Einleitung: Warum die Auseinandersetzung mit Grundbegriffen, Theorien und Methoden notwendig ist:

Zusammenfassung von Hans-Christoph Koller Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft Eine Einführung Einleitung: Warum die Ause...
Author: Elisabeth Mann
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Zusammenfassung von

Hans-Christoph Koller Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft Eine Einführung

Einleitung: Warum die Auseinandersetzung mit Grundbegriffen, Theorien und Methoden notwendig ist: Es gibt keine Liste wie man im pädagogischen Berufen handeln soll. Dafür gibt es drei Gründe: 1) Umstrittenheit des pädagogischen Wissens: Es gibt viele verschiedene Positionen in pädagogisch relevanten Situationen, die sich oft widersprechen; es ist es wichtig, viele Positionen zu kennen und gegeneinander abwiegen zu können. 2) Jede pädagogische Situation ist anders. Das relevante Fachwissen muss auf diese spezielle Situation angewendet werden. (Verstehen d. Situation und der agierenden Menschen: hermeneutische Kompetenz) 3) Zukunftsbezug: Pädagogisches Handeln reicht weit in die Zukunft und muss auch dann den Anforderungen gerecht werden. Dies erfordert lebenslanges Weiterdenken und hermeneutische Kompetenz: Reflexionskompetenz. Bsp: Reiseführer: Man vertraut auf den Reiseführer, sieht aber nur, was empfohlen wird oder man verwendet keinen Reiseführer, übersieht aber vieles, weil man nicht darauf vorbereitet ist es zu sehen. Es ist also wichtig, die Theorie zu lernen, auch wenn man nicht erkennt, wie man sie in der Praxis anwenden kann. In der Praxis muss man dann testen, in wie weit die Theorie anwendbar ist (evtl. muss die modifiziert oder weiterentwickelt werden). In der Praxis hat man immer einen Zeitzwang. Wie dieses Buch entstanden ist: An der Universität Hamburg wurde ein Kerncurriculum Erziehungswissenschaft entwickelt und erprobt. Dieses Buch entspricht dem Rahmenkonzept der Lehrveranstaltung Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Was sind Grundbegriffe, Theorien und Methoden? Es gibt keinen verbindlichen Kanon an pädagogischem Grundwissen, dies ist nur ein Vorschlag. Grundbegriffe sollen etwas diffuses wie Erziehungswirklichkeit strukturieren. Bei den Grundbegriffen Erziehung, Bildung und Sozialisation sind immer 3 Instanzen beteiligt: PädagogInnen (z.B. Lehrer), eine Zielgruppe und eine oder mehrere Institutionen, innerhalb derer das Erziehungsgeschehen (Interaktion) abläuft. Eine Ordnung kommt in das System, wenn man häufig vorkommende Begriffe 1

einer dieser drei Instanzen zuordnet. Viele Begriffe können aber nicht genau zugeordnet werden, da sie mehrere Instanzen oder die Interaktion betreffen. Theorien sind Aussagen über Sachverhalte in der Erziehungswirklichkeit, die sich auf Grundbegriffe beziehen und diese in Beziehung zueinander setzen. Hier geht es um Theorien zu den Grundbegriffen Bildung, Erziehung und Sozialisation. Es wird die historische und die aktuelle Dimension einbezogen. Methoden (der Erziehungswissenschaft) sind Verfahren, mit deren Hilfe man versucht, zu systematischen geordneten Aussagen über einen Gegenstandsbereich zu kommen. Dies führt zu wissenschaftlichen Theorien. Mit Methodenwissen kann man pädagogische Veröffentlichungen kritisch analysieren. Es geht hier nur um grundlegende methodische Ansätze: der methodische Ansatz der Empirischen Erziehungswissenschaft (empirisch-analytische Verfahren), der hermeneutische Ansatz (interpretative Vorgehensweisen), der methodische Ansatz der kritischen Erziehungswissenschaft (Erkenntnisinteresse). Zum Umgang mit diesem Buch Die 3 Grundbegriffe Bildung, Erziehung und Sozialisation werden in größere historische und theoretische Kontexte gesetzt und miteinander in Verbindung gebracht. Es geht um eine verständliche Erklärung der Theorien und um eine kritische Betrachtung hinsichtlich der Möglichkeiten der Theorien. Weiters wird versucht, ein Bezug zur Praxis herzustellen (anhand von about a boy, Nick Hornby). Weil bei diesem Buch abwechselnd aus der Perspektive verschiedener Personen erzählt wird, können unterschiedliche Sichtweisen der Beteiligten thematisiert werden.

Teil 1 Grundbegriffe und Theorien Kapitel 1 Der Erziehungsbegriff der Aufklärung: Kant Es wird hier mit dem Erziehungsbegriff begonnen. Dafür gibt es 2 Gründe: Erziehung hat auch in der Alltagssprache eine klare Bedeutung, und der Begriff eignet sich am besten um pädagogisches Handeln wissenschaftlich zu analysieren. Die Erörterung des Begriffes nimmt ihren Ausgang von einer Fassung des Begriffes zwischen 1770 bis 1830. Historisch wurde in Mittel-und Westeuropa die Ständegesellschaft vom Bürgertum ersetzt. Besondere Bedeutung hierbei hatte die Aufklärung. 1.1 Was ist Aufklärung? Eine prägnante Beschreibung findet sich bei Kant in „Was ist Aufklärung?“ Es geht dabei darum, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und nicht auf Autoritäten zu hören. Wichtig für das individuelle Handeln sind für Kant nicht Tradition, Sitte oder Autorität; sondern der eigene Verstand. Z.B. Ärzte die Diätvorschriften erlassen… . So etwas verhindert den selbstständigen Gebrach des Verstandes. Laut Kant gibt es 2 Begründungen für solches Verhalten: „Faulheit und Feigheit“ (Kant, 1784/1983, S.54) derer, die sich von anderen leiten lassen, und andererseits von Drohungen derer, die ihre Untertanen leiten. Die Grundgedanken der Aufklärung sind auch für die Erziehung wichtig, z.B. Kants Vorlesung „Über Pädagogik“

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1.2 Das „pädagogische Jahrhundert“ In diesem Jahrhundert haben sich neue (in Grundzügen) bis heute wirksame Auffassungen von Erziehung durchgesetzt. Die Organisation der damaligen Erziehung hat unser heutiges Erziehungssystem entscheidend geprägt. Die Vorstellungen von Erziehung wurden von der „Entdeckung der Kindheit“ geprägt (Philippe Aries: Geschichte der Kindheit). Davor wurden Kinder als kleiner Erwachsene betrachtet. Davor waren Kinder am Leben der Erwachsenen beteiligt. Nun kommen sie in eine Art Schonraum, die Erziehung. In dieser Zeit entwickelt sich auch die Kleinfamilie, vom Arbeitsleben abgeschirmt, und im Mittelpunkt stehen die Kinder. Es etabliert sich eine Institution zur Vorbereitung auf das Leben in der Gesellschaft, die Schule. Schule bereitet die Kinder auf das Alltagsleben vor, indem sie die Kinder aus dem Alltagsleben ausgrenzt, weil das Erwachsenenleben zu komplex, zu gefährlich und zu störungsanfällig ist, um Kinder durch Partizipation lernen zu lassen. Es dauerte sehr lange, bis die Institution Schule auf breiter Ebene für alle Kinder durchgesetzt war. Aus diesen Tendenzen entwickelte sich ein öffentlicher Diskurs über Erziehungsfragen. Auch die Anzahl der Veröffentlichungen zu dem Thema nimmt stark zu. 1.3 Kants Begriff von Erziehung Ausganspunkt der Argumentation Kants ist eine anthropologische Bestimmung „Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss.“ (Kant, 1803/1983, S.679) Das Verhalten von Tieren ist instinktbestimmt. Beim Menschen gibt es eine größere Offenheit, aber auch eine Hilfslosigkeit, das angewiesen sein auf andere. „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was Erziehung aus ihm macht.“ (Kant, 1803/1983, S.699) Dies ist scheinbar paradox, denn der Mensch ist anscheinend noch nicht Mensch, sondern muss erst zum Menschen werden. Dies lässt sich klären, wenn man den Menschen als entwicklungsoffenes Potenzial sieht. Zur Realisierung dieses Potenzials braucht es Erziehung. Das ergibt ein Problem: Wenn das, was Menschsein (damals Menschheit) ausmacht, nicht im Menschen ist, sondern durch Erziehung erreicht wird, woher kann ich wissen, worin das Menschsein (das Ziel der Erziehung) besteht? Einen erzogenen Menschen zu betrachten ist nicht richtig, da Erziehung Menschenwerk und damit unvollkommen ist. Die Konsequenz ist, dass das Ziel von Erziehung unbestimmt ist. Das steht einer „Vervollkommnung der Menschheit“ nicht im Weg, da dies ein zukunftsoffener Prozess ist und von den nachfolgenden Generationen immer weiter verbessert werden kann. Das Ziel dieser Erziehung ist das proportionierliche Entfalten der menschleichen Kräfte. Worin besteht Erziehung als Tätigkeit, die den Menschen auf diesen Weg bringen soll? Es gibt 2 metaphorische Formulierungen. Erziehung als etwas herstellen (Handwerker), und als beschütztes wachsen lassen (Gärtner).Kant zufolge ist Erziehung eine „Kunst“ (etwas, das ein spezifisches können braucht). Das bedeutet, dass Erziehung planvoll und begründbar sein soll (Forderung nach wissenschaftlicher Pädagogik und Reflexion). Laut Kant sollten Kinder durch Erziehung nicht auf die Welt vorbereitet werden, wie sie ist, sondern wie sie sein könnte und sollte. Weiters beschreibt Kant 4 aufeinander aufbauende Stufen des Erziehungsprozesses: 1) Disziplinierung: Hier sollen die tierischen Anlagen des Menschen der Entfaltung seiner menschlichen Potentiale nicht im Weg stehen (später auch bei Freud). 2) Kultivierung: Es geht darum, dem Kind Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die Notwendig sind, um „Zwecke“ zu erreichen (z.B. lesen und schreiben). 3) Zivilisierung: Hier geht es um soziale Kompetenzen, also dass der Mensch in die Gesellschaft passt, beliebt ist und Einfluss hat. 4) Moralisierung: Hierbei geht es um die Gesinnung des Menschen. (Diese Stufe entscheidend dafür, dass diese Theorie eine moderne Theorie der Erziehung ist.) Das entspricht im Kern dem Kategorischen Imperativs „Handle so, dass Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“ (Kant 1788/1983, S. 140). Dazu ist das Denken der Kinder notwendig. Sie sollen ihr Handeln an Prinzipien ausrichten (anhand von Maximen, deren Billigkeit die Kinder einsehen können). Dazu braucht es das Denken des Kindes: Um das zu erreichen braucht es 3

Freiheit und Zwang, das Problem ist, diese richtig zu kombinieren. Freiheit bedeutet für Kant Willkürfreiheit, Selbstständigkeit und Mündigkeit. Kultivieren der Freiheit meint die Einschränkungen der Freiheit, aber auch den guten Gebrauch der Freiheit. Es gibt 3 Gründe, warum Zwang notwendig ist. Der erste ist, dass das Kind tun muss, was von ihm verlangt wird, weil es noch nicht selbst entscheiden kann, sondern nur nachahmen kann (positive Unterwürfigkeit) Der zweite Grund ist, dass wenn das Kind will, dass andere etwas für es tun, es auch ihnen was Gutes tun muss (negative Unterwerfung). Das ist der Grund für die Notwendigkeit des Zwangs in der Dialektik sozialer Beziehungen. Die Einschränkung der Freiheit ist notwendig, wenn man auf die Freiheit anderer stößt. Der dritte ist, dass das Kind lernen muss sich selbst zu erhalten. Daraus folgt die dritte pädagogische Regel, dass die Einschränkung der Freiheit gerechtfertigt ist, wenn das Ziel zukünftige Freiheit ist. Abgesehen von diesen Einschränkungen ist den Kindern völlige Freiheit einzuräumen. 1.4 „Weil ich möchte, dass du selbstständig denkst“- Analyse eines Beispiels Kants Verdienst besteht darin, dass er das pädagogische Problem zweier entgegengesetzter pädagogischer Prinzipien in aller Schärfe herausgearbeitet hat. In dem Streitgespräch zwischen Marcus und Fiona geht es darum, dass er Will weiterhin besuchen will. Fiona sagt dabei, dass sie sich dabei etwas denke. Markus fragt sich daraufhin, worin dieser Plan besteht. Später fragt Marcus, warum er Vegetarier ist und ob er das nicht selbst entscheiden könnte. Fiona meint, dass er das kann, wenn er älter ist. Die Notwendigkeit von Zwang erklärt Fiona mit der Begründung, dass Marcus zu jung ist, um die Entscheidung selbst zu treffen (dritte Begründung). Dann meint Marcus, dass seine Mutter ihn aber auch nicht zu McDonalds gehen lässt. Sie meint darauf, dass sie es nicht verhindern kann, aber sehr enttäuscht wäre, wenn Marcus hingeht. Hier versucht Fiona, dass Marcus die „Billigkeit“ einsieht , hat aber nur einen Gebrauch der Freiheit, der ihren Vorstellungen entspricht im Kopf. Hier geht es auch um die emotionale Beziehung, die bei Kant noch keine Rolle spielte. Marcus fragt dann, warum seine Mutter mit ihm reden will, und nicht einfach sagt, was er tun soll. Sie will ihm selbstständiges Denken beibringen (Marcus erkennt darin einen Plan im „Muttersein“). Er will Will weiterhin besuchen. Seine Mutter meint, dass er diese Diskussion schon verloren hat und erklärt, dass selbstständig denken nicht ausreicht, man muss seine Gedanken dann auch mit Argumenten durchsetzen. Er sagt dann, dass er auch einen Vater braucht, und Fiona weinte. Die Idee, dass das Argumentieren zu Marcus zukünftiger Freiheit beitragt, geht nicht auf, weil auch die Macht eine entscheidende Rolle spielt (diese Diskussion hast du schon verloren. Es gibt Macht über die Spielregeln bei der Argumentation und über die Gefühle des anderen. Die erste Macht liegt bei Fiona, die zweite bei beiden. (zuerst hat Fiona die emotionale Macht mit Enttäuschung, eine Drohung von Liebesentzug, dann hat Marcus die emotionale Macht mit dem Argument, dass er einen Vater braucht.) Das Beispiel zeigt, dass Kants Formulierung des Problems von Freiheit und Zwang durchaus aktuell ist, aber auch dass es Grenzen hat. Kapitel 2 Der Erziehungsbegriff der Gegenwart: Brezinka und Kron 2.1 Erziehung als Beeinflussung psychischer Dispositionen (Brezinka) Wolfgang Brezinka ist ein wichtiger Verfechter einer empirischen, wertneutralen Erziehungswissenschaft. Für ihn ist eine möglichst exakte Definition der verschiedenen Begriffe nötig für empirische Erforschung pädagogischer Fragestellungen. Die erste Bestimmung des Erziehungsbegriffes Brezinkas bezeichnet (zielgerichtetes) soziales Handeln. Die Intentionen sind dabei auf Menschen gerichtet. Der Erzieher wird Erzieher genannt, die zu erziehende Person Educand. Die zweite Bestimmung Brezinkas besteht darin, dass soziales Handeln zwischen 2 oder mehr Personen passiert, die nicht gleichrangig gegenüberstehen. Der Educand wäre dabei das Erziehungsobjekt, der Erzieher das Erziehungssubjekt. Die dritte Bestimmung Brezinkas betrifft das Kausalitätsprinzip: Durch Ursachen versucht der Erzieher im Educand Wirkungen hervorzurufen. Die vierte Bestimmung zeigt, dass die Wirkung im inneren des Educand liegt, seiner psychischen 4

Disposition (Verbindung zu Kants „Moralisierung“). Die fünfte Bestimmung ist, dass die Wirkung, die der Erzieher erreichen will, von ihm als wertvoll betrachtet wird. Der Erzieher orientiert sich dabei an bestimmten Normen oder Idealen (Bildern von Menschen, wie man sie haben will). Brezinka bezeichnet solches Erziehen als wertorientiert. Damit meint Brezinka, dass sich Erziehung immer an Werten oder Normen orientiert, und nicht, welche Wertordnung dem Handeln zugrunde liegt. Der Erziehungsbegriff ist also bei Brezinka deskriptiv (beschreibend) und nicht normativ (wertend). Bei Brezinkas Ausführungen gibt es aber einige Probleme. Das erste ist, dass man psychische Dispositionen, die der Erzieher zu beeinflussen versucht, nicht wahrnehmen, sondern nur indirekt erschließen kann. Dies gilt auch für pädagogische Ziele. Wenn man den Erzieher fragt, was er bewirken wollte, kann es sein, dass er im Nachhinein rationalisiert, und dass Handeln in Wirklichkeit anders motiviert war. Beispiel: Fiona sagt, dass sie sich etwas denkt beim Erziehen. Als sie Marcus verbietet Will zu besuchen, will sie Marcus vor Wills Einfluss schützen. Es kann aber auch sein, dass sie eifersüchtig ist, weil Will Marcus etwas geben kann, das sie ihm nicht geben kann. Im zweiten Fall wäre es laut Brezinka kein erzieherischer Akt. Man kann also nie mit Sicherheit sagen, dass etwas ein erzieherisches Handeln ist. Ein zweites Problem ist, dass die Ursache zwar gesetzt wird, aber keine Wirkung erfolgten muss. Man hat bei Brezinka also oft Ursachen ohne Wirkungen. Es gibt auch soziale Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, die keine Erziehungsabsicht verfolgen, aber trotzdem Wirkungen hervorrufen, z.B. Die Beziehung von Will und Marcus am Anfang. In der Erziehungswissenschaft gibt es daher einen intentionalen -und einen funktionalen Erziehungsbegriff. Intentional ist Brezinkas Erziehungsbegriff, funktional wäre, wenn jedes Handeln, dass eine Wirkung hervorruft, als Erziehung bezeichnet wird (funktional: Nähe zum Begriff der Sozialisation). Das größte Problem ist aber die Subjekt-Objekt Relation, die die Intentionen und Motive des Educands vernachlässigt (Handwerker). Hier setzt die Kritik Krons an. 2.2 Erziehung als symbolische Interaktion Der Text von Kron wurde ausgewählt, da er die entsprechenden Überlegungen besonders prägnant wiedergibt. Deswegen wurde kein Text von Mollenhauer verwendet. In Krons Buch „Grundwissen Pädagogik“ ist der Ausgangspunkt die Unterscheidung zwischen Sozialisation und Entkulturation auf der einen Seite sowie Erziehung auf der anderen. Das ist die Differenz zwischen Sozialwerdung und Sozialmachung. Wie Brezinka sieht Kron in Erziehung im Sinne von Sozialmachung einen intentionalen Prozess der Einwirkung. Im Gegensatz dazu Sozialwerdung, die auch der Fall ist, wenn keine Absicht hinter dem Handeln steht. Im weiteren Verlauf der Argumentation verweist Kron auf problematische Aspekte von Brezinkas Erziehungsbegriff, nämlich die Einseitigkeit des Erziehungsverhältnisses und die lineare Ursache-Wirkungsrelation (Determinierungszusammenhang). Die Quintessenz der Kritik fragt wo der freie Wille, die Bedürfnisse, die Interessen… des Educands bleiben. Die Modellvorstellung von Erziehung als Dispositionsveränderung hat keinen Platz dafür. Kants Moralisierung hätte hier keinen Platz, da es keine Mündigkeit gibt. Krons Erziehungsbegriff, den er dem von Brezinka gegenüberstellt, ist argumentativ in vier Stufen aufeinander aufbauend. Der erste Schritt ist die These, dass soziales Handeln Rollenhandeln ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass menschliches Handeln im sozialen Kontext weder zufällig ist, noch vom Belieben eines einzigen handelnden abhängt. Doch im Gegensatz zu Schauspiel, geht es hier um Erwartungen und nicht um Rollen. Diese Erwartungen sind durch Tradition, Konvention und Regeln bestimmt. Weil das Handeln (die Interaktionen) stets durch Sprache oder andere Symbolsysteme vermittelt wird, bezieht Kron sich hier auf symbolischen Interaktionismus. Im zweiten Schritt überträgt Kron die rollentheoretischen Überlegungen auf das Feld der Erziehung. Erziehung ist also der Prozess, in dem Heranwachsende lernen, am gesellschaftlichen Rollenspiel teilzunehmen. Die Differenz zwischen Erzieher und Educad kann dabei nicht aufgehoben werden. Erwachsen (und erziehungsberechtigt) sind die, die über Grundqualifikationen des Rollenhandelns verfügen. Eine Rollentheorie beinhaltet, dass der Erziehende den Educand beeinflussen darf (Lob und Tadel), dies führt zu einer hierachischen Beziehungskultur. Im dritten Schritt geht es um die Intentionen des Educans. Damit ist die erzieherische Intention an den Intentionen des Educans orientiert. Der vierte Schritt der Argumentation zeigt ein aufeinander bezogenes soziales Handeln (symbolische Interaktion). Es geht 5

um Interpretation und Reflexion der Intentionen, die mit der Begründung und Aushandlung von Regeln und Rollenerwartungen einhergeht. Da sich erzieherisches Handeln im Medium der Sprache oder non-verbaler Kommunikation vollzieht, werden die Handlungen der Beteiligten wechselseitig interpretiert. In diesem Prozess wird die anthropologische Differenz und die Monopolstellung des Erwachsenen außer Kraft gesetzt, zugunsten einer gleichberechtigten Beziehung. Ein Beispiel aus about a boy: In einem Streitgespräch auf dem Heimweg verbietet Fiona Marcus, Will wieder zu besuchen. Sie ist der Meinung, dass sie Will nicht brauchen, Marcus sieht das ganz anders. Er denkt sich, dass Fiona und er nicht zurecht kamen, wie man es auch betrachtete. Hier gibt es 2 gegensätzliche Intentionen, es kommt zu einem Konflikt. Kron hat Recht, dass die Erfahrung, zeigt, dass man auch mit Intentionen des Educands rechnen muss. Fiona muss sich auf Marcus Intention beziehen (Schritt 3). Marcus Frage „Warum nicht“ zwingt die beiden ihre Intentionen wechselseitig zu interpretieren (Schritt 4) Marcus Intention wurde von Fiona aber nicht verstanden. An dem Beispiel zeigt sich, dass Krons Argumentation für die Interpretation von Konfliktsituationen wichtig ist. Bei Brezinka hätte man nur gesehen, dass die Beeinflussung der psychischen Disposition misslingt. Eine Grenze von Krons Erziehungsbegriff ist, dass man nicht weiß, ob er für alle Situationen gilt (ein Verbot wäre dann keine Erziehung).

2.3 Diskussion der beiden Ansätze: Deskriptive und normative Aspekte des Erziehungsbegriffs Brezinkas Argumentation ist deskriptiv. Bei Kron kommen aber auch normative Gesichtspunkte ins Spiel. Bei Kron geht es von Anfang an um persönlichkeitsbildende, reflexive, vom handelnden Individuum selbst bestimmte Lernvorgänge. Es geht dabei um einen Doppelprozess: Den Educand sozial handlungsfähig zu machen, aber auch, dass er ein unverwechselbares Ich herausbildet. Nicht jede intentionale Handlung des Erziehenden ist somit Erziehung (nur Handlungen, die Selbstbestimmung als Ziel haben, oder ein unverwechselbares Ich hervorbringen sollen). Das ist normativ (wertend). Erziehung ist mehr als die Durchsetzung von Werten und Normen, da das Ziel der Erziehung nur erreichbar ist, wenn diese Werte und Normen reflektiert und begründet werden. Bei Brezinka sollen Grundbegriffe wertneutral beschrieben werden. Bei Kron ist eine nähere Bestimmung normativ. Die Vermischung normativer und deskriptiver Elemente ist wissenschaftlich nicht so transparent. Gegen Brezinkas Argumentation spricht, dass die Wertneutralität nicht wirklich durchgesetzt werden kann. (es ist schon eine Wertung, zu Erziehende als Erziehungsobjekt zu betrachten). Bei Kron ist es so, dass Handlungen, die seinem normativen Anspruch nicht genügen, auch deskriptiv nicht als Erziehung gelten. Kapitel 3 Der Bildungsbegriff des Neuhumanismus: Humboldt 3.1 Das Verhältnis von Erziehung und Bildung Bei Bildung geht es nicht um die Intentionen des Erziehers, sondern um das, was der Zu-Erziehende tut (sich bilden). Statt systematischer Einwirkung geht es um selbst lernen. Historisch ist der Bildungsbegriff (um 1800) eine Reaktion auf den Erziehungsbegriff der Aufklärung. Dabei geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Disziplinierung, Kultivierung und Zivilisierung einerseits und Moralisierung andererseits. Der Schwerpunkt bei Kant ist dabei Moralisierung. Andere Pädagogen dieser Zeit betonen stärker Individuum und Gesellschaft, also Leben in der Welt, wie sie ist. Die Philanthropen (z.B. Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe) vertraten so ein Prinzip (Erziehung zur Brauchbarkeit). Hier ging es auch um Anforderungen für das Arbeiterleben. 3.2 Der Bildungsbegriff Wilhelm von Humboldts Bildung geht etymologisch auf Bild zurück (Meister Eckart; Mensch als Ebenbild Gottes). Danach wird der Begriff für das Erscheinungsbild eines Menschen verwendet. Durch Humboldts Schriften (auch 6

durch Goethes Wilhelm Meister) erfährt der Begriff eine Änderung. Humboldt bekleidete damals eine bildungspolitisch wichtige Stelle in Preußen. In diese Zeit fallen die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Gewerbefreiheit und auch Bildungsreformen. 3.2.1 „Die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ Der Ausgangspunkt für Humboldt ist der Zweck (bei Kant Bestimmung) des Menschen. Es geht dabei nicht um äußere Einwirkungen, sondern um die Entfaltung innerer Kräfte. Er geht also vom Menschen aus (Neuhumanismus). Für Humboldt ist der Zweck unseres Daseins, dem Begriff der Menschheit unseres Daseins einen möglichst großen Inhalt zu verschaffen. Die zweite Bestimmung ist Bildung als höchste Entfaltung der menschlichen Kräfte. Eine Eingrenzung dieser Kräfte kommt durch deren Konkurrenz zustande. Darauf antwortet die dritte Bestimmung, die proportionierlichste Entfaltung der Kräfte (alle Kräfte sollen gleichmäßig ausgebildet werden). Fraglich ist, ob die größtmögliche und proportionierlichste Bildung der Kräfte möglich ist. Die Kräfte sollen sich zu einem harmonischen Ganzen entwickeln. Der Gedanke wird bei Humboldt auf Kollektive (z.B. ein Land) aber auch auf einzelne Menschen bezogen. Das Individuum soll also ein besonders würdiger Repräsentant der Menschheit sein. Es soll auch die Verschiedenheit der Menschen beachtet werden. Die Realisierung beider Ideen kann nur in der Gesellschaft verwirklicht werden, nicht im Individuum. Bildung ist also kein rein individueller Vorgang, sondern ein gesellschaftlicher. 3.2.2 Bildung als Wechselwirkung von Ich und Welt Humboldt denkt bei Bildung an eine Entfaltung der Kräfte von innen, keine Einwirkung von außen (auch kein solipsistischer Bezug des Individuums auf sich selbst). Der Mensch braucht zur Entfaltung der Kräfte eine Welt um sich. Das Verhältnis eines Subjektes zu allem, was außerhalb liegt. Diese Wechselwirkung soll allgemein, rege und frei sein. Frei sein meint hier, dass auch die Bürger einen Zugang zu Welt bekommen (keine Leibeigenschaft). Auch Humboldts aufbauende Schulformen, die nur eine Abstufung nach Alter vornehmen (Elementarschule, Bürgerschule und Universität), aber keine soziale Abstufung, unterstreicht das. Humboldt ging allerdings davon aus, dass Kinder die Schule nur so lange besuchen, wie die Eltern sich das leisten können. Sie soll rege sein bedeutet, dass Ich und Welt aktive Rollen übernehmen. Allgemein bedeutet, dass möglichst alle Kräfte entfaltet werden. 3.2.3 Sprache(n) als Gegenstand und Medium von Bildung Für Humboldt ist Sprache eine Vermittlerin zwischen Ich und Welt, aber auch zwischen Ich und Du. Sprache ist das „bildende Organ der Gendanken“. Sprache als Weltansicht: Laut Humboldt stellt jede Sprache eine eigene Weltansicht dar (Sprachenpluralismus). Das Erlernen einer Fremdsprache ist für Humboldt keine methodisch-didaktische Frage, sondern ein Grundmodus von Bildung zur Bereicherung der Weltansicht. Dies meint nicht Fremdsprachenunterricht, sondern Dialoge. 3.3 Zur Aktualität von Humboldts Bildungstheorie Die Entwicklung, die Marcus durchläuft, könnte man als Bildungsprozess betrachten, wenn man die Sprache der Jugendkultur als eigene Sprache versteht (auch Kleidung und Musikgeschmack). Dass es sich um eine „Weltansicht handelt, sieht man an der Beziehung von Marcus und Ellie. Sie versucht ihm zu erklären, Kurt Cobain sei ein Fußballspieler. Damit trägt sie zur kulturellen Erweiterung seines Horizontes bei, weil er später (mithilfe Wills) herausfindet, wer Kurt Cobain wirklich war. Später kommt es zu einem Gespräch zwischen Marcus und Ellie, bei dem auch der Selbstmordversuch von Marcus Mutter ein Thema wird. Dies lässt sich mit Humboldts Bildungstheorie (einer neuen Sprache) vergleichen. Es ist für Marcus aufregend, aber er fühlt, dass Ellie ihm etwas zu sagen hat, das er aus dem Gespräch mit Erwachsenen und Gleichaltrigen nicht kannte. Auch später, als Ellie Marcus zeigt, wie ihre Mutter von einem Fremden geküsst wird, verändert sich seine Weltsicht. Die Vielfalt der 7

Sprachen scheint keine Regeln mehr zu kennen. Dies zeigt, dass Humboldts Theorie bei unharmonischem Zusammentreffen der Sprachen ihre Grenzen hat. Kapitel 4 Der Bildungsbegriff der Gegenwart: Horkheimer und Klafki Beide sind Vertreter der kritischen Erziehungswissenschaft, es geht also um eine Position mit verschiedenen Ausprägungen. Die Texte stammen von 1952 (Horkheimer) und 1994 (Klafki). Es geht hier darum, inwieweit dieser Begriff heute notwendig und sinnvoll erscheint. Diese Kritik kam in den 1960ern auf. In dieser Zeit wurde die geisteswissenschaftliche Pädagogik stark in Frage gestellt und es kam die Forderung nach einer empirischen Sozialwissenschaft. Dem Bildungsbegriff wurde vorgeworfen, er komme aus dem 18. Jhd. und ist nicht mehr zeitgemäß. Das zweite Argument war, dass Bildung zu sozialer Distinktion geworden ist. Der unpolitisch formulierte Bildungsansatz des Neuhumanismus verschleiert das und dient somit (indirekt) der Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse (dafür ist kein Platz in Demokratie). Als dritte Kritik ist zu betrachten, dass der Begriff philosophisch geprägt ist. Damit ist er viel zu vage, um für empirische Forschung hilfreich zu sein. Der Begriff ist nicht operationalisierbar, d. h. nicht in konkrete Beschreibungen zu übersetzen. Der radikalste Ansatz war, auf den Bildungsbegriff zu verzichten, bzw. ihn zu ersetzen durch Sozialisation (Auseinandersetzung von Subjekten mit Umwelt) oder Qualifikation (Methoden, Inhalte, Ziele). Horkheimer und Klafki versuchen, einen Bildungsbegriff zu finden, der zu einer modernen, demokratischen Gesellschaft passt. 4.1 der Bildungsbegriff der kritischen Theorie (Horkheimer) Horkheimer ist Sprachphilosoph und mit Adorno der Begründer der „kritischen Theorie“ oder „Frankfurter Schule“. Der Bildungsgedanke, wie von Horkheimer und Adorno entwickelt, spielt in der kritischen Erziehungswissenschaft eine wichtige Rolle. Der Text „Begriff der Bildung“ stammt von einer Rede, die Horkheimer hielt, als er Direktor der Universität Frankfurt war. Der Ausgangspunkt sind die Erwartungen der Studienanfänger an ihr Studium. Dabei geht er davon aus, dass viele der Studierenden nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen studieren, sondern auch der Entfaltung ihrer Anlagen wegen. Horkheimer bezeichnet Bildung als „Umformung der primitiven Natur“ Diese Umformung gilt innen und außen, und eine behutsame, bewahrende Umformung, die einen Teil der Natur lässt. Beide Aspekte verweisen auf den neuhumanistischen Bildungsbegriff (äußere Natur = Wechselwirkung Ich und Welt; innere Natur = Bewahrung, Entfaltung und Veredelung vorhandener, natürlicher Kräfte). Der gerade skizzierte Begriff ist im 20. Jhd. in eine Krise geraten. Diese Krise ist ein Wandel, der sich (19. Und 20. Jhd.) im Verhältnis des Menschen/ der Gesellschaft zu Natur vollzogen hat. Deswegen gibt es kein draußen und drinnen. Z.B. Verkäuferinnen werden zu einem falschen Lächeln ausgebildet. Wichtig bei dieser Krise ist, dass die Natur sich nicht komplett zerstören lässt, sondern in destruktiven Impulsen zurückkommt. (Bildung als bewahrend?) Ein Einwand wäre die Unterscheidung zwischen echter und unechter Bildung, anders: zwischen Kultur und Zivilisation. Für den idealistischen Bildungsbegriff (der Mensch versucht sich als Kunstwerk zu gestalten) ist das keine Krise, weil gesellschaftliche Veränderungen nicht an Bildung herankommen. Hier verzichtet Bildung auf Welt und Mitgestaltung der Welt. Ein solcher Bildungsbegriff ist für Horkheimer nicht mehr zeitgemäß. Adorno zufolge hat dieser Bildungsbegriff ein richtiges Moment, nämlich Selbstbestimmung. Es braucht aber auch einen Gegenpol, für Horkheimer der realistische Bildungsbegriff Goehtes und Hegels. Es braucht eine Auseinandersetzung mit einem anderen, einer Sache (Erfahrung). Man muss sich fremdem (erfahrbarem) hingeben und doch aktiv tun. Auf das Fach bezogen geht es bei Horkheimer um den Zusammenhang mit der Gesellschaft. Den historischen Hintergrund bildet die jüngere deutsche Vergangenheit (Horkheimer und Adorno mussten vor dem NS-Regime fliehen). Bildung war also kein Schutz vor Barbarei (idealistischer Bildungsbegriff). Bildung ist nicht (nur) individuell, sondern immer auch in einer Bildungsgemeinschaft Studierender und Lehrender. Dazu gehört die Verbesserung des Ganzen. 8

4.2 Bildung als Allgemeinbildung (Klafki) Klafki ist neben Mollenhauer einer der wichtigsten Vertreter der kritischen Erziehungswissenschaft. Er versucht in Anknüpfung an die kritische Theorie eine kritische Reflexion pädagogischen Denkens und Handelns. Klafki hält den Bildungsbegriff für überholt, aber systematisch (pädagogische Maßnahmen begründen und reflektieren) und historisch (weil ursprünglich gesellschaftskritisch) für notwendig. Klafki nennt 2 Gründe für eine kritischen Anknüpfung an die klassischen Bildungstheorien (Neuhumanismus): Der Zusammenhang von Bildung und Gesellschaft ist unzureichend reflektiert worden (etwa Horkheimers Kritik am idealistischen Bildungsbegriffs) und zweitens dass es bei den Klassikern nur um eine Männerbildung geht. Klafki bestimmt Bildung als „Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten (Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität). Allgemeinbildung wird bei Klafki in drei Teile geteilt: „Bildung für alle, Bildung im Medium des allgemeinen, Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“. Der erste Teil bedeutet Abbau selektiver Faktoren im Bildungswesen. Bildungstheorie schließt hier organisatorische Rahmenbedingungen mit ein. Der zweite Teil ist das Kanonproblem. Angesichts der Pluralität von Wissensformen, Wertorientierungen und kulturellen Deutungsmustern, ist es schwer einen verbindlichen Wissenskanon, der für alle gilt, zu erstellen. Der dritte Teil bietet eine Lösung für das Kanonproblem: Man kann sich auf Probleme einigen, für die nach Lösungen gesucht werden muss (epochaltypische Schlüsselprobleme). Das bedeutet Bildung in dem, was alle angeht. In diesem Katalog findet man: Friedens- und Umweltfrage, gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, Gefahren und Möglichkeiten der Technik und dem Schlüsselproblem, der Erfahrung von Liebe und Sexualität. Es handelt sich um einen „in die Zukunft hinein“ wandelbaren Kanon. Bei den Antworten auf diese Frage geht es um so viel Konsens wie möglich, so viel Dissens wie nötig. Die letzte Dimension wäre bei Humboldt die Aufzählung der zu entwickelnden Kräfte. Klafki fordert für Schulen ein großes Angebot an Fächern oder Aktivitäten, und frei wählbare Interessensschwerpunkte. Ein Einwand wäre, dass es zuerst um das erlernen elementarer Grundfähigkeiten (lesen, schreiben). Klafki begegnet dem Einwand, indem er auf „schlichte, handfeste Fähigkeiten, Fertigkeiten“ eingeht, und dabei die Notwendigkeit von Tugenden (Selbstdisziplin, Konzentration…). Für Klafki sind lesen, schreiben… instrumentelle Fähigkeiten, Fertigkeiten, die nichts über ihre begründbare, verantwortliche Verwendung aussagen. 4.3 Diskussion der Bildungstheorien Horkheimers und Klafkis Horkheimer und Klafki bemühen sich um eine zeitgemäße Neubestimmung des Bildungsbegriffs, indem sie die gesellschaftliche Dimension in den Mittelpunkt stellen. Bildung wird hier in einem normativen Sinn verstanden. Bei Horkheimer richtet sich dies an die Bildungssubjekte selber, bei Klafki an pädagogisch oder bildungspolitisch Handelnde. Die normative Ausrichtung des Bildungsbegriffes hat 2 Aspekte: Bildung soll sein, als Entwicklung bestimmter Kräfte bei Horkheimer: Das Engagement für die Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse und der Fähigkeit und Bereitschaft zu Selbstbestimmung und Mitbestimmung. Zweitens soll Bildung das Ziel pädagogischen Handelns sein. Beispiel about a boy: Es scheint, dass Bildung hier keine wesentliche Rolle spielt. Für Marcus ist Schule eine Institution sozialer Kontrolle. Laut Klafki soll der Bildungsbegriff aber als Orientierungskategorie zur Begründung, Beurteilung und Kritik pädagogischer Bemühungen sein. Wird Marcus darin unterstützt, sich einer Sache so hinzugeben, dass er selbst gewinnt und an der Verbesserung des gesellschaftlichen Ganzen mitwirkt? Wird er darin gefördert, sich mit gesellschaftlichen Schlüsselproblemen auseinanderzusetzen und dabei Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität zu entwickeln? Da fällt Fionas Haltung auf, die Fernsehen für kommerziell (und deswegen negativ) hält, oder meint, Marcus solle einen gewissen Musiker nicht hören, wegen dessen Einstellung zu Frauen. Auf der anderen Seite Wills Sicht von Fiona, mit ihren politischen Ansichten aus den 80ern und ihrem Glauben an die Ökologie. Angesichts der alltäglichen Probleme Marcus, scheinen Fionas Schlüsselprobleme weltfremd. Marcus beschäftigt sich mit alltäglichen, gleichzeitig existentiellen Fragen (Selbstmordgefährdung Fionas, Schikanen der Mitschüler, wie nähere ich mich einem Mädchen?). Durch die Beschäftigung mit diesen Problemen 9

bildet sich Marcus (Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Fremdbestimmung). Marcus entwickelt Selbstständigkeit vor allem dadurch, dass er ein soziales Netz um sich aufbaut. In Anknüpfung an Humboldt und Klafki könnte man sagen, dass Bildung notwendig wird, wenn Menschen in der bildenden Wechselwirkung zwischen Welt und Ich mit Problemen konfrontiert werden. Klafkis Frage nach allgemeinen Bildungsinhalten läuft Gefahr, die konkreten individuellen Bildungsanlässe aus den Augen zu verlieren, die pädagogisch aber genauso bedeutsam sein können. Kapitel 5 Die Anfänge der Sozialisationstheorie: um 1900 Durkheim Sozialisation umfasst mehr als intentionale Handlungen des Erziehers, kommt teilweise sogar ohne solche aus. Es stellt sich die Frage, wie der Sozialisationsbegriff von den anderen Begriffen abgegrenzt wird. Entscheidend ist dabei der Einfluss äußerer, gesellschaftlicher Faktoren für individuelle Entwicklungs- Bildungs- und Lernprozesse. Es wird aus der Perspektive gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet. Durkheim gilt als einer der Begründer der modernen Soziologie, er sprach in Anlehnung an die Naturwissenschaften von sozialen Tatsachen (empirische Erforschung). 5.1 Die gesellschaftliche Veränderlichkeit von Erziehungszielen Durkheim kritisiert die damalige Auffassung von Erziehung, die einen individuellen Prozess mit Ziel der bestmöglichen Entfaltung der Anlagen meint. Wäre Erziehung so, so müsse sie bei allen Menschen etwa gleich verlaufen (unabhängig von gesellschaftlichen oder historischen Bedingungen). Durkheim sieht die Begründung Kants als deskriptiv und nicht normativ. Er weist auf Unterschiede in der Erziehung von Gesellschaft zu Gesellschaft und von sozialem Stand zu sozialem Stand hin. Die Erziehung in einer Gesellschaft, in einer historischen Epoche ist verbunden mit dem sozialen System (politische, religiöse oder moralische Organisation des Gemeinwesens). Für Kant ist sein Erziehungsbegriff eine Idee (normativ). Durkheims Kritik ist also ein Kategorienfehler (Verwechslung/ Vermischung verschiedener Aussagemodi). Die Kritik lenkt den Blick in Richtung Erziehungswirklichkeit. Statt idealer Erziehung die reale zu betrachten. Durkheim vertrat die Auffassung, dass in seiner Zeit sich die lokalen und ethnischen Bindungen gelöst hatten und die Erziehungsziele allgemeiner und abstrakter geworden sind. Dies ist eine Folge der Ausdehnung der europäischen Völker, sodass viele zusammenleben. Desto verschiedener die Menschen, desto allgemeiner müsste das Dach sein, unter dem sie alle vereint werden. Die Erziehung soll einen Menschen hervorbringen, wie die Gesellschaft ihn braucht. 5.2 Die gesellschaftliche Funktion der Erziehung: Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse. Im zweiten Schritt von Durkheims Argumentation geht es um die gesellschaftliche Funktion von Erziehung. Erziehung ist von der gesellschaftlichen Ordnung abhängig, weil sie bestimmte Aufgaben in der Gesellschaft übernimmt. Durch Erziehung (unter anderem) erneuert sich eine Gesellschaft selbst. Für den Fortbestand der Gesellschaft sind Zusammenhalt und Vielfalt entscheidend. Beides zusammen ist die „methodische Sozialisation der jungen Generation“. Hier geht es um die funktionalen Aspekte in der Gesellschaft, nicht um die intentionalen in der Erziehung. Sozialisation bedeutet hier das Ausbilden des sozialen Wesens im Menschen. Notwendig ist das von der Seite der Gesellschaft her und von der individuellen Seite da der Mensch laut Durkheim nicht von Natur aus über ein soziales Wesen verfügt. Hier erkennt man die Anlage- Umwelt Debatte und die Frage nach der moralischen Natur des Menschen (von Anfang an gut/böse). Auf jeden Fall sind die Anforderungen, die das Zusammenleben der Menschen bestimmen, zu komplex um nur biologisch vererbt zu sein. 5.3 Die gesellschaftliche Veränderbarkeit von Erziehungszielen Im dritten Schritt erweitert Durkheim seine Überlegungen auf Mittel und Methoden. Es scheint dass es hier um Intentionale Entscheidungen erzieherischen Handelns geht, aber es kommt auch zu sozialisationstheoretischen Implikationen. Ziele, die die Erziehung verfolgen soll hat wieder eine 10

normative Dimension. Wenn man ein Kind pädagogisch beeinflussen möchte, muss man Gesetzmäßigkeiten (Triebfedern: Neigungen, Gewohnheiten, Wünsche, Regungen, Bedingungen: die Formen, die sie beim Kind annehmen, Vielfalt der Intelligenzen) kennen. Mittel und Methode sind für die Soziologie aus 2 Gründen wichtig: Der Soziologie kommt erstens eine entscheidende Funktion zu, wenn es sich um soziale Methoden handelt. Pädagogische Einrichtungen sind soziale Institutionen. Die Schule zum Beispiel stellt eine verkleinerte Version des Staates dar (Regeln/ Gesetze): Für Durkheim ist Soziologie auch die Wissenschaft der sozialen Institutionen. Die zweite These ist, dass Erziehungsmittel auch von Gesellschaft zu Gesellschaft variieren. Ein Wandel in Erziehungsmethoden ist immer die Folge eines Wandels in der Gesellschaft. Im Gegensatz dazu stehen Hoffnungen, die versuchen von der Pädagogik aus einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. 5.4 Die Schule als Sozialinstanz: Analyse eines Beispiels In about a boy ist die Schule weniger Bildungsinstitution als ein Ort sozialer Erfahrungen. Marcus hat eine Abneigung gegen die Schule aufgrund der Erfahrungen, die er dort aufgrund seines äußeren macht. Die Frage ist welche gesellschaftlichen Faktoren das Handeln von Marcus Mitschülern bestimmen. Marcus Erfahrung ist teilweise durch den Erziehungsstil seiner Mutter zu erklären. Andererseits auch durch die örtlichen Gegebenheiten (London ist anders als Cambridge). Die These dass Erziehung von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden ist, stimmt also. Auch das Verhalten von Ellies Mutter auf der Silvesterparty: Marcus glaubte nicht, dass so etwas in Cambridge vorgekommen wäre. Es gibt noch eine andere, weiterführende Überlegung. Die Frage dabei lautet, welche gesellschaftliche Aufgabe die Schule hat, hier ist es für ein gewisses Maß an Konformität zu sorgen (methodische Sozialisierung). Etwas ähnliches wird auch durch Lehrer bewirkt, z.B. als Ms. Maguire eine Diskussion über verrückt sein mit der Klasse führt, und Marcus zum Thema wird. Das ist kein intentionales Erziehen. Solche Situationen bezeichnet die Sozialisationsforschung als geheimen Lehrplan. Die Formulierungen Durkheims deuten darauf hin, dass auch normative Elemente vorkommen. In der Philosophie nennt man das einen naturalistischen Fehlschluss: Den Schluss von sein auf sollen. Das was Durkheim hier als Erziehung bezeichnet, würde man heute als Sozialisation bezeichnen. Kapitel 6 Der Sozialisationsbegriff der Gegenwart: Bourdieu Andere wichtige Ansätze sind von Parsons, Mead und Habermas. Bourdieu beschreibt Sozialisation als 1. Erwerb verschiedener Arten von Kapital, 2. als Positionierung im sozialen Raum und 3. als Prozess der Habitualisierung. 6.1 Der Begriff des Kapitals: Sozialisation als Kapitalserwerb Im Mittelpunkt der Gesellschaftstheorie Bourdieus steht soziale Ungleichheit (ungleiche Verteilung von Macht: Kapital). Kapital wird hier auf alle Formen des sozialen Austausches ausgedehnt. Der Kapitalsbegriff lässt sich durch 2 Aspekte näher kennzeichnen. Unter Entstehung versteht Bourdieu im Anschluss an Marx „akkumulierte Arbeit“ und damit eine „den objektiven und subjektiven Strukturen“ den Dingen und Menschen innewohnende „Kraft“ (Bourdieu 1992, S. 49). Der zweite Aspekt ist die Verwendung, die Macht oder Ressourcen zur Verwirklichung eigener Ziele. Das Kapital ist die Ursache dafür, dass das gesellschaftliche Alltagsleben gewissen Gesetzten folgt. Bourdieu unterscheidet drei Formen von Kapital: das ökonomische (wie bei Marx), das soziale und das kulturelle. Das kulturelle Kapital bezeichnet akkumulierte Arbeit in Hinsicht auf eine Ausbildung (Kenntnisse und Fähigkeiten). Kann z.B. am Arbeitsmarkt in ökonomisches Kapital umgewandelt werden. In der Wirtschaft wird das als Humankapital bezeichnet, die Investition in Menschen. Das bezieht sich z.B. auch auf die Investition von Zeit (Eltern). Das kulturelle Kapital kann erklären, warum der Schulerfolg mit der sozialen Herkunft korreliert. Durch familiäre Sozialisation wird kulturelles Kapital übertragen. Das kulturelle Kapital kann in inkorporierter, objektivierter und institutionalisierter Form vorliegen. Die erste Form ist verinnerlicht und an den Körper eines Menschen gebunden. Ein Beispiel ist der Dialekt eines Menschen. Der ist durch regionale und soziale 11

Faktoren bestimmt und entscheidet (in Frankreich) mit über den sozialen Status eines Menschen. Der Wert von inkorporiertem sozialem Kapital hängt von seiner Seltenheit ab (z.B. Lesen im Mittelalter). Die Zeit muss persönlich investiert werden und somit hängt es vom ökonomischen Kapital eines Menschen ab, inwieweit er inkorporiertes kulturelles Kapital erwerben kann. Die Übertragung von kulturellem Kapital wird von Bourdieu als soziale Vererbung betrachtet. Dieser Prozess ist weitgehend unbewusst. Es gibt aber auch Parallelen zur juristischen Erbschaft. Für die Reproduktion der sozial ungleichen Gesellschaftsstrukturen ist die soziale Vererbung des kulturellen Kapitals sehr wichtig, aber auch schwer wahrzunehmen. Die zweite Erscheinungsweise von kulturellem Kapital ist das objektivierte Kapital (z.B. Musikinstrument). Der Erwerb setzt nur ökonomisches Kapital voraus, die Verwendung jedoch inkorporiertes Kapital. Die dritte Form ist institutionalisiertes Kulturkapital (Zeugnisse). Die institutionalisierte Anerkennung ist dauerhaft und das Wissen nicht aktuell. Desto mehr dieser Titel es gibt, desto weniger ist dieser Titel wert (Arbeitsmarkt, Umwandlung von kulturellem in ökonomisches Kapital). Die dritte Kapitalsorte ist das soziale Kapital: es geht um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen. Dieses Kapital erklärt, warum Menschen mit gleichem Abschluss verschieden verdienen. Die Entstehung dieses Kapitals wird als „Beziehungsarbeit“ bezeichnet. Um weiterhin zu einer Gruppe zu gehören, bedarf es ständiger Arbeit. Das Risiko hier ist Undankbarkeit. In about a boy ein Beispiel, wie Will seine Tage verbringt: Die Abende mit Typen, die im Plattenladen arbeiten, Sqash oder Fußball spielten, Typen die bei Problemen (gebrochenes Herz) nicht helfen konnten, mit denen man aber ein Bier trinken kann. 6.2 Sozialisation als Positionierung im sozialen Raum Das Achsenkreuz: x Achse: links: mehr kulturelles als ökonomisches Kapital; rechts: mehr ökonomisches als kulturelles Kapital; y Achse: oben: hohes Kapitalvolumen; unten niedriges Kapitalvolumen In dieses Achsenkreuz kann man jede Person einordnen. (Will wäre oberhalb der x Achse und rechts der y Achse; Fiona wäre näher an der x Achse und links der y Achse). Die Position zeigt sehr genau, welche Lebensgewohnheiten, Hobbies, Kleidungsstil, Musikstil, Kunststil u.a. eine Person hat. Wenn man „oben“ ist, will man sich von anderen abheben, wenn man „unten“ ist, will man sein wie die „oben“. Der Lebensstil ist also eine Folge der Positionierung im sozialen Raum. 6.3 Bourdieus Begriff des Habitus: Sozialisation als Habitualisierung Sozialisation ist für Bourdieu vor allem als Habitualisierung zu verstehen. Habitus ist hier ein Vermittlungsglied zwischen den objektiven gesellschaftlichen Bedingungen und dem individuellen Handeln. Der Habitus hat eine strukturierte und strukturierende Struktur, die Denken und Handeln bestimmt. Der Habitus ist unbewusst, regelhaft und kollektiv. Der Habitus ist nicht determinierend sondern limitierend zu verstehen. Der Habitus legt nicht das Verhalten einer Person fest, sondern nur die Grenzen, die nicht überschritten werden. Der Habitus geht nicht auf Belehrung zurück, sondern auf verinnerlichte Erfahrungen. Diese werden in der Kindheit und Jugend erworben. Dies könnte man als (Primär)Sozialisation bezeichnen. Habitusformen sind Klassen-, Geschlechts-, Generations-, oder Berufsspezifisch. In about a boy: Wie cool war Will Freeman (Psychotest in einem Männermagazin). Dieser Test kann laut Bourdieu etwas über Wills Positionierung im sozialen Raum aussagen. Mit seinem Habitus grenzt er sich z.B. von dem Habitus Fionas (alternativ, früher Hippie, vegetarische Ernährung) ab. 6.4 Die Bedeutung von Bourdieus Gesellschafts- und Sozialisationstheorie für die Erziehungswissenschaft. Diese Theorie erlaubt viel besser als die vorigen, die Bedeutung gesellschaftlicher Bedingungen für die heranwachsende Generation herauszuarbeiten. Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen hat mehr mit der ungleichen Verteilung von Kapital zu tun, als mit dem Handeln von PädagogInnen. Kants These, der Mensch sei nichts, als Erziehung aus ihm macht, ist zu ersetzen durch: der Mensch ist nichts, als was Sozialisation aus ihm macht. Die Grenzen von Bourdieus Theorie sind, dass er vor 12

allem an der Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse interessiert ist, aber nicht an einem Wandel (z.B. ob der Habitus veränderbar ist?): Neben dem Sozialisationsbegriff wäre ein Bildungsbegriff nötig, der die Veränderbarkeit der Habitusformen theoretisch und empirisch bestimmen könnte. Bourdieu findet keine Möglichkeit eines verändernden politischen und pädagogischen Engagements. Kapitel 7 Zwischenbilanz: Zum Verhältnis der Grundbegriffe Erziehung, Bildung und Sozialisation 7.1 Resümee aus der Perspektive des Erziehungsbegriffs Das, was zwischen Fiona und Marcus passiert, ist teilweise Erziehung. Mit Brezinka könnte man sagen, dass Fiona versucht, Marcus im Sinne ihrer Wertvorstellungen zu beeinflussen. (Frisur, Musikstil, Fernsehen). Sie diskutiert diese Sachen immer mit Marcus aus. Marcus kann die Diskussion aber nur einmal gewinnen. Fiona bemerkt nicht, wie Marcus in der Schule leidet. Fiona ist zu sehr mit ihren Problemen beschäftigt. Bei der Beziehung zischen Marcus und Will kann man erst im Laufe der Geschichte von Erziehung sprechen. Das beginnt, wo Will von Fionas Selbstmordversuch erfährt und versucht Marcus und Fiona zu helfen. Will beginnt aber, Marcus psychische Dimension zu beeinflussen (Brezinka). Z.B. Als Will vorschlägt, dass Marcus sich an die anderen anpasst. Es zeigt sich hier auch, dass Heranwachsende sich ihre Erzieher bis zu einem gewissen Grad selbst aussuchen (Interaktion). Es zeigt auch, das Erziehung ein Ende hat (Will merkt das, als Marcus sagt, dass er Joni Mitchell hasst). Wenn das Ziel Mündigkeit (Kant) ist, muss Erziehung einmal aufhören; im Gegensatz zu Sozialisation und Bildung. 7.2 Resümee aus der Perspektive des Sozialisationsbegriffs Hier wird das gesamte Umfeld betrachtet. Schule ist nicht nur ein Ort zum Erwerb von kulturellem Kapital, sondern auch ein Ort der Konformität. Ort und Zeit des Geschehens sind genau zu bestimmen (London der 1990er). Die Lebensstile Fionas und Wills sind wichtig. Marcus eignet sich also einen Habitus geprägt von der sozialen Situation seiner Eltern an. Dies gilt für den Erwerb von kulturellem Kapital, aber auch für eine nonkonformistische Grundhaltung. Diese Grundhaltung wird erweitert durch die Beziehungen zu Will und Ellie (Erwerb anderer Ressourcen). Das soziale Kapital von Marcus ist anfangs sehr gering, er baut es aber weiter auf. Man erkennt auch, dass Sozialisation, im Gegensatz zu Erziehung, nicht aufhört. Bourdieus Theorie wird infrage gestellt, weil sie eigentlich keinen Wandel vorsieht. Es könnte aber auch sein dass Marcus an die (limitierenden) Grenzen innerhalb des Habitus stößt. Die gesamte Handlung spielt in der sozialen Mittelschicht, auch das spricht für das letzte Argument. 7.3 Resümee aus der Perspektive des Bildungsbegriffs Bildung kann man auch als Erweiterung der Weltansicht (Homboldts Sprachphilosophie) sehen. Marcus Bildungsprozess beginnt mit dem Selbstmordversuch seiner Mutter. Er fängt auch an, gegen sie aufzubegehren. Durch die Beziehung zu Ellie bekommt er zum ersten mal Zugang zum anderen Geschlecht, und führt ernste Gespräche mit Gleichaltrigen. Auch das Gespräch mit Will über Rachel und Ellie bringt Marcus weiter. Will gesteht sich ein, dass er auch mit dem, was Marcus will, zufrieden wäre. Hier ist ein anderer Bildungsprozess von Marcus auf Will zu betrachten. Bildung läuft das ganze Leben lang. Hier ist der Bildungsbegriff Horkheimers interessant: Zuerst lebt Will einen idealistischen Bildungsbegriff (Veredelung der eigenen Person). Später, durch Marcus wird aus Will ein väterlicher Freund. Am Gespräch mit Rachel kann man das gut erkennen. Auch wenn Will nicht der Vater von Marcus ist, engagiert er sich für den Jungen. Am Ende ist es auch für Fiona ein Bildungsprozess, als sie erkennt, dass sie für Marcus etwas tun muss.

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Teil 2 Methoden Hier ist die Frage mit welchen Methoden die Bildungswissenschaft zu ihren Theorien kommt. Es geht um grundlegende methodische Ansätze. Der Bezugspunkt dazu ist die Wissenschaftstheorie (was macht eine Wissenschaft zu einer Wissenschaft?) und nicht die Methodologie. Hier werden drei Grundpositionen unterschieden, die für die jüngere Geschichte von besonderer Bedeutung sind. Kapitel 8 Der methodische Ansatz der empirischen Erziehungswissenschaft Diese entspricht am ehesten unserem heutigen Bild von Wissenschaft. Es gibt viele (Einzel)Wissenschaften. Z.B. die Unterteilung in Natur- und Geisteswissenschaften. Die Unterteilung erfolgt nach 2 Regeln: Gegenstandsbereich und Methoden. Die Frage nach Methoden führte am Anfang des 19. Jhd. zur Abgrenzung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften (Erklären-VerstehenDebatte). Natur: erklären der Phänomene; Geisteswissenschaft: verstehen. Beim Erklären wird ein Sachverhalt auf allgemein gültige Gesetze zurückgeführt (nomothetisch). Oft (Ursache – Wirkung) wird das als kausal bezeichnet. Beim Verstehen ist der Sachverhalt eine Folge von Intentionen, Zielsetzungen, Zwecken. Dieses Erklären ist teleologisch (teleos = Ziel). Wenn es ein Sachverhalt im Besonderen ist, ist die Methode idiographisch (idios = eigen/ graphein = schreiben). Bei der ErklärenVerstehen-Debatte mussten die Sozialwissenschaften sich der einen oder anderen Methodik anschließen. In den Sozialwissenschaften sind beide Formen anzutreffen. An den Naturwissenschaften orientiert ist der Positivismus (Auguste Comte), der positive, d.h. beobachtbare Tatsachen für die Wirklichkeit hält. Auch Durkheim mit sozialen Tatsachen ist hier zu sehen. Aus diesem Ansatz entwickelte sich die empirisch-analytische Erziehungswissenschaft. 8.2 Was ist eine wissenschaftliche Erklärung? Eine wissenschaftliche Erklärung besteht bei Brezinka aus 3 Teilen: ein Ereignis (das geprüft, vorausgesagt oder erklärt werden soll), speziellen Bedingungen (unter denen das Ereignis auftritt), und ein oder mehrere allgemeine Gesetze, die den Zusammenhang beleuchten. Bei Carl Gustav Hempel findet man eine genauere Auffassung des Erklärens. Dieses Modell erhebt den Anspruch, für alle Wissenschaften gültig zu sein. Gegeben ist ein Ereignis E (Explanadum). Bsp. Der Kühlbehälter des Autos ist letzte Nacht geplatzt. Jetzt sind 2 Dinge notwendig, die zusammen das Explanas (Erklärung) bilden. Zum einen die konkreten Umstände (bei Hempel: spezielle Sachverhalte/ bei Brezinka: spezielle Bedingungen = für besondere, von Fall zu Fall wechselnde Sachverhalte). Zweitens braucht man noch ein oder mehrere allgemein gültige Gesetz/e (für alle Fälle). Diese zeigen warum das Ereignis E unter den speziellen Sachverhalten mit Notwendigkeit eintreten musste. Der Zusammenhang kann kausal sein, aber auch konditional (wenn das allgemeine Gesetz sagt, dass das Ereignis eintreten muss, wenn die speziellen Bedingungen gegeben sind). Dann unterscheiden sich Erklärung und Vorhersage nicht. Diese Art des Erklärens wird von Hempel als deduktiv-nomologisch bezeichnet (deducere: ableiten/ nomos: Gesetz) 8.3 Intersubjektive Nachprüfbarkeit. Die Wissenschaftstheorie des kritischen Rationalismus (Popper) Eine offen gebliebene Frage ist, wo die allgemein gültigen Gesetze herkommen. Gesetze werden aus Erfahrungen abgeleitet (Induktion). Induktion ist also ein Erweiterungsschluss, wo von einzelnen Fällen auf alle Fälle geschlossen wird. (z.B. Wasser gefriert immer bei 0 Grad celsius) Bei induktivem Schlussfolgern kann man nie sicher sein, dass es wirklich für alle Fälle gilt. Karl R. Popper hat ein Modell entwickelt, dass Erkenntnis ohne induktives Denken ermöglichen soll. Er unterscheidet hierfür zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang. Auch für Brezinka ist diese Unterscheidung wichtig. Bei dem Entdeckungszusammenhang ist es vollkommen egal, wie dieser zustande kommt, bei der Überprüfung des zweiten gibt es nur radikale Kritik (Popper). Die Überprüfung der Theorie erfolgt deduktiv. Dazu wird eine Theorie oder Hypothese operationalisiert. 14

Es werden überprüfbare Sachverhalte benannt, die eintreffen müssen, wenn die Theorie stimmt. Diese Sachverhalte werden dann mit der Wirklichkeit verglichen. Dadurch kommt man zu Verifikation oder Falsifikation. Die Verifikation hat aber nur für diesen einen Fall Gültigkeit. Die Theorie gilt nur als bewährt, kann aber in weiteren Versuchen falsifiziert werden. Die Wissenschaftlichkeit einer Theorie beruht auf ihrer möglichen Falsifizierung und auf ihrer Bewährung. Viele Aussagen geisteswissenschaftlicher Pädagogen können nicht überprüft werden und sind nicht widerlegbar. 8.4 Die Wissenschaftlichkeit von Wahrscheinlichkeitsaussagen Wenn bei Popper ein Fall auftritt, wo eine Theorie nicht gilt, ist sie falsifiziert. Brezinka zeigt, dass es in der Erziehungswissenschaft schwierig ist, so gültige Aussagen zu finden, weil soziale Phänomene komplexer sind. Brezinka wählt Aussagen mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit. Diese Gesetzhypothesen sind probabilistisch (wahrscheinlich) und nicht deterministisch. Eine solche Aussage ist z.B. dass ein Medikament bei 80% der Patienten wirksam ist. Die Hypothese ist einer empirischen Untersuchung zugänglich, die Aussage kann bewährt sein. Die Frage ist inwieweit solche Aussagen in Hempels Schema einer Erklärung (deduktiv-nomologisch) herangezogen werden können. Im Gegensatz zum deduktiv-nomologischen Modell sagt das probabilistische nichts über die Ursache, sondern nur über die Wahrscheinlichkeit aus. Für Einzelfälle also nicht zu anzuwenden. In den Sozialwissenschaften gibt es probabilisitische Erklärungen, aber kaum deduktiv-nomologische, weil es nicht gelungen ist, allgemeine Gesetze zu formulieren. 8.5 Ein Beispiel aus der Erziehungswissenschaft Es geht um eine Untersuchung von Frasch und Wagner 1982 mit dem Titel „Auf Jungen achtet man einfach mehr“. Die Forscherinnen gingen davon aus, dass die LehrerInnen mehr auf die Jungen achten (Lob, Tadel, aufrufen) würden (Poppers allgemeine Gesetze). Dies wurde anschließend beobachtet. Viele Hypothesen wurden bestätigt, andere widerlegt. Das Ergebnis der Untersuchungen waren Wahrscheinlichkeiten. Die Autorinnen sehen die Ergebnisse als Hinweis für die Benachteiligung von Mädchen, nicht als Beweis. Man redet auch von Verhalten (beobachtbar) und nicht von Handeln (was Intention, Ziele, Sinnschreibung miteinschließt). Kapitel 9 Der hermeneutische Ansatz der Erziehungswissenschaft Der hermeneutische Ansatz ist von (historischem) Interesse, weil er die Grundposition der geisteswissenschaftlichen Pädagogik ist, die bis in die 2. Hälfte des 20. Jhd. im deutschsprachigen Raum vorherrschend war. Vertreter sind Hermann Nohl, Wilhelm Flitner und Erich Weniger. Die methodische Grundoperation ist das Verstehen. Seit der realistischen Wende der 1960er verlor die Disziplin an Bedeutung und ihr Selbstverständnis änderte sich. Die Wissenschaft wurde mehr als Sozialwissenschaft denn als Geisteswissenschaft verstanden. Auch aktuell ist der hermeneutische Ansatz von Bedeutung. 9.1 Die Begründung des Verstehens als Methode der Erziehungswissenschaft Bei Dilthey heißt es „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“. Für Klafki sind pädagogische Sachverhalte sinnhafte Gebilde, denen von Menschen aufgrund von Auffassungen Bedeutung zugeschrieben wird. Ohne Kenntnis der Bedeutungen können die Sachverhalte nicht begriffen werden. Das erzieherische Handeln Fionas ist nur kraft dessen, was es für die Beteiligten bedeutet. Es unterscheidet sich also von Naturgeschehen. Bedeutung wird von Menschen zugeschrieben, aus Interessen, Zielsetzungen heraus. Für eine Begründung des Verstehens als Methode sind 3 argumentative Schritte nötig. Erstens Verstehen als Erscheinung des Alltagslebens. Das bedeutet dass wir aus sinnlichem (Gesten, Mimik) auf etwas psychisches schließen können (was will die Person damit sagen?). Der zweite Schritt ist zu begründen, wie aus dem alltäglichen Verstehen eine wissenschaftliche (Erkenntnis) Methode werden kann. Es geht darum, das Verständnis der Singularität zur Allgemeingültigkeit zu bringen. Der dritte Schritt ist, Verstehen als 15

ein regelgeleitetes Tun zu beschreiben. Im Gegensatz zu alltäglichem Verstehen bezeichnet Dilthey das als Auslegung oder Interpretation, und die Kunst der Auslegung ist die Hermeneutik. Klafki bezeichnet das ähnlich als streng methodisches, überprüfbares Verfahren. 9.2 Grundregeln eines wissenschaftlichen Verstehens Bei Dilthey finden sich grundlegende, aber ungeordnete Elemente. Klafki schlägt 11 methodologische Grunderkenntnisse vor. Diese werden hier zu 6 Grundregeln zusammengefasst. 9.2.1 Dauerhafte Fixierung des zu Verstehenden Z.B. Festhalten durch Schrift, um eine erneute Überprüfung zu ermöglichen. 9.2.2 Explikation und Überprüfung des eigenen Vorverständisses Das Vorverständnis soll bewusst gemacht werden, um eine Reflexion zu ermöglichen. Der Interpret (von Texten, Dokumenten) soll seine Fragestellung und Vorkenntnis offenlegen, damit diese intersubjektiv nachgeprüft werden kann. Die sich daraus ergebende kreisförmige Bewegung der Interpretation wird von Klafki als hermeneutischer Zirkel bezeichnet. 9.2.3 Berücksichtigung der semantischen und syntaktischen Besonderheiten des Textes Es geht nicht nur um die Interpretation des Textes als Ganzes, sondern auch um die Interpretation einzelner Elemente und Besonderheiten. Dies betrifft z.B. Wörter aus älteren Texten, die damals eine andere Bedeutung hatten (Menschheit bei Kant und Humboldt). Es geht auch um die Form (syntaktische Elemente), also wie etwas ausgedrückt wird. Für Klafki zählen zu syntaktischen Mitteln z.B. Konjunktionen (aber, denn, trotzdem…) oder die Tempusform (aktiv-passiv), rhetorische oder stilistische Figuren (z.B. Metapher oder Ironie). Dies ist wichtig, wenn der Inhalt konnotativ (zwischen den Zeilen) und nicht denotativ vermittelt wird. 9.2.4 Berücksichtigung des Kontextes Bei Dilthey Milieu. Der Sinn eines Satzes kommt nur in Verbindung mit anderen Sätzen zum Vorschein. Es lässt sich aber erweitern auf das gesellschaftliche Umfeld. Im weiteren Sinn last sich der Kontext nur mit anderen Texten, die demselben Kontext zugeordnet sind, erschließen. 9.2.5 Der hermeneutische Zirkel Wie stehen die einzelnen Teile des Textes zueinander? Wie kann aus dem einzelnen (Satz, Abschnitt) auf den ganzen Text geschlossen werden? Für Klafki beruht das Verstehen des einzelnen auf dem Verstehen des Ganzen (deduktiv). Andererseits kann aus dem einzelnen (induktiv) auf das Ganze geschlossen werden. Das Verständnis des Ganzen soll am einzelnen gemessen werden und gegebenenfalls verändert (Falsifikation). Es ist kein logischer Zirkelschluss gemeint, dieser sollte vermieden werden. 9.2.6 Das Problem der Objektivierung von Werturteilen und das Verfahren des Vergleichs In den Sozial- und Geisteswissenschaften werden Handlungen oft bewertet (angemessenunangemessen…). Brezinka schreibt, dass nur deskriptive Aussagen in der Wissenschaft zugelassen sind. Bei Dilthey sind Werturteile mit dem hermeneutischen Prozess verbunden, bei Klafki sind bewertende Aussagen unvermeidlich (z.B. Kritik bestehender Normen). Klafki hat 2 Kriterien ausfindig gemacht, um Texte zu beurteilen: Widerspruchsfreiheit (Argumentationen, die Begründen sollen) und das Verhältnis Text-gesellschaftliche Situation, in der der Text verfasst wurde. Z.B. eine ideologiekritische Interpretation soll zeigen, ob gesellschaftliche Verhältnisse angemessen gespiegelt werden, oder ob der Autor eigene Interessen einbringt und somit die gesellschaftlichen Verhältnisse 16

verzerrt. Für Dilthey ist der Vergleich ein entscheidendes Instrument zur Verobjektivierung von Werturteilen. 9.3 Die Kritik am hermeneutischen Wissenschaftsverständnis Kritisiert wurde, dass die Hermeneutik sich mit der Auslegung pädagogischer Klassiker beschäftigt, aber nicht mit Erziehungswirklichkeit. Die Interpretation solcher Texte ist für Diskussionen über Ziele und Methoden wichtig, in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik wurde ihr aber zu viel Bedeutung beigemessen. Qualitative Sozialforschung wendet die Methode aber auf Interaktionen zwischen z.B. Erziehern und Heranwachsenden an. Außerdem wurde die intentionalistische Auffassung des Verstehens (vom Autor aus) kritisiert. Hier wird die individualistische Beschreibung des Verstehens kritisiert, weil die sozialen und nicht-intentionalen Bestandteile ausgeblendet werden. Weiters wird kritisiert, dass Hermeneutik nur dazu geeignet ist, Hypothesen zu formulieren, die aber noch überprüft werden müssen. Klafki sieht es auch so, dass die hermeneutischen Hypothesen erst empirisch überprüft werden müssen (Verstehen nach Brezinkas an Popper orientierten Modell). Weiters ist für Klafki die Hermeneutik wichtig für die Interpretation der Ergebnisse empirischer Forschung und für das kritische Diskussion von Normen und Zielen pädagogischen Handelns. Dies lasst sich zurückverfolgen bis zum Modell Hempels Qualitative Sozialforschung und ihre Bedeutung für die Erziehungswissenschaft Hier wird das Modell Hempels aufgrund der Unterschiede zwischen Natur- und Sozialwissenschaften kritisiert. Die Sozialwissenschaften brauchen andere Methoden als die Naturwissenschaften. Soziale Wirklichkeit ist keine objektive Gegebenheit, sondern ein sinnhaftes, also symbolisch strukturiertes Gebilde. Die Bedeutungen werden von den Akteuren erst zugeschrieben. Das stützt die Hermeneutik, weil die Bedeutungen nicht gemessen werden können, sondern nur interpretativ erschlossen. Es geht also darum, diese Konstruktionen zu rekonstruieren. Z.B. Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen: empirisch setzt voraus, dass alle den gleichen Begriff von Arbeitslosigkeit haben (1 Jahr inoffizielle Aushilfe kann für Jugendliche Arbeit bedeuten, für das AMS aber nicht). Es geht nicht nur um die Prüfung von Theorien, sondern auch um die Gewinnung von Hypothesen. Kapitel 10 Der methodische Ansatz der Kritischen Erziehungswissenschaft Diese Richtung entstand in den 1960ern. Vertreter sind z.B. Wolfgang Klafki, Herwig Blankertz und Klaus Mollenhauer. Die kritische Erziehungswissenschaft grenzte sich von der geisteswissenschaftlichen Erziehungswissenschaft ab, weil diese sich als blind gegenüber gesellschaftlichen Bedingungen erwiesen hatte. Es sollte möglich sein, pädagogische relevantes Wissen aus einer kritischen Analyse der Gesellschaft zu beziehen. Das Konzept geht zurück auf die kritische Theorie der Frankfurter Schule. 10.1 Die Kritik am empirisch-analytischen Wissenschaftsverständnis Der Ausgangspunkt der Argumentation von Karl-Otto Apel bildet eine Auffassung von Wissenschaft (Science), die im Kern dem Modell Poppers entspricht. Drei Eigenschaften von Wissenschaft sind dabei zentral: sie ist wertneutral, das Verhältnis zur Gesellschaft ist technologisch bestimmt (Wissen zur technischen Realisierung von Zielen bereitzustellen). Als drittes wird sie von Ideologien abgegrenzt, es geht nur um Erkenntnis von objektiven Gesetzmäßigkeiten, nicht um Werte. Apel kritisiert diese Auffassung als ideologisch, da sie Wertfragen systematisch ausblendet und sich unreflektiert in den Dienst gesellschaftlicher Bedingungen (z.B. Kapitalismus) als Sachzwang darstellt und nicht als von Menschen gemachte, veränderbare Gegebenheiten betrachtet. 10.2 Habermas‘ Konzeption unterschiedlicher Erkenntnisinteressen Dem stellt Apel eine von Habermas entwickelte Sichtweise entgegen, bei der es auch um Erkenntnisinteressen geht. Dies meint Ziele, denen die Erkenntnisgewinnung dienen soll. Bei der 17

empirisch-analytischen Wissenschaft geht es darum, erfolgskontrollierten Handel zu verbessern oder technisch zu unterstützen. Bei historisch-hermeneutischen Ansätzen geht es um die Erhaltung und Erweiterung der intersubjektiven Verständigung. Solches Interesse (z.B. an der Erziehungstheorie Kants) nennt Habermas praktisches Erkenntnisinteresse. Mit Praxis ist hier die politische und moralische Verständigung über Ziele gemeint. Als drittes wird das emanzipatorische Erkenntnisinteresse (Befreiung aus Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen) genannt. Bei Sozialwissenschaften (solange es sich um Handlungswissenschaften handelt) geht es wie bei empirisch-analytischen Wissenschaften darum, nomologisches Wissen zu definieren. Das emanzipatorische Erkenntnisinteresse Apel meint, dass eine Übertragung der Methoden der empirisch-analytischen Wissenschaft auf die Sozialwissenschaften auch eine Übertragung des technischen Verfügungsinteresses bedeutet. Dies ist gefährlich, weil es nicht um Objekte geht, sondern um Subjekte und zwischenmenschliche Beziehungen. Diese Übertragung würde Manipulation sein (Menschen wie Gegenstände behandeln). Ein Unterricht nach diesem Muster wäre Dressur. Im Vergleich mit Brezinka fällt auf, dass er normative Fragen ausschließt, was Apel kritisiert. Es geht darum, Ziele zu erreichen, aber nicht, diese Ziele zu hinterfragen. Im zweiten Schritt der Argumentation erklärt Apel, dass ein gewisses Wissen über objektive Zusammenhänge notwendig ist. Z.B. bei Kindern oder Neurotikern, denen Verständigung über intersubjektive Normen und Ziele nicht (uneingeschränkt) möglich ist, da ihnen die Motive ihres eigenen Handelns oft nicht zugänglich sind, ist es in Ordnung, das empirischanalytische Modell zu verwenden. Der dritte Schritt der Argumentation ist, in z.B. Kindern einen Reflexionsprozess anzustoßen, dass diese so fähig werden, eine Verständigung über intersubjektive Ziele und normen durchzuführen (auch bei Kant: Kultivierung der Freiheit beim Zwang). Das Ziel besteht darin, zu erforschen wie solche Reflexionsvorgänge angestoßen werden, und bei allen Menschen bewusst gemacht werden. Es wird nach den gesellschaftlichen Bedingungen einer solchen Verständigung gesucht und Hindernisse ausgemacht, die einer solchen im Wege stehen, und wie diese beseitigt werden können. 10.4 Zum Postulat der Wertfreiheit der Wissenschaft Apel stimmt dem zu, weil es dem Menscheninteresse der technischen Verfügung der Welt entspricht. Die Bedingung dabei ist, dass ein intersubjektiver Verständigungsprozess in Hinblick auf die Ziele an anderer Stelle vorkommt, z.B. in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Dort wird ein Wertfreiheitspostulat abgelehnt. Apel führt hier an, dass Wissenschaftler sich auch an eine „Minimalethik“ halten, die sie für die Kommunikation brauchen. Diese Position steht im Zusammenhang mit Habermas Diskursethik. 10.5 Zur Bedeutung des methodischen Ansatzes der kritischen Erziehungswissenschaft für die erziehungswissenschaftliche Forschung Es ergibt sich aus dem Wissenschaftsverständnis kein eigener methodischer Ansatz. Man kann damit eher die Ergebnisse anderer Untersuchungen beurteilen. Z.B. das Forschungsprojekt aus Kapitel 8: Man könnte es als emanzipatorisches Erkenntnisinteresse betrachten (Abbau von Herrschaftsstrukturen). Man könnte es aber auch empirisch-analytisch betrachten und muss feststellen, dass die Beteiligten (Lehrer und Schüler) als Objekte und nicht als Subjekte betrachtet wurden. Es geht um technisches Erkenntnisinteresse. Die Frage ist, wie kann erziehungswissenschaftliche Forschung aussehen, die ihre Subjekte ernst nimmt. Ein Beispiel wäre Rückmeldung zum Unterricht. Die Lehrer und Schüler sollten selbst das Konzept dazu erarbeiten. Wenn sie das gemeinsam taten, und die Rückmeldungen regelmäßig wiederholt wurden, hatte das Projekt gute Ergebnisse.

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