EINLEITUNG. Those, who do not remember the past, are condemned to repeat it. George Santayana

EINLEITUNG „’Tis evident, the Mind knows not Things immediately, but only by the intervention of the Ideas it has of them. Our Knowledge therefore is ...
Author: Franka Jaeger
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EINLEITUNG „’Tis evident, the Mind knows not Things immediately, but only by the intervention of the Ideas it has of them. Our Knowledge therefore is real, only so far as there is a conformity between our Ideas and the reality of Things. But what shall be here the Criterion? How shall the Mind, when it perceives nothing but its own Ideas, know that they agree with Things themselves?“ John Locke „Those, who do not remember the past, are condemned to repeat it.“ George Santayana

Was sind die Gegenstände der Erfahrung? Können wir die Wirklichkeit direkt wahrnehmen, oder ist unsere Wahrnehmung stets in dem Sinne indirekt, daß uns allein geistige Objekte wie Sinnesdaten unmittelbar zugänglich sind? Sind beispielsweise die von uns wahrgenommenen Farben reale Eigenschaften von Körpern oder bloße Erscheinungen? Was ist unseren Sinnen präsent, wenn wir Wahrnehmungstäuschungen erliegen? Diesen Grundproblemen der philosophischen Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie ist gemeinsam, daß sie die Frage nach der Möglichkeit eines zuverlässigen direkten epistemischen Zugangs zur Wirklichkeit thematisieren. Diese Frage ist für unser Selbstverständnis als wahrnehmender und erkennender Subjekte von entscheidender Bedeutung. Hängt doch von der Antwort auf diese Frage ab, ob sich unser Alltagsrealismus gegen den skeptischen Einwand verteidigen läßt, die Annahme der Erkennbarkeit der Wirklichkeit könnte nicht begründet werden. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die kritische Auseinandersetzung mit Theorien, denen zufolge ein direkter epistemischer Zugang zur Wirklichkeit nicht möglich ist. Diese Theorien werden als repräsentationalistisch bezeichnet, weil sie sich durch die Behauptung auszeichnen, daß es für die Wahrnehmung realer Objekte erforderlich ist, zuvor geistige Repräsentationen dieser Objekte wie beispielsweise Sinnesdaten wahrzunehmen. Da zu den wichtigsten historischen Vertretern der Kritik an repräsentationalistischen Positionen

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vor allem die Idealisten George Berkeley, Immanuel Kant sowie Georg Friedrich Wilhelm Hegel zählen, werden sich die folgenden Untersuchungen auf diese idealistischen Positionen konzentrieren. Idealistische Positionen lassen sich ganz allgemein durch die beiden folgenden Behauptungen kennzeichnen: (1) Gegenstände der Erfahrung sind nicht die realen Dinge selber, wie sie unabhängig vom erkennenden Subjekt existieren, sondern (sinnliche) Vorstellungen bzw. Erscheinungen. (2) Die erkennbare Wirklichkeit ist durch die Erkenntnisvermögen des erkennenden Subjektes (in einer von den verschiedenen idealistischen Positionen unterschiedlich charakterisierten Weise) bestimmt. Die erste These bringt den subjektivistischen Aspekt idealistischer Positionen zum Ausdruck, wonach den erkennenden Subjekten in der Erfahrung allein subjektabhängige Objekte direkt zugänglich sein sollen. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß sich objektive, auf reale Gegenstände bezogene Erkenntnis allein unter Bezugnahme auf die subjektive Gewißheit von den eigenen unmittelbar gegebenen sinnlichen Vorstellungen begründen läßt. Die zweite These enthält die Antwort idealistischer Theorien auf die Frage, wie sich begründen läßt, daß unsere sinnlichen Vorstellungen der Wirklichkeit entsprechen. Dies soll dadurch garantiert werden, daß die Gegenstände der Erfahrung als wesentlich auf das erkennende Subjekt bezogen und durch seine Erkenntnisvermögen betrachtet werden. Während die zuerst genannte These idealistischen Positionen mit anderen subjektivistischen Ansätzen, wie zum Beispiel der repräsentationalistischen Position John Lockes, gemeinsam ist, gilt dies für die zweite These gerade nicht. Vielmehr zeichnet sich die idealistische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von sinnlicher Vorstellung und Wirklichkeit dadurch aus, daß sie sich nicht am Modell von Repräsentation und repräsentiertem Objekt orientiert, sondern dieses Modell kritisiert und zurückweist. Dies gilt beispielsweise für die Positionen von Berkeley und Kant. Ebenso wie für Berkeley, der im Zuge der kritischen Diskussion der Position Lockes dafür argumentiert, daß sinnliche Vorstellungen nicht mentale Repräsentationen perzeptionsunabhängiger materieller Substanzen sind, sondern selber die Gegenstände der Erfahrung bilden, ist es für Kant ein zentrales Anliegen, zu begründen, daß die Gegenstände der Erfahrung als Erscheinungen bzw. sinnliche Vorstellungen zwar von Seiten des erkennenden Subjektes durch die Anschauungsformen und Kategorien bestimmt werden, aber eben keine Repräsentationen subjektunabhängiger „Dinge an sich“ sind. Die Kritik repräsentationalistischer Theorien der Erkenntnis besitzt also im Rahmen idealistischer Positionen einen großen Stellenwert.

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Die von idealistischen Positionen bereitgestellten kritischen Überlegungen zum Repräsentationalismus in der Erkenntnistheorie werden von den in diesem Band versammelten Untersuchungen vor allem in den folgenden drei Hinsichten thematisiert. Zum einen wird der Frage nachgegangen, welche Argumente von Seiten idealistischer Positionen als Einwände gegen repräsentationalistische Positionen vorgebracht werden. Zum anderen werden die idealistischen Ansätze untersucht, die an die Stelle der von ihnen kritisierten repräsentationalistischen Positionen treten sollen. Außerdem wird die systematische Anschlußfähigkeit der historischen idealistischen Positionen erörtert. Dieser Punkt ist nicht zuletzt wegen der Wiederentdeckung vor allem der Philosophie Kants und Hegels durch die analytische Gegenwartsphilosophie (John McDowell, Robert Brandom) wichtig, die den Anspruch erhebt, die Grundgedanken des Idealismus und dessen Repräsentationalismuskritik in moderner Form weiterzuführen. Mit dem Titel des Buches: „Idealismus als Theorie der Repräsentation?“ wird hervorgehoben, daß es in diesem Band nicht nur um die Darstellung, sondern auch um die systematische Einschätzung und Bewertung idealistischer Positionen geht: Gelingt es Berkeley, Kant und Hegel, funktionierende nichtrepräsentationalistische Alternativen zu den von ihnen kritisierten Ansätzen bereitzustellen? Oder beschreiben die von ihnen formulierten Theorien das Verhältnis zwischen den unmittelbar zugänglichen sinnlichen Vorstellungen und der Wirklichkeit implizit doch wieder in Orientierung am repräsentationalistischen Modell? Wäre dies der Fall, dann müßte auch der Idealismus entgegen den Absichten seiner Protagonisten wiederum als Theorie der Repräsentation angesehen werden. Der Aufsatz von Andreas Kemmerling befaßt sich mit Berkeleys Verteidigung des Immaterialismus, der sich als Folge seiner Repräsentationalismuskritik ergibt. Der Repräsentationalismus, der sich in der neuzeitlichen und modernen Philosophie in der Erkenntnistheorie, der Philosophie des Geistes und der Semantik etabliert hat, geht historisch auf Descartes’ Konzeption der Vorstellung (idea) zurück. Allerdings stellen sich für Descartes’ Ansatz viele Fragen nicht, die für repräsentationalistische Theorien charakteristisch sind (z.B. „Wie können sich Vorstellungen repräsentierend auf Objekte beziehen?“), weil er Vorstellungen bzw. Ideen als immateriell auffaßt und die Ansicht vertritt, daß die Idee mit der vorgestellten Sache – sofern sie sich im Geist befindet – identisch ist. Beispielsweise ist demnach die Idee des Apfels der Apfel in seiner geistigen Seinsweise. Diese Auffassung wird bereits von Locke nicht mehr geteilt, der Vorstellungen und deren Objekte als verschiedene Entitäten versteht. Gegen diesen Repräsentationalismus Lockes richtet sich Berkeleys Kritik. Zum Beispiel weist Berkeley auf die Grenzen des Repräsentationalismus hin, indem er dafür argumentiert, daß wir keine Idee

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von Gott und von uns selbst (als aktiver geistiger Substanz) haben können. Wir haben also durchaus Kenntnis von Dingen, von denen wir keine Ideen haben. Ein zentrales Argument zur Verteidigung seines Immaterialismus ist Berkeleys Meisterargument, mit dem er die folgende Behauptung stützen will: Es läßt sich nicht denken, daß es einen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand gibt, der außerhalb des Geistes existiert. Kemmerling verteidigt die Interpretation, daß Berkeleys Überlegungen kein Argument für diese Behauptung enthalten. Berkeleys Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Wahrnehmung wird in dem Aufsatz von Ralph Schumacher untersucht. Berkeley kritisiert die repräsentationalistische Position Lockes und vertritt statt dessen die Behauptung, daß Dinge direkt wahrnehmbar sind. Diese Behauptung ist nicht nur eine zentrale These seines direkten Realismus, sondern zudem eine unentbehrliche Voraussetzung für ein zentrales Argument zur Rechtfertigung des Immaterialismus, das Berkeley in § 4 seines „Treatise Concerning the Principles of Human Understanding“ bereitstellt. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, die dafür sprechen, daß Berkeley im Rahmen seiner Position gar nicht konsistent behaupten kann, Dinge wären direkt wahrnehmbar. Nach Berkeleys eigenen Kriterien zur Unterscheidung direkter und indirekter Wahrnehmung scheinen nämlich allein Eigenschaften, aber nicht Dinge direkt wahrnehmbar zu sein. In dieser Arbeit wird dafür argumentiert, daß dieser Schein trügt: Auch im Rahmen von Berkeleys Ansatz besteht die Möglichkeit der direkten Wahrnehmung von Dingen. Er verwikkelt sich daher nicht selber in die gleichen zur Skepsis führenden Probleme, die er mit Bezug auf Lockes Position moniert. Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Wayne Waxman steht die Frage, auf welche Weise im Rahmen der Position Kants der Idealismus Berkeleys kritisiert und zurückgewiesen werden kann. Waxman argumentiert dafür, daß Berkeleys idealistisches Grundprinzip „esse est percipi“ auf den beiden folgenden Prämissen beruht: (1) Die Existenz wahrnehmbarer Dinge (sensible things) kann nicht unabhängig von der Empfindung (sensation) dieser Dinge gedacht werden. (2) Empfindung (sensation) kann nicht unabhängig von Wahrnehmung (perception) gedacht werden. Laut Waxman richtet sich Kants Kritik vor allem gegen die zweite Prämisse, denn Kant unterscheidet Empfindung und Wahrnehmung strikt voneinander. Er kann daher behaupten, daß Empfindung von der Wahrnehmung unabhängig ist. Die Grundlage von Berkeleys „esse est percipi“ wird damit in Frage gestellt. Zudem weist Kants Position laut Waxman aufgrund der Theorie der transzendentalen Realität der Empfindungen als Material der

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Wahrnehmung realistische Aspekte auf, die sich in Berkeleys Idealismus nicht finden sollen. Hans Friedrich Fulda untersucht Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, wie sie in der „Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften“ entwickelt wird. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die Anthropologie sowie die Psychologie. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, auf welche Weise sich Hegel darum bemüht, die für die Philosophie der Neuzeit typischen Dualismen zu vermeiden, die beispielsweise zum Leib-Seele-Problem führen. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage diskutiert, ob bei Hegel an die Stelle dieser Dualismen ein neuer Dualismus von subjektivem und objektivem Geist tritt. Die Arbeit von Martin Bondeli setzt sich kritisch mit der These Ernst Tugendhats auseinander, daß die Deutschen Idealisten dem sogenannten bewußtseinsphilosophischen Paradigma der Begründung von Wissen verpflichtet sind, in dessen Mittelpunkt der Begriff der Vorstellung (repraesentatio) steht. Tugendhat zufolge haben die Deutschen Idealisten eine „vorsemantische“ Auffassung von Wissen vertreten, indem sie das Subjekt-ObjektVerhältnis in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen rückten. Gegen diese These, die sich in ähnlicher Form auch bei Jürgen Habermas und Richard Rorty findet, argumentiert Bondeli erstens, daß den Deutschen Idealisten gerade daran gelegen war, die von Tugendhat als problematisch angesehene Beschreibung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses zu überwinden. Zweitens zeigt Bondeli, daß der von den Deutschen Idealisten bereitgestellte Bewußtseinsbegriff gerade Distanz hält zum problematischen Begriff der Repräsentation. Die Zuordnung zum bewußtseinsphilosophischen Paradigma trifft demnach nicht zu. Ludwig Siep, Christoph Halbig und Michael Quante geht es um die Frage nach der Möglichkeit einer systematischen Plausibilisierung der Philosophie Hegels. Diese Frage ist insbesondere durch die Wiederentdeckung Hegels durch die analytische Philosophie – wie z.B. durch McDowells Verbindung zwischen Alltagsrealismus und absolutem Idealismus – aktuell geworden. Es wird dafür argumentiert, daß eine solche Verbindung in Bezug auf Hegels Philosophie nicht nur möglich ist, sondern sogar auf das Zentrum der Hegelschen Philosophie abzielt, da sich Hegels Ansatz in der Erkenntnistheorie dadurch kennzeichnen läßt, daß er antirepräsentationalistisch, realistisch, externalistisch und antiskeptisch ist. David Bell untersucht die Verträglichkeit des empirischen Realismus mit dem transzendentalen Idealismus. Bell vertritt die Auffassung, daß sich der empirische Realismus nicht nur auf empirische Objekte als seinem Gegenstandsbereich bezieht, sondern daß er darüber hinaus auch den methodologischen Status einer empirischen Theorie besitzt. Unter dieser Voraussetzung

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ist der empirische Realismus natürlich besonders gut mit naturalistischen Theorien kompatibel. Naturalistische Theorien sind aber nicht nur mit einer alternativen Beschreibung der Wirklichkeit als Erscheinung durch den transzendentalen Idealismus verträglich. Vielmehr erfordern sie nach Bell geradezu eine solche Beschreibung als Ergänzung. Die Frage nach der Verträglichkeit der beiden genannten Positionen wird damit positiv beantwortet. Im Mittelpunkt der Arbeit von Jay F. Rosenberg steht die Frage, in welcher Weise Wahrnehmungsinhalte zur Rechtfertigung empirischer Urteile geeignet sein können. Rosenberg setzt sich kritisch mit der These McDowells auseinander, im Anschluß an Kant einen Mittelweg zwischen fundamentalistischen und kohärentistischen Ansätzen in der Erkenntnistheorie bereitzustellen. Er argumentiert dafür, daß McDowells Konzeption unbefriedigend ist, weil sie darauf hinausläuft, daß man sich zwei wenig attraktiven Konzeptionen anschließen muß: Zum einen soll man den Ansatz Kants in dem Punkt übernehmen müssen, daß dasjenige, was wirklich geist-unabhängig ist, auch als solches unerkennbar ist. Zum anderen bleibt laut Rosenberg in McDowells Theorie nicht nur unverständlich, was es heißen soll, Wahrnehmungsinhalte wären begrifflich strukturiert. Vielmehr wird darüber hinaus damit auch der Unterschied zwischen dem Natur- und dem Kulturbegriff unkenntlich gemacht. Aus diesen Gründen stellt Rosenberg unter Bezug auf evolutionstheoretische Überlegungen einen eigenen Ansatz als Alternative bereit. Die Arbeit von Marcus Willaschek thematisiert die systematische Plausibilität der Transzendentalphilosophie Kants. Willaschek zufolge ist die sogenannte „Zwei-Aspekte-Interpretation“ von Kants Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Ding an sich im Gegensatz zur „Zwei-Welten-Interpretation“ eine notwendige Voraussetzung dafür, daß Kants Position als kompatibel mit modernen Positionen des Empirismus und des wissenschaftlichen Realismus angesehen werden kann. Er untersucht die Belege, die für die „Zwei-Aspekte-Interpretation“ sprechen und konzentriert sich dabei auf das sogenannte Affektionsproblem: Zum einen sollen Erscheinungen das Produkt der Verarbeitung eines sinnlich gegebenen Materials sein. Zum anderen soll aber dieses Material darauf zurückgehen, daß etwas transzendental Reales unsere Sinnlichkeit affiziert. Ursache und Wirkung dieser Affektion können aber nicht identisch sein. Willaschek kommt daher zu dem Ergebnis, daß sich die „Zwei-Aspekte-Interpretation“ letztlich doch als unhaltbar erweist. Sally Sedgwick geht es um die Frage, was Hegel unter „subjektivem Idealismus“ versteht, wenn er Kants transzendentale Philosophie als subjektiven Idealismus bezeichnet und damit von seinem eigenen absoluten Idealismus abgrenzt. Sedgwick setzt sich dabei kritisch mit der gängigen Interpretation auseinander, daß Hegels Kennzeichnung der Kantischen Position auf

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einem Mißverständnis beruht. Hegel vertritt danach die Auffassung, Kant würde die Möglichkeit der Wahrnehmung bzw. Erkenntnis der Wirklichkeit bestreiten, weil er die Realität als den Bereich der Dinge an sich mißversteht. Im Gegensatz zu dieser Interpretation argumentiert Sedgwick dafür, daß Hegel die Unterscheidung zwischen dem Empirismus z.B. Lockes und dem transzendentalen Idealismus Kants durchaus zur Kenntnis nimmt. Sedgwick zufolge liegt Hegels Absicht allein darin, mit der Kennzeichnung des subjektiven Idealismus darauf zu verweisen, daß Kants Position Angriffspunkte für bestimmte skeptische Einwände darbietet, welche die notwendige Geltung der Kategorien für den Bereich der Erscheinungen in Frage stellen. Hans-Peter Krüger untersucht, welche Fragestellung Hegels durch Charles S. Peirce und William James tatsächlich pragmatisch transformiert worden ist. Er argumentiert für die These, daß es sich dabei vor allem um die Frage nach der Differenz zwischen Substanz und Subjekt geht. Krüger verteidigt mit seiner Interpretation zum einen die Behauptung, daß es sich beim klassischen Pragmatismus entgegen einem gängigen Vorurteil nicht um ein naturalistisches Projekt handelt, das unter dem dominierenden Einfluß der Evolutionstheorie steht. Statt dessen weist er dem Einfluß des Idealismus Hegels eine entscheidende Bedeutung zu. Zum anderen plädiert er im Anschluß an Hegel und die beiden genannten Pragmatisten dafür, die Unterscheidung zwischen dem substantiell Lebendigen und dem sprachlich reflektierten Subjekt aufrecht zu erhalten. Die Untersuchung von Birgit Recki befaßt sich mit der von Ernst Cassirer in der „Philosophie der symbolischen Formen“ entwickelten Theorie unserer kulturellen Wirklichkeit, mit der Cassirer den Anspruch erhebt, eine transzendentalphilosophische Konzeption zu vertreten. Demnach läßt sich der ontologische Status von Artefakten nicht mit ausschließlicher Bezugnahme auf deren dinglichen Charakter angemessen bestimmen. Vielmehr ist dazu zusätzlich die Berücksichtigung der in ihnen realisierten Bedeutungen erforderlich. Cassirers Konzeption, derzufolge Artefakte als Symbole aufzufassen sind, stimmt laut Recki mit der Transzendentalphilosophie Kants in dem zentralen Punkt überein, daß die Gegenstände unserer Erfahrung von uns selbst erzeugt werden. Cassirers Theorie stellt danach eine Erweiterung der idealistischen Bewußtseinsphilosophie dar. Das zentrale Thema des Aufsatzes von Béatrice Longuenesse ist die Ableitung von Kants Kategorien aus den logischen Formen der Urteile. Longuenesse konzentriert sich dabei auf die Ableitung der Kategorie der Gemeinschaft aus der logischen Form des disjunktiven Urteils und wendet sich gegen die weitverbreitete Auffassung, daß Kant diese Ableitung nicht gelingt. Sie argumentiert, daß diese Ableitung zwar komplexer ist als die übrigen und nur unter Berücksichtigung der beiden ersten Kategorien verstanden werden

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kann, daß sie aber dennoch funktioniert. Kant stellt demnach einen interessanten Erklärungsansatz für die Einheit der von uns wahrgenommenen Wirklichkeit bereit. Die Arbeit von Paul Guyer befaßt sich mit der Frage, worin genau die Zielsetzung von Kants transzendentaler Deduktion der Kategorien liegt. Guyer argumentiert für die These, daß Kant das Ziel verfolgt, zu begründen, daß jede einzelne der zwölf Kategorien auf jede einzelne Erscheinung anwendbar ist. Laut Guyer gliedert Kant die Transzendentale Deduktion aus diesem Grund in die „Analytik der Begriffe“ und die „Analytik der Grundsätze“. Während in der „Analytik der Begriffe“ begründet wird, daß die Kategorien en bloc auf Erscheinungen anwendbar sind, hat die „Analytik der Grundsätze“ die Aufgabe, zu rechtfertigen, daß jede Kategorie auf jede Erscheinung angewendet werden kann. Die Untersuchung von Eckart Förster konzentriert sich auf Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Kritik an Kants Materietheorie. Schelling zufolge ist Kants Konzeption der Materie – wie dieser bereits selber festgestellt hatte (wenngleich aus anderen Gründen als Schelling) – zirkulär. Laut Förster stellt Kants Materietheorie einen wesentlichen Bestandteil von dessen Transzendentalphilosophie dar. Denn um zu erklären, wie sich apriorische Vorstellungen auf Gegenstände beziehen können, kann Kant die Übereinstimmung von Vorstellung und Gegenstand im Fall des Materiebegriffs nur dadurch erweisen, indem er den Nachweis der realen Möglichkeit der den Vorstellungen entsprechenden Gegenstände erbringt. Förster verfolgt mit dieser Arbeit das Ziel, im Zuge des Vergleichs der Problemdiagnosen Kants und Schellings deren Lösungsversuche wechselseitig zu erhellen. Christian Klotz untersucht den Anspruch McDowells, systematisch an wesentliche Elemente der theoretischen Philosophie Kants anzuschließen. Bereits in „Mind and World“ nimmt McDowell auf Kants Erfahrungsbegriff Bezug, indem er dessen Behauptung zustimmt, daß sinnliche Rezeptivität und spontane begriffliche Fähigkeiten beim Erkennen eng zusammenwirken. Während er aber in dieser Arbeit Kants transzendentaler Begründung seiner Erfahrungskonzeption noch ablehnend gegenübersteht, vertritt er in neueren Arbeiten zudem den Anspruch, seine Konzeption der Erfahrung ebenso wie Kant transzendental zu rechtfertigen. Klotz kommt im Zuge seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, daß diese Einschätzung McDowells nur teilweise zutrifft, weil zum einen inhaltliche Differenzen zwischen den Erfahrungsbegriffen Kants und McDowells bestehen, und weil sich zum anderen ihr Verständnis der Zielsetzungen transzendentaler Begründungen grundsätzlich unterscheidet. Im Unterschied zu Kant, dem es um den Nachweis der notwendigen Geltung der Kategorien für Erfahrungsinhalte geht, ist McDowell im Zuge seiner transzendentalen Rechtfertigung nämlich daran

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interessiert, zu zeigen, wie „normative“ Beziehungen zwischen empirischen Urteilen und Erfahrungsinhalten möglich sind. Karl-Norbert Ihmig untersucht die theoretische Funktion der euklidischen Geometrie im Rahmen von Kants transzendentaler Ästhetik. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob Kants Argumentation für die empirische Realität sowie transzendentale Idealität des Raumes auf eine bestimmte historische Gestalt der Geometrie festgelegt ist und damit angesichts eines veränderten Geometrieverständnisses ihre Überzeugungskraft verliert. Dies ist Ihmig zufolge allerdings nicht zu befürchten, weil Kant in seinen sogenannten Raumargumenten nicht von spezifischen Voraussetzungen der Geometrie Gebrauch machen soll. Kants Theorie reflektierender Urteile wird von Henry E. Allison thematisiert, der sich dazu auf Kants Konzeption reiner Geschmacksurteile in der ersten Einleitung zur „Kritik der Urteilskraft“ konzentriert. Das Ziel der Untersuchung besteht darin, die theoretische Funktion von Kants Begriff der Reflexion für die Erklärung der subjektiven Allgemeingültigkeit reiner Geschmacksurteile zu bestimmen. Allison argumentiert dafür, daß die Konzeption reflektierender Urteile der Theorie der Geschmacksurteile als Voraussetzung wesentlich zugrunde liegt. Zudem wird die These vertreten, daß für den besonderen Geltungsstatus dieser Urteile die Harmonie von Einbildungskraft und Verstand verantwortlich ist. Die Rehabilitierung des Vorstellungsbegriffs steht im Mittelpunkt der Arbeit von Volker Gerhardt, der sich kritisch mit sprachanalytischen Positionen in der behaviouristischen Tradition von John L. Austin, Gilbert Ryle und Ludwig Wittgenstein auseinandersetzt. Gerhardt entwickelt eine Reihe verschiedener Überlegungen, um die Annahme von Vorstellungen im Sinne ausschließlich privat zugänglicher mentaler Entitäten zu stützen. Beispielsweise soll diese Annahme aus dem Grund unentbehrlich sein, weil unser Begriff der Wirklichkeit reale Gegenstände stets als Gegenstände möglicher Erfahrung beschreibt, und weil der Begriff der Erfahrung seinerseits wesentlich mit dem Begriff der Vorstellung verbunden ist. Ralph Schumacher

Berlin, im Januar 2001

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