich auch an anderen Orten der Konflikt zwischen Mensch und Elefant zu. «Nirgendwo sonst gibt es eine so hohe Dichte an Elefanten», sagt Jennifer Pastorini von der Universität Zürich, die seit fast zehn Jahren die Asiatischen Elefanten in dem Land erforscht. So leben auf der 65 000 Quadratkilometer grossen Insel vor der Südspitze Indiens, die nur etwa ein Drittel grösser ist als die Fläche der Schweiz, insgesamt rund 6000 Dickhäuter. Und von denen befinden sich mehr als 70 Prozent nicht in den riesigen Naturreservaten, sondern irgendwo in der Wildnis ausserhalb der Parkgrenzen. Aufgrund von unzähligen Infrastrukturprojekten, insbesondere auch seit Ende des Bürgerkriegs vor vier Jahren, steht den Tieren in diesen Gebieten aber immer weniger Wald und Grasland zur Verfügung. Dies führt dazu, dass Mensch und Elefant – ähnlich wie in Hambantota – verstärkt um Platz und Nahrung konkurrieren. Einige der grauen Kolosse haben begonnen, bei der Suche nach Futter zum Ärger der Bauern Reisfelder bereits vor der Ernte zu plündern oder sogar in Häuser einzubrechen, um über Vorräte herzufallen. Aus diesem Grund gibt es ständig Todesopfer – und zwar auf beiden Seiten. Jedes Jahr kommen in Sri Lanka mehr als 200 Elefanten und 70 Menschen ums Leben. Wütende Bauern versuchen, die Tiere heimlich zu töten, obwohl Elefanten in ganz Asien unter Schutz stehen. Sie riskieren, sich strafbar zu machen, und gehen seit kurzem sogar so weit, dass sie Sprengstoff in Melonen verstecken. «Das ist besonders tragisch», sagt Pastorini. Denn beim Fressen der Frucht zerreisse die Explosion das Maul des Tiers, sodass es langsam verhungern würde.

In Schutzgebiete verfrachten Damit sich die Situation erst gar nicht derart zuspitzt, nimmt das srilankische Department of Wildlife Conservation die Sorgen der Leute sehr ernst. So hat es auch umgehend gehandelt, als die Beschwerden in Hambantota überhandnahmen. Nach der in Sri Lanka üblichen Methode fingen Experten die acht männlichen Problemelefanten ein und transportierten sie mit Lastwagen weit weg in verschiedene Nationalparks des Landes. Die grauen Riesen kamen dann 50 bis 300 Kilometer von ihrer Heimat entfernt in den Schutzgebieten wieder frei. Doch eine vor sechs Monaten veröffentliche Studie in der internationalen Onlinefachzeitschrift «PLOS One» hat nun ergeben, dass eine solche Umsiedlung für die Tiere nicht nachhaltig ist. «Lediglich das Problem verschiebt sich», sagt Pastorini, die Mitautorin der Studie ist. Keines der Tiere sei in den Reservaten hinter den Elektrozäunen geblieben. Sie würden alles tun, um das Reservat sofort wieder zu verlassen und sich auf Wanderschaft zu begeben — entweder direkt zurück in ihren alten Lebensraum oder woandershin ausserhalb des Nationalparks. Gemeinsam mit ihrem sri-lankischen Mann Prithiviraj Fernando und dem Department of Wildlife Conservation hat die Zürcher Biologin sich die Mühe gemacht, das Schicksal von 12 verstossenen Problemelefanten über mehrere Jahre mit GPS-Geräten im Detail zu verfolgen. Darunter ist auch Homey, ein stattliches Exemplar eines Bullen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, der vom Abfallberg bei Hambantota stammte und besonders aggressiv war. Um ihn zu orten und seiner Spur zu folgen, trug er fortan ein Kunststoffband mit einem kleinen elektronischen Sender um den Hals. «Für ihn war der Müllberg ein Paradies», erklärt Jennifer Pastorini. Erstaunlich ist, dass er sich sofort nach seiner Ankunft in dem fremden Gebiet auf den Rückweg machte. Nichts schien den Elefantenbullen davon abzuhalten. So durchquerte er im Nationalpark Yala zuerst einen Fluss, durch den man ihn bei der Hinreise gescheucht hatte. Danach ruhte er sich auf der anderen Seite des Ufers erst einmal aus, vermutlich vor allem von den Strapazen der Narkose, die vor dem Transport notwendig war.

Mithilfe der GPS-Daten, die einmal pro Tag übermittelt werden, lässt sich das Tun des Elefanten genau rekonstruieren. Als es dunkel wurde, ging Homey schnurstracks in Richtung «Home», bis er nach 20 Kilometern auf einen Elektrozaun stiess. Das Hindernis brachte ihn zwar vom geplanten Weg ab, liess ihn aber nicht aufgeben. Er versuchte danach mehrmals, andernorts zu entkommen. Per Zufall hatte er dabei bemerkt, dass in einem bestimmten Gebiet des Parks der Strom im Zaun nur nachts eingeschaltet wird und tagsüber keine elektrische Spannung auf dem Zaun mehr ist. Von den Bauern erschossen «Elefanten sind schlaue Tiere und lernen schnell», sagt Pastorini. Sie kenne einen, der herausgefunden habe, dass das Holz am Elektrozaun nicht schmerzhaft sei. Daraufhin habe er zielstrebig den Pfosten mit dem Rüssel umgelegt, sodass auch noch zwei ihn begleitende Bullen dieses Schlupfloch genutzt hätten. «Deshalb haben wir angefangen, statt Pfosten aus Holz lieber solche aus Metall für die Elektrozäune zu verwenden», erklärt Pastorini. Der uneinsichtige und widerspenstige Homey hat den Elektrozaun überwunden und ist wieder nach Hambantota zurückgekehrt. Dort lebten ein paar Monate nach der grossen Umsiedlungsaktion sogar zehn Elefanten. Homey wurde noch zweimal von seinem geliebten Müllberg weggebracht und schliesslich, nach seinem dritten Fluchtversuch, mit über 300 Schusswunden tot gefunden. Weil der Bulle ständig in den Reisfeldern der Bauern unterwegs war, wurden sie zornig und verscheuchten ihn mit Schüssen. Ein anderer in der Studie untersuchter Problemelefant, der das Haus eines Militäroffiziers zerstörte und deshalb den Namen «Brigadier» erhielt, machte sich nach seiner Umsiedlung dagegen in die entgegengesetzte Richtung auf Wanderschaft und lief fast 100 Kilometer bis zum Meer. Als er dort ankam, schwamm er fünf Kilometer hinaus. Zufällig habe ihn die Navy gesehen, die ihn mit einem Gurt um den Bauch zurück ans Land geschleppt habe, sagt Pastorini. Auch Brigadier sei am Schluss auf tragische Art und Weise umgekommen: Er ist in einen Brunnenschacht gefallen. Trotz mehrerer Schutzprojekte sieht es schlecht aus für eine Koexistenz von Mensch und Elefant. Deshalb setzt sich das von Pastorini und ihrem Mann gegründete Centre for Conservation and Research in Colombo dafür ein,

dass eine jahrhundertealte Anbaumethode, das Chena Farming, endlich legal wird. Dabei wird ein überschaubares Stück Land im Regenwald abgeholzt und danach abgebrannt. Wenn die Regenzeit kommt, pflanzen die Bauern dort Gemüse an. Nach der Ernte lässt man den Elefanten den nicht mehr zu verwertenden Rest. Auch wächst auf den Feldern schnell wieder Gestrüpp nach, was ideales Futter für die Elefanten ist. Auf diese Weise finden die Tiere, die aufgrund ihrer Grösse rund 150 Kilogramm Grünzeug am Tag fressen, auch während der Trockenzeit genügend Nahrung. Immer Abstand halten «Dies nützt beiden etwas», sagt Pastorini, die gemeinsam mit ihrem Mann versucht, den Konflikt zu entschärfen. Doch die Zeit drängt. Denn die Dickhäuter seien schon aus 78 Prozent ihres einstigen Lebensraums verschwunden. Und Sri Lanka habe nach Indien noch die meisten Elefanten. Dies sei auch eine Chance für den Tourismus. Denn wo sonst würde man so häufig am Strassenrand eine Herde Elefanten sehen. Wenn man Abstand halte, sei es auch kein Problem. Wer diesen Tipp jedoch nicht respektiert, kann es direkt zu spüren bekommen. Denn Elefanten können gefährlich sein, sind leicht erregbar und ihre Abwehrreaktionen sind manchmal explosiv. So ist auch Pastorini schon in eine solche Situation geraten, weil sich Touristen vor ihr nicht an die Verhaltensregeln gehalten hatten. Der aufgescheuchte Elefant hatte irrtümlicherweise den Jeep der Forscherin geschnappt und im Nu seitwärts auf zwei Räder gekippt. «Mir war recht mulmig zumute», sagt Pastorini. Doch sie habe Glück gehabt, dass er danach gleich wieder abgezogen sei.